Ganz entschieden unentschieden - Simone Bauer - E-Book

Ganz entschieden unentschieden E-Book

Simone Bauer

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Beschreibung

Eigentlich wollte Johanna Karriere machen, doch bisher hat das nicht geklappt: Statt in der Marketingabteilung sitzt sie im Vorzimmer ihres exzentrischen Chefs und grübelt, wie sie ihre Münchner Wohnung finanzieren soll. Der Sekretärinnenposten ist nämlich nicht nur langweilig, sondern auch schlecht bezahlt. Deshalb jobbt sie als Kellnerin in einem Club. Als dort die Musikanlage ausfällt, beweist Johanna großes Organisationstalent: Binnen einer Stunde beschafft sie Ersatz und sichert dem attraktiven Tonmann Klaas damit den Job und sich das Vertrauen des Barbesitzers. Der bietet ihr bald eine Stelle mit Verantwortung an. Johannas Wünsche erfüllen sich: Sie geht in der Arbeit für den Club auf und Klaas und sie werden ein Paar. Doch die zwei Jobs sind anstrengender als gedacht. Und dann schleicht sich auch noch ein charmanter Besserwisser in Johannas Leben. Bald steht sie vor der Frage: Ist sie wirklich so multitasking- und multi-Männer-fähig, wie sie bisher dachte?

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Simone Bauer

Ganz entschieden unentschieden

Roman

INHALT

1.

Blutspritzer oder Knochenjob?

Als ich noch ganz klein war, wollte ich Meeresbiologin werden. Ich war eine Zeit lang regelrecht abhängig von Arielle, die kleine Meerjungfrau. Ich sah den Film mindestens einmal am Tag. Dann kamen Flipper und Free Willy hinzu und ich war besessen von dem Gedanken, eines Tages in einem großen Aquarium zu arbeiten. Oder in einer traumhaften Bucht. Aber dann schenkte mir meine Tante einen Ballettkurs zum Geburtstag und ich verliebte mich in Tutus und Spitzenschuhe. Leider war ich eine furchtbar schlechte Tänzerin, weil mir der natürliche Sinn für Balance fehlte. Doch der Traum, Primaballerina zu werden, hielt sich beinahe ebenso lang wie der, Meeresbiologin zu werden. Erst kurz vor meinem Schulabschluss änderten sich meine Berufswünsche noch einmal. Zunächst hatte ich großes Interesse an den Berufsbildern Astronautin, Polizistin, Schauspielerin, Cafébesitzerin und Eventmanagerin. Doch aus all diesen Träumen wurde nichts. Stattdessen entschied ich mich für den langweiligsten Job der Welt. Und arbeite nun auch noch viel zu viel!

»Mama, schau mal! Da ist Nemo!«, rief ein kleines Kind, das gerade in den Raum gestürzt war. Ihm folgten einige weitere Winzlinge mit Schnodder im Gesicht, die sich vor mir aufbauten und mich vom Aquarium wegschoben, um die kleinen Fische mit der orange-schwarz-weißen Musterung besser sehen zu können. Patschehändchen wurden gegen das Glas gedrückt und es wurde angeleckt und vollgeschmiert. Zwei leidend wirkende Damen, die wohl die Mütter des Kinderhaufens sein mussten, hatten Mühe, die Kleinen davon abzuhalten, gegen das Glas zu schlagen.

Nemo war zwar ganz süß, ich persönlich bevorzugte aber die weißen Fische mit der schwarzen Musterung, die sich im selben Becken befanden. Die sahen aus, als hätten sie Wimperntusche um die starren Augen. Ob die Nemofische die geschminkten Fische mochten? Oder fanden sie diese blöd und arrogant? Und was war mit den Korallen? Hatten die eine Meinung dazu? Ich dachte darüber nach, wie es wäre, wenn ich mir ein rosafarbenes, lebendiges Kleidchen aus den Korallen zaubern könnte. Aber wem sollte ich es vorführen?

Ich verhielt mich leise und flüchtete mich in eine andere Ecke des Raumes. Das Wasser in den Bassins malte Wellen an die dunkle Decke und auf den schwarzen Boden. Für gewöhnlich hatte diese Szenerie eine beruhigende Wirkung auf mich.

»Hi, Johanna! Heute stehst du also bei den Clownfischen?«, hörte ich eine bekannte Stimme hinter mir sagen.

Als ich mich zu Kevin umdrehte, um zu nicken, stellte ich wieder einmal fest, wie schön weich sein blondes Haar aussah. Er wirkte ein wenig wie ein Kerl aus einer Boyband, mit starken Muskeln unter seinem marineblauen Sea-Life-Hemd. Wahrscheinlich hatte er Meeresbiologie in Australien studiert und die Bräune seitdem nicht wieder verloren.

Warum ich mich nicht an ihn ranmachte? Weil er verlobt war. München war angeblich die Stadt der Singles, nur lernte ich am laufenden Band sympathische junge Männer kennen, die in Beziehungen steckten. Warum ich es einfach nicht schaffte, einen Mann für den Platz an meiner Seite zu finden, war mir ein absolutes Rätsel. Immerhin konnte ich meine Muttersprache fehlerfrei sprechen und schreiben und sah aus wie jemand, der zumindest Popstars hätte gewinnen können. Für Germany’s Next Topmodel war ich zu klein.

