Galaktische Vorstellungen - Manfred Christiansen - E-Book

Galaktische Vorstellungen E-Book

Manfred Christiansen

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Beschreibung

Kurzgeschichten sind die hohe Kunst der Erzählung. Einen Roman schreiben, mit langen Erklärungen, kann jeder. Eine Kurzgeschichte prägnant auf den Punkt bringen, ist hingegen nicht Jedermanns Sache. Manfred Christiansen, seines Zeichens Autor und Zeichner aus Dänemark, mehrfach für den Niels Klim Preis vorgeschlagen, zeigt wie es geht. Seine vierzehn spannenden Erzählungen, zum ersten Mal in deutscher Sprache veröffentlicht, kommen schnell zur Sache.

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e-book

Neuauflage: 01.11.2014

© Saphir im Stahl

Verlag Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

www.saphir-im-stahl.de

Titelbild: Manfred Christiansen

Vertrieb: bookwire GmbH

ISBN: 978-3-943948-36-3

Manfred Christiansen

Galaktische Vorstellung

Kurzgeschichtensammlung

Vorwort

Im Laufe meines Projektes „In achtzig Science Fiction Geschichten um die Welt“ lernte ich Manfred Christiansen kennen. Er reichte mir eine seiner Kurzgeschichten ein. Daraus ergab sich ein interessanter e-mail-Verkehr. Er erzählte mir von seiner in Dänemark erschienenen Kurzgeschichtensammlung. Mir gefiel seine Erzählung „Morgen“. Sie war spannend und ungewöhnlich. Seine weiteren Erzählungen versprachen ebenso fesselnd zu werden.

Thomas Michalski nahm sich als Lektor der Geschichten an und war ebenfalls begeistert.

Die vierzehn spannenden Geschichten können auf den folgenden Seiten gelesen werden. Dänische Science Fiction gibt es in Deutschland so gut wie gar nicht. Daher ist diese Sammlung ein Novum in Deutschland. Gerade mit den anderen sozialen Strukturen Dänemarks im Hintergrund wirken dies Geschichten wohltuend anders und neu.

Viel Spaß beim Lesen wünscht

Erik Schreiber

Herausgeber

Inhaltsverzeichnis

Die Sonnenfinsternis

KarmaCorp

RT2200 DragonFly™ - Transpeeding, Stil fürs Leben

Genügsamkeit

Der innere Feind

BetaLife™

Sundgatan

Galaktische Vorstellungen

Der dänische Zusatz

Das verlorene Donnerei

Sky City

Glitch

Second Contact

Morgen

Manfred Christiansen

Sonnenfinsternis

Drei kluge Herren machen einen Ausflug aufs Land. Ein schwarzes Schaf grast auf einer Weide.

„Hier auf dem Lande sind Schafe schwarz“, bemerkt der erste kluge Herr.

„Nein!“, verbessert ihn der Zweite. „Auf dem Lande gibt es mindestens ein schwarzes Schaf.“

„Nein!“, berichtigt sie der Dritte. „Auf dem Lande gibt es mindestens ein Schaf, dass auf mindestens einer Seite schwarz ist.“

Es war während des Melkens am Morgen des 18. Juli 1851 bei Rutsker auf Bornholm, dass meine Milchkuh Rosa plötzlich anfing zu sprechen. „Mmmmiiiilch“ sagte sie, und ich war so verblüfft, dass ich vom Melkschemel fiel und dabei den Milcheimer umkippte sodass die ganze Milch in die Weide floss. Danach war sie stumm, obwohl ich sie mehrere Male fragte, was sie zu sagen habe.

„Rosa sprach mich heute an“, sagte ich zu meiner Frau, als ich vom Melken zurückgekommen war.

„Die Hinke-Rosa unten aus Hasle?“, fragte meine Frau.

„Nein. Rosa, unsere Kuh“, antwortete ich. „Sie sagte „Mmmmmiilch“. Darauf stieß ich den Milcheimer um.“

„Herrjemine“, rief meine Frau, lief in unsere Schlafdiele hinein und schloss sich ein. Erst um Mitternacht schloss sie die Türe wieder auf.

Verrücktes Frauenzimmer.

Am nächsten Tag ging ich aufs Feld um zu sehen wie das Korn stand, da sah ich einen Fremden auf dem Steinzaun sitzen in der Nähe der Schlossheide, auf dem Weg von Rutsker nach Allinge. Erst glaubte ich er sei Soldat. Er trug eine Uniform und eine schwarze Schirmmütze. Ich versteckte mich hinter einem Baum und hoffte, dass er mich nicht gesehen hatte, denn ein Soldat, der ganz allein am Feldweg sitzt, kann nicht immer Gutes im Sinne haben.

Ich hatte eine Hacke mitgenommen und überlegte mir, ob ich ihn in die Flucht schlagen sollte, jedoch konnte er bewaffnet sein, mit Gewehr oder auch mit einem Säbel. So stand ich jetzt auf der Lauer hinterm Baum und beobachtete ihn. Die Uniform, die er trug, sah keiner Uniform die ich kannte ähnlich. Sie war schwarz und glänzte wie Seide. Auf dem Rücken trug er einen silbernen Tornister mit vielen Rädchen, der aussah wie das innere meiner Taschenuhr, die ich beim sonntäglichen Kirchengang in meiner Weste trage. Seine Schirmmütze war mir auch ganz neu. Diese war flach und schwarz wie die Uniform. Er trug auch eine schwarze Maske, die sein ganzes Gesicht abdeckte, möglicherweise ein undurchsichtiges Visier. Er saß nun da, ohne sich zu rühren mit gesenktem Kopf wie die Apostel aus Stein am Altar in der Kirche.

Seine Augen waren hinter dem schwarzen Visier nicht sichtbar, und ich war mir sicher, dass auch niemand hinaussehen könnte, darum schlich ich mich näher. In seinem Schoß hatte er ein schwarzes Buch in dem er las, und daher glaubte ich, er sei der neue Pfarrer zu Rutsker, der das Gepäck seines Soldatenbruders geliehen hatte.

