Gebrandmarkt - Ibram X. Kendi - E-Book

Gebrandmarkt E-Book

Ibram X. Kendi

0,0
14,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wenn Sie Amerikaner sind und schwarz, dann ist ihre Chance, von der Polizei erschossen zu werden, höher als wenn sie weiß sind. 21-mal höher. Obwohl die USA sich rühmen, ein post-rassistisches Land zu sein und sogar einen farbigen Präsidenten gewählt haben, sitzt der Rassismus tief. Dieses zornige Buch ist die Geschichte einer nationalen Schande – so intensiv, dass es weh tut.
In einer rasanten Tour de Force erzählt der junge amerikanische Historiker Ibram X. Kendi die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika – von den Puritanern bis zu Black Lives Matter. Er zeigt, dass der Rassismus nicht nur aus den trüben Quellen von Ignoranz und Hass aufsteigt, sondern von Anfang an dazu diente, Diskriminierung zu rechtfertigen und plausibel zu machen. Sein Buch führt uns durch eine erschreckende Geschichte voller Gewalt, Dummheit und Arroganz. Die Vorstellung, dass Schwarze minderwertig sind und selber schuld an ihrer schlechten Lage, hat sich so tief in die kulturelle DNA der Vereinigten Staaten eingeschrieben, dass der Rassismus bis heute allgegenwärtig ist – das ist die bittere Bilanz dieses brillanten Buches.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ibram X. Kendi

GEBRANDMARKT

Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika

Aus dem Amerikanischen übersetztvon Susanne Röckel und Heike Schlatterer

C.H.Beck

Zum Buch

Obwohl die USA sich gern rühmen, ein post-rassistisches Land zu sein, sitzt der Rassismus tief. In einer rasanten Tour de Force erzählt der junge Historiker Ibram X. Kendi die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika. Schonungslos schildert er, wie Ignoranz, Hass und Gewalt den Umgang der Weißen mit den Schwarzen von Anfang an geprägt haben und Diskriminierungen bis heute allgegenwärtig sind. Sein zorniges Buch blättert das dunkelste Kapitel der amerikanischen Geschichte auf und wurde 2016 dafür mit dem National Book Award für das beste Sachbuch des Jahres ausgezeichnet.

«Fesselnd und unerbittlich.» Washington Post

Über den Autor

Ibram X. Kendi ist Professor für Geschichte und Internationale Beziehungen an der American University in Washington, D. C. und Gründungsdirektor des Antiracist Research and Policy Center. Für sein Buch «Gebrandmarkt. Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika» erhielt er 2016 den National Book Award.

Inhalt

Prolog

Teil I:COTTON MATHER

Kapitel 1: Menschliche Rangordnung

Kapitel 2: Ursprünge rassistischer Ideen

Kapitel 3: Ankunft in Amerika

Kapitel 4: Seelen retten, nicht Körper

Kapitel 5: Jagd auf Schwarze

Kapitel 6: Die große Erweckung

Teil II: THOMAS JEFFERSON

Kapitel 7: Aufklärung

Kapitel 8: Schwarze zum Vorzeigen

Kapitel 9: Gleich geschaffen

Kapitel 10: Verbesserung durch Selbstverbesserung

Kapitel 11: Dicke Hintern

Kapitel 12: Kolonisation

Teil III: WILLIAM LLOYD GARRISON

Kapitel 13: Schrittweise Gleichstellung

Kapitel 14: Tierhaft oder zivilisiert

Kapitel 15: Seele

Kapitel 16: Die drohende Krise

Kapitel 17: Der Große Befreier

Kapitel 18: Bereit für die Freiheit?

Kapitel 19: Die Rekonstruktion der Sklaverei

Kapitel 20: Die Rekonstruktion der Schande

Teil IV: W.E.B. DU BOIS

Kapitel 21: Den Süden erneuern

Kapitel 22: Schrecken des Südens

Kapitel 23: Schwarze Verräter

Kapitel 24: Große weiße Hoffnungen

Kapitel 25: Die Geburt einer Nation

Kapitel 26: Überzeugung durch die Medien

Kapitel 27: Der Old Deal

Kapitel 28: Freiheit als Marke

Kapitel 29: Massiver Widerstand

Teil V: ANGELA DAVIS

Kapitel 30: Bürgerrechte

Kapitel 31: Black Power

Kapitel 32: Law and Order

Kapitel 33: Reagans Drogen

Kapitel 34: Die Neuen Demokraten

Kapitel 35: Die Neuen Republikaner

Kapitel 36: Zu 99,9 Prozent gleich

Kapitel 37: Der außergewöhnliche Neger

Epilog

Dank

Anmerkungen

Prolog

TEIL I COTTON MATHER

Kapitel 1: Menschliche Rangordnung

Kapitel 2: Ursprünge rassistischer Ideen

Kapitel 3: Ankunft in Amerika

Kapitel 4: Seelen retten, nicht Körper

Kapitel 5: Jagd auf Schwarze

Kapitel 6: Die große Erweckung

TEIL II THOMAS JEFFERSON

Kapitel 7: Aufklärung

Kapitel 8: Schwarze zum Vorzeigen

Kapitel 9: Gleich geschaffen

Kapitel 10: Verbesserung durch Selbstverbesserung

Kapitel 11: Dicke Hintern

Kapitel 12: Kolonisation

TEIL III WILLIAM LLOYD GARRISON

Kapitel 13: Schrittweise Gleichstellung

Kapitel 14: Tierhaft oder zivilisiert

Kapitel 15: Seele

Kapitel 16: Die drohende Krise

Kapitel 17: Der Große Befreier

Kapitel 18: Bereit für die Freiheit?

Kapitel 19: Die Rekonstruktion der Sklaverei

Kapitel 20: Die Rekonstruktion der Schande

TEIL IV W. E. B. DU BOIS

Kapitel 21: Den Süden erneuern

Kapitel 22: Schrecken des Südens

Kapitel 23: Schwarze Verräter

Kapitel 24: Große weiße Hoffnungen

Kapitel 25: Die Geburt einer Nation

Kapitel 26: Überzeugung durch die Medien

Kapitel 27: Der Old Deal

Kapitel 28: Freiheit als Marke

Kapitel 29: Massiver Widerstand

TEIL V ANGELA DAVIS

Kapitel 30: Bürgerrechte

Kapitel 31: Black Power

Kapitel 32: Law and Order

Kapitel 33: Reagans Drogen

Kapitel 34: Die Neuen Demokraten

Kapitel 35: Die Neuen Republikaner

Kapitel 36: Zu 99,9 Prozent gleich

Kapitel 37: Der außergewöhnliche Neger

Epilog

Personenregister

To the lives they said don’t matter

Prolog

Jeder Historiker schreibt zu einem bestimmten geschichtlichen Zeitpunkt und ist von dessen Auswirkungen betroffen. Mein Zeitpunkt, der Zeitpunkt dieses Buches, fällt mit den Tötungen unbewaffneter Menschen durch Polizeibeamte zusammen, die man in den Medien zum Teil in Echtzeit miterleben konnte, und mit der plötzlich zunehmenden Bedeutung der Bewegung #BlackLivesMatter im Verlauf von Amerikas stürmischsten Nächten. Irgendwie schaffte ich es, dieses Buch zu schreiben, während Trayvon Martin und Rekia Boyd und Michael Brown und Freddie Gray und die Charleston 9 und Sandra Bland litten und starben; ihr Leiden und ihr Tod sind das Resultat der amerikanischen Geschichte und der rassistischen Ideen in den Köpfen der Menschen, genau wie dieses Buch der Geschichte rassistischer Ideen das Resultat dieser Todesfälle ist.

Zwischen 2010 und 2012 war nach staatlichen Statistiken die Wahrscheinlichkeit, von der Polizei getötet zu werden, in der Gruppe der jungen schwarzen Männer einundzwanzigmal höher als in der Gruppe der jungen weißen Männer. Das noch viel zu wenig dokumentierte und zu wenig analysierte ethnisch bedingte Missverhältnis bei den verschiedenen Gruppen der weiblichen Opfer tödlicher Polizeigewalt könnte sogar noch größer sein. Staatliche Daten zeigen, dass die durchschnittliche Finanzkraft weißer Haushalte die durchschnittliche Finanzkraft schwarzer Haushalte sage und schreibe um das Dreizehnfache übersteigt; und die Wahrscheinlichkeit eines Gefängnisaufenthalts ist bei Schwarzen fünfmal höher als bei Weißen.[1]

Doch diese Statistiken sind kaum überraschend. Die meisten Amerikaner sind sich wahrscheinlich dieser ethnischen Ungleichheiten bei Polizeimorden, bei den Vermögensverhältnissen und den Gefängnisaufenthalten – in fast jedem Bereich der Gesellschaft der Vereinigten Staaten – bewusst. Unter ethnischer Ungleichheit verstehe ich, dass ethnische Gruppen statistisch nicht gemäß ihrem Anteil an der Bevölkerung repräsentiert sind. Wenn Schwarze 13,2 Prozent der US-Bevölkerung ausmachen, dann sollten etwa 13 Prozent der Amerikaner, die von der Polizei getötet werden, und etwa 13 Prozent der Amerikaner, die im Gefängnis sitzen, Schwarze sein, und sie sollten über etwa 13 Prozent der privaten Finanzkraft des Landes verfügen. Aber heute sind die Vereinigten Staaten weit entfernt von ethnischer Gleichheit. Afroamerikaner besitzen 2,7 Prozent des nationalen Vermögens und machen 40 Prozent der inhaftierten Bevölkerung aus. Das sind ethnische Unterschiede, und ethnische Unterschiede sind älter als die Vereinigten Staaten.[2]

2016 feierten die USA ihren 240. Geburtstag. Doch sogar schon bevor Thomas Jefferson und die anderen Gründerväter die Unabhängigkeit erklärten, stritten sich Amerikaner heftig über ethnische Ungleichheit, über die Ursachen ihrer Existenz und ihres Fortbestehens und über die Gründe dafür, dass weiße Amerikaner als Gruppe statistisch gesehen erfolgreicher waren als schwarze Amerikaner. Historisch gesehen hat es in dieser hitzigen Debatte drei Seiten gegeben. Eine Gruppe, nennen wir sie Segregationisten oder Anhänger der Rassentrennung, hat die Schwarzen selbst für die ethnische Ungleichheit verantwortlich gemacht. Eine zweite Gruppe, nennen wir sie Anti-Rassisten, verwies auf ethnische Diskriminierung. Eine dritte Gruppe, nennen wir sie Assimilationisten, hat versucht, Argumente für beide Seiten zu finden. Diese Gruppe sagte, dass die Schwarzen selbst und die ethnische Diskriminierung schuld seien an der bestehenden Ungleichheit. In der aktuellen Debatte über die Polizeimorde waren alle drei Seiten vertreten. Die Segregationisten haben das rücksichtslose kriminelle Verhalten der Schwarzen angeprangert, die von den Polizisten getötet wurden. Michael Brown war ein monströser, bedrohlicher Dieb; deshalb hatte Darren Wilson allen Grund, ihn zu fürchten und zu töten. Die Anti-Rassisten gaben dem rücksichtslos rassistischen Verhalten der Polizei die Schuld. Das Leben dieses dunkelhäutigen Achtzehnjährigen hatte für Darren Wilson keine Bedeutung. Die Assimilationisten haben versucht, beiden Seiten recht zu geben. Sowohl Wilson wie auch Brown verhielten sich wie verantwortungslose Kriminelle.

