Gebrauchsanweisung für München - Thomas Grasberger - E-Book

Gebrauchsanweisung für München E-Book

Thomas Grasberger

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Beschreibung

Manche glauben, München bestehe nur aus Dallmayr und Maximilianstraße, Käfer-Zelt und Schickimicki, Freizeitspaß im Voralpenland und einer Stadtsilhouette ohne Hochhäuser. Aber München ist mehr. Hinter den Kulissen der Film- und Bierstadt gibt es Skurriles und Vielfältiges zu entdecken, nicht nur im Englischen Garten oder an den Stammtischen der bayerischen Grantokratie. Thomas Grasberger ergründet das kulturelle Leben jenseits von Oktoberfest, Gasteig und Tollwood; er erkundet die Seele des »echten« Münchners, seine Föhnfühligkeit und andere Hinterfotzigkeiten des lokalen Wetters. Der Autor führt uns in eine Zeit, als Schwabing noch Boheme bedeutete und Giesing noch ein Arbeiterviertel war.

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Für Susanne, Paco und Pablo – drei waschechte Münchner

Dank an den Publicis Verlag für die Nutzungsgenehmigung des Zitats aus Sven Voelpels und Ralf Lanwehrs Buch »Managament für die Championsleague. Was wir vom Profifußball lernen können« im Unterkapitel Fußball.

ISBN 978-3-492-95826-4

Januar 2016

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2001 und 2012

Coverkonzeption: Büro Hamburg

Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, Egling

Coverabbildung: Biergarten Seehaus, Kleinhesseloher See (Airpartner/Mauritius)

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

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Prolog

Versuch über das Nichts oder Von der Schwierigkeit, eine Stadt zu beschreiben, die es so nie gegeben hat

Es gehört nicht zu den bayerischen Eigenarten, allzu viele Worte zu machen. So hat kürzlich ein Herr aus dem oberbayerischen Pfaffenhofen die Bedienung eines Münchner Biergartens gemaßregelt, weil sie sich erlaubt hatte zu fragen, ob er noch ein weiteres Bier wünsche. Sie möge doch bittschön einfach noch eins bringen und nicht so dumm fragen, brummte der Gast. Er würde ihr dann schon mitteilen, wenn er kein Bier mehr haben wolle. Die Geschichte ist nicht ganz untypisch. Bayern reden nicht gern und nicht viel über Dinge, die ihnen selbstverständlich erscheinen. Das gilt auch für die Münchner. Sie stehen damit in einem gewissen Gegensatz zu den Zeitgenossen aus den nördlichen Teilen der Republik, die über nichts, aber auch rein gar nichts minuten-, ja stundenlang munter dahinparlieren können. So zumindest wollen es die Ritualbücher zur Verbreitung landsmannschaftlicher Klischees. Und so empfindet es wohl auch manch Bairisch sprechender Mensch. Gerade in München, wo die Bayern mit Preußen jeglicher Provenienz auf engstem Raum zusammenleben.

Wenn jetzt an dieser Stelle vergleichsweise viele Worte gemacht werden, so liegt es nicht daran, dass ein Norddeutscher wieder einmal die Tinte nicht halten konnte. Der Autor, es sei hiermit zur eindeutigen weltanschaulichen Standortbestimmung ausgesprochen, ist gebürtiger und bekennender Altbayer mit Wohnsitz in München. Womit wir schon beim Thema wären. Was heißt hier eigentlich München? Wo liegt es, was ist es, und zu welchem Ende studiert man dieses München? Sie sehen, es wird gleich zu Beginn recht philosophisch. Das bringt der Gegenstand unserer Betrachtungen mit sich. Sollte Ihnen der Blick in die Abgründe bayerischen Philosophierens aber noch zu gewagt erscheinen, blättern Sie jetzt einfach weiter, und lesen Sie dieses Vorwort dann, wenn Sie glauben, die nötige sittliche Reife dafür zu haben. Oder nach zwei Maß Oktoberfestbier.

München macht es erforderlich, in der Einleitung ein paar Zeilen über nichts anderes als das Nichts zu verlieren. Was natürlich nicht heißen soll, dass München nichts ist. Irgendetwas wird es schon sein, weil irgendwo müssen seine 1,5 Millionen Einwohner ja untergebracht, verpflegt, beschäftigt, transportiert und unterhalten werden. Nichts ist also nie! Möchte man meinen. Nimmt man jedoch den althochdeutschen Ursprung des Wortes »nichts«, der sinngemäß so viel wie »nie etwas« bedeutet, kommt man München schon ein Stück näher. Das Eigentümliche an dieser Stadt ist nämlich, dass sie nie das ist, was man glaubt, gerade an ihr entdeckt zu haben. Sie ist wie ein Chamäleon, das sich in Sekundenschnelle von Weiß-Blau in Kunterbunt verwandeln kann, um kurz darauf in kräftigem Rot zu schimmern, ohne seine haselnussig schwarzbraunen Flecken ganz aufzugeben. München ist immer vieles. Und das keineswegs nur politisch betrachtet.

