Gedanken über Erziehung - John Locke - E-Book

Gedanken über Erziehung E-Book

John Locke

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Beschreibung

John Lockes, des berühmten englischen Philosophen (1632-1704) "Gedanken über Erziehung" erschienen im Jahre 1693 anonym unter dem Titel: "Some thoughts concerning education". Das Buch ist nicht streng systematisch angelegt, es macht vielmehr oft den Eindruck unzusammenhängender Einfälle und ist nicht frei von Wiederholungen. Und doch liegt in der Anordnung der Gedanken eine Absicht. Die leibliche und sittliche Erziehung beanspruchen den größten Teil des Werkes, ganz zuletzt wird von den zu erwerbenden Kenntnissen gesprochen. Zum ersten Male in der pädagogischen Literatur wird eben in den "Erziehungsgedanken" die Erziehung des Zöglings in den Mittelpunkt gestellt. Als erster fordert Locke, wie schon Herbart in seiner feinen Charakteristik des "schlichten Mannes", dem er Selbständigkeit und Tiefe nachrühmt, bemerkt, "daß man den Erfolg eines Erziehers nicht nach der Summe der Kenntnisse, sondern nach der gewonnenen persönlichen Bildung des Zöglings schätzen solle".

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Gedanken über Erziehung

John Locke

Inhalt:

John Locke – Biografie und Bibliografie

Gedanken über Erziehung

Einleitung.

Von der Gesundheit.

Von der Bildung des Geistes.

Von den Züchtigungen der Kinder.

Von den Belohnungen bei der Erziehung.

Man soll Kindern wenig Regeln geben. Methode, sie zu Beobachtung derselben anzuhalten.

Sorgfalt für das Äußere der Kinder.

Von den Vorzügen der häuslichen Erziehung.

Von den verzeihlichen und strafwürdigen Fehlern der Jugend.

Von den Eigenschaften eines Erziehers.

Von der Vertraulichkeit der Eltern gegen die Kinder.

Von der Eigenart der Kinder.

Man muß den Kindern nicht zuviel Willen lassen.

Vom Weinen der Kinder.

Von der Furcht und Beherztheit der Kinder.

Von der Neigung der Kinder zur Grausamkeit.

Von der Wißbegierde der Kinder.

Von der Gleichgültigkeit mancher Kinder gegen den Unterricht.

Man soll Kinder nicht zum Unterricht zwingen.

Von den Spielsachen der Kinder.

Vom Lügen der Kinder.

Von der Verehrung des höchsten Wesens als der Grundlage der Tugend.

Von der Klugheit.

Von der Artigkeit und feinen Lebensart.

Vom Unterricht.

Von den körperlichen Geschicklichkeiten.

Vom kaufmännischen Rechnen und Buchführen.

Vom Reisen.

Beschluß.