»Sollte eine schöne Frau wie du nicht den Sonntagnachmittag draußen in der Sonne verbringen?«

Ja, seine Verlobung hielt Kevin leider nicht davon ab, mit mir zu flirten. Ich war Wachs in seinen Händen – ohne es verhindern zu können, lächelte ich ihn an. Obwohl mir gar nicht zum Lächeln zumute war! Als ich mir darüber klar wurde, sanken meine Mundwinkel wieder nach unten. Hilflos zuckte ich mit den Schultern.

»Was soll ich sagen? Ich bin hergekommen, um nachzudenken.« Wie immer. Seit Jahren verbrachte ich meine freien Nachmittage hier.

»Versteh schon.« Kevin lächelte und winkte.

Viele Male hatte er vergeblich versucht, mich auf einen Kaffee einzuladen, doch ich widerstand ihm. Ich wollte mich nicht in einen vergebenen Mann verlieben. Und außerdem war es mir mit dem Nachdenken ernst. Dieses Aquarium war mein Ort des Friedens, er war mir heilig.

Als Kevin sich zum Haibecken aufmachte, verbot ich mir deshalb, ihm auf den Hintern zu starren. Stattdessen wandte ich mich wieder den Fischen zu, die sich von der Meute kleiner Kinder nicht aus der Ruhe bringen ließen. Sie schwammen weiterhin seelenruhig hin und her. Mich hätte ja schon interessiert, wie es sich mit der Liebe bei Clownfischen verhielt. Waren die monogam? Entschieden die sich dafür, auf ewig mit ihrer Fischfreundin oder ihrem Fischfreund zusammenzubleiben? Tja, wäre ich Meeresbiologin geworden, dann hätte ich es wahrscheinlich gewusst. Natürlich hätte ich auch Kevin fragen können, doch von einem früheren gemeinsamen Exkurs in die Welt der Süßwasserfische war er leicht entnervt gewesen. Anscheinend hatten mich meine Fragen nicht gerade kompetent wirken lassen. Aber was hatte er von mir erwartet? Ich arbeitete eben nicht an einer wunderschönen Bucht mit Delfinen oder in einer Walforschungsstation, sondern in einem spießigen Büro. Statt Wale zu streicheln, war ich Industriekauffrau geworden. Eine Ausbildung, die genauso aufregend gewesen war, wie sie klang. Und dann auch noch bei einem Unternehmen für Schreibwaren! Die vermutlich ödeste Konstellation der Welt. Buntstifte. Große Bögen Tonpapier in allen Farben. Korrekturbänder. Toll, oder?

Irgendwann hatte ich übrigens auch mal Malerin werden wollen. Leider hatte ich es nie geschafft, die Bilder in meinem Kopf in die Wirklichkeit umzusetzen. Jemandem Anweisungen zu geben, wie ein Bild aussehen sollte, das hatte ich hingegen immer sehr gut hinbekommen. Deswegen war ich während meiner Ausbildung bei der Sanders Schreibwaren GmbH auch auf einen Posten in der Marketingabteilung scharf geworden. Anzeigen entwerfen, die dann in Zeitschriften erscheinen, oder die Motive für das Gratis-Briefpapier aussuchen, das Sanders jedes Jahr zum Schulbeginn an Kinder verteilte – das klang nach meiner Bestimmung. Denn ich hatte Ideen, war kreativ und wenn ich mich für etwas begeisterte, dann konnte ich alle davon überzeugen. Jeder, der schon einmal meine Rede über geräucherten Lachs gehört hatte, konnte dies bestätigen. Ja, ich liebe Fische, aber offensichtlich habe ich auch keine Probleme damit, sie zu essen …

Jedenfalls waren nach dem Ende meiner Ausbildung keine Stellen in der Marketingabteilung zu vergeben gewesen. Wegen der Krise und so weiter. Also zählte ich stattdessen Büroklammern ab. Okay, um ehrlich zu sein: Ich kochte Kaffee für diejenigen, die die Büroklammern abzählten. Aber wer hatte heutzutage schon einen Traumjob? Kevin arbeitete schließlich auch hier in einer Touristenattraktion und nicht am glitzernden Meer. Andererseits füllte ihn das sicherlich mehr aus als mich meine Arbeit im Büro.

Kurzum: Meine guten Noten und Empfehlungen hatten mich nicht weit gebracht. Ich harrte einfach aus. Irgendwann musste doch mal eine Mitarbeiterin der Marketingabteilung schwanger werden. Oder krank? Auch wenn ich das niemandem wünschte … Aber dann würde ich zur Stelle sein. Und vielleicht würde ich dann nicht mehr an der Bar des GTO arbeiten müssen. Mein Gehalt bei Sanders reichte nämlich nicht aus, um mir meine Wohnung in Schwabing-West leisten zu können und mich gleichzeitig zu ernähren. Jedenfalls nicht so gesund und bio, wie meine Eltern das für mich vorgesehen hatten. Sicher hätte ich auch mit einer kleineren Wohnung zufrieden sein können, aber meine Besichtigungen hatten mich durch die schlimmsten Buden Münchens geführt. Ich stand nicht besonders darauf, die Dusche gleichzeitig als Toilette benutzen zu müssen. Nein, danke.

