Gegen alle Regeln - Steve Cavanagh - E-Book
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Gegen alle Regeln E-Book

Steve Cavanagh

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Beschreibung

Der 2. Fall für Eddie Flynn – bekannt aus dem SPIEGEL-Bestseller THIRTEEN!

Sein Klient ist unschuldig. Seine Frau nicht. Für wen soll er kämpfen?

Als David Child wegen Mordes verhaftet wird, wendet sich das FBI an Strafverteidiger Eddie Flynn: Er soll Child vertreten und dazu bringen, als Zeuge gegen eine skrupellose Anwaltskanzlei auszusagen, die im Verdacht steht, an einem globalen Betrug beteiligt zu sein. Eddie bleibt keine Wahl, denn das FBI erpresst ihn mit belastenden Unterlagen über seine Ehefrau Christine, die ihre Unterschrift ahnungslos unter ein brisantes Dokument gesetzt hatte. Als er Child zum ersten Mal trifft, weiß er, dass der Mann unschuldig ist, auch wenn die Beweise gegen ihn überwältigend scheinen. Er muss einen Weg finden, Childs Unschuld zu beweisen und gleichzeitig seine Frau zu schützen – nicht nur vor dem FBI, sondern auch vor der Firma.

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Seitenzahl: 591

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Buch

Als David Child wegen Mordes verhaftet wird, wendet sich das FBI an Strafverteidiger Eddie Flynn: Er soll Child vertreten und dazu bringen, als Zeuge gegen eine skrupellose Anwaltskanzlei auszusagen, die im Verdacht steht, an einem globalen Betrug beteiligt zu sein. Eddie bleibt keine Wahl, denn das FBI erpresst ihn mit belastenden Unterlagen über seine Ehefrau Christine, die ihre Unterschrift ahnungslos unter ein brisantes Dokument gesetzt hatte. Als er Child zum ersten Mal trifft, weiß er, dass der Mann unschuldig ist, auch wenn die Beweise gegen ihn überwältigend scheinen. Er muss einen Weg finden, Childs Unschuld zu beweisen und gleichzeitig seine Frau zu schützen – nicht nur vor dem FBI, sondern auch vor der Firma.

Autor

Steve Cavanagh wuchs in Belfast auf und studierte in Dublin Jura. Er arbeitete in diversen Jobs, bevor er eine Stelle bei einer großen Anwaltskanzlei in Belfast ergatterte und als Bürgerrechtsanwalt bekannt wurde. Mittlerweile konzentriert er sich auf seine Arbeit als Autor. Seine Thrillerserie um Eddie Flynn machte ihn zu einem der international erfolgreichsten Spannungsautoren.

Mehr Informationen zum Autor und seinen Büchern unter www.stevecavanaghauthor.com.

Von Steve Cavanagh bei Goldmann lieferbar

Zu wenig Zeit zum Sterben. (Eddie Flynn 1)

Gegen alle Regeln. (Eddie Flynn 2)

Thirteen. Thriller (Eddie Flynn 4)

Fifty-Fifty. Thriller (Eddie Flynn 5)

STEVE CAVANAGH

GEGEN ALLE REGELN

Der zweite Fall für Eddie Flynn

Thriller

Aus dem Englischen von Fred Kinzel

Die englische Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel »The Plea« bei Orion, an imprint of The Orion Publishing Group Ltd, London.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Überarbeitete Neuausgabe März 2023

Copyright © der Originalausgabe 2016 by Steve Cavanagh

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017

by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Copyright © dieser Ausgabe 2023 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: UNO Werbeagentur, München,

nach einem Entwurf von Head Design/Orionbooks

Covermotive: © shutterstock/Anan Kaewkhammul

Überarbeitung: Regina Carstensen

AB · Herstellung: ik

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-30062-3V002www.goldmann-verlag.de

Für Tracy

Prolog

Dienstag, 17. März

19:58 Uhr

Ich dachte, alle wären tot.

Ich hatte mich geirrt.

Die Büros von Harland & Sinton, Rechtsanwälte, befanden sich im sechsunddreißigsten Stock des Lightner Building. Es war eine Anwaltskanzlei, in der rund um die Uhr gearbeitet wurde, eine der größten in New York. Normalerweise brannten die Lichter dort vierundzwanzig Stunden, aber die Eindringlinge hatten die Stromversorgung vor einigen Minuten unterbrochen. Mein Rücken schmerzte, und ich schmeckte Blut im Mund, vermischt mit dem Geruch nach Säure, der von den Patronen auf dem Boden aufstieg. Ein voller Mond beleuchtete Rauchspuren, die sich wie Geister im selben Moment auflösten, in dem ich sie entdeckte. Mein linkes Ohr fühlte sich an, als wäre es mit Wasser gefüllt, aber ich war lediglich taub von den Schüssen. In meiner rechten Hand hielt ich eine leere Glock 19, eine Polizeiwaffe, die letzten Kugeln steckten in dem Toten zu meinen Füßen. Seine Beine lagen quer über dem Bauch des Toten neben ihm, und ich nahm verwundert wahr, dass sämtliche Leichen auf dem Boden des Konferenzraums nach einander zu greifen schienen. Ich sah sie nicht alle an. Ich konnte mich nicht dazu überwinden, in ihre toten Gesichter zu blicken. Mein Atem ging stoßweise, als müsste er sich aus der von Adrenalin verklumpten Brust kämpfen. Der kalte Wind, der durch das zerbrochene Fenster hinter mir blies, trocknete den Schweiß in meinem Nacken.

Die Digitaluhr an der Wand sprang auf 20:00 Uhr, als ich meinen Mörder sah.

Ich konnte weder Gesicht noch wirklich einen Körper erkennen. Es war ein Schatten, der in einer dunklen Ecke des Konferenzraums Deckung suchte. Grüne, weiße und goldene Blitze des Feuerwerks am Times Square warfen schräge Lichtmuster in den Raum und beleuchteten für einen Moment eine kleine Pistole, die von einer scheinbar körperlosen, behandschuhten Hand gehalten wurde. Die Waffe war eine Ruger LCP. Und auch wenn ich kein Gesicht sah, verriet mir diese Waffe sehr viel. Die Ruger war mit sechs 9-mm-Kugeln geladen. Sie war so klein, dass sie in eine Handfläche passte, und wog weniger als ein anständiges Steak. Auch wenn sie durchaus Wirkung zeigte, fehlte ihr die Durchschlagskraft einer richtigen Handfeuerwaffe. Der einzige Grund, so eine Waffe zu benutzen, besteht darin, zu verschleiern, dass man überhaupt bewaffnet ist. Sie war deshalb als Reservewaffe bei den meisten Polizeibehörden beliebt. Man konnte sie in einer kompakten Handtasche verstecken oder in der Tasche eines maßgeschneiderten Anzugs, ohne dass sie den Sitz des Sakkos verdarb.

Drei Möglichkeiten kamen mir sofort in den Sinn. Drei mögliche Schützen.

Ausgeschlossen, dass ich einen davon überreden könnte, die Waffe fallen zu lassen.

Wenn ich die letzten drei Tage vor Gericht bedachte, hatten sie alle ein Motiv, mich zu töten. Ich hatte eine Vermutung, wer von ihnen es sein könnte, aber das spielte in diesem Moment keine Rolle.

Vor vierzehn Jahren hatte ich meine Laufbahn als Betrüger beendet. Aus Eddie Flynn, dem Gauner, wurde Eddie Flynn, der Anwalt. Und die Fähigkeiten, die ich auf der Straße erlernt hatte, flossen problemlos in meine Arbeit im Gerichtssaal ein. Anstatt Kasinoaufseher, Buchmacher, Versicherungsgesellschaften und Drogenhändler zu betrügen, wandte ich mein Handwerkszeug nun gegen Richter und Geschworene an. Aber ich hatte nie einen Klienten betrogen. Bis vor zwei Tagen.

Der Lauf der Ruger senkte sich auf meine Brust. Diese letzte Gaunerei würde mich das Leben kosten.

Ich schloss die Augen und war seltsam ruhig. So war mein Ende nicht gedacht. Irgendwie fühlte sich dieser letzte Atemzug nicht richtig an. Es fühlte sich an, als wäre ich hereingelegt worden. Trotzdem füllte ich meine Lunge mit dem Rauch und dem beißenden metallischen Geruch, der noch lange nach einer Schießerei in der Luft hängt. Ich hörte den Schuss nicht, ich sah keinen Mündungsblitz oder Rückschlag. Ich spürte nur, wie die Kugel in mein Fleisch drang. Dieser tödliche Schuss war von dem Moment an unvermeidlich geworden, in dem ich mich auf den Deal einließ. Wie bin ich nur hier gelandet?, dachte ich.

Was war das für ein Deal, dem ich diese Kugel zu verdanken habe?

Wie die meisten Dinge hatte es klein angefangen. Alles begann vor achtundvierzig Stunden mit einem Zahnstocher und einem Zehncentstück.

KAPITEL EINS

Sonntag, 15. März

Achtundvierzig Stunden bis zum Schuss

Mein Schlüssel glitt ins Schloss.

Ich erstarrte.

Etwas stimmte nicht.