Gedanken über Erziehung, John Locke

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849622848

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

John Locke – Biografie und Bibliografie

Berühmter engl. Philosoph, geb. 29. Aug. 1632 in Wrington bei Bristol, gest. 28. Okt. 1704 zu Oates in Essexshire, studierte seit 1651 in Oxford Medizin, klassische Literatur und Cartesianische Philosophie, übte Einfluss auf die Erziehung des nachmaligen philosophischen Schriftstellers Shaftesbury (s. d.), fiel mit dessen Großvater, seinem Gönner, dem Großkanzler Grafen Shaftesbury, bei Karl II. in Ungnade, folgte dem Grafen nach Holland, wo er sich mehrere Jahre aufhielt, kehrte aber nach der Entthronung Jakobs II. nach England zurück. Durch sein philosophisches Werk: »Essay concerning human understanding« (Lond. 1690; mit Kommentar hrsg. von Fraser, 1894; deutsch von v. Kirchmann, 2. Aufl., Leipz. 1901), gegen dos Leibniz seine »Nouveaux essais sur l'entendement humain« verfasste, ist er der Gründer des psychologischen Empirismus und durch den in demselben enthaltenen Versuch einer Erkenntnistheorie der Vorläufer Kants, durch seine (freisinnigen) zwei Abhandlungen über die bürgerliche Regierung der Wortführer des politischen Liberalismus sowie durch seine Schrift über die Vernunftmäßigkeit des Christentums jener der religiösen Toleranz und endlich durch seine »Some thoughts concerning education« (Lond. 1693; deutsch von Sallwürk, 2. Aufl., Langens. 1897) der Vater der Rousseauschen und dadurch aller neuern Pädagogik geworden. In seinem »Essay« gibt er eine »Untersuchung über den Ursprung, über die Gewissheit und den Umfang der menschlichen Erkenntnis, über die Gründe und Grade des Glaubens, der Meinung und des Beifalls«. Zuerst bekämpfte er die scholastische und Cartesianische Annahme, dass dem menschlichen Geist gewisse Grundsätze und Begriffe eingeboren sein sollen (ideae innatae). Dagegen hebt L. hervor, dass alle unsre Vorstellungen, mithin die Materialien unsers Denkens, aus der Erfahrung stammen, die als Sensation die äußern sinnenfälligen Objekte, also die körperlichen Gegenstände und die leiblichen Zustände, als Reflexion die Inneren Tätigkeiten und Zustände unsers Geistes erfasse, indem er hinsichtlich der Reflexion oder Selbstwahrnehmung bemerkt, dass ihr zwar nicht, wie der Sensation, ein Sinn zugrunde liege, dass sie aber gleichwohl viel Ähnlichkeit mit der Sinneswahrnehmung habe und daher als innerer Sinn bezeichnet werden könne. Die Vorstellungen sind nach L. entweder einfache oder zusammengesetzte; jene sind keiner Erklärung bedürftig und fähig, die Entstehung der letzteren führt L. auf Denken und Wollen zurück. Die einfachen Vorstellungen kommen teils durch einen Sinn (z. B. Hitze, Kälte, Farben), teils durch mehrere Sinne (z. B. Gestalt, Bewegung), teils durch Reflexion allein (z. B. Vorstellen, Wollen), teils durch Sensation und Reflexion zugleich (z. B. Luft, Schmerz, Existenz) in unsre Seele. Die sinnlichen Vorstellungen sind großenteils dem wirklich außer uns Existierenden nicht ähnlich oder gleich. Allerdings gibt es ursprüngliche, erste oder reale Eigenschaften (original oder primary qualities), die als unzertrennlich von den Körpern in jedem wahrnehmbaren Teil der Materie gefunden werden, wie Ausdehnung, Größe, Zusammensetzung, Dichtheit, Gestalt, Zahl, Lage, Bewegung und Ruhe, aber zugleich wirken die Körper vermittelst der Größe, Gestalt, Verbindung, Bewegung ihrer kleinsten, für sich nicht wahrnehmbaren Teile auf unsre Sinne in der Art, dass sie Vorstellungen von Gerüchen, Farben, Tönen etc. in uns hervorbringen, die nur in der Seele sind und nicht in den Körpern, die also ohne die Seele nicht da sein würden. Das sind die sekundären (secondary qualities) oder sinnlichen Eigenschaften. Außer diesen beiden nimmt L. noch eine dritte Art von Eigenschaften der Körper an, nämlich die Kräfte, die sich darin äußern, dass ein Körper auf Grund der besonderen Beschaffenheit seiner Eigenschaften in denen eines andern Körpers solche Veränderungen hervorzubringen vermag, dass dieser unsre Sinne anders anregt als vorher. Bei der Aufnahme der einfachen Vorstellungen verhält das Erkenntnisvermögen sich leidend und vermag keine derselben willkürlich in sich zu erzeugen; bei der Bildung der zusammengesetzten, ebenso bei Vergleichung und Abstraktion ist sie dagegen selbsttätig, verfährt dabei sogar willkürlich, indem sie die einfachen Vorstellungen verarbeitet. Die zusammengesetzten Vorstellungen lassen sich in drei Klassen ordnen, in Modi, d.h. Zustände, Beschaffenheiten an einem andern, Relationen, durch Vergleichung eines Dinges mit einem andern entstehend, Substanzen, die wir annehmen als den Eigenschaften zugrunde liegend, als Substrate, von denen wir keinen klaren Begriff haben; doch ist die Existenz körperlicher sowie geistiger Substanzen nicht zu leugnen. Das Erkennen definiert L. als die Wahrnehmung teils der Übereinstimmung und der Verbindung, teils der Getrenntheit und des Widerstreits zwischen unsern Vorstellungen. Nach den Abstufungen der Zuverlässigkeit der Erkenntnis gibt es drei Arten: die anschauliche oder intuitive, bei der wir die Übereinstimmung oder die Unvereinbarkeit gegebener Vorstellungen unmittelbar durch ihren Inhalt ohne Dazwischenkunft einer andern Vorstellung einzusehen vermögen; die durch den Schluss vermittelte oder demonstrative, wobei wir der Vermittlung andrer Vorstellungen bedürfen; die sinnliche, welche die Existenz endlicher Wesen außer uns zum Gegenstand hat, der man aber den Namen einer Erkenntnis nur deshalb beilegt, weil sie mehr als bloße Wahrscheinlichkeit bietet, ohne die ebengenannten beiden Stufen der Zuverlässigkeit zu erreichen. Auf den Zweifel, ob unsern Vorstellungen die Existenz realer Dinge wirklich entspreche, lässt sich nur erwidern, dass wir die Beziehung gewisser Gegenstände, deren Dasein wir entweder mit den Sinnen wahrnehmen oder wahrzunehmen glauben, auf uns unleugbar bemerken, vornehmlich indem wir erfahren, dass sie für uns entweder von Vergnügen oder von Schmerz begleitet werden, dass aber unser Erkennen sich keineswegs über die gesamte Wirklichkeit der Dinge, ja nicht einmal über den Umfang unsrer eignen Wahrnehmungen erstreckt. Namentlich ist hinsichtlich des Verbundenseins der Vorstellungen unsre Erkenntnis sehr beschränkt. So sind uns die Grundursachen der sinnlichen Eigenschaften der Körper wie auch die Notwendigkeit des Zusammenhangs zwischen den ursprünglichen und den abgeleiteten Beschaffenheiten unbekannt. Noch weit mehr sind die geistigen Substanzen unsrer Erkenntnis entzogen, denn wir erlangen von ihnen auf natürlichem Wege keine andern Vorstellungen als diejenigen, die wir durch Reflexion gewinnen. Von unserm eignen Dasein besitzen wir eine intuitive, von Gottes Dasein eine demonstrative, von dem Dasein aller übrigen Dinge eine sinnliche Erkenntnis, welch letztere aber nicht über den Wahrnehmungskreis der Sinne hinausreicht. Da alle menschliche Erkenntnis die Gegenstände nicht unmittelbar, sondern nur unter der Vermittlung von Vorstellungen erfasst, so kommt ihr auch bloß insoweit Realität zu, als Übereinstimmung zwischen unsern Vorstellungen und der Wirklichkeit der Dinge stattfindet. Letztere dürfen wir mit Gewissheit annehmen, weil die einfachen Vorstellungen notwendig das Produkt von Dingen sind, die eine natürliche Einwirkung auf unsre Seele ausüben. Die Wahrheit in der eigentlichen Bedeutung dieses Wortes ist eine Verbindung und Trennung von Zeichen, die dem gegenseitigen Verhältnis der bezeichneten Dinge gemäß erfolgt. Da nun das Urteilen in dem Verbinden und Trennen der Zeichen besteht, so betrifft die Wahrheit nur unsre Urteile. Alle Erkenntnis besteht teils aus besonderen, teils aus allgemeinen Wahrheiten. Die letzteren können nur gehörig mitgeteilt und gefasst werden, wenn sie in Sätzen ausgesprochen sind, denn bloß in unsern durch allgemeine Sätze bezeichneten Vorstellungen ist die Gewissheit des Allgemeinen zu finden; suchen wir sie außer uns mit Hilfe unsrer Wahrnehmungen, so gelangen wir lediglich zur Erkenntnis des Besondern. Da der Verstand dem Menschen nicht nur zu einem theoretischen, sondern auch zu einem praktischen Gebrauch, nämlich zur vernunftgemäßen Lebensführung, verliehen ist, so würden wir übel daran sein, wenn uns für diesen letzteren Behuf lediglich die Gewissheit wahrer Erkenntnis von Nutzen sein könnte. Denn bei deren Beschränktheit würden wir uns in betreff der meisten Handlungen im unklaren befinden, wenn wir nichts hätten, was uns in Ermangelung einer klaren und zuverlässigen Erkenntnis für die praktischen Beziehungen zum Führer dienen könnte. Dazu ist uns das Vermögen des Meinens verliehen, bei dessen Anwendung der Verstand annimmt, dass Vorstellungen übereinstimmen oder sich widersprechend zueinander verhalten, ohne dies unmittelbar mit einzusehen oder hiervon durch zureichende Beweise die einleuchtende, demonstrative Gewissheit erlangt zu haben. Bei dieser Art der Überzeugung, der Wahrscheinlichkeit, gibt es verschiedene Grade von der nächsten Angrenzung an Gewissheit und Demonstration bis zur Unwahrscheinlichkeit und zur Grenze der Unmöglichkeit, denen die Grade der Beistimmung oder des Fürwahrhaltens von der vollen Zuversicht bis herab zur Mutmaßung, zum Zweifel und Misstrauen entsprechen.

