"Geh' mir aus der Sonne" - Das Ökologische Manifest - 95 Thesen - Volker Wiskamp - E-Book

"Geh' mir aus der Sonne" - Das Ökologische Manifest - 95 Thesen E-Book

Volker Wiskamp

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Beschreibung

Die Welt steht vor einer gewaltigen ökologischen Herausforderung. Was kann der Chemieunterricht an Schulen und Hochschulen unter Hinzuziehung vieler anderer Fachdisziplinen dazu beitragen, jungen Menschen die Hoffnung zu geben, dass die Öko-Krise gemeistert werden kann? Dazu werden den Lehrenden im ersten Teil des Buches 95 Tipps gegeben, bevor im zweiten Teil in 17 Kapitel locker, humorvoll und trotzdem lehrreich über die Chemie geplaudert wird. Diogenes war der weiseste Chemiker aller Zeiten. Mit "Geh mir aus der Sonne" hat er bereits gesagt, dass der Schlüssel zur Überwindung der Öko-Krise die Nutzung der Sonnenenergie ist.

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Vorwort

Als Martin Luther im Jahr 1517 seine 95 Thesen zur Kirchenkritik an die Pforte der Wittenberger Schlosskirche nagelte, wurde er verhaftet, für vogelfrei erklärt und konnte nur im Exil auf der Wartburg überleben. Bei meinen 95 Thesen zur Ökologie wird es wohl nicht so dramatisch ausgehen. Ich werde Ende März 2023 die Schlüssel zu meinem Fachbereich abgeben, man wir mir unverzüglich meinen E-Mail-Account schließen, und dann darf ich von meinem heimischen Balkon über den schönen Darmstädter Stadtwald blicken und meine ordentliche Beamtenpension genießen.

Als Karl Marx und Friedrich Engels 1848 das Kommunistische Manifest publizierten, dauerte es noch 69 Jahre, bis Wladimir Illjitsch Lenin in Russland die Revolution anzettelte, die viel Unheil über die Welt brachte, also ziemlich schiefging. Mit einer Ökologischen Revolution können wir nicht mehr so lange warten, und misslingen darf sie schon gar nicht, denn sonst sieht es nicht nur für den Chemieunterricht – die Zielgruppe dieses Buches sind Chemie-Lehrende sowie ihre Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten – sehr, sehr düster aus.

Deshalb gebe ich im Folgenden 95 Tipps, wie man aus dem Chemieunterricht heraus, aber fächerübergreifend, Schülerinnen und Schülerinnen, Studentinnen und Studenten für ökologische Fragestellungen sensibilisieren und ihnen vor allem die Hoffnung und Zuversicht vermitteln kann, dass die Welt doch noch irgendwie zu retten ist und dass es lohnenswert ist, sich dafür einzusetzen, damit dies tatsächlich gelingt.

Ein Aufklärungsdefizit bezüglich ökologischer Probleme haben wir eigentlich gar nicht. Aber die meisten Menschen vertragen es nicht, wenn man ihnen sachlich die Wahrheit sagt, wie schlecht es um den Gesundheitszustand unseres Planeten Erde steht und welche Konsequenzen das auch für sie haben kann. Dann setzt bei ihnen ein Verdrängungsprozess ein (kognitive Dissonanz) – man will es einfach nicht wahrhaben. Und wenn Fachwissenschaftler gar zu sparsamerem Verbrauch von Energie, zum Verzicht auf Fleisch und Flugreisen aufrufen, wenn die Menschen also das Gefühl haben, man wolle ihnen etwas von ihrem gewohnten Wohlstand wegnehmen, dann ist Widerstand vorprogrammiert und das Ziel, die Welt vor dem ökologischen Kollaps zu bewahren, kaum zu erreichen.