Diese drei Argumentationsansätze, die man in den letzten Jahren hören konnte, werden sich in meinem Buch ständig wiederholen. Fast sechs Jahrhunderte lang mussten antirassistische Ideen gegen zwei Hauptströmungen rassistischer Vorstellungen kämpfen: segregationistische und assimilationistische. Die Geschichte rassistischer Ideen, die Sie hier lesen, ist die Geschichte dieser drei verschiedenen Stimmen – der Segregationisten, der Assimilationisten und der Anti-Rassisten –, die auf ihre je eigene Weise ethnische Ungleichheit zu erklären versuchten und Gründe dafür ins Feld führten, warum Weiße immer auf der Gewinnerseite blieben und Schwarze immer verloren.

Der Titel Gebrandmarkt stammt aus einer Rede, die ein Abgeordneter aus Mississippi, Jefferson Davis, am 12. April 1860 vor dem amerikanischen Senat hielt. Bald darauf sollte Davis Präsident der Südstaaten sein. In seiner Rede erhob er Einspruch gegen ein Gesetz zur Finanzierung von Bildung für Schwarze in Washington, D. C. «Diese Regierung wurde nicht von Negern und nicht für Neger geschaffen», sondern «von weißen Männern für weiße Männer», belehrte er seine Kollegen. Das Gesetz gründe auf der falschen Vorstellung von rassischer Gleichstellung, erklärte er. Die «Ungleichheit der weißen und der schwarzen Rasse» sei «ein Brandmal von Geburt an».[3]

Es überrascht kaum, dass Jefferson Davis schwarze Menschen als biologisch verschieden und weißen Menschen unterlegen ansah – und schwarze Haut als einen hässlichen Stempel auf der schönen weißen Fläche «normaler» menschlicher Haut – und dieser schwarze Stempel war das Zeichen der immerwährenden Minderwertigkeit des Negers. Es fällt nicht schwer, diese Art segregationistischen Denkens als offensichtlich rassistisches Denken zu bestimmen – und zu verurteilen. Und doch gab es viele prominente Amerikaner mit sehr guten Absichten, die assimilationistisch dachten und mit diesem Denken ebenfalls rassistischen Überzeugungen über die Minderwertigkeit von Schwarzen den Weg bereiteten. Wir erinnern uns gern an den glorreichen Kampf der Assimilationisten gegen ethnische Diskriminierung, aber wir scheuen davor zurück, davon zu reden, dass sie auf sehr wenig glorreiche Art das angeblich minderwertige schwarze Verhalten für ethnische Ungleichheit verantwortlich machten. Sie akzeptierten die biologische ethnische Gleichheit und verwiesen gleichzeitig auf die Umwelt – das heiße Klima, Diskriminierung, Kultur und Armut – als Ursachen des minderwertigen schwarzen Verhaltens. Wenn man sie nach einer Lösung fragt, sind sie der Meinung, dass der hässliche schwarze Stempel ausradiert werden und minderwertiges schwarzes Verhalten unter günstigen Bedingungen durchaus zu Höherem entwickelt werden kann. Daher propagieren Assimilationisten die Übernahme von weißen kulturellen Merkmalen und/oder körperlichen Idealen durch Schwarze. In seiner wegweisenden Arbeit über die Beziehung zwischen Schwarzen und Weißen, die nach der einhelligen Meinung fast aller Forscher ein starker Impuls für die Bürgerrechtsbewegung gewesen ist, schreibt der schwedische Ökonom und Nobelpreisträger Gunnar Myrdal 1944: «Es ist für die amerikanischen Neger als Individuen und als Gruppe von Vorteil, sich der amerikanischen Kultur zu assimilieren und jene Wesenszüge anzunehmen, die von den dominanten weißen Amerikanern hochgeschätzt werden.» In seinem Buch An American Dilemma erklärt er, dass «die amerikanische Negerkultur in praktisch all ihren Abweichungen … als eine verzerrte Entwicklung oder ein pathologischer Daseinszustand der allgemeinen amerikanischen Kultur» anzusehen sei.[4]

Doch es gibt und es gab immer auch eine anhaltende Strömung von antirassistischem Denken in diesem Land, das jene assimilationistischen und segregationistischen Strömungen infrage stellte und für die Wahrheit hoffen ließ. Anti-Rassisten sagen schon lange, dass ethnische Diskriminierung den Anfängen Amerikas aufgestempelt war, was erklärt, warum ethnische Ungleichheit seit damals besteht. Anders als Segregationisten und Assimilationisten erkennen Anti-Rassisten an, dass die unterschiedliche Beschaffenheit von Haut, Haar, Verhaltensweisen und kulturellen Eigenheiten von Schwarzen und Weißen sich auf dem gleichen Niveau befindet und sie gleich sind in ihrer Verschiedenheit. Wie die legendäre schwarze lesbische Dichterin Audre Lorde 1980 in einer Rede sagte: «Wir haben keine Modelle dafür, wie wir über unsere menschlichen Unterschiede hinaus als Gleiche miteinander in Verbindung treten.»[5]

Rassistische Ideen waren nie einfach oder klar oder vorhersagbar, sie haben ihre Geschichte. Sie sind für Generationen von Amerikanern das Natürlichste und Nächstliegende gewesen, sie wurden zum Common Sense. Die schlichte Logik rassistischer Ideen hat Millionen Menschen über Jahrzehnte hinweg manipuliert und die Wahrnehmung der komplexeren Realität immer wieder verhindert. Und deshalb konnte diese Geschichte nicht als einfache Story geschrieben werden, in der von Hollywood vertrauten Art eines Zweikampfs zwischen dem offensichtlich Guten und dem offensichtlich Bösen, bei dem das Gute am Ende triumphiert. Von Anfang an ist es ein dreiseitiger Kampf gewesen, ein Kampf von antirassistischen Ideen, denen zwei Arten von rassistischem Gedankengut gegenüberstehen, mit Bösem und Gutem, das am Ende scheitert und triumphiert. Sowohl segregationistische wie assimilationistische Ideen wurden in attraktive Argumente verpackt, damit sie gut aussahen, und dann wurde dafür gesorgt, dass antirassistische Ideen so verpackt wurden, dass sie böse aussahen. Und indem sie ihre Ideen hinter einer Menge Herzensgüte versteckten, haben Segregationisten und Assimilationisten ihrem rassistischen Publikum gegenüber ihre wahren Ziele und Gedanken nur selten eingestanden. Warum sollten sie das auch tun? Rassisten, die sich zu ihrem Rassismus bekennen, würden sich ins eigene Fleisch schneiden. Es ist immer klüger und entlastender gewesen, das Gegenteil zu behaupten. Die wenigsten Kriminellen räumen ein, dass sie Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Und die schlauesten und mächtigsten schwarzenfeindlichen Kriminellen haben ihre verbrecherischen Aktivitäten legalisiert; sie sind mit der Behauptung durchgekommen, ihre Verbrechen – Sklavenhandel und Sklaverei, Diskriminierung und Mord – stünden außerhalb von Recht und Strafe. Genauso sind die schlauesten und mächtigsten rassistischen Ideologen mit der Behauptung durchgekommen, ihre Gedanken hätten mit Rassismus nichts zu tun. Eigentlich waren es Assimilationisten, die den Begriff «Rassismus» in den 1940er-Jahren zuerst benutzten, definierten und populär machten. Doch sie dachten nicht daran, ihre eigenen assimilationistischen Ideen des minderwertigen Verhaltens von Schwarzen als rassistisch zu definieren. Für diese Assimilationisten waren nur segregationistische Ideen der biologischen Minderwertigkeit von Schwarzen rassistisch. Doch auch Segregationisten wollten nie als «Rassisten» bezeichnet werden. Sie behaupteten, nur Gottes Wort zu verkünden, sich an den Gesetzen der Natur zu orientieren, der wissenschaftlichen Wahrheit zu folgen oder dem guten alten gesunden Menschenverstand.[6]

All diese dem eigenen Interesse dienenden Bemühungen mächtiger Gruppen und Parteien, ihre rassistische Rhetorik als nichtrassistisch zu verkaufen, führten dazu, dass Amerikaner in dieser Frage tief gespalten sind und nicht wissen, was rassistische Ideen eigentlich sind. Sie führten dazu, dass Amerikaner, die glauben, dass an schwarzen Menschen irgendetwas nicht stimmt, bestreiten, Rassisten zu sein. Aber wenn man sagt, an einer Gruppe von Menschen stimmt etwas nicht, sagt man, dass diese Gruppe von Menschen Mängel aufweist und also weniger wert ist. Diese Glaubenssätze sind logisch miteinander verbunden, ob das die Amerikaner wahrhaben wollen oder nicht, ob sie es eingestehen wollen oder nicht. Eine umfassende Geschichte rassistischer Ideen muss sich mit permanenter Manipulation und Verwirrung auseinandersetzen, muss klare Unterscheidungen treffen zwischen denjenigen, die rassistische Ideen befürworten, und denjenigen, die das nicht tun. Meine Definition einer rassistischen Idee ist einfach: Es ist jegliche Vorstellung, die eine bestimmte ethnische Gruppe als einer anderen ethnischen Gruppe unterlegen oder überlegen betrachtet. Ich definiere schwarzenfeindliche rassistische Ideen – den Gegenstand dieses Buches – als Vorstellungen und Gedanken jeder Art, nach denen schwarze Menschen oder eine Gruppe schwarzer Menschen in irgendeiner Weise geringerwertig sind als eine andere ethnische Gruppe von Menschen.

