Gefühle wollen gelebt werden - Stefanie Carla Schäfer - E-Book

Gefühle wollen gelebt werden E-Book

Stefanie Carla Schäfer

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Beschreibung

Die meisten von uns haben gelernt, bestimmte Gefühle auszublenden oder gar zu bekämpfen: Wut, Angst, Trauer, Scham gehören nicht eben zu den Emotionen, über deren Auftauchen wir begeistert sind. Und doch haben sie die gleiche Daseinsberechtigung wie die immer gern gesehene Freude, die Liebe und die Geborgenheit. Die Autorin nimmt uns mit auf die Reise durch das Land der menschlichen Gefühle, erklärt, was uns bestimmte Emotionen sagen – und wie wir auf konstruktive Weise mit ihnen umgehen können. Dazu gibt es einen Leitfaden für eine persönliche Gefühlsinventur, die Arbeit mit dem eigenen Schatten und Erste-Hilfe-Strategien für den Fall, dass wir doch einmal überwältigt sind von einer Emotion. Denn: Nur wer frei ist, alles zu fühlen, ist wirklich lebendig.

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Stefanie Carla Schäfer

GEFÜHLE

wollen

gelebt

werden

Entdecke deine Lebendigkeit

Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

1. eBook-Ausgabe 2021© 2021 Scorpio, ein Imprint der Europa Verlage GmbHUmschlaggestaltung: Guter Punkt, München, unter Verwendungvon Motiven von Adobe Stock und iStock/Getty Images PlusLektorat: Madita Hofmann, MünchenLayout und Satz: Madita Hofmann & Danai Afrati

Konvertierung: Bookwire

ePub-ISBN: 978-3-95803-345-0

Alle Rechte vorbehalten.www.scorpio-verlag.de

»Wir denken zu viel und fühlen zu wenig.«

Charlie Chaplin

Inhalt

Einleitung

Das verborgene Paradies wiederfinden

Was sind Gefühle und Emotionen?

Das verborgene Paradies

1. Schicht: Essenz· 2. Schicht: Emotionale Verletzungen und Wunden· 3. Schicht: Die Schutzschicht

Die Funktion der Gefühle

Die Bühne unserer Gefühle

Bedrohliche Gefühle

Veränderungen im Umfeld· Angst vor unbewussten Gefühlen· Die Angst, nicht mehr gemocht zu werden· Angst vor Kontrollverlust· Alles zu seiner Zeit

Anti-Fühl-Strategien

Anti-Fühl-Strategie Nr. 1: Aktionismus· Anti-Fühl-Strategie Nr. 2: Essen· Anti-Fühl-Strategie Nr. 3: Alkohol· Anti-Fühl-Strategie Nr. 4: Arbeit· Anti-Fühl-Strategie Nr. 5: Konsum· Anti-Fühl-Strategie Nr. 6: Beziehungen· Anti-Fühl-Strategie Nr. 7: Beim anderen sein

Authentizität gewinnen

Bestandsaufnahme: Unser Leben als Spiegel

Eine sichere Basis schaffen: Die eigenen Ressourcen kennen

Emotionale Ressourcen

Sicherheit· Vertrauen· Kontakt· Zeit und Geduld· Hobbys· Humor· Meditation· Persönlichkeitsentwicklung· Glaube

Körperliche Ressourcen

Sport

Äußere Ressourcen

Der Beruf· Die Natur

Die Praxis der Gefühle: Wahrnehmen, wertschätzen, ausdrücken

Drei Schritte, um Gefühle zu leben

1. Schritt: Wahrnehmen des Gefühls· 2. Schritt: Annehmen und Wertschätzen des Gefühls· 3. Schritt: Ausdrücken des Gefühls· In drei Schritten zum eigenen Schloss· Verantwortung für Gefühle

Die Rolle des Atems

Gefühle befreien durch Atemarbeit

Bewegung und Stille

Die Gefühlspaare: Zwei Seiten einer Medaille

Angst und Vertrauen

Schmerz und Lust

Wut und Liebe

Traurigkeit und Freude

Neid und Zufriedenheit

Einsamkeit und Geborgenheit

Scham und Selbstermächtigung

Bedürftigkeit und Stärke

Stolz und Demut

Zeit zum Aufräumen: Gefühlsinventur

Mutter und Vater

Die Prägung durch die Mutter· Die Prägung durch den Vater

Das innere Kind

Spieglein, Spieglein …

Gefühle im Kontakt

Raum für Gefühle· Mitfühlen· Bei sich und beim anderen sein· Mein oder dein? Verführung durch Projektionen· Projektion ungeliebter Anteile· Projektion von Wünschen· Projektion bestimmter Archetypen

Beziehung als Chance

Die Arbeit mit dem Schatten

Bestandsaufnahme

Vergebung

Ballast abgeben

Die eigene Kraft

Selbstliebe

Stufen der Selbstliebe· Den eigenen Körper gut behandeln· Das Bewusstsein eigener Verantwortung· Selbstliebe fühlen· Der äußere Spiegel

Gefühle im Körper

Die Symbolik des Körpers

Die Hände: Handeln, in die Tat umsetzen· Die Schultern: Verantwortung tragen· Der Kopf: Schalt- und Steuerungszentrale· Die Wirbelsäule: Innerer Halt· Nacken und Hals: Flexibilität· Die Beckenregion: Fortschritt und Sexualität· Der Bauch: Das zweite Gehirn· Die Beine: Wo geht es hin?· Die Knie: Beugen und strecken· Die Füße: Vertrauen

Körperhaltung und -sprache

Gefühle und Stimme

Gefühle und Organe

Die Milz· Die Lunge· Die Nieren· Die Leber· Das Herz

Wenn Gefühle krank machen

Den Körper befragen

Gefühle in Bewegung

Für mehr Stabilität: Die Kraft in der Mitte· Auf den Boden der Tatsachen kommen: Erdung und Bodenhaftung

Das Herz als Kompass

Erste Hilfe für Gefühle

Ich fühle nichts!

