Gebrauchsanweisung für Bier - Jaroslav Rudiš - E-Book

Gebrauchsanweisung für Bier E-Book

Jaroslav Rudiš

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Beschreibung

Von Ale bis Pils, Weizen, Stout und alkoholfrei Von Ale bis Pils, Weizen, Stout und alkoholfrei Bier ist nicht nur ein Getränk. Bier ist ein Kulturgut, das uns seit Jahrhunderten verbindet. Der Bestsellerautor Jaroslav Rudiš, der aus dem Bierparadies Böhmen stammt und in dessen Geburtsstadt sogar ein Bier nach ihm benannt ist, setzt dem goldenen Gerstensaft, einem unserer absoluten Lieblingsgetränke, ein Denkmal. »Wo Jaroslav Rudiš ist, da sind Geschichten.« Frankfurter Allgemeine Zeitung Von Altbier, alkoholfrei bis Zwickel – Rudiš probiert sie alle. Er besucht Klöster und Brauereien, Biergärten und Pubs. Reist dafür nach Pilsen, Budweis und Bamberg, ins heilige Bierdreieck Mitteleuropas, aber auch nach Belgien und Irland, Italien und sogar Island. Unterwegs trifft er passionierte Biertrinker und Biererzähler, Hopfenbauern, Bierbrauer und Biersommeliers, unter denen es heute viele Frauen gibt. Ein Reisebuch zu den schönsten Bierorten Europas, mitreißend und voller Geschichten und Geschichte, die das Bier erzählt. Und ein wunderbares Geschenk für alle, die Bier lieben und auch selbst brauen.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Nachfolgend geht es um den verantwortungsvollen und bewussten Genuss von Bier. Unverhältnismäßiger Alkoholkonsum und Alkoholmissbrauch können gesundheitliche Risiken mit sich bringen.

© Piper Verlag GmbH, München 2025

Redaktion: Matthias Teiting

Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de

Coverabbildung: StockFood/Finley, Marc O.

Litho: Lorenz & Zeller, Inning am Ammersee

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Das erste Bier

Bier in Tschechien

Ein Bier in Pilsen

Ein Bier mit den Heiligen in Kounice

Ein Bier mit Kafka in Zürau

Ein Bier in Nymburk. Und entlang der Elbe

Ein Bier am Schwarzbächla

Ein Bier in Budweis

Ein Bier in Potštejn

Ein Bier in Lipnice

Ein Bier in Náchod

Ein Bier in Prag

Noch ein Bier in Pilsen

Bier in Österreich und auf dem Weg nach Südosteuropa

Ein Bier in Wien mit Franz Kafka, Karl Kraus, dem Kaiser und der Kaiserin

Ein Bier im Mühlviertel

Ein Bier im Zug nach Triest

Ein Bier mit Bernhard und Mozart in Salzburg. Und in Obertrum

Ein Bier in Sarajevo

Bier im Norden und im Westen

Ein Bier in Amsterdam

Ein Bier in Brüssel und in Antwerpen

Ein Bier in London, Sheffield und Corrour

Ein Bier mit den Geistern von Dublin

Ein Bier in Helsinki

Ein Bier in Island

Bier in der Schweiz

Ein Bier in Zürich

Ein Bier in Appenzell

Ein Bier in St. Gallen

Bier in Deutschland

Ein Bier in Regensburg, Nürnberg und anderswo

Ein Bier in Mallersdorf

Ein Bier mit Richard Wagner und Jean Paul in Bayreuth

Ein Bier in Düsseldorf

Ein Bier in Köln

Ein Bier in Wuppertal

Ein Bier in der Lausitz

Ein Bier in Hamburg. Und an der Elbe und der Küste entlang

Ein Bier in Bremen

Ein Bier im Speisewagen zwischen Berlin-Spandau und Berlin Südkreuz

Ein Bier in München und in der Umgebung

Ein Bier in Forchheim

Ein Bier in Bamberg

Ein Bier in Vilshofen an der Donau

Das letzte Bier

Dank

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Das erste Bier

Das erste Bier meines Lebens habe ich mit fünfzig getrunken. Ja, ich war schon ziemlich alt. Freunde von mir haben die Sache früher erledigt, mit vierzig oder dreißig, manche schon mit achtzehn …

Nicht mit achtzehn Jahren, sondern mit achtzehn Minuten. Ich also erst mit fünfzig Minuten, vielleicht sogar mit sechzig oder siebzig. Meine Mutter kann sich nicht mehr genau erinnern. Auf jeden Fall war es am 8. Juni 1972 in Turnov, im Herzen des Böhmischen Paradieses. So heißt die Gegend, in der ich aufgewachsen bin und wo ich immer noch eine kleine Wohnung habe und gern schreibe.

In der Geburtsklinik am Rande der Stadt lag ich auf dem Herzen meiner Mutter, öffnete die Augen und war ein wenig verloren. Ich wusste nicht, was mit mir los war, wo ich gerade war und warum. Vielleicht schrie ich deshalb so sehr. Dann hat mich meine Mutter gestillt. Das beruhigte mich ungemein. Es ging mir gleich viel besser. Ich schlief sanft ein und träumte den ersten Traum meines Lebens. Komisch, oft träume ich tatsächlich von Bier. Von einem leeren Wirtshaus, in dem die Wände, Tische und Biergläser Geschichten erzählen. Von einem frisch gezapften Bier auf einem Tisch. Von meinen Freunden, die ich im Wirtshaus treffe, nicht nur, um gemeinsam Bier zu trinken, sondern auch, um zu reden. Und manchmal zu singen.

