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Beschreibung

Die deutsche Außenministerin warnt vor Kriegsmüdigkeit. Allen Ernstes. Ist die Frau noch bei Trost? Ja, sicher, sie redet vom Krieg in der Ukraine. Der ist weit genug weg, dass nicht die Leute, die sie demokratisch mitregiert, zum Töten und Sterben abkommandiert werden, sondern – erst einmal – nur einige Millionen Slawen. Aber genau das ist ihr, nicht räumlich, sondern qualitativ gesehen, zu weit weg. Sie meint, dass von den Ukrainern unser Krieg geführt wird. Und sie meint damit nicht, dass wir froh sein können, einen nationalen Haufen gefunden zu haben, der für uns den Kopf hinhält. Sie mahnt uns zur Identifizierung mit denen, die dort hinten, weit am Schwarzen Meer, zum Töten und Sterben abkommandiert werden. Identifiziert sie auch sich mit denen, die dort das Kommando haben? Bereitet sie sich darauf vor, es der ukrainischen Führung gleichtun zu dürfen? Ermahnt sie ihre Ampel – und die mitregierende Opposition gleich mit – dazu, Menschenopfer nicht zu scheuen? Vielleicht tut sie ja nur so. Von Krieg in dem Sinn redet sie gar nicht. Sondern von einem guten Zweck. Von unseren Werten, für die die Ukrainer sich so todesmutig opfern und Russen töten; Freiheit, Demokratie und so Sachen. Den €uro meint sie damit sicher nicht, geschweige denn den alltäglichen Konkurrenzkampf um dessen Erwerb. Die Methode, nach der ihre Grüne Partei an die Kommandomacht im Staat gekommen ist, meint sie sicher auch nicht. Aber was meint sie dann? ‚Werte‘ ist das eingebürgerte Wort für die zielgenaue Abstraktion von allen wirklichen politischen und ökonomischen Lebensverhältnissen und Staatseinrichtungen. Mit dem Zielpunkt nämlich, dass in oder hinter dieser Leerstelle etwas steckt, das unbedingten Einsatz wert ist. Kein Lebens- oder Genussmittel, sondern jenes Höhere, Absolute, für das eine wertegebundene Staatsmacht – und welche in der Welt wäre das nicht?! – ihre Bürger zum Totmachen und Sterben abkommandiert, wenn sie Krieg macht. Werte haben ihren ganzen Inhalt in ihrer Funktion, Gewalt zu rechtfertigen; in Baerbocks Fall: Krieg zu idealisieren. Der darf deswegen auch gerne andauern; bis in den Sommer kommenden Jahres, veranschlagt die Regierung fürs Erste. Dessen darf das Volk nicht müde werden. Das ist schon gemeint. Um es nochmal so zu sagen: Entweder möchte die Ministerin den Regierten mitteilen, dass die Phrase von der Opferbereitschaft des guten Staatsbürgers keine bloße Phrase ist; dass die Regierung jedenfalls nicht ansteht, sie in die Tat umzusetzen, wenn sie Soldaten braucht. Und dass das Volk sich nicht zu wundern braucht, wenn es dazu abgeholt wird, sondern allzeit und nimmermüde bereit sein muss, seinem Staat als Waffe zu dienen. Oder, die andere Möglichkeit: Man hat es mit dem brutalen Zynismus einer Ersatzkanzlerin zu tun, die sich und ihr Volk beim wertegeleiteten kriegerischen Verheizen fremder Völkerschaften zum Durchhalten ermahnt. Drittens ist das womöglich gar kein Entweder-Oder. * Leute wie Baerbock, regierende wie oppositionell scharfmacherisch mitregierende, machen seit einem halben Jahr eine Zeitenwende. Wozu sie es da mittlerweile gebracht haben, weltweit und daheim, davon handelt diese Zeitschrift.

