Die harte Ranch - G.F. Barner - E-Book

Die harte Ranch E-Book

G. F. Barner

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Beschreibung

Begleiten Sie die Helden bei ihrem rauen Kampf gegen Outlaws und Revolverhelden oder auf staubigen Rindertrails. G. F. Barner ist legendär wie kaum ein anderer. Seine Vita zeichnet einen imposanten Erfolgsweg, wie er nur selten beschritten wurde. Als Western-Autor wurde er eine Institution. G. F. Barner wurde als Naturtalent entdeckt und dann als Schriftsteller berühmt. Seine Leser schwärmen von Romanen wie "Torlans letzter Ritt", "Sturm über Montana" und ganz besonders "Revolver-Jane". Der Western war für ihn ein Lebenselixier, und doch besitzt er auch in anderen Genres bemerkenswerte Popularität. Der Mann, der reglos im Schatten des Vorbaudaches lehnt und seine Stadt beobachtet, dieser Mann zuckt zusammen. Er sieht Jerry Lewis kommen, und der Anblick des kleinen Mannes aus Kansas gibt ihm Grund genug, seine Augenlider halb zu schließen. Sheriff John Ellison erkennt Jerry Lewis bereits auf hundert Schritt. Der kleine Kansasmann wagt sich in die Stadt, in eine Stadt, die praktisch einem Mann gehört: James Hadley Ornell. Im Augenblick, das weiß Ellison nur zu gut, denn er beobachtet seit Stunden die Straße, ist niemand der Männer von der Ornell Ranch in der Stadt. Aber sie können kommen und werden jeden Mann der O'Willis-Ranch vertreiben. Sie sind stark und groß genug, obwohl sie zum ersten Male in diesen vier Jahren eine Niederlage hingenommen haben. Der Sheriff erinnert sich an Doc Wendels Gerede über drei Männer von James Ornells Ranch, die er behandelt hat. Diese drei sollen angeblich auf dem Land der O'Willis Lady gewesen sein, den kleinen Lewis und seine Freunde gestellt haben. Es heißt sogar, daß Dana O'Willis selbst dabei gewesen sein soll, aber... der Sheriff hat sich darum nicht gekümmert. Vielleicht nur deshalb nicht, weil er keine Aufforderung von James Ornell dazu bekommen hat. »Großer Gott«, sagt Ellison bitter. »Eines Tages werden sie schießen. Ich wollte, ich könnte einen bremsen, wenn nicht beide. Aber weder dieses Mädel noch der alte James geben nach. Sie kauft Mavericks, etwas, was den Alten wild machen muß, da es in der Hauptsache Ornell-Mavericks sind. Ich kann nicht immer beide Augen zumachen und schweigen. Ich muß eines Tages eingreifen.

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G.F. Barner – 312 –

Die harte Ranch

G.F. Barner

Der Mann, der reglos im Schatten des Vorbaudaches lehnt und seine Stadt beobachtet, dieser Mann zuckt zusammen.

Er sieht Jerry Lewis kommen, und der Anblick des kleinen Mannes aus Kansas gibt ihm Grund genug, seine Augenlider halb zu schließen.

Sheriff John Ellison erkennt Jerry Lewis bereits auf hundert Schritt. Der kleine Kansasmann wagt sich in die Stadt, in eine Stadt, die praktisch einem Mann gehört: James Hadley Ornell.

Im Augenblick, das weiß Ellison nur zu gut, denn er beobachtet seit Stunden die Straße, ist niemand der Männer von der Ornell Ranch in der Stadt. Aber sie können kommen und werden jeden Mann der O’Willis-Ranch vertreiben. Sie sind stark und groß genug, obwohl sie zum ersten Male in diesen vier Jahren eine Niederlage hingenommen haben.