Wie die anderen bestimmbaren Ethnien sind Schwarze in Wahrheit eine Ansammlung von Gruppen, die sich durch Geschlecht, ökonomische Schicht, Volkszugehörigkeit, Sexualität, Kultur, Hautfarbe, Beruf und Nationalität unterscheiden – neben einer Reihe anderer Merkmale, auch bezüglich biethnischer Menschen, die man als schwarz oder nichtschwarz bezeichnen kann. Jede einzelne identifizierbare Gruppe von Schwarzen ist dem unterworfen, was die Kritikerin des strukturellen Rassismus, Kimberlé Crenshaw, «Intersektionalität» genannt hat – dem Vorurteil, das aus der Verknüpfung von rassistischen Ideen und anderen Formen mehr oder weniger fanatischer Borniertheit wie Sexismus, Klassismus, Ethnozentrismus und Homophobie stammt. Zum Beispiel sind sowohl die sexistische Auffassung, wonach eine «richtige» Frau nur schwach sein kann, als auch die rassistische Vorstellung, wonach schwarze Frauen keine «richtigen» Frauen sind, bei der Entstehung des sexistisch-rassistischen Bildes der starken schwarzen Frau beteiligt, die weniger wert ist als die schwache weiße Frau, das Musterbild der Weiblichkeit. Anders gesagt: Frauen als Gruppe dumm zu nennen ist Sexismus. Schwarze als Gruppe dumm zu nennen ist Rassismus. Schwarze Frauen als Gruppe dumm zu nennen ist sexistischer Rassismus. Solche Verknüpfungen haben auch zu rassistischen Vorstellungen über Schichten und Klassen geführt (was eine Abwertung armer Schwarzer und schwarzer Eliten bedeutet), zu rassistischen Ideen über schwarze Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle und zu der ebenfalls rassistischen Vorstellung einer Hierarchie der schwarzen ethnischen Gruppen, um nur einige zu nennen. Umfassende Geschichtswerke über rassistisches Gedankengut haben sich bisher meist nur mit dem Rassismus gegen Schwarze im Allgemeinen beschäftigt und die intersektionellen Vorstellungen vernachlässigt, die sich auf spezifische schwarze Gruppen richteten – oder auf schwarze Orte, wie etwa schwarze Wohngegenden oder Nachbarschaften, schwarze Schulen, schwarze Geschäftsfelder oder schwarze Kirchen. Gebrandmarkt beschäftigt sich mit beidem – dem Allgemeinen wie auch den spezifischen Formen assimilationistischer und segregationistischer Ideen.[7]

Gebrandmarkt erzählt die gesamte Geschichte rassistischer Ideen, von ihren Ursprüngen im Europa des 15. Jahrhunderts, über die Kolonialzeit, als die ersten britischen Siedler rassistische Vorstellungen nach Amerika brachten, bis zum 21. Jahrhundert und den aktuellen Debatten über die Ereignisse, die auf unseren Straßen stattfinden. Fünf hauptsächliche Persönlichkeiten werden uns als Reiseführer dienen, wenn wir die Landschaft der rassistischen Ideen in fünf Epochen der US-amerikanischen Geschichte erforschen. Im ersten Jahrhundert Amerikas waren rassistische theologische Vorstellungen wesentlich notwendig, um die Sklaverei im Land zu sanktionieren und sie für christliche Religionsgemeinschaften annehmbar werden zu lassen. Diese Ideen kommen in den Reden des größten Predigers und Intellektuellen des frühen Amerika zum Ausdruck, des frommen Cotton Mather (1663–1728) aus Boston, unserem ersten Reiseführer. Cotton Mather war Namensvetter und Enkel zweier intellektueller Wegbereiter Neuenglands, John Cotton und Richard Mather, puritanische Prediger, die dazu beitrugen, dass zweihundert Jahre alte rassistische Vorstellungen aus Europa den Atlantik überquerten. Um die amerikanische Sklaverei zu untermauern und um Gleichgesinnte zu gewinnen, predigte Cotton Mather die rassische Ungleichheit der Körper, während er beharrlich behauptete, dass die dunklen Seelen versklavter Afrikaner weiß werden würden, wenn sie sich zum Christentum bekehrten. Seine Schriften und Predigten wurden in den Kolonien viel gelesen, aber auch in Europa rezipiert, wo die Vorläufer der wissenschaftlichen Revolution – und dann der Aufklärung – Freiheit, Zivilisation, Vernunft und Schönheit zu einer rassischen und weißen Angelegenheit machten. Während der Amerikanischen Revolution und danach, in den Jahren, in denen die amerikanische Sklaverei in ungeheuren Ausmaßen florierte, waren auch Politiker und nichtgeistliche Intellektuelle an der hitzigen Debatte beteiligt, die sie rechtfertigte. Zu diesen Rechtfertigern gehörte einer der mächtigsten Politiker und Intellektuellen der neuen Vereinigten Staaten – unser zweiter Reiseführer, der sklavereifeindliche Anti-Abolitionist Thomas Jefferson (1743–1826).

Jefferson starb, als im 19. Jahrhundert die Bewegung für Emanzipation und Bürgerrechte geboren wurde, eine Bewegung, die zum Teil von dem leidenschaftlichen Aktivisten und Herausgeber der Zeitschrift The Liberator William Lloyd Garrison (1805–1879) initiiert wurde, Reiseführer Nummer drei. Auch Garrisons leidenschaftliche sklavereifeindliche Ideen, die die Amerikaner der Sache der Abolition und der Bürgerrechte für Schwarze gewogen machten, waren zum großen Teil nicht antirassistisch. Er popularisierte den assimilationistischen Gedanken, dass die Sklaverei – oder ganz allgemein die ethnische Diskriminierung – die Schwarzen zu «Tieren» gemacht habe, dass die Unterdrückung ihre Kultur, ihre Psychologie, ihr Verhalten minderwertig habe werden lassen. Man kann sagen, dass Unterdrücker schwarze Menschen behandelten, als wären sie Barbaren. Doch es ist rassistisch zu sagen, dass die Unterdrücker schwarze Menschen tatsächlich in Barbaren verwandelt hätten. Der erste große, gut ausgebildete schwarze Gelehrte W.E.B. Du Bois (1868–1963), unser vierter Reiseführer, übernahm Garrisons rasstische Gedanken zunächst. Aber er stand auch in der vordersten Front der antirassistischen Ideen und kritisierte den Aufstieg von Jim Crow im späten 19. Jahrhundert. Während seiner langen sagenumwobenen Karriere bis ins 20. Jahrhundert hinein verwandelte sich Du Bois’ Doppelbewusstsein, in dem anfangs sowohl rassistische als auch antirassistische Gedanken vorkamen, wunderbarerweise in ein einziges antirassistisches Bewusstsein. Doch im Laufe dieses Prozesses schwand auch sein Einfluss. In den 1950er- und 1960er-Jahren wurden rassistische Argumente wieder so einflussreich, dass im Gegenzug immer mehr Amerikaner die Bürgerrechtsbewegung unterstützten. Später erstarkten Bürgerrechtsbewegung und Black Power; doch gleichzeitig wurden schwarze alleinerziehende Mütter als Welfare Queens und schwarze Männer, die Widerstand leisteten, als gewalttätige Kriminelle diffamiert, und all das führte nach den Fortschritten der Sechzigerjahre zu einem atemberaubenden rassistischen Backlash, was auch die gerichtliche Verfolgung antirassistischer Aktivisten mit sich brachte. Zu diesen gehörte eine junge Philosophin der University of California in Los Angeles: Angela Davis (*1943). Nachdem sie 1972 von allen Vorwürfen freigesprochen wurde, verbrachte sie die nächsten vier Jahrzehnte damit, sich denjenigen rassistischen Unterdrückern entgegenzustellen, die gelernt hatten, ihre Absichten zu verschleiern, und diejenigen anzuprangern, die Märchen vom Ende des Rassismus verbreiteten, während sie parteiübergreifend die Verschärfung der Verbrechensbekämpfung propagierten und sich für die Privatisierung der Gefängnisse einsetzten, was zu massenhafter Inhaftierung, Gewaltakten und Morden an Schwarzen durch Polizei und Gefängnispersonal führte. Angela Davis wird unsere fünfte und letzte Reiseführerin sein.

Diese wichtigen fünf Persönlichkeiten – Cotton Mather, Thomas Jefferson, William Lloyd Garrison, W.E.B. Du Bois und Angela Davis – waren wohl die konsequentesten prominenten und provokanten Theoretiker der ethnischen Problematik ihrer jeweiligen Zeit. Sie schrieben und sprachen und hielten Vorlesungen über ethnische Vorstellungen und Ideen (wenn auch nicht nur darüber), die so faszinierend wie originell, einflussreich und/oder widersprüchlich waren. Doch Gebrandmarkt besteht nicht nur aus den Biografien dieser Menschen. Ihre komplexen Lebensläufe und einflussreichen Gedanken bilden den Hintergrund der wichtigsten Debatten zwischen Assimilationisten und Segregationisten oder zwischen Rassisten und Anti-Rassisten und somit den Zugang zu diesen Diskussionen und Polemiken, zu dieser verzweigten und vielschichtigen Geschichte.

Gebrandmarkt ist nicht nur die Geschichte des offenen Rassismus, der immer unverhohlener zutage tritt; noch ist es die Geschichte des ethnischen Fortschritts oder die Geschichte von Unwissenheit und Hass. Gebrandmarkt schreibt die Geschichte ethnischer Ideen um, indem es die Unvollkommenheit von drei allgemein anerkannten geschichtlichen Narrativen deutlich macht. Rassistische Absichten – nicht rassistische Politik – wurden nach den 1960er-Jahren verschleiert. Doch die alte und die neue rassistische Politik blieb so offensichtlich wie eh und je, und wir können die Auswirkungen dieser Politik erkennen, wenn wir ethnische Ungleichheiten in allen möglichen Bereichen ausmachen, von den Vermögensverhältnissen bis zur Gesundheitspolitik im 21. Jahrhundert. Das heißt nicht, dass antirassistische Reformer bei der Bloßstellung und Auflösung rassistischer politischer Strategien über viele Jahre keine Fortschritte gemacht hätten. Doch auch rassistische Reformer haben Fortschritte gemacht. Die Ächtung der Sklaverei 1865 führte in ethnischer Hinsicht zu Fortschritten, während die Rassentrennung mit den Jim-Crow-Gesetzen im späten 19. Jahrhundert einen Fortschritt der rassistischen Politik zur Folge hatte. Die Ächtung der Rassentrennung 1964 bewirkte wiederum einen ethnischen Fortschritt, bevor die Legalisierung von vordergründig unbeabsichtigter Diskriminierung wieder einen Fortschritt rassistischer Politik im späten 20. Jahrhundert evozierte.