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Inhalt
Kriegsmüdigkeit
Das erste Halbjahr Ukraine-KriegVon einer Spezialoperation gegen einen antirussischen NATO-Vorposten zum Zermürbungskrieg: Selbstbehauptung vs. Zerstörung der russischen Militärmacht
Der Auftakt: Die russische Invasion und ihre Kriegsziele
Ein Stellvertreterkrieg neuen Typs
Die Ukraine kommandiert ihr Volk zum „totalen Verteidigungskrieg“
Die USA: Eine neue Form und gewaltige Steigerung des „leading from behind“
Die nächste Etappe: Übergang zum größten Landkrieg der neueren Zeit in Europa
Die Kaliningrad-Blockade durch Litauen – ein beherzter Vorstoß in der Auseinandersetzung mit Russland
Der Wirtschaftskrieg wird global und prinzipiell
I. Der Westen produziert eine Weltwirtschaftskrise
Der Weltenergiemarkt wird aufgemischt
Die Teuerung wird allgemein
Aus der allgemeinen Preissteigerungswelle folgt eine weltweite Wirtschaftskrise
Ein kontraproduktiver Konkurrenzkampf gegen die Krise
II. Die Verallgemeinerung des Wirtschaftskrieges zur neuen Weltlage rührt an die Grundlage der bisherigen
Die Europäer komplettieren ihr Sanktionsregime und konkurrieren um die Bewältigung der Folgen
Die Universalisierung des Sanktionsregimes: Notwendigkeit und Rechtsanspruch westlicher Wirtschaftskriegsführung
Die Grundlage der Durchschlags- und Überzeugungskraft westlicher Sanktionspolitik: Weltkapitalismus ist Dollarkapitalismus
Die Reaktionen – berechnendes Mitmachen, Entzug, Opposition – und deren Grundlage: Dollarkapitalismus funktioniert nur als Weltkapitalismus
Das politische Ringen um die Verallgemeinerung des Wirtschaftskrieges rührt an die wirkliche Grundlage der amerikanischen Weltordnung
Der Wirtschaftskrieg gegen Russland kommt in Deutschland an
Der Auftakt: 100 neue Milliarden für die Bundeswehr
Eine mit Tankrabatt & 9-Euro-Ticket verabreichte Verteuerung der Mobilität
Gasumlage, Energieknappheit und andere Gerechtigkeitsprobleme
Der Wirtschaftskrieg bringt das staatliche Management des Widerspruchs zwischen dem privaten Geschäft mit Gas und der Gasversorgung der Gesellschaft durcheinander. „Deutschland steckt in einer Gaskrise“
Der Staat nimmt die Wirtschaft in die Pflicht – mit Fördern und Fordern
Der Endverbraucher wird für den Wirtschaftskrieg in die Pflicht genommen: Zahlen und Sparen
Der Kollateralnutzen des Wirtschaftskriegs für Klimaschutz und Energiewende
Allgemeine Teuerung und die längst entschiedene Frage, wen sie wie trifft
Der Kanzler lädt Arbeitgeber und Gewerkschaften zu einer Konzertierten Aktion
Wenn Verarmung, dann bitte gerecht!
Botschafter Melnyk und sein Gastland unterhalten sich über ihre Völkerfreundschaft
Mehr deutsche Macht – das nationale Grundbedürfnis, dem Politik und Volk gefälligst gerecht werden sollen
Ja zum Krieg aus dem Geist patriotischer Selbstkritik
Die AfD – Nein zum Krieg aus frustriertem Souveränitätswillen
Wolfgang Thierse – die nachdenkliche Stimme der SPDDie wenig begeisterte Parteinahme für die deutsche Kriegsbeteiligung aus dem Geist der alten SPD-Politik
Die Botschaft an die Restposten des deutschen Pazifismus
Die Botschaft an den Mainstream der Kriegsbegeisterung
Die alte Entspannungspolitik: eine deutsche Erfolgsgeschichte
Das bittere Ende erfolgreicher deutscher Politik zwischen den Großmächten: an Putin, aber auch an Amerika gescheitert
Die dringliche Mahnung: Verantwortlich Krieg führen!
Kriegsbejahung im Geiste einer brauchbaren Nachkriegsordnung
Das SPD-mäßige Leiden an Deutschlands imperialistischem Status
Bemerkungen zur Machart freiheitlich-demokratischer Kriegspropaganda
Informationen zum Angriffskrieg
Glaubwürdigkeit
Authentizität
Persönlichkeit und Professionalität
Die Befassung mit abweichenden Standpunkten
„Die Selbstgerechten“Sahra Wagenknechts Abrechnung mit den Linken
I. Die Linken räumen das Feld der sozialen Frage
II. Die Linken im Sittenspiegel des braven Volks
III. Der Nationalstaat als soziale Heimstatt und Schutzmacht der Unterschicht
IV. Der vom Nationalstaat regulierte Kapitalismus: Ein Idyll völkischer Gerechtigkeit

Abweichende Meinungen zum Krieg in der Ukraine

Die Welt erlebt Krieg in der Ukraine. Sie erlebt, wie Staaten für ihre Selbsterhaltung – wer dieses „Selbst“ ist und was dazu gehört, definieren sie selbst – in großem Stil über Leichen gehen. Und die Menschen, welt- und vor allem europaweit, reagieren: mit bedingungsloser Selbstverpflichtung zu moralischer Parteinahme. Geht’s noch?