Die Mahagonitür zu dem vierstöckigen Sandsteinbau, der fünf Büros beherbergte, darunter meine Ein-Mann-Anwaltskanzlei, sah aus wie jede andere an diesem Ende der West 46th Street. Die Gegend war ein Mix aus Bars, Suppenküchen, sehr guten Restaurants, Steuerkanzleien und privaten Gesundheitseinrichtungen. Je näher man dem Broadway kam, desto nobler wurden die Büros. Die Front der Kassettentür zu meinem Gebäude war vor rund einem Monat blau gestrichen worden. Die Rückseite der Tür wartete mit einer Stahlplatte auf – eine kleine Überraschung für jeden, der glaubte, er könnte einfach eines der Kassettenfelder eintreten und die Tür von innen öffnen.

Es war die Gegend für so etwas.

Was Schlösser angeht, habe ich nicht viel Erfahrung. Ich führe keinen Dietrich mit mir, dafür habe ich keine Verwendung – und hatte sie nicht einmal in meinem früheren Leben als Gauner. Im Gegensatz zu vielen anderen Ganoven nahm ich nicht die normalen Bewohner New Yorks aufs Korn. Ich hatte die Typen im Visier, die es verdient haben, dass man ihnen das Geld aus der Tasche zieht. Meine Lieblingsziele waren Versicherungen. Je größer, desto besser. Meiner Ansicht nach waren sie die fiesesten Betrüger der Welt, und es war nur fair, wenn man sie von Zeit zu Zeit ein wenig erleichterte. Und um eine Versicherungsgesellschaft zu hintergehen, musste ich nicht einbrechen. Ich musste nur dafür sorgen, dass ich eingeladen wurde. Meine Masche beschränkte sich nicht allein aufs Reden. Ich hatte auch einiges an Fingerfertigkeit zu bieten. Mein Dad war darin ein ziemlicher Künstler gewesen, ein Taschendieb, der in Bars und U-Bahnen gearbeitet hatte. Ich lernte von ihm, und mit der Zeit entwickelte ich einen außerordentlichen Tastsinn, ein feines Gespür für Gewichtungen, Stimmungen und Bewegungen. Und es war dieses Bauchgefühl, das mir verriet, dass etwas nicht stimmte.

Ich zog den Schlüssel wieder aus dem Schloss. Schob ihn erneut hinein. Dann wieder raus. Es ging leiser und reibungsloser, als ich es in Erinnerung hatte. Weniger sperrig, weniger Widerstand, und deshalb war weniger Druck nötig. Mein Schlüssel glitt fast von allein ins Schloss, als bewegte er sich durch Sahne. Ich überprüfte die Zähne am Schlüsselbart, sie waren hart und scharf, frisch gefeilt. Die Verkleidung des Schlosses, ein handelsübliches Doppelzylinderschloss, wies Kratzer um das Schlüsselloch auf, aber dann fiel mir ein, dass der Typ, der das Reisebüro im Erdgeschoss betrieb, gern Bourbon in seinen Morgenkaffee gab. Ich hatte ihn einige Male mit den Schlüsseln herumfummeln sehen, und an dem einen Morgen, an dem ich ihm im Treppenhaus begegnet war, hatte mich sein Atem beinahe umgehauen. Ein Jahr früher hätte ich es nicht bemerkt. Da wäre ich genauso betrunken gewesen wie der Inhaber der Reiseagentur.

Die Veränderung in der Mechanik des Schlosses ließ sich, Kratzer hin oder her, jedoch nicht leugnen. Hätte der Vermieter das Schloss ausgewechselt, würde mein Schlüssel nicht passen. Es gab auch keinen wahrnehmbaren Geruch. Hätte jemand eine Sprühdose mit WD 40 zum Ölen des Schlosses benutzt, hätte ich es bemerkt. Es gab im Grunde nur eine Erklärung: Jemand hatte das Schloss gewaltsam geöffnet, seit ich das Büro früher am Vormittag verlassen hatte. Sonntage im Büro waren ein notwendiges Übel, seit ich dazu übergegangen war, dort zu schlafen. Ich konnte es mir nicht mehr leisten, die Miete für eine Wohnung und ein Büro zu zahlen. Ein Klappbett im Hinterzimmer war alles, was ich brauchte.

Der Vermieter konnte sich keine Alarmanlage leisten. Das konnte ich ebenfalls nicht, dennoch wollte ich auf ein gewisses Maß an Sicherheit nicht verzichten. Die Tür öffnete sich nach innen. Ich schob sie einen Zentimeter weit auf und sah das Zehncentstück in der Vertiefung auf der rechten Seite des Türrahmens, der Seite mit dem Schloss. Die Tür selbst verhinderte, dass die Münze herausfiel. Wenn ich abends aus dem Haus ging, um etwas zu essen, schob ich immer ein Zehncentstück in die Vertiefung zwischen Rahmen und Tür, die ich passend mit einem Taschenmesser ausgearbeitet hatte. Falls jemand einbrach und nicht wollte, dass ich es mitbekam, würde er die Münze fallen hören, es als List erkennen und die Münze wieder an ihren Platz legen. Meine Hoffnung lag darin, dass sich der Eindringling auf das Geräusch und das Funkeln des fallenden Geldstücks konzentrierte und den Zahnstocher nicht bemerkte, der exakt zehn Zentimeter über der ersten Angel auf der anderen Seite der Tür steckte.

Wer immer mein Eindringling an diesem Abend war, er hatte darauf geachtet, die Münze wieder an ihren Platz zu deponieren, aber den Zahnstocher hatte er übersehen, denn der lag auf der Eingangsstufe.

Von den fünf Büros des Gebäudes waren drei weitere besetzt: die Reiseagentur, die gerade abgewickelt wurde, ein Finanzberater, von dem weit und breit nie etwas zu sehen war, und ein zwielichtig aussehender Hypnotiseur, der gern Hausbesuche machte. Alle hielten im Prinzip normale Bürozeiten ein, auch wenn diese im Fall des Reisebüros und des Hypnotiseurs eher von elf bis drei dauerten als von neun bis fünf. Ausgeschlossen, dass einer von ihnen an einem Sonntag kam, und niemals hätten sie die Münze zurückgelegt. Wäre es einer meiner Nachbarn gewesen, hätte er die Münze eingesteckt und im nächsten Moment vergessen.

Ich ließ meine Zeitung fallen und bückte mich, um sie aufzuheben. Da ich schon einmal unten war, beschloss ich, mir gleich noch die Schnürsenkel zu binden. Niemand links von mir, niemand rechts.

Ich wechselte umständlich zum anderen Schuh und suchte dabei die gegenüberliegende Straßenseite ab. Nichts. Ein paar Autos standen ein Stück entfernt auf der linken Seite, aber es waren alte, ausländische Modelle, und die Scheiben waren beschlagen; es waren ganz sicher keine Überwachungsfahrzeuge. Rechts von mir und auf der anderen Straßenseite ging ein Paar Arm in Arm in die Hourglass Tavern, Theaterjunkies, die vor der Aufführung noch einen Happen essen wollten. Seit ich hierhergezogen war, war ich zweimal in dem Lokal gewesen, hatte beide Male die Ravioli mit Hummer gegessen und die Finger von dem Bier-und-Schnaps-Sonderangebot gelassen, das jedes Mal wechselte, wenn das große Stundenglas hinter der Theke umgedreht wurde. Abstinenz war immer noch etwas, das ich mir jeden Tag aufs Neue erarbeiten musste.

Nachdem ich die Tür geschlossen hatte, hob ich meine Zeitung auf, schlug meinen Kragen zum Schutz vor der Winterkälte hoch, die noch in der Luft lag, und marschierte los. Als Betrüger hatte ich mir jede Menge Feinde gemacht, und ich hatte es fertiggebracht, mir in meiner Anwaltslaufbahn sogar noch ein paar mehr zu machen. Inzwischen lohnte es sich, vorsichtig zu sein. Ich drehte eine Schleife um drei Blocks und wandte dabei jede Technik an, die ich kannte, um Überwacher abzuschütteln. Ich bog wahllos ab, verfiel kurz vor einer Ecke in einen leichten Trab und verlangsamte dann sehr stark, wenn ich in der anderen Straße war. Ich benutzte Autofenster und die Plexiglasscheiben von Bushaltestellen als Rückspiegel, blieb abrupt stehen und machte rasch kehrt, um den Weg zurückzugehen, den ich gekommen war. Langsam kam ich mir ein bisschen lächerlich vor. Da war niemand, der mich beschattete. Entweder der Hypnotiseur hatte einen Glückstag erwischt und einen Klienten zurückgebracht, oder der Finanzberater war endlich aufgetaucht, um seinen überquellenden Briefkasten zu leeren oder seine Akten zu schreddern.

Wieder vor dem Sandsteingebäude, kam ich mir jedoch nicht mehr ganz so lächerlich vor. Mein Büro befand sich im zweiten Stock. Die beiden Etagen darunter lagen im Dunkeln.

In einem meiner Fenster sah ich Licht, und es stammte nicht von meiner Schreibtischlampe. Der Lichtstrahl war schmal und gedimmt und bewegte sich.

Eine Taschenlampe.

Meine Haut spannte, und mein Atem entwich dampfend. Mir ging durch den Kopf, dass ein normaler Mensch jetzt die Polizei rufen würde. Aber so normal war ich nicht. Wer seinen Lebensunterhalt als Trickbetrüger verdient, bei dem spielt die Polizei in seinen Überlegungen keine Rolle. Solche Angelegenheiten regelte man selbst, und ich musste jetzt sehen, wer in meinem Büro war. Ich hatte ein Montiereisen im Kofferraum des Mustangs, aber es war sinnlos, zum Parkplatz zurückzugehen und es zu holen, da ich keine Lust hatte, auf offener Straße damit herumzulaufen. Ich besitze keine Schusswaffe. Ich mag solche Waffen nicht, aber es gibt Verteidigungsmittel, gegen deren Anwendung ich nichts einzuwenden habe. Ich öffnete leise die Eingangstür, fing das Zehncentstück auf, damit es nicht auf die Fliesen fiel, und zog in der Eingangsdiele die Schuhe aus, um keinen Lärm zu machen, ehe ich zu den Briefkästen an der Wand ging.