Vielleicht hängt es mit dem ersten Bier zusammen, das ich mit der Muttermilch zu mir nahm. Etwa eine Stunde zuvor, gleich nach meiner Geburt, die ziemlich lange dauerte, wurde meiner Mutter ein Glas Bier gereicht. Als Heiligtum, ja als Sakrament vom Chefarzt persönlich. Ein Bier zur Stärkung. Ein Bier als erste medizinische Hilfe böhmischer Art, um die Milchbildung anzuregen, wie der Arzt erklärte. Ein Bier als Anerkennung, dass es meine Mutter geschafft hatte. Es war ein schwarzes, schweres, malziges Bier, vermutlich aus der im Jahr 1850 gegründeten Brauerei in Rohozec, einem Vorort von Turnov. Oder aus Svijany, einem Dorf in der Nähe, aus einer noch viel älteren Burgbrauerei, die auf einem Hügel über der Iser thront. Das erste Bier wurde hier schon 1564 gebraut, und mittlerweile ist es nicht nur in ganz Tschechien bekannt. Es wird viel in der Slowakei oder in Polen getrunken. Oder in Sachsen.

Doch vermutlich war es das Bier aus Rohozec, das auch mein Vater sehr gern trinkt, wenn er nach der Arbeit im Garten in der Laube sitzt, bevor er dann in sein Stammlokal geht. Dieses Bier hat mich durch die unruhigen Gewässer der Pubertät und der Zeit auf dem Gymnasium in Turnov geführt. Ja, manchmal, wenn ich mich im Spiegel anschaue, sage ich zu mir: Mensch, Jaroslav, du bist dieses Bier! Ein voller Bierkrug auf zwei Beinen. »Hoffentlich bleibt das Glas lange voll«, sagt mein Vater dazu.

Die Brauerei in Rohozec liegt nicht weit von einem Schloss entfernt und erinnert selbst an ein Schlösschen. Damals allerdings an ein bestenfalls marodes Schlösschen. In der sozialistischen Zeit hat man nicht viel in die Industrie investiert. Das war nicht nur bei uns so, sondern auch in der Deutschen Demokratischen Republik. Nach Zittau, in die nächste deutsche Stadt direkt an der Grenze, sind es aus dem Böhmischen Paradies kaum siebzig Kilometer. Als Jugendliche waren wir oft in der Lausitz. So viele Reisemöglichkeiten hatten wir nicht – und die Ostdeutschen auch nicht. Im Sommer hat man sie oft an einem Teich im Böhmischen Paradies getroffen. Es war das Bier, das uns einander nähergebracht hat. So lernte man schnell auch die deutsche und tschechische Sprache. Es sind Freundschaften und Liebschaften entstanden.

Als Jugendliche sind wir oft mit dem Zug über Liberec nach Zittau gefahren und haben uns dort auf die Suche nach dem deutschen Bier gemacht. Ganz ehrlich: Besonders gut hat es uns nicht geschmeckt. Es war oft trüb, ohne Geschmack, fast ohne Leben, manchmal sogar ein wenig sauer. Was wir aber toll fanden: dass man dort schon mit sechzehn Jahren Bier trinken durfte. In der Tschechoslowakei war es erst mit achtzehn erlaubt, in Tschechien ist es bis heute so. Trotzdem haben wir als Jugendliche natürlich überall Bier bekommen.

Als ich geboren wurde, wusste ich nichts über Bier, über dieses heilige Getränk. Ich wusste nichts von den wunderbaren Prager, Münchner, Amsterdamer, Bamberger oder Düsseldorfer Kneipen, in denen die Zeit stehen geblieben ist und deren Schankräume ganze Romane erzählen könnten. Nichts von Literaten wie Bohumil Hrabal, Jaroslav Hašek oder Jean Paul, die das Bier so liebten und zelebrierten. Nichts von dem Musikkomponisten Bedřich Smetana, der in Litomyšl in der Schlossbrauerei geboren wurde, wo sein Vater als Braumeister tätig war. So gesehen kann man sein weltberühmtes symphonisches Gedicht Mein Vaterland nicht vom Bier trennen. Am Ufer der Moldau, der Smetana ein musikalisches Denkmal gesetzt hat, stehen bis heute mehrere Brauereien.

Ich wusste auch nichts von Kölsch und Alt oder den schweren Trappistenbieren aus Belgien, nichts von Guinness und Dublin, wo vielleicht die schönsten Pubs in ganz Europa zu finden sind. Nichts von jener Brauerei in Island, die in einem Fjord ein tolles böhmisches Bier braut. Nichts von den Brauereien in München und auf dem Oktoberfest, das jeder, der Bier liebt, einmal im Leben besuchen muss. Mindestens. Auch wenn er das am nächsten Tag vielleicht bereuen und verkatert im Zug nach Berlin oder Prag sitzen wird. Ich wusste nichts davon, wie stark uns das Bier und die Bierkultur in Mitteleuropa verbinden.

Vier Jahre vor meiner Geburt, am 21. August 1968, haben die Sowjets die Tschechoslowakei überfallen. Und auch die eine oder andere Brauerei oder das eine oder andere Gasthaus geplündert. »Kein Bier für die Okkupanten« stand an vielen Tafeln geschrieben. Auch bei uns im Böhmischen Paradies. Die sowjetischen Soldaten wurden im Wirtshaus einfach nicht bedient. Man hoffte, dass alles nur ein böser Traum wäre. Man trank schwarzes Bier, wie immer, wenn man traurig oder wütend war. So hält man es noch heute.