Zumindest diese geistigen Missgriffe: den humanitären wie den staatsbürgerlichen und deren gesinnungsmäßig so produktive Kombination, kann man sich sparen – auch wenn es einem weder den Krieg noch die Kriegsbegeisterung empörter Mitbürger erspart. Denn das geht ja immerhin: sich und allen, die bereit sind zuzuhören, den Krieg und seine Gründe, die allgemeinen eines jeden staatlichen Souveräns wie die besonderen weltkriegstauglichen von NATO und Russland, erklären. Angebote stehen in dieser Zeitschrift.

Eine Übersicht über die im GegenStandpunkt erschienenen Artikel zur Ukraine findet sich auf unserer Webseite:

gegenstandpunkt.com/krieg-ukraine

© 2022 GegenStandpunkt Verlag

Die deutsche Außenministerin warnt vor

Kriegsmüdigkeit

Allen Ernstes. Ist die Frau noch bei Trost?

Ja, sicher, sie redet vom Krieg in der Ukraine. Der ist weit genug weg, dass nicht die Leute, die sie demokratisch mitregiert, zum Töten und Sterben abkommandiert werden, sondern – erst einmal – nur einige Millionen Slawen. Aber genau das ist ihr, nicht räumlich, sondern qualitativ gesehen, zu weit weg. Sie meint, dass von den Ukrainern unser Krieg geführt wird. Und sie meint damit nicht, dass wir froh sein können, einen nationalen Haufen gefunden zu haben, der für uns den Kopf hinhält. Sie mahnt uns zur Identifizierung mit denen, die dort hinten, weit am Schwarzen Meer, zum Töten und Sterben abkommandiert werden. Identifiziert sie auch sich mit denen, die dort das Kommando haben? Bereitet sie sich darauf vor, es der ukrainischen Führung gleichtun zu dürfen? Ermahnt sie ihre Ampel – und die mitregierende Opposition gleich mit – dazu, Menschenopfer nicht zu scheuen?

Vielleicht tut sie ja nur so. Von Krieg in dem Sinn redet sie gar nicht. Sondern von einem guten Zweck. Von unseren Werten, für die die Ukrainer sich so todesmutig opfern und Russen töten; Freiheit, Demokratie und so Sachen. Den €uro meint sie damit sicher nicht, geschweige denn den alltäglichen Konkurrenzkampf um dessen Erwerb. Die Methode, nach der ihre Grüne Partei an die Kommandomacht im Staat gekommen ist, meint sie sicher auch nicht. Aber was meint sie dann?

Werte ist das eingebürgerte Wort für die zielgenaue Abstraktion von allen wirklichen politischen und ökonomischen Lebensverhältnissen und Staatseinrichtungen. Mit dem Zielpunkt nämlich, dass in oder hinter dieser Leerstelle etwas steckt, das unbedingten Einsatz wert ist. Kein Lebens- oder Genussmittel, sondern jenes Höhere, Absolute, für das eine wertegebundene Staatsmacht – und welche in der Welt wäre das nicht?! – ihre Bürger zum Totmachen und Sterben abkommandiert, wenn sie Krieg macht. Werte haben ihren ganzen Inhalt in ihrer Funktion, Gewalt zu rechtfertigen; in Baerbocks Fall: Krieg zu idealisieren. Der darf deswegen auch gerne andauern; bis in den Sommer kommenden Jahres, veranschlagt die Regierung fürs Erste. Dessen darf das Volk nicht müde werden. Das ist schon gemeint.

Um es nochmal so zu sagen:

Entweder möchte die Ministerin den Regierten mitteilen, dass die Phrase von der Opferbereitschaft des guten Staatsbürgers keine bloße Phrase ist; dass die Regierung jedenfalls nicht ansteht, sie in die Tat umzusetzen, wenn sie Soldaten braucht. Und dass das Volk sich nicht zu wundern braucht, wenn es dazu abgeholt wird, sondern allzeit und nimmermüde bereit sein muss, seinem Staat als Waffe zu dienen.

Oder, die andere Möglichkeit: Man hat es mit dem brutalen Zynismus einer Ersatzkanzlerin zu tun, die sich und ihr Volk beim wertegeleiteten kriegerischen Verheizen fremder Völkerschaften zum Durchhalten ermahnt.

