Gärten in Zeiten des Krieges - Teodor Ceric - E-Book

Gärten in Zeiten des Krieges E-Book

Teodor Ceric

0,0
14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Im Frühjahr 1992, als die serbische Armee mit der Blockade Sarajevos beginnt, gelingt dem damaligen Literaturstudenten Teodor Cerić die Flucht aus seiner Heimatstadt. Er reist ohne festes Ziel quer durch Europa, seinen Lebensunterhalt verdient er sich mit Gelegenheitsarbeiten. So findet er Anstellung als Hilfsgärtner auf einem Anwesen im englischen Surrey, wo einst ein Schmuckeremit lebte, der sich zu bestimmten Tageszeiten zeigen musste, um die Gäste des Parks mit seinem Anblick zu erfreuen. In der Nähe von Paris besucht er den Garten Samuel Becketts, der auch von Godot hätte stammen können: einfach, streng, traurig, aufopferungsvoll verteidigt gegen jeden einzelnen Maulwurf. In Rom findet er einen einsamen Park namens Monte Caprino, wo die Römer einst Verräter in den Tod stürzten und der heute nur nachts seinen Zauber entfaltet … Auf seinen Reisen durch Europa erfährt Teodor Cerić, dass Gärten die Menschen Demut und Treue lehren. Sie verlangen ständige Aufmerksamkeit von ihrem Besitzer, ihre Schönheit jedoch ist für alle und jeden bestimmt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 106

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Teodor Cerić

Gärten in Zeiten des Krieges

Reiseberichte aus Europa

Herausgegeben von Marco MartellaÜbersetzt von Tobias Scheffel

Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel

»Jardins en temps de guerre« im Verlag Actes Sud.

© Actes Sud 2014

© Verlagsbuchhandlung Liebeskind 2024

© Illustrationen: Anne-Laure Exbrayat

Alle Rechte vorbehalten

Covermotiv: Anne-Laure Exbrayat

Covergestaltung: Robert Gigler, München

eISBN 978-3-95438-179-1

Für Nuccia und Roberto

Bevor ich aber Schluss mache, habe ich die Absicht,unsere Paradiesecke zu preisen, den Teil des Gartens,den der Herr vergessen hat, zu erwähnen.

Derek Jarman

Inhalt

Vorwort – Eine Poesie mit erdverdreckten Händen

1 – Eden und Gethsemane

2 – Das rechte Übermaß

3 – Monte Caprino

4 – Der Garten Godots

5 – Ein Eremit in seinem Garten

6 – Die Gärtner der Tuilerien

7 – Ein abgeschotteter Garten

Coda

Vorwort

Eine Poesie mit erdverdreckten Händen

Im Frühjahr 1992, als die serbische Armee beginnt, Sarajevo zu beschießen, umgeht der damals zweiundzwanzigjährige Literaturstudent Teodor Cerić die Militärblockade und verlässt sein Land. Ohne genaues Ziel reist er durch Europa und lebt von Aushilfsarbeiten, mit denen er sich durchschlägt. Als der Bosnienkrieg 1995 mit dem Abkommen von Dayton endet, streunt er noch weitere zwei Jahre umher, dann kehrt er in seine inzwischen unabhängig gewordene Heimat zurück.

1998 zieht er sich in der Gegend von Sarajevo in ein Haus auf dem Land zurück. Durch das Schreiben von Literaturkritiken für bosnische, österreichische und italienische Zeitungen und Zeitschriften erwirbt er sich eine gewisse Bekanntheit. Fünf Jahre später veröffentlicht er einen Gedichtband mit dem Titel Samo od poetike mo e poezija izdahnuti, der bei der Kritik auf dem Balkan auf große Resonanz stößt und unter dem Titel Seul le poétique peut tuer la poésie* (Nur das Poetische kann die Poesie töten) auf Französisch erscheint. Trotz dieses ermutigenden Echos beschließt Teodor Cerić abrupt – und ohne eine andere Begründung anzuführen als seine mit dem Alter zunehmende Faulheit –, nichts mehr zu schreiben oder zu veröffentlichen. Sein einziges Werk, so erklärt er in seinem letzten Artikel für den Standard, soll von nun an sein Garten sein, den er seit einigen Jahren bestellt.*

Zum ersten Mal von Cerić erzählt hat mir ein befreundeter Schriftsteller, Alessandro Iovinelli, der seine Gedichte ins Italienische übersetzte. Er sagte mir, er gehöre zu den wenigen Privilegierten, die Cerićs Garten besichtigt hätten, als der Dichter ihn einmal zu sich eingeladen habe, um über seine Übersetzungen zu sprechen. Er beschrieb mir den Garten als eine Art kleinen Dschungel, verloren inmitten von Getreidefeldern, den man durch ein Gewirr von Bäumen voller exotisch aussehender Früchte, Farnen und Lianen betrete. Aber da er kein Gartenkenner war, konnte er mir nicht viel mehr sagen.