Die Okkupanten sind in der Tschechoslowakei zwanzig Jahre lang geblieben. Die Kneipen wurden zu den Orten, wo man beim Bier die traurige Realität vergessen konnte. Wie schon im Zweiten Weltkrieg, als das Böhmische Paradies und das ganze Land von der Wehrmacht und den Nationalsozialisten besetzt wurden. Unter der deutschen Okkupation haben nicht nur die Menschen, sondern auch das Bier stark gelitten, wie mir mein Großvater erzählte. Man sparte an Hopfen und Malz. Das Bier wurde von Kriegsjahr zu Kriegsjahr immer dünner.

Auch wir flüchteten uns in den Achtzigerjahren als junge Gymnasiasten in eine Kneipe. Unser Stammlokal hieß U Luků, aber alle sagten Alcron dazu, obwohl die Kneipe weit entfernt war vom Niveau des berühmten Hotels in der Prager Innenstadt.

Dieses Lokal war die Universität unseres Lebens. Der Wirt, Luboš hieß er, stand hinter der einfachen Theke im weißen Kittel wie ein Arzt oder Apotheker. Wie ein Priester oder ein Engel. Wir saßen an einfachen Holztischen zwischen den Arbeitern und verliebten uns in den Schriftsteller Bohumil Hrabal, der in seinen Erzählungen genau solche Helden beschrieben hat, mit denen wir nun ins Gespräch kamen. Die Arbeiter aus einer Fabrik für Schrauben, die Metzger, die Eisenbahner. Im Alcron gründeten wir ein Theater, Jindra, Vladimír, Radek, Aleš und ich. Fünf beste Freunde aus dem Gymnasium. Der zukünftige Ingenieur, der zukünftige IT-Spezialist, der zukünftige Bauunternehmer, der zukünftige Lehrer und der zukünftige Buchautor, der immer wieder über die Eisenbahn, die Weltgeschichte und über Bier schreiben würde, was damals niemand von uns ahnen konnte. Im Alcron haben wir gemeinsam das erste Theaterstück geschrieben, stark inspiriert von Václav Havel, der als Dissident im feuchten und kalten Keller der Brauerei in Trutnov im Riesengebirge arbeiten und die schweren Bierfässer rollen musste und über diese Zeit sein vielleicht bestes und bekanntestes Theaterstück geschrieben hat: Audienz.

Im Alcron gab es schwarzes und helles Bier von Rohozec, billigen Schnaps und zum Essen nur Presssack mit Essig, Zwiebel und Brot. Wir liebten diesen Ort. Inspiriert von Hrabal und seiner Novelle Sanfte Barbaren fingen wir, als uns das erste Bier serviert wurde, damit an, die Finger in den Bierschaum zu stecken und ein wenig von diesem bittersüßen dicken Bierschaum in unseren Haaren zu verreiben. Wir nannten es Biertaufe. So saßen wir da, mit dem Bier auf den Tischen, mit dem Bier in den Haaren, mit dem Bier in unseren Seelen und Herzen, und lasen uns aus den Büchern von Hrabal vor, bis der Wirt, der Engel im weißen Kittel, die Zigarette im Mundwinkel, irgendwann zu uns sagte: »Jungs, packt das Zeug weg, das hier ist eine Kneipe, keine Bibliothek. Sonst gibt es kein Bier mehr.«

Vielleicht war es nicht nur Bohumil Hrabal, sondern auch dieser Bierengel, der mir beigebracht hat, in der Kneipe zu schweigen und nur zuzuhören. Zuzuhören und das Gehörte dann aufzuschreiben. Im Alcron habe ich gelernt, dass man die besten Geschichten im Wirtshaus findet. So wurde mir einmal erzählt, dass man in einem Dorf im Böhmischen Paradies die Kinder in der Kirche mit Bier taufe. Und die Toten mit dem Bier wasche, sozusagen als Letzte Ölung. Und dass man den Toten im Sarg auf die letzte Reise zwei, drei Flaschen Bier mitgebe. Als Reiseproviant. Als Gruß ins Jenseits.

Nicht nur meine Mutter, sondern auch mein Vater hat am 8. Juni 1972 ein Bier getrunken. Sogar mehrere Biere. Schwarze Biere der Trauer, weil am Vormittag seine Mutter Růžena begraben wurde, meine Großmutter. Helle Biere der Freude, weil ich da war, sein Sohn. So war und ist das Leben im Böhmischen Paradies. Bis heute spielt das Bier eine zentrale Rolle. Und nicht nur im Böhmischen Paradies, sondern überall in Mitteleuropa. In Prag, München, Bamberg, Köln, Düsseldorf, Linz oder in Wrocław. Wir Mitteleuropäer sind das Bier. Wir sind die Geschichten, die das Bier erzählt und die auch ich in diesem Buch erzählen möchte.

Bier in Tschechien

Ein Bier in Pilsen

Die Geschichte beginnt mit einer Tragödie. Eines Tages war die Qualität des Bieres in Pilsen so miserabel geworden, dass man an einem kalten Tag im Februar 1838 auf dem Marktplatz der Stadt sechsunddreißig Fässer Bier einschlug und das ganze Bier über den Platz vergoss. Wie verzweifelt müssen die Bürger und Wirte von Pilsen gewesen sein? Alle, die Bier mochten, werden an diesem Tag schmerzlich gelitten haben.

