Gebrauchsanweisung für Dänemark - Thomas Borchert - E-Book

Gebrauchsanweisung für Dänemark E-Book

Thomas Borchert

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Beschreibung

Im »hyggeligsten« Land der Welt Vom Øresund bis zum Belt, von Aarhus bis nach Kopenhagen, von Christiansborg bis zur Knippelsbro – inmitten von Steilküsten und Heidelandschaften, stürmischer See und blühenden Rapsfeldern erkundet Thomas Borchert für uns seine Wahlheimat.  Wo das Ferienhaus lockt Seit vier Jahrzehnten mit einer Dänin liiert, führt uns der Autor kenntnisreich und mit liebevollem Witz in unser Nachbarland ein. Wo 7500 Kilometer Küste zum Verweilen einladen, Babys angeblich mit einer Fahrradklingel auf die Welt kommen und das sommerhus gerne an Besucher aus dem Nachbarland vermietet wird. Entspannte Hauptstadt Er streift durch Kopenhagen, wo gemütliche Bars zum Verweilen einladen und im »Freistaat Christiania« die Hippies regieren. Nimmt von Bornholm bis Møn die 406 Inseln unter die Lupe. Blickt auf Exportschlager wie Mads Mikkelsen und die beliebte TV-Serie »Borgen« ebenso wie auf die älteste Monarchie Europas, die sich dennoch sehr modern gibt. Mit einem Augenzwinkern verrät er uns außerdem, ob die Däninnen und Dänen wirklich so glücklich sind und was wir außer Hygge in Sachen Liebe, Mode und Geselligkeit sonst noch von ihnen lernen können … Unser beliebtestes skandinavisches Reiseziel Eine glühende Liebeserklärung an unsere Nachbarn und der perfekte Begleiter für alle Dänemark-Fans – und diejenigen, die es noch werden wollen.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der Verlag dankt für die Genehmigung zum Abdruck der Passage im Kapitel »Magisches Bornholm« aus: Hans Henny Jahnn, Werke und Tagebücher in sieben Bänden, Hamburg 1974, © Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1974; und der Passage im Kapitel »Helles Jütland – Kuchenschlachten und richtige Schlachten« aus: Siegfried Lenz, Zaungast, München 2006, © Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2002.

Aktualisierte und erweiterte Neuausgabe 2025

© Piper Verlag GmbH, München 2017 und 2025

Dieses Werk wurde vermittelt durch Aenne Glienke | Agentur für Autoren und Verlage, www.AenneGlienkeAgentur.de

Redaktion: Ulrike Gallwitz, Freiburg

Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de

Coverabbildung: schwimmendes Café am Kalvebod-Kai, Kanal in Kopenhagen (Maurizio Rellini / AWL Images)

Karten: cartomedia, Karlsruhe

Litho: Lorenz & Zeller, Inning am Ammersee

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

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((Text bei Büchern ohne inhaltsrelevante Abbildungen wie z.B. Schmuckvignetten))

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Karte von Dänemark

Karte von Kopenhagen

Von Svante lernen

Mit Fähre und Fahrrad

Flach wie eine Flunder

Zeitreise in der City

Das neue Kopenhagen

Ein schönes Ghetto

Hyggt euch!

Ein König im Dauerlauf

Ex-Hauptstadt mit Dom und hellem Wahnsinn

Singen macht froher

Warum trinkt Jeppe?

Wo die Chefärztin Brötchen für alle schmiert

»Borgen«: Wettlauf zwischen Fiktion und Wirklichkeit

Katrine und Jussi zahlen freudig Steuern

Wie dänisch ist Lego?

Freundlichkeit über Louisiana

Dänen und Deutsche: eine ungleiche Beziehungskiste

Däne werden ist sehr schwer

Unter Fünens Strohdächern

Magisches Bornholm

Helles Jütland

Kuchenschlachten und richtige Schlachten

Nummer zwei mausert sich

Von der Heide zur Erlebnisindustrie

Das Meer ist der Geschichtsschreiber

Der Sturm bewegt alles ein Stück weiter

Noch Fragen? – FAQ an Dänemark

Buchtipps

Zu Geschichte und Gesellschaft

Romane

Danke

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Karte von Dänemark

Karte von Kopenhagen

Von Svante lernen

So ziemlich alle in Dänemark kennen Svante und seine Lieder. Er freut sich über die aufgehende Sonne, »rot und rund«, vor dem Sommerhaus am Wasser. Während Nina noch duscht, wird schon mal ein Käsebrot gefuttert. Das schmeckt. Dann singt er den Refrain:

Das Leben könnte schlechter sein.