Der Sheriff erinnert sich an Doc Wendels Gerede über drei Männer von James Ornells Ranch, die er behandelt hat. Diese drei sollen angeblich auf dem Land der O’Willis Lady gewesen sein, den kleinen Lewis und seine Freunde gestellt haben. Es heißt sogar, daß Dana O’Willis selbst dabei gewesen sein soll, aber... der Sheriff hat sich darum nicht gekümmert. Vielleicht nur deshalb nicht, weil er keine Aufforderung von James Ornell dazu bekommen hat.

»Großer Gott«, sagt Ellison bitter. »Eines Tages werden sie schießen. Ich wollte, ich könnte einen bremsen, wenn nicht beide. Aber weder dieses Mädel noch der alte James geben nach. Sie kauft Mavericks, etwas, was den Alten wild machen muß, da es in der Hauptsache Ornell-Mavericks sind. Ich kann nicht immer beide Augen zumachen und schweigen. Ich muß eines Tages eingreifen. Und für niemanden hier gibt es einen Zweifel, für wen ich reiten werde.«

Er weicht tiefer in den Schatten zurück und legt die linke Hand an die Brust. Jetzt wird sein Stern nicht mehr blinken können. Außerdem ist hier der Schatten tief genug. Der kleine Bursche Lewis soll ihn nicht zu früh sehen.

Lewis kommt. Er reitet wie ein Mann, der niemals angegriffen worden ist, dem es geradezu gut zumute ist.

»Joel sollte hier sein«, sagt Ellison dumpf. »Es würde gut sein, ihn hier zu haben. Wenn einer den alten Narren aufhalten kann, dann ist es sein Sohn, aber er wird vielleicht nicht mehr kommen.«

Er ist einmal mit Joel Ornell zur Schule gegangen. Er ist mit ihm geritten, er ist schließlich einer der besten Reiter auf der Ornell-Ranch geworden. Dieser John Ellison. Und als der Alte dann einen Sheriff brauchte, da hat man ihn, John Ellison genommen. Er ist ein Ornell-Mann, er ist für diese Ranch geritten, er hat mit den Männern gelacht, gestritten und gesungen. Und darum wird er Zeit seines Lebens ein Ornell-Mann bleiben. So sagen es die Leute. Daß es vielleicht im Laufe einer gewissen Zeit in einem Mann Veränderungen gibt, das ahnt kaum einer. Es ist nicht allein jene Änderung, der fast jeder Mann im Laufe seines Lebens unterliegt, es ist dieses Amt, das Sheriff John Ellison übernommen hat. Und es ist dieser Stern, auf den er geschworen hat, Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben.

Ellison tritt ganz in den Schatten und sieht Jerry kommen. Lewis reitet vorbei, der Sheriff ruft ihn nicht an, aber er verfolgt ihn genau mit seinen Blicken.

Lewis reitet jetzt haargenau, als wenn er nur dieses eine Ziel in der Stadt kennt, auf den Saloon zu. Dort singt Lilly McDonald. Dorthin kommen viele Reiter aus diesem Land.

Das Lächeln einer Frau vom Schlage einer Lilly McDonald macht manchen Cowboy für den Rest seiner Wochenarbeit glücklich. Es ist so in diesem Land.

Jerry biegt in den Hof ein, und der Sheriff sagt sich:

»Er ist zu vorsichtig, um sein Pferd auf der Straße zu lassen. Nun ja, schlau ist der Bursche schon.«

Dann geht John Ellison los. Er kommt beim Store vorbei und sieht Lyndell Wyman in der Tür stehen. Auch Wyman muß Jerry gesehen haben. Er hüstelt und fragt leise:

»Ob es klug von dem kleinen Kansasmann ist, John?«

Einen Augenblick bleibt Ellison stehen. Lyndell ist ein alter Mann, der schon zur Indianerzeit gehandelt hat. Er blickt manchmal so weltfremd drein, daß sie alle denken, er ist ein Träumer.