Um die komplexe Geschichte rassistischer Ideen vollständig zu erklären, musste Gebrandmarkt dieses widerspruchsvolle Auf und Ab dokumentieren. Treibende Kräfte der Geschichte der rassistischen Ideen in Amerika sind nicht Hass und Unwissenheit. Treibende Kraft der Geschichte der rassistischen Ideen in Amerika ist die rassistische Politik. Diese Tatsache wird deutlich, wenn wir die Ursachen erkunden – nicht die Aufnahme und Konsumption der rassistischen Ideen, sondern deren Produktion. Was bewog den US-Senator John C. Calhoun aus South Carolina 1837 dazu, in rassistischer Manier von der Sklaverei als «positivem Gut» zu sprechen, obwohl er die qualvollen Schrecknisse der Sklaverei kannte? Was bewog den gefeierten Zeitungsmann Henry W. Grady aus Atlanta 1885 dazu, den rassistischen Grundsatz separate but equal («getrennt, aber gleich») zu verkünden, obwohl er wusste, dass die Gemeinden des Südens kaum getrennt oder gleich waren? Was bewog die Intellektuellen großer Think Tanks nach der Wahl Barack Obamas 2008 zum Präsidenten der USA dazu, die rassistische Idee einer postethnischen Gesellschaft zu produzieren, obwohl sie all die Studien kannten, die die anhaltende Diskriminierung dokumentierten? Nicht immer entstammten rassistische Ideen dem brodelnden Kessel von Hass und Unwissenheit. Immer wieder brachten intellektuell brillante und mächtige Männer und Frauen rassistische Ideen in Umlauf, um die rassistische Politik ihrer Zeit zu rechtfertigen, um die Verantwortung der ethnisch bedingten Ungleichheiten ihrer Zeit von dieser Politik weg auf die Schwarzen zu lenken.

Man erzählte mir das volkstümliche Märchen über den Rassismus: Dass unwissende und hasserfüllte Menschen rassistische Ideen hervorgebracht hätten und dass diese rassistischen Menschen auch die rassistische Politik einführten. Aber als ich die Motive erkannte, die hinter der Fabrikation der einflussreichsten rassistischen Vorstellungen Amerikas standen, wurde mir klar, dass dieses Märchen zwar einleuchtend, aber der historischen Beweislage nicht gewachsen war. Unwissenheit/Hass → rassistische Ideen → Diskriminierung: diese kausale Verknüpfung ist weitgehend ahistorisch. Die umgekehrte Logik kommt der Wahrheit näher: Ethnische Diskriminierung führte zu rassistischen Ideen, die Unwissenheit und Hass mit sich brachten. Ethnische Diskriminierung → rassistische Ideen → Unwissenheit/Hass: Das ist die kausale Verknüpfung, die der Geschichte der ethnischen Beziehungen in Amerika zugrunde liegt.

Gewöhnlich wurden die Entscheidungen der mächtigsten Amerikaner bei der Einführung, Verteidigung oder Tolerierung diskriminierender politischer Strategien, die Auswirkungen auf das Leben von Millionen von Schwarzen hatten, nicht von ihren eigenen rassistischen Ideen diktiert. Ethnisch diskriminierende politische Strategien resultieren vielmehr aus dem Zusammenspiel ständig wechselnder Interessen im Bereich von Wirtschaft, Politik und Kultur. Karrieristische Politiker haben diskriminierende Praktiken – nicht rassistische Ideen – zu ihrem eigenen Vorteil eingeführt und verteidigt. Profitgierige Kapitalisten haben diskriminierende Praktiken – nicht rassistische Ideen – zu ihrem eigenen ökonomischen Vorteil eingeführt und verteidigt. Leute aus der Kultur, Theologen, Künstler, Wissenschaftler, Journalisten haben zu ihrem eigenen Vorteil, im Interesse ihrer Karriere oder ihrer kulturellen Ansichten diskriminierende Praktiken – nicht rassistische Ideen – eingeführt und verteidigt.

Wenn wir auf unsere Geschichte zurückblicken, fragen wir uns oft, warum so viele Amerikaner keinen Einspruch erhoben gegen den Handel mit Sklaven, die Sklaverei, die Rassentrennung und heute die massenhafte Inhaftierung schwarzer Menschen. Schuld daran sind, wieder einmal, rassistische Ideen. Die hauptsächliche Funktion rassistischer Ideen in der amerikanischen Geschichte ist die Unterdrückung des Widerstands gegen ethnische Diskriminierung und die daraus folgende ethnische Ungleichheit. Die Nutznießer von Sklaverei, Segregation und Masseninhaftierung haben rassistische Vorstellungen produziert, wonach es sich für schwarze Menschen gehört oder wonach sie es verdienen, versklavt zu werden, nicht dort zu wohnen, wo Weiße wohnen, oder in einer Gefängniszelle zu vegetieren. Die Konsumenten dieser rassistischen Ideen wurden dazu gebracht zu glauben, dass etwas mit schwarzen Menschen nicht stimmt – nicht etwa dazu, eine Politik anzuzweifeln, die Schwarze versklavt, unterdrückt und einsperrt.

Rassistische Ideen haben sich uns tief eingeprägt. Es fällt uns schwer wahrzunehmen, dass ethnische Diskriminierung die einzige Ursache ethnischer Ungleichheit in diesem Land und in der ganzen Welt ist. Ich rede nicht ohne Grund von uns. Als ich dieses Buch zu schreiben begann – mit kummervollem Herzen, wenn ich an Trayvon Martin und Rekia Boyd dachte –, hatte ich selbst, wie ich gestehe, nicht wenige rassistische Ideen im Kopf. Ja, obwohl ich Spezialist für afroamerikanische Geschichte bin und mein ganzes Leben lang an egalitären Orten unterrichtet wurde, hatte ich rassistische Vorstellungen von schwarzer Minderwertigkeit, bevor ich mich an die Recherchen für dieses Buch machte. Rassistische Ideen sind Ideen. Jeder kann sie fabrizieren, sie sich zu eigen machen oder über sie nachdenken, wie die gemischtethnische Liste von Menschen zeigt, die zur Entstehung dieses Buches beitrugen. Jeder – Weiße, Latinos, Schwarze, Asiaten, Indianer – kann der Idee Ausdruck geben, dass schwarze Menschen minderwertig sind, dass etwas mit schwarzen Menschen nicht stimmt. Jeder kann sowohl rassistischen wie antirassistischen Vorstellungen anhängen, kann glauben, dass gewisse Dinge mit Schwarzen nicht stimmen, während sie in anderen Dingen den Weißen gleich sind. Von rassistischen Ideen beeinflusst, war mir nicht vollständig klar, dass das Einzige, was mit schwarzen Menschen nicht stimmt, unser Glaube ist, dass etwas mit ihnen nicht stimme. Es war mir nicht vollständig klar, dass das Einzige, was an weißen Menschen besonders ist, ihr Glaube ist, dass etwas an weißen Menschen besonders sei.

Ich sage nicht, dass alle Individuen, die zufällig als Schwarze identifizierbar sind (oder als Weiße oder als Latinos oder als Asiaten oder als amerikanische Ureinwohner), in jeder Hinsicht gleich seien wie die Individuen anderer Bevölkerungsgruppen. Ich sage, dass an schwarzen Menschen als Gruppe nichts falsch ist, genauso wenig wie an den Angehörigen jeder anderen ethnischen Gruppe. Das sind die Maximen antirassistischen Denkens: an schwarzen Menschen ist nichts falsch, und alle ethnischen Gruppen sind gleich. Es gibt faule, unverständige und gefährliche Individuen afrikanischer Herkunft, und es gibt faule, unverständige und gefährliche Individuen europäischer Herkunft. Es gibt fleißige, verständige und ungefährliche Individuen europäischer Herkunft, und es gibt fleißige, verständige und ungefährliche Individuen afrikanischer Herkunft. Aber keine ethnische Gruppe hat je das Monopol auf irgendeinen menschlichen Charakterzug und irgendeine genetische Prägung gehabt – heute nicht und zu keinem Zeitpunkt. Abgesehen von unserer verschiedenartigen Haut und unseren unterschiedlichen Haarfarben und -formen kann kein Arzt der Welt einen Unterschied zwischen unseren Körpern, unseren Gehirnen oder dem Blut feststellen, das in unseren Adern kreist. Alle Kulturen, mit all ihren verhaltensmäßigen Unterschieden, befinden sich auf derselben Stufe. Die Geschichte der Unterdrückung des schwarzen Amerika hat bewirkt, dass Schwarze heute weniger Chancen haben als Weiße – aber deswegen sind die Schwarzen selbst nicht weniger wert.

Wenn man wirklich anerkennt, dass die ethnischen Gruppen gleich sind, merkt man auch, dass ethnische Ungleichheiten auf ethnische Diskriminierung zurückzuführen sein müssen. Da ich mich dieser antirassistischen Idee der Gleichheit der Gruppen verpflichtet fühlte, konnte ich Selbstkritik üben und diejenigen rassistischen Ideen entdecken und anschließend ablegen, die ich selbst im Laufe meines Lebens verinnerlicht hatte – und zwar in dem Maß, in dem ich die rassistischen Ideen aufdeckte und zugänglich machte, die andere im Laufe der Geschichte Amerikas entwickelt hatten. Ich weiß, dass mich Leser, die wirklich für ethnische Gleichheit eintreten, auf dieser Reise des Befragens und Ablegens unserer rassistischen Ideen begleiten werden. Doch wenn es etwas gibt, was ich während meiner Forschungen gelernt habe, dann das: dass die hauptsächlichen Produzenten und Verteidiger von rassistischen Ideen uns nicht begleiten werden. Keine Logik, keine Tatsache, kein Geschichtsbuch kann sie ändern, weil Logik und Tatsachen und Wissenschaft wenig zu tun haben mit dem, was überhaupt erst zum Lautwerden dieser rassistischen Ideen geführt hat. Gebrandmarkt handelt von diesen bornierten, abgefeimten, mitreißenden Produzenten rassistischer Ideen. Aber es ist kein Buch für sie.

Mein empfänglicher Geist wurde befreit durch das Schreiben dieser Geschichte. Und ich hoffe, dass auch andere empfängliche Geister durch das Lesen dieser Geschichte befreit werden können.