Erziehung· Inneres Einfrieren· Andere Prioritäten· Kloß im Hals

Frisch verlassen

Drama, Drama, Drama

Ich sitze auf einem Pulverfass

Posttraumatische Belastungsstörungen

Sucht – ich kann es nicht lassen

Ich will das nicht fühlen!

Angst und Panik

Krisenzeit

Trennungswunsch, aber Angst vorm Alleinsein

Kummerspeck

Depression

Burn-out

Beratung und Therapie

Ein glückliches Leben führen: Seele im Gleichgewicht

Unsere psychologischen Grundbedürfnisse

Gefühle als Wegweiser

Die eigene Sehnsucht entdecken

Carpe diem!

1. Bringen Sie Ihre Gefühle zum Ausdruck und zeigen sich damit· 2. Folgen Sie Ihrer inneren Stimme· 3. Gestalten Sie Ihr Leben nach Ihren eigenen Vorstellungen· 4. Erkennen Sie Ihre Verantwortung als ein Geschenk· 5. Arbeiten Sie in einem Beruf, der Sie glücklich macht· 6. Verbringen Sie Zeit mit den Menschen, die Sie lieben· 7. Sie verdienen es, glücklich zu sein· 8. Leben Sie im Jetzt· 9. Trauen Sie sich!· 10. Lachen Sie über sich selbst

Literatur

Einleitung

Verschiedene Gründe mögen Sie zu diesem Buch geführt haben. Vielleicht spüren Sie, dass Sie Ihre Gefühle mehr leben und besser in Kontakt mit sich selbst sein möchten. Sie ahnen, dass es da noch mehr in Ihnen geben muss. Vielleicht wünschen Sie sich neue Lebendigkeit; möchten irgendwie aus dem gewohnten Alltag ausbrechen.

Möglicherweise befinden Sie sich auch gerade in einer seelischen Krise und suchen Hilfe, oder Sie möchten aufgrund einer körperlichen Krankheit möglichen emotionalen Ursachen auf den Grund gehen. Vielleicht waren Gefühle auch generell bislang eher unbekanntes Terrain für Sie, und nun möchten Sie anfangen, sich mehr damit auseinanderzusetzen?

Was auch immer Sie in diesem Moment bewegt, seien Sie gewiss: Sie sind – so wie Sie sind – genau richtig! Alles, was Sie fühlen oder auch nicht fühlen, was Ihnen derzeit bewusst ist oder noch nicht, hat seine Berechtigung und seine Geschichte. Ihre ganz persönlichen Erfahrungen in Familie, Beruf und Beziehungen, gepaart mit Ihrem Willen und Ihren Entscheidungen haben Sie bis zum jetzigen Zeitpunkt geprägt und zu der Person gemacht, die Sie heute sind.

Alles im Leben hat seinen Sinn. Genauso wie jeder Teil unseres Körpers seine eigene Funktion erfüllt und harmonisch als Teil eines Ganzen wirkt, spielen auch alle unsere Gefühle und Emotionen eine wichtige Rolle.

Als Kinder haben wir diese noch ganz natürlich erlebt und ausgedrückt: Wir lachten und freuten uns über unser neues Spielzeug, weinten ungehemmt, wenn wir uns wehtaten und brüllten vor Wut und Schmerz, um auf uns aufmerksam zu machen.

Leider lernten wir aber auch schon früh, dass gewisse Gefühle anscheinend weniger willkommen waren als andere: »Gute Kinder sind nicht laut«, »Sei nicht so empfindlich«, »Wenn du nicht aufhörst zu weinen, bleibst du zu Hause« – diese oder ähnliche Konditionierungen hat jeder von uns in der einen oder anderen Form mitbekommen, wenn unsere Eltern mit unseren Gefühlsimpulsen überfordert waren.

So kam es, dass wir uns beim Aufwachsen emotional den Anforderungen in unserer Familie und dem sozialen Umfeld anpassten. Der kleine Sonnenschein war schließlich beliebter als die Heulsuse, der fleißige Junge bekam mehr Zuspruch als der unbequeme Wildfang.

In dem Wunsch, geliebt zu werden, beschlossen wir unbewusst, bestimmte Gefühle nicht mehr zu fühlen, und schnitten den Kontakt zu ihnen teilweise oder sogar ganz ab.

Allerdings sind alle diese Gefühle immer noch da, meist gut versteckt unter einer dicken Schicht von Anpassung, Vergessen und Funktionieren. Von dort aus steuern sie im Verborgenen unser Leben, beeinflussen unsere Beziehungen, unsere Gesundheit und entscheiden über Erfolg und Scheitern im Beruf. Viele von uns tragen eine Maske, die sogar hübsch aussehen mag, hinter der sich jedoch oft noch ein verletztes, einsames oder wütendes Kind verbirgt.

Durch die allgemein verbreitete Angewohnheit, nur die »guten« Gefühle zu bejahen und gleichzeitig die »schlechten« zu verleugnen, blockieren wir uns aber in vielerlei Hinsicht selbst!

Zum Glück bietet uns das Leben durch unsere Erfahrungen in allen Bereichen großzügig Möglichkeiten, unseren Gefühlen wieder zu begegnen und mit ihnen neue Lebendigkeit zu gewinnen.

Neben angenehmen Erlebnissen, die uns Freude bereiten, sind es vor allem die schwierigen Momente, die unser Lebenspuzzle vervollständigen.

Trennungen, Misserfolge oder Krankheiten sind im ersten Moment wenig erfreulich, bieten aber doch gleichzeitig eine wertvolle Gelegenheit zu persönlichem Wachstum. Sie konfrontieren uns mit unserer emotionalen Schattenseite, die wir lieber verdrängen, als sie bewusst zu fühlen.

Sind Sie bereit für einen neuen Weg? Einen Weg zu mehr Lebendigkeit, Lebensfreude und Tiefe, als Sie sie bisher kannten? Sehnen Sie sich nach einem Gefühl innerer Freiheit, wünschen sich manchmal, einfach alles abzuschütteln, was Sie blockiert, um dann wie ein Phoenix aus der Asche aufzustehen und ein glückliches Leben zu führen?