So trat ich näher und sagte höflich: „Grüßgott mein guter Pfarrer. Ich bin Lars Jensen und der Besitzer dieser Äcker”, und ich zog meinen Hut, so wie es sich gehört wenn der Bauer den neuen Pfarrer begrüßt. Er wandte seinen Kopf in meine Richtung und mit einem Mal wurde das Visier klar wie Glas. Nur gut, dass er ein Visier als Maske trug, denn seine Visage war entstellt wie die des Teufels, der arme Mann. Seine Haut war schuppig wie die einer Schlange, aber weder schwarz noch braun sondern grün wie Kupferdach. Seine Augen waren blau wie Tinte und dort, wo sie gewöhnlich weiß sein sollten, waren sie kornblumenblau. Er hatte weder Augenbrauen, Wimpern noch Augenlider und auch keine Lippen, und sein Maul war zahnlos wie das eines alten Weibes.

Er winkte mich freundlich zu sich und machte Zeichen, dass ich mich neben ihn setze. Seine Bewegungen waren imposant und übertrieben, so wie die der Schauspieler am Wochenmarkt oder des Pfarrers auf der Kanzel, wenn er sich hatte mitreißen lassen. Aber friedlich war er, wie es sich für einen Diener des Herrn gehört, also setzte ich mich an seine Seite. Zu meiner eigenen Überraschung fing ich an über das Wetter zu reden und wann ich damit rechnete, die Ernte einzuholen. Gewöhnlicherweise rede ich nicht so schnell mit Fremden, aber dieser Mann war seiner Visage zum Trotz freundlich und angenehm.

Ich warf einen langen Blick auf sein Buch. Es war auf keinen Fall die heilige Schrift in der er las, denn in diesem Buch waren viele Bilder, aber keine Seiten in denen man blättern konnte. Pfarrer war er also auch nicht.

Im seinem Buch waren Bilder von Landschaften aus der Umgebung, und er hatte auch ein Bild von meiner Kuh Rosa, dass so fein gezeichnet war, als könne man glauben eine kleine Kuh wohne in seinem Buch.

„Das ist aber eine schöne Kuh, die du da gezeichnet hast“, sagte ich und fragte: „Bist du Kunstmaler?“ Und wenn er Maler wäre, war er mit Sicherheit sowohl berühmt als auch begabt, und verdiente gutes Geld, denn seine Kleidung schien mir wertvoll.

Er schaute mich bloß an und es erschien mir, als nickte er mit seinem Kopf. Und ich konnte schwören, dass er auch lächelte, aber so ganz ohne Lippen sah es aus als lächelte er die ganze Zeit. Ich sprach die ganze Zeit, während er mir mehr Bilder zeigte in seinem seitenlosen Buch. Er hatte auch ein Bild von mir und meinen Pferden vor dem Pflug. Folglich konnte ich annehmen, dass er schon viele Monate auf meinen Feldern gewesen war. Da seitdem nichts von den Feldern gestohlen oder der Zaun zerstört worden war, war er auch kein Dieb.

Ich habe in meinem Leben schon viele schöne Spieluhren gesehen und gehört, und würde mir selbst eine anschaffen, wäre es nicht des Geldes wegen. Mein neuer fremder Freund aber hatte eine Spieluhr, die wohl vornehmer war als alle Spieluhren von ganz Dänemark zusammen – ja sogar von der ganzen Welt. Er nahm die Spieluhr aus der Hosentasche und zog sie auf. Und mit einem ganz feinen Klang sagte die Spieluhr mir: „Morgen wiederkommen, ich will dir etwas zeigen.“ Ich war vom Klang der Spieluhr so verblüfft, dass ich alle Höflichkeit vergaß und ganz ohne Abschied aufstand und ging.

Ich hatte meine Zweifel, ob ich ihm am nächsten Tag einen Besuch abstatten wollte. Er wusste jetzt viel über mich und ich nichts über ihn. Und den ganzen vorigen Tag hatte ich nichts anderes gemacht als zu reden, und er hatte kein einziges Wort über die nicht vorhandenen Lippen gebracht. Vielleicht war er einer der Unterirdischen, denn obwohl ich nicht selbst daran glaube, darf man sich nicht zu sicher fühlen.

Das Buch und Spieluhr waren vornehm und schön, und vielleicht würde er sie mir verkaufen. Sie waren aber höchstwahrscheinlich so teuer, dass ich mir sie nicht leisten konnte, obwohl der Hof mir allein gehörte. Es kostet aber nichts zu fragen, sagte ich immer, und deshalb ging ich am nächsten Tag heraus zum Feld.

Da saß er wieder. An genau der gleichen Stelle am Steinzaun wie am Tag zuvor.

„Grüß Gott mein guter Lars Jensen und der Besitzer dieser Äcker“, sagte er sehr langsam, mit einer hellen und heiseren Stimme. An diesem Tag trug er weder Visier oder Schirmmütze, sodass seine hellgrüne Glatze in der Sonne glänzte.

„Guten Tag“, erwiderte ich, denn ich kannte weder Namen noch Metier. Ich wollte ihn gleich nach der Spieluhr fragen, aber schon bevor ich ein Wort sagen konnte, hatte er ein Buch wie seines in meine Hand gelegt, das ein wenig kleiner war.

„Für dich“, sagte er langsam. „Lesen. Geheim halten.“

Er konnte sich darauf verlassen, dass ich das Buch geheim halten würde, wenn ich es bloß leihen durfte, dachte ich und sagte: „Das verspreche ich hoch und heilig.“

Dann stand er auf und ich sah, dass er einen Kopf größer war als ich, aber dünn wie eine Bohnenstange. „Komm“, sagte er und winkte mir zu. Ich folgte ihm über die Felder hinaus zu den Klippen vom Hammerknoten an der Nordküste von Bornholm. Während wir gingen war es wieder ich der sprach, aber nun antwortete er mit Worten wie „ja“ und „nein“ und „wie wahr“ und sprach sehr langsam und geduldig.

An einem Felsen am Rand des Waldes hinter dem Fischerdorf blieb er stehen.

„Was ist das?“, fragte er und zeigte auf geritzte Linien und Figuren im Felsen.

„Das sind Felszeichnungen. Manche meinen, dass sie von den Unterirdischen geritzt worden sind“ sagte ich. „Aber ich meine nicht, dass es sich so verhält“, fügte ich hinzu, weil ich dachte, er sei gelehrt, und Gelehrte glauben nicht an Unterirdische und Aberglaube. Und wenn Sie mich fragen, ich habe auch nie, und nicht einmal ein Jota, an das Übernatürliche geglaubt.