In dem Briefkasten, der mit »Eddie Flynn, Anwalt«, beschriftet war, war alles, was ich zu meinem Schutz brauchen würde.

KAPITEL ZWEI

Ich nahm einen kleinen Schlüssel von meinem Schlüsselbund und legte den Rest leise auf die Briefkästen, ehe ich das neu von mir angebrachte Vorhängeschloss öffnete. Unter einem Stapel brauner Kuverts und Werbesendungen fand ich ein Paar Messingschlagringe. Ich hatte in meiner Teenagerzeit geboxt. Viele arme katholische Jugendliche in New York machten das. Sie sollten so Disziplin und Fairness lernen – in meinem Fall hatte mein Vater jedoch aus gänzlich anderen Gründen darauf bestanden. Wäre ich in der Lage, einen Kerl k. o. zu schlagen, der doppelt so groß war wie ich, so seine Überlegung, müsste er weniger wegen meiner Anfängerfehler als Trickbetrüger besorgt sein. Deshalb wollte er, dass ich hart trainierte und klug mit dem ergaunerten Geld umging, einzig Mom durfte von alledem nichts erfahren.

Im Treppenhaus war es dunkel, still und ruhig, bis auf ein gelegentliches Ächzen der Heizungsrohre. Die Stufen waren alt und knarrten wie verrückt. Ich kam jedoch zu dem Schluss, dass sie immer noch weniger Lärm machen würden als der altertümliche Fahrstuhl. Ich trat vorsichtig auf und möglichst nahe an der gefliesten Wand. Das erlaubte mir beim Hinaufgehen einen Blick zu den oberen Stockwerken und verhinderte, dass ich die alten Bohlen in der Mitte belastete, wo das Knarzen am lautesten war. Die Schlagringe fühlten sich kalt an in meinen Händen, ihre Berührung war dennoch beruhigend. Als ich mich dem oberen Ende des dritten Treppenabsatzes näherte, hörte ich gedämpfte Stimmen.

Die Tür zu meinem Büro stand weit offen. Im Eingang sah ich einen Mann mit dem Rücken zum Flur. Ein weiterer Mann mit einer Taschenlampe leuchtete in die oberste Schublade meines Aktenschranks. Der Mann, der mit dem Rücken zu mir stand, hatte einen Kabelkopfhörer im Ohr. Ich sah das durchsichtige Kabel, das in seiner schwarzen Lederjacke verschwand. Er trug Jeans und Stiefel mit dicker Sohle. Eine Strafverfolgungsbehörde, aber sicher nicht die Polizei. Derartige Ohrhörer gehören beim NYPD nicht zur Standardausrüstung, und die meisten Beamten wollen die hundert Dollar nicht lockermachen für das Privileg, cool auszusehen. Der FBI-Etat reichte für einen Kabelkopfhörer pro Agenten, aber das FBI hätte einen Mann im Eingangsbereich postiert, und sie hätten sich nicht die Mühe gemacht, die Münze an ihren Platz zurückzulegen. Doch wenn es nicht Polizei oder FBI war, wer dann? Die Tatsache, dass sie securitymäßigmäßig ausgestattet waren, machte mich nervös. Das hieß, sie waren organisiert. Es waren nicht ein paar Cracksüchtige, die sich rasch ein paar Dollars verdienen wollten. Ich kroch die letzten Stufen auf allen vieren nach oben. Ich hörte, wie Männer miteinander flüsterten, aber ich verstand nichts. Der Mann mit der Taschenlampe in meinem Aktenschrank hatte nichts gesagt. Es musste weitere Personen im Raum geben, die ich nicht sah. Als ich näher kam, wurden die Stimmen deutlicher.

»Schon was gefunden?«, fragte jemand.

Der Mann schloss die Schublade und zog die nächste auf.

»Nichts, was einen Bezug zur Zielperson hat«, sagte er, während er eine Akte auswählte, aufklappte und mithilfe der Taschenlampe zu lesen anfing.

Zielperson.

Das Wort traf mich wie ein Schock und setzte Adrenalin frei. Meine Nackenmuskeln spannten sich, und mein Atem ging schneller.

Sie hatten mich nicht gesehen.

Ich hatte zwei Optionen: mich hier herauszuschleichen, in mein Auto zu setzen und die ganze Nacht wie ein Irrer zu fahren, um dann vom Nachbarstaat aus die Polizei anzurufen. Oder aber in das erste Taxi zu springen, das ich sah, und mich zu Richter Harry Fords Wohnung auf der Upper East Side bringen zu lassen, um von Harrys sicherer Couch aus der Polizei mitzuteilen, was los war. Beide Möglichkeiten waren vernünftig und klug und enthielten so gut wie kein Risiko.

Aber so war ich nun mal nicht.

Ich stand geräuschlos auf, hielt die rechte Faust unters Kinn und stürmte auf die Tür zu.

KAPITEL DREI

Der Mann, der in der Tür stand, drehte sich um, als ich zu laufen anfing. Als er mich sah, riss er Mund und Augen auf, und sein Überlebensmodus schaltete sich ein, ehe seine Ausbildung zum Zug kam. Erst der Schock, dann die Reaktion. Bevor er seine Leute warnen konnte, versuchte er die aufkommende Panik zu überwinden. Seine Hand bewegte sich in Richtung Waffe, die er an der Seite im Holster trug.

Er war zu langsam.

Ich wollte den Mann nicht töten. Jemand hat einmal zu mir gesagt, es sei unprofessionell, einen Mann zu töten, ohne genau zu wissen, wer er war. Würde ich sein Gesicht oder seinen Kopf treffen, wäre die Chance fünfzig zu fünfzig, dass sich der Schlag als tödlich erwies, entweder weil ihm die Wucht des Messingrings den Schädel brach und eine massive Gehirnblutung hervorrief, oder weil den armen Kerl dasselbe Schicksal ereilte, wenn er bewusstlos auf den Boden prallte. Der Schwung meines Anlaufs fügte dem Boxhieb locker noch mal zwanzig Kilo Aufpralldruck hinzu. Die Wahrscheinlichkeit, ihm für immer das Licht auszuknipsen, wäre sehr hoch gewesen. Ich musste ihn aber lediglich kampfunfähig machen. Er war Rechtshänder.

In letzter Sekunde ließ ich den Arm sinken und richtete mein Ziel neu aus. Der Schlag traf ihn auf den rechten Bizeps, und die Finger seiner Hand öffneten sich augenblicklich und erschlafften dann. Es war, als würde man eine Stromleitung unterbrechen. Einen so großen Muskel derart zu quetschen, bedeutete, dass der Arm stundenlang bewegungsunfähig sein würde. Mein Schwung trieb mich an dem Mann vorbei, kaum dass der erste Schrei aus seiner Kehle gedrungen war.

Sein Partner ließ die Akte fallen, in der er gelesen hatte, und schwenkte die Taschenlampe in meine Richtung. Dieser Mann war Linkshänder, und ich fing seinen Haken ab. Die anderthalb Kilo Cleveland-Messing an meiner linken Faust zertrümmerten die Taschenlampe. Die Birne zerbarst, und das Licht erlosch in einem Funkenregen. Im Moment der Explosion war das Gesicht des Mannes kurz erleuchtet, und ich sah den Schock in seinen Zügen. Nur war es gar kein Schock. Ich musste die Hand des Mannes mit dem Schlagring erwischt haben, denn im nächsten Moment sank er auf die Knie und hielt sich die gebrochenen Finger.

»Hören Sie auf, Eddie«, ertönte eine Stimme aus dem Halbdunkel. Meine Schreibtischlampe ging an.

»Ferrar, Weinstein, lasst ihn«, sagte der Mann, der an meinem Schreibtisch saß. Ich war ihm zum ersten Mal vor etwa einem halben Jahr begegnet. Er war der Kerl, den ich gerettet hatte, als wir beide eine Begegnung mit der Russenmafia hatten – Special Agent Bill Kennedy vom FBI. Die beiden Männer, die er angesprochen hatte, stellten im Moment keine Herausforderung dar. Der eine, der einen militärisch kurzen Haarschnitt trug und dem ich die Finger gebrochen hatte, biss vor Schmerzen die Zähne zusammen. Der andere, größere in der Lederjacke wälzte sich auf dem Boden und hielt sich den Arm. Seine Waffe steckte noch sicher im Holster.

Kennedy war der letzte Mensch, den ich in meinem Büro erwartet hätte. Er lehnte sich zurück, legte die Beine auf meinen Schreibtisch und schlug die Füße übereinander. Er sah seine Männer an, dann sah er mich an, als hätte ich etwas kaputt gemacht, was ihm gehörte. Seine dunkelblaue Anzughose schob sich ein wenig nach oben, es reichte, damit ich die schwarzen Seidensocken und die Reservewaffe bemerkte, die an seinen linken Knöchel geschnallt war – eine Ruger LCP.

KAPITEL VIER

»Was zum Teufel soll das alles?«, fragte ich.