Und gleich kommt auch der Kaffee rein.

Nina drückt ihm, noch nass und nackt, ein Küsschen auf den Mund, ehe sie ihr Haar richtet. Grund genug für die Wiederholung:

Livet er ikke det værste man har.

Og om lidt er kaffen klar.

»Svantes glücklicher Tag« steht in jedem Liederbuch und gehört zum Schulpensum. Alternative Nationalhymne wäre dafür vielleicht einen Hauch zu hoch gegriffen. Benny Andersen, Lieblingslyriker der Dänen, hat den Text 1973 geschrieben. Das Land erkennt sich im kleinen morgendlichen Glück von Svante wieder und fühlt sich wohl im eigenen Nest. Alte wie Junge, Arme und – so wird behauptet – sogar die Reichen können hier mit Käsebrot und Küsschen am frühen Morgen zufrieden bis glücklich sein. Ob das wohl stimmt?

Mit Fähre und Fahrrad

Dänemark hat drei Haupteingänge: hinter Flensburg über die Festlandgrenze nach Jütland. Die Ostseehäfen Rødby und Gedser für den Weg Richtung Kopenhagen. Vom schwedischen Malmö über die elegante Øresund-Brücke, das Prachtportal, direkt in die Hauptstadt. Das reicht eigentlich für dieses überschaubare Land. Mittendrin wird die Sache komplizierter.

Ob sie die Fähre schaffen, ist für Thomas (gesprochen: Tommääss) und Rebecca eine wichtige Frage. Sie müssen von der großen Insel Lolland heim zu ihren Kindern auf die kleine Insel Fejø. Aber, erzählt Thomas Boberg in »Insula«, sie sehen schon im Auto, dass sie eine Minute zu spät da sein werden. »Rebecca ruft den Steuermann an. Das darf man. Sie sagt ihm, dass wir in einer halben Minute ankommen werden, ob er nicht eben warten kann. ›Aber wir haben schon abgelegt‹, erwidert der Steuermann. ›Mist!‹, sagt Rebecca. Als wir den Hafen erreichen, sehen wir, wie die Fähre wendet, damit wir mitkommen können. Wir haben sie also geschafft. An Bord war keine Fracht. Nur Freundlichkeit.«

Das Paar ist aus Kopenhagen nach Fejø, einer Insel mit 500 Bewohnern und zigtausend Apfelbäumen, gezogen. Zwischen Hauptstadt und neuer Heimat ist viermal Inselhüpfen angesagt. Von Seeland, Dänemarks größter Insel, über Farø, Falster und Lolland. Wollen Thomas und Rebecca aufs Festland, vielleicht für eine Konfirmation oder eine Silberhochzeit in Jütland, müssen sie sogar fünfmal über das Wasser. 406 Inseln hat dieses Land. Das Festlokal würde daran zu erkennen sein, dass vor dem Eingang ein Dannebrog, die Nationalflagge, rot-weiß flattert. Das ist Sitte bei den kolossal vielen Familienfesten.

Boberg hatte nach Erscheinen seines Romans über den Alltag auf Fejø jedoch andere Sorgen. Etliche Insulaner waren mit ihren Eigenarten klar zu identifizieren, ohne vorher gefragt worden zu sein. Sie erklärten den zugezogenen Schriftsteller bitterböse zur Persona non grata und erzwangen Streichungen. Allen voran eine Fejø-Bewohnerin, die im wirklichen Leben als Svea und im Buch als Eva dem Steuermann begegnete. Es war für beide leidenschaftliche Liebe auf den ersten Blick, die im Buch zu »Wahnsinn und Zerstörung« führte. Das mochte Svea nicht so gern öffentlich ausgebreitet sehen. Wie gesagt, dieses Transportmittel ist für Dänemark sehr wichtig, und es kann nicht immer nur Freundlichkeit an Bord haben.