Eines der Kinder kreischte erneut entzückt auf und riss mich aus meinen Gedanken. Ich war versucht, genervt zu stöhnen, doch das Kinderlachen war so unbeschwert und fröhlich, dass es mich versöhnte. Ach, noch einmal Kind sein! Nicht das Problem haben, irgendwie das Geld für die nächste Miete aufbringen zu müssen. Keinen Chef haben, der einen in den Wahnsinn treibt. Es war zu befürchten, dass ich Clemens Schmidt demnächst auch noch die Schuhe würde zubinden müssen. Wie konnte man die Abrechnungsabteilung leiten und gleichzeitig nicht fähig sein, die kleinsten Dinge des Lebens selbst zu erledigen?

Ich fuhr mir seufzend durch meine langen Haare, die gerade wieder frisch erblondet waren. Meine Wohnung hatte ich, seit ich allein wohnte, perfekt eingerichtet. Da hatte alles seinen festen Platz: die Kuscheldecke auf dem bequemen Retrosofa, die großen Kunstdrucke über dem roten Küchentisch, der Wohnzimmertisch auf einem flauschigen Flokati. Eine große Möbelrückerin war ich nicht, bei mir blieb alles an seinem Platz, wenn es diesen erst einmal gefunden hatte – vorausgesetzt, es hatte den Feng-Shui-Test meiner Mutter bestanden. Gleich nach dem Einzug hatte sie die meisten meiner Möbel gleich so hingerückt, dass der »richtige Energiefluss« herrschte, den Rest hatte sie dann freundlicherweise mir überlassen. Und so lebte ich in der Nähe meines Arbeitsplatzes, etwas weiter weg vom GTO und hetzte durchs Leben, immer am Rackern. Den einzigen Halt bot mir dieses Aquarium hier.

Ich hatte meiner Mutter erlaubt, sich in die Gestaltung meiner Wohnung einzumischen, damit ihr mein Auszug leichter fiel. Meine Eltern hatten nach ihren Münchner Jahren, in denen sie mich bekommen und großgezogen hatten, keine Lust mehr auf die Stadt gehabt. Sie waren nach Poing gezogen. Aber was hätte ich, eine junge Singlefrau, denn in Poing tun sollen? Dort im Münchner Außenraum? Sicher, da gab es ein Wildtiergehege, aber Wildschweine waren eben keine Fische. Meine Eltern hatten sich einen Garten gewünscht, um eigenes Gemüse anzubauen. Aber ich war schließlich eine Großstadtpflanze und so hatte es sich ergeben, dass ich gleich nach dem Realschulabschluss in meine erste eigene Wohnung eingezogen war. Das hatte mir auch ermöglicht, mich dem strengen Ökoregime meiner Eltern zu entziehen. Endlich gab es Pommes! Und Schnitzel! Und das nicht aus dem Bio-Supermarkt.

Das Rudel Kinder war inzwischen weitergezogen. Ins Aquarium war Ruhe eingekehrt. Nun konnte ich endlich meine Nase gegen die Scheibe drücken und die Fische beobachten. Neben Nemos gab es auch Dories in leuchtendem Blau. Ich hätte meine Freude darüber gern mit jemandem geteilt. Ja, ich fühlte mich schon ein bisschen einsam, als ich so allein in diesem Abschnitt des Aquariums stand. Lag es an meinen hohen Anforderungen? Ich meine, so hoch waren sie doch nun wirklich nicht! Natürlich achtete ich sowohl auf den Charakter als auch auf das Aussehen eines Mannes! Ich wollte mein Herz eben jemandem schenken, der hübsch, witzig und geistreich war. In der plötzlichen Ruhe konnte ich meiner Fantasie freien Lauf lassen und malte mir meinen Traummann in den schönsten Farben aus. Ich stellte mir vor, wie wir Hand in Hand über saftige Wiesen spazieren würden, wie er lachen würde, wenn ich mir einen Kranz aus Sommerblumen binden würde. Und dass er dabei nicht »Hippiekacke« stöhnen würde, so wie mein letzter Freund es getan hatte … dieser Vollpfosten. Nein, der Eine, er würde mich mit all meinen Eigenarten lieben. Und meine Träume teilen. Wir würden …

Meine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als sich mein Handy lautstark mit Don’t Stop Me Now meldete. Hastig durchsuchte ich mein Täschchen, um das Telefon herauszukramen. Es war zwar inzwischen niemand mehr hier, den der Klingelton hätte stören können, doch vielleicht hatten die Clownfische ja was gegen Freddie Mercury.

»Kinseher«, meldete ich mich.