»Ich werde ihm einige Dinge sagen, Lyndell.«

»Damit ergreifst du Partei, Junge.«

»Ach, zum Teufel«, murmelt Ellison heiser. »Lyndell, wir können gleich tauschen, wenn du magst. Was soll ich denn tun? Wenn sich zwei draußen prügeln und keiner kommt und beschwert sich über den anderen, dann kann ich nur zusehen. Wenn sich der alte James nicht meldet, dann heißt das, daß er keine Einmischung wünscht. Und bei der Lady ist es genauso, verstehst du? Dieser Kansasjunge ist gerade gut genug, um aus einer Prügelei eine Schießerei werden zu lassen. Und eine Schießerei in dieser Stadt dulde ich nicht.«

»Danach wirst du auch gerade gefragt werden, Junge.«

»So?« fragt Ellison langgezogen. »Lyndell, was immer ich tue, ich werde es für diese Stadt tun.«

»Und die Stadt lebt von der Ornell-Ranch und deren Freunden.«

»Das sagt nichts.«

Lyndell hebt die Augenbrauen leicht an und nickt.

»Du hast also eigene Gedanken, wie?«

»Wenn ich sie habe, dann sind es meine, Lyndell.«

»Ich verstehe«, erwidert der alte Storebesitzer leise. »Nur, denke nie laut, es könnte gefährlich für dich sein.«

»Für mich? Ich bin der Sheriff, Mann. Wie meinst du das?« fragt Ellison heftig.

»Ich kenne jemanden«, sagt Lyndell warnend. »Dieser jemand hat das meiste Geld in diesem Land. Er bestimmt über die Bank. Er hat mehr Einfluß als alle andern zusammen. Und er geht über Leichen, wenn es sein Ziel erfordert. Weißt du das nicht, Junge?«

Einen Augenblick ist es Ellison, als wenn ihm eine kalte Hand um die Kehle gelegt würde. Er denkt wieder an Larry O’Willis Tod und schluckt.

Dann geht er, ohne eine Antwort zu geben, weiter.

Hinter ihm aber senkt der alte Lyndell Wyman den Kopf und sagt bitter:

»Schwer für dich, Sheriff, sehr schwer. Ich möchte nicht tauschen. Niemand wird das tun, denn niemand will gern sterben. Und das kannst du, wenn es hart auf hart geht. Du tust mir leid, Junge. Und ich mir selbst, daß ich so ein alter Mann bin.«

In dieser Sekunde sieht er einen Mann auftauchen. Der Mann ist groß, hager, hat ein Raubvogelgesicht mit unter schweren Lidern verborgenen Augen, und er sieht die Straße hoch.

Es ist Geronimo Hatherwell, ein Mann dessen Großmutter Indianerin gewesen ist und der mit zwei Brüdern und einem Verwandten in den Bergen westlich der Stadt lebt.

Obwohl Geronimo der Älteste in der Sippe ist, obwohl diese Sippe groß ist und sie weniger als hundert Rinder auf der kleinen, halbverfallenen Ranch besitzen – er hat immer Geld. Und das reichlich.

»Widerlicher Bursche«, sagt Wyman bissig. »Ich mag ihn nicht und die meisten seiner Leute noch weniger. Wenn er nicht so schnell mit seinem Schießeisen sein würde – ich bin sicher, irgend jemand würde ihn längst davongejagt haben.

Manchmal glaube ich, schafft er sogar Troy Beham. Er ist gefährlich wie eine Natter. Und er hat immer Geld. Woher eigentlich?«

Wyman blickt sich nach dem Sheriff um, aber der ist schon im Saloon verschwunden.

Dort steigt in dieser Minute Jerry Lewis über einen Eimer im Gang des Stalles hinweg. Jerry hat sein Pferd eingestellt und ist jetzt auf dem Weg nach draußen.

Er kommt aus der Tür, macht drei Schritte und hört es dann in diesem leeren Hof irgendwo kratzen.