Auf der Karte sieht das Land so aus: links das länglich schmale Jütland mit der Nordsee auf der einen Seite. Auf der anderen die Ostsee samt einem Sammelsurium von Inseln und auf Seeland am östlichen Rand schließlich Kopenhagen. Dann kommt wieder Wasser und dann Schweden. »Das Meer ist der gemeinsame Feind der Dänen, es teilt unser winziges Land in zwei Hälften«, klagte 1887 Edvard Brandes, Mitbegründer der heute größten dänischen Zeitung Politiken. Dabei hatten seine Wikingervorfahren das Inselreich doch gerade als beschlagene Seefahrer für ein paar Hundert Jahre zur Großmacht werden lassen. Danach war es permanent in Richtung »winzig« gegangen, bis Brandes die geografischen Gegebenheiten nur noch niederschmetternd fand.

Die Landgrenze Jütlands zum übermächtigen deutschen Nachbarn sei »verführerisch für den Preußen, sich auch das Bajonett zu schnappen, wenn er schon das Gewehr hat«, meinte er. Das dänische Festland schloss sich ja nur wie ein Wurmfortsatz an den mächtigen Nachbarn an. Östlich davon sehe es mit den vielen Inseln nicht besser aus: »Die andere Hälfte liegt zerstückelt da, außerhalb Europas und des Weltverkehrs, schwer zu erreichen, unbefruchtet vom Handel, ausgeschlossen vom internationalen Verkehr und der Leuchtkraft der Ideen.«

Gelindert haben dieses Handicap in tausend Jahren dänischer Geschichte die Fähren. Dabei ging es nicht immer nur um eine möglichst schnelle Verbindung zur nächsten Insel. 1523 nutzte König Christian II. – so geht jedenfalls eine weitverbreitete Legende – die Überfahrt zwischen Jütland und Fünen zum Grübeln: Kampf gegen die Feinde auf dem Festland oder Flucht auf eine Insel? Immer wieder soll der Wankelmütige dem Fährenkapitän auf dem Kleinen Belt den Befehl zum Wenden gegeben und ihn dann widerrufen haben, ehe er sich am Ende für die Flucht entschied. Danach ging ziemlich alles für ihn schief.

Dänen bemühen die Geschichte aus dem Roman »Des Königs Fall« von Johannes V. Jensen, Literaturnobelpreisträger 1944, gern zur Illustration von Wankelmut als angeblicher nationaler Eigenart. Geboren soll der sein aus einem unseligen Mix von Größenwahn und Minderwertigkeitskomplexen. Ich finde Dänen überhaupt nicht wankelmütiger als andere.

1819 zog der Schustersohn Hans Christian Andersen, den in seiner Heimat alle nur H. C. Andersen nennen, aus Odense auf Fünen los nach Kopenhagen auf Seeland. Der Grünschnabel träumte von Ruhm als Balletttänzer oder Schauspieler. Das mit den Märchen war dann eine Notlösung, und sein erstes Hindernis auf dem Weg zum Ruhm wurde der Große Belt. Mindestens eine Nacht hatte man vor dem Sprung über 25 Kilometer Wasser auf die Fähre zu warten, bei schlechtem Wind eventuell viel länger. Noch ein halbes Jahrhundert später fand es ein Reisender hier ganz unromantisch, wenn »die Überfahrt zwischen Nyborg und Korsør zwei Tage dauert und man in der Mitte bei zwanzig Grad Frost auf Sprogø übernachten muss«.

Nach und nach wurde das alles besser. Aber die Frage »Nåede de færgen? – Haben sie die Fähre erreicht?« blieb für die Verbindung zwischen West- und Ostdänemark immer eine entscheidende. Damit überschrieb 1925 auch Johannes V. Jensen seine Novelle über Mann und Frau auf dem Weg von Jütland nach Kopenhagen. Das Paar kommt mit der Fähre auf Fünen an und jagt auf dem Motorrad halsbrecherisch über die Insel, um die nächste Überfahrt nach Seeland zu schaffen. Alle mit Führerschein in Dänemark kennen das Problem und die daraus folgende Gewissensfrage: mit Bleifuß fahren oder eventuell die nächste Fähre verpassen? Ich bin Kronzeuge mit satter Lebenserfahrung.

Als Jensens Schriftstellerkollege Klaus Rifbjerg knapp ein Jahrhundert später mit der Geschichte »Vi nåede færgen! – Wir haben die Fähre erreicht!« antwortete, war das schon ein wehmütiger Rückblick. Die monumentale Brücke über den Großen Belt hat Dänemark zum Jahrtausendwechsel zusammengeschweißt. Ein revolutionärer Sieg über die Geografie, diese und all die anderen gewaltigen Brücken. Das Land ist nicht mehr zerstückelt. Verkehr, Handel und auch die »Leuchtkraft der Ideen« können ungehindert fließen. Von den größeren Inseln fehlt nur dem abgelegenen Bornholm eine feste Verbindung zur Nachbarschaft.