Das war jedoch ausreichend, um mein Bedürfnis zu wecken, Cerić kennenzulernen und, warum nicht, einen seiner Texte in der Zeitschrift Jardins zu veröffentlichen, die ich für die Éditions du Sandre herausgebe. Mein Freund hatte mich vorgewarnt, es sei sehr unwahrscheinlich, dass Cerić einwilligen würde. Als ich ihn 2011 kontaktierte, um ihn um einen Artikel zum Thema »Zeit« zu bitten, war ich daher überrascht, als ich eine positive Antwort bekam. In den darauffolgenden Monaten schickte er mir mehrere Texte und ließ mir alle Freiheit, den auszuwählen, der am besten passte.

Ich entdeckte, dass sie ein zusammenhängendes Ganzes bildeten, eine Art Bildungsroman*, der es zuließ, zwischen den Zeilen das Leben ihres Autors während der Jahre seines Herumstreifens zu lesen, als sein Land im Krieg unterging. Man erahnt darin den Weg, der den ehemaligen Studenten aus Sarajevo nach und nach zu einer – wie mehrere Literaturkritiker schrieben – als romantisch** zu bezeichnenden Vorstellung von Natur geführt hat und zu seiner besonderen Vision eines Gartens. So kam zwangsläufig die Idee auf, die Texte in eine chronologische Reihenfolge zu bringen und in einem Band zu vereinen. Es war nicht einfach, Teodor davon zu überzeugen, aber schließlich willigte er ein. »Na gut, machen Sie, wenn Ihnen so daran liegt«, schrieb er mir am Ende eines langen Mailwechsels. »Ich hätte nur die Bitte, dass Sie diese manierierten Titel vermeiden, die Gartenbücher oft haben. Nennen Sie es einfach Gärten in Zeiten des Krieges.«

Er hat mir auch erlaubt, seine Texte mit einigen Aquarellen zu illustrieren, die er damals gemalt hat und mit denen er, wie er sagte, nichts mehr anzufangen wusste. Es sind kaum mehr als Skizzen. Versuche, mit denen der junge Mann versuchte, Details festzuhalten, die ihm in den von ihm entdeckten Gärten aufgefallen waren. Details, die in seinen Augen sicherlich den Geist des Ortes enthielten, ihren genius loci.

Dieses Buch ist also das erste Werk von Teodor Cerić, das seit 2003 veröffentlicht wurde.

Auf den folgenden Seiten wird der Leser berühmte Gärten entdecken wie die Tuilerien oder Painshill Park, aber auch weniger bekannte Orte, am Rande der menschlichen Gesellschaft, bisweilen an der Grenze dessen, was man »Garten« nennt. Ihnen allen gemein ist ihre Fähigkeit, dem Einzelnen einen Zufluchtsort zu bieten, in den der Lärm der außerhalb ihrer Mauern dröhnenden Geschichte nur als fernes Echo dringt. Einfriedungen, in denen die Welt endlich bewohnbar wird.

Marco Martella

* Aporija, Paris, 2007

* Teodor Cerić, »Garten oder Dichtung?«, in: Der Standard, 6. März 2006

* Deutsch im Original

** »Und was ist über die bäuerlich einfache und ganz entschieden jedem Lyrismus fremde Romantik eines Teodor Cerić zu sagen?«, in: Pia Petersen, »Die Welt booten. Poesie und Dissidenz heute«, Le Matricule des Anges, März 2009

1

Eden und Gethsemane

Alles begann vor etwa zwanzig Jahren, 1994, als ich schon einige Zeit den europäischen Kontinent durchreiste.