Lockes Empirismus ist als erster Versuch einer auf Selbstwahrnehmung gestützten und nach Vollständigkeit strebenden Behandlung der Erkenntnislehre für die empirische Psychologie von großem Werte gewesen. Auch auf die weitere Entwickelung der Philosophie hat er bedeutenden Einfluss ausgeübt, indem er durch Berkeley zum empirischen Idealismus, durch Hume zum Skeptizismus fortgebildet worden ist, ferner auf die Gestaltung der Lehren Leibnizens eingewirkt hat, der dem Satz Lockes: Nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu, den Zusatz beifügte: nisi ipse intellectus, und als Begründer der neuern kritischen Erkenntnistheorie zu betrachten ist. Auch die staatsrechtlichen und rechtsphilosophischen Lehren Lockes hinterließen in der Philosophie der Folgezeit wichtige Spuren: auf ihn geht z. B. der Gedanke von der »Teilung der Staatsgewalten« zurück, der später von Montesquieu verbreitet wurde. Lockes »Posthumous works« erschienen 1706, Nachträge dazu (»Collection of several pieces«) 1720. Gesamtausgaben seiner vielfach ausgelegten Schriften erschienen zu London 1801 und 1812 in 10 Bänden und 1835 in 9 Bänden. Die »Philosophical works« gab St. John (Lond. 1854, 2 Bde.) besonders heraus. Sein Leben beschrieben Lord King (Lond. 1829, neue Ausg. 1858) und Fox Bourne (das. 1876, 2 Bde.), letzterer zum Teil nach bisher unbekannten Quellen, durch ungedruckte Briefe und Abhandlungen bereichert; kürzere Biographien von Fowler (das. 1880) und Fraser (das. 1890). Vgl. Tagart, Locke's writings and philosophy (Lond. 1855); Webb, Essay on the intellectualism of John L. (das. 1858); Schärer, John L., seine Verstandestheorie und seine Lehren über Religion, Staat und Erziehung (Leipz. 1860); Cousin, La philosophie de L. (6. Aufl., Par. 1873); Hartenstein, Lockes Lehre von der menschlichen Erkenntnis in Vergleichung mit Leibniz' Kritik derselben (Leipz. 1865); v. Benoit, Darstellung der Lockeschen Erkenntnistheorie (Bern 1870); de Fries, Die Substanzenlehre Lockes (Brem. 1879); Geil, Über die Abhängigkeit Lockes von Descartes (Straßb. 1887); v. Hertling, J. L. und die Schule von Cambridge (Freiburg 1892); Martinak, Die Logik John Lockes (Halle 1894); Küppers, John L. und die Scholastik (Bern 1894); Fechtner, John L., ein Bild aus den geistigen Kämpfen Englands im 17. Jahrhundert (Stuttg. 1898); Pöhlmann, Die Erkenntnislehre Lockes (Erlang. 1897); Hecke, Systematisch-kritische Darstellung der Pädagogik I. Lockes (Gotha 1898); Freytag, Die Substanzenlehre Lockes (Halle 1899); Lezius, Der Toleranzbegriff Lockes und Pufendorfs (Leipz. 1900); Paschkan, Das Verhältnis zwischen Wissen, Meinen und Glauben bei L. (Fokschani 1903); A. C. Fraser, John L. as a factor in modern thought (Lond. 1905, Bd. 1).

Gedanken über Erziehung

Widmungsschreiben Lockes an Eduard Clarke von Chipley, Esq.

Mein Herr!

Diese Gedanken über die Erziehung, welche nun ans Licht treten, gehören Ihnen mit Recht zu, weil sie schon vor einigen Jahren auf Ihre Veranlassung aufgesetzt wurden und es keine andern sind als diejenigen, welche sich bereits in meinen Briefen an Sie in Ihren Händen befinden. Ich habe fast nichts daran geändert, außer etwa die Ordnung und Zusammenstellung der Sachen, die ich zu verschiedenen Zeiten und bei besonderen Veranlassungen Ihnen schrieb, so daß der Leser aus dem vertraulichen und nachlässigen Ton bald merken wird, das Folgende verdiene eher den Namen einer Privatunterhaltung zwischen zwei Freunden, als einer für die Augen des Publikums bestimmten Abhandlung.

Ich weiß, es ist ein gewöhnliches Mittel, das Zureden und Anliegen seiner Freunde vorzuschützen, wenn man nicht gestehen will, daß man zur Herausgabe eines Werkes durch sich selbst versucht worden sei. Allein Sie können mit Wahrheit bezeugen, daß diese Papiere noch lange, bloß zum Privatgebrauch bestimmt, in der Dunkelheit geblieben sein würden, wenn nicht einige die Mitteilung und Bekanntmachung derselben ausdrücklich verlangt hätten. Da überdem diejenigen, deren Urteil ich am meisten traue, mich versicherten, daß dieser rohe Entwurf, wenn er bekannter würde, einigen Nutzen stiften könne, so war dies gerade die Ursache, die über mich am meisten vermag. Denn ich halte es für unweigerliche Pflicht, dem Vaterlande alle Dienste zu leisten, die in unserem Vermögen stehen: ich sehe auch nicht ab, welcher Unterschied sonst zwischen dem Menschen und seinem Tiere, dem es an Denkkraft gebricht, bestehen könne. Überdies ist der Gegenstand an sich selbst so überaus wichtig, und eine gute, zweckmäßige Erziehung von so allgemeinem Nutzen, daß es keiner fremden Aufmunterung, keines Zuredens bei mir bedurft hätte, wenn ich sonst gefühlt hätte, daß meine Fähigkeiten meinen Wünschen entsprächen. Inzwischen soll weder der geringe Gehalt dieser Blätter, noch die geringe Meinung, die ich selbst davon hege, oder die Scham, nur so wenig leisten zu können, mich abhalten, sie öffentlich mitzuteilen, da man weiter nichts von mir verlangt. Sollten indes mehrere im Publikum so damit zufrieden sein, daß sie dieselben des Druckes nicht für unwert achteten, so würde ich mir schmeicheln dürfen, nicht ganz ohne Nutzen gearbeitet zu haben.

Ich bin selbst hie und da von manchen Familien über die Erziehung ihrer Kinder zu Rate gezogen worden, und die frühe Sittenverderbnis der Jugend ist gegenwärtig eine so allgemeine Klage, daß man es wohl nicht tadeln kann, wenn man diesen wichtigen Gegenstand in Anregung bringt und dadurch wenigstens anderen Gelegenheit gibt, weitere Untersuchungen anzustellen oder das Gesagte zu berichtigen. Denn in keinem Fach sollten Irrtümer weniger geduldet werden als in dem Erziehungswesen. Es verhält sich mit diesen Irrtümern wie mit den Fehlern der Verdauung; was in den ersten Wegen verdorben ist, wird nie in den zweiten oder dritten wieder gut. Die Fehler der Erziehung verbreiten ihren Einfluß über alle Teile und Auftritte des Lebens.

Übrigens bin ich so weit entfernt, das, was ich hier vorgetragen habe, für unfehlbar zu halten, daß ich es vielmehr, schon um Ihretwillen, gern sehen würde, wenn ein der Sache kundiger Mann in einem ausführlichen Werke über die Erziehung der höheren Volksklassen, die Fehler berichtigen wollte, die ich etwa begangen hätte. – Denn es ist mir wahrlich mehr daran gelegen, daß man die beste Methode, junge Leute zu bilden und zu unterrichten, ausfindig mache, als meine Gedanken darüber mit Beifall aufgenommen zu sehen. Unterdessen können Sie selbst mir das Zeugnis geben, daß die hier vorgeschlagene Methode bei dem Sohns eines angesehenen Mannes, an den ich dabei nicht dachte, mehr als gewöhnliche Wirkung geleistet habe. Nun will ich zwar nicht leugnen, daß die gute Anlage des Kindes auch vieles dazu beigetragen; indessen sind doch Sie sowohl als die Eltern, wie ich glaube, überzeugt, daß eine entgegengesetzte Behandlung nach dem gewöhnlichen Schlage, das nicht würde ausgerichtet, noch das Kind dahin gebracht haben, daß es nicht nur Liebe zu den Büchern und Vergnügen am Lernen gewonnen, sondern sogar mehr Begierde nach Unterricht empfindet, als diejenigen, welche es umgeben, zu befriedigen für diensam halten.

Doch ich habe nicht nötig, Ihnen diese Abhandlung zu empfehlen, da ich Ihre Meinung darüber schon weiß; noch mag ich solche der Welt mittels dieses günstigen Vorurteils und Ihres Schutzes aufdringen. Die gute Erziehung der Kinder ist so sehr die Pflicht und das Interesse der Eltern, sie hängt so genau mit der Blüte und dem Wohlstande der ganzen Nation zusammen, daß ich glaube, sie werde jedem am Herzen liegen, und jeder werde nach reiflicher Erwägung und Prüfung dessen, was in dieser wichtigen Sache der Eigensinn, das Herkommen oder die Vernunft befiehlt, selbst so viel er kann, hilfreiche Hand anlegen, um die Jugend, nach Maßgabe ihres Standes und künftigen Berufes, auf dem leichtesten, kürzesten und besten Wege zu tugendhaften, brauchbaren und geschickten Menschen zu bilden; wiewohl die Erziehung der höheren Stände allerdings die größte Sorgfalt verdient; denn wenn diese nur gehörig gebildet sind, so wird die Bildung der übrigen um so leichter werden.