Als junger Mann mit Ehrgeiz könnte Andersen heutzutage in 75 Minuten zwischen Odense und Kopenhagen über den Belt pendeln, wie es so viele Berufstätige und Studierende täglich tun. Ihr Fahrrad nehmen sie in der Bahn mit. Oder, die bessere Variante, sie haben je eines an beiden Bahnhöfen stehen. Odense schlägt Kopenhagen bei der Radelfreundlichkeit. Hinaus zum Uni-Campus geht es auf einer Fahrradautobahn mit tempoförderndem Belag, grüner Welle vor den Autos, Luftpumpenstationen und allerlei anderen Raffinessen. Wer könnte da widerstehen? Mein Freund Henning begründet seine Entscheidung für dieses Fortbewegungsmittel tiefenpsychologisch: »Man kommt auf dem Rad besser gelaunt an.«

Geschwindigkeit ist eben nicht alles, und auch die Fähre ist für die Dänen immer mehr gewesen als nur ein notwendiges Übel. Rifbjerg feierte die vielen Überfahrten als »eine Freistatt«, als »die Stunde, in der nichts Böses passieren konnte, vielleicht bis auf das Unglück, möglicherweise von einem Möwenklacks getroffen zu werden«. Danach setzt man die Reise »in behaglich aufgefrischter Stimmung« fort. Rifbjergs Kollegin Hanne Marie Svendsen sieht die Fähre »als ein bewegliches Inselreich außerhalb der Grenzen der Normalität, das zugleich sammelt und verbindet«. Im Fährenrestaurant findet sie familien Danmark vereint, ohne Unterschied von Klasse, Alter oder sonst etwas. Das Selbstbild als Familie taucht oft auf, wenn Dänen sich gegenseitig erklären, warum sie so zufrieden sind in ihrem Land.

Auch hier gilt: nicht immer. Eine Ministerin bekam Riesenärger, skandal!, als sie in VIP-Manier eine große Fähre zum Warten auf sie überreden ließ. König Frederik bekam royalen Ärger, als er sich in etwas jüngeren Jahren trotz Sperrung wegen Sturm über die Große-Belt-Brücke chauffieren ließ. Alle anderen mussten warten. Beides gehört sich nicht, wenn alle gleich sein sollen.

Pyt, egal, die Brücke ist ganz selten gesperrt. Die Fährenkultur lebt weiter, vor allem durch die kleineren Inseln, die für ihre Bewohner oder die Sommerhausgäste nicht anders zu erreichen sind. Hier winkt zeitlos die Stunde, in der nichts Böses passieren kann.

Fähre und Fahrrad passen gut zu diesem Land. Aber wo anfangen, wenn man sich Dänemark nähern möchte? Im Zentrum oder in der Peripherie? Und was ist Zentrum? In Kopenhagen leben rund zwanzig Prozent der Bevölkerung. Andererseits ist die Hauptstadt geografisch an den Rand gequetscht. Das war nicht immer so. Auch das südwestliche Schweden gehörte zur einstigen Großmacht Dänemark, bis es 1658, wie später noch so vieles mehr, verloren ging.

Vielleicht ist es besser, in Dänemarks Westen zu beginnen? Dafür sollten sich alle entscheiden, die das Land radelnd erkunden möchten, denn der Wind weht meistens von der Nordsee Richtung Kopenhagen, also von West nach Ost.

Ich lebe in Kopenhagen. Die Bahn verbindet meine Stadt und Deutschland nur mit einem gehörigen Umweg über die Große-Belt-Brücke Richtung Hamburg. Direkter, aber wegen der Fährfahrt über die Ostsee nicht nennenswert schneller ist die Autoverbindung. Wenn (frühestens) 2029 der achtzehn Kilometer lange Tunnel unter dem Fehmarnbelt fertig ist, verkürzt sich die Fahrzeit mit dem Auto zwischen Kopenhagen und Hamburg um knapp eine auf drei Stunden. Dann fährt auch die Bahn endlich wieder direkt nach Süden, so wird es auf der Schiene noch schneller gehen als im Auto. Gut so. Als angelernter Däneninsulaner werde auch ich die Fähre vermissen. Sie entschleunigt angenehm.

