Gefährlicher Fremder - Lisa Marie Rice - E-Book

Gefährlicher Fremder E-Book

Lisa Marie Rice

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Beschreibung

Er ist nicht der, für den sie ihn hält ...

Als ihr Bruder nach langer Krankheit stirbt, steht Caroline vor dem Nichts. Die Arztrechnungen haben sie in tiefe Schulden gestürzt. Deshalb vermietet sie ein Zimmer in ihrem Haus an den attraktiven Jack. Der geheimnisvolle Mann scheint aus dem Nichts zu kommen und zieht Caroline gleich in seinen Bann. Was sie nicht weiß: Jack ist schon seit Jahren in sie verliebt. Außerdem sind während des Militärdienstes einige wertvolle Diamanten in seinen Besitz gelangt, deren Eigentümer ihm nun auf den Fersen ist ...

Spannend und gefährlich sexy - die Dangerous-Royals-Reihe von Lisa Marie Rice.

Band 1: Gefährlicher Fremder
Band 2: Gefährliches Spiel
Band 3: Gefährliche Wahrheit

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Inhalt

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Über dieses Buch

Titel

Widmung

Danksagung

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Impressum

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Über dieses Buch

Als ihr Bruder nach langer Krankheit stirbt, steht Caroline vor dem Nichts. Die Arztrechnungen haben sie in tiefe Schulden gestürzt. Deshalb vermietet sie ein Zimmer in ihrem Haus an den attraktiven Jack. Der geheimnisvolle Mann scheint aus dem Nichts zu kommen und zieht Caroline gleich in seinen Bann. Was sie nicht weiß: Jack ist schon seit Jahren in sie verliebt. Außerdem sind während des Militärdienstes einige wertvolle Diamanten in seinen Besitz gelangt, deren Eigentümer ihm nun auf den Fersen ist …

LISA MARIE RICE

Gefährlicher Fremder

Aus dem amerikanischen Englisch von Bettina Oder

Dieses Buch ist all jenen gewidmet, die vom Unmöglichen träumen. Mögen ihre Träume in Erfüllung gehen.

Mein Dank gilt meinem Agenten Ethan Ellenberg und meiner Lektorin May Chen

Summerville, Washington

Obdachlosenunterkunft St. Jude

Heiligabend

Er brauchte Caroline, so wie er Licht und Luft brauchte. Mehr noch.

Der hochgewachsene, ausgemergelte und in Lumpen gekleidete Junge erhob sich. Neben ihm lag der leblose Körper seines Vaters auf dem eisigen Betonboden des Heims.

Sein Vater lag schon seit langer Zeit im Sterben – den größten Teil seines Lebens, um genau zu sein. Ein Teil von ihm war schon immer des Lebens überdrüssig gewesen. Der Junge konnte sich nicht erinnern, wann sein Vater zuletzt sauber und nüchtern gewesen war. Eine Mutter hatte er nicht. Sein ganzes Leben lang waren sie immer nur zu zweit gewesen, Vater und Sohn, die sich von einem Heim zum nächsten treiben ließen, wo sie blieben, bis sie rausgeschmissen wurden.

Der Junge stand einen Moment lang da und sah auf seinen einzigen Blutsverwandten auf dieser Welt hinunter, der inmitten einer Lache aus Erbrochenem und Kot lag. Noch hatte niemand die Leiche seines Vaters bemerkt. Niemand nahm je Notiz von ihnen oder sah auch nur in ihre Richtung, wenn es sich vermeiden ließ. Selbst die anderen verlorenen, hoffnungslosen Seelen in den Heimen erkannten jemanden, dem es noch schlechter ging als ihnen, und mieden ihn nach Möglichkeit.

Der Junge blickte sich um, sah die abgewandten Gesichter, die auf den Boden gerichteten Augen. Niemanden interessierte es, dass dieser Säufer nicht wieder aufstehen würde. Niemanden interessierte es, was mit seinem Sohn geschah.

Hier war nichts, was den Jungen noch hielt. Gar nichts.

Er musste Caroline finden.

Und er musste schnell handeln, bevor sie herausfanden, dass sein Vater tot war. Sobald sie die Leiche hier entdeckten, würden Polizei und Sozialarbeiter und das Jugendamt kommen, um ihn abzuholen. Er war achtzehn, konnte es aber nicht beweisen. Und er wusste genug über die Art und Weise, wie es auf dieser Welt zuging, um sicher zu sein, dass er ein Mündel des Staates werden würde. Man würde ihn in irgendein gefängnisartiges Waisenhaus einsperren.

Nein. Auf gar keinen Fall. Lieber würde er sterben.

Der Junge bewegte sich auf die Treppe zu, die ihn aus dem Heim in den eisigen, regnerischen Nachmittag führen würde.

Eine alte Frau sah auf, als er an ihr vorbeikam. In ihren trüben Augen flackerte ein Wiedererkennen auf. Susie. Die alte, zahnlose Susie. Sie hatte sich nicht im Alkohol verloren wie sein Vater. Sie hatte sich in den dunstigen Tiefen ihrer eigenen Gedanken verloren.

»Ben, Schokolade, Schokolade?«, gackerte sie und schmatzte mit ihren runzligen, wulstigen Lippen. Er hatte sich mal einen Schokoriegel mit ihr geteilt, den Caroline ihm geschenkt hatte, und seitdem bettelte Susie ihn ständig um Süßigkeiten an.

Hier kannte man ihn als Ben. Im letzten Heim – Portland, oder war es doch anderswo? – hatte sein Vater ihn Dick genannt. Es verschaffte ihnen immer ein bisschen Zeit, ihn nach dem Leiter des Heims zu nennen. Aber nicht genug. Irgendwann hatten sie die Wutanfälle seines besoffenen Vaters satt und fanden einen Weg, sie an die Luft zu setzen.

Susies Hände, mit ihren langen, schwarzen, rissigen Fingernägeln, griffen nach ihm. Ben blieb stehen und hielt ihre Hand für einen Moment. »Keine Schokolade, Susie«, sagte er sanft.

Ihre Augen füllten sich mit Tränen wie die eines Kindes. Ben beugte sich hinab und küsste sie auf ihre schmutzige, runzlige Wange. Dann rannte er die Treppe hinauf und ins Freie hinaus.

Ohne zu zögern, bog er in die Morrison Street ein. Er wusste genau, wohin er gehen würde. Nach Greenbriars. Zu Caroline.

Zur einzigen Person auf dieser Erde, der etwas an ihm lag. Zur einzigen Person, die ihn wie ein menschliches Wesen behandelte und nicht wie ein halbwildes Tier, das nach dreckiger Kleidung und fauligem Essen roch.

Ben hatte seit zwei Tagen nichts gegessen, und er trug nur eine viel zu kurze Baumwolljacke, die der Kälte nichts entgegenzusetzen hatte. Seine großen, knochigen Handgelenke ragten aus den Jackenärmeln hervor, und er musste die Hände in seine Achselhöhlen schieben, um sie warm zu halten.

Egal. Es war nicht das erste Mal, dass er hungerte und fror.

Die einzige Wärme, nach der er sich in dieser Sekunde sehnte, war Carolines Lächeln.

Wie die Nadel eines Kompasses sich nach Norden ausrichtet, so lehnte er sich in den Wind, um die anderthalb Meilen nach Greenbriars zu marschieren.

Niemand beachtete ihn auf dem Weg dorthin. Er war unsichtbar. Eine einsame, hochgewachsene, in Lumpen gekleidete Gestalt. Es kümmerte ihn nicht. Er war schon immer unsichtbar gewesen. Unsichtbar zu sein hatte ihm geholfen zu überleben.

Das Wetter verschlechterte sich. Der Wind blies ihm eisige Graupelnadeln in die Augen, sodass er sie zu schmalen Schlitzen zusammenkneifen musste.

Ganz egal. Er verfügte über einen ausgezeichneten Orientierungssinn und hätte den Weg nach Greenbriars auch mit verbundenen Augen gefunden.

MitgesenktemKopf,dieArmeumseinenKörpergeschlungen,umdasbisschenWärmezubewahren,daserimObdachlosenheimhatteaufnehmenkönnen,ließBenlangsamdiedüsteren,unfreundlichenGebäudehintersich,diediesenTeilderStadtcharakterisierten.KurzdaraufwurdendieStraßenbreiterundverwandeltensichinvonBäumengesäumteAlleen.DiealtenZiegelhäusermachtenelegantenmodernenGebäudenausGlasundStahlPlatz.

Nicht ein einziges Auto fuhr an ihm vorbei, dafür war das Wetter zu schlecht. Niemand war unterwegs. Unter seinen Füßen knackte der zu Eis gefrierende Niederschlag.

Er war fast da. Die Häuser hier, in dieser wohlhabenden Gegend, waren groß. Geräumig, stattlich, mit sanft geneigten Rasenflächen, die zurzeit von Schnee und Eis bedeckt waren.

Für gewöhnlich nahm er den Weg durch die Seitenstraßen, unsichtbar wie immer. Jemand wie er an diesem Ort der Reichen und Mächtigen würde auf der Stelle von der Polizei aufgegabelt werden, deshalb zog er an normalen Tagen die Seitenstraßen vor. Doch heute waren die Straßen menschenleer, und er lief unverhohlen über die breiten Gehwege.