Ich weiß nicht, ob ich in diesen wenigen Blättern etwas mehr geleistet habe, als meinen guten Willen zu zeigen. Dem sei indes wie ihm wolle, so hat die Welt, das, was darin etwa eine gute Aufnahme verdienen möchte, bloß Ihnen zu verdanken. Meine Zuneigung zu Ihnen gab denselben ihr Dasein, und ich freue mich, der Nachwelt ein Denkmal meiner Freundschaft mit Ihnen überliefern zu können. Denn ich kenne in diesem Leben kein größeres Vergnügen, noch ein besseres Mittel sich selbst ein gutes Andenken zu stiften, als eine ununterbrochene Freundschaft mit einem edlen, gemeinnützigen, würdigen Manne und einem Freunde seines Vaterlandes. Ich bin

Den 7. März 1690.

Ihr ergebenster und aufrichtigster DienerJohn Locke

Einleitung.

§ 1. Ein gesunder Leib und eine gesunde Seele sind die beiden Hauptstützen aller menschlichen Glückseligkeit hienieden. Wer diese beiden Stücke besitzt, hat wenig mehr zu wünschen übrig; wem aber eines von beiden fehlt, der ist bei dem Besitz alles übrigen immer übel daran. Die erste Quelle aller Glückseligkeit und alles Elends der Menschen entspringt gemeiniglich aus ihnen selbst. Ein Geist, dem es an gehöriger Richtung und Bildung fehlt, wird nie den wahren Weg zur Glückseligkeit finden, so wie ein schwächlicher, ungesunder Körper nie große Fortschritte darauf machen wird. Ich gebe es zu, daß es Menschen gibt, die von Natur an Geist und Körper so stark und wohl gebildet sind, daß sie die Hilfe und den Beistand anderer nicht sehr nötig haben. Schon von der Wiege an sind sie vermöge der Stärke ihres natürlichen Genies zu allem geneigt, was edel und vortrefflich ist, und die Vorzüge ihrer glücklichen Konstitution machen sie der größten Taten fähig. Aber solche Beispiele sind selten, und ich glaube behaupten zu können, daß unter zehn Personen immer neun durch Erziehung das sind, was sie sind, gut oder bös, der Gesellschaft schädlich oder nützlich. Die Erziehung macht den großen Unterschied unter den Menschen. Die kleinen unmerklichen Eindrücke, welche wir in unserer Kindheit annehmen, haben oft die wichtigsten und bleibendsten Folgen. Es verhält sich mit diesen ersten Eindrücken, wie mit den Quellen einiger Flüsse; beim Ursprunge derselben ist eine geringe Mühe hinreichend, das kleine Bächlein nach Willkür zu leiten, und dadurch zu verursachen, daß der, mit der Weite des zurückgelegten Weges zunehmende Fluß nach ganz entgegengesetzten Gegenden hinströmt.

§ 2. Mich dünkt, der Geist der Kinder ist ebenso leicht zu biegen und zu leiten wie das Wasser. Allein obgleich der Geist den vorzüglichsten Teil des Menschen ausmacht und die Hauptsorge allerdings auf die Bildung des Inwendigen gerichtet sein muß, so darf man doch auch die äußere Hülle nicht ganz vernachlässigen. Ich werde daher mit der Gesundheit des Körpers den Anfang machen, teils, weil man in dieser Hinsicht vielleicht etwas mehr von mir erwartet, da ich mich, wie man glaubt, auf dieses Studium vorzüglich gelegt habe,  teils auch, weil die ganze Abhandlung davon kurz sein und, wo ich nicht irre, in wenig Regeln bestehen wird.

Erster Abschnitt.

Von der Gesundheit.

§ 3. Wie notwendig die Gesundheit zu unseren Geschäften und zu unserer Glückseligkeit sei, wie sehr eine starke Leibesbeschaffenheit, die vermögend ist, alle Arbeiten und Mühseligkeiten dieses Lebens zu ertragen, erfordert werde, wenn man nur etwas in der Welt ausrichten will: dieses ist zu einleuchtend, als daß es erst bewiesen werden dürfte.

§ 4. Die Betrachtungen, die ich hier über die Gesundheit anstelle, haben nicht den Zweck zu zeigen, wie ein Arzt ein krankes und schwaches Kind behandeln müsse, sondern was Eltern ohne die Hilfe des Arztes tun können, um die gesunde oder wenigstens nicht kranke Beschaffenheit ihres Kindes zu erhalten und zu verbessern. Vielleicht kann dieses alles in diese kurze Regel zusammengefaßt werden: Man erziehe die Kinder wie wohlhabende Landleute die ihrigen. Weil aber manche Mutter dieses zu hart und mancher Vater zu kurz finden möchte, so will ich mich etwas ausführlicher erklären. Nur soviel muß ich Frauen als eine gewisse Beobachtung empfehlen: die gute Leibesbeschaffenheit der meisten Kinder wird durch Verzärtelung verdorben oder wenigstens geschwächt.

§ 5. Vor allen Dingen muß man sorgen, daß Kinder im Winter und Sommer nicht zu warm gekleidet gehen. Das Gesicht ist bei unserer Geburt ebenso zart als jeder anders Teil des Körpers; die Gewohnheit allein macht es hart und fähig, Kälte zu ertragen. Daher antwortete jener szythische Weise einem Athenienser, der sich wunderte, wie er im Frost und Schnee nackend gehen könnte, sehr nachdrücklich: "Wie kannst du es aushalten," sagte ihm der Szythe, "daß dein Gesicht der scharfen Winterluft bloßgestellt ist?" – "Mein Gesicht ist daran gewöhnt," antwortete der Athenienser. – "Denke also, ich sei ganz Gesicht," erwiderte der Szythe. In der Tat steht unser Körper alles aus, wenn er nur von Anfang an dazu gewöhnt wird.

Ein vortreffliches, wiewohl diesem entgegengesetztes Beispiel, nämlich von Ertragung einer übermäßigen Hitze, treffe ich in einer schönen Reisebeschreibung an.  Ich will es mit des Verfassers eigenen Worten anführen. "Die Hitze", sagte er, "ist auf der Insel Malta weit brennender als an irgendeinem Orte in Europa. Sie ist heftiger als in Rom; sie ist erstickend, und um so viel unerträglicher, weil man selten durch einen kühlen Wind erfrischt wird. Die gemeinen Leute sind hier so schwarz wie die Zigeuner. Aber der Landmann bietet der Sonne Trotz und arbeitet ohne Unterbrechung den heißesten Teil des Tages fort, ohne gegen die brennenden Strahlen Schutz zu suchen. Hieraus ziehe ich den Schluß, die Natur könne Dinge leisten, die an sich unmöglich scheinen, wenn man sich nur von Kindheit auf daran gewöhnt. Dieses tun die Malteser; sie härten ihre Kinder zur Hitze ab, indem sie solche nackend ohne Hemd und ohne Beinkleider von der Mutter Brust bis in ihr zehntes Jahr herumlaufen lassen."