Damals wohnte ich in London und arbeitete im Hafen als Lagerarbeiter. Eines Abends sah ich in einem Programmkino einen seltsamen Film mit dem Titel The Garden, der drei oder vier Jahre zuvor in die Kinos gekommen war. Über den Filmemacher, Derek Jarman, wusste ich nichts, abgesehen davon, dass er gerade an Aids gestorben war. Die Krankheit, die damals noch in peinliches Schweigen gehüllt wurde, war Thema des Spielfilms, den ein Filmkritiker als »filmisches Testament« bezeichnet hatte. Der fragliche Garten war eine Art idyllische Welt, ein ideales Eden, ein goldenes Zeitalter der Erotik und Liebe, dem die beiden männlichen Hauptfiguren durch die Krankheit entrissen worden waren. Von Zeit zu Zeit tauchten im Film Bilder eines realen Gartens auf – ein mitten in einer verlassenen Heidelandschaft angelegtes Karree, das vor allem bei Nacht gefilmt wurde –, erschreckende, fast halluzinierte, elektrische Bilder.

»Ich glaube, das ist Jarmans Garten«, hatte mir die junge Frau, die mich begleitete, ins Ohr geflüstert.

Am nächsten Tag ging ich in die Bibliothek des Stadtteils, in dem ich wohnte, um Filmzeitschriften durchzusehen, und las ein paar Artikel, die sich mit den letzten Lebensjahren Jarmans beschäftigten. Ich erfuhr, dass sich sein Garten, Prospect Cottage, in Kent befand, etwa hundert Kilometer von London entfernt, in einem Ort namens Dungeness. Beim Betrachten der Fotos von dem Flecken überkam mich der Wunsch, ihn mit eigenen Augen zu sehen. Als spürte ich, dass mich von dort etwas rief und ich eine Antwort bekommen würde, eine Antwort auf Fragen, die ich noch nicht formulieren konnte.

So fasste ich eines Frühlingsmorgens einen Entschluss. Ich begab mich zur Victoria Station und nahm einen Zug nach Kent. Was würde ich dort vorfinden? Was war aus dem Garten geworden, jetzt, wo sein Gärtner gestorben war? Ein schlichter Erinnerungsort? Ein Grabmal?

O nein, Prospect Cottage war alles andere als das.

Der Garten quoll über von Leben und der Tod war allgegenwärtig.

*

In der letzten Stadt vor Dungeness hatte ich ein Fahrrad geliehen. Während ich auf der leeren Landstraße dahinradelte, erkannte ich nach ein oder zwei Stunden, kurz nachdem ich an einem gewaltigen Kernkraftwerk vorbeigekommen war, das sich inmitten der Heidelandschaft erhob und das ich meiner Erinnerung nach im Film nicht gesehen hatte, von Weitem den Garten. Ein Fleck aus kräftig leuchtenden Farben, eine Blütenfülle, die selbst unter dem grauen Himmel erstrahlte und die sich um ein teergeschwärztes Holzhaus zog.

Ich ließ mein Fahrrad am Straßenrand zurück, hoffte, dass niemand im Haus wäre, und trat näher. Keine Menschenseele zu sehen. Das Tosen des Windes mischte sich mit dem des Meeres, das unsichtbar jenseits der Dünen lag. Fasziniert ging ich um das Anwesen herum, ohne zu wagen, in den Garten einzudringen, den keine Mauer, keine Hecke vor ungebetenen Gästen schützte.

Ich kannte mich mit Gärten nicht sonderlich gut aus, aber spürte vage, dass in diesem Fehlen einer Umzäunung etwas Regelwidriges lag, eine Abweichung. Wer diese wenigen Dutzend Quadratmeter Erde bepflanzt hatte, hatte nicht einmal den Versuch unternommen, die unschöne Aussicht auf die Umgebung zu verbergen. Etwa den Blick auf das Kernkraftwerk, dessen graue Masse immer noch zu sehen war, oder auf die trübselige Weite der öden Heide von Dungeness, die nur von ein paar ärmlichen Fischerbungalows durchsetzt war. Und welcher Gärtner hätte nicht damit begonnen, eine Mauer zu errichten, um den Garten vor dem Wind zu schützen?

Soweit ich verstanden hatte, war Derek Jarman als Künstler wie als Mensch für seinen ikonoklastischen Charakter bekannt. Genau wie er gern cineastische Regeln umstürzte, muss er Freude daran gehabt haben, gegen die Usancen der Gartenarbeit zu verstoßen … Aber nein, in jener totalen Öffnung des Gartens auf die umgebende Landschaft hin lag etwas Tieferes, das mich berührte, ohne dass ich hätte sagen können, warum. Mir schien, dass dieser allen Winden ausgesetzte Ort ein Geheimnis verbarg, wie ein Gedicht, das wir nicht ganz verstehen, bei dessen Lektüre wir aber spüren, dass es gerade unser Leben verändert.