Sonst brauchte er zu Fuß eine halbe Stunde bis Greenbriars, aber heute hielten ihn die eisglatten Wege und der starke Wind auf. Eine Stunde nach Verlassen des Heims war er immer noch unterwegs. Er war stark, doch Hunger und Kälte zehrten an ihm. Seine Füße, in ihren löchrigen Schuhen, waren gefühllos.

Musik erklang, so leise zunächst, dass er sich fragte, ob er vor Kälte und Hunger schon halluzinierte. Töne schwebten durch die Luft, als ob der Schnee sie trüge.

Er bog um die Ecke, und da war es – Greenbriars. Carolines Zuhause. Sein Herz klopfte, als er es durch Schnee und Nebel hindurch erblickte. Es klopfte immer, wenn er herkam, genauso wie es immer klopfte, wenn sie in der Nähe war.

Normalerweise nahm er den Hintereingang, wenn ihre Eltern auf der Arbeit und Caroline und ihr Bruder in der Schule waren. Das Hausmädchen ging mittags nach Hause und von zwölf bis ein Uhr hatte er das Haus ganz für sich, um es nach Herzenslust auszukundschaften. Er konnte ein- und ausgehen wie ein Geist. Das Schloss der Hintertür war ein Witz, und er knackte Schlösser, seit er fünf Jahre alt war.

Dann wanderte er von Zimmer zu Zimmer und sog die üppige und wohlriechende Atmosphäre von Carolines Heim in sich auf.

Im Obdachlosenasyl gab es nur selten heißes Wasser, aber er achtete trotzdem darauf, dass er sich so gut wie nur möglich wusch, wenn er vorhatte, nach Greenbriars zu gehen. Der Gestank des Heims hatte in Carolines Zuhause nichts verloren.

Greenbriarsgingsoweitüberalleshinaus,wasersichjemalserhoffenkonnte,dasserkeineEifersuchtverspürte,keinenNeid,währenderinderBibliothekdieRückenvonTausendenvonBüchernberührte,begehbareSchränkevollerneuerKleidungsstückebetrat,denriesigenKühlschranköffneteunddasfrischeObstundGemüsebestaunte.CarolinesFamiliewaraufeineWeisereich,diezubegreifenernichtimstandewar;soalsobsie zueineranderenSpeziesaufeinemanderenPlanetengehörten.

Für ihn war es einfach Carolines Welt. Und für eine Stunde am Tag darin zu leben war, als ob er den Himmel berührte.

In diesem Unwetter heute konnte ihn niemand kommen sehen. Also marschierte er auf direktem Weg die Auffahrt hinauf, spürte den Kies durch die dünnen Sohlen seiner Schuhe. Das Schneetreiben wurde immer schlimmer, die vom Wind durch die Luft gepeitschten Eisstückchen trafen schmerzhaft auf seine Haut. Ben wusste, wie man sich lautlos bewegte, verstohlen, wenn es sein musste. Aber das war jetzt überflüssig. Es war niemand da, der ihn hätte sehen oder hören können, als er sich seinen Weg durch den knirschenden Schnee zum Fenster bahnte.

Die Musik war jetzt lauter, ihre Quelle ein gelbes Leuchten. Erst als er das Ende der Auffahrt erreicht hatte, wurde Ben klar, dass das gelbe Leuchten aus dem riesigen, zwölf Scheiben umfassenden Fenster des Wohnzimmers strahlte und dass die Musik von jemandem kam, der Klavier spielte.

Er kannte dieses Wohnzimmer gut, so wie er alle Zimmer der riesigen Villa kannte. Er hatte sie stundenlang durchstreift. Er wusste, dass das große Wohnzimmer immer schwach nach Holzrauch aus dem riesigen Kamin roch. Er wusste, dass die Sofas tief und bequem waren und die Teppiche weich und dick.

Er ging geradewegs zum Fenster. Der Schnee füllte bereits die Spuren, die seine Schuhe hinterlassen hatten. Niemand würde ihn sehen, niemand konnte ihn hören.

Er war groß und vermochte über den Fenstersims hinwegzusehen, wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte. Inzwischen war der Himmel fast vollständig dunkel.

Das Wohnzimmer wirkte wie ein Gemälde. Hunderte von Kerzen flackerten überall – auf dem Kaminsims, auf sämtlichen Tischen. Auf dem Couchtisch standen die Überreste eines Festmahls: ein halber Schinken auf einem Brett, ein großer Laib Brot, eine überdimensionale Platte mit unterschiedlichen Käsesorten, verschiedene Torten, zwei Obstkuchen. Eine Teekanne, Tassen, Gläser, eine offene Flasche Wein, eine Flasche Whiskey.

Ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Er hatte seit zwei Tagen nichts mehr gegessen. Sein leerer Magen schmerzte. Er konnte das Essen dort im Zimmer fast durch die Fensterscheiben hindurch riechen.

Doch mit einem Schlag war jeglicher Gedanke ans Essen vergessen.

Eine liebliche Stimme erklang, klar und rein. Sie sang ein Weihnachtslied, das er einmal in einem Einkaufszentrum gehört hatte, als er seinem Vater beim Betteln half. Irgendetwas über einen Hirtenjungen.

Es war Carolines Stimme. Er hätte sie überall erkannt.

Ein eisiger Windstoß fuhr durch den Garten und schleuderte ihm Graupel ins Gesicht. Doch er spürte es nicht einmal, als er seinen Kopf nun noch ein Stückchen höher über den Fenstersims schob.

Da war sie! Wie immer stockte ihm der Atem, als er sie sah.

Sie war so wunderschön, dass es ihn manchmal schmerzte, sie nur anzusehen. Als sie ihn im Asyl besuchte, hatte er es in den ersten Minuten vermieden, sie anzuschauen. Es war, als ob man in die Sonne blickte.

Gierig beobachtete er sie, speicherte jede Sekunde in seinem Gedächtnis ab. Er erinnerte sich an jedes Wort, das sie je zu ihm gesprochen hatte, er hatte jedes Buch, das sie ihm gebracht hatte, wieder und wieder gelesen, er erinnerte sich an jedes Kleidungsstück, in dem er sie je gesehen hatte.

Sie saß am Klavier und spielte. Er hatte noch nie jemanden tatsächlich Klavier spielen sehen, und es erschien ihm wie Zauberei. Ihre Finger bewegten sich anmutig über die schwarzen und weißen Tasten, und Musik entströmte ihnen wie Wasser einer Quelle. Sein Kopf war von diesem Wunder erfüllt.

Er sah sie im Profil. Sie hatte die Augen während des Spielens geschlossen, und ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als ob sie und die Musik sich ein Geheimnis teilten. Sie sang jetzt ein anderes Lied, das sogar er erkannte: »Stille Nacht«. Ihre Stimme erhob sich rein und leicht.

Das Klavier war groß und schwarz; an den Seiten steckten brennende Kerzen in glänzenden Messinghaltern.

Obwohl der ganze Raum von Kerzen erfüllt war, strahlte Caroline heller als sie alle zusammen. Sie leuchtete von innen heraus; ihre blasse Haut glühte im Strahl des Kerzenscheins, während sie sang und spielte.

Das Lied endete und sie ließ die Hände in den Schoß sinken. Dann sah sie lächelnd auf, als Beifall einsetzte, und begann ein anderes Weihnachtslied mit ihrer reinen, hohen Stimme zu singen.

Die ganze Familie war versammelt. Mr Lake, ein hohes Tier in der Geschäftswelt, groß und blond. Er sah aus wie der König der Welt. Mrs Lake, unvorstellbar schön und elegant. Toby, Carolines siebenjähriger Bruder. Es war noch eine weitere Person anwesend, ein gut aussehender junger Mann. Er war elegant gekleidet, trug das dunkelblonde Haar glatt zurückgekämmt. Seine Finger klopften im Rhythmus des Liedes auf den Deckel des Klaviers. Als Caroline aufhörte zu spielen, beugte er sich hinab und gab ihr einen Kuss auf den Mund.

Carolines Eltern lachten, und Toby schlug einen Purzelbaum auf dem großen Teppich.

Caroline lächelte zu dem gut aussehenden jungen Mann empor und sagte etwas, das ihn zum Lachen brachte. Er beugte sich erneut herunter und küsste sie aufs Haar.

Ben, der das alles beobachtete, blieb fast das Herz stehen.

Das war Carolines Freund. Natürlich. Sie ähnelten einander sehr: gut aussehend, reich, gebildet. Sie waren vom gleichen Schlag. Es war eindeutig: Sie waren füreinander bestimmt.

Sein Herz schlug immer langsamer. Zum ersten Mal spürte er die Gefahr, die von der Kälte ausging. Er fühlte, wie sie ihre eisigen Finger nach ihm ausstreckte, um ihn herunterzuziehen. Dorthin, wo sein Vater war.

Vielleicht sollte er es einfach zulassen.