Man verwahre also Kinder nicht zu sorgfältig für Kälte. Es gibt Leute in England, welche ohne Unbequemlichkeit Winter und Sommer einerlei Kleider tragen, und ohne mehr Kälte zu empfinden als andere. Sollten indes unsere Mütter aus zu ängstlicher Besorgnis, und die Väter aus Furcht vor Tadel, dennoch auf Frost und Schnee einige Rücksicht nehmen, so sorge man wenigstens, daß die Winterkleidung nicht allzu warm sei. Hat die Natur schon von selbst das Haupt des Knaben so gut mit Haaren bedeckt, daß er am Tage ohne Mütze herumlaufen kann, so bedenke man doch, daß dieses ebenfalls auch des Nachts angehe. Denn nichts verursacht mehr Kopfweh, Schnupfen, Flüsse, Husten und andere Krankheiten, als wenn man den Kopf zu warm hält.

§ 6. Ich habe hier von einem Knaben geredet. Denn der Hauptzweck meiner Abhandlung ist, die Erziehung eines jungen Menschen von gutem Herkommen zu zeigen. Das läßt sich nicht in allen Stücken auf Töchter anwenden; doch wird es nicht schwer zu beurteilen sein, wo der Unterschied des Geschlechts eine andere Behandlung erfordert.

§ 7. Ich würde raten, die Füße täglich in kaltem Wasser zu waschen, und die Schuhe so dünn zu tragen, daß die Nässe leicht durchdringen könnte. Hiermit werden Mütter und Mägde freilich nicht zufrieden sein. Die ersteren werden glauben, daß es der Reinlichkeit zuwider sei, und den letzteren wird es mehr Mühe verursachen. Aber die Sorge für die Gesundheit ist doch unendlich wichtiger als alle diese Bedenklichkeiten. Wer erwägt, was für schädliche und tödliche Folgen das Naßwerden und Erkälten der Füße oft bei denjenigen nach sich zieht, welche zu zärtlich erzogen sind, wird wünschen, daß er wie Kinder vom niedrigsten Stande barfuß gegangen sein möchte. Diese werden es so gewohnt, Nässe an Füßen zu ertragen, daß sie davon ebensowenig Schnupfen oder andere Unannehmlichkeiten empfinden, als wenn ihnen die Hände naß werden. Was macht denn sonst, frage ich, den großen Unterschied unter Händen und Füßen aus, als bloß die Gewohnheit? Wäre ein Mensch von Kindheit an immer gewöhnt worden, barfuß zu gehen, die Hände hingegen beständig in warme Tücher zu hüllen und mit Handschuhen zu bedecken, so zweifle ich nicht, daß das Naßwerden an Händen ihm ebenso gefährlich sein würde als vielen anderen die Nässe an den Füßen. Das Mittel dagegen wäre also, daß die Schuhe Wasser zögen und die Füße täglich in kaltem Wasser gewaschen würden. Es würde dieses auch die Reinlichkeit sehr befördern. Jetzt aber sehe ich nur auf die Gesundheit; ich schränke es daher eigentlich auf keine besondere Zeit des Tages ein. Mir ist ein Haus bekannt, wo man es alle Abende mit gutem Erfolg und den ganzen Winter hindurch zu tun pflegte, ohne es auch nur einmal in der strengsten Kälte zu unterlassen. Wenn auch Eis das Wasser bedeckte, so badete das Kind doch seine Füße darin, ob es gleich noch nicht so alt war, daß es sich selbst waschen und trocknen konnte; auch war es überdies sehr zart und kränklich, als es diese Gewohnheit anfing. Der Hauptzweck ist, diese Teile durch fleißigen und öfteren Gebrauch des kalten Wassers abzuhärten und dadurch den Unbequemlichkeiten zu entgehen, die man empfindet, wenn man gelegentlich nasse Füße bekommt, ohne daran gewöhnt zu sein. Ich denke also, man könne es der Beurteilung und Bequemlichkeit der Eltern überlassen, ob sie entweder den Abend oder den Morgen dazu festsetzen wollen. Denn die Zeit halte ich für gleichgültig, wenn nur die Sache geschieht. Die Gesundheit und Festigkeit, welche dadurch erlangt wird, würde schon Vorteil genug sein, wenn sie auch weit teuerer zu stehen käme. Hierzu kommt noch, daß man dadurch von Hühneraugen verschont bleibt; ein Umstand, der allein schon viel wert ist. Man fange erst im Frühling mit lauem Wasser an, nehme immer kälteres, bis man in wenig Tagen ganz kaltes brauchen kann, und dann fahre man des Winters und Sommers also fort. Denn es ist sowohl bei dieser, als bei jeder anderer Veränderung in unserer Lebensart zu merken, daß solche allmählich und unvermerkt geschehen müsse. Auf diese Weise können wir unseren Körper ohne Mühe und Gefahr an alles gewöhnen.

Was zärtliche Mütter hierzu sagen werden, kann man sich leicht vorstellen. Sie werden glauben, daß man ihre zarten Lieblinge ermorden wolle. Wie? Sie sollen ihre Füße bei Frost und Schnee noch in kaltes Wasser stecken, da man sie mit aller Mühe nicht warm genug halten kann. Um ihre Furcht durch Beispiele ein wenig zu mildern, ohne welche die deutlichsten Vernunftschlüsse selten Eingang finden, so erzählt uns Seneca von sich selbst, er sei gewohnt gewesen, sich mitten im Winter in kaltem Quellwasser zu baden. Er hielt dieses nicht nur für erträglich, sondern auch für gesund, da er es sonst gewiß nicht würde getan haben, denn er war reich genug, um die Kosten eines warmen Bades nicht scheuen zu dürfen, und befand sich bereits in hohem Alter, welches Nachsicht verdient haben würde. Will man sagen, seine stoischen Grundsätze hätten ihn zu dieser Strenge verleitet, so mag es sein, daß diese ihm das kalte Wasser erträglich gemacht haben: aber was machte es denn seiner Gesundheit zuträglich? Denn diese litt durch diese Gewohnheit nicht. Horaz folgte keiner Sekte, am wenigsten der stoischen. Dennoch versicherte er uns, er sei gewohnt gewesen, sich auch im Winter in kaltem Wasser zu baden. Man wird einwenden, das Klima sei in Italien milder als in England, und die Kälte der dortigen Gewässer komme der unserigen im Winter nicht gleich. Sind aber die Flüsse in Italien wärmer, so sind die in Deutschland und Polen doch gewiß viel kälter, und gleichwohl baden sich in denselben Männer und Weiber ohne Unterschied der Jahreszeiten und ohne den geringsten Nachteil der Gesundheit. Nicht alle Menschen sind fähig, es für ein Wunder oder eine besondere Kraft des St. Winfrieds-Brunnens  zu halten, daß das kalte Wasser dieser berufenen Quelle den zarten Leibern nicht schadet, die sich darin baden. Die bewundernswürdige Wirksamkeit kalter Bäder bei schwächlichen Personen zur Wiedererlangung der Gesundheit und Stärke, wird heutzutage allgemein anerkannt.  Sie müssen daher auch denen, die sich besser befinden, zur Stärkung und Abhärtung des Körpers dienen.

Glaubt man etwa, diese Beispiele von Erwachsenen ließen sich auf Kinder nicht anwenden, ihre zarte Leibesbeschaffenheit möchte darunter leiden, so untersuche man nur, wie die alten Deutschen mit ihren Kindern umgingen, und was die Irländer noch jetzt tun. Man wird finden, daß auch die zartesten Kinder ohne Gefahr das Waschen nicht allein der Füße, sondern auch des ganzen Leibes im kalten Wasser ertragen können. Es gibt noch heutzutage in den schottischen Gebirgen vornehme Frauen, welche dieses mit ihren Kindern mitten im Winter tun und finden, daß ihnen das kalte Wasser nichts schadet, auch wenn Eis darinnen ist.