»Johanna, gut, dass ich dich erreiche. Hier ist Chris.«

Chris war der Besitzer des GTO, in dem ich freitags kellnerte. Er klang immer gehetzt und schien nie zu schlafen, seine Augenringe waren ein Hinweis darauf.

»Grüß dich. Was gibt’s?«, fragte ich fröhlich, aber nicht zu fröhlich, er sollte ja nicht glauben, dass ich über seinen Ton lachte. Paranoid war Chris nämlich auch. Er hatte ständig Angst um seinen Ruf, sein Geld, seine Clubeinrichtung, seine Freundin und seine Frisur, obwohl die völlig verschnitten war. Ja, zugegeben, Chris war ein merkwürdiger Kauz, aber er bezahlte gut.

»Kannst du heute Abend einspringen? Susanne ist krank und ich brauche dringend noch jemanden für die Bar!«

»Was ist denn heute Abend?«

Eigentlich wollte ich an meinem freien Abend nicht arbeiten. Denn immerhin musste ich morgen wieder an meinen Schreibtisch zurück. Die Nacht vor dem Montagmorgen verbrachte ich, um Kraft zu schöpfen, deshalb am liebsten zu Hause mit einer großen Portion Schokoeis und Trivialliteratur. Wenn ich vorhersehbare Romane las, in denen die Frauen am Ende alles richtig machen, fühlte ich mich weniger verloren – irgendwie.

»Das Sundae Special. Bitte, es wäre wirklich wichtig, dass du kommst und uns unterstützt. Sonst werden wir der Massen niemals Herr!« Chris klang ziemlich verzweifelt.

Das Sundae Special war sein neuester Coup: eine Popband, eine Indie-Combo und ein Electro-Act traten nacheinander auf. Für die heutige Premiere hatte Chris einige aufregende Bands gebucht, die das Münchner Partyvolk zum Tanzen bringen sollten. Er erwartete eine Menge Besucher und eine ganze Horde Journalisten. Und ich ahnte, wie viel Trinkgeld an so einem Abend für mich herausspringen würde. War mein Laptop nicht kurz davor, den Geist aufzugeben? Ich konnte ein bisschen zusätzliches Geld wirklich gut gebrauchen.

»Okay, ich komme«, sagte ich.

»Tausend Dank! Bis nachher!«, sagte er und hatte schon aufgelegt.

Ich seufzte und schob mein Handy in die Rocktasche. Dann gab es heute Nacht eben weniger Schlaf. Und auch kein Schokoeis. Die Clownfische schwammen noch immer gemächlich in ihrem Aquarium umher. Und ich überlegte, ob sie so etwas wie Stress überhaupt kannten.

Ich zog mein Telefon erneut heraus. Wie spät war es denn überhaupt? Wann musste ich los? Während ich auf die Zeitanzeige guckte, sprang der Klingelton wieder an. Das Display schrie: »Sarah«.

Ich lächelte. »Hey, was gibt’s?«

Sarah war bereits seit dem Kindergarten meine beste Freundin. Wir hatten eine Menge gemeinsam durchgestanden: von langwierigen Barbie-Ken-Skipper-Dreiecksgeschichten über erste Schwärmereien für Jungs und die erste Liebe bis hin zum ersten richtigen Herzschmerz. Sarah und ich waren durch dick und dünn gegangen und hielten noch immer zusammen wie Pech und Schwefel. Und wir sprachen über alles – vom ersten Mal bis zum fünfzehnten Mal.

»Johanna-Banana, hast du das von Jeanie schon gehört?«

Jeanie war eine gemeinsame Freundin, wenngleich sie mir weitaus weniger bedeutete als Sarah. Denn der Unterschied zwischen Sarah Huber und Jeanette Oberdorf war: Nicht Sarah hatte mir im Schulabschlussjahr den Freund – ja, ich spreche von dem Vollpfosten – ausgespannt.

»Nein«, antwortete ich also wahrheitsgemäß.

»Sie hat doch vor drei Wochen mit Thorsten Schluss gemacht.« Das war übrigens nicht der Vollpfosten. Der war bei Jeanie schon lange wieder passé. Schlampe. »Und jetzt hat sie schon wieder einen Neuen! Er heißt Mark und jetzt halt dich fest: Er ist in der Prinzengarde.«

»Mit Menschen in der Prinzengarde sollte man nicht mal Kontakt haben, geschweige denn, mit ihnen schlafen.« Ich seufzte.

»Ja, die Prinzengarde ist ein absolutes No-Go«, stimmte mir Sarah zu.

»Gegen einen echten Prinzen hätte ich dagegen nichts einzuwenden«, grinste ich.

