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Sage fiebert auf den Tag hin, an dem sie und Alex endlich heiraten können. Aber vorerst trennen sie wieder etliche Meilen voneinander. Das ändert sich jedoch, als zum ersten Mal seit Generationen Gespräche zwischen Demora und dem verfeindeten Kimisara aufgenommen werden. Sage soll dazu beitragen, dass die Fehde endlich beigelegt wird. Neue, unerwartete Allianzen werden geschmiedet, doch dann gefährdet ein Angriff aus dem Hinterhalt alles, worauf Sage hingearbeitet hat. Wer ist hier noch Verbündeter und wer ist Feind? Dies ist der dritte und letzte Band der packenden Fantasy-Serie »Kampf um Demora«. Alle Bände der Serie mit Suchtgefahr: Vertrauen und Verrat (Band 1) Liebe und Lügen (Band 2) Gefühl und Gefahr (Band 3)
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Erin Beaty
Gefühl und Gefahr
Aus dem Englischen von Birgit Schmitz
Sage fiebert auf den Tag hin, an dem sie und Alex endlich heiraten können. Aber vorerst trennen sie wieder etliche Meilen voneinander. Das ändert sich jedoch, als zum ersten Mal seit Generationen Gespräche zwischen Demora und dem verfeindeten Kimisara einberufen werden. Sage soll dazu beitragen, dass die Fehde endlich beigelegt wird. Neue, unerwartete Allianzen werden geschmiedet, doch dann gefährdet ein Angriff aus dem Hinterhalt alles, auf das Sage hingearbeitet hat. Wer ist hier noch Verbündeter und wer ist Feind?
Dies ist der dritte und letzte Band der packenden Fantasy-Serie »Kampf um Demora«.
Alle Bände der Serie mit Suchtgefahr:
Vertrauen und Verrat (Band 1)
Liebe und Lügen (Band 2)
Gefühl und Gefahr (Band 3)
Wohin soll es gehen?
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Leseprobe
Für Mom, die mir und meiner Schwester beigebracht hat, dass wir stolz auf unsere Intelligenz sein sollten. Und für Dad, der uns gezeigt hat, dass wahre Männer gerne von Frauen umgeben sind, die denken können.
1
Dafür, dass Clare das Kämpfen hasste, war sie ganz gut darin. Sage kam inzwischen sogar richtig ins Schwitzen, wenn sie ihre Freundin besiegen wollte, was bei der gegenwärtigen Kälte schon etwas heißen wollte. Die dicken Steinmauern von Vinova, dem Festungs-Außenposten Demoras, boten zwar Schutz vor den Winterstürmen, die über die östliche Ebene fegten, speicherten aber kaum Wärme. Ihre Erbauer hatten vor allem die Abwehr von Invasionen und Belagerungen im Sinn gehabt. Jetzt, nachdem die im Süden angrenzende Nation Casmun diplomatische Verhandlungen aufgenommen hatte, war sie für Sages Aufgabe als Botschafterin vor allem wegen ihrer Lage von Bedeutung. Doch es blieb immer wichtig, sich verteidigen zu können, und deshalb bestand Sage darauf, ihrer besten Freundin das Kämpfen beizubringen.
Clare war deutlich anzusehen, wie sehr sie sich konzentrieren musste, während sie mit ihrer behandschuhten Hand ein leichtes Schwert festhielt. Mit zusammengekniffenen Augen spähte sie über den Schild an ihrem linken Arm, doch darauf achtete Sage gar nicht.
Unter ihrem knielangen Rock rutschte Clare mit ihren Stiefeln ein paar Zentimeter durch den Staub. Also lehnte Sage sich instinktiv nach rechts und suchte mit den Füßen festen Halt auf dem gefrorenen Boden, während sie weiter auf das Zucken wartete, mit dem ihre Freundin sich verraten würde. Selbst die erfahrensten Krieger konnten nicht angreifen, ohne dass ihre Körpersprache unwillkürlich eine Vorwarnung ausdrückte. Ausnahmen gab es nur wenige. Mit knapp unter siebzehn Jahren war Clare beinahe zwei Jahre jünger als Sage, und sie hatte erst vor ein paar Monaten mit dem Training begonnen.
Es war nur ein kurzes, schwaches Zucken, das Clares Absicht erkennen ließ, bevor sie vorwärtssprang, aber es reichte aus. Sage hielt mit links dagegen und fing ihren Hieb mit dem Schild ab, um dann Clares Schwert mit ihrem eigenen abzulenken. Sie führte die Klinge nach oben, herum und dann wieder nach unten. Die Bewegung zog sie zueinander hin, und ihre Schwertgriffe verhakten sich. Diesmal wappnete sich Sage bewusst nicht für einen Gegenzug.
»Was hast du vergessen?«, fragte sie und presste nach unten, bis die Spitze von Clares Schwert den Boden berührte.
Statt einer Antwort drehte Clare sich um die eigene Achse und rammte ihren Schild in Sages ungeschützte Seite.
Dein Schild ist auch eine Waffe.
Sage grinste und machte einen Schritt nach hinten, doch ihre Freundin lächelte nicht. Sie warf ihren dicken Zopf über die Schulter, und ihre braunen Augen blitzten herausfordernd. Ihre schmale Gestalt bebte, aber nicht vor Kälte. »Das brauchst du mich nicht mehr zu fragen«, gab sie scharf zurück.
Sie war wütend. Und das bedeutete, dass es jetzt interessant wurde.
Wut war nützlich beim Kämpfen, das wusste Sage aus eigener Erfahrung; sie schärfte die Sinne und förderte Kraft und Ausdauer. Aber Sage hatte auch schon erlebt, dass Wut einen schnell leichtsinnig machen konnte. Clares Mangel an Selbstbeherrschung würde Sage womöglich zu einer Reaktion zwingen, bei der sich eine von ihnen oder sogar beide verletzen konnten.
»Ich wär dann so weit«, spottete Clare. Ihre Stimme klang dumpf hinter dem Schild hervor.
Sage machte vorsichtig ein paar Schritte nach rechts und brachte Clare so dazu, ihre Haltung anzupassen. Außerdem verschaffte ihr das mehr Zeit zum Nachdenken. Was würde Alex tun?
Der Gedanke an ihn zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen. Letztes Jahr hatte sie beim Training mit Alex vor Wut unkontrolliert zugeschlagen, doch er hatte sie entwaffnet und ihr in derselben Handbewegung mit der flachen Seite seines Schwertes einen Klaps auf den Hintern versetzt. Alex würde diese Situation hier nicht weiter anstacheln. Er würde besonnen bleiben, ihr auf ihrem eigenen Kampfniveau begegnen, sie nie zu weit zurückdrängen, aber auch keinerlei Boden preisgeben.
Clare wartete darauf, dass sie die Initiative ergriff. Sage verlagerte ihr Körpergewicht und bewegte sich nach links. Dabei vollführte sie mit ihrem Krummschwert einen entspannten Bogen, und ein Sonnenstrahl, der durch die dicke Wolkendecke gedrungen war, blitzte kurz auf der Klinge.
Ihre Freundin schluckte den Köder nicht. Sie hatte jetzt die Kontrolle, aber es würde nicht schwer sein, die Situation wieder umzukehren.
Sage begann mit einer Serie von einfachen Bögen, Hieben und Paraden, wobei sie in ihren Bewegungen den individuellen Stil vermied, den sie in den vergangenen anderthalb Jahren entwickelt hatte. Sie stellte sich vor, sie wäre die Turmuhr der Kapelle – rotierende Zahnräder, Pendel und Zeiger, die sich aber eingeschränkt und vorhersehbar um eine feste Mittelachse bewegten. Außer ihrem Atem und dem ständigen Klirren von Metall auf Metall war nichts zu hören.
Mit nur einem Hauch von warnendem Zucken durchbrach Clare den Rhythmus und konterte eine Parade von Sage mit einem Stoß, bei dem ihre Schwertspitze Sages Bein so nahe kam, dass der Stoff ihrer Hose zerschnitten wurde. Clares Augen weiteten sich vor Schreck, aber Sage machte weiter, als wäre nichts gewesen, damit keine von ihnen beiden Zeit hatte, Angst zu bekommen. Doch ihrem Training war jedes Gefühl von Förmlichkeit und Routine abhandengekommen. Obwohl keine der anderen wirklich Schaden zufügen wollte, fühlte sich der Kampf plötzlich echt an, denn sie umkreisten einander hochkonzentriert und mit bestenfalls höflichem Lächeln.
Sage forderte Clare intensiv heraus, um ihre Wut nach und nach abzuleiten. Ihrer Freundin gelang es, ihr Temperament unter Kontrolle zu halten, sodass es – abgesehen von dem ohrenbetäubenden Scheppern, wenn Schwerter von Schilden abglitten – zu keinen weiteren verletzenden Hieben kam.
Nach fast zwanzig Minuten war das Feuer ausgebrannt. Sage ruhte sich auf einem Heuballen vor der Pferdekoppel aus und machte sich an dem Riss in ihrer Hose zu schaffen. Sie spürte jetzt wieder die Kälte, zuerst in ihrer Nase. Neben ihr bildete Clares Atem kleine Wölkchen, während die Freundin sich langsam von der Anstrengung erholte. Alle paar Sekunden warf sie einen schuldbewussten Blick auf Sages Bein, doch Sage ignorierte ihre Sorge ganz bewusst. Sie glaubte nicht, dass ihre Haut verletzt war, auch wenn man das mit Handschuhen nur schwer beurteilen konnte. Aber wie dem auch sei – ihre Freundin sollte sich deswegen auf keinen Fall schuldig fühlen.