Hier gehörte er nicht hin, in dieses wunderschöne, von Kerzen erleuchtete Zimmer. Er würde nie ein Teil dieser Welt sein. Er gehörte in die Dunkelheit und die Kälte.

Ben ließ die Fersen wieder auf den Boden sinken und entfernte sich langsam von dem Haus, bis der Schnee und der Nebel das goldene Licht aus dem Fenster verschluckten. Er zitterte vor Kälte, als er sich die Auffahrt entlangschleppte. Der nasse Schnee drang durch die Löcher in seinen Schuhen und durchnässte seine Strümpfe.

Eine halbe Stunde später gelangte er an die Auffahrt der Interstate. Er blieb stehen und schwankte leicht.

Der Mensch in ihm wollte sich auf den Boden sinken lassen, sich zusammenrollen und warten, bis die Verzweiflung und schließlich der Tod ihn holten, so wie sie seinen Vater geholt hatten. Es würde nicht lange dauern.

Doch das Animalische in ihm war stark und wollte – mit unbändiger Kraft – leben.

Zu seiner Rechten erstreckte sich die Straße in Richtung Norden, bis hinauf nach Kanada. Zu seiner Linken verlief sie nach Süden.

Wenn er nach Norden ging, würde er sterben. So einfach war das.

Ben wandte sich nach links und schleppte sich weiter, mit gesenktem Kopf, in den eisigen Wind hinein.

1

Summerville, Washington

Heiligabend

Zwölf Jahre später

Sie war hier.

Er konnte sie fühlen, er konnte sie riechen.

Sobald er die kleine Buchhandlung mit der altmodischen Glocke über der Tür betreten hatte, wusste der Mann, den man heutzutage unter dem Namen Jack Prescott kannte, dass er sie gefunden hatte.

Er war erschöpft, nachdem er seit über achtundvierzig Stunden unterwegs war, mit einer Piroge von Obuja nach Freetown, mit Air Afrique vom Flughafen Lungi nach Paris, mit Air France von Paris nach Atlanta, mit Delta von Atlanta nach Seattle, und dann mit einer wackligen kleinen Klapperkiste, die er lieber selber geflogen hätte, nach Summerville.

Doch trotz seiner Erschöpfung waren seine Sinne nach wie vor messerscharf. Auch zwölf Jahre später erkannte er noch ihre persönliche Note. Die Kerzen am Fensterbrett, die zarte Harfenmusik, die leise im Hintergrund lief, der Duft nach Zimt, Vanille, Rosen und nach ihr. Unverwechselbar, unvergesslich.

Auf seinem Weg vom Flughafen hatte er erfahren, dass sie immer noch in Summerville lebte und erstaunlicherweise immer noch Single war. Das hatte ihn fast umgehauen. Damit hatte er nicht gerechnet. Bei seiner Suche nach ihr hatte er mit nichts als Schwierigkeiten und Frustration gerechnet.

Jetzt besaß er alle Zeit der Welt.

Colonel Eugene Prescotts Tod hatte die Bürde der Loyalität und Liebe von ihm genommen. Gleich am Tag nach dem Tod des Colonels hatte Jack ENP Security verkauft und war nach Sierra Leone geflogen, um die letzte Pflicht zu erfüllen, die er dem Mann schuldete, der ihm ein Vater geworden war.

Der Preis dafür waren Gewehrfeuer und Blutvergießen, Schmerz und Gewalt gewesen, aber er hatte sich um die Schweinerei gekümmert, so wie sein Vater es auf dem Sterbebett von ihm erbeten hatte. Jack hatte getan, was getan werden musste: Er hatte den Ruf seines Vaters gerettet und die Scheißkerle bestraft, die eine nicht autorisierte, verbrecherische Operation gestartet hatten. Nun war er endlich, zum ersten Mal seit zwölf Jahren, frei von jeglicher Verantwortung.

Sein Leben als Ranger, seine Verpflichtung dem Colonel gegenüber und seine Firma hatten ihn vollkommen auf Trab gehalten. Solange der Colonel am Leben war, hatte Jack versucht, sich Caroline aus dem Kopf zu schlagen, und das zum größten Teil mit Erfolg. Nur nicht nachts. Sie lebte ihr Leben, wo auch immer, und er war dem Colonel gegenüber verpflichtet. Aber seitdem er Vince Deaver das Handwerk gelegt hatte, war er frei. Er hatte auf der Stelle kehrtgemacht und war von Afrika nach Summerville geflogen, so schnell ihn die moderne Luftfahrt dorthin zu transportieren vermochte.

Es war verrückt. Er wusste, dass es verrückt war, hier nach ihr zu suchen, zwölf Jahre später. Warum sollte Caroline in Summerville bleiben? Sie war schön, begabt, klug, reich. Sie würde dort landen, wo alle schönen, begabten, klugen und reichen Frauen früher oder später landeten – in irgendeiner Großstadt an einer Küste. Möglicherweise auch im Ausland.

Die Chance, dass sie immer noch Single war, war gleich null bei ihrem Aussehen. Mit Gewissheit hatte sie Mann und Kinder. Jeder Mann, der halbwegs bei Verstand war, würde sie sich schnappen und zusehen, dass sie ein Kind nach dem anderen bekam, um sicherzugehen, dass sie bei ihm blieb.

Er hegte keinerlei Illusionen. Caroline war nicht für ihn bestimmt. Vermutlich führte sie ein glückliches, erfülltes Leben mit einer eigenen Familie. Jack wusste, dass er niemals eine Familie haben würde. Das hatte das Schicksal nicht für ihn vorgesehen.

Er würde sich aus Carolines Leben heraushalten, weil er darin keinen Platz hatte.

Aber Jack musste sie sehen. Er musste sie sehen, so wie er atmen musste. Nur ein einziger Blick, ehe er den nächsten Abschnitt seines Lebens begann, ganz gleich, wie dieser aussehen würde. Er hatte mit ENP Security abgeschlossen, als er seinen Vater beerdigt hatte. Die Firma war weg, das Haus verkauft. Alles, was er brauchte, befand sich in seinem Seesack und seinem Koffer. Er war bereit, ein neues Kapitel aufzuschlagen, gleich nach einem allerletzten Blick auf sie.

Und so war er hierhergekommen, um mit seiner Suche zu beginnen, an den letzten Ort, an dem er gewesen war, bevor aus ihm Jack Prescott geworden war, und an den Ort, an dem er Caroline zuletzt gesehen hatte. Ihre Familie war hier verwurzelt, da musste sich irgendeine Möglichkeit ergeben, sie aufzuspüren.

Es war ihm vollkommen gleichgültig, wohin sie gegangen war – ob sie sich noch in den Staaten befand oder im Ausland niedergelassen hatte oder ob sie vielleicht auf den Mond übergesiedelt war. Er war ein ausgezeichneter Spurensucher – der beste, den es gab. Er würde sie finden, irgendwann, ganz egal, wie lange es dauerte. Er hatte sein ganzes restliches Leben Zeit dafür und an Geld mangelte es ihm gewiss nicht.

Nur ein Blick, und er würde für immer verschwinden.

Doch am Ende musste er sie gar nicht aufspüren. Der Fahrer des Taxis, in das er am Flughafen eingestiegen war, wusste, wo sie sich befand.

Hier. Genau hier, wo sie immer gewesen war. In Summerville.

Alleinstehend.

Jack hatte vorgehabt, sich ein Zimmer in einem Hotel zu nehmen, sich erst mal zu waschen, in einem Restaurant gut zu essen und dann vierundzwanzig Stunden durchzuschlafen. Er war in ein Feuergefecht verwickelt gewesen, seit zwei Tagen pausenlos unterwegs und völlig am Ende.

Es war Heiligabend. Am ersten Feiertag und am Tag darauf, einem Sonntag, würden sämtliche Geschäfte geschlossen sein. Sein Plan sah vor, am Montag mit seiner Suche nach Caroline zu beginnen.

Doch dann hatte der Taxifahrer ihm mitgeteilt, dass Caroline Lake – seine Caroline Lake – sich nach wie vor in Summerville befand und eine kleine Buchhandlung unterhielt – und das war’s. Es bestand kein Zweifel mehr daran, wohin er als Nächstes gehen würde.

Auf direktem Weg zu ihr.

Flinke, leichte Schritte huschten übers Parkett, und – Scheiße! – da war sie schon, noch bevor er bereit war.

»Oh!« Caroline Lake blieb abrupt stehen. Das Willkommenslächeln auf ihrem Gesicht erstarrte, als sie ihn erblickte. »Ha-hallo.«

Er wusste genau, was sie sah.

Sie sah einen großen, überaus muskulösen Mann mit langem schwarzem Haar, das er zu einem unordentlichen Pferdeschwanz gebunden trug, in billiger, derber, schmutziger, zerknautschter Kleidung. Er hatte seit drei Tagen weder geduscht noch sich rasiert, und er wusste nur zu genau, dass tiefe Linien der Erschöpfung sein Gesicht mit dem Dreitagebart durchzogen.

Er wusste auch, was sie fühlte.

Angst.