Deshalb ist es vermutlich besser, die ganze Geschichte positiv zu erzählen, also zu betonen, wie einmalig und schön das Leben auf der Erde ist – und deshalb geschützt werden muss. Man sollte an die Vorstellungkraft der Menschen – hier insbesondere der Schülerinnen und Schülerinnen, Studentinnen und Studenten – appellieren, wie ihre zukünftige lebenswerte Welt ohne Smog in den Großstädten, ohne vermüllte Ozeane, ohne tote Fichtenbestände etc. aussehen kann und in der das so hektisch überdrehte Leben in unserer momentanen Konsumgesellschaft deutlich entschleunigt ist. Man sollte nicht primär fachlich korrekt und trocken berichten, dass die Temperatur steigt, die Ozeane versauern, die Insekten sterben etc., sondern hervorheben, was man effektiv dagegen tun kann, und nette und trotzdem nachdenklich stimmende Geschichten erzählen, die über das Fach Chemie Freude am Leben wecken.

Einige solcher Geschichten sind im zweiten Teil dieses Buches zusammengestellt. Das Leitmotiv dazu ist der berühmte Ausspruch des Diogenes „Geh‘ mir aus der Sonne“, mit dem der Philosoph dem jungen mazedonischen König Alexander unmissverständlich gesagt hat: Eroberungsfeldzüge sind Quatsch und bringen nur Unheil über die Welt; angesagt ist hingegen das Studium der Sonnenenergie und deren Nutzen zum Wohle der Menschheit. Die Sonne schickt keine Rechnung – das ist der Schlüssel zur erforderlichen ökologischen Wende, zu der das vorliegende Manifest aufruft. Mit Diogenes als weisestem Chemiker aller Zeiten als Leitfigur.

Darmstadt, im Juli 2021

Volker Wiskamp

Inhaltsverzeichnis

Teil I: Das ökologische Manifest – 95 Thesen

Ein Gespenst geht um!

1 Chemie – die Basiswissenschaft

2 Wasser

3 Luft

4 Boden

5 Energie

6 Unser tägliches Brot

7 Zwischen Arznei und Innenweltverschmutzung

8 Gute Parasiten

9 Umweltschutz im Praktikum

10 Friedliches Denken und Reden

Imagine

Teil II: „Geh‘ mir aus der Sonne“

1 Es werde Licht! – Warum die Genesis so anfängt

2 Klein, aber fein – Bausteine der Materie und wunderschöne Strukturen

3 Wer Tabellen mag – Was man aus dem Periodensystem der Elemente ablesen kann

4 Chemie und Liebe – ein Gleichnis – Warum Teilchen miteinander reagieren

5 Sechs mal zehn hoch dreiundzwanzig – Chemisches Rechnen muss auch mal sein

6 Schwitzen oder frieren? – Wenn Materie ihren Zustand ändert

7 Ein Menschenrecht – Trinkwasser, Abwasser, Lebenselixier

8 Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht – Ozonkiller und andere fiese Chemikalien

9 Wenn der Blitz zuschlägt – Über Stickoxide und Add Blue

10 Ausatmen verboten – Eine praktikable Maßnahme gegen den Treibhauseffekt?

11 Schaffe, schaffe, Häusle baue – Hoffentlich nicht nur auf Sand gebaut

12 Genie oder A….loch? – Warum der Erste Weltkrieg zwei Jahre länger dauerte

13 Es ist nicht alles Gold, was glänzt – Vom Brutalo-Western zum (Neo)Kolonialismus

14 Geh mir aus der Sonne! – Warum die wichtigste Reaktionsgleichung lautet: 6 H

2

O + 6 CO

2

→ C

6

H

12

O

6

+ 6 O

2

15 Alles fließt – Warum der Begriff „Energiegewinnung“ eigentlich falsch ist

16 Das Chaos wird immer größer – Ein Naturgesetz, dem jeder zustimmt

17 Vom Feuerstein zur globalen Metakrise – Ist der Homo sapiens wirklich weise?

Literatur und Filme

Der Autor

Teil I

Das Ökologische Manifest – 95 Thesen

Ein Gespenst geht um!