Sie werden überrascht sein, wie sich Ihre wahren Gefühle zu Trittsteinen auf dem Weg in dieses neue Leben verwandeln können. Denn wenn Sie »Ja« zu sich selbst sagen – mit allen Gefühlen, die zu Ihnen gehören –, werden Sie automatisch zum Gewinner.

Bringen Sie Licht in Ihr persönliches Dunkel, und Sie werden für diesen Mut belohnt. Wenn es Ihnen gelingt, Ihre Traurigkeit, Ihre Wut und Ihren Schmerz willkommen zu heißen, werden Sie feststellen, dass sie nach und nach ihren Schrecken verlieren. Mehr als das: Wenn Sie diesen Gefühlen statt der üblichen Ablehnung fortan Ihre ehrliche Aufmerksamkeit schenken, erhalten Sie damit Ihre Kraft zurück!

Sie werden feststellen, dass alle diese Gefühle ihre Berechtigung haben: Die Traurigkeit, die Sie reinigen wird, wenn Sie sich ihr stellen. Die Wut, die Sie in Ihre Kraft bringen möchte, wenn Sie sich dorthin trauen. Der Schmerz, der Sie innerlich wachsen und reifen lässt, wie es kein äußerer Lehrer jemals vermag. Auf diesem Weg werden Sie sich vollständiger fühlen, und Körper und Seele können aufatmen.

Schließlich werden Sie im Fühlen Ihrer wahren Gefühle einen Schlüssel entdecken, der die Tür zu Ihren verborgenen Sehnsüchten wieder öffnen wird. Denn Ihre Träume und Lebendigkeit liegen oft unter blockierten Gefühlen verborgen und werden immer deutlicher spürbar, wenn Sie anfangen, sich emotional zu öffnen. Ihre Gefühle weisen Ihnen den Weg, wie Sie Ihr Leben mit der Zeit immer bewusster gestalten und genießen können.

Das wird sich auch in Ihren Beziehungen widerspiegeln: Wenn Sie in Kontakt mit Ihren Gefühlen sind und diese authentisch ausdrücken, werden Sie auch für andere Menschen spürbarer. Fühlen ist so menschlich!

Auf Ihrer Reise machen Sie vielleicht sogar folgende überraschende Entdeckung: Alle Ihre Gefühle sind in Wahrheit Freunde, von denen Sie manche vorübergehend falsch eingeschätzt und im Keller eingesperrt hatten. Freunde, die eigentlich immer auf Ihrer Seite waren und die Sie jetzt befreien.

Wie fühlt es sich an, diese nach so langer Zeit wieder bei sich zu haben? Richtig, das fühlt sich sehr gut an … und wird ungeahnte Kräfte freisetzen. Deshalb lassen Sie uns die Masken abnehmen und auf eine Reise zu unseren Gefühlen gehen.

Dieses Buch möchte Sie auf dem Weg begleiten. Lesen Sie es nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit Ihrem Herzen. Fühlen Sie sich darin bestärkt, »Ja« zu sich selbst zu sagen – mit allen Gefühlen, die zu Ihnen gehören.

Herzlichst,

Stefanie Carla Schäfer

Das verborgene Paradies wiederfinden

Was sind Gefühle und Emotionen?

Was ist das eigentlich genau, ein Gefühl? Wie lässt sich so etwas Flüchtiges, Subjektives in Worte fassen? Gefühle faszinieren den Menschen, ungeachtet seiner Nationalität und Herkunft, schaffen ein Spektrum von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt. Sie sind eine Inspiration für kreatives Schaffen, werden in Gedichten, Geschichten, Bildern und besonders gerne auch durch Musik zum Ausdruck gebracht. Gefühle verbinden uns Menschen miteinander, machen uns menschlich.

Natürlich hat sich auch die Psychologie hierzu viele Gedanken gemacht und verschiedene Erklärungen entwickelt. Sie unterscheidet zwischen Emotionen und Gefühlen.

Emotionen werden als kurzfristige und spontane Gefühlsbewegungen im Sinne von Affekten beschrieben: Lachen über Situationskomik, plötzlich aufsteigende Traurigkeit beim Anschauen eines Liebesfilms. Wenn wir jemanden als emotional bezeichnen – beispielsweise ein temperamentvoller, wild gestikulierender Mensch –, meinen wir damit in der Regel, dass diese Person über einen lebendigen und intensiven Gefühlsausdruck verfügt. Dagegen wird jemand als »emotionslos« bis hin zu »herzlos« wahrgenommen, wenn er sich stets distanziert und kontrolliert verhält, etwa ein kühler Vorgesetzter.

Im Gegensatz zu Emotionen sind Gefühle etwas komplexer. Die Psychologie beschreibt sie ganz sachlich als »seelische Zustände, die ohne Mitwirken des Bewusstseins als Reaktion auf inneres oder äußeres Geschehen auftreten und meist als angenehm oder unangenehm empfunden werden«.

Kopf und Herz sitzen bekanntermaßen nicht immer im gleichen Boot. Unser Denken und unser Wille können die emotionale Ebene zwar harmonisch unterstützen und bis zu einem bestimmten Punkt positiv beeinflussen, aber manche Gefühle entstehen einfach als natürliche Reaktion auf die Geschehnisse in unserem Leben. Wir werden später entdecken, warum das sinnvoll ist.

Wohlbekannt sind uns allen auch bestimmte positive und negative Bewertungen zu verschiedenen Gefühlen. Das Empfinden von Freude und Spaß ist fast jedem willkommen; fühlen wir uns dann doch leicht und beschwingt. Schmerz, Trauer und Wut sind dagegen recht unbeliebt. Gern werden sie vermieden und verleugnet, dabei gehören sie genauso zum Leben dazu.

Manchmal liest man in diesem Zusammenhang von »toxischen« Gefühlen, die zerstörerisch und unkontrolliert ihr Unwesen im Menschen treiben.