»Ich auch nicht.« Ich hörte das Grinsen in Sarahs Stimme. »Aber wo bist du überhaupt? Zu Hause konnte ich dich nicht erreichen.«

»Sea Life, mein Schatz.«

»War ja klar. Bist du denn bereit für heute Abend, für einen Horrorfilm der Extraklasse?«

Mist! Ich hatte ganz vergessen, dass ich mit Sarah fürs Kino verabredet war. Wahrscheinlich hatte ich es verdrängt. Ich hasste Horrorfilme. Unsere Horrorabende verbrachte ich für gewöhnlich versteckt hinter einer riesigen Tüte Popcorn. Aber Sarah liebte Filme mit ganz viel Blut und Grusel, deswegen tat ich mir diese Streifen in regelmäßigen Abständen immer wieder an. Ich war eben eine treue Freundin. Auch wenn wir in mancher Hinsicht schon sehr verschieden waren, ganz gleich, was wir gemeinsam erlebt hatten. Jeden Sommer unserer Jugend hatte Sarah damit verbracht, in der Kanzlei ihres Vaters alte Akten zu schreddern – ob dabei ihre Liebe zu Horrorfilmen entstanden war? Ich war unterdessen von einem Ferienjob in den nächsten gerutscht und hatte mir mit der Wahl meines Ausbildungsberufs ganz schön Zeit gelassen. Sarah war zielgerichtet Rechtsanwaltsgehilfin geworden und liebte es nun, ihre Anwälte zu bemuttern. Ja, zu bemuttern – und das mit zarten 21! Wir waren gleich alt, aber ich konnte nicht mal richtig für mich selbst sorgen, geschweige denn für meinen Chef. Was ihn natürlich nicht besonders happy machte. Sarah hätte auch kein Problem mit der schreienden Kinderschar gehabt. Sie war eben der fürsorgliche Typ, der dir mit einem selbstgebackenen Kuchen noch Saw 1 bis 15 servierte.

»Oh nein, das habe ich total vergessen! Gerade hat Chris angerufen und ich habe zugesagt, die heutige Schicht zu übernehmen. Du weißt doch, wie gut ich das zusätzliche Geld gebrauchen kann«, erklärte ich ihr. Da Sarahs Wohnung von ihrem Anwaltsvater bezahlt wurde, waren ihr Geldsorgen unbekannt. Dementsprechend angesäuert reagierte sie: »Schon okay.« Das bedeutete, dass es eben nicht okay war. »Ist ja nicht so, als wäre es eine einmalige 3D-Vorführung.«

»Hast du nicht mal gesagt, dass du morgen frei hast?«, fragte ich, um sie zu besänftigen.

»Ja, wieso?«, wollte Sarah wissen.

Ich grinste schelmisch. »Na, dann komm doch einfach mit! Du stehst doch auf Tanzen und Electro und süße Jungs und Alkohol. All das wird heute Abend reichlich im GTO vorhanden sein!«

»Ich weiß nicht …« Sarah spielte wohl gerade mit dem Gedanken, sich ohne mich eine Runde Mord und Totschlag reinzuziehen – schon allein aus Prinzip.

Ich machte ein Winselgeräusch. Ich wusste, dass sie mir nichts abschlagen konnte.

»Also gut«, sagte sie. »Aber ich habe gar nichts zum Anziehen!«

Mit »gar nichts zum Anziehen« meinte Sarah, dass sie nichts hatte, das auch nur annähernd so bequem war wie die weinrote Jogginghose, die sie ins Kino anzuziehen pflegte. Dass sie sich auch nicht die Mühe machte, für einen Horrorfilmmarathon ihre Haare zu waschen, machte es nicht weniger peinlich, mit ihr loszuziehen.

Ich lachte. »Was ist mit einem deiner hundert Kleider? Kannst du nicht eines von denen mal ausführen?«

»Hmm. Möglicherweise. Wann soll ich denn da sein?«

»Einlass ist um sieben, also … um sechs?«

»Dann muss ich mir jetzt die Haare waschen gehen. Bis dann!«

Schon hatte sie aufgelegt. Ich kicherte. Noch gut drei Stunden. Dann konnte ich mir ja noch ein bisschen die Clownfische anschauen. Und irgendwie kam es mir vor, als würden sie lächeln. Seltsam. Konnten Clownfische überhaupt lächeln? Mann, wäre ich gern Meeresbiologin geworden!

2.

Mit Ton oder ohne?

Während Joshua aussah wie Jürgen Vogel mit langem Ziegenbart, war Tobi das Ebenbild des Rumpelstilzchens. »Jürgen« und »Rumpelstilzchen« hätten mir an der Bar beistehen sollen, doch tatsächlich waren sie keine besonders große Hilfe. Im Gegenteil. Tobi trommelte wild mit einer Flasche Entkalker gegen die Kaffeemaschine und das schon seit zwei Minuten und Joshua schnitt lethargisch Zitronen. Ich wischte unterdessen den Tresen ab, wusch die Gläser, füllte den Kühlschrank auf und besorgte Kleingeld für die Kasse.

»Und weißt du es?«, fragte Tobi.