Es hat viele Gesichter und droht die Menschheit und große Teile der Natur zu verschlingen – Klimawandel, Naturkatastrophen, Überbevölkerung, Artensterben, Ressourcenknappheit, Energieverschwendung, Vergiftung und Vermüllung von Wasser, Luft und Boden, Krieg, Gewalt, Terrorismus, Rassismus, Sexismus, Speziezismus, Armut, Hunger und Elend, Epidemien, Ungerechtigkeit, Verfall der Sitten und der Demokratie, Mangel an Bildung, Fake-News, Verschwörungstheorien …

Darum, sehr geehrte Chemie-Lehrerinnen und -Lehrer, Chemie-Professorinnen und -Professoren aller Länder, besinnen und vereinigen Sie sich, um Ihren Schülerinnen und Schülern, Ihren Studentinnen und Studenten durch einen engagierten Unterricht die Hoffnung und Zuversicht zu vermitteln, das Gespenst bändigen und die Welt retten zu können! Noch ist es dazu nicht zu spät, aber die Zeit drängt!

Chemie-Lehrende, aller Länder, bedenken und lehren Sie bitte, was in den folgenden 95 Thesen bzw. Tipps steht.

1 Chemie – die Basiswissenschaft

1. Die Chemie ist eine zentrale Naturwissenschaft, die sehr viel dazu beitragen kann, die Welt und insbesondere das Leben zu verstehen.

Zu vermitteln, dass das Leben einzigartig – sagen wir ruhig: wunderbar – ist und dass wir Menschen Demut vor dieser Einzigartigkeit empfinden sollen, sollte das Hauptziel Ihres Unterrichtes sein. Machen Sie Ihren Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten außerdem bitte klar, dass auch unsere Erde einzigartig ist. Zeigen Sie ihnen bitte das bedeutendste Foto der Menschheit, Earthrise, das die Astronauten Frank Borman, William Anders und James Lovel 1968 auf ihrer ersten Mondumrundung von unserem Heimatplaneten geschossen haben. Predigen Sie dazu: Mehr als diesen einem Planeten haben wir nicht!

2. Die Chemie, ist eine wichtige Teildisziplin der Ökologie, der Wissenschaft von den Wechselwirkungen zwischen den Lebewesen und ihrer Umwelt.

Seien Sie sich bitte der Tatsache bewusst, dass Sie die Einzigartigkeit des Lebens und des Planeten Erde in der ganzen Fülle nur im Zusammenspiel mit anderen Fachdisziplinen vermitteln können. Das sind Biologie, Physik, Geologie, Politik, Wirtschaft, Philosophie, Religion, Ethik, Kunst, Musik … hier gehören alle (!) Fächer hin. Haben Sie den Mut, sich aus ihrem Kernfach, der Chemie, heraus in alle anderen Fachdisziplinen hineinzuversetzen; Sie schaffen das, und es macht sehr viel Freude. Fordern Sie dann Ihre Schülerinnen und Schülern, Studentinnen und Studenten auf, dies ebenfalls zu tun, und verkünden Sie die einfache Wahrheit, dass in der Natur alles mit allem zusammenhängt.

3. Am Anfang war der Wasserstoff.

Naja, das stimmt nicht ganz, aber beginnen Sie ruhig mit der Chemischen Evolution, der Entstehung der Elemente, der Modellierung der Ursuppe im Miller-Urey-Experiment, der Bildung der ersten Aminosäuren als Bausteine des Lebens, dem Beginn der Fotosynthese, die das aerobe Leben erst ermöglicht hat … Ihre Schülerinnen und Schülern, Studentinnen und Studenten werden staunen. Und dieses Staunen ist eine Sehnsucht nach Wissen, so formulierte es Thomas von Aquin. Lesen Sie den Beginn der Bibel, natürlich nicht als wissenschaftlichen Tatsachenbericht, sondern als wunderschöne Poesie, die vermittelt, dass das, was gut ist, auch bewahrenswert ist. Eine Aufgabe für uns alle … und für unsere Nachkommen.

4. Die Sonne ist die Triebkraft des Lebens.

Das hatte Echnaton vor über 3300 Jahren (vermutlich) als erster richtig erkannt. Lassen Sie sich bitte von der Weisheit des alten Pharaos leiten und lehren Sie, dass die Energieversorgung der Menschheit und damit deren zukünftige Existenz von der Sonne abhängt, sei es in Form der Solarthermie, der Photovoltaik oder der sonnengetriebenen Windenergie.