Das Fehlen einer Umzäunung war nicht das einzig Sonderbare dieses Ortes. Prospect Cottage ähnelte keinem anderen Garten, den ich bis dahin gesehen hatte. Aufgerichtete Feuersteine schufen geometrische Figuren, Vierecke und vor allem Kreise, die seltsame Steinbeete bildeten. Die Fläche war mit unzähligen Pfählen aus Treibholz übersät, sicher am nahe gelegenen Strand gesammelt, die mit Kieselsteinen, verrosteten Eisenstücken oder Muscheln verziert worden waren. In mein Notizbuch schrieb ich: »Wie die Kreuze auf einem Friedhof …« Die Blumen aber waren überall, standen in üppigen Beeten oder einzeln, inmitten der Kiesel. Sie umringten das Haus, wie um es zu schützen, schwach, bereit, sich unter dem Wind zu biegen, aber entschlossen. Und sie linderten das Gefühl der Angst, das die Kreuze und das ganze Altmetall hervorriefen, wandelten es in Freude. Ich hatte den Eindruck, dass die Feuersteine und das Treibholz das Skelett des Gartens bildeten, und die Blumen waren sein Fleisch. Ein gemartertes, aber widerstandsfähiges Fleisch, das in der Jugend des Frühlings voller Leben war.

*

Hier nun die Geschichte von Prospect Cottage. Ich habe sie mithilfe der in Filmzeitschriften gesammelten Artikel und später durch die Lektüre der Passagen rekonstruiert, die Derek Jarman in seinen letzten Werken * seinem Garten widmete, aber auch durch ständiges Mich-Zurückversetzen an diesen so unwahrscheinlichen Ort. Tatsächlich habe ich nach meinem Besuch in Dungeness in den Jahren meines Umherziehens durch Europa häufig an diesen Mann gedacht, den ich nie kennengelernt habe und der mir schließlich vertraut wurde. So vertraut wie ein alter Freund oder ein älterer Bruder, der mir immer viel beibringen könnte, denn was ich erlebte, hatte er schon lange vor mir erlebt.

Jarman kaufte das Cottage, das er bei einer Autoreise durch Südengland zufällig entdeckt hatte, 1986, als er erfuhr, dass er HIV-positiv ist.

Das karge Heideland eignete sich kaum für das Anlegen eines Gartens. Der Boden bestand fast ausschließlich aus Steinen und Schutt. Nur ein paar Gräser, die eigensinniger waren als alle anderen und denen sehr wenig Erde genügte, überlebten in dieser unwirtlichen Umgebung. Und dann war da die Krankheit, Jarmans Bewusstsein, dass er nur noch eine Schonfrist hatte. Man muss kein Fachmann sein, um zu wissen, dass ein Garten Zeit braucht, dass Bäume Dutzende von Jahren brauchen, um zu wachsen. Aber Jarman wusste auch, dass das Gärtnern ein Bekenntnis zur Zukunft ist, blind wie jedes Glaubensbekenntnis. Warum es nicht versuchen? Dann eben keine Bäume. Und es gab eine ganze Palette von Pflanzen, die in der Lage waren, die Rauheit des Ortes zu überleben. Zum Beispiel diejenigen, die es an Ort und Stelle bereits gab, wie der Meerkohl, der sich im Juni mit Hunderten weißer, nach Honig duftender Blüten überzog.

Im Wissen, dass ihm nur wenig Zeit blieb, begann er also zu gärtnern, mit der Gartenschere und der Pflanzschaufel seiner Jugend, die er zufällig in einer Kiste in seiner Londoner Wohnung gefunden hatte. Wenn er mit den Händen wieder in der Erde wühlte, würde er vielleicht die Glückseligkeit seiner ersten Gärten wiederfinden, deren Erinnerung ihn nie verlassen hatte. Als Gärtner würde er auch die Zeit hinterfragen, hartnäckiger noch, als er es als Künstler tat. Er würde das Geheimnis jener äußersten Grenze des Lebens erkunden, die man gewöhnlich Tod nennt und die nur eine Facette jenes anderen, noch größeren Geheimnisses ist: die der Abfolge der Jahreszeiten, die mit unabwendbarer Regelmäßigkeit voraussieht, dass der Frühling auf den Winter folgt, dass die Pflanzen erblühen, um danach zu vergehen. Und dass danach alles wieder von vorn beginnt.