Gefängnis - Das graue Haus - Das Haus im Schatten - Emmy Hennings - E-Book

Gefängnis - Das graue Haus - Das Haus im Schatten E-Book

Emmy Hennings

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Beschreibung

Der erste Band der Kommentierten Studienausgabe vereinigt den 1919 erschienenen Roman "Gefängnis" mit den zwei zu Lebzeiten unveröffentlichten Gefängnis-Romanen: "Das graue Haus" und "Das Haus im Schatten". "Ein verlaufenes Kind, ein lebendig gewordenes Märchen oder Volkslied, süß und gruselig zugleich", so charakterisierte Franz Herwig 1923 das literarische Phänomen Emmy Hennings. 1916 eröffnete sie mit Hugo Ball das Cabaret Voltaire in Zürich, wo die Dada-Gruppe nicht nur gegen den Krieg, sondern auch gegen die Kunst rebellierte. Hennings` 1919 erschienener Roman "Gefängnis" sorgte für großes Aufsehen. In einer eindringlichen, expressiven Sprache seziert sie das Erlebnis einer Inhaftierung bis in die sprachlichen Details hinein. Dem Leser wird mit existenzieller Dringlichkeit vorgeführt, was es bedeutet, im Gefängnis zu sein. Das Verhältnis von Delinquenz und Strafvollzug, Schuld und Sühne beschäftigte Hennings viele Jahre. Davon zeugen die zwei weiteren Gefängnis-Texte "Das graue Haus" und "Das Haus im Schatten". Die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der drei Romane wird im Anhang erstmals fundiert aufgearbeitet und von einer umfassenden Dokumentation zur Wirkungsgeschichte begleitet. "Sie ist die reinste Inkarnation des weiblichen Vaganten, die in der deutschen Dichtung vielleicht je da war." Klabund

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Seitenzahl: 816

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EMMY HENNINGS Werke und Briefe

Kommentierte Studienausgabe

Herausgegeben im Auftrag

des Schweizerischen Literaturarchivs

und des Vereins zur Förderung

des Schweizerischen Literaturarchivs

EMMY HENNINGS

GEFÄNGNIS

DAS GRAUE HAUS

DAS HAUS IM SCHATTEN

Herausgegeben und kommentiert von

Christa Baumberger und Nicola Behrmann

Unter Mitarbeit von Simone Sumpf

Mit einem Nachwort von Christa Baumberger

     WALLSTEIN VERLAG

© Wallstein Verlag, Göttingen 2016

www.wallstein-verlag.de

Schweizerisches Literaturarchiv

der Schweizerischen Nationalbibliothek, Bern

Gestaltung: Cornelia Feyll und Friedrich Forssman

Gesetzt vom Verlag in der Tisa Pro und Tisa Sans Pro

Druck: Hubert & Co, Göttingen

Fotoporträts Emmy Hennings aus dem Nachlass Hennings (SLA)

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

Ein Titeldatensatz für diese Publikation

ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich.

ISBN (Print) 978–3-8353–1834–2

ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-2943-0

ISBN (E-Book, epub) 978-3-8353-2944-7

GEFÄNGNIS

DAS GRAUE HAUS

DAS HAUS IM SCHATTEN

Zu dieser Ausgabe

Abkürzungen und Siglen

Kommentar

Wirkungsgeschichte von Gefängnis

»Ich bin gewiss nicht unschuldig.« Emmy Hennings und das Gefängnis. Nachwort von Christa Baumberger

Literaturverzeichnis

Dank

GEFÄNGNIS

Hugo Ball zugeeignet.

ERSTER TEIL

Inzwischen sind drei Monate vergangen.

Ich habe noch keine Vorladung zur Hauptverhandlung bekommen.

Ich bin nach M. zurückgekehrt. Ich wage nicht, ein Engagement ins Ausland anzunehmen. Ich bin besorgt, meine eventuelle Verurteilung könnte eine sofortige Entlassung aus dem Engagement zur Folge haben.

Ich halte meine Angelegenheit geheim. Warum?

Ich müßte mich erklären; begründen müßte ich .. von Anfang an … aber wer fragt nach mir? Sollte jemand nach mir fragen .. Oh das Interesse! Restlos wollte ich mich bekennen. Aber die Angst, nicht verstanden zu werden, läßt mich schweigen.