5. „Geh‘ mir aus der Sonne.“

Diogenes las dem jungen mazedonischen König Alexander vor über 2300 mit diesem Ausspruch die Leviten: Eroberungsfeldzüge sind Quatsch und bringen nur Unheil in die Welt; das Studium der Sonne und die Nutzung der Sonnenenergie zum Wohle der Menschheit ist angesagt! Das sollen sich Ihre Schülerinnen und Schülern, Studentinnen und Studenten besonders gut merken.

6. Chlorophyll ist der wichtigste Metallkomplex.

Unterrichten Sie bitte, dass der grüne Farbstoff viel mehr ist als nur eine magnesiumorganische Komplexverbindung, sondern der Vermittler zwischen der Sonnenenergie und dem Leben auf Erden. Chlorophyll nimmt die Sonnenenergie auf und leitet sie zur Synthese energiereicher chemischer Verbindungen, die für Lebensprozesse benötigt werden, weiter.

7. Adenosintriphosphat ist der Assistent der Sonne.

Nennen Sie die Verbindung ATP ruhig so; Ihren Schülerinnen und Schülern, Studentinnen und Studenten wird das einleuchten. Denn in der Lichtphase der Fotosynthese, und zwar bei der Deaktivierung des durch Sonnenlicht angeregten Chlorophylls im Fotosystem II, bildet sich das energiereiche ATP aus Adenosindiphosphat und Phosphat. Anschließend kann ATP viele andere Verbindungen phosphorylieren und auf diese Weise für lebenswichtigen Folgereaktionen aktivieren.

8. Hämoglobin ist der zweitwichtigste Metallkomplex.

Der rote eisenhaltige Farbstoff ist für Aerober, zu denen wir Menschen gehören, das Transportmolekül, welches den eingeatmeten Sauerstoff in unsere Verbrennungskraftwerke, die Mitochondrien, leitet, wo biochemische Wasserstoffträger wie NADH/H+ oder FADH2 zur Gewinnung unserer Lebensenergie oxidiert werden.

9. Anaerober und Aerober sind ein perfektes Team.

Stellen Sie im Unterricht einmal die provozierende Frage, ob Anaerober ethisch betrachtet höherwertige Lebewesen sind als Aerober. Immerhin beziehen die Anaerober Ihre Lebensenergie von der Sonne und synthetisieren energiereiche Verbindungen auf Basis von anorganischem Kohlenstoffdioxid und Wasser und müssen deshalb kein anderes Leben vernichten. Bei den Aerobern ist das anders. Sie benötigen für ihr Leben energiereiche Verbindungen, die sie verbrennen und die sie von anderen Lebewesen bekommen. Wir Menschen müssen also einen Salat oder einen Fisch umbringen, um selbst zu überleben. Wir töten anderes Leben, während die grünen Pflanzen das nicht tun. (Vgl. [1].)

Das wird gewiss eine aufgeheizte Diskussion werden, die man ganz friedlich beenden kann, indem man Aerober und Anaerober als ideales Team deutet, welches gemeinsam geschlossene Stoffkreisläufe realisiert. Ihre Schülerinnen und Schülern, Studentinnen und Studenten werden verstehen, dass jede Lebensform ihre Berechtigung und ihren Wert hat, dass wir eingebettet sind in die großen Kreisläufe der Natur und dass das sehr, sehr gut ist.

10. Die Strukturen chemischer Verbindungen sind umwerfend schön.

Der Tetraeder des Methans, der Oktaeder des Schwefelhexafluorids, der Würfel in der Elementarzelle des Natriumchlorids … Welche Intuition hatte der griechische Philosoph Platon, als er voraussagte, dass die Materie aufgebaut sei aus kleinsten Bausteinen mit hochsymmetrischen Strukturen, die man heute Platonische Körper nennt! Das müssen Sie so unterrichten. Denn mit schönen Kunstwerken wird man äußerst vorsichtig umgehen, damit man sie nicht zerstört, sondern immer wieder neu mit Begeisterung betrachten kann.