Teil I

COTTON MATHER

Kapitel 1

Menschliche Rangordnung

Sie überstanden frostklirrende Winter, ertrugen schwere Krankheiten und lernten, mit den wehrhaften Indianern zurechtzukommen. Aber nichts war so zerstörerisch für die Siedler wie der Große Sturm von 1635. Am 16. August 1635 toste der Hurrikan die Atlantikküste entlang, streifte Jamestown und wechselte in den Osten von Long Island hinüber. Das Auge des Orkans blickte nach Providence und indem der Sturm sich weiter landeinwärts bewegte, entwurzelte er Tausende von Bäumen, als wären es Grashalme. In der sieben Jahre alten Massachusetts Bay Colony zerschmetterte er die englischen Häuser, die auf einmal winzig wirkten, bevor er den Atlantik erreichte und riesige Wellen an die Küsten Neuenglands schleuderte, die alles zerstörten, was nicht niet- und nagelfest war.

Große Schiffe aus England mit Siedlern und Vorräten an Bord waren die wehrlosen Opfer. Ein Schiff, die James, ankerte vor der Küste von New Hampshire, weil die Matrosen das Ende des Hurrikans abwarten wollten. Plötzlich durchtrennte eine mächtige Welle die Ankertaue wie ein unsichtbares Messer. Die Matrosen durchschnitten verzweifelt das dritte Tau und setzten Segel, um weiter hinauszusegeln, wo das Meer weniger aufgewühlt war. Doch der Hurrikan zerfetzte das neue Segel in «morsche Lumpen», wie der angesehene puritanische Geistliche Richard Mather in sein Tagebuch notiert. Mit den Lumpen, die im Ozean verschwanden, sank auch die Hoffnung.

Vom Sturmwind getrieben, steuerte das Schiff auf einen gewaltigen Felsen zu. Alles schien verloren zu sein. Richard Mather und die anderen Passagiere riefen Gott um Hilfe an. Und «unverzüglich, mit seiner guten Hand» leitete Gott das Schiff um den riesigen Felsen herum, wie Mather später bekundete. Das Meer beruhigte sich. Die Matrosen hissten eilig neue Segel. Der Herr ließ «eine frische Bö» blasen, wodurch es dem Kapitän gelang, der Gefahrenzone zu entkommen. Die übel zugerichtete James lief am 17. August 1635 in Boston ein. Alle einhundert Passagiere führten ihr Überleben auf das Einwirken Gottes zurück. Für Richard Mather war die Rettung mit dem Auftrag verbunden, «rechtschaffen vor dem Herrn zu sein, solange wir leben».[1]

Als puritanischer Geistlicher hatte Richard Mather fünfzehn Jahre Verfolgung in England rechtschaffen durchlitten, bevor er sich auf die gefährliche Reise über den Atlantik machte, um in Neuengland ein neues Leben zu beginnen. Dort sollte er seinen berühmten geistlichen Freund John Cotton wiedersehen, der im englischen Boston ebenfalls zwanzig Jahre Verfolgung ausgestanden hatte. 1630 hatte Cotton vor Hunderten von Puritanern, die in Neuengland Gemeinden gegründet hatten, seine Abschiedspredigt gehalten und sie dafür gepriesen, dass sie die prophetische Gottesvision erfüllten. Als Dissidenten der anglikanischen Staatskirche glaubten die Puritaner, unter allen Menschen von Gott auserwählt zu sein, sie hielten sich für eine besondere Gruppe überlegener Menschen, und Neuengland, ihr Israel, sollte ihr gelobtes Land werden.[2]

Kaum eine Woche nach dem Wüten des Großen Sturms wurde Richard Mather Pfarrer der North Church in Dorchester, nahe der berühmten North Church des neuen Boston, wo John Cotton als Geistlicher wirkte. Mather und Cotton hatten eine heilige Mission: Sie wollten das neue England schaffen, dem neuen Leben Ausdruck verleihen und es verteidigen. Dazu nutzten sie ihre Federn nicht weniger als ihre Kanzeln, und ihre Macht nicht weniger als ihre Federn und Kanzeln. In Erfüllung ihrer Mission schrieben sie die ersten Bücher für Erwachsene und Kinder, die es in den Kolonien zu lesen gab. Vermutlich war es Mather, der die Wahl von Henry Dunster als Leiter des ersten Colleges im kolonialen Amerika initiierte: 1640 wurde diese Hochschule, die spätere Harvard University, gegründet. Und Cotton hatte nichts dagegen, dass Dunster den Lehrplan seiner Anstalt der Universität von Cambridge nachbildete und sie damit einem ideologischen Trend verpflichtete. Auch die Gründer der acht weiteren kolonialen Colleges, die in dieser Zeit entstanden – William & Mary (1693), Yale (1701), die University of Pennsylvania (1740), Princeton (1746), Columbia (1754), Brown (1764), Rutgers (1766) und Dartmouth (1769) –, betrachteten die altgriechische und altrömische Literatur als Hort universeller Wahrheiten, die memoriert werden mussten und außerhalb jeglicher Kritik standen. Im Zentrum der altgriechischen Bibliothek des alten und des neuen England stand der auferstandene Aristoteles, der im Mittelalter von einigen christlichen Gruppen als Feind des Glaubens betrachtet worden war.[3]

Beim Studium der aristotelischen Philosophie lernten die jungen Puritaner die logischen Grundlagen für die Konstruktion der menschlichen Rangordnung kennen, und sie begannen zu glauben, dass einige Menschengruppen höherwertig seien als andere. Für Aristoteles waren die Griechen allen Nichtgriechen überlegen. Die Puritaner glaubten, sie seien den Indianern, den Afrikanern und selbst den Anglikanern überlegen – das heißt allen Nichtpuritanern. Aristoteles, der von 384 bis 322 vor unserer Zeit lebte, dachte sich eine Klimatheorie aus, um die Überlegenheit der Griechen zu rechtfertigen. Er sagte, dass Völker, die in extrem heißen oder extrem kalten Breiten lebten, intellektuell, physisch und moralisch minderwertig seien, außerdem seien sie hässlich und unfähig, ein freies und selbstbestimmtes Dasein zu führen. Aristoteles sprach von Afrikanern als «verbrannten Gesichtern» – die ursprüngliche griechische Bedeutung von «äthiopisch» – und sah die «hässlichen» Extreme von heller oder dunkler Haut als Auswirkungen von extrem kaltem oder heißem Klima an. Das alles lag allerdings im Interesse der Normalisierung der griechischen Praxis, Sklaven zu halten, und der griechischen Herrschaft über den westlichen Mittelmeerraum. Für Aristoteles waren die Griechen durch ihr ideales mittleres Klima die schönsten und begabtesten Menschen und die überlegenen Herrscher und Sklavenhalter der Welt. Es sei ein «allgemeines Naturgesetz», schreibt er im ersten Buch der Politik, dass «gleich von Anbeginn des Daseins … die Elemente auseinander [treten], die einen auf die gehorchende, die anderen auf die gebietende Seite». Herren und Sklaven entsprachen Griechen und Barbaren; auf der einen Seite ist «das Vermögen geistiger Voraussicht vorhanden», auf der anderen Seite besteht «die Fähigkeit zu bloß körperlicher Verrichtung der empfangenen Befehle». Die «Barbaren [haben] überhaupt von Natur knechtischere Charaktere als die Hellenen» und seien daher zum Gehorchen geboren.[4]

Nach Christi Geburt oder dem Beginn unserer Zeit rechtfertigten die Römer die von ihnen praktizierte Form der Sklaverei mit Aristoteles’ Klimatheorie, und bald begann das junge Christentum, weitere Argumente dazu beizutragen. Für die frühchristlichen Theologen – die die Puritaner neben Aristoteles studierten – bestimmte Gott die menschliche Rangordnung. Der heilige Paulus führte im ersten Jahrhundert eine dreigliedrige Rangordnung ein: der himmlische Herr an der Spitze, der weltliche Herr in der Mitte, der Knecht oder Sklave unten. «Wer als Freier berufen ist, der ist ein Knecht Christi», schreibt er in Korinther 1,7. In Epheser 6 heißt es: «Ihr Knechte, seid gehorsam euren leiblichen Herren mit Furcht und Zittern, in Einfalt eures Herzens, als Christo.» Und in einer wesentlichen Mahnung in Galater 4,28 egalisierte Paulus die Seelen von Herren und Knechten als «allzumal einer in Christo Jesu».

Alles in allem gab es ethnische und religiöse Vorurteile in der Alten Welt. Aber es gab keine Konstruktion von Rassen – einer weißen europäischen oder einer schwarzen afrikanischen Rasse zum Beispiel – und daher gab es auch keine rassistischen Vorstellungen. Doch die entscheidenden Fundamente für diese Vorstellungen wurden gelegt. Und genauso findet man die Fundamente für egalitäres und antirassistisches Denken in der griechisch-römischen Antike, und die erste Kritik an der Sklaverei. «Die Gottheit gab allen Menschen Freiheit und die Natur schuf niemanden als Sklaven», schreibt Alkidamas, Aristoteles’ Rivale in Athen. Als Herodot, der herausragende Historiker des antiken Griechenland, den Nil hinauffuhr, beschrieb er die Nubier als sehr schöne und starke Menschen. Lactantius, ein Berater Konstantins I., des ersten christlichen römischen Kaisers, verkündete zu Beginn des 4. Jahrhunderts: «Gott, der die Menschen erschafft und mit Geist begabt, wünschte, dass sie alle gerecht seien, das heißt, gleich.» Der afrikanische Kirchenvater Augustinus, der im Jahr 430 starb, schreibt, dass jeder Mensch, wie sonderbar er uns auch in seiner körperlichen Gestalt, seiner Farbe oder seinen Äußerungen erscheinen mag, ohne Zweifel von dem ersten Menschen abstamme, der von Gott selbst erschaffen wurde. Doch solche egalitären Gedanken blieben weitgehend unbemerkt neben Aristoteles und Paulus, die den Lehrplan von Harvard dominierten, und die Gemeindevorsteher Neuenglands, die die Sklaverei und die ethnische Rangordnung zu rechtfertigen hatten, lasen diese Texte nicht.[5]

Als John Cotton 1636 die erste Verfassung Neuenglands formulierte, Moses His Judicials, legalisierte er nicht nur die Versklavung von Gefangenen in gerechten Kriegen sondern auch «von den Fremden, die sich willig selbst verkaufen oder uns verkauft werden». Auch in diesem Punkt imitierte das neue das alte England. Cotton reproduzierte die Politik seiner britischen Standesgenossen nah und fern. 1636 gab es in Barbados eine offizielle Bekanntmachung, wonach «Neger und Indianer, die hierherkommen, um verkauft zu werden, lebenslang in Knechtschaft bleiben sollen, es sei denn, ein anderslautender Vertrag ist vorher geschlossen worden».[6]

Der Pequot-Krieg, die erste große bewaffnete Auseinandersetzung zwischen den neuenglischen Kolonisten und den Ureinwohnern der von ihnen besetzten Gebiete, brach 1637 aus. Kapitän William Pierce brachte einige gefangene Ureinwohner gewaltsam auf die Desire, das erste Sklavenschiff, das das britische Nordamerika verließ. Es segelte auf die Karibikinsel Isla de Providencia, wo «Neger» Berichten zufolge als «ständige Diener» gehalten wurden. John Winthrop, der Gouverneur von Massachusetts, bekundet die historische Rückkehr von Kapitän Pierce 1638 in Boston und fügt hinzu, das Schiff habe «Salz, Baumwolle, Tabak und Neger» geladen.