»Ich glaube, deine Kleidung verschafft dir einen Vorteil«, bemerkte Sage leichthin. »Man sieht deine Oberschenkel schlechter, und das macht deine Bewegungen weniger vorhersehbar.«
»Endlich habe ich dir gegenüber mal einen Vorteil.« Clare zog ihren Rock so weit nach unten, wie sie nur konnte. Die Strumpfhose, die sie darunter trug, war so dick, dass man die Form ihrer Beine kaum erkennen konnte, aber sie war trotzdem befangen. In ihrer Stimme lag allerdings keine Bitterkeit, nur Müdigkeit, und das war gut.
Sage erschauderte und strich sich mit der Hand über den Kopf, um die Haare zu bändigen, die aus ihrem kurzen Pferdeschwanz entkommen waren. In ihrem Schattenwurf sah sie wie eine struppige Katze aus. Clares mahagonifarbener Zopf war hingegen – wie immer – perfekt. »Wir haben noch Zeit für ein bisschen tashaivar«, sagte Sage mit einem Blick auf den Stand der Sonne.
Genau in diesem Augenblick läutete die Glocke der Kapelle. Der Ton wurde von dem blanken Stein der Festung und der sie umgebenden Mauern zurückgeworfen; er verkündete, dass es drei Uhr nachmittags war. Clare sprang erholt auf. »Nein, haben wir nicht.«
Sage stöhnte innerlich auf, aber abgemacht war abgemacht: Clare unterwarf sich Sages Kampftraining, und Sage nahm bei ihrer Freundin Stunden in Diplomatie. Abgesehen davon brauchte sie jetzt ein heißes Bad. Die Kälte war in ihre Zehen eingedrungen, und die Feuchtigkeit, die sich unter der casmunischen Kleidung gebildet hatte, die sie immer beim Kampftraining trug, kühlte ihre Haut ab. Die weite Hose und die Jacke waren für den Wüstenkrieg gedacht und leiteten ihre Körperwärme schnell ab. Obwohl sie schon mit den Zähnen klapperte, bot Sage an, Clares Waffen zu verstauen, damit Clare sich als Erste umziehen gehen konnte.
Als Sage das Ankleidezimmer betrat, das ihre Suiten miteinander verband, war Clare schon fertig. Bei ihrem Einzug in Vinova vor einigen Monaten hatte Sage befürchtet, es könnte grausam sein, ihre Freundin in den Räumen unterzubringen, die für die Ehefrau des Botschafters in dieser Grenzfestung gedacht waren. Schließlich hatte Clare den Sohn des vorherigen Botschafters, Lord Gramwell, heiraten sollen, der eines Tages ein Gesandter aus eigenem Recht zu werden versprach. Neun Monate lang hatte sie bei der Familie ihres Verlobten gelebt und sich auf die neue Rolle vorbereitet.
Aber zu der Heirat würde es nun nicht mehr kommen.
Ein kimisarischer Pfeil hatte Leutnant Lucas Gramwell getötet, doch Sage würde niemals vergessen, dass er sich diesem Pfeil in den Weg gestellt hatte, um sie zu schützen. Clare machte ihr keine Vorwürfe, außer vielleicht in ihren schlimmsten Momenten, die aber glücklicherweise immer seltener wurden. Abgesehen davon war auch Sage nicht mit heiler Haut aus der Schlacht gekommen. Sie und Clare schliefen in vielen Nächten im selben Bett und halfen einander gegen die Albträume. Inzwischen traten sie nur noch ungefähr einmal pro Woche auf, und meistens war es Sage, die schreiend und um sich schlagend hochschreckte.
Tagsüber entzündeten sich Clares Wutausbrüche normalerweise an trivialen Dingen, schlummerten dann aber unter der Oberfläche, bis sie sich mitten beim Training, beim Abendessen oder während einer Diplomatie-Stunde entluden. Sage kannte dieses Verhalten von sich selbst aus der Trauer nach dem Tod ihres Vaters vor sechs Jahren, deshalb verurteilte sie ihre Freundin nicht. Nur die Zeit konnte ihrer beider Wunden wirklich heilen.
Sage schnürte mit der rechten Hand ihre Jacke auf, während sie die linke ins Badewasser hielt. Genau richtig. Sie warf den Rest ihrer verschwitzten Kleidung ab und sprang hinein. Clare verdrehte die Augen, als Wasser auf den polierten Parkettboden spritzte, doch Sage bekam das kaum mit, während sie untertauchte und dabei ihr kurzes, sandfarbenes Haar von dem Lederband befreite. Auf der linken Körperseite spürte sie ein Brennen, das stärker war als ein Juckreiz, aber sie ignorierte es, hob den Kopf aus dem Wasser und griff nach der Flasche mit dem Haarwasser.
»Die ist so gut wie leer«, sagte Sage und zog den Korken mit den Zähnen heraus, um den linken Arm nicht aus dem Wasser nehmen zu müssen. Aus der offenen Flasche drang der Duft von Orange und Jasmin.
»Warte, lass mich das machen«, sagte Clare. Sie hörte auf, das Mieder ihres einfachen grauen Kleides zuzuschnüren, und half Sage, den letzten Rest des Haarwassers aus der Flasche zu bekommen. Und statt die Flüssigkeit einfach auf Sages Haar tropfen zu lassen, begann sie damit, sie einzumassieren. So etwas machte sie öfter, um sich dafür zu entschuldigen, dass sie die Beherrschung verloren hatte. Sage fand diese leisen Abbitten nicht nötig, doch sie sorgten dafür, dass sich Clare besser fühlte.
»Wann hast du das letzte Mal von Major Quinn gehört?«, fragte Clare wie nebenbei, als wüsste sie es nicht. Über Sages Verlobten zu sprechen war eine andere Methode, um Unstimmigkeiten zwischen ihnen beiden zu glätten.
Bei der Erwähnung von Alex’ Namen liefen Sages Wangen rot an, und sie versuchte, ebenso beiläufig zu antworten: »Vor zwei Tagen.«
»Und wie geht es mit dem Training voran?«
Alex war der Kommandant der Norsaren, der Elitetruppe Demoras. Im vorigen Frühjahr war die Armeeeinheit wiedereingesetzt worden, zwanzig Jahre nach ihrer Auflösung. Wie sich herausgestellt hatte, war sie gerade rechtzeitig einsatzbereit gewesen, um sich einer kimisarischen Streitmacht entgegenzustellen, die durch das südliche Nachbarland Casmun vorrückte. Momentan wurden die Norsaren auf volle Bataillonsstärke gebracht. Die Vergrößerung war von Anfang an geplant gewesen, aber mittlerweile war sie zur Notwendigkeit geworden. Der König von Kimisara, Ragat, war in der Schwarzglas-Schlacht getötet worden, und niemand in Demora konnte absehen, was die Kombination aus warmem Frühlingswetter und einem neuen Herrscher bringen würde. Was auch immer es war, die Norsaren würden an der Front stehen. Und mit ihnen auch Alex. Sage versuchte die noch größere Entfernung und die Gefahr zu verdrängen, während sie mit einem Waschlappen vorsichtig über die roten und weißen Narben an ihrem Bein fuhr. »Sie schließen gerade die siebte Woche ab.«
Clare benutzte einen kleinen Krug, um Sages Haare auszuspülen. »Meinst du, er hat Zeit, dich zu besuchen?«
Sage schüttelte den Kopf und wischte sich Schaum aus den Augen. »Er kann nicht so lange weg.« Das Trainingslager lag über hundertfünfzig Meilen westlich. Selbst unter den günstigsten Bedingungen dauerte es vier Tage, nach Vinova zu reisen, und noch mal vier für den Rückweg. Dass gerade Winter war, half auch nicht. »Vielleicht, wenn sie in sechs Wochen fertig sind.«
Dabei wusste sie, dass er nicht kommen würde. Angesichts seiner Verantwortung konnte Alex keine solche Reise rechtfertigen, zumal sie nicht verheiratet waren – und er auch erst mit vierundzwanzig heiraten durfte. Sage runzelte nachdenklich die Stirn, während sie im Kopf die Tage seit der Wintersonnenwende zählte. Dann lächelte sie.
Morgen hatte er Geburtstag. Sie würden nur noch ein Jahr warten müssen.
2
Eine Stunde später war es an Sage, eine böse Miene zu machen. Wie konnte Essen nur derart kompliziert sein?
»Heute hast du zu deiner Linken einen Grafen aus Reyan, einen nachrangigen Fürsten aus Casmun zu deiner Rechten, und ich bin eine Gräfin aus Demora«, erklärte Clare von ihrem Platz auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches. Dieser war mit mehr Gerichten, Besteck, Tellern und Kelchen gedeckt, als Sage im Kopf behalten konnte. »Der Graf spricht nur seine eigene Muttersprache. Ich spreche Reyanisch und Demoranisch, und der Fürst spricht Kimisarisch und Casmunisch. Wen sprichst du zuerst an, und in welcher Sprache?«
Von Diplomatie bekam Sage Kopfschmerzen und ab und zu sogar Albträume. Wenigstens waren keine Kimisaren unter den Gästen. Das Beste, worauf Demora im Verhältnis zu Kimisara je hoffen konnte, waren ein wackeliger Waffenstillstand und das permanente Abstreiten, dass die Raubzüge in Tasmet von dort ausgingen. Reyan war ein langjähriger Verbündeter, aber die Beziehungen mit Casmun waren noch jung. Die königlichen Familien der beiden Nationen wollten, dass sie zu einem Erfolg wurden, doch die einfachen Leute auf beiden Seiten änderten ihre Meinung nach Generationen der Feindseligkeit nicht so schnell. Der Prozess war fragil, ganz besonders nach den Ereignissen vom vergangenen Sommer.