11. Molekülorbitale sind nur primitive Modell für Beziehungswirklichkeiten.

Wenn Sie gerade bei Platon sind, erzählen Sie bitte auch sein Höhlengleichnis und machen dazu folgenden Analogschluss: Was sind Molekülorbitale anderes als Schatten an der Wand, die uns nur eine grobe Vorstellung von den gegenseitigen Wechselwirkungen der Elektronen in einer Verbindung geben? Auf welch fantastische Weise auch auf der subatomaren Ebene alles mit allem in Beziehung steht, können wir nur erahnen.

12. „Alles ist Zahl.“

Auf das stöchiometrische Rechnen bezogen, gilt dieser Spruch des Pythagoras gewiss. Er bedeutet aber noch mehr: Ordnung, feste Beziehungen, Harmonie – das ist genau das, was sich die meisten Menschen im Leben wünschen.

Beginnen Sie Ihre Erklärung zur infrarotlichtabsorbierenden Eigenschaft von Treibhausgasen ruhig mit der Schwingungslehre des Pythagoras.

13. Wasser ist Leben.

Thales von Milet war es, der das Wasser als den Urstoff des Lebens bezeichnet hat. Bitten Sie Ihre Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten, das Wasser sinnlich wahrzunehmen: beim Trinken, beim Schwimmen, im Regen, im Schnee, beim Rauschen eines Gebirgsbaches, beim Kochen … Wir stehen in Beziehung zum Wasser, wollen kein schmutziges und stinkendes Wasser, wollen nicht zwischen Plastikmüll schwimmen …

Erst später sollten Sie das Dipolmoment des Wassers, sein Phasendiagramm, seine Wasserstoffbrückenbindungen, kurz: das Fachwissen über H2O vermitteln.

14. Kein Leben ohne Luft.

Anaximenes hielt – anders als sein Kollege Thales – die Luft für den Urstoff des Lebens. Lassen Sie auch hier Ihre Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten die Luft sinnlich erleben: die heiße Luft aus einen Haarfön, die sanfte Brise am sommerlicher Meeresstrand, den eisigen Schneesturm, das Hecheln nach Luft nach einem 100-Meter-Sprint … Zahlreiche Meditationstechniken sind auf unser Ein- und Ausatmen, die Schwingung unseres Lebens, fokussiert. Wir lieben die „frische“ Luft und verabscheuen die „verpestete“. …

Die chemische Zusammensetzung der Luft und das ideale Gasgesetz kommen später dran.

15. Feuer treibt das Leben an.

Nun, unter den antiken Naturphilosophen herrschte kein Konsens. Heraklit hielt nicht das Wasser oder die Luft, sondern das Feuer für den Urstoff des Lebens. Vielleicht hat er bei Echnaton abgeschrieben, für den die Sonne das göttliche Urfeuer war (s. These 4). Heute interpretieren wir Feuer als eine Reaktion, bei der Energie in Form von Licht und Wärme freigesetzt wird.

In der Regel wird die Beherrschung des Feuers durch den Menschen als der Beginn der Zivilisation gepriesen, und in der Tat hat das Feuer zahllose technische Innovationen und Fortschritt hervorgebracht. Wir singen am Lagerfeuer Lieder zu Gitarrenklängen, wir beginnen das neue Jahr mit einem Feuerwerk, wir verbrennen im Feuer verhasste Schulbücher … Die Bändigung des Feuers durch unsere Vorfahren bahnte aber auch den Weg zur Atombombe und markierte den Anfang des Treibhauseffektes.