Die erste Generation der Puritaner fand Gründe für die Versklavung dieser «Neger», die ihren christlichen Überzeugungen nicht widersprachen. Die entsetzlichen Albträume von Verfolgung und Gewalt waren nicht die einzigen Halluzinationen, die sie in ihre neue Heimat mitnahmen. Von den Passagieren der ersten Schiffe, die 1607 in Virginia landeten, über die Emigranten, die den Großen Sturm von 1635 überlebten, bis zu den Kapitänen und Finanziers der ersten Sklavenschiffe – nicht wenige britische Siedler des kolonialen Amerika brachten puritanische, biblische, wissenschaftliche und aristotelische Begründungen von Sklaverei und einer ethnischen Rangordnung innerhalb der Menschheit mit über den großen Teich. Aus Westeuropa und den neuen Siedlungen in Lateinamerika stammte die Überzeugung einiger Puritaner, dass die vielen afrikanischen Ethnien nur ein einziges minderwertiges Volk seien. Sie brachten rassistische Ideen mit – rassistische Ideen, die der amerikanischen Sklaverei vorausgingen, weil das Bedürfnis, die afrikanische Sklaverei zu rechtfertigen, dem kolonialen Amerika vorausging.

Nach der Eroberung von Teilen Nordafrikas, Portugals und Spaniens im 7. Jahrhundert durch arabische Muslime lieferten sich Christen und Muslime jahrhundertelang Schlachten, bei denen es um die Vorherrschaft im Mittelmeerraum ging. In dieser Zeit befanden sich die westafrikanischen Reiche Ghana (700–1200), Mali (1200–1500) und Songhai (1350–1600) an den Knotenpunkten der lukrativen Handelsrouten für Gold und Salz. Ein ertragreicher Trans-Sahara-Handel entstand, durch den Europäer über muslimische Mittelsmänner westafrikanische Güter erhielten.

Ghana, Mali und Songhai waren große, mächtige und hochentwickelte Reiche, die anderen Reichen der damaligen Welt in nichts nachstanden. In Timbuktu und Djenné blühte die Gelehrsamkeit; aus ganz Westafrika kamen junge Männer, um dort zu studieren. Das Songhaireich war das größte. Mali dürfte das glanzvollste gewesen sein. Der bedeutendste Globetrotter des 14. Jahrhunderts, der von Nordafrika nach Osteuropa und Ostasien reiste, besuchte Mali im Jahr 1352: «Es herrscht vollkommene Sicherheit in diesem Land», notierte der Marokkaner Ibn Battuta in seinem Reisetagebuch. «Weder der Reisende noch der Einheimische muss Angst haben vor Räubern oder anderen bösen Gesellen.»[7]

Ibn Battuta war ein Sonderling – ein verhasster Außenseiter – unter den islamischen Intellektuellen im marokkanischen Fez. Kaum ein Forscher hatte je seine Heimat verlassen, und Battutas Reiseberichte bedrohten die selbstzufriedenen Überzeugungen seiner Kollegen über den Charakter von Ausländern und Fremden. Keiner von Battutas Widersachern war einflussreicher als der Tunesier Ibn Khaldun, der überragende Geist der muslimischen Welt seiner Zeit, der zum Zeitpunkt von Battutas Rückkehr aus Mali in Fez eintraf. In den offiziellen Ämtern der großen Dynastien werde gemunkelt, dass Ibn Battuta ein Lügner sei, schreibt Khaldun 1377 in den Muqaddima, seinen herausragenden Betrachtungen zur Geschichte der vormodernen Welt. In diesem Werk zeichnet Khaldun ein ganz anderes Bild der Länder südlich der Sahara: «Von den meisten der Schwarzen […] wird […] berichtet, dass sie in Höhlen und Dickichten leben, Kräuter essen, dass sie wild sind, keinen Umgang miteinander pflegen und sich gegenseitig essen», notiert der Aristotelesschüler und fügt hinzu: «So verhält es sich auch mit den Slawen.» Khaldun argumentierte mit dem Klima, um die islamische Versklavung der afrikanischen Subsaharavölker und der osteuropäischen Slawen zu rechtfertigen – Gruppen, die offensichtlich nur eines gemein hatten: Sie lebten in weiter Ferne. Die Menschen in den «extremen Klimazonen im Süden und Norden» seien «über die Religion in Unkenntnis, es mangelt ihnen an Wissenschaft, und ihre Verhältnisse insgesamt stehen denen des Viehs näher als denen der Menschen». Doch ihr minderwertiges Leben sei weder beständig noch erblich bedingt: «Wir finden zuweilen unter den Schwarzen, den Bewohnern des Südens, die sich in der gemäßigten vierten oder der siebten Klimazone, welche zur weißen Hautfarbe hin tendiert, niedergelassen haben, dass die Farbe ihrer Nachkommenschaft im Laufe der Zeit allmählich weiß wird.» Dunkelhäutige Menschen hätten also die Fähigkeit der körperlichen Assimilation an ein kälteres Klima. Später stellten sich kulturelle Assimilationisten vor, dass kulturell unterlegene Afrikaner, in das richtige europäische Umfeld verpflanzt, die europäische Kultur annehmen könnten und sollten. Doch zuerst kam die Idee von physischen Assimilationisten wie Khaldun, der davon sprach, dass körperlich geringerwertige Afrikaner, in das richtige, kältere Umfeld verpflanzt, die europäische Physis annehmen könnten oder sollten: weiße Haut und glattes Haar.[8]

Ibn Khaldun hatte nicht die Absicht, Afrikaner einfach als unterlegene Menschen abzuqualifizieren. Er hatte die Absicht, alle fremd aussehenden afrikanischen und slawischen Völker herabzusetzen, die die Muslime als Sklaven kauften und verkauften. Er stärkte damit die geistigen Fundamente der rassistischen Gedankenwelt. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts war Khaldun einer der Geburtshelfer von assimilationistischen Ideen, vom rassistischen Begriff der umweltgeprägten Unterlegenheit der Afrikaner. Die Sklavenhalter brauchten diese Klimatheorie zur Rechtfertigung der Versklavung von Slawen nur noch auf die Afrikaner zu übertragen, und schon war die Grundlage für die rassistische Haltung gegenüber dunkelhäutigen Menschen geschaffen.

Es gab bereits eine die Sklaverei begründende Theorie, die sich auf Schwarze konzentrierte, eine Theorie, die sich irgendwie aus der Genesis herleitete, wo stand, «dass die Schwarzen Nachkommen von Ham, dem Sohn Noahs, seien und dass sie durch die schwarze Farbe herausgehoben wurden aufgrund des Fluches seines Vaters, der auf ihm lag und dessen Wirkung sich sowohl in seiner Farbe zeigte als auch darin, dass Gott seinen Nachkommen Sklaverei auferlegte», wie Khaldun erklärt. Die Abstammungslinie dieser Theorie von Noahs Verfluchung geht weit zurück, über den großen persischen Gelehrten Tabari (838–923) bis auf islamische und hebräische Quellen. Gott habe das afrikanische Volk durch seinen Fluch ständig mit hässlicher Schwärze und Sklaventum bestraft, argumentierten die Fluchverfechter. Als strenger Klimatheoretiker konnte Khaldun die Verfluchung des Ham nicht akzeptieren, für ihn blieb es eine «nicht belegte Geschichte».[9]

Obwohl die Fluchtheorie offensichtlich auf der Idee der schwarzen Unterlegenheit basierte, war im Mittelalter ihre Stunde noch nicht gekommen. Muslimische und christliche Sklavenhalter glaubten nicht an den Fluch, dafür versklavten sie einfach zu viele nichtschwarze Abkömmlinge von Sem und Japheth, Hams vom Fluch verschont gebliebenen Brüdern. Doch die mittelalterlichen Fluchtheoretiker legten die Fundamente für segregationistische Ideen und für die rassistische Auffassung der genetischen Unterlegenheit von Schwarzen. Der Übergang zu einer Sklaverei, deren Opfer nur noch Schwarze waren, deutete sich erst an, und Ham verschwand in der Versenkung. Als die entmachtete Fluchtheorie wieder erstarkte, war erneut von ihm die Rede, und erst dann entstanden eigentlich rassistische Ideen.[10]

Kapitel 2

Ursprünge rassistischer Ideen

Richard Mather und John Cotton erbten von den englischen Denkern ihrer Zeit die alte rassistische Vorstellung, nach der die Versklavung von Afrikanern natürlich, normal und gottgewollt sei. Dieser Gedanke war fast zweihundert Jahre alt, als die Puritaner ihn in den 1730er-Jahren dazu nutzten, die neuenglische Sklaverei zu legalisieren und festzuschreiben; in Virginia hatte dasselbe schon über zehn Jahre früher begonnen. 1415 hatten Prinz Heinrich und seine Brüder ihren Vater, König Johann I. von Portugal, davon überzeugt, dass es nötig sei, den wichtigsten muslimischen Handelsstützpunkt im westlichen Mittelmeer zu erobern: Ceuta, an der nordöstlichen Spitze Marokkos. Die Brüder waren neidisch auf den muslimischen Reichtum, und sie versuchten, die islamischen Zwischenhändler auszuschalten, um selbst jene Quelle im Süden zu finden, die ihnen in unbeschränktem Maß Gold und schwarze Gefangene liefern konnte.

Nach der Schlacht um Ceuta war Prinz Heinrich, genannt Heinrich der Seefahrer, fasziniert von den detaillierten Erzählungen der maurischen Gefangenen, die ihm die Handelsrouten durch die Sahara in das zerfallende Reich von Mali beschrieben. Er beschloss, «die Länder auf dem Seeweg zu suchen», und bis zu seinem Tod 1460 initiierte er immer wieder Entdeckungsfahrten an die afrikanische Westküste, wobei er seine Stellung als Großmeister des portugiesischen Christusordens (dem Nachfolger des Ordens der Tempelritter) nutzte, um Risikokapital aufzubringen und loyale Mannschaften für seine Expeditionen zusammenzustellen.