Drittens ist das womöglich gar kein Entweder – Oder.

*

Leute wie Baerbock, regierende wie oppositionell scharfmacherisch mitregierende, machen seit einem halben Jahr eine Zeitenwende. Wozu sie es da mittlerweile gebracht haben, weltweit und daheim, davon handelt diese Zeitschrift.

© 2022 GegenStandpunkt Verlag

Das erste Halbjahr Ukraine-Krieg

Von einer Spezialoperation gegen einen antirussischen NATO-Vorposten zum Zermürbungskrieg: Selbstbehauptung vs. Zerstörung der russischen Militärmacht

Der Auftakt: Die russische Invasion und ihre Kriegsziele

Den Einmarsch der russischen Truppen deklariert der russische Präsident als „Spezialoperation“ in dreifacher Absicht:

— Es geht erstens um die „Demilitarisierung“ des Nachbarstaats:

„Der weitere Ausbau der Infrastruktur der Nordatlantischen Allianz, die begonnene militärische Erschließung der Gebiete der Ukraine ist für uns nicht hinnehmbar... Das Problem ist, dass in den an uns angrenzenden Gebieten ... ein uns feindlich gesinntes ‚Anti-Russland‘ geschaffen wird, das unter vollständiger externer Kontrolle steht und von den Streitkräften der NATO-Staaten intensiv besiedelt wird und mit modernsten Waffen ausgestattet ist.“ 1)

Das erste militärische Ziel ist die Zerstörung der militärischen Infrastruktur der NATO, mit der das Land als Kriegsraum hergerichtet und als Aufmarschbasis für eine permanente Bedrohung präpariert wird. Zudem droht nach der Verabschiedung Amerikas aus dem INF-Vertrag 2) die Benutzung der Ukraine als Stationierungsort für nukleare Mittelstreckenraketen, also eine unmittelbare Bedrohung der russischen Abschreckungsmacht. 3)

— Unter dem Stichwort Entnazifizierung präsentiert der Präsident der Russischen Föderation den Einmarsch als notwendige politische Säuberungsaktion. Er evoziert die Erinnerung der ehemaligen Sowjet-Völker, die im Zweiten Weltkrieg besonders unter den Verwüstungen der deutschen Wehrmacht und ihrer einheimischen Hilfstruppen gelitten haben, in deren Sittlichkeit und nationaler Identitätspflege der Widerstand und Sieg über den Faschismus bis heute eine überragende politmoralische Bedeutung besitzt. Die Ukrainer sollen den Einmarsch nicht als feindlichen Akt begreifen, sondern als Befreiung von einem Regime annehmen, das in der schlimmsten volksfeindlichen Tradition steht. Diese Aufforderung ergeht vor allem auch an die Armee; sie soll sich nicht von einer in den Händen von Vaterlandsfeinden befindlichen Regierung, die Land und Volk ruiniert, missbrauchen lassen:

„Ich muss mich auch an die Streitkräfte der Ukraine wenden.Verehrte Kameraden! Eure Väter, Großväter und Urgroßväter haben nicht gegen die Nazis gekämpft und unser gemeinsames Vaterland verteidigt, damit die heutigen Neonazis die Macht in der Ukraine übernehmen können. Ihr habt einen Eid auf das ukrainische Volk geschworen und nicht auf die volksfeindliche Junta, die die Ukraine ausraubt und ebendieses Volk schikaniert. Führt ihre kriminellen Befehle nicht aus. Ich fordere Euch auf, die Waffen sofort niederzulegen und nach Hause zu gehen. Um es klar zu sagen: Alle Angehörigen der ukrainischen Armee, die dieser Forderung nachkommen, werden das Kriegsgebiet ungehindert verlassen und zu ihren Familien zurückkehren können.“

Der Zweck der Sache, die Beseitigung eines russlandfeindlichen Regimes an Russlands Grenze und die Einsetzung einer russlandfreundlichen, mindestens zur Kooperation mit Moskau bereiten Herrschaft, soll verstanden werden als Absetzung einer Regierung, die keine Loyalität verdient, vom Einsatz des eigenen Lebens ganz zu schweigen.