Joshua sah nicht von seinen Zitronen auf. »Achtes Lied, zweites Album.«

»Genau.«

»Ich finde ja, da waren sie schon nicht mehr so direkt. Nur noch laut und wirr. Die früheren Sachen find ich besser.«

Mir stand ein Fragezeichen ins Gesicht geschrieben. Ein Glück, dass Sarah in diesem Moment durch die Tür geschlendert kam. Sie hatte ihr brünettes Haar zu einer Art Charlies Engel-Konkurrenzfrisur aufgeplustert und trug ein silbernes Minikleid. Ihre Haut schien zu glitzern. Als wäre sie von einer Fee ausgekotzt worden. Nicht, dass das Joshua und Tobi auch nur im Geringsten interessiert hätte. Sie hätten wohl nicht mal auf Dita Von Teese geachtet, wäre sie in Lingerie durch die Tür geschwebt. Sarah war vom Desinteresse der beiden sichtlich gekränkt. Eine Schnute ziehend setzte sie sich auf den Barhocker, der gegenüber des Fleckes stand, den ich gerade wegzupolieren versuchte.

»Keine Sorge, ich glaube, die beiden besitzen keine Sexualität. Die interessieren sich für nichts als Musik. Und na ja, sieh sie dir an, sie selbst sind ja auch nicht gerade der Knaller«, versuchte ich, Sarah zu beruhigen. »Im Gegensatz zu den Jungs aus der Band, warte nur, bis du die siehst. Die Indies sind der Hammer.«

Schon reckte Sarah aufgeregt ihren langen Hals. »Wo sind die denn?«, fragte sie.

»Gerade im Behindertenklo«, erklärte ich.

Das Behindertenklo war im GTO alles andere als behindertengerecht, es war der Raum, in dem die Instrumente zwischen den Sets aufbewahrt wurden, weil er sich direkt neben der Bühne befand. Über die politische Korrektheit konnte man sich streiten, aber mit Chris wollte man das eben nicht.

Die Popsängerin, der erste Act des Abends – eine kleine Version von Lady Gaga –, hatte ihren Soundcheck schon beendet. CD rein, Mikro auf, gut war’s. Jetzt waren die Indiejungs damit beschäftigt, ihre Instrumente auf der Bühne aufzubauen. Aber offensichtlich waren sie sich gerade in die Haare geraten. Vermutlich darüber, wer die engeren Hosen anhatte. So eine Diskussion konnte viel Zeit einnehmen.

Sarah fuhr sich durch die Haare. Dabei klimperten die zahlreichen Armreifen an ihrem Handgelenk. So wie ich mich sonst für ihren Jogginganzug schämte, musste sie sich heute wohl oder übel wegen meiner Arbeitskleidung genieren: Ich hatte meinen hübschen Rock gegen Röhrenjeans und einen Kapuzenpulli eingetauscht, Ballerinas rundeten den Look ab. So gern ich auch bei der Arbeit flirtete, aber High Heels sahen hinter der Bar einfach affig aus. Und meine geliebten Blümchenkleider leider Gottes auch.

»Und wer ist dieses Sahnestück da?«, fragte Sarah, nachdem sie die Bühnendekoration betrachtet hatte, die ganz im Zeichen des Themas »Sundae Special« stand: ein roter Vorhang mit einem gigantischen aufgedruckten Eisbecher. Welcher Eisdiele hatte Chris den wohl geklaut?

»Wer?«

Mal abgesehen von meiner Freundin, den Jungs an der Bar und denen auf der Bühne hatte ich niemanden im Raum gewähnt. Als ich mich umdrehte, traf mich beinahe der Blitz: Noch nie hatte ich so jemanden gesehen. Die lederne Umhängetasche, die er lässig um seine Schultern gehängt hatte, stellte er nun cool auf dem Boden neben dem Mischpult ab. Als er sich wieder erhob, fuhr er sich durch den Pony seiner asymmetrisch geschnittenen schokoladenbraunen Haare. Seine braunen Augen erfassten mich, er lächelte. Und mir wurde schwindelig.

Sarah ließ einen Uh-Laut über ihre Lippen huschen. Meine Kehle war zu trocken, um überhaupt irgendetwas zu sagen. Als ich auf meine Hand sah, die soeben noch in Kreisen über den Tresen gewischt hatte, stellte ich fest, dass ich den Lappen gar nicht mehr festhielt.

»Das muss der Tontechniker sein«, stammelte ich. Entweder das oder er wollte zur Preisverleihung des »Sexiest Man Alive« und hatte sich gründlich verlaufen.

»Ja. Oder er unterhält sich nur einfach so gern mit den Reglern«, meinte Sarah, während sie ihn weiter beobachtete.

»Der hat bestimmt eine Freundin«, sagte ich zerknirscht. Einer wie er, der Single war und nicht schwul – das wäre ein Sechser im Lotto. Aber ich hatte noch nie Glück im Spiel gehabt. Und in der Liebe auch nicht.

»Und was ist mit denen?«, fragte Sarah und deutete mit ihrem Kopf in Richtung Bühne.

»Ah, das ist die Indieband«, antwortete ich ihr.

Aber anscheinend schienen die Jungs Sarah nicht so zuzusagen, denn nach gründlicher Betrachtung hakte sie nach: »Und wo steckt die Electroband? Wann kommen die?«

»Ich tippe mal darauf, dass die noch schlafen.«

Ich schenkte Sarah den ersten Drink des Abends ein. Joshua und Tobi waren noch immer tief in ihre Fachsimpelei versunken und hätten meine beste Freundin wahrscheinlich verdursten lassen.