Rollt der Wagen in Rødby von der Fähre, verändert sich das Tempogefühl. In Deutschland herrscht Stress auf der immer zu vollen Autobahn mit 180-km/h-Rasern. In Dänemark spürt man Ruhe und Gelassenheit. Hier scheinen alle zufrieden mit der gesetzlich vorgeschriebenen Langsamkeit, meist 110, manchmal 130 km/h, ohne Platzangst. Immer im »menschlichen Maß«, um schon mal einen hippen und auch seriös interessanten Terminus zur Erklärung von Kopenhagens enormer Anziehungskraft vorwegzunehmen.

In dieser Gebrauchsanweisung gehen wir ohne Eile auf eine Dänemarkreise von Süd nach Nord mit vielen Stopps zum genaueren Hinschauen. Wir kommen mit der Ostseefähre in Gedser an, bewegen uns inselweise Richtung Metropole. København möchte lässig und in Ruhe erobert werden. Danach, gleich nebenan, ein Besuch bei 41 Königsgräbern im Dom von Roskilde. Am Rand der Kleinstadt mischen wir uns unter die 130 000 Teilnehmer von Dänemarks größtem Sommerfest. Wir halten inne und studieren afslappet, entspannt, ein paar vielleicht beneidenswerte Eigenheiten, die das Land überall auf der Welt so beliebt machen. Wir lassen auch die eventuell weniger beneidenswerten nicht aus.

Später zwei Abstecher in die Mitte nach Fünen sowie in den Osten nach Bornholm und dann mit Schwung der Sprung westwärts über den Großen und den Kleinen Belt zum Finale: Jütland verdient Zeit und verspricht Muße an seinen Nordseestränden. Kurz vor dem Abschied an der Grenze bei Flensburg lockt noch eine opulente Kaffeetafel – oder droht, je nachdem, wie man zu Kuchen in unfassbaren Mengen steht.

Flach wie eine Flunder

In diesem Kapitel radeln wir von Dänemarks südlichstem Zipfel bei Gedser bis nach Kopenhagen. Drei Inseln liegen vor uns: Falster, Møn und Seeland. Auf kleinen Landstraßen, Waldwegen und entlang der Küste werden uns der Wind, Vogelgezwitscher und das Rollen der Räder die Geräuschkulisse liefern. Mit ein paar Geschichten zwischendurch. In der Mitte legen wir eine Übernachtung am Præstø-Fjord ein. Da kenne ich jemanden mit einem strohgedeckten Landhaus, der den Schlüssel unter den größten Stein am Blumenbeet gelegt hat. Als wir den beim ersten Mal nicht finden konnten und anriefen, kam die Antwort: Schmeißt einfach eine kleine Fensterscheibe ein. Det ordner sig. Das kriegen wir schon hin. Kleine Lehrstunde in gelassenem dänischen Pragmatismus.

Es folgten viele weitere. Den Kommentar überlasse ich Barack Obama, der seine »Vorliebe für gefühlsmäßig ausbalancierte Pragmatiker« bekundet hat und meinte, »wenn alle so wären wie diese Skandinavier, wäre alles viel leichter«. Neben den Dänen gehören nach der geläufigsten Definition noch Schweden und Norweger zu diesem so kleinen wie beliebten Teil der Menschheit. Aus den Nachbarländern ist zu hören, dass Skandinavien bei ihnen erst so richtig anfange mit all der Weite, Wildnis und klirrenden Winterkälte.

Davon ist man hier an Gedser Odde, der Gedser Landzunge, im äußersten Süden vom Norden tatsächlich weit weg. Umso näher liegt Deutschland. Gerade gleitet das Fährschiff Berlin mit dem verblüffend langen Schornstein nach knapp zwei Stunden Überfahrt aus Rostock in den Hafen. Es ist aber gar kein Schornstein, sondern ein Propeller, der per Drehung mit dem Fahrtwind saubere Energie erzeugt. Hinter dem Schiff erhebt sich eine Wand aus 156 Windrädern aus dem glitzernden Wasser. Fast zwei Drittel des dänischen Stroms produziert der Wind. Platz genug ist ja vor so viel Küste auf dem Wasser. Nicht alle Dänen sind begeistert vom Anblick dieser immer höher Richtung Himmel wachsenden Windradwälder.