»Nur die Ruhe. Sie haben gerade zwei FBI-Agenten tätlich angegriffen. Herrgott noch mal, Eddie, das sind meine Leute.«

Der Agent, der die Taschenlampe gehalten hatte, rappelte sich langsam auf, sein Zeigefinger stand in einem unnatürlichen Winkel ab. Er fletschte die Zähne und renkte den Finger wieder ein. Er war nicht gebrochen, sondern nur ausgerenkt. Sein Kumpel sah sehr viel schlechter aus, war blass und verschwitzt. Beide Agenten schleppten sich zur Couch auf der anderen Seite des Raums.

»Die sind bald wieder okay«, sagte ich. »Sie werden sich vielleicht eine Woche lang den Arsch mit der falschen Hand abwischen müssen, aber sie werden es überleben. Dasselbe kann ich Ihnen nicht garantieren, wenn Sie mir nicht sofort erklären, wie Sie dazu kommen, in mein Büro einzubrechen. Ach ja, und übrigens ist es kein tätlicher Angriff, wenn man Leib und Leben oder sein Eigentum verteidigt. Ich dachte, das hätten sie euch in Quantico vielleicht beigebracht. Haben Sie einen Durchsuchungsbeschluss?« Ich streifte die Schlagringe ab und ließ sie auf einen Stapel Papiere auf meinem Schreibtisch fallen.

Kennedy stellte die Füße auf den Boden, hob einen Schlagring auf, streifte ihn sich über und wog sein tödliches Gewicht. Dann zog er ihn wieder von den Fingern und ließ ihn auf die Unterlagen auf dem Schreibtisch fallen. »Messingschlagringe, Eddie?«

»Briefbeschwerer«, sagte ich. »Wo ist Ihr Durchsuchungsbeschluss?«

Ehe er antwortete, kratzte er sich am Handrücken. Das verriet mir alles, was ich wissen musste. Kennedy machte sich immer viel Sorgen und reagierte seine Nervosität an seinem Körper ab. Die Haut um seine Daumennägel sah rot und geschwollen aus, weil er sie mit Zähnen bearbeitet hatte. Er war nicht rasiert und machte den Eindruck, als könnte er eine Dusche, einen Haarschnitt und eine Mütze Schlaf vertragen. Sein normalerweise strahlend weißes Hemd hatte dieselbe blasse Farbe wie die Tränensäcke unter seinen Augen angenommen, und die Haut auf seinem vierzigjährigen Gesicht wirkte schlaff. Aus den zwei Zentimetern Spielraum, den sein Kragen hatte, folgerte ich, dass er stark abgenommen hatte. Als ich Kennedy kennenlernte, vertrat ich gerade Olek Volchek, den Kopf der russischen Mafia. Das Verfahren ging gewaltig in die Hose. Volchek hatte meine zehnjährige Tochter Amy als Geisel genommen und damit gedroht, sie zu töten. In den gut fünf Monaten, die seit dem Prozess vergangen waren, hatte ich mich bemüht, diese verzweifelten Stunden zu vergessen. Aber ich konnte es nicht. Ich erinnerte mich an alles – an meine Seelenqualen bei der Vorstellung, jemand könnte meiner Tochter etwas antun, ihr das junge Leben nehmen, und es wäre alles meine Schuld. Bei dem bloßen Gedanken bekam ich klamme Hände.

Kennedy wäre fast gestorben, aber es war mir gelungen, dass er ärztlich versorgt wurde, ehe es zu spät war. Seine Wunden waren gut verheilt, und er hatte mir sogar geholfen, die ganze Geschichte zu bereinigen, nachdem sich der Staub gelegt hatte. Vieles von dem, was ich im Lauf dieser zwei Tage getan hatte, war in hohem Maß illegal gewesen. Kennedy hatte dafür gesorgt, dass alles unter den Teppich gekehrt wurde. Aber in Wahrheit wusste er nicht einmal die Hälfte von dem, was ich gemacht hatte, und ich hoffte, er würde es nie erfahren. Nachdem er sich von der Schießerei erholt hatte, hatte er meine Familie und mich zu einer Silvesterparty bei sich zu Hause eingeladen. Meine Frau Christine hatte nicht mitkommen wollen. Eine Weile war es ihr nicht gut gegangen. Ich war vor eineinhalb Jahren verdientermaßen aus der Wohnung geflogen, weil ich mehr Zeit am Night Court, in Kneipen und Ausnüchterungszellen verbracht hatte als zu Hause. Dann hatte ich mit dem Trinken aufgehört, und zwischen Christine und mir hatte sich alles beruhigt – bis zum Fall Volchek.

Christine glaubte, ich hätte unsere Tochter in Gefahr gebracht – sie dachte, Amy sei meinetwegen entführt worden. Damit hatte sie recht. In den letzten Wochen hatte ihr Zorn langsam nachgelassen. Ich hatte Amy häufiger sehen können, und als ich sie letzten Mittwoch daheim absetzte, hatte mich Christine hereingebeten. Wir tranken eine Flasche Wein und lachten sogar ein wenig. Natürlich verdarb ich alles, als ich versuchte, sie zum Abschied an der Tür zu küssen. Sie hatte sich zur Seite gedreht und mir eine Hand auf die Brust gelegt. Es war noch zu früh. Aber ich dachte auf der Rückfahrt zu meinem Büro, dass es eines Tages in Ordnung sein würde. Eines Tages würde ich meine beiden Mädchen vielleicht zurückbekommen. Ich dachte jede Stunde an sie.

Ich war allein zu Kennedys Party gegangen, hatte Limonade getrunken und Pökelfleisch gegessen und war früh gegangen. Strafverteidiger verkehren normalerweise nicht mit Strafverfolgern und Betrüger erst recht nicht. Aber ich mochte Kennedy tatsächlich irgendwie. Trotz seiner ständigen Besorgtheit und Sturheit war er ein aufrechter, gewissenhafter Agent mit einer guten Aufklärungsquote, und er hatte das alles für mich aufs Spiel gesetzt. Ich sah diese als Strenge getarnte Integrität in seinem Blick, als er an meinem Schreibtisch saß und über meine Frage nachdachte. Am Ende beschloss ich, sie selbst zu beantworten.

»Sie haben keinen Durchsuchungsbeschluss, richtig?«

»Fürs Erste kann ich nur sagen, dass diese kleine Party hier zu Ihrem Vorteil ist.«

Als ich den Blick durch mein Büro schweifen ließ, entdeckte ich vier schwer aussehende Metallkoffer in einer Ecke und daneben etwas, das wie die Ausrüstung eines Tonstudios aussah.

»Habe ich Sie bei einer Bandprobe unterbrochen?«, fragte ich.

»Wir haben Ihnen einen Gefallen getan und Ihr Büro auf Abhörgeräte untersucht.«

»Abhörgeräte? Tun Sie mir in Zukunft bitte keinen Gefallen mehr, ohne vorher zu fragen. Nur interessehalber – haben Sie etwas gefunden?«

»Nein. Sie sind sauber«, sagte er, stand auf und streckte sich. »Tragen Sie immer Briefbeschwerer mit sich herum?«

»Büromaterial erweist sich ab und an als ganz nützlich. Warum haben Sie nicht angerufen und gesagt, dass Sie kommen?«

»Dafür war keine Zeit, tut mir leid.«

»Was soll das heißen, es war keine Zeit? Ich habe gehört, wie Ihr Kumpel da drüben das Wort ›Zielperson‹ benutzt hat, deshalb würde ich gern wissen, was Sie in Wirklichkeit hier tun.«

Ehe Kennedy antworten konnte, hörte ich Schritte. Die Tür zu meinem Hinterzimmer ging auf, und ein kleiner Mann, der in den Fünfzigern zu sein schien, betrat den Raum. Er hatte einen grauen Bart und eine Brille mit schwarzer Fassung, und er trug einen langen schwarzen Mantel, der ihm bis zu den Fußknöcheln reichte. Blaues Hemd, dunkle Hose, ergrauendes, gewelltes Haar, das über einem schmalen, gebräunten Gesicht nach hinten gekämmt war.

»Schutz«, sagte der kleine Mann als Antwort auf die Frage, die ich an Kennedy gerichtet hatte.

Er stand mit den Händen in den Taschen da, selbstbewusst, eindeutig der Mann, der hier das Sagen hatte. Dann schlenderte er lässig an Kennedy vorbei und ließ sich mit dem Hintern auf meinem Schreibtisch nieder, ehe er mich anlächelte.

»Mr Flynn, mein Name ist Lester Dell. Ich bin nicht vom FBI. Ich gehöre zu einer anderen Bundesbehörde. Das FBI ist im Rahmen einer gemeinsamen Task Force hier, die ich leite. Wir haben einen Job für Sie«, sagte er und nickte.

»Na toll. Und wozu gehören Sie nun ? DEA, ATF?«

»Ach, ich arbeite für die Organisation, die offiziell keine Operationen auf amerikanischem Boden durchführt. Deshalb stellen FBI und Finanzministerium das gesamte Personal. Was das Außenministerium angeht, bin ich als Berater hier«, sagte er, und als er lächelte, legte sich die Haut oberhalb seines Barts in tiefe Falten, die Richtung Augen immer schmaler wurden. Es waren Falten, die nicht ganz zu einem Gesicht zu passen schienen, als wäre Lächeln etwas, was er nur selten tat. Er hatte einen Akzent, der ein wenig merkwürdig wirkte, weil seine Aussprache letztlich präzise und klar war.