Wenn man heute durch Pilsen läuft, kann man diese Geschichte kaum glauben. Pilsen und schlechtes Bier? Das passt nicht zusammen! Was das Bier angeht, ist Pilsen die wahre Metropole Tschechiens – und nicht Prag. Überhaupt ist Pilsen eine der bedeutenden Biermetropolen der Welt. Das erkennt man schon am Bahnhof, der zu den schönsten in Mitteleuropa zählt. Die Empfangshalle des im Jugendstil gehaltenen Bahnhofsbaus schmücken Wandmalereien mit berühmten Stadtmotiven. Auf einem der folkloristisch geprägten Bilder wird mit einem Bier auf das Jahr 1842 angestoßen. Welche andere Stadt hat es so weit gebracht, dass zwei Drittel aller Biere weltweit ihren Namen tragen? Daran denkt man nicht unbedingt, wenn man in einem Lokal in Hamburg, Berlin oder Zürich ein Pils bestellt.

Auch Václav Berka, den ich im Hof der Pilsner-Urquell-Brauerei treffe, erzählt die Geschichte von der Tragödie mit den Fässern auf dem Marktplatz. Denn das schlechte Bier, das an verschiedenen kleinen Orten in der Stadt gebraut wurde, stand am Anfang einer wahren Bierrevolution. Diese kleine Katastrophe führte nicht nur zur Erfindung von Pilsner Urquell, einer der bekanntesten Biermarken überhaupt, sondern markiert auch den Anbeginn eines vollkommen neuen Bierstiles, der sich von Pilsen rasant über die ganze Welt ausbreitete.

Herr Berka, Jahrgang 1956, weiß viel darüber. Er ist der Senior-Braumeister von Pilsner Urquell. Sein erstes Pilsner Urquell hat er gebraut, als er fünfzehn Jahre alt war, während einer brigáda, wie man damals zu einem Ferienjob sagte.

»Natürlich war es toll. Ich war sehr stolz, dass ich ein Bier brauen durfte«, erzählt Herr Berka im Wirtshaus auf dem Brauereigelände. Schon früh wusste er, dass er eine Ausbildung zum Brauer und Mälzer machen wollte. Später studierte er Brauwesen an einer Universität in Prag.

Vor der Tür des Lokals steht sein Dienstwagen, wie er scherzhaft sagt. Es ist ein alter Lieferwagen der Marke Citroën, der in eine Schenke auf Rädern umgebaut wurde. Manchmal nimmt Herr Berka den Wagen, fährt über das Gelände der Brauerei oder aufs Land und schenkt dort Bier aus. So macht es ihm Spaß.

Wir trinken einen Schnitt zusammen. Šnyt, wie man auf Tschechisch sagt. Das große Glas wird zur einen Hälfte mit Bier und zur anderen mit feinem, cremigem, ja fast sahnigem Bierschaum gefüllt, der typisch für die böhmischen Biere ist und ganz besonders für das Pilsner Urquell.

Diesen bittersüßen Schaum mag ich so sehr, dass ich manchmal ein volles Schaumglas bestelle. Und ich bin nicht der Einzige, der das tut. Diese Variation heißt dann Milch, mlíko. Ich habe eine Freundin in Berlin, die Hana heißt und in Tschechien nur mlíko trinkt und davon träumt, in diesem Schaum zu baden. Hana glaubt, dass der Schaum ihrer Haut und Seele guttut.

Selbstverständlich kann man auch ein klassisches großes Bier bestellen, zu dem man hladinka sagt, was man mit Oberflächlein oder Spiegelchen oder vielleicht poetischer mit Meeresspiegelchen übersetzen könnte. Die Schaumkrone des Bieres ist dann etwa drei Finger dick und endet dort, wo auch das Glas oder der Krug endet. Ja, sie bildet im Glas tatsächlich ein kleines, feines, ruhiges böhmisches Meer aus Bierschaum. Der Schaum hat jedoch auch eine Funktion. Er ist wie ein Deckel, der den flüssigen Schatz im Glas vor der Luft beschützt und länger frisch hält. Wenn man das Glas hochhebt und sich das Bier im Licht anschaut, sieht man, dass man eigentlich kein Bier trinkt, sondern flüssiges Gold.

Nach der Biertragödie auf dem Marktplatz kamen die Bürger von Pilsen miteinander ins Gespräch. Es war klar, dass Pilsen so schnell wie möglich eine neue, moderne Brauerei brauchte. Der Pilsner Bauunternehmer Martin Stelzer machte sich auf eine kleine Weltreise und sah sich viele Brauereien an. In München, im restlichen Bayern, in Wien und sogar in England, wo man in den großen Mälzereien das Malz schon indirekt mit heißer Luft und ohne Rauch trocknete. Dieses Malz war heller – und damit auch das gebraute Bier. Und irgendwann traf Martin Stelzer in Niederbayern auf den Braumeister Joseph Groll, der schon Erfahrungen mit untergärigem Bier gesammelt hatte. In Böhmen hatte man bis dahin nur obergäriges Bier getrunken: bílé pivo, ein Weißbier, und červené pivo, ein Rotbier. Das Weißbier wurde mit Weizen gebraut, das Rotbier mit Gerste. Beide Biere waren schön trüb und dunkel. Man trank sie aus Steinkrügen. In Bayern verbreitete sich jedoch auch das untergärige Bier recht schnell.

Der Brauer Groll wurde in die Stadt Pilsen eingeladen. Und er kam nicht allein – er brachte seine Hefe mit. Man kann davon ausgehen, dass ein kleines bisschen von ebendieser Hefe bis heute in jedem Pilsner Urquell treibt, von diesem auffällig unauffälligen einzelligen Pilz, den Groll in einem Eimer über die Berge aus Vilshofen an der Donau nach Pilsen brachte.