Wir radeln los bei schönstem Frühsommerwetter. Auch der Wind, seitlich von Ost, milde und warm auf der Haut, meint es gut mit uns. Bis zur Nordspitze Dänemarks bei Skagen hätten wir gerade mal 360 Kilometer Luftlinie vor uns. Das ganze Land ist ungefähr so groß wie Niedersachsen und hat ein Zehntel der Fläche Schwedens. Die Kornfelder am Leuchtturm von Gedser zeigen, was die Dänen mit ihrem knappen Erdreich anstellen: So gut wie jeder Quadratmeter ist für die Landwirtschaft zurechtgestutzt. Man vergisst es oft, weil die Ergebnisse überwiegend angenehm anzuschauen sind. Der Journalistenkollege Per Nyholm hat fast immer in grandiosen Städten wie Rom und Wien gelebt und seine Heimat als häufiger Besucher begutachtet: »Es ist offenkundig, dass die dänische Natur nicht grandios ist, vielleicht abgesehen von hier und da mal einer Steilküste und der Heide. Dafür hat sie Anmut.«

Das gilt nicht für die schier endlosen Ackerflächen am Anfang unserer Reise. Stichwort Agrarindustrie. Dafür entschädigt eine andere angenehme Eigenart: Falster ist flach wie eine Flunder. Die Nachbarinsel Lolland befand der Dänemarkfan Kurt Tucholsky für »flach wie ein Eierkuchen«. Wir rollen vorbei am fünfzehn Kilometer langen, überall großzügig breiten Ostseestrand von Marielyst. Auf der anderen Seite vom Deich breitet sich eine Großstadt der speziellen Art aus. Marielyst mit all seinen Sommerhäusern liegt im Winter still und gähnend leer da. In der Hochsaison füllen für ein paar Wochen 50 000 Urlauber den Ort, der aber erstaunlich still bleibt. Man kann sich auf den waldigen Grundstücken voreinander verstecken.

Angefangen hatte alles 1872 mit einer Sturmflut, die achtzig Menschen das Leben kostete und Unmengen Sand anspülte. Plötzlich waren hier fantastische Strände. Also mietete sich das gehobene Bürgertum im Badehotel Marielyst Østersøbad ein und 1914 auch Franz Kafka auf einem Bauernhof. Der sensible Schreiber reiste noch deprimierter ab, als er einen Tag zuvor angekommen war. Kafka notierte im Tagebuch, der erste Eindruck sei »zum Verzweifeln«, das Haus »erbärmlich« und das Essen »miserabel«. Heute wäre das was für TripAdvisor.

Wie Waben an einen Bienenstock wurden in Marielyst immer mehr ziemlich gleich aussehende Ferienhäuser dazugebaut. Individualisten mögen die Nase rümpfen. Durch die historische Brille betrachtet, steht die Anlage im Süden von Falster für durchschlagende Erfolge der dänischen Sozialdemokraten. Sie sorgten dafür, dass sich auch Arbeiterfamilien schon in der Zwischenkriegszeit einen Platz in solchen Sommerfrischen leisten konnten.

Immer noch hat Marielyst die Aura von Gleichheit für alle, auch wenn ein bisschen optische Täuschung mitspielt. Neben hübsch angestrichenen, simplen alten Hütten stehen zunehmend auch teure neue Hightech-Bauten. Sie mischen sich mit den billigeren Häusern auf denselben genormten Grundstücksgrößen, alle mit demselben unsichtbaren Schild »Hier regieren Hängematte, Grill und Rasenmäher« über der Einfahrt. Mich hat das Grundgefühl von lighed, Gleichheit, als Neuling in Dänemark ganz schnell am Haken gehabt, auch wenn es mal mehr, mal weniger sowie mit der Zeit zunehmend auf Einbildung beruhte.

Wie viele Leute auch hier ihre Dannebrog-Fahnen oder -Wimpel gehisst haben! Passend dazu liefert die Natur hinter Marielyst mit lässiger Hand das erste große Panoramabild. Wir radeln, immer am Wasser entlang, durch schmale Waldstreifen im zarten Grün der noch jungen Buchenblätter, entlang jetzt schmaler, einsamer Strände. Bei Corselitze klettert man zwei Meter über Felssteine hinunter, nutzt einen davon als Rückenlehne und kann ein bisschen ausruhen vom Pedaletreten. Einen schöneren Strand kenne ich in ganz Dänemark nicht. Das ist selbstredend Geschmacksache und stimmungsabhängig, aber Hans Christian Andersen hat es 1850 wohl ähnlich gesehen:

Offener Strand bei Corselitze!