Sie war allein mit ihm. Er besaß ein ungewöhnlich gutes Gehör und konnte keinerlei Geräusche wahrnehmen, die auf die Anwesenheit anderer Menschen in dem kleinen Laden hingewiesen hätten. Der eisige Schneesturm draußen war so heftig, dass die Straßen vor dem Laden ebenfalls menschenleer waren. Wenn er sich als brutaler Krimineller entpuppen sollte, war niemand da, der ihre Hilfeschreie würde hören können.

Er konnte es nicht ändern, wie er aussah – gefährlich. Die Wahrheit war, dass er haargenau so gefährlich war, wie es den Anschein hatte.

Auch wenn Caroline unmöglich die Glock im Schulterhalfter oder das Klappmesser im Stiefel oder die Zweiundzwanziger im Knöchelhalfter sehen konnte, trat ein bewaffneter Mann doch ganz anders auf als ein unbewaffneter. Erst vor zwei Tagen und zwei Kontinente weit entfernt hatte er vier Männer getötet. Und auf irgendeiner Ebene ihres Unterbewusstseins schien sie das zu spüren.

Sie stand ganz still da, die Nasenflügel leicht gebläht, in dem instinktiven Bemühen, so viel Sauerstoff wie nur möglich aufzunehmen für den Fall, dass sie flüchten musste. Es war ihr nicht bewusst, dass sie das tat, aber ihm schon.

Er war ein Experte für menschliche Beute und dafür, wie sie auf Gefahr reagierte.

Zuerst musste er ihr die Angst nehmen.

Er stand vollkommen ruhig da und musterte sie sorgfältig. Eher würde er sich selbst die Kehle herausreißen, als ihr auf irgendeine Art und Weise wehzutun, aber das konnte sie nicht wissen. Sie wusste nur, dass sie ganz allein mit einem riesigen, möglicherweise gewalttätigen Mann war.

»Guten Abend.« Er sprach leise und bemühte sich um einen neutralen Tonfall. Ruhig. Seine Körpersprache drückte aus, dass er keinerlei Bedrohung darstellte. Nichts regte sich an ihm, bis auf seine Lungen, die ein- und ausatmeten. Er lächelte nicht und runzelte auch nicht die Stirn.

Das war die einzige Möglichkeit, die er kannte, um sie zu beruhigen. Worte wären dazu nicht imstande. Ruhe schon. Wenn er ein Verrückter wäre, würde er nicht so ruhig bleiben. Ein unruhiger Geist zeigt sich in einem unruhigen Körper.

Es funktionierte. Sie entspannte sich ein wenig, nickte, lächelte.

Er konnte ihr Lächeln nicht erwidern. Eine Sekunde lang konnte er nicht einmal atmen.

Oh Gott, sie ist so verdammt schön! Irgendwie war sie sogar noch schöner als in seiner Erinnerung. Wie war das möglich?

Schlank und doch kurvenreich. Nicht allzu groß, doch mit langen Gliedmaßen ausgestattet. Ihr Haar hatte die satteste Farbe, die er je gesehen hatte: eine wilde Mischung aus Rot- und Goldtönen, die von Strähnen in der Farbe hellen Champagners durchzogen war. Es war eine so lebhafte Färbung, dass sein Blick ihr automatisch überallhin folgen musste. Jack konnte sich nicht vorstellen, eine andere Frau anzusehen, solange sich Caroline im selben Zimmer befand.

Sie trat einen Schritt zurück.

Er starrte sie an. Schlimmer noch, er machte ihr Angst.

»Grauenhaftes Wetter«, knurrte er. Seine Stimme war tief, ungewöhnlich tief sogar, doch er bemühte sich um einen leisen, ausgeglichenen Tonfall.

Es kostete ihn größte Mühe – ja, es gehörte zu den schwierigsten Dingen, die er in seinem schwierigen Leben je getan hatte –, aber es gelang ihm, den Blick von ihr abzuwenden. Sosehr sein Blick auch von ihr angezogen wurde, durfte er sie doch nicht weiter anstarren, wenn er nicht wollte, dass sie die Nerven verlor.

Also blickte er sich um und betrachtete, was sie geschaffen hatte.

Es war ein hübscher Buchladen – die Decke war hoch und mit Holzbalken versehen, auf dem Parkettboden lagen hier und da verstreut Teppiche, die ziemlich teuer aussahen, dazu Regale aus Kiefernholz und Tische, auf denen Bestseller präsentiert waren. Die Harfenmusik war einem A-cappella-Chor von Frauenstimmen gewichen, die Madrigale sangen. Neben ihrem Geruch – Seife, Shampoo und ein Hauch von Rosen, der ihn bis in seine Nächte verfolgt hatte – konnte er den Duft von Potpourri, Kerzenwachs und Harz riechen, den der kleine Weihnachtsbaum verströmte, der in einem großen roten Keramiktopf in der Ecke stand und mit Miniaturbüchern geschmückt war.

Der ganze Laden wirkte warm und einladend, ein Genuss für alle Sinne.

Jack verfügte über ein ausgezeichnetes peripheres Sehen und sah sich so lange weiter um, bis sie sich merklich entspannte. Dann wandte er sich wieder ihr zu. »Ein wirklich netter Buchladen. Kompliment!«

Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem zaghaften Lächeln. »Danke. Für gewöhnlich ist es hier auch nicht ganz so einsam. Eigentlich hatte ich mit einem letzten Ansturm für Heiligabend gerechnet, von all den Faulpelzen, die ihre Geschenke immer noch nicht zusammen haben, aber bei dem Wetter bleiben wohl alle lieber zu Hause.«

Jack bemühte sich sehr, nicht die Stirn zu runzeln und ihr einen missbilligenden Blick zuzuwerfen. Was war bloß los mit ihr? Du liebe Güte, das war das Letzte, was sie tun sollte, wenn sie mit einem Mann allein war – auch noch darauf hinzuweisen, wie allein sie waren.

Aber so war sie immer schon gewesen. Viel zu vertrauensselig.

Damals im Obdachlosenheim hatte sich der alte McMurty – vollgepumpt mit Gott weiß was für Mistzeug, das er auf der Straße ergattert hatte – an sie herangemacht, nur weil sie ihn angelächelt hatte.

Jack wusste, wie McMurty drauf war, wenn er high war. Der dreckige Scheißkerl hätte Caroline glatt mit seinen widerlichen Händen begrapscht, wenn Jack ihn nicht davon abgehalten hätte. Nachdem Caroline weg war, hatte Jack McMurty gegen die Wand gedrückt, ihm das Bowie-Messer unter die Nase gehalten, das er in einem Laden hatte mitgehen lassen, und ihm geschworen, dass er sich von seinen Eiern verabschieden könnte, sollte er es wagen, nur noch ein einziges Mal in Carolines Richtung zu sehen.

Und das war Jacks heiliger Ernst gewesen.

Sie streckte ihre hübschen, schlanken, ringlosen Hände aus. »Kann ich Ihnen vielleicht helfen? Wir verfügen über eine recht gute Auswahl, und ich kann Ihnen alles bestellen, was wir nicht auf Lager haben. Die Lieferung dauert ungefähr eine Woche.« Sie sah lächelnd zu ihm auf.

Sie war inzwischen zur Frau geworden. Eine atemberaubend schöne Frau, deren Gesicht das Leid widerspiegelte, das sie erlitten hatte. Der mitteilsame Taxifahrer hatte ihm alles von Caroline und dem Niedergang der Lakes brühwarm berichtet. Jack hatte von dem Autounfall erfahren, bei dem ihre Eltern getötet und ihr kleiner Bruder schwer verletzt worden war. Es stellte sich heraus, dass Mr Lake einige Fehlinvestitionen getätigt hatte und nicht genug Geld da war, um die Krankenhausrechnungen zu begleichen, und dass es kaum reichte, um für das Doppelbegräbnis zu bezahlen. Es folgten sechs Jahre, in denen sie sich um ihren invaliden Bruder gekümmert hatte, nur um ihn vor zwei Monaten zu verlieren, was ihr noch weitere Schulden aufgebürdet hatte.

All das war deutlich an ihrem Gesicht abzulesen. Von ihren Augen gingen feine Linien aus, auch wenn sie immer noch diese eindrucksvolle silbergraue Farbe hatten. Sie war sogar noch schlanker geworden. Die junge Caroline hatte ein bezauberndes, offenes Gesicht gehabt, das stets von einem sonnigen Lächeln erhellt wurde. Diese Caroline strahlte Kummer und Gelassenheit aus. Von Sonne keine Spur mehr.

Und doch vermochte Jack immer noch die junge Caroline zu erkennen, ihr Innerstes – er sah das liebenswürdige, freundliche Mädchen, das sich mit einem Außenseiter angefreundet hatte, in dieser schönen Frau, die Schmerz und Leid erfahren hatte.

Das Mädchen hatte Tag und Nacht in seinem Kopf herumgespukt. Die Frau, die jetzt vor ihm stand, zwang ihn fast in die Knie.

Oh Gott, jetzt starrte er sie schon wieder an, völlig versunken. Sie hatte etwas gesagt – irgendwas über Bücher. Er wollte keine Bücher.

»Der Aushang«, sagte er.

»Wie bitte?« Sie schob eine rotgold leuchtende Locke hinter ihr zierliches Ohr. Diese Geste hatte er an ihr schon hundertmal gesehen.