— Drittens geht es um die Verhinderungeines Völkermords im Donbass:

„Wir sehen, dass die Kräfte, die 2014 einen Staatsstreich in der Ukraine durchgeführt haben, die Macht ergriffen haben und sie mit Hilfe von eigentlich dekorativen Wahlverfahren halten, die friedliche Beilegung des Konflikts endgültig aufgegeben haben. Es war notwendig, diesen Albtraum sofort zu stoppen – den Völkermord an Millionen von Menschen, die dort leben, die sich nur auf Russland verlassen.“

Moskau bemüht den höchsten Rechtstitel für gute Gewalt, von Russlands westlichen Feinden bei ihrem Krieg gegen Jugoslawien reichlich erprobt, um sein Einschreiten gegen den Dauerkrieg, den die ukrainische Regierung seit Jahr und Tag gegen die abtrünnigen Republiken im Donbass führt, ins Licht einer einfach nicht länger aufzuschiebenden Ahndung eines Verbrechens gegen die heiligen Gebote des Völkerrechts zu rücken. Alle Welt soll einsehen, dass die militärische Konsolidierung der Volksrepubliken durch die weitere Eroberung des gesamten Territoriums der beiden Oblasti ein Gebot der allerhöchsten moralischen Güteklasse darstellt.

Der Feldzug wird wie eine militärisch durchgeführte Überzeugungskampagne präsentiert: Die Russen daheim sollen wahrnehmen, dass man nicht Krieg führt, sondern einem befreundeten Volk zu Hilfe kommt, und die Ukrainer, dass man nicht sie bekriegt, sondern – gewissermaßen in einer Polizeioperation – ein Stück amerikanischer Fremdherrschaft beendet. Die Berufung auf höchste Werte und auf grenzenloses Unrecht der ukrainischen Regierung dient zwar offensichtlich der Rechtfertigung des Einmarsches, dem ist aber ebenso zu entnehmen, was Russland mit seiner Operation zu erreichen gedenkt:

Was die Regierung in Moskau damit ins Werk setzt und bezweckt, ist ganz ohne Anführungsstriche eine militärische Spezialoperation mit dem Inhalt, das Land von antirussischen Nationalisten in Regierung und Staat, Teilen der Armee und organisiert in Freiwilligenbataillonen zu säubern und mit der Einsetzung einer prorussischen Regierung die Aufgabe der Karriere als Frontstaat des westlichen Kriegsbündnisses zu erzwingen, indem auch die Kriegsstützpunkte von USA und NATO zerstört werden. Man will die Bedrohung an der eigenen Grenze beseitigen, sich ein mindestens neutrales, im besten Fall prorussisch konstruktives Regime im Nachbarland schaffen, damit ein Stück militärische Verlässlichkeit zurückgewinnen und die zermürbende, erhebliche russische Kräfte bindende und obendrein auch noch kostspielige Auseinandersetzung im Donbass beenden.

Diese russischen Vorhaben werden dann auf folgende Art ins Werk gesetzt:

— Der vordringliche Kriegszweck ist die Beseitigung der feindlichen Regierung in Kiew. Der Feldzug der ersten Tage ist darauf ausgerichtet, eine Art Enthauptungsschlag durchzuführen und den Rest des Landes sowie auch die westlichen Schutzmächte der Ukraine vor vollendete Tatsachen zu stellen. Dafür werden militärische Risiken in Kauf genommen: Der Vormarsch der Truppe geht, vorbei an bevölkerungsreichen Zentren, die nicht zum Kriegsziel werden sollen, tief in ukrainisches Territorium, ohne ausreichenden Flankenschutz und unter weitgehendem Verzicht auf die Sicherung der langen Nachschubwege und des Hinterlands. Bei dem von Luftlandeoperationen flankierten Vorstoß von drei Seiten auf die Hauptstadt kommt es vor allem auf Geschwindigkeit an: Die politische Führung des Feindes soll im Handstreich kaltgestellt werden. Mit der Beseitigung des politischen wie militärischen Zentrums der militanten Russlandfeindschaft soll die Kooperation mit Washington und seinen Alliierten beseitigt, das Kommando über Armee und Sicherheitskräfte zerschlagen, der Widerstandswille unter den Militärs und der sonstigen Bevölkerung im Land, auch angesichts der russischen Übermacht, weitestgehend gebrochen werden – sofern vorhanden.