Dann zeigte er auf eines der Löcher, die zur Felsenzeichnung gehörten. „Und was bedeutet dieses?“

Ich schaute das Loch an, auf das er mit seinem grünen Finger zeigte. Erst jetzt bemerkte ich, dass er keine Fingernägel hatte, nur drei Finger an der Hand, dafür aber fünf Glieder an jedem Finger.

„Habe keine Ahnung“, sagte ich, und schaute ihm in sein Gesicht. Ich könnte schwören, dass er mich anlächelte.

Mit einer Handbewegung ließ er mich verstehen, dass ich ihm das Buch, das er mir gegeben hatte, reichen sollte. Mit einem Finger berührte er kurz den Umschlag, und wie Zauberei schlug das Buch sich von selber auf. Auf der aufgeschlagenen Seite waren Zeichnungen von Sonne, Mond und Sternen. Das Buch war nicht aus gewöhnlichem Papier, denn die Himmelskörper bewegten sich ganz langsam in der Zeichnung.

Er zeigte nun auf den Felsen und danach auf die Zeichnung und sagte langsam: „Lesen. Verstehen. Wir sehen uns morgen.“ Dann reichte er mir wieder das Buch.

Ich konnte fast nicht die Zeit abwarten, nach Hause zu kommen und in das Buch zu sehen und vielleicht auch vorsichtig den Mechanismus zu untersuchen, neugierig wie ich immer gewesen bin, und war auch drauf und dran einfach mit dem Buch unterm Arm davonzulaufen. „Wie heißen Sie?“, fragte ich stattdessen, denn ich wollte auch gerne den Namen meines neuen Freundes kennen.

„Sie können mich Clavis nennen“, sagte er, und ich war mir nun ganz sicher, dass er ein Gelehrter war.

Ich nahm das Buch mit nach Hause zum Hof. Es war Sommer und die Ernte sollte erst ein par Wochen später eingefahren werden, somit hatte ich reichlich Zeit im Buch zu lesen, bevor es dunkel wurde. Ich kletterte auf den Heuboden und suchte mir einen Platz mit reichlichem Licht, wo ich ungestört sitzen und mein neues Buch studieren konnte.

Dann berührte ich das Buch genau wie Clavis und wartete darauf, dass es sich aufschlug. Es vibrierte angenehm in meiner Hand und ein leuchtendes Bild mit Linien und Zirkeln erschien auf dem glatten Umschlag. Es zeigte sich, dass es gar nicht notwendig war, das Buch bei Tageslicht zu studieren, denn die Seiten leuchteten wie von selbst. Dazu kam, dass eine lautlose Stimme anfing, mir geheimnisvolle Sachen aus dem Buch vorzulesen, als ob sie mitten in meinem Kopf zu sprechen begann. Anfangs konnte ich die Worte nicht verstehen, aber je länger ich horchte, desto mehr verstand ich. Wie gesagt glaube ich weder an die Unterirdischen noch an Magie, mittlerweile war aber irgendetwas Übernatürliches an meinem neuen Freund und seinen wunderlichen Apparaten.

Anfangs erzählte mir die Stimme viel Verschiedenes, aber nach und nach sprach sie nur über Rechnen und Zahlen, welches mich erfreute, denn als ich noch zur Schule ging, war ich ein guter Schüler und der Beste im Multiplizieren und Dividieren. Die Rechenstücke, die mir vorrechnete wurden, waren viel schwerer als die von der Schule und ich musste all meine Konzentration aufbieten, um doch noch zu folgen. Doch das Buch war ein geduldiger Lehrer und zeigte mir neue und spannende Fertigkeiten mit Zahlen, sodass ich sowohl die Zeit als auch die Mahlzeit vergaß. Ich vergaß sogar, dieses wunderliche Buch zu untersuchen. So wurde es späte Nacht, bevor ich zur Gattin in den Alkoven kroch.

„Wo warst du den ganzen Tag?“, fragte sie.

Ich konnte ihr ja weder von meinem neuen Freund noch von dem wunderlichen Buch erzählen, also sagte ich ihr, sie könne sich um ihre eigene Geschäfte kümmern soviel und wo immer sie es für gut befand, solange sie mich mit ihren dummen Fragen in Ruhe lasse, denn Weiber sollen wissen wo sie ihren Platz haben. Den Rest der Nacht konnte ich dann für mich alleine liegen, wie ich es gewohnt war, wenn sie in der Laune war. Aber schlafen konnte ich trotzdem nicht, denn ich dachte unentwegt an all die neuen Sachen, die ich an dem Tag gelernt hatte.

Am nächsten Tag kam es mir so vor, als ob auch Clavis seine Hausaufgaben gemacht hatte, denn er sprach jetzt schneller und deutlicher als je zuvor, als hätte er schon viele Jahre auf Bornholm gewohnt. Ich fing gleich an, ihn über das Buch auszufragen, und wie es funktionieren konnte ganz ohne Zauberei.

„Das Buch, wie Sie es nennen, ist kein magisches Objekt. Ich komme von weit her, und dort sind Geräte wie dieses für uns das gleich wie Bücher für euch. In ihnen haben wir all unser Wissen gesammelt. Wenn Sie es noch einige Tage länger benutzen, werden Sie mehr erfahren, sowohl über dieses Gerät, als auch über alles andere, was Sie für wissenswert halten.“

„Werde ich auch etwas über Sie erfahren?“, fragte ich

„Alles was sie für wissenswert halten.“

Ich war erleichtert, dass er meine Sprache jetzt so gut beherrschte, sodass ich nicht ständig selbst das Wort ergreifen musste, und er nur nickte und einsilbig antwortete. „Und wo kommen sie denn her?“ fragte ich.