§ 8. Schwimmen zu lernen ist sehr nützlich, wenn ein Knabe von dem Alter ist, daß er es lernen kann, und dabei einen guten Anführer hat. Manchem Menschen rettet er das Leben. Die Römer hielten es für so unentbehrlich, daß sie es mit dem Lesen und Schreiben in eine Reihe setzten. Wollten sie einen schlecht erzogenen Menschen, der zu nichts taugte, bezeichnen, so sagten sie: er hat weder lesen noch schwimmen gelernt.  Der Mensch erhält dadurch eine Geschicklichkeit, die ihm im Notfall nützlich sein kann. Außerdem bringt das öftere Baden im Sommer der Gesundheit so mannigfache Vorteile, daß ich es nicht für nötig halte, weiter etwas davon zu sagen. Nur muß man die Vorsicht dabei nicht aus der Acht lassen, daß man nie von einer Leibesübung erhitzt oder mit wallendem Blute und klopfendem Pulse ins Wasser gehe.

§ 9. Eine andere der Gesundheit sehr zuträgliche Sache, hauptsächlich bei Kindern, ist, sich häufig in freier Luft, und so wenig als möglich, auch selbst im Winter, am Feuer aufhalten. Hierdurch werden sie sich an Hitze und Kälte, an Regen und Sonnenschein gewöhnen. Wessen Körper alles dieses nicht ertragen kann, der wird wenig in der Welt damit anfangen können. Ist er schon erwachsen, so ist es zu spät, sich dazu zu gewöhnen; es muß in der Jugend, und nach und nach geschehen. Auf diese Art aber kann man es dahin bringen, alles ertragen zu können. Wenn ich einem Knaben raten wollte, ohne Hut im Winde und in der Sonne zu spielen, so würde man es sehr mißbilligen. Man würde vielerlei Einwürfe machen, und der wichtigste darunter würde sein, daß der Knabe von der Sonne möchte verbrannt werden. Soll aber der junge Herr immer im Schatten gehalten und nie der Sonne und dem Winde ausgesetzt werden, aus Besorgnis, seine Gesichtsfarbe zu verderben, so wird man ihn wohl zu einem süßen Herrn, aber nie zu einem brauchbaren Geschäftsmann bilden.  Bei den Töchtern muß man freilich auf Schönheit mehr Rücksicht nehmen: allein ich bin dreist genug zu behaupten, daß je mehr sie sich ohne Nachteil ihres Gesichtes der freien Luft aussetzen, sie desto stärker und gesünder sein werden, und je mehr ihre Erziehung sich der harten Behandlung ihrer Brüder nähert, desto größere Vorteile werden sie für ihr ganzes Leben davon einernten.

§ 10. Nur diese einzige Gefahr hat das Spielen in freier Luft bei sich, daß der Knabe, wenn er erhitzt ist, sich auf die kalte und feuchte Erde setzen möchte. Dieses und das kalte Trinken nach Erhitzung bringt mehr Menschen ins Grab oder doch an den Rand desselben, durch Fieber und andere Krankheiten als irgendeine andere Ursache. Solange der Knabe klein ist und man ihn immer unter den Augen hat, ist diesem Unglück leicht vorzubeugen. Hat man ihn nun während seiner Kindheit beständig und ernstlich angehalten, sich nie auf die Erde zu setzen oder kalt zu trinken, wenn er erhitzt ist, so geht diese Enthaltung in Fertigkeit über, die ihm sehr zustatten kommen wird, wenn er auch längst den Händen seiner Wärterin und seines Erziehers entwachsen ist. Dies ist denn aber auch alles, was man in diesem Stücke tun kann. Denn mit den Jahren muß man ihm auch mehr Freiheit gestatten und in sehr vielen Dingen ihn gänzlich seiner eigenen Führung überlassen. Er kann nicht immer einen Aufseher haben; die guten Grundsätze und Gewohnheiten, die man in seine Seele gelegt hat, sind für sein ganzes Leben der sicherste und beste Führer. Hierauf also muß man alle Sorgfalt verwenden. Tausendmal wiederholte Warnungen und Regeln helfen gewiß nichts, solange sie nicht durch Übung zur anderen Natur geworden sind.

§ 11. Bei Erwähnung der Töchter fällt mir etwas ein, was man nie aus der Acht lassen sollte: nämlich, daß man die Kleider der Knaben nie zu enge machen lasse, besonders um die Brust herum. Man lasse der Natur Freiheit, den Leib zu bilden, wie sie es für gut findet. Sie wirkt allein gelassen besser, als nach unserer Anweisung. Sollte oft die Bildung der Kinder im Mutterleibe den Müttern selbst überlassen sein, so würden gewiß so wenig vollkommene Kinder geboren werden, als wir wenige wohlgestaltete unter denen finden, die enge eingeschnürt worden sind, oder an denen man viel gekünstelt hat. Diese Betrachtung, dünkt mich, sollte die geschäftigen Leute (ich möchte nicht gern sagen, die unwissenden Ammen und Schnürbrustmacher) abhalten, sich nicht in Dinge zu mischen, die sie nicht verstehen. Sie sollten es sich zur Gewissenssache machen, die Natur bei Bildung des Leibes nicht zu stören, da sie den inneren Bau des geringsten und kleinsten Teiles nicht kennen. Ich weiß viele Beispiele von Kindern, bei denen das enge Schnüren und Einpressen die nachteiligsten Folgen hatte, und ich konnte nicht umhin, daraus den Schluß zu ziehen, daß es außer den Affen auch noch andere Geschöpfe gibt, die nicht viel klüger sind und ihre Jungen durch unvernünftige Zärtlichkeit und zu häufige Liebkosungen ersticken.

§ 12. Die gewöhnlichsten und alltäglichen Folgen der Schnürleiber und engen Kleider sind: Engbrüstigkeit, kurzer und übelriechender Atem, verdorbene Lungen und Rückgratsverkrümmung. Das Mittel also, dessen man sich bedient, den Wuchs fein und schlank zu machen, dient nur dazu, ihn zu verderben. Notwendig muß auch das Ebenmaß der Glieder zerstört werden, wenn die Nahrung, welche in den verschiedenen Gefäßen des Körpers zubereitet wird, nicht der Bestimmung der Natur gemäß verteilt werden kann. Die Nahrung dringt in Teile, die weniger gepreßt sind. Man darf sich daher nicht wundern, wenn oft eine Schulter oder eine Hüfte höher wird als die andere. Es ist bekannt, daß die Chinesinnen, die, ich weiß nicht warum, kleine Füße für schön halten, solche dadurch bekommen, daß sie sie von Kindheit an fest zusammenschnüren. Ich sah vor einiger Zeit ein Paar solche chinesische Schuhe, die von einer erwachsenen Frau sein sollten. Sie waren viel zu klein für eine Frau bei uns, kaum würden sie einem kleinen Mädchen groß genug gewesen sein. Man hat überdies beobachtet, daß ihre Weiber sehr klein sind und selten lange leben; dahingegen die Männer die gewöhnliche Größe anderer Menschen und ein verhältnismäßiges Alter erreichen. Einige suchen die Ursache hiervon in dem unvernünftigen Binden ihrer Füße, wodurch der freie Umlauf des Blutes und folglich das Wachstum und die Gesundheit des ganzen Körpers gehindert wird. Man sieht ja sehr oft, wenn nur ein kleiner Teil des Fußes durch eine Verrenkung oder einen Schlag leidet, daß das ganze Bein alsdann seine Kraft verliert und schwindet. Weit größeren Nachteil muß man daher befürchten, wenn die Brusthöhle, wo das Herz, die Quelle des Lebens seinen Sitz hat, unnatürlich zusammengepreßt und an seiner Ausdehnung gehindert wird.