Bei den obergärigen Bieren wie dem englischen Ale, dem Weißbier oder dem Alt und Kölsch wird für die Gärung, bei der sich der Malzzucker in Alkohol verwandelt, mit der sogenannten obergärigen Hefe gearbeitet, die während der Gärung an die Oberfläche des Gärbottichs steigt und dort abgeschöpft werden muss. Da diese Gärung noch bei höheren Temperaturen um die 20 Grad funktioniert, konnte man auch im Sommer brauen. Das ist hingegen bei untergärigem Bier nicht so einfach. Die untergärige Hefe, die Groll nach Pilsen brachte und die sich nach der Gärung am Boden des Bottichs sammelt, ist sehr temperaturempfindlich und fühlt sich bei deutlich niedrigeren Temperaturen um die 10 Grad wohl. Noch viel kühler müssen die Lagerräume sein, in denen das Bier in den Fässern oder Tanks reift. Vom Wort Lagern kommt auch der Name der Biersorte Lager. Pils ist ein Lagerbier, und das Helle, das man in Bayern trinkt, ist es auch.

Da es einfacher war, braute man deshalb früher auch in Böhmen obergärige Biere. Doch die untergärigen Biere waren neu, schmeckten anders und oft sogar besser. Um das Bier während der Gärung und Lagerung kühlen zu können, baute man in Pilsen unter der Brauerei ein einzigartiges Stollensystem aus, in dem Temperaturen zwischen 0 und 5 Grad herrschen. Fast zehn Kilometer lange Gänge und Stollen musste man in den Felsen schlagen. Dazu gehörten auch Eiskeller, die man im Winter mit Eis füllte, das für die zusätzliche Kühlung sorgte und zusammen mit dem Bier an die Wirte ausgeliefert wurde. In Pilsen hat man es so bis hinein in die Achtzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts gemacht, daran kann sich Herr Berka noch gut erinnern.

Als Groll nach Pilsen kam, fand er eine kleine moderne Brauerei vor: das Bürgerliche Brauhaus. Mit einem neuen Sudhaus, einer modernen Mälzerei, einem Gärkeller und einem Lagerkeller. Und, ganz wichtig: Aus dem Brunnen dort floss sehr weiches Wasser, das ideal zum Brauen war.

Groll braute am 5. Oktober 1842 seinen ersten Sud. Als dann am 11. November 1842 schließlich das erste Fass angestochen wurde, waren die Pilsner Biermenschen begeistert. Das Bier schmeckte nicht nur gut, es sah auch sehr schön aus. Als hätte sich in jedem Glas eine kleine strahlende Sonne versteckt.

In der Stadt Jičín im Böhmischen Paradies trinke ich dieses Bier gern mit meinen Freunden nach der Sauna im Grandhotel Praha. Mit Milan, der in seinem Leben nur einmal ein anderes Bier getrunken hat und danach drei Wochen krank war, wie er oft erzählt. Mit Rudolf, unserem Hausarzt, der lange auch als Frauenarzt gearbeitet hat und so alles über Männer, Frauen und Liebe im Böhmischen Paradies weiß. Immer, wenn ihn in der Sauna jemand nervt und sich beschwert, dass ihm irgendwo wieder etwas wehtut, im Bauch, im Kopf oder im Knie, sagt Rudolf: »Weißt du was? Trink drei Pilsner Urquell, und es wird dir gleich besser gehen, glaube mir. Ich mache es genauso.« Er weiß natürlich, dass einige mehr als drei Gläser trinken werden. Aber was kann man machen? Man kann sich schlecht wehren. Dieses Bier trinkt sich einfach so gut. »Und so soll es bei einem guten Bier auch sein«, sagt Herr Berka dazu.

Mehrmals habe ich Milan gefragt, ob wir nicht zusammen mal ein anderes Bier ausprobieren könnten, zum Beispiel im Hotel Restart gleich neben unserer Sauna, in dem auch Craftbiere aus dem Böhmischen Paradies ausgeschenkt werden. Doch Milan bleibt dabei: »Ich kann nur Pilsner Urquell trinken. Das tut meinem Körper gut. Und meiner Seele auch.«

Damals kam das neue Bier aus Pilsen so gut an, dass es bereits ein Jahr später, 1843, im legendären Prager Wirtshaus U Pinkasů ausgeschenkt wurde. Heute noch kann man das Pilsner Urquell an diesem Ort genießen.

Ab 1856 wurde das Pilsner nach Wien geliefert, in die Hauptstadt der alten Habsburger Monarchie. 1859 ließ sich das Bürgerliche Brauhaus die Marke Pilsner Bier registrieren, wovon auch andere Brauereien in Pilsen profitierten. Doch nicht nur in Böhmen wurde die grollsche Biererfindung nachgeahmt, sondern auch in Deutschland. So braut man seit 1872 Pilsner Bier in Radeberg bei Dresden. Bald wurde Pilsner Bier mit Schiffen nach Nordamerika geliefert und reifte in den Fässern, die während der langen Reise unter der Wasserlinie gelagert wurden, da es dort ausreichend kühl war. Für den Export mit der Eisenbahn wurde eigens ein Bahnanschluss in der Pilsner Brauerei angelegt und eine ganze Flotte an Kühlwagen angeschafft. 1914 waren es immerhin 388 Stück. Einer von ihnen steht noch heute auf dem Hof der Brauerei.