„Lassen Sie mich noch ein bisschen warten, bevor ich Ihre Frage beantworte. Da ist so viel mehr dass Sie wissen sollen um die Antwort richtig zu verstehen. Aber machen sie sich keine Sorgen: Bevor ich meine Mission durchgeführt habe und ich Sie wieder verlasse, werden Sie wissen, wer und was ich bin und von wo ich komme.“

Ich war nun ein wenig darüber enttäuscht, dass er mir nicht zutraute, dass ich die Antwort gleich verstehen würde, denn welche Antwort konnte so schwer zu verstehen sein? „Können Sie mir dann zumindest erzählen, was Sie hier auf Bornholm zu tun haben?“

„Ich bin hier auf Besuch, um einem außergewöhnlichen kosmischen Ereignis beizuwohnen.“ Dann schaute er mich an, mit seinen blau-in-blauen Augen. „Können Sie sich an einen Tag erinnern, als sie sehr viel jünger waren, wo die Sonne mit einem schwarzen Schatten teilweise zugedeckt wurde?“

Ich konnte mich nur teilweise daran erinnern. Ich wohnte noch zuhause auf dem Familienhof bei Halse. „Unser Lehrer in der Schule erzählte uns, dass der Mond auf seiner Bahn über den Himmel die Sonne verdunkeln würde. Er erklärte uns wie Sommer und Winter entsteht, und Ebbe und Flut und dass beim nächsten Neumond die Sonne für eine Zeit verschwinden würde. Fast keiner glaubte ihm. Und am Tag vom nächsten Neumond wanderten wir zum Hammershus, um die Sonne anzusehen. Aber Ach und Weh – der Himmel war bewölkt und das einzige, was wir sahen, war eine Dämmerung mitten am Tag, als ob ein Unwetter vorübergezogen war.“

„Das war eine partielle Sonnenfinsternis. Zum nächsten Neumond wird das gleiche geschehen und diesmal wird sich nicht nur eine Dämmerung über das Land senken, sondern die Dunkelheit der Nacht. Ich bin von weither gekommen, um mir diese kosmische Vorstellung anzuschauen, und ich habe mir erzählen lassen, dass es auf dieser Welt ein ganz besonderes Erlebnis ist.“ Sein Maul war breit, und es kam mir vor, als ob er versuchte zu lächeln.

Er schaute hinauf auf die Sonne, die auf seine grünlich-gelbe Glatze schien, und ich musste lachen, denn sein Kopf sah aus wie der Dotter eines hartgekochten Eis. Dann schaute er mich an und sagte: „Lies mehr in deinem Buch und lerne über den Weltenraum. Wir werden uns morgen wiedersehen.“

Diesmal war es er, der aufstand und sich auf seinen Weg begab. Ich folgte ihm mit meinem Blick, während er über die Hügel ging, und es war, als ob er ganz einfach zwischen den Hügeln verschwand.

Am selben Abend saß ich dann mit dem Buch auf dem Heuboden und wollte mehr über Sonnenfinsternisse wissen und wie ganz von selbst zeigte das Buch mir alles, was ich gerne wissen wollte. Ich erfuhr alles Wissenswerte über Planeten, Sonnensysteme und die Bewegung von Körpern im Raum nach den mathematischen Formeln, die ich in der Nacht zuvor gelernt hatte. Dass alle Sterne Sonnen waren genau wie unsere, sowohl ganz kleine als auch riesengroße, und dass die Milchstraße, die ich vom Firmament her ganz gut kannte, weder weißer Rauch noch eine Wolke war, sondern aus tausenden und abertausenden fernen Sternen bestand, die sich in einer Galaxie gesammelt hatten. Dass Millionen Galaxien in einem Galaxienhaufen waren, dass zigmal so viele Haufen im ganzen Universum wären, und dass das Universum vermutlich ohne Grenzen sei. Ich war ganz benommen vom Denken an alle die Sterne, die ich unmöglich würde zählen können, und wie groß das Universum demnach sein müsse.

Ich legte das Buch zur Seite und starrte in die helle Sommernacht. Sterne so fern, dass sie mir wie Staubkörnchen erschienen, die aber in Wirklichkeit ganze Welten waren, mit Sonne, Mond und Planeten. Meine alte Vorstellung, dass Sterne nichts anderes wären, als kleine weiße Fleckchen auf einem schwarzen Samtteppich, verschwand in dieser Nacht, um nie mehr wieder zurückzukehren. Und ich wunderte mich darüber dass es einen Gott geben konnte, der groß genug sein konnte für das ganze Universum.

Als ich die Nacht zum ehelichen Alkoven zurückkam, warf meine Gattin meine Decke vor die Tür und sagte, ich sei ein Taugenichts, der lieber seine Arbeit verrichten sollte, als es mit den Mägden auf dem Heuboden zu treiben. Natürlich protestierte ich, aber da ich keine vernünftige Erklärung hatte, an die sie glauben wollte, nahm ich meine Decke und zog ein auf dem Heuboden. Danach las ich die ganze Nacht weiter in dem Buch und lernte mehr über die Sterne und was sie zum leuchten brachte.

Als ich am nächsten Tag Clavis wiedersah, hatte er seine Uniform abgelegt und sich stattdessen wie ein Bauer gekleidet. Der Stoff war stattlicher als der von meinem Sonntagsanzug und in den neuen Kleidern sah er recht lustig aus mit seinen viel zu langen Armen und Beinen, aber vornehm war er, als wäre er auf dem Weg zum Sonntagsgottesdienst. Anstelle seines Tornisters auf dem Rücken hatte er nun ein ledernes Futteral unterm Arm.

„Wäre es nicht wegen Ihres grünen Kopfes, könnten Sie als einer von uns passieren“, sagte ich und lachte, und ich war mir sicher, dass der Laut den Clavis ausstieß auch ein Lachen war.

Während der Nacht war ich noch neugieriger geworden herauszufinden, wie das Buch funktionierte, denn es kam mir vor, dass es schon im Voraus wusste was ich gerne wissen wollte. Darum fragte ich ihn.

„Wie können Sie wissen, wann es Zeit ist, die Weizenernte einzuholen?“, fragte er mich.

„Ich sehe mir die Farbe der Halme an, befühle die Kornähren, nehme das Wetter wahr und nicht zuletzt schaue ich auf den Kalender und wo der Mond steht. Und wenn alles richtig ist, weiß ich, dass es Zeit ist“, antwortete ich.

„Das Buch tut es auf gleicher Weise. Es registriert alles, was Sie sich vornehmen, auf dem Umschlag und in den Seiten, und so kann es mit ein wenig Erfahrung berechnen, was der Benutzer zu wissen benötigt. Indem es immer nur vermittelt woran man am meisten interessiert ist in dem Augenblick, in dem es benutzt wird, lernt man immer das, was einem am meisten interessiert. Dadurch wird ein maximaler Lernerfolg in kürzest möglicher Zeit gewährleistet, und macht das Gerät zu einem effektiven Lehrmittel“, sagte er und öffnete sein Futteral. „Aber um zu funktionieren, muss es selber erst ausgebildet werden.“

In seinem Futteral hatte er eine Reihe kleine und große Gläser, wie die, die der Apotheker hat. In die kleinsten Gläser hatte er Sachen wie Erde, Steine, Blätter und Grashalme hineingelegt. In einigen waren auch Insekten. In den größeren Gläsern hatte er Mäuse, Schlangen und Eidechsen. „Diese Proben sind für das Buch“, sagte er. „Ich lerne es alles übers Leben auf diesem Planeten. Natürlicher gibt es da so viel Neues zu wissen, dass nicht alles mitgenommen werden kann, deshalb habe ich auch eine Art von mehrdimensionalen Daguerreotypien von einigen eurer größten Tiere gemacht, das waren die Abbildungen, die ich Ihnen am ersten Tag zeigte. Und nun wird dies alles ein Teil vom Inhalt dieses Buches.“

Er zeigte mir eines seiner Gläser. „Diesen fand ich auf einer Weide, im Süden dieser Insel.“ Im Glas krabbelte ein unansehnlicher Käfer, ungefähr so groß wie der Nagel meines kleinen Fingers, mit kupferfarbenen Beinen und Vorderkörper und einem metallisch-blau scheinenden Hinterkörper. Ich war schon auf viele verschiedene Krabbeltiere auf meinen Feldern gestoßen, und dieser Käfer sah einem der Nützlichen ähnlich, die Jagd auf schädliche Blattläuse machten, aber ich war mir sicher, dass ich diesen niemals gesehen hatte. „Ein bemerkenswertes Tier“, fuhr Clavis fort. „In seinem Hinterkörper hat er zwei Drüsen mit Flüssigkeiten mit besonderen chemischen Eigenschaften. Wenn es sich bedroht fühlt, mischen sich die Flüssigkeiten, und in einem chemischen Prozess erwärmt sich das Gemisch augenblicklich zum Siedepunkt und löst eine Explosion aus, die das Tier gegen die Gefahr gerichtet hat. Auf meinem Planet haben wir ein Tier mit einer ähnlichen Eigenschaft, das aber viel größer ist. Bei uns heißen sie Gurgudos – Schießaffen würdet Ihr sie nennen.“ – „Bei uns werden sie als Haustiere in Verbindung mit einem seltsamen Hobbys gehalten“, fügte er nach einer kurzen Pause nachdenklich hinzu. „Werden diese bei Ihnen als auch als Haustiere gehalten?“

Ich hatte von so etwas noch nie gehört, und für mich war dieser Käfer genauso fremdartig wie Schießaffen und Clavis selbst. „Nein. Davon habe ich nie was gehört. Geschöpfe die wir als Haustiere halten sind Hunde, Hühner, Kühe, Pferde, Katzen, Schafe. Solche Tiere, verstehen Sie“, antwortete ich ihm der Wahrheit entsprechend ohne zu wissen, ob er die Tiere, die ich nannte, überhaupt vom Namen her kannte. Ich war für meinen Teil jetzt aber daran, vor Neugier zu zerplatzen. „Wo sind Sie eigentlich zu Hause?“, fragte ich. „Ich denke an all die vielen Sonnen und Planeten, von denen die ich letzte Nacht vom Buch gehört habe, wäre es nicht unmöglich, dass sie nicht von dieser Erde sind, sondern aus einem anderen Sonnensystem, wohlmöglich sogar aus einer anderen Galaxie.“

Sein Lächeln wurde ein wenig breiter, so vermute ich. Zum ersten Mal bemerkte ich, dass sein Maul, das ich für zahnlos hielt, mehrere Reinen mit klitzekleinen gelblichen Dornen enthielt. „Ich komme von einem Planeten nicht ungleich Ihrer Erde, der um eine Sonne kreist, die ungefähr so groß ist wie diese. Unser Planet ist ein wenig kleiner, aber genau so weit von der Sonne entfernt wie Ihrer. Unser Sonnensystem liegt ungefähr in der gleichen Richtung wie der Stern, den Sie Sirius nennen. Bloß zehnmal so weit entfernt.“

Obwohl ich vor nur drei Tagen nichts von Astronomie wusste, verstand ich zu meinem eigenen Erstaunen, wovon er sprach. „Und warum haben Sie unserem Planeten einen Besuch abgestattet?“, fragte ich, denn es wunderte mich, dass er von so weit her gekommen war.

„Wegen der Sonnenfinsternis“ , sagte er.

„Aber von all den unendlich vielen Galaxien, Sonnensystemen und Planeten da draußen, sind da sicherlich auch andere Planeten die einen Mond und somit eine Sonnenfinsternis haben.“

„Sie irren sich, mein guter Lars Jensen und Besitzer dieser Äcker“, sagte Clavis „Es gibt nur ganz wenige Stellen im ganzen Universum mit den gleichen günstigen Verhältnissen, wo die Sonne und ein umlaufender Satellit von der Planetenoberfläche aus gesehen ungefähr die gleiche Größe haben. Eine Sonnenfinsternis von Ihrer Erde aus gesehen hat eine ganz besondere Schönheit, die nach meinem Wissen nur drei andere Planeten aufweisen. Dazu kommt, dass die drei anderen Planeten unbewohnbar sind, mit einer Atmosphäre, die einen binnen kürzester Zeit umbringen würde. Denn es ist die Atmosphäre, die es zu einem außerordentlichen Ereignis macht.“

Clavis nahm sein Buch hervor und zeigte mir bewegende Bilder mit seltsamen Geschöpfen, wo ich mir nicht sicher war, ob es ein Biest, ein Kraut oder ein lebendiger Felsen war. „Es gib sehr viele bewohnbare Planeten im Universum, und Leben ist an sehr vielen Orten und weitgehend unabhängig voneinander entstanden. Seitdem hat es sich über andere Sonnensysteme ausgebreitet. Es hat viele verschiedene Formen, und manche Stellen viel interessanter als hier auf eurer Erde. Zum Beispiel ist da ein Wasserplanet nur mit Meerestieren, und das Tier mit der höchsten Intelligenz ist ein einzelliges Wesen, dass ein geteiltes Hirn entwickelt hat. Faszinierend. Oder unsere Schießaffen. Kleine niedliche Tierchen, die lebensgefährlich werden können, werden sie gereizt. Und ich könnt viel mehr erwähnen. Da ist euer Planet nicht atemberaubend. Was aber euren Planet so interessant macht, ist die Sonnenfinsternis.“ Er nahm das Glas mit dem kleinen Käfer wieder aus meiner Hand und legte es zurück in sein Futteral. „Studiere mehr in dem Buch und dann sehen wir uns morgen wieder.“