»Sie haben einen Aushang im Schaufenster. ZIMMER ZU VERMIETEN. Haben Sie noch ein Zimmer frei?«

Es war diese Quasselstrippe von Taxifahrer gewesen, der ihm erzählt hatte, dass Caroline Zimmer untervermietete, um ihr Einkommen aus dem Buchladen aufzubessern.

Caroline musterte ihn eine ganze Weile abschätzend. Gegen seinen Körperbau konnte er nichts tun, genauso wenig wie er in diesem Augenblick duschen und sich rasieren oder umziehen konnte. Er konnte lediglich versuchen, ruhig dazustehen und eine unbewegte Miene zu zeigen. Es gab nichts, was er hätte tun oder sagen können, um sie zu überzeugen, wenn sie nicht genügend Vertrauen in ihn hatte, um ihn in ihr Haus zu lassen. Er konnte nur abwarten.

Und hoffen.

Schließlich seufzte Caroline. »Ja, meine Mieter sind zufällig gerade ausgezogen, also habe ich tatsächlich ein freies Zimmer. Aber setzen wir uns doch, um die Einzelheiten zu besprechen. Das da können Sie dort hinter meinem Schreibtisch stehen lassen, wenn Sie möchten.«

»Das da« waren sein alter Seesack mit dem brandneuen Gepäckschloss und ein Koffer. Und er würde beides auf gar keinen Fall aus den Augen lassen.

»Danke, ich stelle sie einfach neben mir ab, damit keiner darüber stolpert«, sagte er beiläufig, nahm den Seesack auf die Schulter und hob den Koffer auf.

Sie nickte, drehte sich um und ging durch die mit Büchern gefüllten Regale in den hinteren Teil des Ladens, wo eine kleine Sitzgruppe stand.

Obwohl sie schlanker wirkte, als sie es als Mädchen gewesen war, waren ihre Kurven sogar noch ausgeprägter als früher. Sie hatte eine schmale Taille, die geradezu darum flehte, von seinen Händen umfasst zu werden. Er musste sich schwer beherrschen, um sie nicht anzustarren, falls sie sich umdrehen sollte und bemerkte, wie er sie angaffte. Dann nämlich hätte sie seinen traurigen Hintern mit Gewissheit umgehend vor die Tür gesetzt.

Jack erkannte eine Couch und zwei kleine Sessel wieder, die früher im Arbeitszimmer ihres Vaters gestanden hatten. Sie waren alt und abgewetzt, wirkten aber immer noch bequem. Jack stellte seinen Seesack hinter einen der Sessel und setzte sich darauf, in der Hoffnung, er würde sein Gewicht tragen. Er war nicht gerade für alte, zierliche Möbelstücke geschaffen, aber er hätte sich keine Sorgen machen müssen. Der Sessel mochte ja schäbig sein, war aber von ausgezeichneter Qualität.

»Darf ich Ihnen Ihre Jacke abnehmen, Mr …?« Caroline streckte die Hand aus.

»Prescott. Jack Prescott. Und nein, danke. Ich bin immer noch ziemlich durchgefroren, bei dem Wetter da draußen.«

»Das kann ich mir vorstellen«, murmelte sie und zog die Hand wieder zurück.

Oh Gott, er konnte die Jacke auf keinen Fall ablegen. Er hatte sich im Flughafen reflexartig und weil er es hasste, unbewaffnet zu sein, seine Tasche vom Gepäckband geschnappt und war in der nächsten Männertoilette abgetaucht, wo er sich seine Glock ins Schulterholster gesteckt hatte. Und dann hatte er sie vollkommen vergessen. Er hatte ja auch nicht ahnen können, dass er es sich keine Stunde nach der Landung mit Caroline zusammen gemütlich machen und gebeten werden würde, die Jacke auszuziehen.

Jack war ein ausgezeichneter Stratege. Das lag ihm im Blut. Colonel Prescott und die Army hatten diese Fähigkeit erkannt und sie noch verfeinert. Jack war ein überragender Mitarbeiter gewesen, der stets etliche Schritte vorausgedacht hatte. Die Tatsache, dass ihm völlig entfallen war, seine Waffe zu verbergen, bevor er die Buchhandlung betrat, in der man möglicherweise von ihm erwarten würde, die Jacke abzulegen, machte ihn fassungslos. Das war genau die Art von Fehler, die ihn in seinem Job das Leben hätte kosten können.

Doch selbst ohne die Waffe hätte er die Jacke nicht ausziehen können. Auf gar keinen Fall. Abgesehen von der Waffe hatte er auch noch einen Steifen. Einen gewaltigen Ständer, der sich wie eine Keule zwischen seinen Beinen anfühlte, und seine Hose saß gerade locker genug, um das deutlich zu zeigen.

Als er hinter Caroline herging, dabei beobachtete, wie sie ihre Hüften wiegte und ihr Haar über ihre Schultern floss, und den Geruch ihrer Gegenwart einatmete, erwachte jedes einzelne Hormon in seinem Körper zu neuem Leben und reagierte auf ihren Rosenduft. Alles Blut seines Körpers schien auf direktem Weg in seine Lenden zu fließen.

Also das würde ihn garantiert von ihrer Liste möglicher Untermieter fegen. Keine Frau auf der ganzen Welt würde einen Mann im Haus haben wollen, der eine Erektion bekam, weil er sie einfach nur ansah.

Das war doch verrückt.

Jacks Körper unterstand seinem Kommando. Er tat, was von ihm verlangt wurde. Immer. Wenn er ohne Nahrung oder Wasser oder Schlaf auskommen musste, dann gehorchte sein Körper. Weder extreme Hitze noch extreme Kälte konnten ihm etwas anhaben. Sex war nie ein Problem. Wenn er ficken wollte, bekam er einen Steifen, und wenn nicht, dann blieb sein Schwanz da, wo er war.

Aber als er jetzt Carolines anmutige Bewegungen auf dem Weg durch den Laden vor sich sah, und beobachtete, wie ihre Hüften hin und her schwangen, stieg seine Erregung bei jedem einzelnen ihrer Schritte.

Er hatte nur einen letzten kurzen Blick auf sie erhaschen wollen. Bei ihr in Greenbriars zu wohnen, nur eine Stunde nachdem er auf dem Flughafen gelandet war, wäre ihm zuvor niemals in den Sinn gekommen. Und doch stand er hier, nur noch fünf oder zehn Minuten davon entfernt, tatsächlich mit Caroline zusammenzuwohnen, in Greenbriars, und er war nahe dran, es zu vermasseln. Ihm fiel nichts ein, was ihn mit noch größerer Wahrscheinlichkeit als möglichen Untermieter disqualifizieren würde, als ihr seinen Schwanz praktisch auf einem Tablett zu servieren.

Sie war der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der in der Lage war, ihn auf diese Weise durcheinanderzubringen. Normalerweise stellte sich nichts und niemand seinen Wünschen in den Weg. Und Sex schon mal gar nicht. Sex machte Spaß und war manchmal nötig, um Dampf abzulassen, aber Jack würde es niemals zulassen, dass er sein Leben beeinflusste.

Jacks Leben richtete sich immer nach seiner nächsten Mission. Er konzentrierte sich vollkommen auf diese Aufgabe, worum auch immer es sich handeln mochte, und alles andere war nebensächlich. Jetzt war es seine Mission, bei Caroline einzuziehen, und er hätte es niemals zulassen dürfen, dass ihm irgendetwas das Hirn umnebelte, geschweige denn seinen Schwanz dazu brachte, steif zu werden. Das machte ihm eine Scheißangst. So funktionierte das nicht. Er war Herr der Lage – immer.

Aber nicht in diesem Augenblick. Er konnte nicht einen klaren Gedanken mehr fassen, während er Caroline folgte. Sie trug hübsche spitze Schuhe mit hohen Absätzen; Schuhe, die in keiner Weise für diesen verschneiten Nachmittag geeignet waren, doch perfekt ihre langen, schlanken Waden und zarten Knöchel zur Schau stellten. Ihre Strümpfe gaben beim Gehen ein leises, rhythmisches Rascheln von sich, das ihm unter die Haut ging. Der Rhythmus ihrer Absätze auf dem Parkett stimmte exakt mit seinem Herzschlag überein und das leichte Flattern ihrer Seidenbluse entsprach dem unregelmäßigen Fluss des Bluts durch seine Adern.

»Hier«, sagte sie und blickte sich um.

Und er dachte: Ja, hier. Wahnsinn!

Auf der Couch, auf dem Teppich, auf dem Parkettboden. An die Wand gelehnt, über den Tresen gebeugt. Überall, solange er nur in ihr war und für die nächsten Stunden auch dort bleiben konnte.

Erst als sie den Kopf leicht zur Seite neigte und mit einem Runzeln zwischen ihren goldbraunen Augenbrauen in fragendem Tonfall »Mr Prescott?« sagte, wurde Jack unsanft aus seinen Tagträumen gerissen, und ihm wurde mit einem Schlag klar, was er da gerade tat.

Er vermasselte es.

Er vermasselte nie etwas.