Die Konkurrenz in der Stadt Pilsen wuchs. Irgendwann gab es gleich vier große Brauereien. Wegen der Markenrechte ist das Bürgerliche Brauhaus mehrmals vor Gericht gezogen. Seit 1898 ist die Marke Pilsner Urquell nun geschützt. Doch ein Pils oder Pilsner als Bierstil darf man auf der ganzen Erde brauen. Und den Pilsner Lebensstil kann man überall zelebrieren, nicht nur im Böhmischen Paradies.

Wie berühmt die Brauerei früher schon war, bestätigt die Erwähnung im Reiseführer Baedeker für Österreich-Ungarn von 1913, mit dem ich gern durch Mitteleuropa reise. Ein Besuch der Brauerei wird hier genauso empfohlen wie schöne Schlösser, alte Burgen oder sehenswerte Museen: »Nördlich vom Bahnhof das 1842 gegründete Bürgerliche Bräuhaus (Zutritt werktags 9–11 und 2–4 Uhr), mit Felsenkellern; unweit östlich die Erste Pilsner Aktien Brauerei.« Eine Sehenswürdigkeit, die sogar der Kaiser Franz Joseph I. besuchte.

Als 1892 das Bürgerliche Brauhaus seinen fünfzigsten Geburtstag feierte, wurde das monumentale Eingangstor erbaut, das an den Arc de Triomphe erinnert, den Triumphbogen in Paris. In dieser Zeit war die Brauerei bereits die größte in der Donaumonarchie. Und Pilsen eines der wichtigsten Industriezentren des Landes. So ist es auch nach 1918 geblieben, als die Monarchie zerfiel und die Tschechoslowakei entstand. In den Škoda-Werken in Pilsen wurden nicht nur Lokomotiven produziert, sondern auch Waffen.

Im Zweiten Weltkrieg, als das Land von den deutschen Nationalsozialisten als Protektorat Böhmen und Mähren besetzt wurde, wurden in Pilsen bald Panzer für die Wehrmacht geschweißt. Deshalb wurde Pilsen auch als eine der wenigen tschechischen Städte von den Alliierten bombardiert. Ein paar Treffer haben damals auch die Brauerei beschädigt.

Anfang Mai 1945 wurde Pilsen von den amerikanischen Truppen befreit. Da hörte man oft in den Lokalen die amerikanischen Soldaten die Beer Barrel Polka singen, das vielleicht bekannteste Trinklied über Bier überhaupt. Weniger bekannt ist, dass es 1927 von dem Tschechen Jaromír Vejvoda komponiert wurde als Škoda lásky, ein trauriges Lied über vergebene Liebesmüh.

In der kommunistischen Zeit geriet der Name Joseph Groll ein wenig in Vergessenheit. In die sehr nationalistisch geprägte Geschichtserzählung der ČSSR wollte das Bild von einem Deutschen, der in Pilsen das weltbekannte tschechische Bier kreierte, nicht hineinpassen. Alles, was mit deutschsprachiger Geschichte zu tun hatte, wurde verdrängt und verschwiegen.

Heute ist es anders. Man ist in Pilsen stolz auf Groll, der selbst nur drei Jahre in der Brauerei wirkte. Auch einige seiner Nachfolger waren Braumeister aus Bayern. Ihre Namen und Bildnisse kann man während der Führung an einer Wand aufgereiht sehen, der Wall of Fame des Pilsner Urquell. In dieser Reihe steht auch Václav Berka. So wie alle, die ich in der Brauerei getroffen habe, ist Herr Berka sehr stolz, ein Teil dieser Braufamilie zu sein.

Wir trinken noch ein šnyt zusammen. Diesmal ist es das unfiltrierte Bier. Leicht trüb, man schmeckt noch die Reste der Hefe. So hat wahrscheinlich auch 1842 das Bier geschmeckt, denn damals hat man das Pils noch nicht filtriert. Die Hefereste versammelten sich auf dem Fassboden. So musste man immer die Fässer ruhen lassen und sollte man das Bier möglichst wenig bewegen, damit die Hefe sich absetzen konnte. Zu viel Bewegung tut bis heute dem Bier nicht gut. Ja, sehr behutsam muss man mit dem Bier umgehen, das hat es verdient.

»Bier mag einfach keine Extreme«, erzählt Herr Berka. Es muss immer auf die richtige Temperatur geachtet werden. Im Keller, in der Wirtschaft, im Glas. Überall sollte es gleich kühl bleiben. Denn dann schmeckt es genauso fantastisch wie das Bier, das wir zusammen in der Brauereischenke trinken.

»Und du hast noch nicht das Bier im Keller probiert«, sagt Herr Berka.

Der Weg dorthin führt uns zuerst zum Herzstück der Brauerei, in das alte Sudhaus. Herr Berka schaut sich in dem riesigen Raum um und klopft auf eine der großen Kupferpfannen. »Hier ist es gewesen. Hier habe ich meinen ersten Sud Pilsner Urquell gebraut.«

Der weiß gekachelte Raum ist lang, breit und hoch. Zwölf Kessel stehen hier jeweils zu zweit gepaart, ein Bottich oben und eine Pfanne unten. Der Brauprozess, der einen guten halben Tag dauert, fängt im oberen Bottich an. Hier wird das geschrotete Malz mit kaltem Wasser vermischt. Ein Teil wird in die untere Pfanne gegeben, in der man mit dem Kochen beginnt. Die Pfanne wird mit direktem Feuer beheizt. Das ist wichtig, denn so kann das Malz gut karamellisieren. Dabei entsteht die bekannte goldgelbe Farbe des Bieres und auch der typische Geschmack mit dem angenehmen Malzaroma. Danach wird die warme Masse nach oben gepumpt, wo sie sich mit dem Rest mischt. So steigt langsam auch die Temperatur. Dann wird wieder ein Drittel nach unten geführt. Insgesamt dreimal wird das Maischen so durchgeführt. Danach wird im oberen Bottich geläutert. Auf dem Boden setzen sich die Malzreste ab und bilden den sogenannten Trebekuchen, einen natürlichen Filter. Die reine Würze fließt gefiltert wieder von oben nach unten und wird in der Pfanne mit dem Hopfen verkocht.