Die Führer im Kreml rechnen nämlich mit einiger Zustimmung vonseiten der Mehrheit der russischsprachigen Bevölkerung jenseits der Volksrepubliken, die trotz gegenteiliger Wahlversprechen auch in den Jahren der Selenskyj-Regierung immer weiterreichender politischer Ausgrenzung und Verfolgung ausgesetzt ist, deren politische Parteien bekämpft, verfolgt und verboten werden ebenso wie der Gebrauch der russischen Muttersprache in Schule, Amtsverkehr und Gottesdienst. Putin und Konsorten gehen auch davon aus, dass das ganze ukrainische Volk aufgrund seiner Enttäuschungen über den Ruin der Nation unter den Nach-Maidan-Regierungen keine Veranlassung hat, sich der russischen Macht entgegenzustellen. Seine gesamten Lebensverhältnisse sind ja durch die unverdrossen betriebene Anbindung an den Westen, die politischen Spaltungen und Kämpfe um die verbleibenden Reichtumsquellen der Nation seit Jahr und Tag mehr und mehr verwüstet worden, 4) sodass es sich also genauso gut, wenn nicht besser, mit einer von Russland eingesetzten Regierung arrangieren können sollte. 5) Der russische Feldzug ist als mit überlegener Kriegsgewalt demonstrierter Beweis angelegt, dass sich eine russlandfeindliche Herrschaft im Dienste amerikanischer Eindämmungsinteressen in der russischen Nachbarschaft nicht halten kann, dass sich alle diesbezüglichen Ambitionen für Volk und Eliten der Ukraine nicht lohnen, sodass kein Zweifel bleibt, dass eine Kooperation mit dem mächtigen Nachbarn die einzig taugliche nationale Perspektive ist.

— Gleichzeitig mit dem Marsch auf die Hauptstadt findet ein Einsatz der Luftwaffe sowie der land- und seegestützten Raketen und Marschflugkörper gegen die militärische Infrastruktur von USA und NATO im übrigen Land jenseits des Donbass statt, der ganz darauf ausgerichtet ist, die kriegsrelevanten Ziele im Sinne der russischen Operation im Land zu treffen und zu zerstören.

— Die Kampagne im Osten und Süden des Landes verbindet schließlich den Kampf um die Volksrepubliken mit der Eroberung einer Landverbindung zur Krim und perspektivisch bis nach Odessa, um dort eine militärisch gesicherte russische Einflusszone zu schaffen, die Ukraine von ihren Zugängen zum Schwarzen Meer abzuschneiden, wesentliche Nachschublinien des Gegners zu unterbinden und das Land auch von Einnahmequellen abzuschneiden.

Bei alldem achtet die russische Kriegsführung genauestens darauf, durch das Ausmaß der Kampagne selbst, die eingesetzten Kriegsmittel oder die Verletzung des Hoheitsgebiets der angrenzenden NATO-Staaten die westliche Kriegsallianz nicht zu einem Kriegseintritt zu provozieren:

„Russland ... hat auch darauf geachtet ... die NATO nicht zu provozieren... Bei den Angriffen in der Westukraine wurde darauf geachtet, den NATO-Luftraum zu meiden. So wurde z.B. der ukrainische Luftwaffenstützpunkt Luzk, Heimat des 204. Fluggeschwaders und nur 70 Meilen südlich von Weißrussland gelegen, am 13. März von Langstreckenbombern angegriffen. Die Raketen wurden von Süden aus über dem Schwarzen Meer abgeschossen.“ („Putin’s Bombers Could Devastate Ukraine But He’s Holding Back. Here’s Why“, newsweek.com, 22.3.22)

Gleichzeitig und daneben aber droht die russische Führung für den Fall, dass der Westen Russland bei seiner „Säuberungsaktion“ in den Arm fällt, mit der allerhöchsten Eskalationsstufe: ihren Atomwaffen.

Einerseits möchte Moskau also in einer Art Blitzaktion die ukrainische Führung aus dem Verkehr ziehen, um gewissermaßen durch einen umgekehrten Staatsstreich das zerrüttete Staatswesen, den failed state Ukraine umzudrehen und auf seine Seite zu bringen. Andererseits ergeht eine Atomkriegsdrohung an eine ganz andere Adresse, an die der NATO bzw. der USA, woran abzulesen ist, welche inkommensurablen Kriegsziele da zusammenfallen sollen: Der Krieg ist gegen die NATO gerichtet, wird aber am Fall der Ukraine durchexerziert.