Er brauchte mir nicht zu sagen, wohin ich ihn einzuordnen hatte – das Lächeln verriet alles. Er sagte es trotzdem: »Inoffiziell, Mr Flynn, ist das meine Operation. Und ich sehe Ihnen an, dass Sie bereits erraten haben, für wen ich tätig bin. Sie liegen richtig – ich arbeite für die CIA.«

Ich nickte. Warf Kennedy einen Blick zu. Er beobachtete mich aufmerksam, um meine Reaktion abzuschätzen.

»Wir haben wenig Zeit, deshalb werden Sie es mir verzeihen, wenn ich mich kurzfasse und gleich zur Sache komme. Wir sind hier, um Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass niemand außer uns diese Unterhaltung verfolgen kann. Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen. Tatsächlich habe ich einen Fall für Sie.«

»Ich arbeite nicht für die Regierung. Und das gilt doppelt für Regierungsstellen, die in mein Büro einbrechen.«

»Ach ja? Ich dachte, Sie würden ein wenig bezahlte Beschäftigung begrüßen. Ich sehe, Sie haben dahinten eine Schlafcouch, Kleidung, einen Fernseher, eine Zahnbürste auf der Toilette und einen Stapel Taschenbücher. Aber ich muss daraus keine Schlüsse ziehen, denn ich weiß bereits alles über Sie. Jede Kleinigkeit. Sie sind pleite. Sie wohnen in Ihrem Büro. Tatsächlich haben Sie zwölfhundert Dollar auf Ihrem Girokonto, Ihr Geschäftskonto ist mit dreißigtausend in den Miesen, und es kommen kaum Aufträge herein.«

Ich sah Kennedy anklagend an. Er verschränkte die Arme und sah zu Dell, um mir zu verstehen zu geben, dass ich zuhören sollte.

»Mr Flynn, die Situation ist folgende: Ich habe fünf Jahre damit verbracht, gegen eine Gruppe äußerst unguter Menschen zu ermitteln. Um offen zu sein, am Ende stand ich trotzdem mit leeren Händen da, ich hatte nichts. Bis gestern, als alle meine Gebete erhört wurden. Es stellte sich nämlich heraus, dass ein Freund dieser schlechten Menschen verhaftet wurde, weil er etwas sehr Schlimmes getan hat. Er wird vor Gericht gestellt und verurteilt werden, der Fall ist glasklar. Meine Hoffnung ist, dass sich dieser Mann dazu überreden lässt, einen Deal mit mir zu machen, bei dem er aus dem Gefängnis kommt, solange er noch etwas vom Leben hat und ich im Gegenzug seine Freunde festnehmen kann. Das Problem ist, die Anwälte dieses Mannes sehen die Sache ein wenig anders. Ich möchte, dass Sie seinen Fall übernehmen. Ich möchte, dass Sie diesen Mann vertreten, und ich möchte, dass Sie ihn überreden, einem Deal zuzustimmen. Es ist in seinem Interesse und in Ihrem.« Er sah auf die Uhr und fuhr fort: »Sie haben exakt achtundvierzig Stunden Zeit, um sich von Ihrem neuen Klienten engagieren zu lassen und ihn zu zwingen, sich schuldig zu bekennen. Dann zimmern wir einen Deal mit ihm. Wenn Sie das erledigen, wird die Bundesregierung zwei Dinge für Sie tun …«

Er zog einen Flachmann aus seinem Mantel, schraubte ihn auf und goss ein Quantum in die leere Kaffeetasse auf meinem Schreibtisch. Er fragte nicht, ob ich etwas wollte, er schenkte einfach ein und gab mir die Tasse. Er selbst nahm einen kleinen Schluck aus dem Flachmann, ehe er fortfuhr.

»Erstens werden wir Ihnen einhunderttausend Dollar bezahlen. Bar auf die Hand. Steuerfrei. Nicht schlecht für einen halben Tag Arbeit. Zweitens und noch wichtiger für Sie: Wenn Sie das für mich tun, wird Ihre Frau nicht für den Rest ihres Lebens in einem Bundesgefängnis zubringen.«

KAPITEL FÜNF

Mit dem Hintern auf meinem Schreibtisch trank Dell noch einen Schluck aus seinem Flachmann. Was für einen Schnaps er mir auch eingeschenkt haben mochte, ich beachtete die Tasse nicht. Er lächelte wieder sein unnatürliches Lächeln, und ich ließ seine Worte auf mich einwirken.

Wenn Sie das tun, wird Ihre Frau nicht für den Rest ihres Lebens in einem Bundesgefängnis zubringen. Ich sah, wie Kennedy erstarrte. Er kannte das Schicksal der harten Burschen, die meine Familie bedroht hatten, und er schien genauso überrascht zu sein wie ich.

»Dell, sagen Sie ihm, dass wir hier die Guten sind«, sagte Kennedy.

»Ich rede hier, Bill«, sagte Dell, ohne den Blick von mir zu nehmen und ohne sein falsches Lächeln zu unterbrechen.

Falls Kennedy und Dell eine Show von mir erwarteten, so tat ich ihnen den Gefallen nicht. Ich lehnte mich stattdessen in dem Sessel zurück, der normalerweise für meine Klienten reserviert war, und verschränkte die Arme.

»Dell, das ist alles sehr interessant, aber meine Frau ist so gesetzestreu, wie man nur sein kann. Sie geht nicht einmal bei Rot über die Ampel. Sie glauben, Sie haben etwas gegen sie in der Hand? Schön, nur zu, wir sehen uns dann vor Gericht. Tatsächlich wird meine Frau mich dort nicht brauchen. Christine ist eine weit bessere Anwältin als ich. Deshalb arbeitet sie bei Harland & Sinton, und ich … na ja, ich arbeite hier. Also, danke für das Angebot. Das Geld hört sich großartig an, aber wenn es mit einer Drohung verbunden ist, verliere ich das Interesse. Ich bin nicht leicht zu erschrecken, Dell. Vergessen Sie nicht, die Münze wieder an ihren Platz zu legen, wenn Sie hinausgehen.«

Aus dem falschen Lächeln wurde ein echtes. Er sah anders aus in diesem Moment. Charmant. Trotz seiner Worte und trotz seines Auftretens war dem Mann eine unerwartete Wärme zu eigen. Er wechselte einen Blick mit Kennedy, dann bückte er sich und holte eine grüne Aktenmappe aus einem Koffer neben ihm. »Sie glauben, Ihre Frau ist nicht in Gefahr, weil sie Anwältin bei Harland & Sinton ist?«, sagte Dell. »Ironischerweise befindet sich Ihre Frau in dieser Lage, weil sie Anwältin bei Harland & Sinton ist.«

»Wie bitte?«

»Ich habe etwas mitgebracht, was ich Ihnen zeigen will. Sie können es sogar behalten, ich habe eine Kopie. Genau wie der Bundesanwalt. Mit den Dokumenten in dieser Akte können wir achtunddreißig Klagen gegen Ihre Frau anstrengen, die sich auf einhundertfünfzehn Jahre Gefängnis summieren würden. Sehen Sie selbst.«

Die Akte enthielt drei Seiten. Keine ergab viel Sinn für mich. Die erste schien eine Vereinbarung über einen Kauf von Anteilen an einem Unternehmen zu sein, von dem ich noch nie gehört hatte. Christines Unterschrift tauchte als die einer Zeugin der Vereinbarung auf und stand neben der des Klienten, dem Anteilskäufer. »Ich verstehe das nicht«, sagte ich.

»Lassen Sie es mich vereinfachen. Ihre Frau hat dieses Dokument an ihrem ersten Arbeitstag bei Harland & Sinton unterschrieben. Allen neuen Anwälten bei Harland & Sinton wird diese Behandlung zuteil. Sie wissen, wie es am ersten Tag an einem neuen Arbeitsplatz ist. Die Hälfte der Zeit ist man damit beschäftigt, sich die Namen der Leute zu merken oder wo man sitzt und seine Unterlagen findet, und man versucht, sich die ganzen verdammten Computer-Passwörter einzuprägen, die man gerade erhalten hat. Gegen halb fünf werden Sie bei Harland & Sinton von einem der Teilhaber in dessen Büro gerufen. Er hat soeben einen Vertrag über einen Anteilstransfer abgeschlossen. Er meint, alles sei mit gebotener Sorgfalt erledigt und geprüft worden, aber man habe ihn gerade zu einer dringenden Besprechung wegen eines Notfalls gerufen, und der Klient sei eben erst eingetroffen. Der Teilhaber möchte, dass Sie das Dokument als Zeuge für ihn beglaubigen. Alles, was Sie tun müssten, erklärt er, sei, dem Klienten dabei zuzusehen, wie er das verdammte Papier unterzeichnet. Danach habe man daneben den eigenen Namen zu setzen. Mehr habe man nicht zu machen. Das kommt ständig vor. Tatsächlich haben alle zweihundertdreiundzwanzig Anwälte der Kanzlei an ihrem ersten Tag dies erfahren. Aber täuschen Sie sich nicht, Mr Flynn. Indem sie dieses Dokument unterschrieb, wurde Ihre Frau unwissentlich zur Mitwirkenden bei einer der größten Finanzbetrügereien der amerikanischen Geschichte.«

»Harland & Sinton? Betrug? Mein Freund, Sie irren sich gewaltig. Es ist eine der ältesten und angesehensten Anwaltskanzleien der Stadt. Nie im Leben werden hier illegale Geschäfte betrieben. Warum sollten sie? Sie haben so viel Geld, dass sie nicht wissen, wohin damit.«

»Sie haben Geld, das stimmt. Schmutziges Geld.«

»Haben Sie dafür Beweise?«

»Einige, wie etwa die Dokumente, die Sie gerade lesen. Wir kennen nicht alles. Noch nicht. An dieser Stelle kommen Sie ins Spiel. Es ist nämlich so, dass die Kanzlei über die Jahre ihre finanziellen Höhen und Tiefen hatten, aber das änderte sich, als Gerry Sinton 1995 an Bord kam. Harland & Sinton reduzierte die Zahl seiner Klienten auf weniger als fünfzig und konzentrierte sich auf Aktien, Anleihen, Steuern, Vermögensverwaltung und Immobilien. Ihr Gewinn ging durch die Decke. Ehe Sinton auftauchte, war die Kanzlei sauber – und sie hat immer noch den besten Ruf. Die idealen Umstände für ihre kleine Unternehmung.«

»Welche Unternehmung?«

Dell hielt inne und sah den nicht angerührten Alkohol vor mir an, dann wandte er sich an Kennedy und sagte: »Machen Sie uns doch bitte einen Kaffee, Bill.«

Kennedy ging nach hinten und versuchte, meine alte Kaffeemaschine in Gang zu setzen.