Mit einem Schlag wird Jerry Lewis bewußt, daß es tödlich gefährlich sein kann, in dieser Stadt einen Besuch zu machen. Er senkt die Hand, bereit, sich hinzuwerfen und zu schießen, wenn es sein muß. Einen Augenblick hat er die wilde Furcht in sich, daß es krachen kann und er nicht einmal jemanden zu sehen bekommt.

Aber dann sagt genau an der Ecke des Stalles – keine drei Schritt von der Tür entfernt – John Ellison ruhig:

»Du könntest schon nicht mehr leben, mein Freund, wenn hier ein anderer Mann gestanden hätte. Jerry, warte.«

Jerry Lewis senkt erleichtert die Hand. Er wendet sich um, aber er sieht wenig von Ellison. Einen Moment fragt sich Jerry, ob Ellison nicht einige Dinge übertreibt. Er hätte ihn genausogut im Licht einer Laterne anreden können. Aber dann sagt er sich bitter, daß Ellison ein Ornell-Mann ist.

»Ja, was ist, Sheriff?« fragt er rauh und wendet sich nun ganz der Ecke zu. »Ich will nur einen Besuch machen, mehr nicht.«

»Entweder«, erwidert Ellison, »bist du ein Narr, oder du bist lebensmüde. Ich halte nichts von Selbstmördern, Jerry.«

»Und ich«, sagte Jerry scharf und bissig, »nichts von Männern, die keine Männer sondern Waschlappen sind und sich Befehle geben lassen.«

Er sieht deutlich, daß der dunkle Schatten von Ellison zuckt. Seine Worte tun ihm eine Sekunde später leid, aber sie sind gesprochen worden.

»Hör zu«, antwortet Ellison, ohne auf den Angriff einzugehen. »Jerry, da laufen eine Menge Gerüchte um. Zuerst sollen Leute einige Freunde von dir auf ihrem Gebiet erwischt haben, dann habt ihr...«

»Moment, es ist eine Falle gewesen«, gibt Jerry scharf zurück. »Sie haben uns auf ihre Seite gelockt, wir wissen das, wenn wir es auch nicht beweisen können. Für dich sind wir natürlich nur so hingeritten, um etwas anzufangen, wie?«

»Was ich denke, oder glaube, Jerry, das ist meine Sache, willst du dir das merken?« sagt Ellison nicht ohne Bitterkeit. »Ihr habt euch revanchiert, nicht schlecht, soviel ich gehört habe. Aber, Jerry, von dieser Stunde an ist jemand ziemlich wild. Ich kenne ihn und weiß, daß er sich etwas ausdenken wird. Es kann sein, daß er Beham einen Befehl gibt.«

»Mit anderen Worten, du weißt, daß Beham einen Befehl bekommen hat, wie? Ich habe sie herübergelockt, es ist wahr. Ich sage es dir mitten ins Gesicht, ich habe es getan. Sie hätten mich nie erwischen können, wenn wir das gewollt hätten. Wir haben es nicht gewollt, verstanden? Und Beham ist also losgelassen worden, um mich kleinen, unbedeutenden Mann zu erwischen?«

»Ich sage, ich weiß es nicht.«

»Und das soll ich auch noch glauben, was?« sagt Jerry bissig. »Du denkst wohl, daß ich wirklich verrückt bin, John? Mein Freund, in Kansas hat es Zäune gegeben, früher noch als in Texas oder hier. Ich kenne dieses rauhe Spiel sehr genau. Ich weiß um alle Dinge Bescheid, die passieren können, wenn jemand wild wird. Du hast ja keine Ahnung, wie rauh so ein Krieg um Zäune und freie Weiden werden kann. Aber ich habe die Ahnung und sage dir, daß dieser Streit gegen einen Zäunekrieg ein Nichts sein wird. Beham soll nur kommen.«