Nur angehört werden, und alles wäre gut. Das ist es: angehört werden. Ich glaube, erstaunt und beglückt würde ich fragen: »Lieben Sie mich denn? Neugierig sind Sie nicht; denn wer kann neugierig sein, das Unglück des andern zu hören?«

Warum kann ich nicht sprechen? Abends singe ich; trete in einer Künstlerkneipe auf.

Man sagt mir manchmal am Abend: »Sie haben famose Schlager.« Oder: »Sie sorgen wirklich für Abwechslung im Programm.«

Dann fällt mir mein Prozeß ein. Das Programm; meine Zukunft. Zukunft? Klingt das nicht anspruchsvoll? Welche Zukunft kann jemand haben, der für die Unterhaltung des Publikums sorgt? Ach, die Zukunft wird kommen. Aber welche Zukunft?

Ich will meinen Prozeß beschleunigen. Will ich mein Unglück abkürzen? Umgehen? Muß ich denn da hindurch? Gelingt mir keine Schiebung? Ich möchte mein Leben wohl arrangieren nach meinem Gefallen. Ich versuche. Und ich schreibe an das Königliche Amtsgericht folgenden Brief:

»Sehr geehrter Herr!

Da ich für vier Wochen nach Paris reisen möchte, bitte ich Sie höflichst, mir mitzuteilen, ob es nicht möglich ist, die Verhandlung entweder in diesen Tagen oder nach meiner Zurückkunft aus Frankreich anzusetzen. Dankbar wäre ich Ihnen für baldige Antwort.

Mit vorzüglicher Hochachtung usw.«

Ich hoffe, daß ich jetzt alles gut erledigt habe. Habe ich nicht einen Weg gefunden, meinen Prozeß zu beschleunigen oder hinauszuschieben? Die verzwickte Situation bestimmt meine Handlungen, scheint mir, nicht ich.

Gleichviel. Ich werde meine Sachen packen. Ich werde nach Paris fahren. Etwas paßt mir nicht.

Daß ich immer wegfahre, wenn mir etwas nicht paßt. Ich habe ein Telegramm bekommen. Nächste Woche werde ich in Paris erwartet.

Es vergehen zwei Tage. Ich bin müde vor Aufregung. Vielleicht habe ich Reisefieber. Aber das ist gleichgültig. Warum sollte ich kein Reisefieber haben?

Ich bleibe zu Bett. Da kann mir wohl nichts passieren, denke ich …

Es ist acht Uhr früh. Es klopft. Ob ich die Tür wohl verschlossen habe? Soll ich aufstehen, um nachzusehen? Es steht doch jemand vor der Tür …

Es klopft schon wieder. Ich gebe keine Antwort. Nicht um alles in der Welt. Wenn es aber die Antwort vom Amtsgericht ist? Es bleibt mir nicht viel Zeit zum Ueberlegen. Soll ich sagen: »Bedaure, bin soeben verrückt geworden?« Oder: »Ich bin im Begriff zu sterben?« Das Gesicht zur Tür gewandt, riskiere ich, halblaut zu äußern »Der Tod entschuldigt alles.«

Ein Herr tritt ein. Tür war nicht verschlossen. Natürlich nicht …

»Also, ich komme da von der Polizei. Tag.«

»Ach so.«

Ich richte mich ganz frisch in die Höhe. »Das ist aber nett! Bringen Sie mir vielleicht die Antwort auf meinen Brief? Nun, wie steht’s?«

»Ja, das weiß ich auch nicht. Kommen Sie mal … na sagen wir … bis zehn Uhr aufs Polizeipräsidium. Zimmer 144. Dann können Sie ja sehen.«

»Ja, das kann ich … ja … gewiß … warum nicht? Also um zehn Uhr sagten Sie? Um zehn Uhr … also … ja … sagten Sie nicht: um zehn Uhr Polizeipräsidium?«

»Ja. Wissen Sie, wo das ist? Sie fahren mit der Linie 6, steigen am Bahnhofsplatz um in die 9, dann fahren Sie direkt drauf los.«

Ich fange an nachzudenken: … dann fahre ich direkt drauf los …

»Ja, ich weiß nicht, wo es ist, aber das ist das wenigste. Das finde ich schon mit der Zeit.«

Der Herr sagt bedenklich:

»Ja, daß Sie aber auch pünktlich kommen.«

»Das ist doch selbstverständlich. Ich werde mich sofort auf den Weg machen.«

»Nein, das ist nicht nötig. Es ist erst zehn Minuten nach acht.«

Das finde ich wunderbar. Erst zehn Minuten nach acht? Ich rechne blitzschnell und immer falsch: sechzig Minuten sind ein Jahr, dreiviertel Minuten bis neun … bald Weihnachten; fünfzehn Minuten … März … es wirbelt … selbst mein Irrtum hat noch Gesetze. Meine Hände kleben. Ich krampfe unter der Bettdecke meine Fußzehen zusammen. Das kann ich ganz gut, aber es geht doch nicht auf die Dauer. Wenn der das sieht, denkt er Wunder was. Ob ich ihn mal frage, warum er denn noch immer dasteht, während mein Wecker auf die widerlichste Weise unbarmherzig tickt?