1452 beauftragte Heinrichs Neffe, König Alfons V., den Historiker Gomes Eanes de Azurara, eine Biografie des Lebens seines «geliebten Onkels» und seiner Bemühungen um den Sklavenhandel zu verfassen. Azurara war ein gelehrter Mann und gehorsamer Feldherr in Heinrichs Christusorden. Sein impliziter Auftrag bei der Dokumentation und Verherrlichung von Heinrichs Leben lautete, die finanziellen Erwägungen seines Herrn zu verschleiern; das führte dazu, dass Heinrich sich ausschließlich dem Handel mit afrikanischen Sklaven zu widmen schien. 1453 beendete Azurara die erste Rechtfertigung des afrikanischen Sklavenhandels, das erste europäische Buch über Afrikaner in der modernen Zeit. Die Crónica do descobrimento e conquista da Guiné ist der Auftakt der überlieferten Geschichte der antischwarzen rassistischen Ideen. Azuraras Aufzeichnungen waren also nicht Ursache der rassistischen Politik Heinrichs des Seefahrers in Bezug auf den afrikanischen Sklavenhandel, sondern deren Produkt.[1]

Wie Azurara es beschrieb, machten die Portugiesen Geschichte, indem sie als erste Europäer den Atlantik und die Gewässer jenseits des westafrikanischen Kap Bojador befuhren, mit dem Auftrag, versklavte Afrikaner nach Europa zurückzubringen. Die sechs Karavellen mit 240 Gefangenen an Bord landeten am 6. August 1444 in Lagos im südlichen Portugal. Heinrich machte aus der Sklavenauktion ein Spektakel. Er wollte zeigen, dass die Portugiesen von nun an zur europäischen Liga der ernstzunehmenden Händler mit afrikanischen Sklaven gehörten. Eine Zeit lang hatten Genueser, Katalanen und Seefahrer aus Valencia wiederholt die Kanarischen Inseln überfallen oder sich von marokkanischen Händlern afrikanische Sklaven verschafft. Azurara bedachte jedoch die Portugiesen mit besonderem Lob. Er behauptete, ihre afrikanischen Sklavenexpeditionen seien Missionsreisen. Heinrichs Konkurrenten konnten diese Lüge nicht so effektiv einsetzen, wie er es tat, wahrscheinlich weil sie noch immer mit so vielen osteuropäischen Sklaven handelten.[2]

Doch der Markt war dabei, sich zu verändern. Als die Portugiesen ihre Seeroute ausweiteten und ein neues Sklavenexportgebiet erreichten, begann die Bedeutung des alten zu schwinden. In der Zeit Ibn Khalduns waren die meisten Gefangenen, die in Westeuropa verkauft wurden, Osteuropäer gewesen, die von türkischen Angreifern in Ländern rund um das Schwarze Meer geraubt worden waren. So viele dieser Gefangenen waren Slawen, dass der ethnische Begriff in den meisten westeuropäischen Sprachen den Ursprung des Wortes «Sklave» bezeichnete. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts hatten sich slawische Städte in Festungen verwandelt, die stark genug waren, um Angreifer abzuhalten, was bewirkte, dass die Zahl der Slawen auf dem westeuropäischen Sklavenmarkt sank, während ungefähr gleichzeitig die Zahl der Afrikaner stieg. So wandelte sich in Westeuropa das Bild des gewöhnlichen Sklaven, der nun kein Weißer mehr war, sondern ein schwarzer Mann oder eine schwarze Frau.[3]

Laut Azuraras Chronik verließen die Gefangenen 1444 das Schiff und marschierten zu einem offenen Gelände in der Nähe der Stadt. Prinz Heinrich überwachte die Sklavenauktion persönlich. Strahlend saß er auf seinem Pferd. Einige der Gefangenen waren «hinreichend weiß, schön anzusehen und mit schönen Körpern», während andere «wie Mulatten» aussahen, berichtet Azurara. Wieder andere waren «so schwarz wie Äthiopier und so hässlich», als wären sie Bewohner der Hölle. Zu den Gefangenen gehörten Menschen mit den zahlreichen Hauttönen der Tuareg wie auch sehr dunkelhäutige Menschen, die die Tuareg wahrscheinlich selbst als Sklaven hielten. Obwohl sie zu verschiedenen Völkern gehörten und unterschiedliche Hautfarben hatten, sah Azurara sie als ein einziges Volk – ein minderwertiges Volk.[4]

Azurara legt Wert darauf, seine Leser daran zu erinnern, dass ein «Hauptverdienst» Prinz Heinrichs darin bestand, umgehend vierundsechzig der wertvollsten Gefangenen zu ergreifen, denn «er dachte mit großer Freude an die Rettung jener Seelen, die zuvor verloren waren». Wenn er sich diese biblische Rechtfertigung für die Versklavung der Afrikaner auf die Fahne schrieb, erschienen die Gefangenen als Barbaren, die nicht nur der religiösen, sondern auch der zivilisatorischen Rettung bedurften. «Sie lebten wie Vieh, ohne die Gebräuche vernunftbegabter Menschen», schreibt er. Zudem «kennen sie weder Brot noch Wein, und sie waren nicht mit Kleidung bedeckt und hatten auch keine festen Häuser … sie lebten nur in tierischer Trägheit dahin». In Portugal war ihr Schicksal «ganz das Gegenteil ihres früheren Zustands». Azurara sah ihre versklavte Existenz in seinem Land als eine wesentliche Verbesserung ihres freien Lebens in Afrika.[5]

Seine Chronik behandelte den Zeitraum zwischen 1434 und 1447. In diesen Jahren kamen nach seiner Schätzung 927 afrikanische Sklaven nach Portugal, «und die Mehrzahl von ihnen wurde auf den Pfad der Erlösung gebracht». Er vergisst zu erwähnen, dass Heinrich das königliche Fünftel (quinto), also etwa 185 dieser Gefangenen erhielt und mit ihnen sein riesiges Vermögen noch größer machte. Doch das gehörte selbstverständlich nicht zu seiner Mission. Dafür, dass Azurara seine Leser, mehrere Päpste und das alphabetisierte Europa davon überzeugte, dass das Portugal Heinrichs des Seefahrers mitnichten des Geldes wegen mit Sklaven handelte, erhielt er den schönen Titel eines königlichen Hauptchronisten und außerdem zwei weitere sehr lukrative Kommandeursposten im Christusorden. Azuraras Auftraggeber genossen die Erträge aus dem Sklavenhandel. 1466 bemerkte ein tschechischer Reisender, dass der König von Portugal mit dem Verkauf seiner Gefangenen an Ausländer mehr Gewinn erzielte «als mit allen Steuern, die er im gesamten Königreich erhob».[6]

Azurara brachte das Manuskript der Crónica do descobrimento e conquista da Guiné am königlichen Hof in Umlauf, aber auch unter Gelehrten, Investoren und Kapitänen, die es lasen und in ganz Portugal und Spanien verbreiteten. Er starb 1474 in Lissabon, doch seine Gedanken über die Sklaverei blieben lebendig, während der Sklavenhandel expandierte. Um 1490 waren portugiesische Entdecker weiter in den Süden vorgedrungen. Sie segelten an der westafrikanischen Küste entlang und hatten das Kap der Guten Hoffnung umrundet, um in den Indischen Ozean vorzustoßen. In ihren wachsenden Netzwerken aus Häfen, Agenten, Schiffen, Mannschaften, Finanziers und Händlern zirkulierten die rassistischen Ideen aus Azuraras Chronik, und bald erreichten sie Länder und Gebiete, in denen der Text selbst nie erschienen war. Die Portugiesen wurden die erste Quelle des Wissens über das unbekannte Afrika und die afrikanischen Völker für die frühen Sklavenhändler und Sklavenbesitzer in Spanien, Holland, Frankreich und England. Als der aus Mähren stammende Drucker Valentim Fernandes 1506 in Lissabon eine Kurzfassung von Azuraras Buch veröffentlichte, hatten afrikanische Sklaven – und rassistische Ideen – schon Süd- und Nordamerika erreicht.[7]

1481 begannen die Portugiesen eine große Festung zu bauen, São Jorge da Mina, bekannt als Elmina oder «die Mine», als Teil eines großen Plans zur Gewinnung von Gold aus Ghana. Zu gegebener Zeit wurde dieses europäische Bauwerk, das erste, von dem wir wissen, dass es südlich der Sahara errichtet wurde, der größte westafrikanische Stützpunkt für den Sklavenhandel, das Zentrum der portugiesischen Operationen in Westafrika. Ein genuesischer Entdecker, kaum dreißig Jahre alt, könnte die Errichtung der Burg Elmina mit angesehen haben. Christoph Kolumbus, der gerade erst die Tochter eines genuesischen Protegés von Prinz Heinrich geehelicht hatte, wünschte, selbst Geschichte zu schreiben – aber nicht in Afrika. Stattdessen richtete er den Blick nach Ostasien, der Quelle von Gewürzen für Europa. Nachdem das portugiesische Königtum sich geweigert hatte, seine tollkühne Expedition in den Westen zu sponsern, griff ihm Königin Isabella von Spanien, eine Großnichte Heinrichs des Seefahrers, unter die Arme. So erreichten die drei kleinen Schiffe des Genuesen 1492, nach neunundsechzig Tagen auf See, die Küsten, von deren Existenz die Europäer nichts wussten: zuerst die glitzernden Bahamas und am nächsten Abend Kuba.[8]

Gleich nach Kolumbus’ Ankunft begannen spanische Kolonisten, die einheimischen amerikanischen Völker herabzuwürdigen und zu versklaven. Sie nannten sie negros da terra (Schwarze des Landes) und übertrugen damit ihre rassistischen Vorstellungen von Afrikanern auf die Ureinwohner des amerikanischen Kontinents. In den darauffolgenden Jahren nutzten sie mit der Bibel in der Hand die Macht ihrer Waffen und veranstalteten ein beispielloses Massaker. Tausende von Ureinwohnern starben, als sie sich gegen ihre Versklavung zur Wehr setzten. Noch mehr starben an europäischen Seuchen, an den Lebensbedingungen, unter denen sie Zwangsarbeit auf den Feldern verrichten mussten, und auf Todesmärschen bei der Suche und beim Abbau von Gold. Tausende von Ureinwohnern wurden von spanischen Siedlern, die auf der Suche nach Reichtum in die Kolonien strömten, von ihrem Land vertrieben. Der spanische Kaufmann Pedro de las Casas siedelte sich 1502 auf Hispaniola an, im gleichen Jahr, in dem die ersten versklavten Afrikaner von Bord eines portugiesischen Sklavenschiffes gingen. Sein achtzehnjähriger Sohn Bartolomé war bei ihm, der eine außerordentliche Rolle beim Fortgang der Sklaverei in der Neuen Welt spielen sollte.[9]

1510 hatte Bartolomé de Las Casas Land und Gefangene erworben, und er war zum ersten Priester Amerikas geweiht worden. Stolz hieß er 1511 die Dominikaner auf Hispaniola willkommen. Die Mönche fanden die Sklaverei der Taíno abscheulich, und zu Las Casas’ Verblüffung schlugen sie abolitionistische Wege ein. Sie lehnten die spanische (von den Portugiesen übernommene) Lehre ab, nach der das Volk der Taíno durch die Christianisierung von der Sklaverei profitierte. König Ferdinand rief die Dominikaner prompt zurück, doch ihre Predigten gegen die Sklaverei ließen Las Casas nicht mehr los. 1515 segelte er nach Spanien, wo er sich lebenslang für die leidenden amerikanischen Ureinwohner einsetzte. Ein womöglich noch wichtigeres Ziel seiner Kampagne war allerdings die Lösung des Problems der extremen Knappheit an Arbeitern in den Kolonien. In einer seiner ersten schriftlichen Appelle 1516 schlug er vor, afrikanische Sklaven einzuführen, um die immer weniger zur Verfügung stehenden indianischen Arbeiter zu ersetzen. Zwei Jahre später wiederholte er diesen Vorschlag. Schon 1510 hatte Alonso de Zuazo, ein an der Universität von Salamanca ausgebildeter Anwalt, eine ähnliche Empfehlung ausgesprochen. «Die allgemeine Erlaubnis sollte gegeben werden, Neger dort hinzubringen, ein [Volk], welches kräftig genug ist für die Arbeit, im Gegensatz zu den so schwachen Einheimischen, welche einzig zu anspruchslosen Tätigkeiten herangezogen werden können», schreibt Zuazo. Auch einige indigene Völker hatten die neuen rassistischen Ideen übernommen und stimmten dem Import afrikanischer Sklaven eifrig zu. Eine Gruppe Ureinwohner in Mexiko klagte, dass die «schwierige und mühsame Arbeit» bei der Zuckerrohrernte «nur für Schwarze und nicht für die mageren und schwachen Indios» geeignet sei. Las Casas und Co. brachten Zwillinge zur Welt – rassistische Zwillinge, die einige Ureinwohner Amerikas und Afrikas bereitwillig akzeptierten: den Mythos des körperlich starken, tierhaften Afrikaners und den Mythos des körperlich schwachen Indios, der bei der Anstrengung der harten Feldarbeit dahinsiecht und schnell stirbt.[10]

Obwohl Las Casas’ Ideen zunächst ignoriert wurden, erwiesen sich seine Schriften bald als ein nützliches Werkzeug für Spaniens wachsendes Imperium und seine Investition in amerikanische Sklaverei. Bischof Sebastián Ramirez de Fuenleal berichtet 1531, dass «die gesamte Bevölkerung … von Espanola, San Juan und auch Kuba verlangt, dass sie Neger bekommen, um Gold abzubauen» und zur Arbeit auf den Feldern. Las Casas’ Wirken führte 1542 zur historisch bedeutsamen Verabschiedung der «Neuen Gesetze für Indien zur guten Behandlung und Erhaltung der Indios». In diesem denkwürdigen Jahr beendete er auch seinen Klassiker, den Kurzgefassten Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder, den er an Prinz Philipp II. schickte, und brachte eine dritte Denkschrift heraus, die empfahl, dass afrikanische Sklaven die Indios ersetzten.

Irgendwann danach las Las Casas das Buch von Gomes Eanes de Azurara. Je mehr er las, desto weniger gelang es ihm, den afrikanischen Sklavenhandel mit den Lehren Jesu Christi in Einklang zu bringen. In der Geschichte Westindiens (1561), veröffentlicht fünf Jahre vor seinem Tod, bedauert Las Casas seinen eigenen «Ratschlag an den König», versklavte Afrikaner einzuführen. Azuraras Schrift beweist ihm, dass der Sklavenhandel ein «wahrer Schrecken» sei, und er beklagt Azuraras Versuch, den Sklavenhandel «mit der Gnade und Güte Gottes zu vermengen». Nun versuchte er, die Tür zur afrikanischen Sklaverei zu schließen, die er selbst den zahlreichen spanischen Sklavenhaltern geöffnet hatte. Es gelang ihm nicht. In seinen letzten Tagen diskreditierte man diesen mächtigen Reformer als radikalen Extremisten – wie alle Anti-Rassisten, die nach ihm kamen. Nach seinem Tod wurde er in Spanien verteufelt und seine Werke wurden praktisch mit einem Verbot belegt. Die protestantischen Rivalen des katholischen Spanien publizierten seinen verheerenden Kurzgefassten Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder in mehreren Auflagen – auf Niederländisch (1578), Französisch (1578), Englisch (1583) und Deutsch (1599) –, weil sie zeigen wollten, dass das spanische Kaiserreich korrupt und moralisch verdorben sei, und danach strebten, Spanien als europäische Supermacht zu verdrängen.[11]

Trotz des Aufstiegs von Spanien behielt Portugal die unbestrittene Vormachtstellung im afrikanischen Sklavenhandel. Und Gomes Eanes de Azuraras rassistische Ideen behielten das unbestrittene Vorrecht, den Sklavenhandel in Europa zu rechtfertigen und zu verteidigen, bis ein anderer Mann, ein Afrikaner, erschien und sein Erbe antrat. Um 1510 begleitete Al-Hasan Ibn Muhammad al-Wazzan al-Fasi, ein gebildeter Marokkaner, seinen Onkel auf einer diplomatischen Reise in das Songhaireich. Acht Jahre später wurde er auf einer weiteren diplomatischen Reise im Mittelmeer gefangen genommen und zum Sklaven gemacht. Seine Herren stellten den klugen Vierundzwanzigjährigen in Italien dem gelehrten Papst Leo X. vor. Vor seinem Tod 1521 schenkte der Papst dem jungen Mann die Freiheit, bekehrte ihn zum Christentum, gab ihm den Namen Johannes Leo und gab ihm wahrscheinlich den Auftrag, einen umfassenden Bericht über Afrika zu schreiben. Wir kennen ihn unter dem Namen Leo Africanus. Er befriedigte die Neugier der Italiener 1526 mit der ersten wissenschaftlichen Studie über Afrika in Europa, Della descrittione dell’Africa.

Leo Africanus untersucht die Herkunft des Wortes Afrika und gibt einen Überblick über die afrikanische Geografie, seine Sprachen, Kulturen, Religionen und Krankheiten. Sein Resümee: «Es gibt keine Nation unter dem Himmel, welche der Wollust geneigter ist.» Afrikaner «führen ein Leben von tierischer Art, bar jeglicher Vernunft, jeglicher kluger Geschicklichkeit und Künste», schreibt er. Sie «betragen sich, als hätten sie stets im Wald gelebt, unter wilden Tieren».

Den Balken im eigenen Auge ignorierte er keineswegs. Wie «schreibe ich selbst so greulich über Afrika», fragt er sich, «wenn ich doch fühle, dass ich [Afrika] meine Geburt schulde» – und seine Bildung? Er betrachtete sich selbst als «Geschichtsschreiber», dessen Auftrag lautete, «die einfache Wahrheit überall» kundzutun. Es machte ihm aber nichts aus, dass Afrikaner herabgewürdigt wurden. Er glaubte, die Afrikaner wahrheitsgemäß beschrieben zu haben.[12]

Durch die Descrittione dell’Africa etablierte er sich als erster bekannter afrikanischer Rassist der Welt, der erste berühmte afrikanische Produzent rassistischer Ideen (wie Azurara der erste berühmte europäische Produzent rassistischer Ideen gewesen war). Jeder Mensch kann rassistische Ideen über die afrikanische Minderwertigkeit konsumieren oder produzieren – jeder Europäer, jeder Asiate, jeder Ureinwohner Süd- und Nordamerikas, jeder Latino und jeder Afrikaner. Leo Africanus’ Herkunft schützte ihn nicht davor, an die afrikanische Unterlegenheit und die europäische Überlegenheit zu glauben, und sie hielt ihn nicht davon ab, andere von dieser einfachen rassistischen «Wahrheit» überzeugen zu wollen.

Leo Africanus hat die fünfzehn afrikanischen Länder, die er angeblich kennenlernte, womöglich nie gesehen. Vielleicht paraphrasierte er nur die Aufzeichnungen portugiesischer Reisender. Doch die Zuverlässigkeit der Informationen spielte keine Rolle. Nachdem der Autor das Manuskript 1526 fertiggestellt hatte und es 1550 auf Italienisch publiziert und 1556 ins Französische und Lateinische übertragen worden war, nahmen es Leser in ganz Westeuropa in sich auf und verbanden Afrikaner von da an mit gesteigerter Sexualität, mit Tieren und fehlenden Verstandeskräften. Wir wissen nicht, was mit Leo, dem Afrikaner, weiter geschah, dem Autor des meistgelesenen und einflussreichsten Buches über Afrika – neben dem von Azurara – in den Jahren um 1500. Doch er gab zahllosen Europäern das Gefühl, ihn – oder vielmehr Afrika – zu kennen.

Ungefähr zu der Zeit, in der Leo Africanus’ Schrift sich in Europa verbreitete und in der Richard Mathers Eltern geboren wurden, begannen die Briten, gierig nach großen Gewinnen und der Vergrößerung ihres Reichs, danach zu streben, die portugiesische Monopolstellung im afrikanischen Sklavenhandel zu brechen. 1554 kehrte eine von John Lok, Vorfahr des Philosophen John Locke, geleitete Expedition nach «Guinea» in den englischen Heimathafen zurück. Lok und seine Landsleute Robert Gainish und William Towerson hatten 450 Pfund Gold, 250 Elfenbeinstoßzähne und fünf männliche afrikanische Sklaven an Bord. Diese drei Engländer galten fortan unter neugierigen britischen Geistern als die neuen Gewährsleute für Afrika und afrikanische Menschen. Ihre Ansichten schienen ebenso von den Portugiesen und Franzosen wie von ihren eigenen Beobachtungen geprägt zu sein. Mit einem Vokabular, das dem von Leo Africanus oder Azurara ähnelte, bezeichnete Gainish Afrikaner als «Volk von tierischer Lebensart, ohne einen Gott, ohne Gesetz, Religion oder allgemeines Vermögen». Die fünf «Tiere», die er mit seiner Schiffsbesatzung nach England brachte, lernten alle Englisch und wurden nach Afrika zurückgeschickt, um englischen Kaufleuten als Dolmetscher zu dienen.[13]