»Du bist niemals schnell genug, Jerry.«

»Weißt du das? Aber wahrscheinlich bin ich zäher und schlechter zu treffen. Was soll die Warnung? Willst du mich aus der Stadt jagen? Gehorche nur immer diesem alten Viehdieb.«

»Er ist kein Viehdieb.«

»Er ist einer, ich weiß es. Er hat Larry damals das Vieh abgenommen, das weiß hier jeder, auch du weißt es. Ich nenne das Viehdiebstahl.«

»Larry O’Willis hat ihm Geld geschuldet, Jerry.«

»Na und? Nachbarn sollen sich helfen, aber er hat die Ranch schlucken wollen, wie? Er hat gedacht, daß Larry O’Willis seine Rinder nimmt und an einen anderen Platz zieht, aber der hat ihm lieber die halbe Herde gegeben. Eine Gemeinheit, im späten Herbst von einem Rancher Geld zu verlangen. Du weißt sehr gut, daß eine Ranch Geld braucht, um über den Winter zu kommen. Das nenne ich Diebstahl, John.«

»Bin ich gekommen, um mit dir darüber zu streiten?« fragt Ellison düster. »Man kann es so nennen, nun gut. Ich habe es damals – nun, was geht es dich an, was ich gedacht habe? Jerry, manchmal kann man Dinge nicht verhindern. Ich glaube, du erledigst deinen Besuch hier in der Stadt sehr schnell, was?«

»Also doch. Ich soll verschwinden.«

»Ich will hier keine Schießerei, Mann.«

»Du bist ein Feigling, du bist parteiisch.«

»Halte deinen Mund, Jerry. Was ich bin, das sieht jeder. Ich will keine Schießerei, ich sage es noch einmal. Und du hast dich danach zu richten.«

»Soll ich vielleicht meinen Revolver abliefern, he?«

Ellison schwankt einen Augenblick, er weiß nicht, was nun besser ist. Dann aber sagt er düster:

»Behalte ihn, du Narr. Mit wem nicht zu reden ist, mit dem ist alle Mühe vergebens. Geh und bring dich um.«

»Du bist ein jämmerlicher Feigling«, sagt Jerry hart. »Versteck dich doch, wenn sie kommen. Du wirst weglaufen, was? Lauf nur, aber wirf den Orden weg, ehe du gehst, hörst du? Es könnte sonst sein, daß sich dein Orden schwarz färbt.«

Er hört Ellison heftig schnaufen und weiß, daß er ihn beleidigt hat, aber es ist für Jerry zuviel, wenn man ihn in einer Stadt nicht gern sieht. Hat er denn nicht das gleiche Recht wie andere?

Jerry dreht sich um, lacht bitter und geht dann los. Es ist ihm, als wenn Ellison mit den Zähnen geknirscht hätte, aber er denkt im nächsten Augenblick nicht mehr daran, denn er hört jemanden lachen. Und dieses Lachen erinnert ihn einen Moment an Kansas City, die Schule dicht am Fluß und ein Mädchen mit zwei langen blonden Zöpfen.

Nach wenigen Schritten kommt Jerry Lewis von hinten in den Flur des Saloons. Rechter Hand in die Küche, eine Tür weiter geht es in den Saloon. Auf der Treppe aber steht ein Mann. Es ist Dexter Norton, dem eine mittelgroße Ranch gehört. Neben ihm lehnt ein Mädchen an der Wand. Es hat schon lange keine Zöpfe mehr. Es singt auch nicht mehr in jenem Chor der Kirche, in der ihr Vater einmal die Orgel gespielt hat.

Dieses Mädchen ist groß, sehr erwachsen und singt nur noch in den besten Saloons. Es hat heute seinen freien Tag, das weiß Jerry genau.

Und Dexter, der sich nun umdreht, sagt halblaut:

»Nur einen Drink, Miß McDonald.«

Dann erkennt er Jerry, sperrt den Mund auf, starrt ihn groß und verstört an.