Also biss er die Zähne zusammen, brachte mit Mühe ein leises »Danke schön« zwischen aufeinandergepressten Kiefern hervor und setzte sich, wobei er sich zwang, an Sierra Leone, Obuja und Vince Deaver zu denken. An Blut und Verrat, Folter und die Schreie von Frauen. So viel Blut, dass der Boden sich damit vollgesaugt hatte, dass es in roten Rinnsalen darüber hinwegfloss. Frauen, die mit dem Bajonett ermordet worden waren. Bestens ausgebildete Soldaten, die Kinder zu Schießübungen missbrauchten. Der rote Nebel um die Köpfe der Kinder, wenn der Schuss des Scharfschützen sein Ziel traf …

Das genügte. Diese Bilder kühlten sein Blut, sie trafen ihn bis ins Mark. Sein Schwanz beruhigte sich sofort wieder.

Er biss die Zähne so fest aufeinander, dass es ein Wunder war, dass sie ihm nicht in kleinen Splittern zu den Ohren herauskamen.

Caroline musste wohl spüren, dass etwas nicht in Ordnung war, denn sie ließ sich behutsam auf dem Rand des Sessels nieder, Knie, Waden und Füße sorgsam nebeneinander aufgestellt, die Arme fest vor dem Körper verschränkt. Ihre Körpersprache ließ keinen Zweifel daran, dass sie überaus angespannt war. Unbewusst war sie darauf vorbereitet, jederzeit aufzustehen oder sogar aufzuspringen, sollte er ihr Anlass dazu geben, sich noch unbehaglicher zu fühlen, als sie es ohnehin schon tat.

Er war ein Mann, der selbst im Gefecht stets kühlen Kopf behielt, aber mit anzusehen, wie sich ihre Körpersprache veränderte, jagte ihm eine Heidenangst ein. Er war dafür verantwortlich. Er hatte sie dazu gebracht, sich unruhig und argwöhnisch zu fühlen, wo er doch alles in seiner Macht Stehende tun wollte, damit sie sich sicher fühlte.

Vielleicht lag es am Jetlag und an seiner Erschöpfung. Neun Zeitzonen, insgesamt sechsunddreißig Stunden in der Luft und alles in allem höchstens sechs Stunden Schlaf.

Woran es auch immer lag, dass er sich so erschöpft und geil und wie der letzte Idiot fühlte, er sollte besser dafür sorgen, dass es ihm schleunigst besser ging, denn sonst riskierte er, in hohem Bogen rausgeschmissen zu werden.

Er räusperte sich. »Also, Ma’m.« Er sah ihr direkt in die Augen, vermied es heldenhaft, den Blick zu ihren Brüsten oder Beinen sinken zu lassen, und setzte eine unbewegte Miene auf. »Wie ich schon sagte, habe ich gesehen, dass Sie ein Zimmer zu vermieten haben. Ich suche nach einem Platz, wo ich für ein Weilchen bleiben kann, bis ich wieder Fuß gefasst habe. Sie sagten, Sie haben ein freies Zimmer?«

Caroline atmete ein und aus. Jack wusste, was in ihrem Kopf vorging: Nein, auf gar keinen Fall! Bist du verrückt? Der Kerl sieht furchterregend aus. Das könnte ein Irrer sein.

Aber Caroline dachte auch mit dem Herzen. Ihr Blick wanderte nach unten und blieb an seinen Stiefeln hängen. Es handelte sich um seine Kampfstiefel – uralt und rissig und fleckig. Die Fersen waren abgelaufen.

Ein Soldat achtet stets auf seine Füße. Im Einsatz kann sich eine einfache Blase infizieren und dazu führen, dass der Fuß innerhalb von vierundzwanzig Stunden brandig wird. Seine Kampfstiefel waren bequem und wasserdicht und hatten ihm stets gute Dienste geleistet. Ihm war nicht einmal in den Sinn gekommen, bessere Schuhe anzuziehen, als er sich auf den Rückweg gemacht hatte.

Was Caroline sah, war ein Mann in abgetragener Kleidung, mit Bartstoppeln auf dem Kinn und in abgelatschten Stiefeln. Ein Mann, der aussah, als ob er eine lange, harte Reise hinter sich hätte und vom Glück verlassen worden wäre. Ihre Augen wurden zusehends milder. Sie hob den Blick, sah ihm in die Augen, löste ihre Armhaltung und lehnte sich leicht zurück.

Sein Herz dröhnte.

Ja! Verdammte Scheiße, ja! Die Sache war geritzt. Das ging in Ordnung. Gott segne ihr weiches Herz. Sie hatte sich entschieden. Jetzt kam es nur noch darauf an, die richtigen Worte zu finden; die, mit deren Hilfe er auch ihren Kopf davon überzeugen würde, es zu riskieren, ihm eine Chance zu geben, denn ihr Herz hatte bereits zugestimmt. Er konnte es immer noch vermasseln, aber nicht, wenn er gut achtgab und das Richtige sagte.

Caroline hatte sich ein wenig entspannt, doch sie lächelte nicht. »Ähm, ja, das stimmt. Eigentlich sind es sogar zwei Zimmer, ein Einzel- und ein Doppelzimmer, und sie stehen beide gerade leer. Der eine Untermieter ist vor zwei Wochen ausgezogen und die anderen beiden vor vier Tagen.«

»Dann hab ich wohl Glück.« Er versuchte sich an einem zurückhaltenden Lächeln. »Ich nehme es. Das Doppelzimmer meine ich. Ich wohne nicht gern beengt.«

Sie seufzte. Ihr Blick senkte sich auf einen ihrer langen, zarten Finger, der mit einem losen Faden spielte. Sie biss sich auf die Lippen. Offensichtlich kämpfte sie mit sich selbst. Dann seufzte sie. Eigentlich war es nicht mehr als ein sanftes Ausatmen. Als sie den Blick wieder hob und dem seinen begegnete, war sie zu einer Entscheidung gekommen.

»Das Doppelzimmer ist sehr geräumig und bequem, Mr Prescott. Es liegt in einem wunderschönen alten Haus, ungefähr anderthalb Meilen vom Stadtzentrum entfernt. Der Preis schließt die Mahlzeiten ein und« – sie lächelte – »ich kann Ihnen versichern, dass ich eine sehr gute Köchin bin.«

Du liebe Güte – Caroline und Essen. Jack wäre am liebsten weinend auf die Knie gesunken. Er hatte seit Urzeiten keine anständige Mahlzeit mehr zu sich genommen … Scheiße, die letzte musste noch vor Afghanistan gewesen sein!

Er neigte den Kopf. »Klingt wunderbar, Ma’am. Genau, was ich brauche, denn ich kann nicht mal selber Wasser kochen –«

»Augenblick.« Sie hob eine schmale Hand und holte tief Luft, als ob sie sich für etwas wappnen wollte. Sie sah ihm direkt in die Augen. »Das sind die guten Nachrichten. Die schlechten sind, dass der Heizkessel dieses Hauses direkt aus der Hölle stammt und leider jeden zweiten Tag ausfällt, selbst nachdem er vom Klempner, der wohl ebenfalls aus der Hölle kommt, repariert wurde.« Sie sah in das wirbelnde Weiß vor dem Fenster. In der plötzlich eintretenden Stille konnte er hören, wie die eisigen Nadeln gegen das Fenster prasselten. »Und bei dem Wetter … Nun ja, ich will es mal so sagen: Das kann wirklich unangenehm werden. Und der Strom ist ebenfalls etwas launenhaft. Irgendwo muss es ein fehlerhaftes Kabel geben, aber bisher war noch niemand in der Lage herauszufinden, wo. Das ist ziemlich unangenehm, wenn man gerade am Computer arbeitet. Mein letzter Untermieter hat dadurch einige wichtige Dateien verloren. Und da ich schon mal gerade in Beichtlaune bin, kann ich Ihnen auch gleich sagen, dass zwei Treppenstufen kaputt sind. Wenn Sie also nachts herunterkommen, um sich ein Glas Milch zu holen, und das vergessen, werden Sie sich aller Voraussicht nach das Genick brechen.« Sie atmete lautstark aus und ließ seine Miene nicht aus den Augen, um seine Reaktion auf ihre Worte zu beobachten. »So, jetzt wissen Sie’s. Und ich würde es wirklich verstehen, wenn Sie jetzt beschließen, das Zimmer lieber doch nicht zu nehmen.«

Es fiel ihm schwer, nicht verächtlich zu schnauben. Jack hatte zwölf verdammte Jahre darauf gewartet, sie wiederzusehen, ohne jemals wirklich daran geglaubt zu haben, dass es geschehen würde. Davon hatte er geträumt, als er während des wochenlangen Trainings auf dem kalten, steinigen Boden lag. Der Gedanke daran hatte ihn im Dschungel von Indonesien und während sechs langer, eiskalter Monate in einer Winterbaracke in Afghanistan am Leben erhalten.

Und sie dachte, ein bisschen Kälte, ein paar flackernde Lampen und zerbrochene Stufen könnten ihn abschrecken? Das hätten nicht einmal sämtliche Höllenhunde vermocht.