Wer hat die Ambivalenz des Feuers besser beschrieben als Friedrich Schiller in seinem Lied von der Glocke? Zitieren Sie daraus bitte die Verse 154-167:

„Wohltätig ist des Feuers Macht, Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht. Und was er bildet, was er schafft, Das dankt er dieser Himmelskraft. Doch furchtbar wird die Himmelskraft, Wenn sie der Fessel sich entrafft, Einhertritt auf der eignen Spur, Die freie Tochter der Natur. Wehe, wenn sie losgelassen, Wachsend ohne Widerstand, Durch die volkbelebten Gassen Wälzt den ungeheuren Brand! Denn die Elemente hassen Das Gebild‘ der Menschenhand.“

16. „Feuer, Wasser, Erde, Luft sind Dinge, die ich mag.“

Das haben Sie und Ihre Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten vermutlich im Kindergarten gesungen – naturkundliche Elementarpädagogik. Empedokles hat die antike Naturphilosophie in seiner Vier-Elemente-Lehre zusammengefasst und konnte damit die ganze Welt erklären. Lachen Sie bitte nicht darüber. Die Lehre des Empedokles lebt in den Umweltwissenschaften weiter, die man in die Umweltbereiche Energie (statt Feuer), Wasser, Boden (statt Erde), und Luft unterteilt.

17. Auf die Dosis kommt es an, ob ein Stoff gut oder giftig ist.

Dieser Spruch des Paracelsus ist wohl die zweitgrößte Weisheit nach „Geh‘ mir aus der Sonne“ von Diogenes (s. These 5). Eine Spur Kobalt brauchen wir für als Zentralatom des Vitamins B12; eine größere Menge des Übergangsmetalls ist für uns Menschen hingegen tödlich. Glucose spielt eine Schlüsselrolle im Stoffwechsel; regelmäßig hoher Zuckerkonsum führt zu Diabetes. Ein Volumenanteil von 21 % Sauerstoff in der Luft ist ideal zum Atmen. Atmen wir hingegen längere Zeit reinen Sauerstoff ein, verbrennen unsere Lungen. … Es lassen sich zig solcher Beispiele finden.

Als Fazit nehmen Ihre Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studentin mit, dass alles – wirklich alles – in der Natur ein Sinn hat; alles wird gebraucht, nur die Menge muss stimmen; zu wenig ist nicht gut, zu viel aber auch nicht.

Für unseren Umgang mit natürlichen Ressourcen heißt das in erster Linie, nachhaltig zu wirtschaften, für unsere Ernährung bedeutet es, Maß zu halten.

18. Am Anfang war die Gier.

Das steht zwar nicht wörtlich in Genesis 2. Sie sollten die Apfel-Szene aber so interpretieren. Adam und Eva lebten im Paradies; das ist ein von den meisten Menschen erträumter Zustand, in dem das Leben komplett sorgenfrei ist. Man hat einfach alles, was man benötigt. Aber noch etwas mehr wäre bestimmt nicht schlecht, oder?

Auf diese Frage folgt meistens ein heftiges Nicken – in unserer Konsumgesellschaft, die nach dem Prinzip „weiter, höher, schneller, mehr“ funktioniert und unsere Gier anstachelt. Bei Adam und Eva hat die Schlage das getan. Sie ist die Vorläuferin der heutigen Werbung, die Wünsche weckt, die wir eigentlich gar nicht haben, und die uns deshalb zum Verbrechen antreibt. Zum Verbrechen an der Umwelt, denn überflüssiger Konsum fordert überflüssigen Verbrauch an natürlichen Rohstoffen und Energie und führt zu überflüssigem Müll und anderen Umweltbelastungen.

Umweltverschmutzung ist kein chemisches Problem, sondern ein Resultat der menschlichen Gier – das muss in Chemieunterricht klar gesagt werden.

19. Hochmut kommt vor dem Fall.

Unter den Menschen gibt es eine besondere Art, den Homo faber, der nicht selten davon überzeugt ist, mit seiner Ingenieurskunst alles machen zu können, ja geradezu einem Machbarkeitswahn verfällt und dann glaubt, allmächtig zu sein.