Kaum wähnt man sich in einer Weltstadt, bricht auch schon irgendeine lokalpolitische Zwischengröße einen höchst amüsanten Streit vom Zaun und beweist, dass Komödienstadel auch in urbanem Umfeld möglich ist. Kaum glaubt man erkannt zu haben, München sei ein elendes Spießerkaff voller Rauhaardackel, die ihre Gamsbart-behüteten Herrchen Gassi führen, kommt auch schon irgendein Schoßhund im Rolls-Royce ums Eck. Seit einigen Jahren freilich ohne Fahrer, ohne Herrchen Rudolph Moshammer und leider nur noch als Kopie der verblichenen echten Daisy.

Oder nehmen wir die Gastronomie: Jahrein, jahraus finden wir in München einen Hort charmanter Gastlichkeit mit mehr oder weniger kultivierten und sittsamen Einheimischen. Bis zu jenem lauen Septemberabend, an dem wir das erste Mal das Oktoberfest aufsuchen. Ein Kulturschock, vergleichbar einer Reise mit der Zeitmaschine, 15000 Jahre zurück, in die jüngere Altsteinzeit, wo wilde Stammesrituale mit konventionellen zivilisatorischen Maßstäben kaum mehr zu fassen sind.

München bedient viele Klischees und entzieht sich gern, sobald man sich ihrer bedienen will. Wir haben es also mit der Schwierigkeit zu tun, eine Stadt zu beschreiben, die es so gar nicht gibt, nie gegeben hat, nie geben wird. Das macht eine Gebrauchsanweisung zwar nicht unbedingt einfacher, mit Sicherheit aber reizvoll. Und vielleicht finden wir in diesem Reiz ja auch eine Erklärung dafür, dass erfahrungsgemäß mehr Menschen von – sagen wir einmal – Celle nach München ziehen als umgekehrt.

Das soll natürlich nicht heißen, dass ein waschechter und geistig heller Celler dieses geheimnisvolle München nicht ebenso gut und richtig verstehen könnte wie ein gebürtiger Giesinger. Vielleicht sogar besser, bestimmt jedoch anders. Eine banale Tatsache, die letztlich typisch ist für jede Form der teilnehmenden Beobachtung. Mit dem Beobachter ändert sich auch der Gegenstand der Beobachtung. Das ist immer schon das Kreuz aller ethnologischen Forschungsreisenden, seit Menschen auf fremde Kulturen treffen. So gesehen wären also mindestens 1,5 Millionen Gebrauchsanweisungen aus den Federn ebenso vieler Münchner möglich gewesen. Nicht zu reden von all den sinnvollen Erklärungen unserer Freunde aus Norddeutschland und dem Rest der Welt. Dass auf diesen Versuch über das Nichts nur eine einzige und noch dazu recht subjektive »Gebrauchsanweisung für München« folgt, bitten wir, als lässliche Sünde zu entschuldigen. Mehr war auf gut 200 Seiten beim besten Willen nicht unterzubringen.

Ankunft

Eine Annäherung an München ist zu Wasser, zu Lande und aus der Luft möglich. Welches das günstigste und schnellste Verkehrsmittel ist, vermag derzeit niemand wirklich zu sagen. Was den Wasserweg angeht, müssen wir zu unserem Bedauern feststellen, dass es mit den fahrplanmäßigen Verbindungen auf der Isar, den sogenannten Ordinariflößen, nicht mehr allzu weit her ist. Dabei war es einst eine durchaus gängige Methode der Anreise. Schon Mitte des 17. Jahrhunderts fuhr jeden Montag und jeden Freitag Punkt sieben Uhr früh ein Floß von Mittenwald nach München hinein. Später kam der Fernverkehr hinzu, von München nach Landshut, ja sogar bis nach Wien hinunter. Schade, dass es sie nicht mehr gibt, denn solche Fahrten waren wohl eine recht heitere Angelegenheit. Auf einem einzigen Floß wurde vermutlich mehr Alkohol ausgeschenkt als bei allen zeitgenössischen Airlines zusammen. Was die Sache nicht eben ungefährlich machte, denn so manches Mal knallte ein schwer angeheiterter Flößer mit seinem Gefährt samt Fracht und Passagieren gegen einen Brückenpfeiler.