Die Musiker unterhielten sich nun mit dem Mann vom Ton und ich lauschte neugierig. So erfuhr ich, dass die Sachertorte auf zwei Beinen Klaas Kutt hieß – Johanna Kutt, das klang doch gut!

»Weißt du noch, als du in der Schwulenbar gekellnert hast? Da war das Warten auf den Einlass irgendwie lustiger«, meinte Sarah, die sich mittlerweile ein bisschen langweilte – ganz gleich, welch schöner Anblick sich uns auch auf und neben der Bühne bot. Ein Kettensägenmassaker konnte ich ihr leider nicht bieten.

»Ja, schade, dass ich dem neuen Freund des Besitzers weichen musste.«

Ich suchte Sarah einen hübschen pinken Strohhalm aus unserem Vorrat heraus und steckt ihn in ihr Glas. Bevor sie den ersten Schluck von ihrem Wodka-Cranberry nahm, lachte sie.

»Am besten hat mir übrigens dein erster Job gefallen.«

»Ja, klar. Ich habe dich auf dem Gepäckträger meines Rades kutschiert, das voll bepackt war mit Zeitungen. Noch heute frage ich mich, woher ich den Schmalz in meinen Beinen hatte, um dieses Rad zu bewegen.« Nun lachte auch ich.

»Also, wenn du jemals wieder Zeitungen ausfährst, ruf mich an. Dabei helfe ich dir gern.« Sarah grinste bei der Erinnerung an die vielen Frühlingstage, die wir unterwegs gewesen waren. Wir, das Rad, die Zeitungen. Die alten Leute, die wir beinahe über den Haufen geradelt hatten. Good old times.

Unser Gespräch wurde durch einen lauten Schrei unterbrochen, der aus dem Mund des Adonis kam. Mit einem Mal war das Gitarrengeklimper aus, als hätte man den Stecker aus den Instrumenten gezogen. Nun hallten keine Franz-Ferdinand-ähnlichen Songs mehr durch den Raum, sondern nur noch Klaas’ Flüche.

»Was ist denn da los?« Sarah drehte sich um. Auch ich runzelte die Stirn.

»Alter, dreh mal den Saft auf, ich habe absolut gar nichts auf dem Monitor!«, rief der Sänger der Indieband ihm zu.

»Was meinst du, was ich gerade versuche?«, schnauzte Klaas zurück, fieberhaft die Regler hin und her schiebend. Als er bemerkte, dass sich trotz allem nichts tat, rannte er um die Bühne herum und überprüfte die Boxen.

»An den Boxen liegt es nicht«, zischte der Sänger.

»Ach, wenn du so genau weißt, woran es liegt, dann reparier es doch selbst!«, fauchte Klaas.

»Das ist doch dein Job, du …«

»Hey, hey, hey, immer langsam reiten, meine Freunde!« Chris war zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt hereingekommen.

Klaas richtete sich auf und wischte sich die Hände an seiner Jeans ab. »Sorry, Chris, wir haben ein echtes Problem.«

»Auch hier nicht so voreilig schießen, Cowboy.« Chris setzte ein gezwungenes Lachen auf und fasste Klaas an die Schulter. Als sie sich von der Bühne entfernten und sich der Bar näherten, verschwand das Lachen und Chris fauchte: »Spinnst du? Was ist los?«

Klaas hob hilflos die Arme. »Das Mischpult ist ausgefallen!«

Chris verzog das Gesicht. »Und das heißt?«

»Dass wir keinen Sound haben.«

»Ich weiß, was das heißt. Was ich meinte, ist, wo das Problem liegt. Kannst du es beheben?«

Klaas verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich könnte das Mischpult auseinandernehmen, aber so viel Zeit haben wir nicht mehr. Selbst wenn ich es schaffen würde, heißt das nicht automatisch, dass ich es auch wieder zusammensetzen kann. Ich meine, vielleicht ist das Ding auch einfach kaputt. Ich habe dir ja schon vorher gesagt, dass die Anlage hoffnungslos veraltet ist und dass in dem Ding bald etwas durchbrennen wird, aber du wolltest ja kein neues Mischpult kaufen!«

»Wir brauchen Ersatz.« Chris mahlte mit den Zähnen, während er überlegte.

Sarah warf mir einen Blick zu, der wohl aussagen sollte, dass wir notfalls immer noch zur Horrorfilmextravaganza gehen konnten, wenn der Club für heute dicht machte. Aber ich schenkte meinem Chef mehr Aufmerksamkeit als ihr, weil ich genau wusste, was ihm gerade durch den Kopf ging: Zahlen um Zahlen, von den Gagen der Künstler, die nicht auftraten, aber trotzdem abkassierten, bis hin zu den Leuten, die draußen schon Schlange standen und Amok laufen würden, wenn wir sie jetzt wegschickten.