Daidalos war der Sage nach erste dieser Art. Er wollte fliegen; und was gedacht wird, wird irgendwann realisiert. Wissenschaftlich beeindruckend, wie genau Daidalos die Vögel beobachtete, nach ihrem Vorbild Flügel konstruierte, also Bionik und Biotechnologie betrieb, die Flügel mit Wachs an seinen Körper und den seines Sohnes Ikaros klebte, sodass Vater und Sohn tatsächlich durch die Luft schweben konnten. Doch Daidalos haperte es an der Fähigkeit zur Technikfolgeabschätzung. Und sein Sohn wurde übermütig und wollte höher hinaus als je ein Vogel geflogen ist. So kam er der Sonne zu nahe, deren Lichtstrahlen das Wachs zum Schmelzen brachten, und wurde zum ersten Opfer der Luftfahrt. (Viele Menschen sollten ihm folgen.)

Daidalos hatte und hat im Chemieingenieurwesen viele Nachfolger, die z.B. mit DDT die Anopheles-Mücke ausrotten wollten, mit nur kurzzeitigem Erfolg, dabei aber eine globale Umweltvergiftung bewirkten, oder die mit Dichlordiflourmethan ein Treib- und Kühlmittel erfanden, mit dem sie aber ungewollt die Ozonschicht zerstörten und fast das Lebens auf Erden beendet hätten.

20. Die Kommunikationskrise ist ein Teil der globalen Metakrise.

Erzählen Sie Ihren Schülerinnen und Schülern, Studentinnen und Studenten bitte die Geschichte vom Turmbau zu Babel. Warum scheiterte das Projekt? An einer Sprachverwirrung. Die Menschen konnten sich nicht mehr verständigen und verstehen. Und deshalb konnte kein Konsens zum weiteren Vorgehen gefunden werden, was letztendlich zum großen Streit führte.

Leben wir nicht heute in einer ähnlich konfusen Zeit? Klima-Leugner, Corona-Leugner, Verschwörungstheoretiker, die superreiche Männer als zukünftige Diktatoren der Welt sehen, Kohle-Ausstieg im einen Land, Neubau von Kohlekraftwerken im anderen, Stilllegung von Atomkraftwerken hier, Ausbau der Atomenergie dort, Vogelschutz contra Windenergie, Glyphosat contra Biolandwirtschaft, Veganer contra Massentierhalter … Weiß noch jemand, wohin die Reise geht?

Gerade im Chemieunterricht besteht die Möglichkeit, Fake-News über die globale Öko-Krise zu entlarven und den Rat zu geben, auf evidenzbasierte Wissenschaft zu hören.

21. All Things Must Pass.

Das ist der Titel des Opus Magnum von George Harrison. Doch die Erkenntnis, dass alles vergänglich ist, stammt nicht vom Ex-Beatle, sondern steht sinngemäß bereits auf einer fast 4000 Jahre alten Tontafel, in die mit Keilschrift das Gilgamesch-Epos eingeritzt wurde: Der junge König Gilgamesch aus der babylonischen Stadt Uruk war untröstlich über den Tod seines besten Freundes Enkidu, konnte den Tod nicht akzeptieren, machte sich deshalb auf die Suche nach der Unsterblichkeit, musste aber schließlich erkennen, dass es diese nicht gibt.

Gerade weil das Leben vergänglich ist, sollte man es als ein wertvolles Geschenk betrachten. Anabolismus und Katabolismus, Aufbau und Abbau von Biomolekülen, sind zwei große, direkt zusammenhängende Themen in der Biochemie. Vermitteln Sie Ihren Schülerinnen und Schülern, Studentinnen und Studenten, dass jeder von uns mit hoher Wahrscheinlichkeit ein paar Atome in sich trägt, die einem Lebewesen aus einer lange vergangenen Zeit gehört haben – z.B. einen Dinosaurier. Jeder von uns ist zu einem gewissen Maße ein T-Rex. Wer sich der Vergänglichkeit des Lebens bewusst ist, wird jedes Leben, also z.B. auch das von Wildkräutern oder Insekten, wertschätzen, schützen und bewahren wollen. Das ist dann ein Zeichen von Weisheit.

Moses betet im 90. Psalm: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“

22. Keine Chance dem Transhumanismus!

Die Engländerin Mary Shelley schuf 1818 die wohl berühmteste Figur der fantastischen Literatur: Frankenstein [2]. Dr. Viktor Frankenstein konnte – ähnlich wie Gilgamesch –