Vielleicht wurde auch deshalb 1825 der fahrplanmäßige Passagierverkehr aufgegeben. Heute gibt es nur mehr die bierseligen Gaudifloßfahrten, die als zeitgemäßes Verkehrsmittel nicht wirklich zu empfehlen sind. Wer also unbedingt am Wasserweg festhalten wollte, müsste schwimmen. Was beim Wasserstand der Isar mancherorts mit aufgeschlagenen Knien enden würde, auch wenn mit der Renaturierung des Flusses die Restwassermenge größer und die Qualität des Isarwassers besser geworden ist. Für größere Schiffe reicht es aber wohl noch nicht ganz. Der zeitgenössische Besucher nimmt also lieber sein Auto für eine Reise nach München. Doch auch damit kann es an manchen Tagen zu Verzögerungen kommen. Von Norden her, auf der A 9 fahrend, kommt er nämlich in der Regel ungefähr bei Eching zu stehen. Von Süden her, auf der A 8, in der Gegend um Brunnthal. So oder so, er wird viel Zeit haben, sich zu fragen, warum er nicht doch besser geschwommen ist.

Beliebt sind auch die Reisen mit der Eisenbahn. Gleichwohl sind auch dabei gewisse Fallstricke nicht ohne Weiteres auszuschließen. Unerfahrene Reisende könnten aus lauter Vorfreude versucht sein, schon im Bahnhof München-Pasing aus dem Zug zu springen. Sollte Ihnen als Debütant ein solches Missgeschick widerfahren, bleiben Sie ganz ruhig, verlieren Sie nicht die Nerven, und beachten Sie folgenden Drei-Punkte-Notfallplan: 1. Verlassen Sie nie den Bahnhof Pasing! 2. Vergessen Sie alles, was Sie gesehen haben, warten Sie auf den nächsten Zug nach Augsburg, und fahren Sie zurück! 3. Machen Sie von Augsburg aus einen erneuten Anlauf zum Münchner Hauptbahnhof. Sie wissen ja, es ist immer die erste Begegnung mit einer Stadt, die beim Gesamteindruck besonders zählt, weil sich unwiderrufliche Eindrücke im Gehirn einprägen. Heben Sie sich Pasing lieber für später auf!

Wem all dies gleich am Anfang viel zu gefährlich erscheint, der nehme das angeblich schnellste und sicherste Verkehrsmittel unserer Tage. Ein Flug von Hamburg nach München dauert nur eine Stunde. Außer es ist gerade Sommer und es hängen mehrere Gewitter über München. Dann kann so ein Rundflug in der Warteschleife auch schon mal fünf Stunden dauern. Vielleicht sitzen Sie ja gerade in einem Flugzeug, wenn Sie diese Zeilen lesen. Die Maschine fliegt eine steile Kurve, die Stewardess hat Sie soeben freundlich aufgefordert, Ihren Gurt anzulegen, und aus dem Deckenlautsprecher näselt Ihr Kapitän irgendetwas Unverständliches von »Landeanflug«. Sollten Sie einen Fensterplatz haben, dann schauen Sie doch einfach mal hinaus. Mit etwas Glück sehen Sie unter sich die Burg Trausnitz und den größten klerikalen Backsteinbau der Welt, die Martinskirche. Beide gehören unwiderruflich zur niederbayerischen Stadt Landshut. Eindrucksvoll und zum Greifen nah! Man kann schon fast die Menschen erkennen. Aus dem Erdkundeunterricht wissen Sie vielleicht noch, dass Landshut gut 60 Kilometer von München entfernt liegt. Spätestens jetzt dürfte sich bei Ihnen ein leichter Anflug von Panik einstellen. Sie denken an eine Flugzeugentführung? An eine Notlandung? Bleiben Sie gelassen! Zugegeben, die Maschine ist schon verdammt weit unten und die Stadt Ihrer Sehnsüchte noch so fern. Und doch hat alles seine Richtigkeit. Sie befinden sich im Landeanflug auf den Flughafen München. Oder »FJS-Airport«, wie der in der Einflugschneise immer noch tapfer ansässige Niederbayer heutzutage sagen würde. Wenn Sie jetzt ins Grübeln kommen und sich fragen, ob im Begriff Annäherung nicht doch irgendwie das Wort »nahe« drinsteckt, und wenn Sie sich dann weiter fragen, warum der Münchner Flughafen dennoch so weit von der Stadt weg ist, dann schauen Sie noch einmal aus dem Flugzeugfenster. Mit hoher Wahrscheinlichkeit blicken Sie in eine der ortsüblichen Quellwolkenformationen. Mit etwas Phantasie können Sie zwischen den dichten Wolkenbänken das Konterfei eines hiesigen Stammesheiligen erkennen. Ein schwerer, massiger Schädel mit kleinen, fast zugewachsenen Äuglein, die Ihnen zuzwinkern. Es handelt sich dabei keineswegs um eine Fata Morgana, sondern um eine noch recht präsente, wenngleich nicht mehr physisch unter uns weilende Persönlichkeit. Was Sie da sehen, ist die Erscheinung Seiner Majestät Franz Josef Strauß des Ersten und Einzigen, seines Zeichens langjährig unumschränkt waltender Stammesfürst der Bayern, verstorben im 88er Jahr bei einer fürstlichen Jagdgesellschaft, hinaufgefahren gen Himmel, dort droben – so will es die bayerische Mythologie – die Macht im Handstreich an sich gerissen und seither gottgleicher Herrscher der himmlischen Heerscharen, Sektion Bayernland.