Gerade hier liegt die große Gefahr: Etwas Schlechtes möchte niemand haben, deshalb wird es innerlich abgespalten. Destruktiv sind diese Gefühle aber nur, solange sie blockiert werden und im Verborgenen schwelen. Sobald auch Wut und Schmerz, Angst und Ärger bejahend gefühlt und auf gesunde Art ausgedrückt werden – sie gehören zum Menschsein dazu –, verlieren sie ihren Schrecken und können sich verwandeln. Wir kommen wieder näher zu uns selbst, werden authentischer und fühlen uns innerlich vollständiger. Im Laufe dieses Buches werden Sie entdecken, wie dies gelingen kann.

Das verborgene Paradies

Es gibt ein einfaches und wunderbares Modell, welches unsere verschiedenen Gefühls- und Erlebensschichten veranschaulicht. Es kann Ihnen dabei helfen, Ihre Gefühle, Ihre Entwicklung und Ihr heutiges Handeln besser zu verstehen. Drei verschieden große ineinander liegende Kreise symbolisieren drei unterschiedliche persönliche Ebenen. Alle Ebenen werden Ihnen vermutlich mehr oder weniger bekannt sein, denn jeder befindet sich mal in der einen Zone oder reagiert aus der anderen heraus.

(nach A.H. Almaas)

1. Schicht: Essenz

Der innerste Kreis steht für einen Zustand größter innerer Verbundenheit, Harmonie und den »Flow«, den wir erleben, wenn wir uns völlig im Einklang befinden. Manche Menschen erleben solche Momente beim Sport, andere in der Liebe, und auch in der Natur ist es möglich, solche verbundenen und inspirierten Augenblicke zu genießen. In diesen Momenten sind wir ganz mit uns und dem Leben verbunden. Es fühlt sich an wie ein inneres Paradies, wie der Himmel auf Erden.

Wir alle haben uns am Anfang unseres Lebens in diesem Zustand befunden, voller Vertrauen, Unschuld und Natürlichkeit. Babys und kleine Kinder sind noch voll und ganz mit ihrer Essenz verbunden, frei von jeglichen Prägungen und Konditionierungen, die erst später im Aufwachsen entstehen. Auch wenn wir als Erwachsene seltener diese essenzielle Verbundenheit spüren, so ist sie nach wie vor in uns angelegt. Sie wartet darauf, dass wir uns wieder mit ihr verbinden und so in einen natürlichen Zustand von Harmonie und Selbstliebe gelangen.

2. Schicht: Emotionale Verletzungen und Wunden

Wenn wir aufwachsen, werden wir stark von unserer Familie und unserem Umfeld beeinflusst. Unsere Essenz wird sozusagen in eine Form gedrückt, wir bekommen einen Stempel, der uns energetisch prägt. In den meisten Familien begegnet ein Kind bewussten oder unbewussten Erwartungshaltungen und Bedingungen der Eltern. Nur selten lernt es, dass es liebenswert ist um seiner selbst willen, mit allem was zu ihm gehört. Es entstehen emotionale Verletzungen – unsere zweite Schicht entsteht. Wenn wir uns in heutigen Beziehungen und Auseinandersetzungen getroffen fühlen, befinden wir uns in dieser Schicht, die unsere verletzten Gefühle, Wut, Schmerz und Traurigkeit beinhaltet.

3. Schicht: Schutzschicht

Wir haben eine dritte Schicht entwickelt, um uns zu schützen. Diese dritte Schicht hilft uns vermeintlich dabei, unsere verletzten Gefühle der zweiten Schicht nicht zu spüren.

Wenn wir uns in unserer Schutzschicht befinden, agieren wir in Form von Anklage des anderen, Manipulation, Aggression oder Opferverhalten, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wir reagieren oft instinktiv und schnell, ohne zu fühlen, warum wir dies tun. Es handelt sich aber nur um einen vermeintlichen Schutz, denn wir sind in diesem Moment ganz weit von unserer Essenz entfernt, vom innersten Kreis. Wir sind weder nah bei uns selbst, noch sind wir dem anderen nah.

Wenn Sie Ihre Gefühle besser kennenlernen möchten, besteht ein erster Schritt darin, sich im Alltag an diese drei Schichten zu erinnern. Fragen Sie sich in verschiedenen Momenten immer mal wieder: In welchem Bereich befinde ich mich gerade? Beobachten Sie, in welchen Situationen Sie sich nah bei sich selbst fühlen und wann Sie aus Ihrer Schutzschicht heraus handeln.

Der Weg zu Ihren Gefühlen führt Sie vom äußersten Kreis immer mehr nach innen. Es erfordert Mut, Ihre Schutzschicht zu verlassen und sich bewusst den Gefühlen zu stellen, denen Sie in der zweiten Schicht begegnen werden. Durch diese Reise werden Sie aber letztlich damit belohnt werden, immer mehr Verbundenheit zu erleben und dem Paradies in sich näher zu kommen, welches durch die beiden äußeren Schichten verborgen ist.

Der wichtigste Schritt dabei ist die Entscheidung, sich auf den Weg zu machen. Wenn Sie sich selbst das Versprechen dazu geben, bekommen Sie vom Leben automatisch Rückenwind.

Die Funktion der Gefühle

Tatsächlich hat jedes Gefühl seine Berechtigung und seinen Auftrag. Wenn Sie sich neugierig und offen dem jeweiligen Gefühl zuwenden und es vor allem fühlen, können Sie in ihm einen wertvollen Wegweiser erkennen.

Gerne vergleiche ich Gefühle mit dem Wetter. Es gibt Sonne, Regen, Schnee, Gewitter, es gibt Hochs und Tiefs. Alle Nuancen gehören zum Leben und nicht nur das, die Natur braucht sie sogar, um im Gleichgewicht zu bleiben. Genauso verhält es sich mit unseren Gefühlen. Vergleichen wir etwa die Traurigkeit mit dem Regen, so ist uns beides oft nicht willkommen, und dennoch haben sowohl Regen als auch Tränen eine reinigende Wirkung. Denken wir an Wut, so macht diese vielen Menschen Angst und wird vermieden, doch genau wie ein klärendes Gewitter kann sie im positiven Sinne dafür sorgen, dass die Luft anschließend wieder klar und ein neues Gleichgewicht hergestellt ist.