»Habe ich mit dem Fürsten schon Wasser geteilt?«, fragte Sage. Die Casmuner fanden es unhöflich, jemanden direkt oder mit vollem Namen anzusprechen, dem man noch nicht förmlich vorgestellt worden war.
»Ja, aber das ist schon Jahre her, und du bist dir nicht sicher, ob er sich noch erinnert.«
Verdammt, ihre Freundin war mit allen Wassern gewaschen. Aber das Amt einer Botschafterin konnte mitunter kompliziert sein, und wenn man unvorbereitet war, lief man Gefahr, eine Katastrophe von landesweitem Ausmaß auszulösen. Sage fühlte sich nie so unsicher wie während dieser Unterrichtsstunden. Plötzlich musste sie grinsen: »Ich lasse einfach dich mit ihm plaudern, während ich mich an den Boten wende, der soeben eingetroffen ist.«
Clare wandte sich um und sah, dass sich Meister Finch mit einer Schriftrolle näherte, die mit einer violetten Schleife zugebunden war. »Wie ungewöhnlich«, meinte sie.
Sage knotete das Band auf und entrollte das Pergament, um dann einige Minuten still die Worte darauf zu lesen. Clare gab ihr unter dem Tisch einen Fußtritt. Sie schimpfte: »So lange kann es ja wohl nicht dauern, das zu lesen!«
Auf Sages Gesicht hatte sich ein Lächeln ausgebreitet. »Ich glaube, wir sollten den Fürsten zu meiner Rechten gegen eine Prinzessin austauschen.« Sie drehte das Pergament herum, damit Clare sehen konnte, dass der Text auf Casmunisch geschrieben war. »Lani kommt uns besuchen.«
»Wann?« Ihre Freundin griff nach dem offiziell aussehenden Schriftstück und überflog es mit gerunzelter Stirn. Sie brauchte länger als Sage. »Noch vor dem Sommer?«
»Morgen.«
Clare sprang auf. Der Unterricht war jetzt unwichtig. »Geist im Himmel, wir müssen alles vorbereiten!«
»Können wir nicht erst zu Ende essen?« Sage warf einen begehrlichen Blick auf die zugedeckten Speisen und ihre noch leeren Teller. Das Training machte sie immer hungrig. Manchmal war das gute Essen das Einzige, was die Lektionen in Etikette erträglich machte.
»Machst du Witze?« Clare befand sich schon auf halbem Weg zur Tür und warf einen vielsagenden Blick über die Schulter: Wenn Sage nicht freiwillig mitkam, würde sie sie eben mitschleifen. »Wir werden heute Nacht kein Auge zutun.«
Seufzend schob Sage ihren Sessel vom Tisch zurück und folgte ihrer Freundin. Aber nicht, ohne sich noch ein Brötchen zu schnappen. Oder drei.
Sage hatte einmal miterlebt, wie eine Norsaren-Kompanie mit minimaler Vorwarnzeit in die Schlacht gezogen war. Exakt genauso fühlten sich die Aktivitäten der folgenden Stunden in der Festung Vinova an. Clare übernahm das Kommando über die Küchen und den Haushalt und ließ Essen und Zimmer vorbereiten.
Alaniah Limistraleddai würde als erste Casmunerin seit mehr als zweihundert Jahren Demora betreten, und sie war keine gewöhnliche Gesandte. Sie war die Schwester des Königs und die höchstrangige chessa – Prinzessin – ihrer Nation. »Wie viel Gefolge bringt sie mit?«, fragte Clare erneut.
»Zwölf Personen«, antwortete Sage, ohne in den Brief zu schauen. »Und sechzig Soldaten.« Das waren nicht viele, wenn man Lanis Status bedachte.
»Sie hätte uns ruhig früher Bescheid geben können«, murrte Clare, die eine Reihe von gerupften Hühnern abzählte.
»Eine Botschafterin ist jederzeit empfangsbereit«, zitierte Sage sie mit einem Grinsen.
Clare verzog das Gesicht. »Dem Geist sei Dank, dass Vater schon mit dem Aufräumen angefangen hat, als wir beide letzten Sommer hier waren. Ohne diese Vorarbeit würden wir jetzt viel schlechter dastehen.« Sie meinte damit den Vater ihres Verlobten, einen Diplomaten im Ruhestand. Er war als Botschafter nach Vinova zurückbeordert worden, als Demora die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Casmun eingeleitet hatte. Doch die Vorbereitungen waren von einem Angriff Kimisaras unterbrochen worden, weshalb Sage mit dem jüngsten Sohn des Königs nach Casmun geflohen war, was sie unbeabsichtigt zur ersten Demoranerin seit Generationen gemacht hatte, mit der die Casmuner ins Gespräch gekommen waren. Lord Gramwell hatte die Expedition geleitet, die den Prinzen zurückholen sollte und die sich dann zur Schwarzglas-Schlacht ausgeweitet hatte, in der Demoraner und Casmuner gemeinsam gegen Kimisara gekämpft und gewonnen hatten. Doch Gramwells einziger Sohn war nicht aus der Schlacht zurückgekehrt, und der von Trauer überwältigte Botschafter hatte um dauerhafte Entlassung in den Ruhestand ersucht.
Sage war zur Nachfolgerin von Lord Gramwell ernannt worden und behielt Clare bei sich – einerseits als Gefährtin, andererseits aber auch, damit ihre Freundin, nun, da ihr Verlobter tot war, nicht wieder zu ihrem leiblichen Vater zurückkehren musste. Auf dem Papier war Sage im ganzen Reich die am besten geeignete Person für diesen Botschafterinnen-Posten. Sie sprach Casmunisch und hatte gute Beziehungen zur königlichen Familie des Nachbarlandes aufgebaut, aber nichtsdestotrotz war sie eine achtzehn Jahre alte Bürgerliche ohne spezielle Ausbildung, weshalb sie sich fragte, ob sie vielleicht doch irgendwann abgelöst werden würde. Allerdings hatte König Raymond keinerlei Andeutungen in dieser Richtung gemacht.
In der Zwischenzeit nahm sie Unterricht bei Clare. Mithilfe des Wissens ihrer Freundin und dessen, was sie selbst über das casmunische Volk und seine Gebräuche gelernt hatte, hoffte sie dieser Aufgabe würdig und gewachsen zu sein.
In wenigen Stunden würde sie erstmals auf die Probe gestellt werden.
3
Am nächsten Nachmittag standen Sage und Clare in Pelze gehüllt auf dem höchsten Wachturm und blickten der casmunischen Delegation entgegen. Sage war bisher überwiegend mit Militäreinheiten gereist, sodass die Größe von Prinzessin Lanis Karawane sie verunsicherte. Sie murmelte: »Wozu braucht sie all diese Pferde und Wagen?«
»Geschenke«, gab Clare kurz angebunden zurück. »Das hier ist mehr als nur ein Freundschaftsbesuch, Sage, und die diplomatischen Regeln schreiben vor, dass wir eine Gegenleistung von gleichem Wert erbringen müssen.«
Sage spürte, wie sie erbleichte. »Aber wir haben noch gar nichts hier!« Wegen des Konflikts mit Kimisara in Tasmet waren die Mittel Demoras knapp. Die Korn- und Erzlieferungen von der Westseite des Catrix-Gebirges waren zu einem Rinnsal zusammengeschmolzen, und die Häfen im Norden wurden im Winter meist geschlossen. »Ist ihr denn nicht klar, dass sie Monate zu früh kommt?«
»Ganz bestimmt.« Clare schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, was sie von uns erwartet.«
»Vielleicht können wir ja mit warmen Decken und heißem Wasser etwas ausrichten.« Sage zeigte auf eine dick eingepackte Gestalt auf einem Schimmel. Man konnte Lani nur daran erkennen, dass sie ganz vorne ritt und ein goldenes Krummschwert trug. »Ihr scheint kalt zu sein.«
Glücklicherweise gab es im Umland reichlich Brennholz. In den nahe gelegenen Wäldern lagen so viel Reisig und umgestürzte Bäume, dass noch kein einziger hatte gefällt werden müssen. Sage gab Anweisung, die Feuer in den Schlafgemächern stärker anzufachen und mehr Kleinholz in die Baracken zu schaffen. »Und verdoppelt die Bestände an warmem Wasser«, rief sie dem Haushofmeister zu, als sie Clare folgte, um ihre Gäste zu begrüßen.
Sie warteten am Kopf der Treppe des Haupt-Wohnturms, während das gesamte Gefolge in den großen Innenhof einrückte. Lani und ihr engster Kreis traten durch das zweite Tor. Da die Prinzessin weitaus ranghöher war als Sage und Clare, stiegen die beiden die Treppe hinab, während Lani absaß. Sage und Clare machten einen Hofknicks, doch ehe eine von ihnen ein Wort sagen konnte, strebte Lani, ohne eine Einladung abzuwarten, an ihnen vorbei die Treppe hinauf und in das steinerne Gebäude.