Weil seine Untertanen und mehr noch seine politischen Ziehsöhne nicht glauben konnten, dass er für immer von ihnen gegangen sein soll, hat man – ganz in der Tradition altägyptischer Pharaonenkulte – vorsichtshalber einen überdimensionierten Flughafen gebaut und nach ihm benannt. Denn erstens war er zu Lebzeiten passionierter Sportflieger und somit prädestiniert für die Rolle des Schutzpatrons der Fliegerei und des steuerbefreiten Flugbenzins. Und zweitens: Man weiß ja nie, ob er vielleicht nicht doch eines Tages wieder runterkommt, der heilige Franz Josef. Dann braucht er eine geräumige Landebahn, weshalb das Mammutprojekt mitten im Erdinger Moos gerade groß genug erschien.

Zugegeben, das ist nur eine der Theorien über den Münchner Flughafen. Eine andere besagt, dass der Stammesfürst Strauß selbst das Renommierstück aus quasi niederen Beweggründen in die Welt setzen ließ. Motiv Rache! Das würde gut erklären, warum der Franz-Josef-Strauß-Flughafen so weit von München entfernt ist und in 2000 Jahren kein noch so gescheiter Archäologe wird sagen können, ob dieser kultische Ort nun zur Siedlung Salzburg, Nürnberg oder doch zu München gehört hat. Unser tapferer Altertumsforscher wird vielleicht nur aus diesem Buch erfahren können, dass es seinerzeit um die posthume Abrechnung eines enttäuschten Namensgebers ging.

Der politische Hintergrund ist eindeutig: Zu gern wäre der Bayernherrscher einst Bundeskanzler der ganzen Republik geworden. Aber die undankbaren Wähler, sie wollten ihn nicht. Und deshalb müssen Sie jetzt jedes Mal bluten, wenn Sie nach München wollen. Immer schön ein paar Scheine fürs Taxi in der Reisekasse bereithalten, sonst heißt es: zu Fuß gehen. Was dann unter Umständen noch länger dauert, als an der S-Bahn-Station herauszufinden, wie viele Streifenkarten Sie für eine Fahrt in die Innenstadt brauchen. Machen Sie sich in solchen Situationen keine ernsthaften Gedanken über Ihre eigene Intelligenz. Es gibt keinen Eingeborenen, der das Tarifsystem des Münchner Verkehrsverbunds zur Gänze verstanden hätte. Und es gibt keinen, der einen anderen kennt, der über solche Kenntnisse verfügte. Wer was anderes behauptet, der lügt oder arbeitet beim MVV. Und lassen Sie sich um Gottes willen nicht das MVV-Kartenverwirrspiel erklären. So viel Zeit haben Sie nicht. Halten Sie es lieber mit dem Rat eines alten Münchners, der dem Autor auf die Frage nach dem richtigen Ticket einst antwortete: »I woaß aa ned. Nehmans a billigs und lossns Eahna hoid ned dawischn.«

Diese Form der mobilen Unwissenheit ist übrigens eine der wesentlichen Gemeinsamkeiten aller Münchner. Eine weitere besteht darin, dass man gern und wortreich über die S-Bahn schimpft, weil sie oft zu spät kommt. Plötzlich entflammen am Haltesteig Gespräche zwischen Wildfremden, was sonst nicht gerade üblich ist in dieser Stadt. Im Fall der Flughafenlinie sind solche Beschimpfungen aber reichlich undankbar. Immerhin gibt es heute diese Bahnverbindung, was auch nicht selbstverständlich ist. In der Frühzeit des Airports machte unter Spöttern das geflügelte Wort die Runde, dass der Münchner Flughafen der einzige der Welt sei, den man nur aus der Luft erreichen könne. Heute können Sie in gepflegten vierzig Minuten in die Innenstadt reisen. Wenn Sie von irgendeinem bundesdeutschen Flughafen gestartet sind, macht das in der Regel nur die Hälfte Ihrer Gesamtreisezeit aus. Und wenn Sie von den Fidschi-Inseln kommen, ist es kaum mehr der Rede wert.

Dafür können Sie sich dann ausgiebig an so idyllisch klingenden Haltestellennamen wie Hallbergmoos, Ismaning und Unterföhring erfreuen. Weil aber S-Bahn-Dörfer im Allgemeinen und vom Zug aus gesehen im Besonderen doch sehr ähnlich wirken, und weil die Ortsnamen immer noch ländlicher werden, reißt der Ortsunkundige spätestens bei Englschalking seinen Stadtplan heraus und prüft panisch, ob er auch ja in die richtige Richtung fährt. Bleiben Sie gelassen, eigentlich kann jetzt nicht mehr viel schiefgehen. Lauschen Sie der Stimme Ihres Zugbegleiters: Wenn es irgendwie nach englischer Sprache klingt, dann sind Sie goldrichtig. Freuen Sie sich, Sie sind gerade Ohrenzeuge einer bahnbrechenden Revolution geworden, die der MVV im Zuge der Globalisierung durchgemacht hat. Die Ansagen in den S-Bahn-Linien zum Flughafen sind zweisprachig: Deutsch und Englisch.

Wer jetzt entgegnet, man könne ja die deutschsprachige Ansage schon kaum verstehen, der ist ein unverbesserlicher Zyniker, wenngleich er nicht ganz unrecht hat. Jedenfalls ist die polyglotte Innovation beim MVV durchaus von praktischer Bedeutung. Ein Beispiel: Wer früher von der Innenstadt zum Flughafen wollte, konnte böse Überraschungen erleben. Hatte er die Durchsage nicht verstanden, dass in der S1 bei Neufahrn nur der letzte Wagen zum Flughafen abbiegt, fuhr er gutgläubig bis Freising und musste dort ein teures Taxi nehmen. In einem Anflug von Weltläufigkeit verkündete deshalb ein Bahnsprecher im Mai 2000, es werde jetzt sogar darüber nachgedacht, »auf allen Linien auch die Haltestellen zweisprachig ansagen zu lassen«. Eine Münchner Boulevardzeitung fühlte sich durch diese Modernisierungspläne jedenfalls zu munteren Übersetzungsübungen animiert: Mountain on Glue stünde demnach künftig für den Stadtteil Berg am Laim, Hair für Haar, Ragething für Zorneding.

Jedenfalls wäre es richtig schade, wenn eines Tages ein Schnellzug vom Flughafen direkt in die Stadt führe. Pläne dafür werden immer wieder diskutiert. Eine Magnetschwebebahn sollte zwischen Hauptbahnhof und Flughafen schnellen Anschluss schaffen. Die Kosten für die 36,8 Kilometer lange Verbindung sollten sich auf 1,6 Milliarden Euro belaufen. Allein das zeigt schon, wie unsinnig der Plan war. Die Münchner und ihr Stadtrat waren jedenfalls nicht begeistert davon und mehrheitlich dagegen.

Dafür hat das Projekt zu ungeahnten kulturellen Höhen geführt. Man darf ohne Übertreibung behaupten, dass die Kunst der Rede seit den antiken Tagen des Demosthenes keine solche Blüte mehr erlebte wie am 13. Januar 2006 im Bayerischen Landtag. An jenem geschichtsträchtigen Tag hat der bayerische Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber dem Parlament und Volk von Bayern die Vorteile des Transrapid erklärt. Und weil’s so schön war, möchten wir dieses bedeutende Dokument an dieser Stelle im strengen Wortlaut drucken:

»Wenn Sie vom Hauptbahnhof in München mit zehn Minuten ohne Sie am Flughafen noch einchecken müssen dann starten Sie im Grunde genommen am Flughafen am … am Hauptbahnhof in München starten Sie Ihren Flug zehn Minuten – schauen Sie sich mal die großen Flughäfen an wenn Sie in Heathrow in London oder sonst wo meine s … Charles de Gaulle in äh Frankreich oder in äh in … in Rom wenn Sie sich mal die Entfernungen ansehen, wenn Sie Frankfurt sich ansehen dann werden Sie feststellen zehn Minuten Sie jederzeit locker in Frankfurt brauchen um ihr Gate zu finden – Wenn Sie vom Flug – äh vom Hauptbahnhof starten Sie steigen in den Hauptbahnhof ein Sie fahren mit dem Transrapid in zehn Minuten an den Flughafen in an den Flughafen Franz-Josef Strauß dann starten Sie praktisch hier am Hauptbahnhof in München – das bedeutet natürlich der Hauptbahnhof im Grunde genommen näher an Bayern an die bayerischen Städte heranwächst weil das ja klar ist weil aus dem Hauptbahnhof viele Linien aus Bayern zusammenlaufen.«

Für diesen Quell steter Freude möchten wir dem ehemaligen Ministerpräsidenten von Bayern nochmals ganz herzlich danken. Übrigens, der Transrapid kommt trotzdem nicht nach Bayern. Was nicht weiter schlimm ist.

Geht doch auch so. Denn jeder, der einigermaßen guten Willens ist, kann sehen, dass die Anreise nach München im Grunde eine lustige Sache ist. Auch wenn es manchmal ein wenig dauert und recht kompliziert erscheinen mag – angekommen ist noch fast jeder. Wieder abgereist aber sind nicht immer alle. Aus gutem Grund. Sie haben die vermutlich schönste Stadt der Welt glücklich erreicht.

Wo, bittschön, ist München?

München ist eine Siedlung westlich von Wasentegernbach. Das wiederum liegt hinter Thann-Matzbach. Beide sind aus zahlreichen Fahrplänen der Bundesbahn bekannt unter dem Stichwort »hält nicht in«. Durch diesen Umstand sind sie auch relativ gut zu verorten. Was man vom benachbarten München nicht unbedingt behaupten kann, wenngleich hier grundsätzlich alles hält, ja nahezu zwanghaft halten muss, was auf der Durchreise ist. Trotzdem weiß man nie so genau, wo dieses München gerade ist. Nicht, dass man die geografische Breite und Länge des Ortes nicht genau benennen könnte. Das schon. Es geht auch nicht darum, München den Status der Großstadt abzusprechen, wenngleich das für die Lebensverhältnisse nicht immer viel zu sagen hat. Das alte Lied vom Millionendorf soll hier dennoch nicht angestimmt werden. Auch wenn immer noch viel dran ist, an der These von der agrarisch geprägten Agglomeration, die als Großstadt nicht wirklich greifbar ist. Und das liegt bestimmt nicht allein an den Bauern, die auf dem Stadtgebiet von München noch ihrer Arbeit nachgehen und mit der Direktvermarktung von Rindfleisch, Kartoffeln, Tomaten, Salat, Lauch und Radieserl dafür sorgen, dass der Grüngürtel um die Stadt herum nicht noch mehr mit Gewerbegebieten zugepflastert wird.

Nein, das Problem mit der Verortung Münchens hat vielmehr etwas mit den Jahreszeiten zu tun. Während der Thann-Matzbacher in der Regel zum Arbeiten nach München hineinpendelt, ansonsten aber in Thann-Matzbach bleibt und nur gelegentlich nach Wasentegernbach hinüberfährt, neigt der gemeine Münchner dazu, seinen Standort dauernd zu verändern. Weil München aber in erster Linie von den Münchnern lebt, ist es schwer zu sagen, wo München gerade ist. Daher hilft nur ein Blick auf den Jahreskalender.

Im Frühsommer zum Beispiel reicht München bis zum Gardasee hinunter. Dieser wird zwar gemeinhin dem Staatsverband Italiens zugerechnet, ist aber nachweislich fest in bayerischer Hand. Kaum ist die winterliche Eisschicht aufgebrochen, bricht auch der Münchner auf, schiebt seinen SUV unter eine Reihe von Mountainbikes und schmettert mit hoher Geschwindigkeit über den Brenner hinweg, um kurz nach dem Pass schön langsam in den Landeanflug zu gehen, weil er sonst an der Autobahnausfahrt Gardasee-Nord vorbeischießen würde. Das Ziel ist nicht eigentlich der See oder sein kultureller Reiz. Was geht den Münchner Goethe an? Oder Catull? Der Weg ist das Ziel. Genauer gesagt die Zeit, die man für den Weg zum Gardasee braucht. Alljährlich geht es also vor allem darum, die Rekordzeit für die Strecke München, Stadtmitte–Riva, Ortsschild um ein paar Minuten zu drücken. Ziel ist es immer wieder, in weniger als drei Stunden die 382 Kilometer von Tür zu Tür zu kommen, ohne dabei auf dieser pickerlpflichtigen Dauerbaustelle namens Österreich irgendwelche gelben Männchen oder hinterfotzige Radarfallen samt dazugehörigen Gendarmen über den Haufen gefahren zu haben. Manchmal klappt das auch. Endlich glücklich am Gardasee angekommen, zischt der Münchner seinen ersten Espresso, atmet tief durch, ganz so, als sei er endlich wieder zu Hause, und verbringt den Rest der Zeit auf dem Mountainbike, mit dem er ununterbrochen zwischen Riva und Torbole hin- und hersaust, bevor er seine Geländelimousine schließlich wieder für den Rückflug anheizt und heimbrettert. So viel zum Frühjahr. Für den Hochsommer gilt das Gleiche. Nur dass der gemeine Münchner dann bis Rimini durchfährt, um dort nächtliches Highlife zu genießen und tagsüber auf dem Algenteppich der Adria seine malignen Karzinome zu pflegen. Der eher gebildete Münchner hingegen fährt nach Umbrien oder in die Toskana, drückt sich ein wenig auf der Piazza del Campo zu Siena herum oder im Dom von Orvieto, um dann möglichst schnell den Kulturteil zugunsten der Weinprobe hintanzustellen. Der ökologisch angehauchte Münchner mit Bildung macht das Gleiche, nur mit seinem ausgebauten Campingbus, der neben dem ganzen Hausstand selbstverständlich auch mehrere Fahrräder zu tragen hat. Denn am liebsten würde man ja gleich ganz in der Toskana bleiben, um zu töpfern und zu batiken und Radl zu fahren.

Im Großen und Ganzen gelten also von Frühjahr bis Herbst die Grenzen des Jahres 1808. Oder noch lieber die von 976, damals gehörte nämlich nicht nur der Gardasee, sondern auch der Zugang zur nördlichen Adria zum Stammesgebiet. Wer jedenfalls im August einen Münchner treffen will, der muss sich auf den Brenner stellen. Dort nämlich steht fast die ganze Stadt im Stau selig vereint. Freilich, man wundert sich jedes Jahr wieder, wo all die anderen plötzlich herkommen, und man sinniert darüber, wie schön kühl es wohl jetzt daheim im Biergarten wäre. Das ändert aber nichts daran, dass der Münchner im kommenden Jahr wieder an derselben Stelle in der Hitze braten wird. Was vermutlich daran liegt, dass er genetisch darauf programmiert ist, eine Urlaubsreise nur dann als eine solche wahrzunehmen, wenn sie mit einer Fahrt über den Brenner beginnt. Außer er fliegt nach Mallorca – wofür hat er denn den schönen großen Flughafen im Erdinger Moos draußen? Ein Drittel aller Münchner ist im August also ausgeflogen, was dazu führt, dass der geografische Ort »48° 13’ nördlicher Breite und 11° 50’ östlicher Länge«, gemeinhin als München bekannt, auf wundersame und durchaus angenehme Weise entvölkert ist. Erst im September trifft sich dann wieder alles an der Isar, um bald darauf im Herbst gemeinsam zum Törggelen nach Südtirol hinunterzupilgern.

Im Winter, wie sollte es anders sein, zieht es den Münchner wieder in Richtung Süden, allerdings nur bis in die nahen Alpen. Zugspitz, Spitzing oder Brauneck heißen dann die Zauberworte, mit denen er seine Hausberge und Lieblingsskigebiete benennt. Er tut dies nicht nur, um anzuzeigen, dass er gern Ski fährt. Er tut es vor allem auch im Gespräch mit Norddeutschen, um so den Freizeitwert seiner Stadt deutlich zu machen. Meist erwähnt er dann wie beiläufig, dass er zwischen Dezember und März eigentlich jedes Wochenende auf dem Berg ist und dass er oft erst mittags losfährt, wenn sie ihn eben gerade mal so überkommen sollte, die Lust am Skifahren. Sätze, die seinem norddeutschen Gegenüber erfahrungsgemäß schlagartig die Neidesblässe ins Gesicht treiben. Schließlich kommt der geschätzte Skifreund unter Umständen aus dem niederrheinischen Wesel, bucht seine Ferien sechs Monate vor Reiseantritt und hat dann mit einer Nettofahrzeit von etwa acht Stunden zu rechnen. Kein Wunder, dass der blass wird. Freilich, im Gespräch mit anderen Münchnern zieht Brauneck als Geheimtipp hinter vorgehaltener Hand nicht mehr ganz so gut. Der eingeborene Skifreak müsste sich also schon etwas anderes, etwas ganz Besonderes einfallen lassen, um den Münchner Kollegen im Büro immer wieder aufs Neue zu imponieren. Was nicht leicht ist, bei so vielen Skiexperten und so wenig Alpen. Das eigenartige ist nur, dass fast jeder Münchner immer noch einen Geheimtipp drauflegen kann, und zwar jede Saison, sobald die ersten drei Flocken gefallen, respektive von der Schneekanone abgeschossen worden sind. Meist kommt der Tipp mit dem Zusatz: »A supa Schnää und fast koane Leid’!« Nun, glauben Sie’s oder auch nicht! Es ist ohnehin egal, denn am Ende eines mehr oder weniger amüsanten Skitages treffen sich eh wieder alle auf der Autobahn bei Brunnthal.

An dieser Stelle noch ein praktischer Tipp für den Fall, dass Sie sonntags mal einen kleinen Ausflug in das Umland machen wollen und am selben Abend wieder in die Stadt zurückkehren: Es ist egal, wo der Münchner war und wie lang er schon mit seinem Auto unterwegs ist. Er fährt grundsätzlich immer so, dass er am Sonntagabend zwischen fünf Uhr und sieben Uhr irgendwo zwischen Irschenberg und Holzkirchen zum Stehen kommt. Das hat nichts mit mangelnder Lernfähigkeit des Münchners zu tun, sondern ist eher ein lieb gewonnenes Ritual, das einfach zum Wochenende gehört wie der sonntägliche Tatort. Wenn Sie dessen Anfang also nicht im Stau verpassen wollen, machen Sie Ihre Ausflüge besser mit dem Zug.