Die Zahl Drei scheint in Pilsen eine magische Zahl zu sein. Dreimal wird gemaischt, dreimal wird gehopft, und drei Pilsner Urquell sollte man trinken, wie unser Arzt Rudolf in der Sauna erklärt hat.

Das Sudhaus, in dem wir stehen und wo mir Herr Berka den Brauprozess erklärt, wird heute nicht mehr genutzt. Allerdings wird im neuen Sudhaus noch ganz ähnlich gearbeitet. Auch heute wird die Maischpfanne mit direktem Feuer erhitzt, wobei früher unter den Pfannen mit Holz und Kohle geheizt wurde und man heute Gas verwendet.

Viele Fragen habe ich an Herrn Berka zur Rezeptur für das legendäre Pilsner Urquell. »Die goldene Regel lautet: Nichts ändern«, sagt er. Und fügt hinzu: »Du kannst die Technologie ändern und modernisieren, mit der du das Bier braust. Aber du darfst nicht das Bier ändern, die Zutaten oder den Brauprozess.«

Herr Berka zählt an den Fingern die Zutaten für das Pilsner Urquell auf, die sich bis heute nicht verändert haben:

»1. Das weiche Pilsner Wasser aus unserem Brunnen.

2. Der Saazer Hopfen aus Westböhmen, der fein und zugleich aromatisch ist.

3. Das Pilsner Malz aus unserer eigenen Mälzerei, die wir in der Brauerei haben.

4. Unsere Hefe.

5. Kupferpfannen, die gut die Hitze leiten.

6. Feuer, das unsere Pfannen erhitzt und das Malz leicht karamellisieren lässt.

7. Zeit, denn gutes Bier braucht Zeit, insgesamt sind es bei uns fünf Wochen.«

So war es bereits im Jahr 1842 bei Joseph Groll, so ist es auch heute bei Herrn Berka. So wird es auch 2042 sein, wenn Pilsner Urquell mit einem zukünftigen Braumeister oder einer Braumeisterin und mit begeisterten Biermenschen aus der ganzen Welt sein 200-jähriges Jubiläum feiern wird.

Und dann darf ich im Keller ein unfiltriertes Pilsner Urquell aus einem riesigen, fast schwarzen Eichenfass probieren – es ist das beste Bier, das ich in meinem bisherigen Bierleben getrunken habe. Poesie im Bierglas. Und sehr gutes Handwerk, wie 1842. Und ein Höhepunkt der Brauereiführung, die alle Biermenschen machen können.

Es ist kein Zufall, dass man den Keller heute in Teilen noch nutzt. Man vergleicht das hier gelagerte Bier mit dem Bier, das an anderer Stelle der Brauerei in modernen Edelstahltanks reift und lagert. Denn das Bier dort muss genauso gut sein wie das Bier aus dem Keller. Deshalb werden in der Pilsner Brauerei auch gleich acht Fassbinder angestellt, die sich um die Fässer kümmern und neue Fässer fertigen.

Im Baedeker für Österreich-Ungarn von 1913 wird in Pilsen ein klassisches Bierlokal empfohlen, das es heute noch gibt: das Salzmann. Das Bier und das Gulasch schmecken vermutlich genauso gut wie damals. Neben dem Salzmann, auf Tschechisch U Salzmannů, gibt es in Pilsen noch weitere großartige Lokale, in denen man Pilsner Urquell in einer unglaublichen Qualität serviert bekommt. Man kann gleich in der Brauerei beginnen, in dem Lokal, in dem ich Herrn Berka getroffen habe, um mit ihm mehrere šnyt zu trinken. Und auf dem Marktplatz befindet sich in einer ehemaligen Apotheke eine Bierstube, die auch Apotheke heißt. Ein Ort für alle, die glauben, dass Bier tatsächlich eine heilende Wirkung hat.

Von den vier Großbrauereien, die es früher in Pilsen gab, sind heute nur zwei geblieben: Gambrinus und eben Pilsner Urquell. Seit vielen Jahren gehören sie zusammen und bilden in Pilsen ein eigenes Bierviertel. Ja, eine eigene große Bierinsel, auf der zudem noch zwei neue Brauereien entstanden sind.

In einem ehemaligen Kraftwerk zum Beispiel befindet sich eine Brauerei, die auf moderne Biere für ein junges urbanes Publikum setzt. Elektrárna heißt das Brauhaus, Kraftwerk. Und dann gibt es noch eine ganz kleine Versuchsbrauerei, ein Bierlabor, wo neue Biere gebraut und getestet werden. Man kennt sich in der Brauerei, daher darf ich mit Herrn Berka kurz diesen Ort besuchen und sogar in die Maischpfanne schauen und an dem gebrauten Bier riechen. Es duftet wunderbar nach Lebkuchen. Was genau aber in der kleinen Versuchsbrauerei gebraut wird, das wird niemandem verraten. Nicht einmal Herrn Berka, der sonst alles weiß.