»Schon gut, schon gut«, sagte sie in ihrer eigenen Sprache. »Erst mal will ich mich aufwärmen, dann reden wir.«
Sage und Clare mussten sich beeilen, um mit der Prinzessin mitzuhalten, die geradewegs auf den Kamin am Ende des Empfangssaals zusteuerte. Drei Bedienstete folgten ihr und sammelten die Kleidungsstücke auf, die ihre Herrin abzuwerfen begann. Als Erstes fiel ein dickes Kopftuch, unter dem ihr schwarzer Zopf zum Vorschein kam, gefolgt von Handschuhen und einer Überjacke. Obwohl sie sehr fein gewebt waren, glichen die robusten Kleidungsstücke der Prinzessin im Grunde denen, die Sage beim Kampftraining trug. Casmunische Frauen kleideten sich normalerweise in die gleichen langen Röcke wie die Demoranerinnen, aber zum Reiten oder tashaivar-Training, ihrem Nahkampfstil, zogen sie aus praktischen Erwägungen bedenkenlos weite Hosen an. Lani übersah nicht, dass ihr Gefolge ebenfalls fror, und winkte die Leute zu sich in die Wärme. Alle seufzten erleichtert auf.
»Ich bitte, meine Unhöflichkeit zu entschuldigen«, sagte die Prinzessin auf Casmunisch und streckte ihre Hände den Flammen entgegen. Ihre bronzefarbene Haut war überall da, wo sie dem Wind ausgesetzt gewesen war, mit rötlichen Flecken übersät. »Aber seit wir den Fluss überquert haben, bibbere ich die ganze Zeit. Es wird Monate dauern, sich daran zu gewöhnen.« Lani seufzte; in ihren grünbraunen Augen stand Resignation. »Aber die Wintersonnenwende liegt hinter uns, also wird es wärmer, oder?«
»Ähm …« Sage warf Clare einen Blick zu, die offenbar verstanden hatte, dass Lani einige Zeit zu bleiben gedachte. »Die Tage werden länger, Meine Prinzessin, aber die Kälte in Demora fängt gerade erst an.« Lani fiel vor Schreck die Kinnlade herunter, sodass Sage sie schnell beruhigen wollte. »Schnee haben wir allerdings nur selten.«
»Was ist Schnee?«, wiederholte Lani das demoranische Wort interessiert. »Werden wir das in Tennegol auch haben?«
Der überwiegende Teil Casmuns bestand aus Wüste und Regenwald, und Sage hatte Mühe, sich zu erklären. »Das ist, wenn der Regen so kalt wird, dass er sich in eine Art Wolle verwandelt und auf dem Boden liegen bleibt.«
Eine der Bediensteten ließ die Kleidungsstücke fallen, die sie gehalten hatte, und brach in Tränen aus. Eine andere versuchte sie zu trösten. Lani warf der jungen Frau einen Blick zu und wandte sich dann wieder an Sage. »Feshamay stammt aus einer Stadt ganz weit im Süden. Sie fand es manchmal sogar in Osthiza kalt. Mach dir keine Sorgen«, fuhr sie an die Bedienstete gerichtet fort, »dieser Schnee kann dir wohl kaum über die Zehen reichen.«
Sage und Clare wechselten Blicke. Dieser Besuch würde noch interessant werden.
»Willst du nach Tennegol weiterreisen?«, fragte Sage, um das Gespräch wieder auf die Pläne der Prinzessin zurückzulenken, die offenbar vorhatte, die Hauptstadt Demoras zu besuchen. Sie selbst war schon beinahe ein Jahr nicht mehr dort gewesen. Als Sage und Alex vor vier Monaten aus Casmun zurückgekommen waren, hatten königliche Kuriere sie auf halbem Weg gestoppt und darum gebeten, dass sie nach Vinova zurückkehrte und dort den Posten der Botschafterin übernahm. Auch Alex war befördert worden und nach Tennegol weitergereist, um neue Norsaren zu rekrutieren und ein ganzes Bataillon aufzubauen. Da sie Alex vermisste und so abgeschieden lebte, verspürte Sage ein wenig Heimweh und hätte sich gefreut, als Lanis Dolmetscherin und Führerin zu dienen. Auch Clare wirkte ein wenig erregt, obwohl sie bestimmt im Kopf schon überschlug, wie viele Nachrichten sie senden und welchen Proviant sie beschaffen musste.
»Selbstverständlich muss ich dorthin«, antwortete Lani. »Ihr habt zwei Prinzessinnen, und ich muss diejenige aussuchen, die am besten zu Casmun passt.«
Dieser Besuch würde sogar sehr interessant werden.
4
Der Grund für Lanis Überraschungsbesuch war nun klar: Die mehr als dreißig zusätzlichen Wüstenpferde und die schwer beladenen Planwagen, mit denen die Prinzessin eingetroffen war, waren Teil der Verhandlungsstrategie. Nach so großzügigen Geschenken würde König Raymond geneigter sein, die Verheiratung einer seiner Töchter mit einem casmunischen Prinzen zu debattieren.
Sage entschied, dieses Gespräch besser vertraulich weiterzuführen. Abgesehen von Clare verstanden die Bewohner der Festung Vinova nur elementare Ausdrücke auf Casmunisch, aber sicher war sicher. Nachdem Lani bestätigt hatte, dass sie ihre Reise für ein paar Tage unterbrechen würde, überließ Sage es Clare, der Prinzessin ihre Gemächer und das heiße Bad, das dort auf sie wartete, zu zeigen, und kümmerte sich selbst um die Unterbringung der übrigen Casmuner.
Im großen Innenhof wurden gerade die Wagen entladen und die Pferde direkt in die Stallungen geführt. Lanis Eskorte trug ihre Waffen bei sich, also waren die zusätzlichen Wagenladungen neu geschmiedeter Schwerter, Speere und Messer offenbar als Geschenke gedacht – ein gutes Zeichen, denn Casmuner verschenkten Waffen nur an diejenigen, denen sie am meisten vertrauten. Sage musste König Raymond auf diese Botschaft zwischen den Zeilen hinweisen.
Sie kehrte hinter die innere Festungsmauer und in das Gästequartier zurück. Lani richtete sich gerade in ihren Gemächern häuslich ein. Ihre Kammerzofen packten Kleidung aus und hängten leuchtend bunte Wandteppiche auf. Feshamay, die eine Truhe mit Stoffen durchwühlte, schniefte.
»Ich habe ihr gesagt, sie soll sich mit einem Stoff ihrer Wahl etwas Warmes zum Anziehen machen«, erklärte Lani, die beim Kamin an einer heißen Tasse Tee nippte. »Das war alles für eure Prinzessin bestimmt, damit wir ihr auf der Stelle casmunische Kleider schneidern können, aber es ist ja mehr als genug da.«
»Das stimmt«, bestätigte Sage und setzte sich in den Sessel gegenüber von Lani, wobei sie sich mit ihrer linken Seite ein wenig von der Hitze abwandte. Sie konnte nicht erkennen, was ihre Freundin unter den Decken anhatte, die über ihrem Schoß und ihren Schultern lagen, aber ihr langes schwarzes Haar hing lose herab, damit es nach dem Bad trocknen konnte.
»Ich möchte dir für all das hier danken.« Lani hob ihre Tasse. »Genau das habe ich gebraucht.«
»Mir wurde gedankt«, antwortete Sage. »Was wolltest du denn sagen über …«
»Ich habe dir eine neue Schwertscheide mitgebracht«, unterbrach Lani. »Reza hat sie hergestellt. Sie hat es nicht ganz geschafft, bevor du abreisen musstest, deshalb ist die, die Banneth dir zusammen mit deinem neuen Schwert geschenkt hat, so schlicht.«
Das ursprüngliche harish, das Sage geschenkt bekommen hatte, war im Kampf verloren gegangen und unter dem Berg von geschmolzenem Stein begraben, welcher der Schwarzglas-Schlacht ihren Namen gegeben hatte. Reza war die zehnjährige Tochter des Königs von Casmun. »Die nehme ich dankend an«, antwortete Sage. Dann nutzte sie schnell die Chance, die sich bot, weil Lani eine Pause machte, um an ihrem Tee zu nippen, und platzte heraus: »Warum bist du hier, Lani?«
Die Prinzessin zog eine Augenbraue hoch. »Natürlich um etwas über Demora zu lernen. Um den Handel zu eröffnen und unsere Freundschaft offiziell zu beginnen. Ich habe dir doch gesagt, dass ich kommen würde.«
»Ja, aber wir hatten erst in einigen Monaten mit dir gerechnet.«
»Das war, bevor wir von König Ragat erfahren haben«, sagte Lani.
Sage hatte die Nachricht vom Tod des kimisarischen Königs erst vor Kurzem offiziell erhalten. Der Verdacht hatte schon im vergangenen Sommer bestanden, doch in Kimisara war die Wahrheit lange Zeit verschleiert worden. Die Bestätigung über das Spionagenetzwerk zu bekommen hatte Monate gedauert, und dann brauchte die Information wieder mehrere Wochen, um sie auf ihrem Außenposten zu erreichen. Sie und Alex hatten in ihren jüngsten Briefen diskutiert, was das bedeutete, aber sie konnten nur spekulieren.
»Nach Sindas Verrat letzten Sommer«, fuhr Lani mit einer leicht angewiderten Miene fort, »macht sich unser Volk Sorgen um die Zukunft, zumal unsere Beziehungen mit Demora nicht offiziell abgesteckt sind. Ich bin hier, um das zu tun.« Sie grinste schelmisch. »Und um deine Hochzeit zu planen. Wenn das eine ordentliche Angelegenheit werden soll, brauchst du meine Hilfe.«
Sage rutschte unbehaglich in ihrem Sessel herum. Hatte ihre Freundin missverstanden, wie lange sie und Alex noch warten mussten? »Das dauert aber noch ein Jahr.«
Und auch das nur, wenn sie einen Weg finden konnten, um sich zu treffen. Ihr Herz krampfte sich ein wenig zusammen. Was gestern noch wie eine kurze Weile erschienen war, fühlte sich jetzt wie eine Ewigkeit an.
»Ich kann so lange bleiben.«
Sage atmete erleichtert auf. »Also, als du davon gesprochen hast, eine Prinzessin auszuwählen …«
»Sie kann ja schon vor mir nach Osthiza reisen«, ergänzte Lani leichthin. »Dann sieht das Volk von Casmun, dass wir jetzt Verbündete sind. Und Kimisara sieht es ebenfalls.«
Sage hatte beide Töchter von König Raymond unterrichtet, aber auch die ältere war erst vierzehn. Der Gedanke, dass einer ihrer ehemaligen Schützlinge gezwungen würde, so jung zu heiraten, behagte ihr nicht. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass unser König so einem Arrangement zustimmt.«
»Genau deshalb brauchen wir deine Hilfe«, meinte Lani.
»Ich war nur Lehrling bei der Kupplerin«, wehrte sich Sage. »Und ich war für die Arbeit ungeeignet. Ich habe sie nicht einmal ein Jahr lang ausgeübt.«
Lani starrte sie verblüfft an. »Banneth will sie nicht heiraten, Saizsch. Sie ist noch ein Kind, oder?«
Sage hatte an den Sohn des Königs von Casmun gedacht. »Aber Hasseth …«
»Ist zwölf.« Lani stellte ihre Tasse geräuschvoll auf dem Unterteller ab. »Beim Geist, Saizsch, von allen Leuten müsstest du doch nun wirklich wissen, dass mein Bruder so etwas nie tun würde!«
Natürlich würde er das nicht. Im Alter von fünfzehn Jahren war der frisch gekrönte und verängstigte Banneth gezwungen worden, ein Mädchen zu heiraten, das ihn hasste. Sage ließ sich gegen die Lehne ihres Sessels fallen. »Na ja, was soll ich denn denken, wenn du davon redest, eine demoranische Prinzessin in eure Tracht zu kleiden und sie nach Osthiza mitzunehmen?«
»Ach so, verstehe.« Lani wirkte ein wenig schuldbewusst. »Wir wollen nur, dass sie für ein paar Jahre bei uns lebt. Und falls sie in dieser Zeit Zuneigung für Hasseth entwickeln sollte, würde uns das außerordentlich freuen.«
Sage warf ihr einen misstrauischen Blick zu. »Ich nehme an, ihr werdet das fördern.«
»Wir werden alles tun, um sie glücklich zu machen«, erwiderte Lani gelassen. »Aber wir würden sie nie zu etwas zwingen.« Sie zog eine ihrer perfekt geformten Augenbrauen hoch, während sie noch einen Schluck Tee nahm. »Es kann schließlich auch sein, dass wir sie nicht geeignet finden, Königin zu werden. Vielleicht ist es ja dein Land, das nach etwas strebt, was es nicht haben kann.«
»Möglich«, sagte Sage und imitierte dabei den Gesichtsausdruck der Prinzessin. Als Lani grinste, tat sie es auch.
Eine der Zofen bot Sage eine Tasse casmunischen Tees an und schenkte dann ihrer Herrin nach. Sage wärmte an dem Porzellan ihre Finger und seufzte. »Diese Teesorte habe ich vermisst«, sagte sie. Rose und Jasmin. Es war wie ein Zeichen. »Ich glaube, die Prinzessin, die zu diesem Vorhaben am besten passt, ist Rose. Das ist übrigens auch unser Name für eure risha-Blume.«
»Und du kannst dir vorstellen, dass sich eure Risha gut umpflanzen lässt?«, fragte Lani. »Sie reist gerne an unbekannte Orte?«
Sage schnaubte in ihre Tasse. Tatsächlich war Rose in ihrem Leben kaum gereist. Einmal hatte sie Sage gestanden, wie nervig sie es fand, so behütet zu sein, und dass sie sich nach einem Abenteuer wie aus ihren Kinderbüchern sehnte. Vermutlich würde die demoranische Prinzessin noch am selben Abend ihre Koffer packen. »Sie dürfte der Idee positiv gegenüberstehen«, erwiderte Sage nur.
Königin Orianna dagegen …
»Schön, dass du auf meiner Seite bist, Saizsch«, meinte Lani in selbstgefälligem Ton.
»Ich bin auf Demoras Seite«, gab Sage zurück. »Und auf Rose’.«
Lani zuckte mit den Achseln. »Und ich will nur sichergehen, dass es ein und dieselbe Seite ist.«
Während sie sich wieder ihrem Tee zuwandten, kam Sage eine Idee. Ein paar Minuten später stieß Clare zu ihnen, um sich eine kurze Verschnaufpause von den Reisevorbereitungen zu gönnen, mit denen sie bereits begonnen hatte. Während sie ebenfalls eine Tasse Tee annahm, sagte Clare: »Ich habe ein kurzes Schreiben aufgesetzt, damit Ihre Majestäten uns erwarten. Wenn du keine Änderungswünsche hast, mache ich den Brief fertig und schicke ihn ab. Je früher, desto besser.«
»Wie lange brauchen wir bis Tennegol?«, fragte Lani.
Ein Kurier, der häufig die Pferde wechselte, brauchte für die Strecke von Vinova in die Hauptstadt Demoras zwei Wochen, aber eine große diplomatische Karawane brauchte mindestens doppelt so lange, vor allem im Winter. »Ungefähr dreißig Tage«, antwortete Sage. »Aber ich hatte überlegt …« Sie warf Clare einen schnellen Blick zu.
»Ja?«, fragte Lani mit hochgezogenen Augenbrauen, als Sage den Satz nicht beendete.
»Möglicherweise würde dir unterwegs ein Zwischenstopp im Norsaren-Lager gefallen«, fuhr Sage mit Unschuldsmiene fort. »Für deine Soldaten wäre es interessant, ihnen beim Training zuzusehen. Und sie könnten ein paar Tage darauf verwenden, sich gegenseitig Kampftechniken beizubringen. Als Zeichen des guten Willens.«
»Hmm.« Die Prinzessin starrte versonnen in das Kaminfeuer. »Dient Leutnant Casseck noch bei ihnen?«
»Inzwischen Hauptmann Casseck«, korrigierte Sage. »Ja.«
»Haup…man«, wiederholte Lani langsam. »Das ist eine Beförderung, nehme ich an?«
»Ja.«
Lanis ohnehin gerötete Wangen wurden noch ein wenig dunkler, während sie ihre Nase in die Teetasse steckte. »Ich glaube, ich würde ihm gern persönlich gratulieren.«
5
Er versuchte ihr einen Brief zu schreiben.
Alex saß auf der Pritsche in seinem Zelt, auf den Knien ein Brett und einen Federkiel in seiner Hand. Das Wetter war in tiefsten Winter umgeschlagen, obwohl es hier im Süden etwas milder war, und er trug eine zusätzliche Schicht brauner Kleidung. Es war die neue Uniform, die er für die Norsaren entworfen hatte und die besser tarnte als das traditionelle Schwarz der Kavallerie. Trotzdem klopfte Alex immer wieder reflexhaft seine Ärmel ab, weil er glaubte, sie seien verstaubt.
Er spreizte und beugte die kalten Finger und starrte stirnrunzelnd das Pergament an, das auf seine Worte wartete. Großer Geist, er vermisste sie.
Im Idealfall würde das hier ein Ersatz für den verlorenen Brief werden. Alex hatte ihn vor über einem Jahr an Sage geschickt und ihn zwischen ihren Sachen gefunden, nachdem der Angriff der Kimisaren sie zur Flucht nach Casmun gezwungen hatte. Er hatte ihn bei sich getragen, während er ihr gefolgt war, doch bei seiner Gefangennahme waren all seine Kleidungsstücke aus Angst vor Ungeziefer verbrannt worden. Zwar waren die Seiten voll gewesen mit Phrasen und Beschreibungen, die Alex in der Erinnerung erröten ließen, aber sie hatte den Brief offensichtlich geschätzt.
Er hatte nach wie vor diese Gefühle für sie, vielleicht sogar noch stärker als im vorigen Jahr. Das Problem lag darin, dass diese Gefühle im Moment von Ärger überlagert wurden. Alles, was ihm zu schreiben einfiel, wurde davon in Mitleidenschaft gezogen.
Die Verärgerung entzündete sich nicht an seiner Verantwortung. Kommandant der Norsaren zu sein war ein Traum von einem Auftrag – ganz abgesehen davon, dass er jetzt der jüngste Major in der Geschichte Demoras war. Genauso wenig war der Grund, dass sein Onkel, der König, Sage zur Botschafterin ernannt hatte. Es gab niemand Besseren für die Aufgabe. Angesichts des Zustands der Welt waren sie beide am bestmöglichen Platz.
Die Welt also. Es war die Welt, die für ihre räumliche Trennung verantwortlich war. Die Welt und die verdammten Militärdienstvorschriften.
In Wahrheit würde eine Senkung des Heirats-Mindestalters für Armeeoffiziere die Situation kaum ändern. Die Norsaren hatten riskantere und geheimere Aufträge als die normale Armee, und es wurde erwartet, dass der Kampf gegen Kimisara in Tasmet im Frühling wieder aufflammen würde. Auch wäre Sage immer noch Auslandsbotschafterin mit ihren eigenen Pflichten.
Aber wenigstens würden sie zusammen sein können, wenn sie zusammen waren.
Immerhin war inzwischen weniger als ein Jahr übrig. Manche Tage waren leichter als andere. An Andachtstagen war er weniger eingespannt, aber dadurch hatte er nur mehr Zeit, sie zu vermissen. Als er an diesem Morgen verspürt hatte, wie sich seine Stimmung verdunkelte, hatte er sich selbst von seinem besten Freund und Stellvertreter, Hauptmann Casseck, zurückgezogen. Keiner sollte seinen Kommandanten wie ein Kind schmollen sehen.
Alex ballte die Faust und rammte damit das Schreibbrett so fest, dass es ihm von den Knien fiel, wobei sich das Tintenfass über die Seite und dann auf den Boden ergoss. Schnell hob er das Glasgefäß auf und schob mit dem Fuß lose Erde über die Pfütze. Er fluchte, weil der Brief nun verdorben war – nicht dass er mehr als ein paar Worte geschrieben hätte. Beim vorigen Mal hatte er sein Herz ausgeschüttet, aber es gezielt zu versuchen machte es nur schwerer.
»Darf ich eintreten, Sir?«, erklang eine vertraute Stimme vor dem Zelt.
Alex war nicht danach zumute, die Etikette zu wahren. »Klar, komm rein, Cass.«
Mit einem kalten Luftstoß von draußen kam Hauptmann Casseck herein. Die Sonne hatte beinahe ihren höchsten Stand erreicht und schien grell von einem wolkenlosen Himmel. Sein Freund stand aufrecht da und betrachtete Alex ein paar Sekunden, so als würde er ihn mustern. Mit seinem blonden Haar stieß er ans Zeltdach. »Bist du krank?«, fragte er schließlich.
Alex ärgerte sich, dass er in Cass’ Stimme einen Hauch von Belustigung durchhörte. Er war für Cass immer wie ein offenes Buch. Schon in der Nacht, als er und Sage sich begegnet waren, hatte Cass die Anziehungskraft zwischen den beiden sofort gespürt, während Alex von Sage äußerst irritiert gewesen war. »Ich wollte nur ein bisschen allein sein.«
»Deshalb komme ich auf einen Schwatz vorbei.« Cass nahm einen Klappstuhl, drehte ihn um und setzte sich dann rittlings auf ihn, das Gesicht Alex zugewandt. Er verschränkte die Arme auf der Rückenlehne und schaute ihn mit seinen blauen Augen ernst an. »Es ist schon mehr als zehn Wochen her, seit du dir zuletzt Zeit für dich genommen hast. Du brauchst mal eine Pause.«
Das Training der Norsaren war intensiv, und Alex wusste, dass die Männer sich zwischendurch auch einmal entspannen mussten. Deshalb bekam jeder regelmäßig einen kompletten freien Tag. Die meisten machten sich dann in eins der beiden nahe gelegenen Dörfer auf, entweder zu Fuß oder zu Pferd am Kaz entlang oder über die Jovan-Straße. Solche Vergnügungen waren letztes Jahr aus Geheimhaltungsgründen verboten gewesen. Nun aber war die Wiedereinsetzung der Norsaren allgemein bekannt, und bald würde man in allen Ecken Demoras von der Schlacht in Casmun im vorherigen Sommer wissen.
Auch Alex’ Name würde bekannter werden – als ob nicht schon genug Erfolgsdruck auf ihm lastete.
Alex drehte das verschmierte Pergament um und schrieb auf der anderen Seite weiter, um das flaue Gefühl zu verbergen, das sich in seiner Magengegend breitmachte. »Ich habe heute praktisch noch nichts getan.«
»Das reicht nicht. Du musst hier mal raus«, sagte Cass. Da Alex nicht antwortete, versuchte er es auf eine andere Tour. »Es wäre für die Männer gut zu sehen, dass du mir genügend vertraust, um mir in deiner Abwesenheit das Kommando zu überlassen.«
»Du meinst wohl, gut für dich.«
»Das auch.«
Alex runzelte die Stirn. Aber sein Freund hatte recht – auch wenn ein Kommandant beliebt war, veränderte seine Abwesenheit die Stimmung im Lager und sorgte für Entspannung selbst an Stellen, die vorher niemandem besonders strapaziös erschienen waren. »In Ordnung, am nächsten Andachtstag.«
»Heute«, verlangte Cass nachdrücklich.
»Gibst du auf einmal die Befehle?«
»Da du mir das Kommando überlässt – ja.«
»Also gut.« Alex seufzte. Jetzt, da er den Gedanken angenommen hatte, lastete das Gewicht schon etwas weniger auf seinen Schultern. »Ich reite nach … irgendwo.«
»Ausgezeichnet.« Cass stand grinsend auf.
Im Tonfall seines Freundes steckte allzu viel Triumph, und plötzlich wurde Alex misstrauisch. Heute sollte ein Kurier kommen, aber draußen herrschte mehr Betriebsamkeit, als dessen Ankunft normalerweise hervorrief. Er schaute seinen Freund mit gerunzelter Stirn an. »Was zur Hölle geht hier vor?«
Aber Casseck salutierte nur und verschwand schnell aus dem Zelt. »Du hast übrigens Besuch«, rief er noch über die Schulter.
Besuch?
Eine Hand schnappte nach der Zeltplane, bevor sie zufiel. Dann strebte eine schmale Gestalt herein, die casmunische Reitkleidung trug, und Alex sprang gerade noch rechtzeitig auf, um die auf ihn zupreschende Sage in seine Arme zu schließen.
Großer Geist, er musste wohl träumen.
Ihre mit Sommersprossen übersäten Wangen waren gerötet, und ihre Nase fühlte sich kalt an, als sie sein Gesicht berührte. Dann trafen sich ihre Lippen, und er wusste, dass es real war, denn nicht einmal seine Träume waren dermaßen gut. Es war so lange her, dass er sie gesehen hatte – fast sechs Monate –, dass es sich beinahe wieder so anfühlte wie beim allerersten Mal. Zuerst küssten sie sich zaghaft, dann begierig. Dann leidenschaftlich. Alex hob Sage hoch und presste sie gegen seinen Körper. Schließlich zog er ihre Beine um seine Hüften, damit er sich mit ihr auf dem Schoß hinsetzen konnte.
Allerdings hatte er vergessen, dass sie beide Schwerter trugen. Seine schwere, gerade demoranische Klinge stieß gegen die Pritsche und drückte sie nach unten, sodass die andere Seite nach oben schnellte und sich an dem gebogenen casmunischen harish verkantete, das sie umgeschnallt hatte. Ein paar Sekunden lang versuchte er, das Gleichgewicht zu halten, doch vergeblich. Alex fiel nach hinten um, landete unsanft auf dem Griff seines Schwertes, weil er verhindern wollte, dass Sage sich wehtat, und hörte, wie das Holz des Pritschenbeins zersplitterte. »Aua«, sagte er.
Sie sahen einander an, erröteten und lachten dann auf. Großer Geist, wie hatte ihm dieser Klang gefehlt!
Sage grinste, wischte sich ein paar lose, schulterlange Haare aus dem Gesicht und befreite sich aus dem Gewirr von Beinen und dem Stoff der zerbrochenen Pritsche. »Sieht so aus, als hättest du mich genauso vermisst wie ich dich.«
»Mehr«, sagte er. Sage verdrehte die Augen, aber noch bevor sie etwas antworten konnte, zog er sie wieder an sich. Nachdem er jeden Quadratzentimeter ihrer zugänglichen Haut geküsst hatte – sie war dick angezogen und da war nicht viel, deshalb machte er zwei Durchgänge –, fragte Alex schließlich, warum sie hier war.
»Prinzessin Lani«, antwortete sie, etwas außer Atem. »Wir reisen mit ihr nach Tennegol und dachten uns, wir machen hier Station, wo es doch auf dem Weg liegt. Um die Verständigung zu fördern und all so was.«
»Ausgezeichneter Einfall«, murmelte er abwesend, während er den dritten Durchgang startete. Wie konnte er nur vergessen haben, wie gut sie duftete? Selbst nach Tagen auf dem Pferd verströmten ihre Haare das Parfüm von Blumenseife, aber das war nicht alles. Irgendwie kam es ihm immer so vor, als würde er in ihrer Gegenwart den Sonnenschein einatmen. Und schmecken.
Da drang Cassecks Stimme ins Zelt. »Herr Major, melde alles bereit und einsatzfähig«, sagte er formell. »Ich löse Sie ab, Sir.«
Sage betrachtete die Silhouette des Hauptmanns auf der Zeltbahn. »Was soll das bedeuten?«, fragte sie leise.
»Ablösung bestätigt!«, rief Alex zurück, und Cassecks Schatten verschwand. Er schaute Sage an; ihm war fast ein wenig schwummrig. »Er will, dass ich weggehe. Ich habe ihm versprochen, mir heute freizunehmen.«
Eine Sekunde lang war sie beinahe euphorisch, doch dann fühlte sie sich gleich schuldig. »Oh nein.« Sage schüttelte den Kopf. »Ich wollte hier nichts unterbrechen.«
Mochte der Geist sie für den Versuch segnen, aber es war bereits zu spät. »Geht schon in Ordnung«, versicherte er. »Ich brauche mal eine Pause, und …« Alex räusperte sich. Er hatte einen Einfall, aber Sage würde bestimmt zögern, wenn sie den Eindruck hätte, ihn von seinen Pflichten abzuhalten. »Ich könnte bei einer Sache deine Hilfe gebrauchen.«
Wie erwartet zeichnete sich in ihrer Miene sofort Interesse ab. Alex beugte sich vor und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Als er sich wieder gerade hinsetzte, waren ihre grauen Augen geweitet. »Ernsthaft?«, fragte sie.
Er nickte verlegen.
Sie biss sich auf die Lippe, konnte aber nicht verhindern, dass sich ihre Mundwinkel vor Begeisterung nach oben bewegten. »Ich weiß nicht, was ich in so wenigen Stunden erreichen kann.«
Alex zuckte mit den Achseln. »Alles ist besser als gar nichts.«
»Ist es dafür denn nicht ein bisschen zu kalt?«
»Ich habe schon einen bestimmten Ort im Sinn.«
6
Sage rannte los, um die nötigen Sachen zu holen, und zog sich dann in Alex’ Zelt um, während er Verpflegung und sonstiges Zubehör zusammenstellte. Er hatte gesagt, dass sie mindestens eine Stunde bis zu ihrem Ziel brauchen würden, und wenn sie vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück sein wollten, mussten sie sich beeilen. Sie brachen Richtung Norden auf. Alex nahm ihre Hand, noch bevor sie außer Sichtweite des Lagers waren.
Die kalte Bergluft von Westen ließ sie anfangs frieren, aber nach der ersten Viertelmeile wurde ihnen von ihrem zügigen Tempo warm genug. Sage fragte Alex über sein Training aus und genoss seinen Stolz und seine Zufriedenheit über das, was er tat. Die Norsaren würden nur noch die nächsten drei Wochen hier verbringen, und er erzählte ihr voller Enthusiasmus von seinem Plan, die Soldaten in Elitestaffeln und Züge mit besonderen Fähigkeiten, wie Bogenschießen oder Messerkampf, aufzuteilen. Es herrschte bereits reger Wettbewerb um die Aufnahme. Allerdings würde es niemand in eine der Spezialeinheiten schaffen, der nicht auch in allen anderen Disziplinen glänzte.
Als sich dieses Thema erschöpft hatte, fragte Alex nach ihrer Zeit in Vinova. Sage berichtete von Clares Unterricht in Diplomatie und Etikette, und er musste lachen. »Ich hatte ganz verdrängt, wie sehr ich in alldem von Kindesbeinen an gedrillt worden bin«, sagte er. »Ich habe es auch gehasst.«
»Ich hasse es nicht unbedingt«, widersprach sie. »Ich fühle mich nur immer minderwertig.«
Er beugte sich zu ihr und küsste sie. »Niemals, Sage.«
»Hm.« Sie stieß ihn sanft mit der Schulter von sich. Dann erkannte sie, wo sie sich befanden, und sie hielt inne. »War das hier?«, fragte sie. »Ist das der See, den wir letztes Jahr gefunden haben?«
»Genau.« Er war nicht besonders groß, doch Alex meinte, die Größe und Anzahl der Fische, die die Norsaren darin gefangen hatten, würden darauf hindeuten, dass er recht tief war. Über den Spiegel driftete leichter Nebel; das Wasser war also wärmer als die Luft. Sage ging zum Rand und hielt einen Finger ins Wasser.
»Wärmer, als ich gedacht hätte«, bemerkte sie, »aber trotzdem ziemlich kalt. Das halten wir keine zehn Minuten aus.«
Er berührte sie am Ellenbogen. »Komm mit!«
Sie umrundeten das Südufer. Im vergangenen Jahr hatten sie an dem See nur haltgemacht, um vor der Rückkehr ins Lager etwas zu trinken. Jetzt wurde der Nebel dichter, und Sage nahm einen leichten Schwefelgeruch wahr. »Wird der See von einer warmen Quelle gespeist?«, fragte sie.
Alex nickte grinsend und führte sie über einen schmalen Bach hinweg, dessen Hitze sie durch ihre Schuhsohlen spürte. Er blieb an einem Kieselstrand stehen, über den der Dampf wehte, der jetzt stark und beißend roch. Das Wasser des Sees war hier gelblich und der ganze Boden merklich wärmer.
Er rümpfte die Nase. »Entschuldige den Gestank.«
Sage schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich glaube, den können wir aushalten.«
Alex sammelte Holz für ein Feuer, an dem sie sich wärmen konnten, wenn sie aus dem Wasser kamen. Sie sah ihm dabei zu, wie er es vorsichtig anfachte, und konzentrierte sich auf die kleinen Veränderungen in seiner Erscheinung seit ihrem Abschied vor fünf Monaten. Im Gefängnis in Casmun hatte man seine schwarzen Haare abrasiert, aber inzwischen waren sie fast so struppig wie damals, als sie sich kennengelernt hatten. Auch seinen Bart hatte er wieder wachsen lassen. Er hatte ihr entschuldigend geschrieben, dass es unpraktisch war, sich jeden Tag rasieren zu müssen, doch Sage empfand seinen kurz geschnittenen Bart als das Beste beider Welten – verwegen und erwachsen im Aussehen, aber nicht zu kratzig auf ihrem Gesicht. Vielleicht hatte sie sich auch nur daran gewöhnt. Als er fand, dass das Feuer gut genug brannte, schaute er sie an. »Wollen wir?«
Sage nickte und wandte sich ab, damit er nicht sah, dass sie rot wurde. Sie fragte sich, warum sie nicht vorher darüber nachgedacht hatte, dass sie sich vor ihm ziemlich weit würde ausziehen müssen. Aber es war albern, sich zu schämen. Er hatte vorigen Sommer ihre Wunden gepflegt; es war also keineswegs so, als wüsste er nicht, wie sie unbekleidet aussah. Abgesehen davon wusste auch sie ganz genau, wie er ohne Kleidung aussah. Na ja, fast ohne.
Reiß dich zusammen, befahl sie sich selbst. Alex braucht deine Hilfe.
Sage wandte ihm fest entschlossen den Rücken zu und streifte ihre diversen Lagen von Kleidung ab, bis nur noch die jungenhafte lange Leinenunterhose übrig blieb, die sie zum Entsetzen ihrer Tante bevorzugte, und ein langes casmunisches Seidenhemd. Da ihre nackten Beine auf der einen Seite eiskalt waren, auf der anderen Seite aber höchstens eine leichte Gänsehaut entwickelten, fühlte sie sich ein wenig wackelig. Sie ließ ihre Sachen auf einem unordentlichen Haufen liegen, lief schnell an Alex vorbei ins Wasser und tauchte erst einmal bis zu den Schultern ein, ehe sie wagte, sich umzudrehen. Es war nicht ganz so warm wie ein Bad, aber fast so angenehm. Allerdings wurde es kälter, je weiter sie sich vom Ufer wegbewegte. Alex folgte ihr; er trug nur eine Unterhose.
Ihn so zu sehen würde niemals langweilig werden.
Um von ihrem Starren abzulenken, zeigte sie auf Alex’ linke Schulter. »Neues Tattoo?«
Alex, der bis zur Hüfte im Wasser stand, hielt inne und stellte sich so hin, dass sie den leicht gedrehten Kopf eines Vogels und dessen Flügel sehen konnte, die sich jeweils ein Stück weit auf seine Brust und seinen Rücken ausbreiteten. Das Bild thronte über denen, die sie schon kannte, die für die Kavallerie und andere seiner ehemaligen Armee-Einheiten standen. »Ein Norsar«, erklärte er.
Der ebenso gewandte wie tödliche Raubvogel, nach dem die Norsaren benannt waren. Die Zeichnung war wenig detailliert, fast nur eine dunkle Silhouette auf seiner Haut. Also ungefähr das, was die Opfer eines Norsaren als Letztes sahen – wenn überhaupt –, bevor er sie tötete.
Sage fröstelte es, aber nicht vor Kälte. »Verstehe«, sagte sie, wandte sich ab und begab sich in so tiefes Wasser, dass sie ganz darin untertauchen konnte. »Das Wichtigste ist, dass man entspannt bleibt. Wenn du dich zu sehr verkrampfst, dann ist es schwerer, oben zu bleiben.« Sie blickte sich um.
Alex war verschwunden.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sage schaute sich nach allen Seiten um, rief seinen Namen, spähte nach unten in das trübe Wasser, doch weil sich das Sonnenlicht grell auf der Wasseroberfläche spiegelte, konnte sie nichts erkennen. Er war ihr zu weit gefolgt, bis zu der Felskante, an der das tiefe Wasser begann. Angst schnürte Sage die Kehle zu. Geist im Himmel, war sie stark genug, um ihn zurück an die Oberfläche zu ziehen? Würde er in Panik geraten und sie mit sich in die Tiefe reißen?
Sie schrie auf, als sie eine Hand auf ihrer Wade spürte, doch die Hand riss sie nicht nach unten. Stattdessen folgte sie ihren Körperkonturen, bis Alex genau vor ihr auftauchte. Er warf den Kopf nach hinten, damit ihm die Haare nicht in den Augen hingen, und blinzelte sie voller Ausgelassenheit an. Sage brauchte ein paar Sekunden, bis ihr klar wurde, dass er ohne Probleme schwamm.
»Du gemeiner Kerl!«, schrie sie, schubste ihn weg und bespritzte ihn der Vollständigkeit halber mit Wasser. »Du kannst ja schon schwimmen!«
»Natürlich kann ich schwimmen.« Alex wischte sich lachend das Wasser aus den Augen. »Aber ich wusste, dass du nicht widerstehen können würdest, wenn ich dich bitte, es mir beizubringen.«
Sage machte ein böses Gesicht. »Du bist trotzdem ein gemeiner Kerl.« Doch sie ließ es zu, dass er sie zu sich hinzog.
»Hauptsache, ich bin dein gemeiner Kerl.« Alex schlang seine Arme um sie und strampelte mit den Füßen, um sie beide wieder ins flachere, wärmere Wasser zu befördern. Als sie an eine Stelle kamen, wo er stehen konnte, legte er sich ihre Beine um die Hüften – das gleiche Manöver, das vorhin so katastrophal misslungen war.
Sie verschränkte ihre Füße hinter seinem Rücken und lehnte sich an ihn. Ihr war jeder Punkt, an dem sich ihre Körper berührten, zutiefst bewusst. »Dafür sollte ich dich bestrafen«, flüsterte sie ihm ins Gesicht.
»Woher willst du wissen, dass mir das nicht gefallen würde?«, fragte er. Das raue Haar seines Bartes strich über ihre Lippen, während seine Hände an ihren Schenkeln hochfuhren und sich an ihrem unteren Rücken trafen.
Jetzt pochte ihr Herz aus ganz anderen Gründen.
Er versuchte, die winzige Lücke zwischen ihren Mündern zu schließen, doch Sage lehnte ihren Kopf nach hinten. »Mir fällt auf, dass du dir offenbar keine Sorgen machst, irgendjemand könnte erfahren, dass wir beide hier sind.«
»Und mir fällt auf, was du unter diesem Hemd nicht anhast.« Seine Hände glitten unter der Seide an ihrem Rücken herauf, und er zog sie fest an sich.
»Alex.«
Er hielt inne und wartete. Sage wandte ihren Blick ab und strich mit den Fingern über seinen rechten Bizeps. Der Muskel war unter der vernarbten und tätowierten braunen Haut stahlhart. Die Stellen, wo er in hellen Grün- und Violett-Tönen tätowiert war, fühlten sich ein wenig anders an als die kräftig roten, blauen und schwarzen Stellen auf der linken Seite. Soldaten würden niemals ihren Schwertarm gefährden, und das machte die Salbeiblätter und Blumen auf dem rechten Arm nur noch bedeutungsvoller. Sie war seine Stärke. Sie war das, wofür er alles riskierte. »Heißt das, du hast es dir anders überlegt?«, flüsterte sie.
»Mit dir zu schlafen, meinst du?« Alex löste eine Hand und hob damit ihr Kinn, damit sie ihn ansah. »Oder besser gesagt, dass ich vor unserer Hochzeit nicht mit dir schlafen will?«
Sage schnappte bebend nach Luft, während sie ihm in die glutvollen Augen sah. »Ja.«
»Nein.«
»Dann musst du damit aufhören«, sagte sie und schüttelte den Kopf, um ihre Enttäuschung zu verbergen. »Du kannst uns nicht ständig an den Rand unserer Selbstbeherrschung treiben. Irgendwann überschreitest du die Grenze. Und dann wirst du dich selbst dafür hassen.« Mehr als du müsstest, fügte sie stillschweigend hinzu.
Alex seufzte und ließ seine Stirn gegen ihre Schulter sinken. »Du hast recht«, sagte er und küsste ihr Schlüsselbein. »Es tut mir leid.« Er nahm seine andere Hand unter ihrem Hemd weg.
»Warum nur musst du so verdammt ehrenhaft sein?« Sage umschloss seinen Nacken mit ihren Fingern und spielte mit seinen nassen Haaren.
Er hob den Kopf und sah sie an. »Deinetwegen«, antwortete er ernst. »Was sollte denn sonst zählen?«
7
Trotz dieser ehrenhaften Erklärung ließ Sage sich länger von Alex im Wasser halten, als sie sollte, und anschließend schmiegte sie sich noch länger am Feuer an ihn. Sie teilten sich das Essen, das er mitgebracht hatte, tranken casmunischen Tee und erzählten sich von den Orten, die sie sich eines Tages gegenseitig zeigen wollten. Alex versprach, mit ihr zu den Hügeln im Osten zu reisen, wo seine Großeltern lebten, und Sage schwärmte ihm von den riesigen Getreidefeldern Cresceras und den dortigen Wäldern vor, in denen sie sich auch mit verbundenen Augen zurechtfand. In diesen kostbaren Stunden verschwendeten sie keinen Gedanken an den Krieg oder die langen Monate, die sie getrennt verbracht hatten und auch wieder verbringen würden. Dennoch ging ihre gemeinsame Zeit allzu schnell vorüber.
Als die letzten Sonnenstrahlen hinter den Bergspitzen verschwanden, kehrten sie zurück ins Lager der Norsaren. Sages Kleider scheuerten beim Gehen und ihre rosafarbene Haut spannte und juckte. Das schwefelige Wasser hatte sie ausgetrocknet, und Sage musste sie einölen, um die Heilung zu unterstützen und sie wieder geschmeidig zu machen. Alex wollte noch einmal ihre Narben sehen. Sie ertrug es kaum, sie ihm zu zeigen, doch er bestand darauf.
»Das sieht so hässlich aus«, flüsterte sie und musste die Tränen unterdrücken, als er mit seinen schwieligen Fingern über ihr linkes Bein strich. Sie fand es schrecklich, dass seine Berührung sich dort so anders anfühlte; an manchen Stellen spürte sie sie kaum, und an anderen hatte sie das Gefühl, dass er unmittelbar ihren Knochen berührte.
Alex bückte sich, um ihr Schienbein zu küssen. »Ich weiß noch sehr genau, wie es am Anfang aussah, Sage, und dem Geist sei Dank warst du stark genug, deine Verletzung zu überleben. Die meisten sind es nämlich nicht.«
So musste man es sehen. Sie war noch am Leben, andere nicht. Selbst als sie vor lauter Schmerz völlig benommen gewesen war, hatte sie den penetranten Geruch von verbranntem Fleisch wahrgenommen, der von vielen Hundert Leichen ausgegangen war. Von Menschen, die sie auf dem Gewissen hatte, weil sie die Waffe entfesselt hatte, die am Ende auch sie selbst verbrannt hatte. Eine Zeit lang hatte sie sich deswegen gewünscht, sie wäre ebenfalls in den Flammen umgekommen. Und die Erinnerung an diese Stunden verfolgte sie in ihren Träumen ebenso wie das Feuer.
Alex’ Haltung hatte sich während ihres Rückwegs immer weiter verändert, je näher sie dem Lager kamen, und als es schließlich in Sichtweite war, bemerkte Sage, wie er kurz innehielt und die Kommandeursrolle wieder überstreifte wie einen unsichtbaren Umhang. Das gefiel ihr einerseits, weil es offenbar eine Seite an ihm gab, die er nur ihr zeigte. Es bedeutete aber andererseits auch, dass es Zeiten und Orte gab, in denen sie in seinem Leben keine Rolle spielen konnte. »Was passiert eigentlich, wenn ihr hier fertig seid?«, fragte sie leise.
»Dann ziehen wir nach Tennegol, um uns dem König zu präsentieren. Durch einige Schauübungen werden wir die Ratsmitglieder beruhigen und unter Beweis stellen, dass ich meiner Aufgabe, die Norsaren zu trainieren, gerecht geworden bin.« Er drückte ihre Hand und schaute sie an. »Und wenn ich Zeit habe, werde ich dich in dunkle Ecken zerren und dir die Haare zerwühlen.«
Das war ein immer wiederkehrender Witz zwischen ihnen, seitdem er bei ihrem ersten Kuss ihre Frisur in Unordnung gebracht hatte. Und im Grunde auch beim zweiten. Sie grinste breit. »Dann bist du also zur selben Zeit dort wie ich? Warum hast du das nicht früher gesagt?«
Er zuckte die Achseln und grinste ebenfalls. »Weil ich nicht daran gedacht habe. Ich glaube, deine Ankunft hat mich schlichtweg überwältigt.«
Es war fast zu gut, um wahr zu sein. »Dann freue ich mich ja noch mehr über Lanis Besuch, denn ohne sie wäre ich auch nicht dort.« Sage machte eine Pause. »Und wohin geht’s danach?«
»Nach Tasmet und an die Grenze zu Kimisara«, antwortete er und seufzte, als ihm wieder bewusst wurde, in welcher Situation sie sich befanden. »Wir haben seit Monaten nichts gehört, aber wer weiß, was für ein Chaos nach König Ragats Tod über uns hereinbrechen wird. Vielleicht sind die Kimisaren jetzt verzweifelter denn je, und neue Herrscher glauben oft, sich erst einmal beweisen zu müssen. Daher müssen wir auf alles gefasst sein.«
Es war nicht Alex’ Art, vor einem Kampf zurückzuschrecken, und doch schien es, als würde er einer Auseinandersetzung in diesem Fall ausnahmsweise lieber aus dem Weg gehen. Sie verschränkte ihre Finger mit seinen. »Du klingst besorgt.«
»Nicht so, wie du jetzt vielleicht denkst«, sagte Alex. »Es ist nur …« Seine Stimme verklang, und der unsichtbare Umhang schien sich noch enger um ihn zu legen.
Sie konnte nachvollziehen, was in ihm vorging. Auf ihm lastete großer Erfolgsdruck, und er wollte beweisen, dass er diesen Posten bekommen hatte, weil er ihn verdiente, und nicht, weil sein Vater der befehlshabende General war. Abgesehen davon stand mehr denn je auf dem Spiel. Sage war sich sicher, dass niemand, der Alex direkt unterstellt war, seine Fähigkeiten ernsthaft anzweifeln würde, aber Tausende kannten ihn nur vom Namen her.