»Hallo, Mr. Norton«, sagt Jerry freundlich, obwohl dies nun der sechzehnte oder siebzehnte Mann sein muß, der Lilly zu irgendwelchen Drinks einladen will. »Ein schöner Abend.«

»Lewis«, staunt Dexter. »Mann. Nun gut, deine Sache. Paß auf, daß es für dich kein schlechter Abend wird.«

Jerry geht weiter, er muß unter der Laterne her. Und er erinnert sich, daß Lilly McDonald, die eigentlich Elizabeth McDonald heißt, ihn noch nie im vollen Licht einer Laterne gesehen hat. Die Lampe ist zwar nicht so hell wie eine Laterne, aber er hebt den Blick und sieht Lilly an.

Und wieder denkt er mit seltsamer Traurigkeit, die sonst gar nicht zu ihm paßt, an den Tag im Frühjahr vor nunmehr vierzehn Jahren.

In dieser Sekunde sieht er auf Lilly McDonalds Gesicht ein kurzes, flüchtiges Zusammenzucken. Dann geht er weiter, macht die Tür zum Saloon auf und sieht ungefähr dreißig Männer, die zum Teil mit den Girls aus der Tanzgruppe, mit der Lilly reist, zusammensitzen. Gelächter liegt über dem Saloon, das sich jäh legt, als sie Jerry erkennen.

Jerry Lewis lächelt dünn. Er weiß, daß sie bei seinem Anblick alle erschrocken sind, aber es stört ihn nicht. Er hat keine Angst vor dem, was noch kommen kann, und tritt ruhig an den Tresen. Hinter dem Tresen steht Adam Worland. Er ist groß und schlank, ein Mann, den man sich nicht als Besitzer eines Saloons vorstellen kann.

Worland sieht gut aus, er trägt immer die besten Anzüge, vor die er allerdings die übliche Schürze bindet, sobald er hinter seinem Tresen steht. Worland ist dunkelhaarig, ein Mann mit leicht ergrauten Schläfen. Und dieser Mann wirkt. Er wirkt wie immer groß, elegant und selbstsicher.

Heute nun, in diesem Augenblick, verläßt Worland seine Selbstsicherheit. Er sieht Jerry Lewis und verliert sein routiniertes Lächeln innerhalb einer Sekunde.

»Hallo, Adam«, sagt Jerry trocken. »Einen Doppelten.«

Er könnte genausogut eine ganze Wagenladung verlangt haben, denn danach sieht Worlands Gesicht aus. Die Männer rechts und links am Tresen sehen Jerry wie einen Geist an. Aber Jerry lächelt nur dünn und farblos. Seine Worte sind laut genug zu hören gewesen. Alles schweigt schlagartig. Nur hinten, an irgendeinem der Tische, an dem Männer mit den Girls aus der Tanzgruppe sitzen, fragt eins der Mädel flüsternd:

»Ist er das?«

»Ja«, sagt ein Mann genauso leise. »Er hat sie hereingelegt. Das ist Jerry Lewis.«

Das bin ich, denkt Jerry, der die Worte doch noch hört. Und ich werde nie kneifen. Sie hat gesagt, daß ich drei Pferde zureiten soll, daß ich im Pferdecorral, der vier Meilen von der Ranch entfert ist, zu bleiben habe. Aber sie ist eine Frau – ach was, Frau, ein Mädchen ist sie, ein Mädchen wie alle anderen, mit denselben Gefühlen, den gleichen Sehnsüchten. Und einer viel zu zarten Figur für diese schwere Arbeit. Ich werde nie einer Frau gehorchen, auch wenn diese Frau mein Boß sein sollte. Schließlich gibt es nur einen Mann, dem ich immer gehorcht habe. Nur einen Mann.

Er weiß, daß sie vielleicht auf die Idee kommen wird, ihn im Pferdecamp zu besuchen, aber dann wird er längst auf und davon sein. Sie kann nur raten, wohin er ist, denn Spuren wird sie nicht finden.

Verboten in die Stadt zu reiten, wie?

Aber Jerry hat einen Grund. Darum ist er bei Isaak Rubinstein vorbeigeritten. Rubinstein hat einen Store, in dem es die unmöglichsten Dinge zu erstehen gibt. Niemand sonst in dieser Gegend führt so feine Dinge wie der alte Isaak. Und wenn er auch gern handelt, bei Jerry ist das nutzlos. Jerry hat genau das bekommen, was er seit Jahren haben will. Darum ist Jerry in der Stadt. Und niemand wird ihn daran hindern.

Das sind seine Gedanken, als er am Tresen steht und Worlands Adamsapfel tanzen sieht.

»Jerry«, sagt Worland gepreßt und schluckt nun nicht mehr. »Jerry, ich – ich meine...«

»Ich weiß«, erwidert Jerry trocken. »Du meinst, daß ich besser gehen soll, wie? Aber ich gehe nicht. Ich bleibe hier und möchte jetzt einen Drink haben, Adam.«

Einen Augenblick zaudert Adam Worland. Dann sagt er leise und rauh:

»Es ist gut, du bekommst ihn, Junge.«

Männer entfernen sich vom Tresen, nachdem sie auf die Tür geblickt haben. Jerry aber sitzt der Hut schief. Er bekommt seinen Drink und denkt, daß er wohl die Pest oder den Aussatz haben muß, denn sonst würden sie wohl kaum alle vom Tresen weggehen.

Er trinkt sehr langsam, sieht Worlands zitternde Finger, die mit dem Tuch die Gläser polieren. Und er hört die Gespräche wieder aufflammen. Es stört ihn nicht, er will hier sein. Und darum wird er bleiben, was immer auch kommt.

Es vergehen keine drei Minuten, dann hört er Dexter Norton kommen. Norton geht grußlos hinaus, und irgendeiner sagt grinsend – man kann dieses Grinsen in den Worten hören, ohne daß man den Mann sieht:

»Der nächste, bitte. Weiter im Text, auch Norton ist abgeblitzt.«

Jerry lächelt und denkt an Mary McDonald, an ihre leckeren Pfannkuchen und die Freundlichkeit dieser Frau. Lange her, sehr lange. Und Jerry ist nur ein kleiner Waisenjunge gewesen... damals.

Dann hört er den Schritt, das Kleid raschelt, und das Gerede verstummt an den Tischen.

Er weiß, daß sie kommt, denn sie hat ihn heute gesehen und seinen Namen gehört. Er hat es so sicher gewußt, daß er zu Rubinstein geritten ist. Die ganzen Wochen hat er in der Dunkelheit gestanden. Irgendwo in einer Ecke, draußen vor der Tür oder an irgendeinem Fenster. Er hat sie gesehen – und sie vielleicht auch ihn, aber erkannt hat sie ihn nicht.

Das Kleid raschelt genau neben ihm. Sie trägt ein schilfgrünes Kleid, das ihr gut steht.

Jerry hebt den Blick und sieht in den Spiegel. Sie steht genau neben ihm, auch sie blickt in den Spiegel. Ihre Augen sind größer als sonst, ihre Nasenflügel vibrieren. Sie ist erregt, er weiß es. Und er lächelt ihr Spiegelbild über den Rand seines Glases hinweg an, er lächelt in ihre Augen hinein und ist weit fort, sehr weit. In Kansas, am großen Fluß, der Kansas City in zwei Teile schneidet.

Sie hat immer noch jenen Ausdruck in den Augen. Graugrüne Augen. Viele Schottenmädels haben diese Augenfarbe.

Lilly McDonald sieht ihn an. Er ist kaum größer als sie, er ist nicht schön, aber er ist mutig.