»Harland & Sinton ist nur Fassade. Die beiden Anwälte sind ein wenig juristisch tätig, aber in Wirklichkeit betreiben sie Geldwäsche im großen Stil, auf amerikanischem Boden gab es bisher kaum Größeres. Die Kanzlei agiert im Namen von Firmen, die in Wirklichkeit gar nicht existieren, einzig und allein auf dem Papier. Ihre realen Klienten werden dazu gebracht, Anteile dieser Firmen zu kaufen, und die Klienten erhalten eine garantierte Rendite von etwa zwanzig Prozent auf ihr Investment. Was sie tun, ohne es zu wissen, ist, dass sie sauberes Geld einspeisen, und das schmutzige Geld fließt über die Konten der Scheinfirmen zurück und wird über deren Bücher gesäubert, um die Investoren auszuzahlen. Das schmutzige Geld stammt von Drogenkartellen, Terrororganisationen, was Sie wollen. Und Ihre Frau hat ein Dokument gegengezeichnet, mit dem sie sich tief in diesen Betrug verstrickt hat.«

»Niemals.«

Ich sah mir die Dokumente noch einmal an. Wenn das stimmte, was Dell sagte, war Christine in größten Schwierigkeiten. Die Tatsache, dass sie nichts von alldem wusste, spielte keine Rolle. Es ist ein Verstoß gegen die Haftung eines Anwalts – wenn man mit einem Geschäft befasst war, ohne es mit der gebotenen Sorgfalt zu prüfen, hing man mit drin. Die Tatsache, dass man die Transaktion handhabte, reicht für eine Verurteilung, egal, welche Absichten man verfolgte.

»Woher wissen Sie das alles?«

»Weil ich mit einem Typen gesprochen habe, der einige dieser Transaktionen betreut hat. Er hat mir das System verraten. Er wollte die ganze Sache auffliegen lassen.«

»Wozu brauchen Sie mich dann?«

»Ehrliche Antwort? Weil der Zeuge tot ist. Der Boss Ihrer Frau, Gerry Sinton, hat ihn ermorden lassen.«

KAPITEL SECHS

Kennedy blieb wie angewurzelt stehen, in den Händen den heißen Kaffee. Es wurde mucksmäuschenstill im Raum. Ich schloss die Augen und rieb mir die Stirn. Es fühlte sich an, als würde sich in meinen Schläfen ein Strom aus Blei stauen.

In was zum Teufel war Christine da hineingeraten?

Sie war die einzige Frau, die ich je wirklich geliebt habe. Unsere Hochzeit war keine große Sache gewesen. Meine Eltern waren beide tot, und mit Ausnahme von Richter Ford und meinem Partner Jack Halloran waren alle meine Freunde Betrüger, Nutten oder Mafiosi, aber sie waren trotzdem meine Freunde. Es war eine ungewöhnliche Versammlung gewesen in der Kirche an der Freeman Avenue an diesem Tag. Auf einer Seite war die Kirche voll mit New Yorkern gewesen, die zur Elite Manhattans gehörten: Zeitungsbesitzer, berühmte Köche, Immobilien-Millionäre, Anwälte, Models und Prominente – was immer das sein soll. Das war Christines Seite. Auf meiner gab es einen Richter, meinen Mentor Harry Ford, einen windigen Anwalt in Gestalt meines damaligen Partners Jack Halloran und eine eins fünfundachtzig große Ex-Hure namens Boo. Dazu vier Mafiosi zusammen mit ihren unglaublichen Frauen und ihrem Boss Jimmy »the Hat« Fellini. Ein paar alte Kumpel aus meiner Zeit als Betrüger und meine frühere Vermieterin, Mrs Wachowski, die ich nicht besonders mochte, aber sie ließ den Rest von ihnen nicht so schlecht aussehen. Alle benahmen sich. Nur Mrs Wachowski enttäuschte mich, weil sie nach zu vielen Cocktails in die Toilette fiel. Christines Mom musste sie herausziehen.

Mir war das egal. Ich hatte nur Augen für Christine. Wir waren glücklich. Es blieb nicht so.

Irgendwo zwischen meinen irren Arbeitszeiten am Gericht, dem Fall Berkley und meiner Trinkerei hatte Christine aufgehört, mich zu lieben. Ich sah es in ihren Augen, sie hatte genug davon. Genug von mir. Obwohl ich meine Richtung im Leben verloren hatte, hatte ich nie die Liebe zu meiner Frau verloren. Letzten Mittwochabend hatte ich sie an Mrs Wachowskis Sturz in die Toilette erinnert, und sie hatte einen Schluck Wein wieder herausgeprustet. Und obwohl sie sich auf der Eingangstreppe von mir weggedreht hatte, wusste ich, es gab eine kleine Chance, dass wir eines Tages wieder zusammen sein könnten. Die Hand, die sie auf meine Brust gelegt hatte, war sanft gewesen, von einer Zärtlichkeit, die mir Hoffnung machte.

Kennedy blies den Dampf von den Kaffeebechern, dann trat er vor und gab mir einen. Er stand neben Dell und wartete darauf, dass ich trank. Der Kaffee war zu heiß. Ich stellte den Becher auf meinen Schreibtisch, nahm einen Kugelschreiber zur Hand und ließ ihn um meine Finger kreisen. Es half mir nachzudenken.

»Wer war der Informant?«, fragte ich.

Dell unterdrückte eine Grimasse, erhob sich von meinem Schreibtisch und ließ sich seufzend in meinem Sessel nieder. Kennedy gab ihm ebenfalls einen Becher.

»Danke, Bill«, sagte er und goss noch einen Schuss aus seinem Flachmann in den heißen Kaffee.

»Seit dem 11. September nimmt die CIA das Herz des Terrorismus ins Visier – seine Finanzierung. In den letzten fünfzehn Jahren habe ich Grand Cayman bearbeitet, die Insel ist der Panamakanal für schmutziges Geld. Wir hatten einen Burschen unter Beobachtung – Farooq. Er empfing Befehle direkt von Gerry Sinton. Wir fanden heraus, dass Farooq nicht nur ein korrupter Banker und Geldwäscher war, sondern außerdem mit Bildern von Kindern im Internet handelte. Er wurde letztes Jahr im April von einer internationalen Task Force der Polizei gefasst. Man kam ihm über ein Pädophilennetzwerk auf die Spur, und als ihn die Polizei auf den Kaimaninseln festnahm, fand sie illegale Fotos auf seinem Computer. Das bedeutet dort eine lange Haftstrafe, aber sehr wahrscheinlich hätte er seinen ersten Tag im Gefängnis nicht überlebt. Die Kanzlei braucht Mittelsmänner wie Farooq, um Geld zu verschieben, aber wäre er zum Verräter geworden, hätte er sie alle mit in den Abgrund reißen können.

Also beschloss ich, auf der Polizeistation von George Town mit ihm zu reden. Ihn in einen Aktivposten zu verwandeln. Er war einige Wochen zuvor von der Kanzlei abserviert worden, weil Sinton eine neue Methode entdeckt hatte, Geld zu verschieben und zu waschen; außerdem fürchtete Farooq um seine Haut. Er versprach uns, die größte Geldwäscheorganisation der Welt auffliegen zu lassen, und lieferte uns sogar Beweise. Einige der Dokumente waren ähnlich wie die Vereinbarung, die Sie schon gesehen haben, manche waren alte Kontoauszüge. Sie sollten ein Vorgeschmack auf das sein, was er uns bieten konnte, wenn wir ihm eine neue Identität, eine neue Existenz verschafften. Er lieferte uns Harland & Sinton.«

Der Kaffee schmeckte bitter – eine alte Maschine und keine Filter. Ich versuchte, mich auf den Mann vor mir zu konzentrieren, und hielt nach verräterischen Zeichen Ausschau. Er wirkte entspannt, sah mich direkt an, seine Gestik war ungezwungen, auch betonte er keine Worte oder verdeckte den Mund mit der Hand.