»Ich bin an Unannehmlichkeiten gewöhnt, Ma’am«, sagte er. »Ein bisschen Kälte macht mir nichts aus, das können Sie mir glauben. Mein Laptop verfügt über ausgezeichnete Akkus, und auf der Treppe werde ich mich in Acht nehmen. Außerdem bin ich handwerklich ziemlich geschickt. Ich werde mal sehen, ob ich nicht die ein oder andere Reparatur an Ihrem Haus ausführen kann.«

»Oh.« Caroline blinzelte. »Toll! Das – das ist sehr freundlich von Ihnen. Und unglaublich nützlich. Ich kann nur hoffen, dass Sie besser sind als Mack der Depp. So nenne ich den Mann, der kommt, ein bisschen am Haus herumfummelt und mir mein Geld abknöpft.« Sie schluckte, wobei sich ihre hübsche weiße Kehle zusammenzog. »Selbstverständlich können Sie jegliche Reparaturen, die Sie vornehmen, von der Miete abziehen. Darauf bestehe ich.«

In Jacks Brust krampfte sich irgendetwas zusammen. Offensichtlich brauchte sie das Geld. Sogar der Taxifahrer wusste, dass sie Geld brauchte. Vermutlich wusste ganz Summerville, dass sie Geld brauchte, und da saß sie vor ihm und war bereit, seine Miete zu verringern, wenn er ihr half. Es war Caroline geradezu unmöglich, jemanden auszunutzen.

Was auch immer sonst noch geschehen würde, was auch immer zwischen ihnen vorgehen würde – Jack schwor sich, dass sie für den Rest ihres Lebens niemals wieder finanzielle Probleme haben würde.

»Keine Sorge, Ma’am«, sagte er sanft. »Ich arbeite gerne. Ich bin es nicht gewohnt, auf der faulen Haut zu liegen. Es macht mir gar nichts aus, ein paar Reparaturen zu erledigen, Sachen in Ordnung zu bringen. Da hab ich wenigstens was zu tun, während ich mich eingewöhne.«

Sie neigte den Kopf auf die Seite. »Waren Sie beim Militär, Mr Prescott?«

»Ja, Ma’am. Bei der Army. Ein Ranger, sieben Jahre lang. Mein Vater war Berufssoldat. Ebenfalls bei der Army. Er ist als Full Colonel ausgeschieden. Danach hat er eine Sicherheitsfirma gegründet und ich habe die Army verlassen, um ihm dabei zu helfen. Er ist letzte Woche gestorben.« Ein Schatten der Trauer – unkontrollierbar, unaufhaltbar – streifte über sein Gesicht.

»Meine Güte«, sagte sie leise und streckte die Hand aus, um seine Hand zu berühren. Die Berührung war kurz, sollte tröstlich wirken und brannte. Am liebsten hätte er ihre Hand gepackt und festgehalten. »Das tut mir so leid. Ich weiß genau, wie es ist, ein Elternteil zu verlieren. Es ist unglaublich schmerzhaft. Mein aufrichtiges Beileid.«

Er senkte den Kopf, unfähig zu sprechen.

Stille. So dicht, dass sie fast greifbar war. Das einzige Geräusch wurde vom Wind verursacht, der am Fenster rüttelte.

Jack hatte es geschafft, seinen Schwanz zu beruhigen, aber nun geschah etwas mit seiner Kehle. Sie brannte und fühlte sich wie zugeschnürt an. Ein wilder Wirbel von Emotionen tobte in seiner Brust; Emotionen, die er nicht herauszulassen wagte, die sich aber anfühlten, als ob glühende Messer ihm das Fleisch von den Rippen schälten. Trauer. Lust. Schmerz. Freude. Er hatte seinen Vater verloren, und er hatte Caroline gefunden.

Sie beobachtete ihn, ohne etwas zu sagen, als ob sie verstünde, was in ihm vorging. Schließlich brach sie das Schweigen. »Also, Mr Prescott. Dann habe ich jetzt wohl einen neuen Untermieter.«

Er hob den Blick und hustete, um die Kehle freizubekommen. »Ich schätze, ja, Ma’am. Und bitte nennen Sie mich Jack.«

»Gut, Jack. Und ich bin Caroline. Caroline Lake.« Jack hätte beinahe gelächelt. Das einzige Mal in seinem Leben, dass er sich betrunken hatte, war an dem Tag gewesen, als der Colonel die Nachricht erhalten hatte, dass er an inoperablem Magenkrebs litt. Jack hatte den Colonel nach Hause begleitet, dafür gesorgt, dass er sich hinlegte, und war gleich danach wieder gegangen. In jener Nacht hatte er sich zugedröhnt und war erst zwei Tage später im Bett von irgend so einer Schlampe aufgewacht. Auf seinem rechten Bizeps hatte ein riesiges, kunstvoll tätowiertes C geprangt.

Er wusste ganz genau, wer sie war.

Weil er wusste, dass sie das erwartete, fragte Jack: »Wie hoch ist die Miete?«

»Fünfhundert Dollar im Monat«, sagte sie betrübt, wobei sie wieder seine Augen beobachtete. »Ich weiß, das klingt nach furchtbar viel, aber in Wahrheit …«

Er hielt die Hand hoch, die Handfläche ihr zugewendet. »Das ist in Ordnung. Klingt vernünftig. Vor allem, da die Mahlzeiten eingeschlossen sind. Ganz abgesehen davon, dass die Mahlzeiten von einer ausgezeichneten Köchin zubereitet werden. Da werde ich viel Geld sparen, weil ich nicht ins Restaurant muss. Also … Wie komme ich dorthin?« Er wusste ganz genau, wie man nach Greenbriars kam, aber es wäre seltsam gewesen, wenn er nicht gefragt hätte.

»Haben Sie ein Auto, Mr Prescott?«

»Nein, noch nicht. Ich bin mit dem Taxi direkt vom Flughafen hierhergekommen. Ich werde mir am Montag eins mieten.«

Caroline stand auf. Er erhob sich ebenfalls und packte den Griff seines Seesacks. Dabei kam er ihr sehr nahe und trat augenblicklich zurück. Es war eine instinktive Reaktion. Er war so groß, dass er darauf achten musste, genügend Abstand zu anderen Menschen zu halten, um nicht bedrohlich über ihnen aufzuragen. Aber vor allem wollte er Caroline nicht beunruhigen.

»Na ja, heute wird wohl niemand mehr kommen. Nicht bei diesem Wetter.« Sie zuckte bedauernd die Achseln. »Ich glaube, ich werde den Laden einfach schließen. Sie können mit mir fahren, Mr Prescott.«

»Danke, Ma’am! Das weiß ich zu schätzen.«

»Ist schon gut, Jack, und bitte nennen Sie mich Caroline.«

»Caroline«, sagte er. Dieses Wort kam ihm nun zum ersten Mal seit zwölf Jahren über die Lippen.

Sie starrte zu ihm auf, offenbar vollkommen in ihren Gedanken verloren.

Er wartete kurz ab. »Caroline? Ma’am?«

Caroline schüttelte sich kurz. »Ja, ähm … Wenn Sie vielleicht an der Tür auf mich warten würden? Ich muss noch den Computer herunterfahren und die Schuhe wechseln.«

Sie blickte auf ihre hübschen Schuhe hinab, die in diesem Schnee garantiert schmelzen würden. Auch Jack sah nach unten. Ihrer beider Füße bildeten einen beinahe schockierenden Kontrast, als ob sie zwei unterschiedlichen Spezies angehören würden und nicht nur verschiedenen Geschlechtern: Carolines in den hübschen, schmalen, spitzen, beigefarbenen Stöckelschuhen und Jacks in seinen riesigen, uralten, mitgenommenen Kampfstiefeln. Ihre Köpfe hoben sich zur selben Zeit und ihre Blicke trafen sich.

Jacks Hände umklammerten seinen Seesack, da die Versuchung, sie auszustrecken, um Caroline zu berühren, inzwischen fast unerträglich geworden war.

Er hatte sie nie berührt, nicht ein einziges Mal in der ganzen Zeit, in der sie das Obdachlosenheim besucht hatte. Er hatte unablässig darüber nachgedacht, hatte es aber nie gewagt.

Caroline zog sich in ihr Büro hinter einem hüfthohen Tresen zurück.

Seine Finger verkrampften sich um den Griff des Seesacks, während er dem Piepen des Computers hinter einer Trennwand lauschte. Ihr Kopf verschwand, als sie sich bückte, um die Schuhe zu wechseln.

Als Caroline wieder zum Vorschein kam, trug sie gefütterte Stiefel, eine Wollmütze und einen Daunenmantel, der ihr fast bis zu den Fußknöcheln reichte. Obwohl sie derart vermummt war, dass sie genauso gut ein Mann oder ein Marsmännchen hätte sein können, war sie so begehrenswert, dass es wehtat. Er beobachtete, wie sie anmutig zu einem Sicherungskasten in der Wand ging, die Lichter ausschaltete und die Tür öffnete.

Selbst durch das Tosen des Windes war zu hören, wie sie nach Luft schnappte.