Aus dem Herzen muss man gehen,

Leicht so wie Berliner Witze,

Wellen uns umspielen.

Man kann schwimmen, planschen, sitzen,

Neugeboren auferstehen!

Offener Strand bei Corselitze,

Dänische Buchen schützen ihn.

Auch wenn die Reime in der deutschen Übersetzung nicht so swingen wie im Original und die Polizei ausgerechnet heute eine Schießübung am Strand abhält: »Neugeboren auferstehen« ist nicht die schlechteste Verfassung für die Weiterfahrt. Mich bringt die Umgebung ins Singen, allerdings auf Deutsch: »Wie schön blüht uns der Maien.« Auf einer Lichtung breiten sich die ersten Felder in leuchtendem Gelb aus. Rechts die Ostsee, links ein Meer aus Raps. Kurz vor Stubbekøbing ragt ein großer Granitstein aus dem Gras: »Hier stand das Borrehuset. Bewohnt von Marie Grubbe 1705–1718.«

Die Adelstochter musste als junges Mädchen den (unehelichen) Königssohn und norwegischen Statthalter Ulrik Frederik Gyldenløve heiraten. »Eine unglückliche Verbindung, beide hatten andere Partner, die Ehe wurde 1670 geschieden«, umschreibt die Schautafel den Skandal, dass eine Frau jener Zeit offen mit Liebhabern verkehrte. Nach der Scheidung brennt Marie mit dem Mann ihrer Schwester durch. Zurück kommt sie allein und bettelarm. Beides repariert umgehend die Vernunftheirat mit einem Adelsmann, bis sich Marie Grubbe in den jungen und starken Kutscher Søren Sørensen Møller verliebt. Mit 48 folgen die zweite Scheidung, die dritte Ehe und ein ganz anderes Leben. Der Ehemann trinkt viel und prügelt sich gern. Dreizehn Jahre lang leben beide im Borrehuset von der Arbeit am Fähranleger mit Kneipe. Dann bringt Søren im Suff einen Seemann um und verschwindet in Ketten zur Zwangsarbeit. Marie muss weiterschuften, zum ersten Mal im Leben ohne einen Mann an der Seite.

1711 kehrt der »Nationaldichter« Ludvig Holberg auf der Flucht vor der in Kopenhagen wütenden Pest bei ihr ein und hört die Geschichte. Marie Grubbe erklärt ihm, dass sie trotz bitterer Armut und Erniedrigungen nichts bereut: »Ich habe richtig gewählt.« Holberg schrieb: »Sie war viel froher mit Søren als mit ihrem ersten Mann, dem Vornehmsten und Galantesten im ganzen Land.« H. C. Andersen schilderte Marie Grubbe hundert Jahre später als stark und selbstbewusst. Sie wird nicht ganz unkompliziert gewesen sein. Einig sind sich alle, dass der Kutscher die Adelsfrau erotisch stark angezogen haben muss. Kein Wunder, dass immer neue Romane, Biografien und anderes über die Frau mit eigenem Weg produziert werden.

Hundert Meter weiter wartet der nächste aufgegebene Fähranleger mit Geschichte, diesmal leider ohne Gedenktafel. Hier versteckten sich am 2. Oktober 1943 die Kopenhagener Familien Hannover und Marcus, zusammen 21 Menschen, auf einem Fischkutter. Wie fast alle dänischen Juden konnten sie sich ins neutrale und aufnahmebereite Schweden retten, nachdem die deutschen Besatzer die Deportation angeordnet hatten – insgesamt gelang über 7000 von ihnen die Flucht. Der Historiker Bo Lidegaard erzählt in »Die Ausnahme« die Geschichte dieser großartig gelungenen Rettungsaktion und dabei auch detailliert den verschlungenen Umweg der beiden Familien über Falster. Die meisten setzten nördlich von Kopenhagen über den Øresund, nachdem sie gerade noch rechtzeitig gewarnt werden konnten. Dänen halfen überall, Fischer stellten ihre Boote gegen Bezahlung bereit. Die Besatzer verfolgten die Flüchtenden nicht mit letzter Konsequenz, weil sie das recht friedfertige Verhältnis zu dem »weich« besetzten Nachbarland und willigen Lebensmittellieferanten für die Wehrmacht nicht aufs Spiel setzen wollten.