„Morgen ist Sonntag, und da geh ich zum Gottesdienst in die Kirche.“

„Das klingt interessant. Darf ich dort teilnehmen?“

Ich war mir nicht sicher, ob er seine fremde Herkunft verborgen halten könne, doch ich wollte es mir nicht um alles in der Welt entgehen lassen zu sehen, wie er das zustande bringen wollte und sagte deshalb: „Sie dürfen doch gerne mit zum Gottesdienst kommen, aber sind Sie nicht zu verschieden von uns Menschen, sodass sie erwischt werden?“

„Lassen Sie das mein Problem sein.“

„Dann gut. Aber denken Sie daran, sich wie ein Mann im schönsten Sonntagsputz zu kleiden.“

„Mann? Warum als Mann?“

„Sind Sie denn kein Mann? Sie sind wie einer gekleidet.“

Clavis stieß einen Laut aus, der sich wie ein Lachen anhörte. „Das war ja fast vorauszusehen. Biologisch gesehen ist das, dem ich auf eurem Planeten am Nächsten komme, ein Weibchen. Ohne mich in Details zu verlieren, bin ich davon ausgegangen, dass auch Sie von weiblichem Geschlechts seien.“ Dann drehte Clavis sich um und ging.

Auf dem Heimweg dachte ich über unsere Verwirrung der Geschlechter nach und musste selber lang und laut lachen. Wie einfach war es, Dinge für selbstverständlich anzunehmen, die aber keineswegs garantiert waren. Es war ein wenig seltsam, dass Clavis eine Frau war, und ich musste mich wohl daran gewöhnen, mir ihn als sie vorzustellen.

Zuhause hatte meine Gattin mein Sonntagszeug auf den Heuboden gebracht, mitsamt meinen Schuhen und allem Putz. Darum setzte ich mich mit dem Buch im Heu zurecht und lernt von dem Anfang allen Lebens und dessen Bausteine. Ich wusste schon, wie das Getreide zum Wachsen kommt und die Kühe zum Kalben. Nun wusste ich auch vieles über Ernährung und Energie, Proteine und Aminosäuren. Dass es in verschiedenen Teilen des Universums verschiedene Bausteine fürs Leben gibt, die sich nicht mischen ließen und zum Teil giftig füreinander waren, während andere einen gegenseitigen Nutzen voneinander haben konnten. Dass jede Gattung ihre eigenen Erbanlangen besaß, von den größten Tierarten zu den kleinsten Einzellern, und dass Mutationen dieser Erbanlagen bewirkt hatten, dass alle Gattungen so verschieden waren. Denn letztendlich stammten wir alle vom Staube zwischen den Sternen her, nur hatte jeder seine ganz besondere Weise gefunden, um das darin liegende Potential voll auszunützen.

Wir trafen uns vor der Kirche. Und wäre es nicht wegen ihrer Höhe gewesen, hätte ich Clavis nicht wiedererkannt. Sie trug ein schönes Sonntagskleid mit Hut und Schleier. Ihr Kopf war nicht mehr grün, kahl und ohne Augenbrauen und Lippen, sondern hübsch und jung und ganz menschlich mit goldblonden Locken. Ihre blau-in-blauen Augen aber waren nur notdürftig getarnt und schienen durch den Schleier.

„Guten Sonntag meine gute Frau Clavis“, sagte ich zu ihr und musste mich anstrengen, um nicht ins Lachen auszubrechen.

„Guten Tag mein guter Herr Lars Jensen“, antwortete sie mir.

Zusammen gingen wir hinein. Als wir eintraten, bemerkte ich, wie die Augen der Frau Jensens Blitze quer durch das Kirchenschiff in meine und Clavis’ Richtung zu schlagen schienen. Hätte sie mir nicht die letzten Tage den Stuhl vor die Tür gestellt, hätte ihr Blick mich gelähmt, aber jetzt wo ich mehr oder weniger freiwillig auf den Heuboden gezogen war, fühlte ich mich mutig und erwiderte gelassen ihren Blick, mit dem Ergebnis, dass sie mit viel Getue und laut fluchend die Kirche verließ.

„Jetzt komme ich sicherlich auch nicht mehr auf den Heuboden“, sagte ich und lachte.

Der Pfarrer las uns den Katechismus und die Predigt von der Kanzel vor, und wir sangen die Psalmen so gut und laut wir konnten. Nach dem Gottesdienst gingen wir zurück zu unseren gewohnten Stelle, wo wir ungestört weitersprechen konnten. Weil uns niemand beobachtete, nahm Clavis ihren Hut ab, wobei das Haar mitfolgte. Eine gut gemachte Maske, die fast nicht zu unterscheiden war von einem menschlichen Frauengesicht, verhüllte ihre ganze grüne Grimasse.

„Dieses religiöse Ritual hat viele Fragen aufgeworfen. Sind Sie bereit diese zu beantworten?“ fragte sie mich.

„Nur wenn Sie mir über sich und Ihren Gott erzählen“, antwortete ich, und sie willigte ein.

Sie fragte mich aus über den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Und über den Klerus, die Kirche und den alten Glauben. Ich erzählte ihr auch über Staat und König und von Kriegen und Steuern. Über Dänen und Deutsche und Engländer und Schweden. Über den Zar von Russland, so viel ich wusste, und über den Dannebrog und Kreuzritter und die Zerstörung von Jerusalem.