Wenn wir uns näher mit unseren Gefühlen beschäftigen, werden wir entdecken, dass sie alle einen Grund haben und uns weiterbringen möchten, wenn wir uns ihnen freundlich zuwenden. Oft funktionieren sie wie Wegweiser, wie ein Kompass, der uns leiten möchte und der uns, wenn wir offen dafür sind, die nächsten Schritte in unserem Leben zeigt.

Wenn wir Gefühle wirklich annehmen, fühlen und gut für uns sorgen, bleiben sie auch nicht auf Dauer, sondern ebben wie eine Welle wieder ab.

Leider lernen wir im Aufwachsen selten, alle Gefühle gleichermaßen mit offenen Armen willkommen zu heißen, und auch unser Gehirn bevorzugt im Sinne des Überlebens positive Emotionen. So kommt es, dass die meisten von uns alte, verdrängte Gefühle in sich tragen, sogenannte Schattenanteile. Sie wünschen sich unsere Annahme, um uns im heutigen Leben nicht zu blockieren.

Wenn es uns gelingt, die Bewertungen von »gut« und »schlecht« loszulassen und durch die akzeptierende Einstellung »Es ist, was es ist« ersetzen, sind wir schon einen guten Schritt weiter.

Auf die einzelnen Gefühle und ihre Bedeutung gehe ich im Kapitel »Die Gefühlspaare – Zwei Seiten einer Medaille« näher ein. Gefühle haben nämlich alle einen Gegenpol, den es zu entdecken gilt und der unser Leben bereichert. Dort finden Sie auch Impulse, die einzelnen Empfindungen in Ihrem Leben zu erforschen. Wenn Sie erkennen, welche Funktionen diese Gefühle in Ihrem Leben erfüllen, wird es leichter, sich mit der Zeit auch mit abgelehnten Empfindungen anzufreunden und die Lebendigkeit zu erkennen, die sie Ihnen schenken können.

Die Bühne unserer Gefühle

Zwischenmenschliche Beziehungen bilden die Grundlage für unser emotionales Erleben. Sie sind der Entstehungsort und die Bühne für die meisten unserer Gefühle. Was wir im Kontakt mit anderen erleben, kann in uns Freude, Liebe, Wut, Traurigkeit, Eifersucht und so vieles mehr auslösen. Unser emotionales Erleben ist umso intensiver, je tiefer die Bindung, und umso prägender, je jünger ein Mensch ist.

Zwischenmenschliche Nähe ist ein ganz natürliches Bedürfnis. Menschen brauchen Menschen. Unser Wunsch nach Kontakt, emotionaler und körperlicher Nähe ist gesund und wichtig, und letztlich lässt sich dieses Bedürfnis auf eine ganz ursprüngliche Ebene zurückführen:

Wir sind biologisch gesehen – so einfach es klingt – immer noch Säugetiere. Diese brauchen gerade in der ersten Zeit nach der Geburt viel körperliche Zuwendung, um gesund im Leben bestehen zu können. Daran ändert sich auch später nicht viel, obwohl wir in unserer modernen Zeit mit ihren Vorzügen von Freiheit, Selbständigkeit und Emanzipation manchmal den Kontakt zu unseren ursprünglichen Bedürfnissen nach Nähe und Gehaltenwerden verloren haben.

Interessant sind in diesem Zusammenhang neuere wissenschaftliche Erkenntnisse des Amerikaners Stephen Porges. Der Professor, der sich im Bereich der Traumaforschung mit der Bedeutung des Nervensystems beschäftigte, fand heraus, dass der für Entspannung zuständige Vagusnerv unseres Körpers in seiner Funktion maßgeblich von sozialen Komponenten beeinflusst wird. Dieser Hauptnerv des parasympathischen Systems gliedert sich Porges‘ Erkenntnissen zufolge in einen ventralen, vorderen und einen dorsalen, also hinteren Anteil, wobei der vordere Anteil auf positive soziale Reize, beispielsweise in Form von vertrauensvollem zwischenmenschlichem Kontakt, mit körperlicher Entspannung reagiert.

Betreten wir beispielsweise einen Raum mit fremden Menschen, antwortet unser System – abgesehen von unseren bewussten Gedanken – sofort auch auf rein physiologischer Ebene, mit Impulsen von »Hier fühle ich mich sicher – ich kann bleiben« oder aber auch mit »Hier droht Gefahr – ich möchte woanders hin«. Viele dieser Prozesse spielen sich in ganz alten Hirnregionen ab und entziehen sich dem Einfluss unseres bewussten Verstandes.

Wir sind also nach wie vor »Herdentiere« und brauchen auf einer ganz biologischen Ebene die Sicherheit und den Schutz einer sicheren »Herde«, um uns zu entspannen.

Als Mensch unter Menschen zu sein, eröffnet uns auch erst die ganze Fülle unseres emotionalen Erlebens.

Wenn Menschen verletzt oder ängstlich sind, neigen sie bisweilen dazu, Nähe und Kontakt zu meiden oder vorzugeben, dies gar nicht zu wollen oder zu brauchen. Dieser Vorwand dient der Schmerzvermeidung und scheint das Leben zunächst leichter zu machen – hält aber auch die Gefühle auf Abstand und macht einsam – irgendetwas fehlt.

Beziehung bedeutet auch immer die Konfrontation mit Gefühlen, möglicherweise auch mit alten Wunden. Was im Kontakt entstanden ist, kann aber auch im Kontakt heilen, so heißt es.

Bedrohliche Gefühle

Viele Menschen haben Angst vor dem, was an unbekannten oder verdrängten Gefühlen in ihnen schlummert.

Jeder Mensch hat seine Geschichte und Gründe, warum er bestimmte Gefühle und Erinnerungen in sich vergraben hat. Das war zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich sinnvoll.