Von solchen wiederkehrenden Verkehrsinfarkten einmal abgesehen, kann man ruhig behaupten, dass München ein lebendiger, pulsierender Organismus mit recht unterschiedlichen Ausbreitungsgebieten ist. Es entgrenzt sich andauernd und lässt, wenn auch nicht immer seinen Geist, so doch immerhin die rußgeschwärzten Fahnen seiner Kraftfahrzeuge über die Lande wehen. München ist mobil. Und der Münchner an sich eigentlich ein Nomade.

München von Kopf bis Fuß

Bei aller Liebe des Münchners zur Mobilität gibt es auch so etwas wie eine Kernzone. Jene Ansammlung von Häusern, Straßen und Grünzonen, die der Eingeborene oder Zugereiste mit Leben erfüllt, wenn er nicht gerade in Italien oder beim Skifahren am Spitzing ist. Von Großstadt wollen wir in diesem Zusammenhang aber nicht reden. Der Berliner Schriftsteller, Philosoph und Kritiker Ludwig Marcuse hat einmal den Begriff »dörfliche Großstädter« geprägt und über diese recht treffend gesagt: »Auch der Großstädter wohnt nie in einer großen Stadt, sondern in irgendeinem Dörfchen innerhalb von New York, London, Paris, Berlin.«

Das gilt auch für München. Es besteht aus vielen kleinen Dörfern, die mehr oder weniger lose zusammenhängen und dabei doch organisch miteinander verbunden sind. Sie alle haben nicht nur verschiedene Größen, sondern auch unterschiedliche Funktionen, die für das Gesamtgefüge mehr oder weniger bedeutend sind. Sie können sich das wie einen menschlichen Körper vorstellen. Die Kernzone München ist im Großen so aufgebaut wie ein einzelner Münchner im Kleinen. Diese Behauptung macht eine anatomische Untersuchung notwendig. Beginnen wir mit der Visite:

Stellen Sie sich einen echten Münchner vor. Nackt. Auch kein schöner Anblick, werden Sie jetzt vielleicht sagen, zumindest nicht beim ersten Hinschauen. Das macht nichts. Die Stadt München ist auf den ersten Blick, nämlich oberflächlich und an ihren Rändern betrachtet, auch nicht besonders reizvoll. Es bedarf eines genaueren Hinsehens. Also, ein echter, nackter Münchner: mit Hand und Fuß und Kopf und einer sauberen Wampn, einem von Hopfen und Schwein wohlgeformten Bauch. Nur den gamsbärtigen Trachtenhut und ähnlich folkloristischen Zierat müssen wir ihm vorher noch abnehmen. Auf die Stadt bezogen heißt das, wir kümmern uns nicht weiter um das Hofbräuhaus und vergleichbare Touristeneinrichtungen. Was anatomisch nicht zwingend ist, wird weggelassen und an die nächstbeste japanische Reisegruppe verschenkt.

Fahren wir fort mit der medizinischen Untersuchung. Und zwar oben am Kopf. Wo der beim Münchner idealtypisch zu verorten ist, dürfte ungefähr klar sein. Aber wo hat die Stadt ihren Kopf?

Die bayerische Staatskanzlei, sagen viele, scheide für die Rolle auch aus, weil ein Kopf per definitionem etwas ist, das in irgendeiner Form Intelligenz beherbergen muss. Das ist arg polemisch, und dennoch: Die Staatskanzlei eignet sich schon rein architektonisch viel besser für eine rustikale Schulter- und Nackenpartie samt kräftig entwickelten Oberarmen.

Aber wo ist der Kopf? Vielleicht ist er ein wenig randständig, zum Beispiel draußen im Südwesten, in Martinsried-Großhadern. Das Forschungszentrum für Biotechnologie als das Gehirn Münchens? Klingt eigentlich vernünftig, andererseits: ein gentechnischer Kopf? Zum Schluss wird unser Modell-Münchner noch ein g’spaßiger Mutant. Dann hat er vielleicht bald zwei Köpfe, oder drei? Schaut auch nicht gut aus. Nicht einmal bei einem Bayern.

Ebenso wenig ist das boomende Informationstechnologiezentrum im Nordwesten Münchens als Kopf geeignet. Unser Anatomie-Münchner hätte dann einen Bildschirm auf. Das würde zwar gut zur Laptop- und Lederhosen-Philosophie der Nackenpartie, also der bayerischen Staatskanzlei, passen, verträgt sich aber nicht so gut mit den Erfordernissen des Fremdenverkehrs. Unser Münchner hätte dann statt eines Gesichts nur mehr eine Mattscheibe. Und so was ist in München nur ausnahmsweise erlaubt, nämlich bei Föhn.

Ende der Leseprobe