Sie erzählte mir von den Frauen auf ihrem Planeten, die den Weltstaat regierten. Dass der letzte Krieg vorüber war und niemand mehr Hunger litt. Dass es keinen Platz gab für einen Gott in ihrer Welt, denn es waren zumeist rivalisierende Religionen, die zu Hungersnöten und Kriegen führten. Es gab auch keine Königskronen, die vererbt werden konnten, oder Reichtümer, die sich in einer Familie oder einem Klan angesammelt hatten. Auf diese Weise wurde niemand zum Regieren geboren. Nur den Bestgeeigneten war es erlaubt, ihren Wert durch Wissen und Treue zum Ideal zu beweisen, um danach zum Regieren eingesetzt zu werden. Auf ihrem Planeten waren es ohne Ausnahme die Frauen, die am besten geeignet waren, denn sie waren es, die das Leben gebaren und somit die meiste Verantwortung dafür empfanden. Und da konnte weder ein Gott oder eine andere Entität etwas daran ändern.

Ich hatte meine Zweifel, ob die Fähigkeit, Kinder zu gebären ein Grund war mehr, Verantwortung dem Leben gegenüber zu fühlen, aber ich konnte zustimmen, dass Gott und König verantwortlich waren für einen Großteil der Miseren, die Not und Leid mit sich führten. „Ich glaube nicht mehr an einen Gott“, sagte ich, „denn das Universum ist viel zu groß, einem einzigen allmächtigen Gott die Macht zu verleihen.“

Zu Hause auf dem Hof hatte meine Gattin alle meine Sachen mitsamt der Scheune verbrannt und weil es Sommer war, nahm ich mir ein paar Pferdedecken und schlief in einem Hain. Im Buch las ich über wechselnde Regierungsformen und Kriege in der Geschichte des Universums. Dass die Entwicklung und der Ausbau von Zivilisationen erst mit dem Ende der absoluten Monarchien in verschiedenen Bereichen der Galaxie richtig Antrieb bekam. Wie eigenartig, dachte ich, und gedachte dem Tod König Christians VIII, obwohl das neue Grundgesetz Bornholm noch nicht erreicht hatte. Danach las ich, dass die Zivilisierung des Universums durch Technokratie neue Höhen erreicht hatte, und somit bereit war zum nächsten Schritt der Selbstverbesserung: Ästhekratie. In einer Fußnote las ich, dass die Erde noch nicht bereit war für Technokratie und sich erst von den Religionen trennen und Demokratie lernen solle, obwohl die technokratischen Grundgedanken bereits anwesend seien.

Die nächsten fünf Tage war Clavis nicht am Steinzaun zwischen den Feldern. Auch nicht bei den Felsen im Acker oder bei der Kirche in Rutsker. Die meiste Zeit lag ich im Hain und las im Buch, während meine Gattin mich vom Hof aus fortdauernd ausschimpfte.

Im Buch las ich über Clavis’ Heimatplaneten, den die Bewohner Esse nannten, aufgrund der ziemlich feurigen geothermischen Aktivitäten. Darüber, weshalb Schießaffenturniere erst verboten wurden und wieso sie wieder erlaubt wurden im Namen der Kulturbewahrung. Über interstellare Kommunikation, Quantenmechanik und die Verschiebung von Raumfalten für superluminare Reisen ohne Raum-Zeit-Deformation. Über den Unterscheid zwischen Kryonik und Konservieren zum Überleben von langen intergalaktischen Reisen mit begrenzter Nahrungseinnahme und das Gewicht der dazugehörigen Anlagen im Verhältnis zum Gewicht der gesparten Nahrungsmittel und wie man die bestgeeignete Methode ausrechnet. Ich las auch etwas über Parapsychologie und extrasensorische Wahrnehmungen, was die Stimmen erklärte, die in meinem Kopf entstanden, während ich das Buch studierte. Das Buch erklärte mir auch, wie Rosa für einen Augenblick die Fähigkeit zu sprechen bekommen hatte, und dass es eines von Clavis’ Experimenten war. Ich las über klitzekleine Maschinen, die im Körper rumkrabbeln und einen gesundmachen konnten. Über Techniken zum Verschieben von Planeten und Sternen. Über die harmonischen Akkorde, die man abhören konnte in der Chromosphäre eines Sterns, den man auf der Erde Alpha-Centauri nannte. Über Sonnenwellen und Kometenreiten.

Je mehr ich las, je mehr wollte ich wissen, und das Buch zeigte mir alles. Zum Schluss viel zu viel auf einmal, sodass ich nichts von dem verstand, was es mich zu lehren versuchte, weshalb ich das Buch zur Seite legte.

Am folgenden Sonntag kam Clavis zu mir in den Hain. Meine Gattin das verrückte Frauenzimmer hatte Clavies kommen gesehen und jagte uns nun mit einer Heugabel über die Felder, bis wir den haben Weg nach Tejn gelaufen waren. Clavis war eine außergewöhnlich gute Läuferin, und genauso meine Gattin, der ich wohl vorläufig nicht vors Antlitz kommen durfte.

„Meine neuesten Berechnungen zeigen, dass wir nicht hierblieben können, um die Sonnenfinsternis zu sehen. Ich habe eine verlassene Insel in der Nähe von Karlskrona gefunden, wo wir ungestört die Sonnenfinsternis beobachten können“, sagte Clavis, als wir in Sicherheit waren.

„Das ist weit weg und über die See“, sagte ich. Mir war auch nicht zu wohl bei dem Gedanken, nach Schweden zu kommen.

„Abstand ist kein Problem, Ich hab ein Schiff“, sagte sie. Sie nahm einen länglichen Gegenstand aus ihrem Futteral und schwenkte ihn in der Luft. Einen Augenblick später zuckte ein rotglühender Speer wie ein Blitz aus dem Himmel und schlug nur einige Klafter von uns entfernt lautlos auf die Erde nieder. Der Speer war lang wie ein Achtergespann mit Karosse und halb so hoch. Als der Speer zu glühen aufhörte, war er glänzend schwarz.

Am spitzen Ende öffnete sich eine Luke wie der Deckel eines Sarges und offenbarte eine Kammer, nicht größer als eine Badewanne, in der sie mich bat Platz zu nehmen. Danach setzte sie sich vor mich und der Deckel schloss sich wieder. Zu meiner Überraschung war der Deckel von drinnen gesehen ganz durchsichtig. Kleine Laternen entzündeten sich in der kleinen Kammer. Plötzlich und ganz lautlos schoss der Speer in die Luft und schleuderte Clavis in mich hinein.