Früher oder später klopfen diese Dämonen der Vergangenheit jedoch wieder an und möchten sichtbar werden. Die Angst vor den unbekannten Welten in unserem Inneren scheint hierbei umso größer zu sein, je mehr sich deren vermutete Natur von dem Bild unterscheidet, welches wir nach außen hin verkörpern.

Ich erinnere mich an eine attraktive Karrierefrau, die mir erzählte, dass sie mit »diesen psychologischen Techniken« gar nicht in Berührung kommen wolle. Später erzählte sie mir ansatzweise von ihrer Kindheit, und ich ahnte, dass diese erwachsene Frau so leistungsorientiert und »tough« geworden war, weil sie sich als kleines Mädchen stets beweisen und hervortun musste, um überhaupt Beachtung und Anerkennung zu bekommen. Der Schmerz und die Scham dieses kleinen Mädchens passten so gar nicht zu dem Bild, das sie als erwachsene Unternehmerin verkörperte, sie empfand diese alten Gefühle als bedrohlich und wollte sie um jeden Preis vermeiden.

Wir brauchen Vertrauen, verlässliche Unterstützung und einen inneren Wunsch, zu wachsen, um uns Gefühlen zu stellen, die wir als bedrohlich empfinden. Oft ist es auch ein bestimmter Schmerz oder Leidensdruck, der uns die Reise nach innen antreten lässt.

Bei dieser Reise geht es letztlich darum, sich bewusst dem Herzen zuzuwenden und es wieder zu öffnen. Dadurch werden wir nach und nach mit verschiedenen Empfindungen und Gefühlen konfrontiert werden, die auf uns warten und gefühlt werden möchten. Manchmal sind diese verbunden mit Erinnerungen aus unserer Vergangenheit, die bei dieser Gelegenheit plötzlich aufsteigen.

Gleichzeitig werden wir die heilsame Erfahrung machen, unserer Empfindsamkeit wieder zu begegnen. Gelingt es uns, diese achtsam anzunehmen, können wir dadurch einem neuen Gefühl von Liebe zu uns selbst und dem Leben begegnen.

Wir werden diese Verletzlichkeit immer mehr als wertvolle Eigenschaft erkennen, die uns mit anderen Menschen verbindet. Denn nur ein offenes und empfindsames Herz kann das Leben ganz hereinlassen und ermöglicht Begegnung auf einer tieferen Ebene. Wenn wir uns dem emotionalen Schmerz stellen, den Wunden, wegen derer wir ursprünglich unser Herz verschlossen haben, kommt, bildlich gesprochen, endlich Luft an die Wunde, sodass sie beginnen kann zu heilen.

Unser Herz öffnet sich wieder – unseren Gefühlen, unseren Mitmenschen gegenüber und dem Leben und seinen vielen Qualitäten.

Veränderungen im Umfeld

Wieweit wir uns unseren verdrängten Gefühlen öffnen, unterliegt allein unserer eigenen Entscheidung und Verantwortung. Dabei spielt natürlich das Umfeld, in dem wir uns tagtäglich bewegen, eine entscheidende Rolle: Partner*in, Familie und Freund*innen. Spüren wir bei ihnen Offenheit, uns auch von einer anderen Seite zeigen zu können? Oder spüren wir hier bewusst oder auch subtil eine Erwartungshaltung uns gegenüber, die folgendermaßen aussehen könnte: »Du bist doch immer so stark, was ist mit dir los?«, »Als Ältester musst du dich verantwortungsvoll verhalten«, »Sorge für mich«, »Du hast dich um die Familie/Karriere/Bedürfnisse anderer Menschen zu kümmern«.

Oft haben sich die Erwartungen in familiären und Partnerbeziehungen über Jahre eingeschliffen, und Änderungen im emotionalen Haushalt eines Menschen haben Auswirkungen auf diese Beziehungen. »Ob ich noch geliebt werde, wenn ich an mich denke?« oder »Ich kann meine*n Partner*in nicht verlassen, er*sie kommt alleine nicht zurecht« sind typische Konfliktargumente, die in solchen Situationen aufkommen können.

Manchmal entsteht durch emotionale Entwicklungsprozesse größere Nähe, und die Beziehung wird gestärkt, manchmal entwickeln sich Beziehungen aber auch auseinander.

Das kann zunächst bedrohlich wirken, im Nachhinein stellt man aber möglicherweise fest, dass in der früheren Verbindung keine persönliche Weiterentwicklung möglich war.

Angst vor unbewussten Gefühlen

Manchmal können Gefühle wirklich Angst machen. Alles, was man nicht wirklich einschätzen und kontrollieren kann, wird gern mit Skepsis und Argwohn bedacht. Schließlich hat es auch seinen Grund, warum diese Gefühle damals ins Unbewusste verdrängt wurden – sie taten weh. Wie verlockend erscheint es dann, sich eine fröhliche Maske aufzusetzen!

Irgendwann im Leben macht sich bei vielen Menschen jedoch eine Sehnsucht bemerkbar – zum Glück! Dieses innere Drängen ist vergleichbar mit der Veränderung einer Raupe, die endlich zum Schmetterling werden möchte, weil ihr Kokon zu eng geworden ist. Die Sehnsucht sorgt dafür, dass auf dem einen oder anderen Weg Altes an die Oberfläche kommt und Unbewusstes wieder bewusst wird, um zu heilen. Durch Vertrauen und die Bereitschaft, alte Kontrollmechanismen abzulegen, kann schließlich ein wunderschöner Schmetterling entstehen.

Die Angst, nicht mehr gemocht zu werden

Oft haben Menschen Angst davor, mit ihren Gefühlen von Trauer, Schmerz und Wut abgelehnt zu werden. Das mag nicht selten damit zusammenhängen, dass sie bereits als Kind Ablehnung erfahren haben, wenn sie weinerlich, ängstlich oder wütend waren, was wiederum zeigt, dass eigentlich die Mutter oder der Vater ein Problem damit hatten. Diese Einstellungen wie »Anständige Mädchen dürfen nicht wütend sein« oder »Starke Jungs weinen nicht« haben wir übernommen, und wir sollten sie uns bewusst machen, damit wir sie nicht auch an unsere Kinder weitergeben.