Es war, als hätte sie die Pforte zu einer eisigen Hölle geöffnet. Der Wind hatte an Stärke zugenommen und heulte wie eine gequälte Seele in den tiefsten Abgründen der Unterwelt. Er trieb schmerzhafte Nadeln aus Eisregen vor sich her, die sich in die Haut bohrten. Es war so kalt, dass es einem die Luft aus den Lungen trieb.

»Oh mein Gott!« Caroline schreckte zurück, als ob ihr jemand ins Gesicht geschlagen hätte, und fiel – direkt in Jacks Arme.

Jack zog Caroline in den Laden zurück und kämpfte gegen den Wind an, um die Kontrolle über die Tür zurückzugewinnen. Dabei musste er sich tatsächlich etwas anstrengen. Er lehnte sich dagegen, streckte die Hand aus und verlangte im Befehlston: »Geben Sie mir Ihre Autoschlüssel!«

Schon nach dieser kurzen Begegnung mit den Naturgewalten konnte Caroline nicht mehr aufhören zu zittern. Sie brauchte einige Anläufe, bis es ihr gelang, die Handtasche zu öffnen, aber schließlich schaffte sie es und ließ einen Schlüsselbund in seine Handfläche fallen. Erst dann blinzelte sie angesichts ihres blinden Gehorsams. »Wieso …«

»Sie werden dort draußen erfrieren. Was für eine Marke fahren Sie und wo haben Sie Ihren Wagen geparkt? Ich hole ihn her und halte direkt vor der Tür, damit Sie in diesem Wetter nicht draußen herumlaufen müssen.«

Caroline wirkte verwirrt. »Es ist ein grüner Fiat. Er steht gleich rechts um die Ecke. Aber hören Sie mal, Sie sind doch gar nicht richtig angezogen für dies…«

Aber die letzten Worte sprach sie schon in die Luft.

2

Entweder bin ich ein Riesenglückspilz oder ein Riesentrottel, dachte Caroline, während sie zitternd in ihrem Mantel dastand. Nachdem sie der wirbelnden Eishölle da draußen nur dreißig Sekunden ausgesetzt gewesen war, fühlte sie sich, als hätte sie den ganzen Winter lang in der Antarktis gezeltet. Sie war völlig durchgefroren.

Glückspilz oder Trottel? Was war sie nun?

Sie plädierte für den Glückspilz, denn sie brauchte die fünfhundert Dollar wirklich dringend, und sie waren ihr praktisch aus heiterem Himmel in den Schoß gefallen, noch dazu an einem Tag, an dem sie nie im Leben auf einen neuen Untermieter zu hoffen gewagt hätte. Um Tobys Krankenhausrechnungen zu bezahlen, hatte sie eine beträchtliche Hypothek auf Greenbriars aufnehmen müssen, und das Geld ihrer Untermieter war unbedingt erforderlich. Ohne die fünfhundert Dollar Miete war sie keinesfalls in der Lage, Mitte Januar die nächste fällige Rate zu bezahlen.

Es hatte ihr fast das Herz gebrochen, als das ältere Paar, Mr und Mrs Kipping, vor vier Tagen beim Frühstück verkündet hatte: Es tut uns schrecklich leid, meine Liebe, aber wir ziehen aus. Sie hatten eigentlich bis Mai bleiben sollen, wenn die Renovierung ihres Hauses abgeschlossen sein würde. Aber erst hatte Mr Kipping wegen eines Kurzschlusses irgendwo im Haus einige Kapitel seiner Biografie über Alexander Hamilton verloren, und dann war schließlich die Krönung gewesen, dass Mrs Kipping sich eine Bronchitis zugezogen hatte, weil der Heizkessel immer wieder versagte.

Es war nicht ein Cent übrig, um einen Elektriker zu bezahlen, damit er die Leitungen kontrollierte und den Grund für den Kurzschluss herausfand, und Caroline wäre vermutlich eher imstande, zum Mond zu fliegen, als sich einen neuen Heizkessel zu leisten.

Ihre Schulden würde sie noch mit achtzig abbezahlen. Wenn sie so lange lebte. Bis jetzt waren die Zahlen, was die durchschnittliche Lebenserwartung ihrer Familie anging, nicht allzu ermutigend.

Mrs Kipping war bei dem Gedanken, ausziehen zu müssen, den Tränen nah gewesen, und Caroline hatte ihre ganze Selbstbeherrschung aufbringen müssen, um nicht selbst in Tränen auszubrechen. Die Kippings waren ein liebenswertes Paar und hatten fast ein Jahr lang bei ihr gelebt. Sie waren wunderbare Mitbewohner und waren ihr in Tobys letzten Tagen eine große Stütze gewesen. Caroline wusste, sie hätte es nicht ertragen, aus dem Krankenhaus in ein leeres Haus zurückzukehren. Und nach Tobys Beerdigung … Sie erschauerte.

Am Anfang hatten die Kippings häufig betont, dass aus ihrem Haus auch nach der Renovierung niemals etwas so Schönes wie Greenbriars werden könnte. Das war noch vor den verlorenen Dateien, den andauernden kalten Duschen und bevor sie nach dem morgendlichen Erwachen Eis im Waschbecken vorfanden. Caroline wusste, dass Mr und Mrs Kipping sie ins Herz geschlossen hatten und ihre Kochkünste liebten und dass es einzig und allein Mrs Kippings Krankheit war, die ihnen diese Entscheidung aufgezwungen hatte. Anna Kipping war nicht bei bester Gesundheit und ihr Mann Marcus fürchtete, sie zu verlieren.

Trotzdem hatte auch er beim Abschied Tränen in den Augen.

An Heiligabend, und noch dazu bei diesem Wetter, einen neuen Untermieter zu finden schien das reinste Wunder zu sein.

Von dem zusätzlichen Bonus – am ersten Weihnachtstag nicht allein sein zu müssen – gar nicht zu reden. An diesem Tag hatte sie ihre Eltern bei einem grauenhaften Autounfall verloren. An diesem Tag war Toby so schwer verletzt worden, dass er nie wieder hatte gehen können. Er hatte sechs schmerzerfüllte Jahre gebraucht, um zu sterben.

So weit die Glückspilztheorie.

Auf der anderen Seite stand natürlich die Trotteltheorie, die sich höchstwahrscheinlich als die richtige entpuppen würde. Vermutlich war sie tatsächlich verrückt, einen Mann in ihrem Heim aufzunehmen, der so gefährlich aussah wie Jack Prescott, und als ob das noch nicht genug wäre, hatte sie ihm, eine halbe Stunde nachdem sie ihn kennengelernt hatte, auch noch ihre Autoschlüssel überreicht.

Marcus und Anna Kipping waren die ungefährlichsten Personen auf der ganzen Welt gewesen; zwei reizende Menschen in den späten Sechzigern, deren schlimmste Laster aus einer Vorliebe für Schokoladeneis mit Karamellsoße und einer ruchlosen Leidenschaft für Gilbert & Sullivan bestanden. Marcus konnte aus dem Gedächtnis sämtliche Texte aus deren Operette H. M. S. Pinafore oder Das Mädchen, das einen Matrosen liebte zitieren.

Jack Prescott hingegen wirkte alles andere als ungefährlich. Sie hatte gespürt, dass ihr Herz schneller geschlagen hatte, als sie sich unterhielten, so lächerlich das auch klingen mochte. Oh ja, er wirkte ziemlich furchteinflößend. Er sah derb aus, groß, mit Muskeln bepackt, wie man sie sich nicht im Fitnessstudio kaufen konnte. Er strahlte die Härte eines Felsblocks aus.

Außerdem war er verdammt attraktiv, was sie noch von keinem ihrer Untermieter hatte sagen können. Furcht einflößend, aber sexy. Das bedeutete, sie sollte vielleicht besser noch eine dritte Theorie aufstellen: plötzliche hormonelle Überlastung.

Als er nur ganz kurz ihren Arm gestreift hatte, war ihr ein Schauer den Rücken hinuntergelaufen. Sie hatte die stahlharten Muskeln durch sein Hemd und seine Jacke hindurch gespürt – der härteste Mann, den sie je berührt hatte. Und bei der Vorstellung, dass er höchstwahrscheinlich … am ganzen Körper so hart war, war ihr ganz heiß geworden.

Nicht, dass er irgendetwas getan hätte, dass sie sich unwohl gefühlt hätte. Abgesehen davon, dass er so erschreckend riesig war und so … gefährlich aussah.

Das genaue Gegenteil von Marcus Kipping mit seiner Vorliebe für Strickjacken, die die herabhängenden Schultern und dünnen Arme einhüllten. Jack Prescotts beeindruckende Muskulatur war durch ein Hemd und eine Jacke hindurch nicht zu verkennen. Er war der männlichste Mann, den sie je getroffen hatte – und verdammt sexy.

Caroline, die sich selbst gegenüber immer aufrichtig gewesen war, erkannte in diesem Augenblick, dass das der Grund dafür gewesen war, dass sie Ja gesagt hatte. Gott möge ihr beistehen – diese Hitzewallung war der Grund dafür, dass sie Ja gesagt hatte. Es war schon so schrecklich lange her, dass sie so etwas gefühlt hatte.