Dass das Ganze eine sehr spezielle Operation ist, fällt auch Russlands westlichen Gegnern auf – die Experten für Kriegsführung und Regime-Change nach dem Muster „shock & awe“ geben sich verblüfft über den russischen Militäreinsatz. Gemessen an ihren erprobten Prinzipien eines in jeder Hinsicht überlegenen militärischen Terrors gegen unerwünschte Machthaber und ihren Gewaltapparat wollen sie eine strategisch-taktische Unfähigkeit der russischen Armeeführung, überhaupt ordentlich Krieg zu führen, entdeckt haben:

„‚Es ist, als ob sie dies als eine militärische Polizeiaktion und nicht als eine tatsächliche Invasion gegen ein modernes Militär betrachten würden‘, sagte ein westlicher Offizier.“ (ft.com, 12.3.22)

Gekommen ist es dann ja auch ganz anders.

Ein Stellvertreterkrieg neuen Typs

Womit Russlands Invasion konfrontiert wird, ist ein von den USA und ihren westlichen Verbündeten inszenierter Stellvertreterkrieg der besonderen Art, der Moskaus Berechnungen zu einer Fehleinschätzung macht.

Die Ukraine kommandiert ihr Volk zum „totalen Verteidigungskrieg“

Der ukrainische Präsident ruft das ganze Land zum Widerstand auf gegen einen drohenden „Völkermord“. Er will den Angriff auf die von ihm ausgeübte Staatsgewalt, auf deren territoriale Reichweite, auf deren Ausrichtung auf EU und NATO unmittelbar gleichsetzen mit der Perspektive der Ausrottung seiner Untertanen, um ebendieser seiner menschlichen Manövriermasse mitzuteilen, wofür er sie jetzt einzusetzen gedenkt: Mit dem Appell an den in den Jahren zuvor aufgehetzten antirussischen Nationalismus nimmt er seine Volksgenossen in die Pflicht, den Invasoren „keinen Zentimeter“ zu überlassen, „bis zur letzten Patrone, bis zum letzten Blutstropfen“ zu kämpfen. Vom Volk verlangt ist also bei weitem nicht nur die Mobilisierung der passenden Gesinnung, sondern sein umfassendes praktisches Mittun bei der Organisation des Krieges als Volkskrieg: beim „totalen Verteidigungskrieg“ (Alexej Arestowitsch, Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, nach washingtonpost.com, 28.3.22).

Angeordnet wird die Generalmobilmachung; Männer im wehrfähigen Alter, zwischen 18 und 60 Jahren, dürfen das Land nicht verlassen. Zusätzlich zur Armee werden die bereits bestehenden „Territorialen Verteidigungskräfte“ auf bis zu zwei Millionen Mann aufgestockt, um neben den Freiwilligen-Verbänden und Strafgefangenen zu kämpfen. Darüber hinaus ruft der Präsident zur allgemeinen Volksbewaffnung auf: In Kiew werden Waffen ausgegeben an jeden, der eine haben will; Hausfrauen-Kollektive lassen sich stolz dabei filmen, wie sie Batterien von Molotow-Cocktails und Tarndecken verfertigen. Dazu erlässt der Staatschef das passende Dekret, nach dem jeder Ukrainer Russen töten darf, dass also bei dieser Sorte totaler Krieg die Unterscheidung von Zivilist und Kombattant grundsätzlich zu entfallen hat. Zusätzlich erklären die Kommandeure in Kiew, sich überhaupt von den Bestimmungen der Genfer Konvention, des humanitären Völkerrechts für den Kriegsfall, freizusprechen:

„Alexej Arestowitsch, Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, sagte, die vom Parlament verabschiedete Militärdoktrin des Landes sehe das Prinzip der ‚totalen Verteidigung‘ vor... Darüber hinaus argumentierte er, dass das humanitäre Völkerrecht oder die Kriegsgesetze in diesem Konflikt keine Anwendung finden, weil ‚die Hauptaufgabe von Putins Militärkampagne die Zerstörung der ukrainischen Nation ist‘. Er sagte, der russische Präsident Wladimir Putin habe wiederholt die Existenz der Ukraine als unabhängige Nation geleugnet. ‚Deshalb ist das, was hier geschieht, kein Wettstreit europäischer Armeen nach festgelegten Regeln, sondern ein Überlebenskampf des Volkes angesichts einer existenziellen Bedrohung.‘“ (Ebd.)