Nehmen wir das Beispiel der Wut: Wenn ich mal richtig wütend werde, so die unbewusste Befürchtung vieler Menschen, dann mag mich keiner mehr. Dabei ist das Gegenteil der Fall! Jemand, der sich immer nur allzu nett verhält, läuft Gefahr, ausgenutzt und weniger respektiert zu werden als jemand, der deutlich seine Grenzen setzt und auch ab und zu auf gesunde Art und Weise wütend wird.

Solange Sie Ihr Verhalten und Ihren Gefühlsausdruck den Bedürfnissen Ihrer Umwelt anpassen, bleiben Sie in der Rolle des Kindes, das von der Liebe der Eltern abhängig ist und alles dafür tut. Wenn Sie jedoch anfangen, Ihre Gefühle zu spüren, auszudrücken und als Ihre »Freunde« zu begrüßen, die sie in Wahrheit sind, werden Sie die Erfahrung machen, dass Sie an Stärke und Unabhängigkeit gewinnen. Sie werden sich freier fühlen, weil Sie für sich einstehen, und es wird Ihnen weniger ausmachen, was andere sagen, da es Ihnen wichtiger geworden ist, sich selbst und Ihre eigenen Gefühle wertzuschätzen.

Angst vor Kontrollverlust

Viele Menschen erleben die Konfrontation mit ihren Gefühlen auch als bedrohlich, weil sie Angst haben, die sorgsam aufgebaute Kontrolle zu verlieren. Durch eine innerliche Distanz entsteht zunächst ein vermeintliches Gefühl von Sicherheit, das jedoch früher oder später immer wieder ins Wanken gerät, weil die alten Gefühle sich zeigen und heilen wollen. Beziehungsvermeidung, Isolation und Arbeitssucht sind mögliche Mechanismen, um Gefühle zu vermeiden.

Manche Menschen, die anfangen, sich mit Psychologie zu beschäftigen, glauben auch, durch die Kenntnis von Coachingtechniken selbst alle ihre Gefühle erschaffen zu können. Für Menschen, die etwas Schmerzhaftes erlebt haben, klingt so etwas verlockend, scheinen sie doch dann die komplette Kontrolle über erwünschte und unerwünschte Gefühle zu haben.

Solche Versprechen sind allerdings meines Erachtens genauso gefährlich, wie sich durch falsch verstandenes »positives Denken« das Gegenteil dessen einzureden, was man einfach nur nicht fühlen möchte.

Wenn ein geliebter Mensch stirbt, ist Trauer ein wichtiges Gefühl, wenn jemand immer wieder die Grenzen eines anderen verletzt, ist Wut ein gesunder Impuls; und wir vermeiden das Gefühl, indem wir uns nur im Kopf damit beschäftigen. Bedenken wir: Gefühle sind auch da, um unser Gleichgewicht wiederherzustellen, und dafür müssen wir sie fühlen.

Natürlich sind unsere Gedanken und eine positive Einstellung ganz wichtig, denn sie beeinflussen das Wohlbefinden ganz erheblich. Sicherlich gibt es auch großartige mentale Techniken, die richtig eingesetzt eine verblüffende und stärkende Wirkung haben. Manche Methoden haben aber ihre Grenzen einfach dort, wo Menschen sie anwenden, um damit dauerhaft ihre wahren Gefühle zu deckeln.

Heilsamer und gesünder ist es in meinen Augen, sich dem zu öffnen, was gerade da ist und es freundlich anzunehmen. Der bekannte Psychologe Robert Betz sagt dazu, man solle seine Gefühle »bejahend fühlen« und bringt es damit auf den Punkt.

Das Dilemma der verdrängten Gefühle, das viele Menschen kennen, erinnert an Sisyphus, der mit aller Kraft versuchte, den Felsblock den Berg hochzuschieben, und dabei ständig Gefahr lief, von ihm überrollt zu werden. Letztlich ist Verdrängung viel anstrengender als bewusstes Anschauen seiner Gefühle, da es einen großen Teil unserer Energie bindet, die uns sonst im Leben zur Verfügung stünde.

Übung: Befürchtungen identifizieren

Kommen Sie zur Ruhe, atmen Sie ein paarmal langsam und tief durch und sammeln Sie sich. Spüren Sie den Stuhl, der Sie trägt, und Ihre Füße auf dem Boden. Stellen Sie sich innerlich aufrichtig die Frage: Was befürchte ich, was passieren könnte, wenn ich meine wahren Gefühle entdecke? Achten Sie jetzt genau auf Ihre Gedanken, Ihre Körperempfindungen und eine tiefe Atmung. Notieren Sie schwarz auf weiß all das, von dem Sie glauben, es könne Ihnen auf dem Weg zu Ihren Gefühlen hinderlich sein. Auch diese Gedanken gehören zu Ihnen und möchten ernst genommen werden!

Sprechen Sie in einem zweiten Schritt mit jemandem, dem Sie vertrauen, über Ihre Befürchtungen, gern auch mit einem Therapeuten. Ein freundschaftliches oder professionelles Feedback bringt oft sehr viel Klarheit zur eigenen Situation.

Fragen Sie sich, was Sie vielleicht an zusätzlichen Ressourcen derzeit noch vermissen und was Ihre Befürchtungen besänftigen würde. Ein Beispiel: »Wenn ich eine Tagesmutter hätte, die an zwei Nachmittagen pro Woche auf die Kinder aufpasst, hätte ich mehr Zeit, mich um mich selbst zu kümmern.«

Schreiben Sie wieder alle Punkte auf, die Ihnen hierzu einfallen, und notieren Sie auch mögliche Lösungen.

Alles zu seiner Zeit

In jedem von uns schlummert eine große Weisheit. Diese weiß genau, was uns guttut und was nicht, sie kennt die Ursachen möglicher Probleme und Krankheiten, und sie gibt uns auch zu verstehen, wann die Zeit reif ist, um etwas zu verarbeiten.