Wir flogen geschwind über die Hügel in Richtung Wasser, vorbei am Hafen bei Tejn und glitten über das Meer, als sei es ein zugefrorener See. In rasendem Tempo stürzten wir weiter hinaus auf das offene Meer, und gerade als ich dachte, dass wir nicht schneller fahren könnten, nahm der Teufel die Karosse und schleuderte sie wie ein Blitz von Thors Hammer durch die Luft. Ich kniff meine Augen zu und klammerte mich an Clavis, um nicht meine Besinnung zu verlieren. In wenigen Augenblicken waren wir über die See geflogen und landete auf einer kleinen felsigen Insel in den schwedischen Schären.

Clavis hatte zwei kleine Hütten aus blanken Metall gebaut, das weich wie Sattelleder war. Sie sagte, dass wir dort wohnen sollten bis zum Tag der Sonnenfinsternis. Am Abend zündete sie ein Lagerfeuer auf einem Apparat, den sie aus der schwarzen Karosse geholt hatte und bereitete mir einen Lachs, den sie während des Nachmittags selbst gefangen hatte. Selber aß sie eine grünlichgelbe Substanz, die sie in Ihrem Tornister hatte.

„Ihr Buch ist kaputtgegangen“, sagte ich als ich den Rest vom Lachs gegessen hatte.

„Wie ist das passiert?“

„Es kann mir nichts mehr beibringen“, sagte ich. „Es ist, als ob es versucht, mir zu viel auf einmal beizubringen, sodass ich nicht folgen kann.“

„Sie sind es, der zu viel im Laufe von zu kurzer Zeit wissen will. Das ist ganz natürlich für so einen wie Sie“, sagte sie.

„Was meinen Sie mit so einem wie ich?“, fragte ich.

Sie antwortete mir nicht.

Am Morgen des 28. Juli 1851 weckte sie mich und servierte mir warme Hafergrütze. Ich hatte keine Ahnung, woher sie Hafer und Milch genommen hatte, aber das war mir gleich, denn die Grütze schmeckte mir. Im Laufe des Tages montierte sie verschiedene sinnreiche und ausgeklügelte Geräte auf Stative und stellte sie auf der Insel verteilt auf. Ich versuchte ihr zur Hand zu gehen, musste aber einsehen, dass ich nicht die geringste Ahnung hatte, was getan werden sollte, und schließlich setzte ich mich auf einen Felsen am Ufer und beobachtete Fische und Krabben und überlegte, ob es einen Planeten gäbe, auf dem intelligente Krabben menschenähnliche Tiere aßen.

Gegen Nachmittag teilte Clavis mir mit, dass es bald soweit sei, gab mir eine Schirmmütze mit Visier, genau wie die, die Sie am ersten Tag trug, und sagte mir, ich solle sie tragen, wenn ich in die Sonne schaute, sie würde mein Sehvermögen ergänzen.

Und ich muss sagen, dass es ganz bestimmt verbessert wurde.

Die Sonnenscheibe war etliche Male größer, wenn ich durch das Visier schaute. Was ich auch nicht mit dem bloßen Auge sehen konnte war, dass die Sonne ganz mit Flecken übersät war, darum fragte ich was das für Flecken waren.

„Ahh“, sagte sie. „Noch immer wissensbegehrlich. Kurz gesagt sind die Flecken das Resultat der magnetischen Aktivität der Sonne.“

„Und was ist das an der einen Seite der Sonnenscheibe? Es sieht aus, als ob jemand ein Stück abgebissen hat.“ Im gleichen Augenblick, in dem ich gefragt hatte, wurde mir Antwort selber klar.

Langsam drängte der Mond sich vor die Sonne und für jede Sekunde wurde der Schatten des Mondes größer und größer. Gleichzeitig bemerkte ich, dass entweder der Wind zugenommen oder die Sonne ihre Kraft verloren hatte. Die Vögel, die den ganzen Tag auf der ganzen Insel gezwitschert hatten, verstummten plötzlich, während der Mond weiter seinem Ziel näher kroch.

Im gleichen Augenblick, als der Mond die ganze Sonne zudeckte, war es, als ob die schwarze Scheibe Feuer fing. Ich schlug das Visier hoch und konnte nun Sterne sehen mitten am Tage in Konstellationen, die ich nur im Winter so hoch am Himmel habe sehen können. Ein flammender Ring mit einem schwarzen Loch in der Mitte stand hoch am Himmel, und es war mir, als ob das Loch den Tag geschluckt und die Nacht stattdessen ausgespuckt hatte. Der flammende Ring hielt sich nur einige Augenblicke, bevor die Sterne einer nach dem anderen erloschen und der Tag wieder zurückkehrte. Ich schaute mir wieder die Sonne durch das Visier an und sah, wie sie wieder von hinter dem Mond hervorkroch.

„Das war wundervoll“, war das einzige, was ich hervorbringen konnte.

„Ja“, sagte Clavis und schaute mich an. Danach standen wir auf und sahen die Sonne hinter dem schwedischen Festland untergehen.

„Es ist Zeit für mich nach Hause zu kommen“, sagte sie. „Ich habe meine Untersuchungen abgeschlossen und die letzten Experimente mit dieser Sonnenfinsternis durchgeführt. Bevor ich aber zurückkehren kann, habe ich noch eine Sache auszuführen. Sie können wohlmöglich verstehen, dass es mir unmöglich ist, Sie hier auf Ihrer Erde mit all dem Wissen, dass sie sich zugeeignet haben, zu hinterlassen. Sowohl für Ihr eigenes Wohl, als auch für die weitere ungestörte Entwicklung der Menschheit. Ich bin dazu gezwungen, ihr Gedächtnis zu löschen.“

„Alles was ich in den letzten Tagen gelernt habe?“

„Ihre Ausbildung war mein vornehmstes Experiment. Durch unsere Gespräche habe ich viel über die Menschen und die verschiedenen Kulturen in diesem Bereich der Erde gelernt. Es wäre unverzeihlich, wenn ich nach diesem Experiment nicht aufräumen würde.“

„Sie wollen wohlmöglich dann auch das Buch wieder zurückhaben. Ich möchte aber eher widerwillig auf mein neues Wissen verzichten müssen“, sagte ich.

„Das kann ich leider nicht zulassen. Es ist zu gefährlich, sowohl für Sie als auch für diesen Planeten. Sie werden keinen Unterschied wahrnehmen. Sie werden ihr Leben wie bisher weiterführen, ohne jeden Verdacht zu haben, dass Sie mich jemals kennengelernt haben.“