Neben der Minibrauerei befindet sich ein Raum, in dem die Biere verkostet werden. Regelmäßig steht auch das Pilsner Urquell auf dem Prüfstand. Alle zwei Monate werden pensionierte Brauer und Braumeister eingeladen, um hier Bier zu trinken. Man will von den alten Profis wissen, ob sich das Pilsner Urquell verändert hat oder nicht. Ob es genauso gut schmeckt wie damals, als sie am Werk waren. Mit der Qualität sind die pensionierten Prüfer immer sehr zufrieden.

»Ich hoffe, dass nicht nur im Jubiläumsjahr 2042, sondern auch 3042 in Pilsen genauso gebraut wird, wie wir es jetzt machen. Und dass das Bier genauso gut schmecken wird«, sagt Herr Berka, als wir zusammen das letzte šnyt trinken.

Das werden wir dann natürlich überprüfen. So haben wir es ausgemacht. Wir treffen uns alle in Pilsen nicht nur 2042, sondern auch 3042 und stoßen in der Brauereiwirtschaft mit Pilsner Urquell auf das Pilsner Urquell und Joseph Groll an. Milan und Rudolf aus der Sauna im Böhmischen Paradies, mein Vater, Herr Berka, ich und andere Freunde von uns. Und natürlich auch Hana, die ein Bad in mlíko nehmen wird, weil sie dann schon mit Sicherheit weiß, dass Pilsner Bier wirklich unsterblich macht.

Ein Bier mit den Heiligen in Kounice

Brauer und Mälzer haben es gut. Denn sie sind auf dieser Welt nie allein. Gleich mehrere Schutzpatrone und Schutzpatroninnen passen auf sie auf. Der heilige Arnulf zum Beispiel, der die Kranken mit Bier geheilt hat. Der heilige Florian, der die Brauer und Mälzer vor Feuerbränden beschützt. Und die heilige Hildegard von Bingen, Mystikerin und Naturheilerin, wird verehrt, denn sie hat Bier als heiliges Getränk gepriesen und war überzeugt, dass Hopfen das Bier nicht nur länger haltbar macht, sondern zudem eine beruhigende Wirkung hat. In Bingen am Rhein wurde eine Brauerei nach ihr benannt.

Wenn man vor der barocken Mälzerei in Kounice steht, einer kleinen Ortschaft östlich von Prag, sieht man sofort einen echten Heiligen, der im Barockgiebel angebracht ist. Es ist der heilige Wenzel, der böhmische Landespatron, der seine schützende Hand über die böhmischen Brauer und Mälzer hält.

Auch Karel Klusáček, Jahrgang 1931, den ich in der Mälzerei treffe, hat etwas von einem Heiligen. Denn er hat das Werk gerettet. Eigentlich wollte Herr Klusáček schon in Rente gehen, doch dann kam die Samtene Revolution, und seine Familie erhielt 1992 diese alte Mälzerei zurück. In einem trostlosen Zustand, vieles war über die Jahre heruntergekommen. Herr Klusáček musste viel Zeit und Arbeit investieren, um die Mälzerei zu retten. Heute stehen die ältesten Gebäudekomplexe unter Denkmalschutz.

Nach wie vor ist die kleine Mälzerei in Kounice ein Familienbetrieb. Es wird noch immer handwerklich gearbeitet, ganz anders als in den großen industriellen Mälzereien. Das Bier besteht zu mehr als neunzig Prozent aus Wasser. Doch wenn man mit Herrn Klusáček redet, weiß man gleich, was die wichtigste Zutat für ein gutes Bier ist: das Malz. Wenn er vom Malz erzählt, hört es sich an, als würde er über ein Heiligtum sprechen: »Das Malz ist die Seele des Bieres«, sagt er und wiederholt diesen Satz mehrmals während der Führung durch seine Mälzerei. »Das Malz ist für den Körper des Bieres zuständig, für die Vollmundigkeit, den Charakter und das Aroma, für den Geschmack und für die Farbe.« Und auch dafür, wie dicht und fest der Schaum ist und wie lange er hält. Dabei spielt auch der Hopfen eine Rolle.

Eine Brauerei und Mälzerei gab es in Kounice schon im sechzehnten Jahrhundert. Damals gehörte zu jeder Brauerei immer auch eine Mälzerei. Geändert hat sich das erst mit der Industrialisierung, als die ersten großen Bierfabriken und Großmälzereien entstanden, die fortan die Brauereien mit dem Malz belieferten. Aus der Zeit geblieben ist, dass man heute immer zugleich den Beruf des Brauers und des Mälzers erlernt.

Für das Malz wird meistens Braugerste verwendet. Malz lässt sich jedoch auch aus anderen Getreidesorten zubereiten. Für ein Weißbier braucht man Weizenmalz. Manchmal wird auch Roggen oder Dinkel zu Malz verarbeitet. Doch am häufigsten nutzt man Gerstenmalz zum Bierbrauen.

Herr Klusáček führt uns durch sein altes Reich. Man muss viele Treppen laufen. Ganz oben zeigt er uns die sogenannte Weiche, in der die Braugerste in einem großen Bottich unter Wasser liegt und das Wasser geduldig einsaugt. In einem Kellerraum wird das eingeweichte Getreide auf einem Boden aus Marmorplatten ausgebreitet. Man spricht von einer Tenne, woher auch die Begriffe Tennenmalz und Tennenmälzerei kommen. Dem Grünmalz lässt man auf der Tenne mehrere Tage Zeit zum Keimen, dafür ist eine natürliche Belüftung wichtig.