Wenn uns diese Intuition zu verstehen gibt, dass wir uns mit unseren Gefühlen und Ängsten auseinandersetzen sollten, um diese zu klären und uns von den Fesseln der Vergangenheit zu befreien, dann sollten wir dieser Stimme folgen. Wir werden in dem Fall vom Leben auch die nötige Unterstützung erfahren, die wir dazu brauchen, etwa in Form von Erinnerungen, die plötzlich zurückkommen, oder auch in der Person eines Therapeuten, eines Seminars oder Buches, welches uns »zufällig« in die Hände fällt. Wenn es so sein soll und sich »stimmig anfühlt«, heißt es, habe die Seele auch die notwendige Reife und Stärke, die zur Verarbeitung eigener Schattenanteile notwendig sind.

Manchmal ist es auch ein gewisser Leidensdruck oder ein körperliches Problem, das eine Veränderung in die Wege leitet. »So kann es nicht weitergehen, ich möchte abnehmen, und es klappt nicht«, »Was will mir diese Krankheit sagen?« oder »Die Arbeit macht mich krank – ich muss wieder zu mir selbst finden« sind Sätze, die oft am Anfang einer emotionalen Entdeckungsreise stehen, die nach mutiger Exploration der eigenen Innenwelt letztlich durch größeres Wohlbefinden belohnt wird.

Es kann aber auch sein, dass sich das Innere noch dagegen sträubt, in tiefere emotionale Schichten vorzudringen, und auch diese Ahnung gilt es zu respektieren. Um es mit einem Bild zu beschreiben: Ein Kind, das zu früh auf die Welt geholt wird, kann dadurch auch Schaden nehmen. Manchmal braucht man vielleicht noch Zeit, um Stabilität im Leben zu gewinnen und Ressourcen zu schaffen, und das ist auch in Ordnung so.

Wenn Sie sich nicht sicher sind, ob Sie jetzt schon genau hinschauen möchten, fragen Sie sich aufrichtig: Möchte ich grundsätzlich nicht emotional tiefer gehen oder spüre ich tatsächlich, dass mir noch etwas dazu fehlt? Was könnte das sein?

Anti-Fühl-Strategien

Gerade in unserer westlichen, leistungsorientierten Welt mit ihrer allgegenwärtigen Medienpräsenz können wir eine Abneigung gegen unschöne Gefühle beobachten. Wut, Trauer und Schmerz werden weder vom Arbeitgeber gern gesehen, noch von der Werbung, leider meist auch nicht von uns selbst.

Die meisten von uns verfügen deshalb über bewährte Verhaltensweisen, die wir erlernt haben und die uns vermeintlich dabei helfen, Gefühle nicht fühlen zu müssen. Das bedeutet allerdings nicht, dass diese nicht da sind oder früher oder später wieder auftauchen! Jeder von uns kennt und lebt vermutlich eine oder mehrere der Möglichkeiten, die ich im Folgenden als »Anti-Fühl-Strategien« bezeichne.

Anti-Fühl-Strategie Nr. 1: Aktionismus

»Wenn ich so beschäftigt bin, muss ich nicht fühlen« lautet die meist unbewusste Grundannahme hinter dieser Strategie, die viele Menschen nur allzu gut kennen. Viele private Verabredungen, berufliche und sonstige Termine und Aktivitäten vermitteln uns selbst und anderen nicht nur den Eindruck, gut zu funktionieren, sondern sorgen vor allem auch für Zerstreuung! Warum denn traurig sein, wenn man sich so prima ablenken kann? Warum nach einer Trennung alleine in der Wohnung sitzen und sich das Herz aus der Seele weinen, wenn man sich doch auch permanent mit Arbeit beschäftigen oder im Kreise seiner Freund*innen so tun kann, als sei er*sie eh nicht der*die Richtige gewesen?

Durch Aktionismus versuchen wir oft, Gefühle zu vermeiden, die wir als unangenehm einstufen. Damit bauen wir eine unnötige Spannung in uns auf, unter der die wahren Gefühle, die einfach nur gefühlt werden möchten, darauf warten, dass wir endlich zur Ruhe kommen und sie sich zeigen können.

Wenn Menschen zu Aktionismus neigen, werden sie manchmal durch den Körper regelrecht zur Ruhe gezwungen: Das kann durch eine Grippe geschehen oder durch psychosomatische Symptome wie zum Beispiel Schlafstörungen, Rückenschmerzen oder Tinnitus. Diese Symptome wollen letztlich nur sagen: »Jetzt halte doch endlich mal inne und komm zur Ruhe. Wenn du nicht selbst dafür sorgst, mach ich das halt.« Diese Strategie ist also letztlich nur eine Verzögerungstaktik.

Anti-Fühl-Strategie Nr. 2: Essen

Was kann man tun, um sich mit sofortiger Wirkung besser zu fühlen? Richtig – etwas essen! Schokolade als Liebesersatz wirkt da bekanntlich besonders schnell: Die zartschmelzende Süße im Mund lenkt kurzzeitig angenehm vom Herzschmerz ab. Doch auch die Lust auf Chips, Eis und Fleisch sowie die Art und Weise, wie wir essen und welche Mengen, sind eng mit unserem Gefühlsleben verknüpft. Versuchen wir, mit der Nahrung ein emotionales Loch zu stopfen? Schlingen wir das Essen hinunter, weil wir stets unter Druck stehen? Worauf haben wir besonders viel Lust?

Die erfolgreiche amerikanische Autorin und Therapeutin Doreen Virtue hat in ihrer Praxis mit essgestörten Frauen interessante Zusammenhänge über die psychoenergetische Wirkung verschiedener Nahrungsmittel herausgefunden. Ihr gelang es, durch die Lebensmittelvorlieben ihrer Patientinnen die Art der emotionalen Probleme zu identifizieren. So lässt ihren Studien zufolge beispielsweise die ständige Lust auf Knabberzeug auf innere Anspannung und Ängstlichkeit schließen, Milchprodukte wirken offensichtlich antidepressiv und