§ 13. Die Diät der Kinder sollte so einfach als möglich sein. Nach meiner Meinung dürfte man ihnen so lange kein Fleisch geben, als sie noch in dem Kinderkleidchen gehen, wenigstens nicht vor dem zweiten oder dritten Jahre. Ihre Gesundheit würde sich ohne Zweifel besser dabei befinden. Allein so heilsam dieser Rat auch für die gegenwärtige und künftige Gesundheit der Kinder sein mag, so zweifle ich doch sehr, daß Eltern ihn befolgen werden, weil sie selbst in diesem Stücke verwöhnt sind. Sie würden glauben, die kleinen müßten ganz verkommen, wenn sie nicht den Tag über zweimal Fleisch essen sollten. Indessen bin ich überzeugt, die Kinder würden mit weniger Gefahr Zähne bekommen, von Krankheiten freier sein und einen besseren Grund zu einer starken Leibesbeschaffenheit legen, wenn allzuzärtliche Mütter und törichte Mägde den Magen der Kinder nicht mit Speisen überfüllten, oder ihnen die ersten drei oder vier Jahre gar kein Fleisch gäben. Muß aber der junge Herr unumgänglich Fleisch bekommen, so lasse man es doch wenigstens nur mit einem Male des Tages und mit einer Sorte bei jeder Mahlzeit bewenden. Bloßes Rindfleisch, Schöpsenfleisch, Kalbfleisch und so weiter, ohne eine andere Würze als der Hunger ist das beste. Übrigens sollte man sie an vieles Brot gewöhnen, sowohl allein, als sonst bei jeder anderen Speise. Dabei müssen sie alles gehörig kauen. Wir Engländer sind hierinnen oft nachlässig, woraus Unverdaulichkeit und andere Übel entstehen.

§ 14. Zum Frühstück und Abendessen sind Milch, Milchbrei, Hafergrütze, Haferschleim und viele andere in England gewöhnliche Speisen sehr dienlich. Nur muß man immer darauf sehen, daß sie so einfach als möglich zubereitet werden. Den Zucker sollte man nur sehr sparsam, Gewürze aber und andere erhitzende Sachen gar nicht gebrauchen. Man salze nie zu viel, noch gewöhne man Kinder an pikante, scharfschmeckende Speisen. Unser Gaumen gewöhnt sich nur allzuleicht an einen scharfen Geschmack; der unmäßige Gebrauch des Salzes aber erregt zu heftigen Durst, reizt zum übermäßigen Trinken und hat andere nachteilige Folgen. Ein Stück gut ausgebackenes Brot, mit etwas Butter oder Käse oder auch ganz trocken, würde oft das beste Frühstück für den jungen Herrn sein. Das wird ihm wohl bekommen, ihm mehr Kraft und Stärke geben als die ausgesuchtesten Leckereien und ihm auch ebensogut schmecken, wenn er nur daran gewöhnt ist. Verlangt das Kind außer der Mahlzeit zu essen, so gebe man ihm trockenes Brot. Ist es mehr hungrig als lüstern, so wird es das Brot gerne essen, ist es aber nicht hungrig, so braucht es auch nicht zu essen. Dieses wird doppelten Vorteil gewähren. Die Kinder gewöhnen sich, daß sie gerne Brot essen; denn, wie ich schon erinnert habe, unser Gaumen und Magen findet Vergnügen an allen Speisen, an die er gewöhnt worden ist. Der zweite Vorteil ist, daß Kinder nicht zu viel und nicht öfter essen, als die Natur es verlangt. Ich behaupte nicht, daß alle Menschen gleich viel essen sollen. Einige haben von Natur eine stärkere, andere eine schwächere Eßlust; allein ich bin überzeugt, manche Menschen macht die Gewohnheit bloß zu Fressern und Schwelgern, ohne daß die Natur daran schuld ist. In vielen Ländern essen die Menschen des Tages nur zweimal und sind dabei ebenso munter und stark als andere, die es durch Gewohnheit endlich so weit bringen, daß ihr Magen gleich einem Wecker an der Uhr des Tages vier- bis fünfmal Nahrung fordert. Die Römer fasteten ordentlicherweise bis auf den Abend. Dieses war die einzige festgesetzte Mahlzeit auch bei denen, die des Tages mehrmals aßen. Zum Frühstück, welches einige um acht, andere um zehn Uhr, andere zu Mittag und noch später verzehrten, aß man nie Fleisch, noch sonst etwas Gekochtes. Augustus, der größte Monarch auf der Erde, verzehrte, wie er uns selbst sagt,  ein Stück Brot in seinem Wagen. Seneca beschreibt in einem seiner Briefe die Art zu leben, die er noch als Greis beobachtete, da sein hohes Alter Nachsicht zu fordern schien.  "Ich pflege", sagt er, "ein Stück trockenes Brot zu Mittag zu essen, ohne dabei weiter Umstände zu machen." Seinem Vermögen nach hätte er sich wahrlich eine doppelt so kostbare Tafel halten können, als irgendein Reicher in England, wenn er es sonst seiner Gesundheit für zuträglich gehalten hätte. Bei dieser mageren Diät wurden die Beherrscher der Welt großgezogen, und den jungen Herren im alten Rom ging darum nicht das mindeste weder an Geistes- noch an Leibeskräften ab, ob sie gleich nur einmal des Tages ordentlich aßen. Fügte es sich, daß einer das Abendessen nicht erwarten konnte, denn dieses war, wie ich schon gesagt habe, die einzige ordentliche Mahlzeit, so genoß er weiter nichts als ein Stück trocken Brot und höchstens einige Rosinen oder sonst eine Kleinigkeit dazu. Die Römer hielten diese Mäßigkeit für ihre Gesundheit und zur Betreibung ihrer Geschäfte für so unentbehrlich, daß sogar der überhandnehmende Luxus und die Reichtümer des Orients die Gewohnheit, nur einmal des Tages zu essen, nicht abbringen konnten. Diejenigen, welche die alte Mäßigkeit verließen, gaben doch ihre Feste nicht früher als den Abend. Mehr als eine Mahlzeit des Tages war in Rom so etwas Unerhörtes, daß es noch zu Cäsars Zeiten für eine Schande gerechnet ward, vor Sonnenuntergang ein Gastgebot anzufangen und Tafel zu halten. Ich würde daher auch, falls man mich nicht für zu streng halten wollte, den Rat erteilen, dem jungen Herrn bloß Brot zum Frühstück zu geben. Die Macht der Gewohnheit ist stärker als man denkt. Vielleicht liegt die Ursache von vielen Krankheiten in England darin, daß wir zu viel Fleisch und zu wenig Brot essen.