»Wir waren bereit für einen Deal und verließen die örtliche Polizeizentrale im Konvoi. Farooq kam nie in der Botschaft an. Ich weiß nicht, wer den Angriff ausgeführt hat, aber es war ein militärischer – sie schalteten das Führungsfahrzeug mit einem Raketenwerfer aus und sperrten die Straße dahinter. Meine Chefanalystin starb in einem der Fahrzeuge. Ihre Schreie, als sie verbrannte, waren nicht zu überhören. Ich konnte mich nicht zu ihr durchkämpfen. Farooq wurde lebend entführt. Die Kanzlei musste wissen, was er der Polizei erzählt hatte.«

Dell senkte den Blick, als er sagte: »Farooq hat ihnen alles erzählt. Wir fanden seine Leiche – sie hing über der Mauer der Botschaft. Er war von Kopf bis Fuß mit Säure verätzt worden. Es gab keine tödlichen Wunden, keine Zeichen einer größeren Verletzung. Vermutlich war er an einem Herzinfarkt oder einem Anfall gestorben, verursacht durch den Schmerz bei Säureverbrennungen. Stellen Sie sich das vor – solche Schmerzen zu haben, dass der Körper einfach stirbt. Mit Farooq war auch der Fall gestorben. Alle schriftlichen Beweise führten zu den Anwälten, die die Vereinbarungen als Zeugen unterschrieben hatten, und nichts stellte eine Verbindung zu den Teilhabern her. Gerry Sinton schaltete die restlichen Mittelsmänner aus, und die Kanzlei begann, das Geld auf andere Weise zu waschen. Wir waren wieder bei null … Aber nun haben wir eine Chance, Harland & Sinton zu kriegen. Wir glauben, dass wir einen Zeugen haben. Ihren neuen Klienten.«

»Sie haben mir noch nicht gesagt, wer dieser Mann ist. Und warum Sie davon ausgehen, dass er zu einem Deal bereit ist.«

»Er wird dazu bereit sein. Er ist noch ein halbes Kind. Ein verängstigtes Kind. Sicher, er ist auf seine Weise mächtig. Aber die Aussicht auf eine lebenslange Freiheitsstrafe … Er hat Informationen über die Kanzlei – Schlüsselinformationen. Das ist alles, was Sie für den Moment wissen müssen. Holen Sie ihn auf unsere Seite. Ich mache dann den Deal mit ihm.«

»Was hat der Junge getan?«

»Er hat vor fünfzehn Stunden seine Freundin erschossen. Wir haben die Waffe, wir haben Zeugen, die ihn am Tatort gesehen haben, und wir haben forensische Beweise. Alles, was man sich nur wünschen kann. Was Sie tun müssen, ist, ihn dazu zu bringen, dass er seine jetzigen Anwälte feuert und Sie als seinen Verteidiger engagiert, und Sie müssen ihn dazu bringen, einen Deal mit mir zu machen.«

»Man wird mich nicht vor Gericht zulassen. Es gibt einen massiven Interessenkonflikt meinerseits. Ich kann meinen Mandanten nicht zu einer Absprache überreden, von der meine Frau profitiert.«

Dell tat, als hätte er mich nicht gehört. »Wir wollen, dass er sich noch vor der vorläufigen Anhörung schuldig bekennt. Er muss binnen vierundzwanzig Stunden nach der Verhaftung vernommen werden. Er wurde heute Morgen festgenommen und befragt. Vor morgen Mittag muss die Vernehmung zur Anklage erfolgt sein. Das ist Ihr Zeitrahmen – fünfzehn Stunden, um sich den Klienten unter den Nagel zu reißen. Wenn es Ihnen gelingt, engagiert zu werden, wird der Richter wahrscheinlich eine Vorverhandlung für den nächsten Tag ansetzen. Ich will, dass der Mann sich noch vor diesem Termin für schuldig erklärt, wenn der Druck groß und der Staatsanwalt zu einer Verständigung bereit ist. Das ist der Zeitpunkt, an dem er am verwundbarsten sein wird. Außerdem hilft es uns nicht, wenn wir mit den Beweisen dieses Mannes nur die Teilhaber festnageln. Wir wollen das Geld der Kanzlei. Denken Sie an Bernie Madoff – die bedeutendste Festnahme in einem Fall von Finanzbetrug in der Geschichte, aber das Ganze gilt als Fehlschlag für die Strafverfolgungsbehörden, weil das Geld nicht wiederbeschafft werden konnte. Wir brauchen die Teilhaber und das Geld. Und um beides zu bekommen, müssen wir schnell handeln, bevor das Geld verschwindet. Wenn Sie das hinkriegen, sorgen wir dafür, dass Christine straffrei bleibt.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Ich will offen und ehrlich zu Ihnen sein, Eddie. Genau so arbeitet die CIA nun mal. Wir sichern uns etwas, das einen Wert für uns darstellt, kontrollieren es und beuten es aus. Ihr neuer Klient ist dieser Wert. Wir müssen ihn unter Kontrolle haben, damit wir ihn benutzen können. Sie werden gut entschädigt. Wir wissen nach dieser Sache in der Chambers Street, dass Sie mit dem Druck umgehen können. Wir wissen immer, auf welche Knöpfe wir bei Ihnen drücken müssen, Eddie Fly.«

Die Mafia nannte mich Eddie Fly, insbesondere mein alter Freund Jimmy »the Hat«. Als Jugendliche hatten wir nach dem Boxtraining immer Stickball gespielt. Ich war Jimmys Schlagkraft nicht gewachsen, aber ich hatte flinke Hände, die jeden Ball erwischten. Jimmy gab mir den Spitznamen Eddie Fly, und er blieb mir, nachdem ich zum professionellen Betrüger geworden war.

Ich dachte an Christine und Amy. Standesgelübde hin oder her, ich durfte nicht zulassen, dass meine Familie gefährdet wurde. Und nach allem, was Dell mir erzählt hatte, schien der Klient schuldig zu sein. Einem schuldigen Mann dabei zu helfen, zu gestehen und einen Handel mit der Anklage einzugehen, um im Gegenzug meine Frau zu retten, klang eigentlich nicht so übel.

»Ich muss es Christine sagen. Sie hat ein Recht, es zu erfahren.«

Dell schüttelte den Kopf. »Sie sagen nichts zu ihr. Je weniger sie weiß, desto besser. Was, wenn sie in Panik gerät und es rutscht ihr gegenüber einem der Teilhaber etwas heraus? Sie wäre tot, und die ganze Unternehmung würde scheitern. Sagen Sie ihr nichts. Sie spendieren ihr ein Ticket, mit dem sie aus der ganzen Geschichte herauskommt. Das muss reichen.«

Ich konnte den Gedanken nachvollziehen. Ich hatte keine Ahnung, wie Christine reagieren würde, ob sie mir überhaupt glauben würde. Ich sah Dell an. »Wer ist der Klient?«

Wieder ging Dell nicht auf die Frage ein. Er sah Kennedy an. »Ich muss meine Beine strecken«, sagte er und stand vom Schreibtisch auf. Ich bemerkte ein leichtes Hinken. Er ging ein Stück und rieb sich das Knie.

»Ich bin nicht ohne Narben aus dem Anschlag auf Farooq herausgekommen, Mr Flynn. Ich will diese Kanzlei. Sie haben mir meinen Zeugen und meine Analystin genommen. Ich werde sie kriegen.« Er ging wieder ins Hinterzimmer, wo ich ihn die Tür zur Toilette schließen hörte.

Kennedy beugte sich vor, sodass Dell uns nicht hören konnte.

»Die Analystin, die bei dem Anschlag auf Farooq gestorben ist – sie hieß Sophie. Dells Schützling. Und seine Geliebte. Wie ich hörte, waren sie ein Herz und eine Seele. Wahre Liebe. Er nimmt das alles sehr persönlich. Seien Sie nachsichtig mit ihm.«

»Er bedroht meine Frau.«

»Er macht seinen Job. Er will Ihrer Familie nicht schaden, im Gegenteil, er besorgt Ihnen eine Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte für Christine. Sie wissen, es spielt keine Rolle, ob Christine die Absicht hatte, Geld zu waschen, oder nur einen Fehler gemacht hat. Tatsache ist, sie hat das Papier unterschrieben, ohne es vorher mit der gebotenen Sorgfalt geprüft zu haben. Dass man sie belogen hat, spielt keine Rolle. Dell bietet ihr einen Ausweg.«

»Sie haben mir noch immer nicht gesagt, wer der Klient ist und wie er die Kanzlei zu Fall bringen kann.«

»Er ist die Schlüsselfigur, Eddie. Oder vielmehr – er hat den Schlüssel. Wir glauben, dass es vorläufig wohl besser ist, wenn Sie nicht zu viel darüber wissen, was dieser Mann gegen die Kanzlei in der Hand hat. Aber er ist der Einzige, der uns zu dem Geld führen kann. Es werden ein paar Tage mit gewaltigem Druck werden. Ich weiß, Sie sind gut – deshalb sind wir hier –, aber wir können es nicht riskieren, dass Ihnen etwas Falsches herausrutscht. Wenn der Klient glaubt, Sie benutzen ihn, um gegen die Kanzlei vorzugehen, kann es sein, dass er dichtmacht. Sagen Sie ihm, Sie können einen netten Handel für ihn einfädeln. Er muss nur mit ein paar Kontakten von Ihnen reden. Von da an übernehmen wir.«

Ich hörte Dell zurückkommen.

»Okay, wie machen wir es?«, sagte ich.