»Alle Clubs im Umkreis haben heute selbst Veranstaltungen. Und es ist Sonntag, also sind die Chancen eher gering, sich ein Mischpult beim Fachhandel leihen zu können …« Auch Klaas ging alle Möglichkeiten durch, die zur Auswahl standen. Nur stellte sich leider heraus, dass es keine Möglichkeiten gab, den Abend noch zu retten.

»Und wenn wir unplugged spielen?« Chris war dazu übergegangen, am Gestell seiner Hornbrille herumzufummeln.

»Sonst geht es dir gut, ja? Wir haben eine Fast-Vollplaybacksingende Lady-Gaga-Mieze, eine The-Strokes-ähnliche Karachocombo und Electrojungs. Die spielen nicht unplugged.«

»Dürfte ich was sagen?«

Am liebsten hätte ich mich selbst irritiert angestarrt. Sarah, Joshua, Tobi, Chris und Klaas taten das jedenfalls.

Und dann bemerkte ich, dass ich zu allem Überfluss auch noch meine Hand in die Luft hielt, so als ob ich mich in der Schule melden würde. Schnell ließ ich meinen Arm sinken und begann stotternd: »Äh, vielleicht könnte ich … äh … helfen?«

»Und wie willst du helfen? Die Electrojungs auf eine niedrigere Gage runterhandeln? Dafür müsstest du dir erst mal ein kurzes Kleid anziehen«, kam es von Chris, der mittlerweile mit gefährlich zuckenden Fingern an sich herumtatschte. Er war also auch noch latent sexistisch.

»Lass sie doch mal ausreden, Chris.« Klaas sah mich interessiert an.

Unter seinem Blick röteten sich meine Wangen und mir wurde gefährlich warm, doch ich zwang mich zum Weitersprechen: »Mein Dad spielt schon seit Ewigkeiten in einer AC/DC-Coverband. Die haben ihr eigenes Equipment, weil sie oft bei Baumarkteröffnungen spielen. Die Geräte sind in Topzustand, mein Dad liebt Musiktechnik fast so sehr wie seine Konzert-T-Shirts aus den Achtzigern. Ich kann uns sein Mischpult besorgen, wenn ihr wollt.«

»Ja, ja, ja«, schrie Chris. Und im nächsten Moment packte er mich an den Schultern und schüttelte mich.

Überrumpelt starrte ich Sarah an, doch die lachte nur, als mir Chris einen Kuss auf die Wange drückte und rief: »Los, los, los!«

»Na, noch hat sie das Mischpult ja nicht besorgt«, warf Joshua ein.

Fassungslos starrte ich ihn an. Also sprach Joshua doch die Sprache der normalen Menschen? Aber warum musste er sie erst jetzt gebrauchen, um mich infrage zu stellen?

»Glaub mir, das krieg ich hin«, sagte ich selbstbewusst. Immerhin hatte ich es mir gut überlegt. Na gut, um ehrlich zu sein, hatte ich mir einen Plan überlegt, wie ich Klaas triumphierend anlächeln und für mich gewinnen würde, wenn ich mit dem Mischpult ankam. Eine Idee, wie ich meinen Vater überreden würde, das Mischpult vorbeizubringen, um es einer Band auszuleihen, deren Musik er hasste, hatte ich hingegen noch nicht. Andererseits konnte man sich auf meinen Vater verlassen – er half immer, wenn er konnte.

»Klick, klack«, machte Klaas. Er lächelte mich an und wandte sich dann der Band zu, um sie zu beruhigen.

Die Jungs hatten schon laut überlegt, den Auftritt zu verweigern, hätten wir vorgehabt, sie mit kaputtem Mischpult auf die Bühne zu schicken. Denn das war die größte Schwachstelle von Bands wie ihrer: Ihr Mangel an Fähigkeiten wurde sonst durch die überlaute Musik überdeckt, die sie spielten, und wenn es hart auf hart kam, dann steckten diese Leute mächtig in der Klemme.

*

»Danke, dass du so schnell gekommen bist, Papa«, begrüßte ich meinen Vater, als er aus seinem Transporter sprang. Der schwarze T4 barg in seinem Inneren tatsächlich das Mischpult. Ich busselte meinen Papa ab, wie es Chris mit mir getan hatte.

»Kein Problem, Spätzchen.«

Chris kam mit Klaas, Joshua und einem der Lichttechniker herausgeeilt. Tobi war zu schmächtig zum Tragen und die Indiebandmitglieder wollten sich die Hosen nicht dreckig machen. Eins, zwei, drei. Und schon waren die Männer mit dem Gerät auf dem Weg in den Club. Ich hatte nicht gelogen – mein Vater hatte ein verdammt gutes Mischpult hergeschafft und der Soundcheck klang mit der neuen Anlage schon wesentlich besser. Außerdem hatte mein Vater sich leicht überreden lassen, weil er auf ein bisschen Fachsimpeln aus gewesen war. Das bekam er schließlich auch. Klaas ließ sich nur allzu gern auf eine Diskussion mit ihm ein. Sarah und ich langweilten uns unterdessen, aber wenigstens konnte ich Klaas triumphierend zulächeln.