Ich ziehe den Wecker auf. Ich tue ganz unbefangen. Ich stelle den Wecker auf das Nachttischchen zurück. Dort liegen so vornehm meine Bücher. Ja, die liegen sehr vornehm da … Aber das Polizeipräsidium … Steige in die Linie 9, fahre direkt drauf los …

»Bitte, sagen Sie mir, aber wirklich, frei heraus, ob ich verhaftet werde. Das möchte ich sehr gerne wissen. Es nützt mir ja alles nichts. Das muß ich wissen. Danach muß ich mich richten. Das wäre nämlich das Schlimmste, was mir passieren könnte. Bitte, nehmen Sie doch Platz. So. Ja, sehen Sie, das Verhaften könnte ich nicht vertragen … Ich kann Ihnen das nicht so schnell erklären.«

»Tja, ich verstehe Sie vollkommen, Fräulein.«

Der Herr sieht mich lauernd von der Seite an.

Wie von selbst kommen mir die Worte:

»Ich will nicht mißtrauisch sein, aber sprechen Sie mit mir. Sagen Sie mir, ob ich verhaftet werde. Vielleicht ist es für Sie nicht so wichtig wie für mich. Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht verletzen. Denken Sie sich, Sie würden verhaftet … Verzeihen Sie, wenn das so unmöglich ist … dann allerdings … Ich meinte nur so. Ich dachte immer, es gibt nichts, was unmöglich ist. Ja, sehen Sie: vielleicht werde ich sogar verhaftet. Sogar? Ich bin nichts Besonderes, bin gar nichts, ein Mensch, nein, es ist nicht wahr. Ich muß etwas anderes sein. Sagen Sie: werden andere auch aus dem Bette geholt, um verhaftet zu werden? Daß ich daran nie gedacht habe! … Sie haben keine Zeit zur Unterhaltung? Ja, ich begreife, aber das ist keine Unterhaltung, glauben Sie mir doch … Ach, Sie sehen sich meine Postkarten an? Bromsilber. Kosten dreißig Pfennige das Stück.«

»Sie sind Sängerin, Fräulein?«

Der Herr wühlt in meinen Bildern, die auf meinem Tisch liegen. Riecht an den halbwelken Rosen, die man mir gestern abend geschenkt hat.

»Wo treten Sie denn auf, Fräulein?«

Er setzt sich und kreuzt dabei die Beine.

Es kribbelt mir in den Fingerspitzen.

»Wo ich auftrete? Ach, ich weiß gar nichts. Verzeihen Sie, ist das nicht alles gleichgültig? Ueberflüssig? Wird man mich heute früh verhaften? Bitte, sagen Sie es gleich auf der Stelle.«

Der Herr blättert in einem Buch, sagt, indem er mich ansieht, langsam:

»Warum sollten Sie denn verhaftet werden?«

»Ja, ich weiß ja auch nicht …«

Dann steht er plötzlich auf, wendet sich zum Gehen.

»Also Sie werden nicht verhaftet, Fräulein. Davon ist gar nicht die Rede.«

»Ach, warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Ja, da sieht man’s –.« Ich muß lächeln. »Ich hatte schon Angst, Angst hatte ich …«

Der Herr lächelt auch: »So so«.

»Ja, Angst hatte ich, aber jetzt ist alles gut. Ich werde pünktlich kommen, freilich, und vielen Dank.«

»Adieu.«

Dann kleide ich mich rasch an.

Kaum habe ich meine Toilette beendet, klopft es schon wieder.

Ein Herr tritt ein: Gesprenkelter Schnurrbart, beleibt, derber Anzug, solider Regenschirm aufgerollt, als wolle der Herr eine Landpartie machen.

Er grüßt eilig, wendet stumm den Rockaufschlag und zeigt eine dort befestigte Marke.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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