Ich sah, wie sich Kennedy merklich entspannte. Die beiden Agenten, die ich verletzt hatte, ebenfalls. Dell schürzte die Lippen und nickte. In seinen Augen schien ein Licht anzugehen.

»Wir können Ihnen helfen, seinen Anwalt morgen früh aufzuhalten, bevor er zum Gericht kommt. Um Ihnen Zeit zu verschaffen. Ab dann sind Sie auf sich allein gestellt.«

»Und seine jetzigen Anwälte sind …?«

»Richtig: Harland & Sinton.«

ERSTER TEILABGEKARTETES SPIEL

***

KAPITEL SIEBEN

Montag, 16. März

Sechsunddreißig Stunden bis zum Schuss

Mein Dad hatte mir einmal erklärt, dass es für einen Betrüger zwei grundlegende Arbeitsweisen gibt: den schnellen und den langfristig angelegten Betrug. Der schnelle Betrug passiert meist auf der Straße oder in einer Kneipe, er dauert zwischen fünf Sekunden und fünf Minuten und bringt geringen Ertrag bei geringem Risiko. Ein langfristig angelegter Betrug braucht Zeit, es ist nicht ungewöhnlich, dass es ein halbes oder sogar ein ganzes Jahr dauert, um ihn auszuführen. Er erfordert eine genaue Organisation, ein Auskundschaften sowie einen hohen finanziellen Einsatz, wobei das enorme Risiko durch einen potenziell großen Gewinn ausgeglichen werden kann.

Es gibt noch einen dritten Typus, genannt die Pistole. Das ist ein im Grunde langfristig angelegter Betrug, der aber in einen kurzen Zeitrahmen gepresst wird, zwischen ein paar Tagen und einer Woche. Geschwindigkeit ist hier entscheidend, und es ist die bei Weitem riskanteste Methode. Man hat wenig Zeit, um zu proben, zu planen, Vorbereitungen zu treffen. Notgedrungen improvisiert man die meiste Zeit. Niemand entscheidet sich für eine Pistole, es sei denn, eine unglaubliche Sache fällt einem in den Schoß, etwas, das man sich einfach nicht entgehen lassen kann, das unwiderstehlich ist: Eine reiche Zielperson, die gern spielt, kommt in die Stadt, aber sie bleibt nur ein paar Tage, oder ein unbezahlbares Gemälde muss wegen unvorhergesehener Reparaturarbeiten vorübergehend aus seinem sicheren Verwahrort entfernt werden. Irgendetwas in dieser Art. Schnell. Komplex. Gefährlich.

Angeblich kommt der Name daher, weil die Sache so schnell gestartet werden muss – als würde man einen Abzug betätigen. Aber in Wirklichkeit heißt es so, weil der Betrüger damit rechnen kann, dass man ihm eine Kugel verpasst, wenn das Ganze schiefgeht. Am Morgen vor dem St. Patrick’s Day, um acht Uhr fünfzehn, startete ich die erste Pistole meiner Laufbahn. Wie fast jeder gute Betrug fing er klein an. Zuerst eine Reihe einfacher Schritte und Gesten, Handwerkszeug des Betrügers, um sein Opfer anzulocken, um es schwitzen zu lassen vor Sorge, bis der Betrüger auf den Plan tritt und die Lösung all seiner Probleme parat hat.

Als ich an diesem Morgen den Zellentrakt im Untergeschoss des Bezirksgerichts von Manhattan betrat, verbarg ich einen gefalteten Zwanzigdollarschein in der rechten Hand. Meine Schritte hallten von dem glänzenden Linoleumboden wider, während ich an den Gitterstäben vorbeiging, die mich von den Inhaftierten trennten, die auf ihren Auftritt vor Gericht warteten. Aus den Augenwinkeln nahm ich meine Zielperson wahr. Der Mann saß ein Stück abseits von den anderen in der Ecke, den Kopf gesenkt, die Hände vor dem Gesicht. Ich sah den Vollzugsbeamten mit seiner Flinte in den Armen. Er hatte den Schlüssel zu der Arrestzelle mit meiner Zielperson und dreißig anderen Kerlen, die darauf warteten, dem Haftrichter vorgeführt zu werden. Die meisten der Männer an diesem Morgen waren wegen Drogen, Alkohol oder Problemen mit ihrer geistigen Gesundheit hier, sie saßen ein, weil sie arm waren oder Banden angehörten, und einige verdankten ihre Inhaftierung ohne Frage einer Kombination all dieser Gründe. Die Zielperson war anders. Vollkommen anders. Der Mann war mit weitem Abstand der kleinste von allen. Er sah einigermaßen gesund aus, aber ein wenig zu dünn. Der orangefarbene Overall schlotterte ihm um die Knochen. Irgendwer hatte ihm bereits die Schuhe weggenommen, ich konnte seine weißen Sportsocken sehen. Die Wächter nehmen den Gefangenen grundsätzlich Schnürschuhe ab, damit keiner sich oder jemand anderen mit den Schnürsenkeln erdrosseln kann. Anstelle ihrer Nikes oder Converses gibt man ihnen schwarze Gummilatschen. Die Zielperson trug aber nicht einmal solche, er konnte sie nur verloren haben, denn wer sollte die ihm klauen? Sein ungekämmtes, lockiges hellbraunes Haar und die Brille mit Drahtgestell ließen ihn ein klein wenig lächerlich aussehen, ein wenig zu sehr nach einem Nerd, um noch cool zu wirken. Ich bezweifelte allerdings, dass ihm das jemals irgendwer gesagt hatte.

Wenn du Milliardär bist, sind alle Leute auf einmal sehr höflich zu dir.

Neil, der Vollzugsbeamte, hörte mich kommen und verlagerte das Gewehr in seinen Armen. Für einen Strafverteidiger war dieser Käfig eine Gelegenheit zur Eigenwerbung. Die Kerle beobachteten genau, wer auf Kaution rauskam und wer nicht, wer seinen Prozesstermin schnell bekam und ob jemand freigesprochen wurde. Und wer in dieser Arrestzelle sitzt, hat viel Zeit, um sich zu unterhalten. Neil machte diesen Job seit zwanzig Jahren. Mein alter Partner hatte Neils Scheidung zum Schnäppchenpreis erledigt, damit er im Gegenzug bei den Stammgästen in seiner Zelle ein bisschen für uns trommelte.

Verdammt noch mal, wie hat es dieses Arschloch geschafft, auf Kaution rauszukommen? – Dank Eddie Flynn, ganz einfach.

Die übliche Geräuschkulisse in diesem Zellentrakt war eine ohrenbetäubende Kakofonie aus Flüchen, Schreien und dem Grölen Betrunkener. Niemand hätte unter normalen Umständen mein Gespräch mit Neil bemerkt. So viel hatte ich ihm bereits vor einigen Stunden dargelegt, und wir hatten uns einen kleinen Trick für meine Ankunft heute Morgen ausgedacht, etwas, das mir die Aufmerksamkeit der Zielperson sichern würde.

Ich blieb vor Neil stehen und blinzelte ihm zu. Er legte eine Patrone in die Zwölf-Kaliber-Flinte ein. Dieses Geräusch, dieses unverkennbare Knacken reichte, damit alle abrupt innehielten. Selbst mit dem Rücken zum Käfig konnte ich die Blicke sämtlicher Gefangener auf mir spüren. Ich streckte die rechte Hand aus, um dem Beamten die Hand zu schütteln, und drehte mich dabei ein wenig nach links, damit die Zielperson dies sehen konnte. Meine Finger öffneten sich weit genug, damit der Milliardär bemerkte, wie das Geld den Besitzer wechselte. Neil steckte den Schein demonstrativ in seine Brusttasche. Er öffnete den Käfig für mich, was strengstens verboten war, und ich betrat das Haifischbecken. Jetzt musste ich nur noch meinen Köder auswerfen.

Popo, ein drogensüchtiger Klient von mir, begrüßte mich mit einem mürrischen Schieflegen des Kopfes. Popo stammte ursprünglich aus L. A. und war ein professioneller Verräter, der hierhergezogen war, als ihm Fresno zu heiß wurde. Er sah ziemlich gut aus für einen Typen wie ihn. Seine Jeans waren auf einer Seite zerrissen, und auf seinem ärmellosen Unterhemd waren eine Menge Essensflecke. Er roch nach Scheiße und Zigaretten. Eine dicke Schweißschicht bedeckte seinen von Heroin ausgemergelten Oberkörper. Er schwitzte, ein Zeichen, dass die Entzugserscheinungen einsetzten. Popo trug billige Sportschuhe ohne Schnürsenkel, damit er seine eigene Fußbekleidung behalten konnte, wenn man ihn verhaftete, was regelmäßig geschah. Sein richtiger Name war Dale Barnes. Das war jedenfalls der Name, den er den Polizisten immer nannte – aber er verpfiff so oft jemanden, dass er in der Szene nur noch Popo genannt wurde, was für »Polizei« stand. Der Ursprung des Wortes ist unklar, aber es scheint in Kalifornien angefangen zu haben, wo es diese Beamten gibt, die auf Fahrrädern paarweise Streife fahren und jeweils PO für »Police Officer« auf dem Rücken ihrer T-Shirts aufgedruckt haben. Die zwei Radler zusammen ergeben dann POPO. Für einen Spitzel konnte so ein Name nicht gut fürs Geschäft sein.

Popo sprach durch aufgesprungene, blutende Lippen. »Wo steckst du die ganze Zeit, Anwalt?«