§ 15. Was die Zeit des Essens betrifft, so sollte man nie eine gewisse Stunde festsetzen, wenn es sonst nur angeht. Gewöhnt man Kinder an eine gewisse Zeit, so wird der Magen immer zur bestimmten Stunde Speise erwarten. Übergeht man sodann nur einmal diese Stunde, so verursacht entweder ein Heißhunger Verdruß und üble Laune, oder der Magen erschlafft, und der Appetit verliert sich ganz. Es würde daher gut sein, wenn Kinder ihr Frühstück, ihr Mittagsmahl und Abendbrot nicht immer zu einer und derselben Zeit bekämen, sondern fast alle Tage damit abgewechselt würde. Hungern sie außer der Mahlzeit, so gebe man ihnen trocken Brot. Vielen wird dieses hart vorkommen. So viel ist indessen gewiß: ein Kind wird nie verhungern oder aus Mangel der Nahrung abnehmen, wenn es zu Mittag Fleisch und des Abends Suppe oder sonst dergleichen etwas bekommt und dazwischen gutes Brot und Bier hat, so oft es hungert. Auf diesen Fuß glaube ich, sollte man die Diät der Kinder einrichten. Der Morgen ist überhaupt zum Lernen bestimmt, und hierzu ist ein voller Magen gewiß eine sehr schlechte Vorbereitung. Bloßes Brot gibt wenig Reiz und ist dennoch das beste Nahrungsmittel. Wer für den Geist und Körper seiner Kinder Sorge trägt, wer es nicht dumm und ungesund machen will, der wird es gewiß früh den Magen nicht zu sehr anfüllen lassen. Man glaube nicht, daß eine solche Behandlung einem Kinde von gutem Hause und großen Glücksgütern nicht zukomme. Alle Leute von Stande sollten so erzogen werden, daß sie dereinst die Waffen tragen und Soldaten werden könnten. Wer sein Kind bloß zum ruhigen Genuß reicher Einkünfte erzieht, der dachte gewiß nie an die Beispiele, die ihm vor Augen schwebten, noch an die Zeiten, worin wir jetzt leben.

§ 16. Mein Rat wäre, daß man Kinder nur dünnes Bier trinken ließe; zwischen den Mahlzeiten aber dürften sie nicht trinken, bis sie ein Stückchen Brot gegessen hätten. Meine Gründe sind folgende:

§ 17. Erstlich entstehen die meisten Fieber und Magenkrankheiten davon, daß man auf die Hitze trinkt. Ist also das Kind vom Spiel erhitzt und durstig, so muß es, ehe es trinken darf, Brot essen. Dieses wird ihm alsdann schwer eingehen; darf es aber dennoch unter keiner anderen Bedingung trinken, so wird es sich endlich daran gewöhnen, auf die Hitze nicht zu trinken. Denn wenn es sehr erhitzt ist, darf es schlechterdings nicht trinken. Während dessen es aber ein Stückchen Brot verzehrt, gewinnt man Zeit das Bier lauwarm zu machen, und dieses kann es ohne Gefahr trinken. Ist es sehr durstig, so wird es auch das warme Bier trinken und den Durst dadurch löschen; will es aber nicht warm trinken, so wird ihm die Enthaltung nichts schaden. Überdies wird das Kind Enthaltsamkeit dadurch lernen; eine Tugend, welche der Gesundheit des Leibes und der Seele äußerst zuträglich ist.

§ 18. Wenn man Kindern zweitens nicht erlaubt zu trinken, ohne etwas gegessen zu haben, so wird die Gewohnheit des vielen Trinkens nicht so leicht einreißen, eine gefährliche Gewohnheit, welche bis zur Ausschweifung führt. Menschen essen und trinken oft nur aus Gewohnheit. Man kann den Versuch machen, wenn man will. Man kann ein Kind, welchem das Nachttrinken abgewöhnt worden ist, durch Gewohnheit wieder dahin bringen, daß es ohne dasselbe nicht schlafen kann. Ammen bedienen sich gemeiniglich dieses Mittels, um die Kinder stille zu machen, wenn sie schreien. Mütter haben daher insgemein viel Mühe, sie vom Nachttrinken zu entwöhnen, wenn sie sie wieder zu sich nehmen.  Allein diese Gewohnheit gilt vom Tage sowohl als von der Nacht. Man kann ein Kind leicht dahin bringen, daß es alle Stunden durstig ist.

Ich wohnte einst in einem Hause, wo man einem unruhigen Kinde so oft zu trinken gab, als es schrie, so daß es alle Augenblicke trank. Ob es gleich noch nicht sprechen konnte, so trank es doch in vierundzwanzig Stunden mehr als ich. Wer es versuchen will, wird finden, daß man sich sowohl im starken wie schwachen Bier zum Trunk gewöhnen könne. Die Hauptsache bei der Erziehung des Menschen beruht auf den Fertigkeiten, die man ihm beibringt. Man hüte sich also irgend etwas zur Gewohnheit werden zu lassen, wenn man nicht will, daß selbige das ganze Leben hindurch fortgesetzt und stärker werden soll. Es dient zur Gesundheit und Nüchternheit nicht mehr zu trinken, als der natürliche Durst erfordert. Wer nicht scharf gesalzen ißt, noch starke Getränke trinkt, wird selten zwischen der Mahlzeit dursten, wofern er nicht zu unzeitigem Trinken verwöhnt ist.

§ 19. Vor allen Dingen trage man Sorge, daß ein Kind selten oder lieber gar niemals Wein und starkes Getränk zu kosten bekomme. In England aber ist dieser Fehler sehr gemein, und doch ist nichts schädlicher. Kinder sollten eigentlich nie starkes Getränk bekommen, außer auf Verordnung des Arztes, wenn es zu ihrer Stärkung nötig is. In dieser Rücksicht muß man auf die Bedienten ein wachsames Auge haben und es ernstlich ahnden, wenn sie dawider handeln. Diese Leute setzen den größten Teil ihrer Glückseligkeit in starkes Getränk und glauben sich den Kindern des Hauses nicht besser gefällig machen zu können, als wenn sie ihnen das geben, was ihnen selbst das Liebste ist; da sie nun selbst bei solchen Getränken sich so wohl befinden, so meinen sie, sie werden den Kindern auch nichts schaden. Man muß es daher mit der größten Sorgfalt zu hindern suchen, denn nichts ist von gefährlicheren Folgen für Körper und Geist, als wenn sich Kinder an starkes Getränk gewöhnen, besonders wenn sie mit Bedienten heimlich trinken.

§ 20. Früchte sind ein wichtiger Punkt für die Gesundheit. Sie waren es, warum die ersten Menschen das Paradies verlassen mußten. Man darf sich daher auch nicht wundern, wenn Kinder dieser Versuchung nicht so leicht widerstehen können, sollte es auch ihre Gesundheit kosten. Es läßt sich indessen keine allgemeine Regel für das Essen der Früchte festsetzen. Ich bin nicht der Meinung, daß man sie den Kindern ganz verbieten müsse. Ein so strenges Verbot würde nur den Reiz vermehren und sie verleiten alles zu essen, was sie nur bekommen könnten, es möchte gut oder schlecht, reif oder unreif sein. Melonen, Pfirsiche, einige Arten von Pflaumen und alle Sorten von Wein, der in England wächst, sollte man Kindern nicht geben. Sie haben einen reizenden Geschmack, ihr Saft aber ist sehr ungesund. Wäre es möglich, so müßte man Kinder nichts davon sehen lassen. Erdbeeren, Kirschen, Johannisbeeren, wenn sie reif sind, können sie sicher und in Menge essen, nur muß man folgende Vorsicht dabei gebrauchen: Erstlich sollte es nicht nach der Mahlzeit geschehen, wenn der Magen schon voll Nahrung ist. Lieber esse man sie vor oder während des Tisches oder auch zum Frühstück. Sie müssen zweitens reif sein und mit Brot genossen werden. Die