Das verbreitete Bild von der heldenhaften Verteidigung des Vaterlands durch die gesamte Bevölkerung ist dabei nur ein Teil der Wahrheit: Ganz ohne Gewalt findet diese Verwandlung des Volks in einen einzigen großen Kampfverband denn auch nicht statt. Mit Beginn der Kampagne wird dazu aufgerufen, Feinde, Kollaborateure, Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und sonstige verdächtige Subjekte im Inneren ausfindig zu machen und zu eliminieren. Neben den entsprechenden Säuberungsaktionen im Volk und in den Apparaten wird die Parteien- und Medienlandschaft politisch gleichgeschaltet. Das gebietet die Unbedingtheit der Feindschaft: Auch im Inneren verlangt sie, die Scheidung in echtes Volk und die anderen zu vollstrecken, durch inneren Terror ein durchgreifendes Kommando über das Volksmaterial herzustellen.

Dafür, dass das Volk – sofern es nicht, wie immerhin ein ganzes Drittel der ukrainischen Bevölkerung, davongelaufen ist – ins Kriegsgeschehen umfassend einbezogen wird, sorgt auf der anderen Seite auch die Strategie der ukrainischen Kräfte: Die verschanzen sich in den Städten, gewissermaßen hinter großen menschlichen Schutzschilden, sodass die russische Artillerie mit den militärischen Stellungen auch Zivilisten treffen muss und trifft, womit Selenskyj die Gelegenheiten, den russischen „Genozid“ anzuprangern, nicht ausgehen.

„Praktisch jedes Viertel in den meisten Städten ist militarisiert worden ... was sie zu potenziellen Zielen für russische Streitkräfte macht, die versuchen, die ukrainische Verteidigung auszuschalten. Es gibt viele Orte, an denen militärische Kräfte in zivilen Einrichtungen koexistieren. In vielen Wohnvierteln wurden Büros, Wohnhäuser oder sogar Restaurants in Stützpunkte der ukrainischen Territorialen Verteidigungskräfte umgewandelt, einer bewaffneten Miliz, die hauptsächlich aus Freiwilligen besteht, die sich zum Kampf gegen die Russen gemeldet haben.“ (Sudarsan Raghavan, washingtonpost.com, 28.3.22)

Einen Höhepunkt dieses Volkskrieges darf die Weltöffentlichkeit bei der wochenlangen Schlacht um Mariupol miterleben, wo sich, nach der Devise eines der Führer des Asow-Regiments „Kapitulation ist keine Option“ (theguardian.com, 8.5.22), die dort stationierten Asow-Kämpfer im Namen ihrer Aufgabe, russische Kräfte zu binden, bis auf wenige aufreiben lassen. „In der Ukraine ist die Stadt Symbol unermesslicher Opferbereitschaft“, meldet die Tagesschau am 17.5.22 unter Absehung von der eher unfreiwilligen „Bereitschaft“ großer Teile der Stadtbewohner, deren Flucht über die eröffneten „humanitären Korridore“ von den heldenhaften Verteidigern mehrmals verhindert wird. 6)

Die USA: Eine neue Form und gewaltige Steigerung des „leading from behind“

Die USA haben sich von vornherein nicht auf die unendliche Tapferkeit und den unerschöpflichen Opfergeist der Ukrainer verlassen – die wären nichts ohne die „Sicherheitsunterstützung, die wir, auch in Abstimmung mit unseren Verbündeten und Partnern, leisten.“ (Press Briefing, Psaki, whitehouse.gov, 8.4.22)

— Russland trifft zum einen darauf, dass Amerika die Ukraine, vor allem mit Hilfe des britischen Bündnispartners, 7) zu einem so kriegsfähigen wie -willigen Staat aufgerüstet hat. Der seit 2016 laufende Umbau der Armee umfasst die Ausbildung in allen Truppenteilen, die Umstellung von deren Ausstattung auf westliche Standards, den Ausbau von Marinestützpunkten und Flughäfen unter Einbeziehung diverser NATO-Verbündeter, die Modernisierung der Kommandostrukturen und Kommunikationssysteme. Kurzum: Aus der militärischen Hinterlassenschaft der Sowjetunion in der Ukraine wird Zug um Zug ein „interoperabler“ Bestandteil der NATO-Kriegsführung, der in ständigen Manövern in allen Waffengattungen praktisch beweisen darf, was er kann. Und, nebenbei bemerkt, auch in den acht Jahren Krieg im Donbass. Den haben alle ukrainischen Regierungen der letzten Jahre, von Jazenjuk bis Selenskyj, dafür genutzt, so viele Soldaten wie möglich unter Realbedingungen kriegstauglich zu machen. Die zunehmenden Eskalationen und Provokationen an der Kontaktlinie im Südosten sind nach Russlands Ultimatum im Dezember des Vorjahres noch einmal intensiviert worden.

— Zum anderen führt Amerika Regie über diesen Krieg: