Geheimdienstmorde - Christopher Nehring - E-Book

Geheimdienstmorde E-Book

Christopher Nehring

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Beschreibung

Spektakuläre Morde und Mordversuche im Auftrag von Geheimdiensten beherrschen immer wieder die Schlagzeilen: der Anschlag auf Alexej Nawalny 2020, der „Tiergarten-Mord“ an Zelimkhan Khangoshvili 2019 in Berlin oder die Ermordung Jamal Khashoggis 2018 in Istanbul ... Sie muten wie Relikte aus Zeiten des Kalten Krieges an und erinnern an die fiktiven Welten von James Bond, Jason Bourne oder John Le Carré. Die neue Welle von Geheimdienstmorden in Europa wirft zahlreiche Fragen auf: Sind die uns bekannten Fälle nur die Spitze des Eisbergs? Wer gerät ins Visier von Geheimdiensten, wer sind die Täter? Wie werden die Morde organisiert und was sind ihre Konsequenzen?

Der ebenso erschreckende wie spannende Bericht des Geheimdienstexperten Christopher Nehring bringt Licht in eine mysteriöse Welt im Schatten der Mächtigen. Nehring rekonstruiert über 120 Fälle, vom Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart, und deckt die mörderische Seite der Geheimdienste vieler Nationen wie Russland, USA, Israel, Saudi-Arabien und Nordkorea auf. Dabei bringt er Verblüffendes zu Tage: zum Beispiel, dass die Welt der Geheimdienste ungeschriebenen Gesetzen unterliegt, dass Giftmorde von höchster symbolischer Bedeutung sind und Emotionen als Mordmotiv eine viel größere Rolle spielen, als man vermuten würde …

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Zum Buch

Spektakuläre Morde und Mordversuche im Auftrag von Geheimdiensten beherrschen immer wieder die Schlagzeilen: der Anschlag auf Alexej Nawalny 2020, der „Tiergarten-Mord“ an Zelimkhan Khangoshvili 2019 in Berlin oder die Ermordung Jamal Khashoggis 2018 in Istanbul ... Sie muten wie Relikte aus Zeiten des Kalten Krieges an und erinnern an die fiktiven Welten von James Bond, Jason Bourne oder John Le Carré. Die neue Welle von Geheimdienstmorden in Europa wirft zahlreiche Fragen auf: Sind die uns bekannten Fälle nur die Spitze des Eisbergs? Wer gerät ins Visier von Geheimdiensten, wer sind die Täter? Wie werden die Morde organisiert und was sind ihre Konsequenzen?

Der ebenso erschreckende wie spannende Bericht des Geheimdienstexperten Christopher Nehring bringt Licht in eine mysteriöse Welt im Schatten der Mächtigen. Nehring rekonstruiert über 120 Fälle, vom Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart, und deckt die mörderische Seite der Geheimdienste vieler Nationen wie Russland, USA, Israel, Saudi-Arabien und Nordkorea auf. Dabei bringt er Verblüffendes zu Tage: zum Beispiel, dass die Welt der Geheimdienste ungeschriebenen Gesetzen unterliegt, dass Giftmorde von höchster symbolischer Bedeutung sind und Emotionen als Mordmotiv eine viel größere Rolle spielen, als man vermuten würde …

Zum Autor

Dr. Christopher Nehring, langjähriger Wissenschaftlicher Leiter im Deutschen Spionagemuseum, Promotion zur Geheimdienstgeschichte an der Uni Heidelberg, Autor und Experte zu Geheimdienstthemen für die Deutsche Welle, Welt, ZDF, NZZ und Spiegel Online, unterrichtet Geheimdienstgeschichte an der Uni Potsdam.

Christopher Nehring

Geheimdienst

morde

Wenn Staaten töten – Hintergründe, Motive, Methoden

Wilhelm Heyne Verlag

München

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Copyright © 2022 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Evelyn Boos-Körner

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich, unter Verwendung eines Fotos von © Trevillion Images / Andy & Michelle Kerry

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-27885-4V002

www.heyne.de

Inhalt

Einleitung

Kapitel 1: Die Lizenz zum Töten? Faszination Geheimdienstmord

Faktor 1: James Bond und die Macht der Spionagefiktion

Faktor 2: Das politische Geheimnis und die Welt der Deep Secrets

Faktor 3: Psychologie und Tötungstrieb

Kapitel 2: Wen Geheimdienste töten

Machthaber, Politiker und Amtsträger

Oppositionelle und Dissidenten

Wissenschaftler

Militärische Gegner

Terroristen

Waffenhändler

Geheimdienstmitarbeiter

Überläufer

Verurteilte Spione

Unbeteiligte Zivilisten

Arten von Geheimdienstmorden

Kapitel 3: Wer in wessen Auftrag tötet

Die Auftraggeber: Staaten

Mit Mord beauftragt: Geheimdienste, Spezialabteilungen und Co

Militärische Spezialeinheiten

Geheimdienste und ihre Abteilungen für »Spezialaufgaben«

Sicherheitsfirmen und War Contractors

Die ausführenden Organe: Auftragsmörder

Kriminelle und Berufsverbrecher

Angeworbene Agenten

Stellvertreterorganisationen

Geheimdienstmitarbeiter, Offiziere und Militärs

Auswahlkriterien

Gemeinschaftsaufgabe Mord

Eine Männerdomäne? Frauen im tödlichen Geschäft der Geheimdienste

Die finanzielle Seite: was ein Geheimdienstmord kostet

Kapitel 4: Wie Geheimdienste töten I: Mordmethoden

Schusswaffen

Fingierte Unfälle

Fingierte Selbstmorde

Nahkampf

Bomben und Sprengstoff

Raketen und Drohnen

Gift

Die Wahl der passenden Mordmethode

Kapitel 5: Wie Geheimdienste töten II: Organisation und Durchführung

Was bis zur Ausführung eines Geheimdienstmordes passiert

Phase 1: Informationsbeschaffung

Phase 2: Ausarbeitung des Operationsplans

Phase 3: Detailplanung, Training und Logistik

Phase 4: Warten auf den richtigen Moment

Zeitpunkt und Timing

Auftrag und Freigabe

Falls etwas schiefgeht: Vorbereitungen für den Super-GAU

Kapitel 6: Das Verwirrspiel um Geheimdienstmorde

Was ist Desinformation?

Die sieben Phasen der Desinformation

Phase 1: Tarnung

Phase 2: Schweigen

Phase 3: Abstreiten

Phase 4: Gegenbeschuldigung

Phase 5: Diskreditierung des Opfers

Phase 6: Zweifel säen durch Detail- und Gegenfragen

Phase 7: Ablenken auf andere Themen

Ultima Ratio: Wenn nichts mehr hilft

Möglichkeit 1: Gestehen und schweigen

Möglichkeit 2: Gestehen und entschuldigen

Möglichkeit 3: Einen Sündenbock finden und verurteilen

Möglichkeit 4: Schweigen und abstreiten

Kapitel 7: Warum Geheimdienste morden

Der Geheimdienstmord als Instrument in Außen-, Innen- und Sicherheitspolitik

Der Geheimdienstmord als psychologisches Instrument: geheime Botschaften

Geheimdienstmord als Ausdruck emotionaler Motive: Rache, Hass und Strafe

Kapitel 8: Wie erfolgreich Geheimdienstmorde wirklich sind: die Bilanz

Was Erfolge und Fehlschläge unterscheidet: die drei Ebenen von Erfolg

Perfekter Geheimdienstmord und absoluter Misserfolg

Die Erfolgsbilanz

Erfolgsbilanz des politischen Attentats

Erfolgsbilanz geheimer Tötungen in militärischen Konflikten

Erfolgsbilanz der Geheimdienstmorde an Überläufern

Bilanz

Kapitel 9: Dürfen die das? Geheimdienstmorde versus Recht und Moral

Internationales Recht und Selbstermächtigung

Sanktionen, Krieg, Auslieferung und Entführung: (un)mögliche Alternativen

Und die Moral von der Geschicht’?

Kapitel 10: »Das neue Zeitalter der Attentate«: Warum Geheimdienstmorde nicht neu sind und ihre Anzahl steigt

Alter Wein in neuen Schläuchen: die Tradition geheimdienstlicher Tötungen

Die neue Welle: sieben Gründe für die hohe Anzahl von Geheimdienstmorden

Grund 1: Der »Krieg gegen den Terror«

Grund 2: Die Auflösung der alten internationalen Ordnung

Grund 3: Der Aufstieg neuer (Regional-)Mächte

Grund 4: Globalisierung und Migration

Grund 5: Offener Krieg lohnt sich nicht mehr

Grund 6: Neue Technologien

Grund 7: Neue Öffentlichkeit

Düstere Zukunftsaussichten

Kapitel 11: Deutsche Geheimdienstmorde

Morde und Anschläge deutscher Geheimdienste

Geheimdienstmorde in Deutschland

Geheimdienstmorde in Deutschland: die Zukunftsaussichten

Die Sicherheitslage in Deutschland: wie deutsche Behörden gegen Geheimdienstmorde vorgehen

Chronologische Übersicht der behandelten Fälle

Personenverzeichnis

Nachweise

Einleitung

Am 12. Februar 2017 spritzten zwei junge Frauen auf dem Flughafen von Kuala Lumpur dem ahnungslosen Kim Jong-nam, Halbbruder des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un, flüssiges VX-Nervengift ins Gesicht. Kim verstarb noch auf dem Flughafen.

Am 4. März 2018 wurde Sergej Skripal, ein ehemaliger Offizier des russischen Militärgeheimdienstes, bewusstlos auf einer Parkbank im englischen Salisbury aufgefunden – mit einer Nowitschokvergiftung. Skripal und seine ebenfalls vergiftete Tochter Julia überlebten den Anschlag. Rund drei Monate später verstarb die 45-jährige Dawn Sturgess im nahe gelegenen Amesbury, nachdem sie einen Flakon berührte, den ihr Lebensgefährte aus einem Mülleimer gefischt hatte. Dessen Inhalt: das Nowitschok, mit dem höchstwahrscheinlich die Skripals vergiftet worden waren.

Am 2. Oktober 2018 betrat der amerikanisch-saudische Journalist Jamal Khashoggi das saudische Konsulat in Istanbul. Dort griff ihn ein Geheimdienstteam an und ermordete ihn. Seine Leiche tauchte nie wieder auf.

Am 23. August 2019 lief Zelimkhan Khangoshvili im Berliner Stadtteil Moabit durch den Kleinen Tiergarten. Nur wenige Meter von der viel befahrenen Turmstraße entfernt schoss ihm ein Fahrradfahrer von hinten in Kopf und Rücken. Khangoshvili war sofort tot, der Täter wurde keine halbe Stunde später verhaftet, als er Fahrrad und Tatwaffe in die Spree warf.

Am 3. Januar 2020 fuhr der iranische General Qasem Soleimani mit seinem Konvoi durch Bagdad. Auf Befehl von US-Präsident Donald Trump feuerte eine US-amerikanische »Reaper«-Drohne mehrere Raketen auf Soleimanis Wagen ab. Er starb an Ort und Stelle.

August 2020: Im Teheraner Nobelviertel Pasdaran sollen zwei Motorradfahrer plötzlich neben einer weißen Limousine aufgetaucht sein und den Fahrer und seine Begleiterin erschossen haben. Bei dem Fahrer handelte es sich vermutlich um Abu Mohamed al-Masri – die Nummer zwei des internationalen islamistischen Terrornetzwerks al-Qaida. Die mutmaßlichen Täter sollen Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad gewesen sein. Offiziell dementieren sowohl die USA als auch der Iran und Israel diesen Geheimdienstmord.

Am 20. August 2020 flog der russische Oppositionelle Alexej Nawalny vom sibirischen Tomsk nach Moskau. In der Flugzeugtoilette brach er unter Krämpfen zusammen. Wenige Tage später wurde Nawalny für eine Behandlung in der Charité nach Berlin ausgeflogen. Laborproben ergaben eine Vergiftung mit Nowitschok.

Am 27. November 2020 wurde der iranische Wissenschaftler Mohsen Fachrisadeh in Absard, einem Vorort von Teheran, erschossen. Fachrisadeh war einer der Chefwissenschaftler des iranischen Atomprogramms. Entlang seines Weges hatte der israelische Geheimdienst Mossad ein Waffensystem in einem Nissan-Pick-up am Straßenrand positioniert. Agenten bedienten die Waffe per Fernsteuerung und töteten Fachrisadeh in Sekundenschnelle.

Acht spektakuläre Morde in weniger als vier Jahren, vier davon allein 2020. Alle haben zwei Dinge gemeinsam: Sie hatten ein politisches – kein persönliches – Motiv, und sie alle wurden mutmaßlich von Geheimdiensten geplant und ausgeführt. Diese Fälle sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Längst hielt die deutsche Öffentlichkeit Geheimdienstmorde für ein Relikt, ein dunkles Flackern aus der fernen Zeit des (Kalten) Krieges. Getötet haben Geheimagenten in Deutschland lange Jahre nur noch auf der Kinoleinwand. Doch auf einmal organisierten gut getarnte Geheimdienstnetzwerke wieder präzise ausgeführte Auftragsmorde, und das nicht weit entfernt in den Krisengebieten der Welt, sondern auch mitten in der deutschen Hauptstadt.

»Staatsterrorismus« titelten manche deutschen Medien nach dem »Tiergarten-Mord« in Berlin 2019; eine »Renaissance der gezielten Tötungen« erkannte nach der Tötung Qasem Soleimanis der Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg (CDU), der als Mitglied des Kontrollgremiums für die deutschen Geheimdienste im Bundestag intensiv mit Geheimdienstfragen zu tun hatte. »Geheimdienstmord«, »gezielte Tötung«, »geheimer Mord«, »politischer Mord«: ein Phänomen mit vielen Namen und vielen Gesichtern. Aber was wissen wir eigentlich vom geheimen Töten der Geheimdienste? Mythen und Faszination umranken dieses Thema – Grund genug für eine Spurensuche!

Die eingangs genannten Beispiele unterstreichen alle Eigenschaften von Geheimdienstmorden:

Sie drängen seit einigen Jahren in unseren politischen Alltag,sind streng geheim,sind politisch hochsensibel,prägen unsere Vorstellung von Geheimdiensten und ihrer Arbeit,üben eine morbide Faszination aus.

Trotzdem gibt es abseits tagesaktueller Presseberichte über einzelne Mordfälle kein gesichertes Grundwissen zu diesem Thema. Es sind naheliegende Fragen, die bei jedem neuen Geheimdienstmord die Gemüter erhitzen: Was wissen wir wirklich über den Fall, der die Öffentlichkeit elektrisiert, um den Täter und Ermittler aber Mauern des Schweigens errichten? Was wissen wir über Täter, Opfer und Methoden? Wie oft passiert so etwas? Wie wird gemordet? Gibt es sogar Gesetze, die Geheimdienstmorde erlauben? Wie sicher sind wir? Und wie erfahren wir überhaupt von diesen eigentlich streng geheimen Morden?

Auf diese Fragen verlangen Öffentlichkeit, Politik und Medien Antworten, ohne die sich ein ungutes Gefühl breitmacht: eine unbestimmte Angst oder die Sorge, von diesem aufwühlenden Thema überrumpelt zu werden.

Dieser Angst setzt dieses Buch ein Orientierungswissen über Geheimdienstmorde entgegen. Es bietet einen umfassenden Überblick, begegnet brennenden Fragen, aber auch der Faszination, die von dem Thema ausgeht, mit einfachen Antworten. Dieses Wissen soll das große Mysterium um den Geheimdienstmord ein Stück weit auflösen und zeigen, dass auch zu solch einem hochsensiblen Thema gesicherte Informationen vorliegen. Natürlich hat dieses Buch nicht alle Antworten und kann auch nicht vorhersehen, wann, wo und durch wen der nächste Geheimdienstmord passieren wird. Aber es kann dafür sorgen, dass wir den nächsten Fall besser verstehen und einordnen können. Und damit ist schon viel gewonnen.

Wie geht dieses Buch dabei vor? Eine Forschungsreise in die Welt der Geheimdienstmorde gleicht einer Entdeckungstour durch unbekannte Gefilde, für die es weder Reiseführer noch Landkarten gibt: Man beginnt mit den einfachen Fragen, wo die Reise losgeht und wohin sie gehen soll. Dann werden alle bereits vorhandenen Informationen zu Reiseziel und Umgebung – und seien sie noch so unvollständig oder überholt – geprüft. Anschließend gilt es, Eckpunkte und Orientierungsmarken aufzustellen, damit man sich unterwegs nicht verläuft.

So können für dieses Buch einfache Fragen als Wegmarkierungen dienen, die das Thema strukturieren und uns hindurchleiten: Was wissen wir über Geheimdienstmorde und woher? Welche Begriffe sind wichtig (Einleitung)? Warum sind Geheimdienstmorde so faszinierend (? Wer wird von Geheimdiensten getötet (Kapitel 2)? Wer tötet im Geheimen, welche Täter kennen wir (Kapitel 3)? Welche Mordmethoden nutzen Geheimdienste (Kapitel 4), und wie bereiten sie Tötungen vor (Kapitel 5)? Wie wollen die Täter ihre Tat geheim halten, und wie reagieren sie, wenn sie doch auffliegt (Kapitel 6)? Warum morden Geheimdienste eigentlich (Kapitel 7)? Wie »erfolgreich« sind Geheimdienstmorde (Kapitel 8)? Wie stehen Gesetz und Moral zu Geheimdienstmorden (Kapitel 9)? Wie lange gibt es schon Geheimdienstmorde, und wird es in Zukunft mehr davon geben (Kapitel 10)? Und schließlich: Wie ist die Lage in Deutschland (Kapitel 11)?

Jedes Kapitel geht einer dieser Fragen nach und beantwortet sie anhand von Beispielen. In Unterkapiteln wird jede Fragestellung in übersichtliche Happen unterteilt, und wichtige Aspekte werden näher beleuchtet. Am Ende jedes Kapitels werden die Erkenntnisse zu einer Antwort auf die Ausgangsfrage zusammengeführt. Eine Infobox fasst die Kernaussagen des Kapitels zusammen. So werden die Umrisse des komplizierten Themas der Geheimdienstmorde klar erkennbar – und es wird deutlich, warum dieses Thema in Deutschland so aktuell ist.

»Doch wie kann es dieses Buch überhaupt geben?«, mag sich der eine oder die andere nun denken. Diese Frage zielt auf die Quellenlage ab – woher können wir überhaupt etwas über Tötungen wissen, die im Verborgenen passieren und über die alle Mitwisser Stillschweigen bewahren? Bildlich gesprochen: Wie finden wir den Schlüssel zur dunklen, supergeheimen Kammer, in der diese Staatsgeheimnisse aufbewahrt werden?

Die Frage an sich ist bereits die halbe Antwort: Eben weil der Geheimdienstmord ein Paradoxon und Deep Secret (mehr dazu in Kapitel 1) ist, braucht es eine genaue Analyse. Und ganz so dunkel, wie es die Theorie des Staatsgeheimnisses gerne haben würde, ist es in der dunklen Kammer doch nicht immer: Manchmal bekommen wir einen ortskundigen Reiseführer an die Seite gestellt, der sich schon einmal – meist unfreiwillig – in die dunkle Kammer vorgewagt hat und lebend wieder herauskam. Und manchmal ließ ein Täter, als er seine geheime Schmutzwäsche verschwinden lassen wollte, unterwegs ein paar blutige Handschuhe fallen, die uns Hinweise geben. Auch das geheimste Geheimnis ist nicht immer so undurchdringbar, wie es auf den ersten Blick scheint. Dafür gibt es bei Geheimdienstmorden mindestens vier gute Gründe:

Erstens sind Geheimdienste keineswegs immer Meister der Geheimhaltung und machen bei Tötungsoperationen viele, vor allem menschliche, Fehler. Zusätzlich zu menschlichem Versagen spielt auch »Kommissar Zufall« eine entscheidende Rolle: Angeheuerte Mörder bekommen auf einmal Gewissensbisse und stellen sich selbst; manchmal warnen sie das Opfer und tauchen mit dem Geld unter; manchmal ändern Zielpersonen just am Tag ihrer geplanten Ermordung auf einmal ihre Routine, gehen einen anderen Weg, öffnen ihre Post nicht selbst oder halten sich an einem anderen Ort auf als vermutet; und manchmal versagt die eingesetzte Technik.

Der im August 2020 mit Nowitschok vergiftete russische Oppositionelle Alexej Nawalny schaffte es zum Beispiel, einen der beteiligten Geheimdienstoffiziere am Telefon reinzulegen und ihm nahezu unglaubliche Details der Operation zu entlocken.1 Im Falle des mittlerweile berühmt-berüchtigten »Tiergarten-Mordes« an Zelimkhan Khangoshvili 2019 beobachteten zwei Zeugen zufällig die Tat und alarmierten eine Streife der Berliner Polizei, die den Täter nur wenige Minuten später festnehmen konnte. Wir wissen also vor allem von solchen Fehlschlägen. Nicht immer überlebte dabei das Opfer, doch immerhin konnten Spuren gesichert und Erkenntnisse über die Täter gewonnen werden. Die Anzahl solcher Fälle ist erstaunlich hoch!

Ein zweiter Grund ist, dass Geheimnisse – selbst im Fall von geheimdienstlichen Tötungsoperationen – in großen bürokratischen Apparaten nicht immer zu 100 Prozent geheim gehalten werden können. Details über Morde sickern nach außen durch, vor allem in die Medien. Bereits wenige Tage nach der Vergiftung Alexej Nawalnys fanden so zum Beispiel Hinweise auf die Anwesenheit eines Überwachungsteams des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB ihren Weg in die lokale russische Presse. Und von dem mutmaßlichen Mord an der Nummer zwei des islamistischen Terrornetzwerks al-Qaida, Abu Mohamed al-Masri, im August 2020 erfuhr die Weltöffentlichkeit nur, weil hochrangige anonyme Mitarbeiter der US-Sicherheitsbehörden Journalisten auf den Fall stießen.2Bei der Reise in die geheime Dunkelkammer des Staatsgeheimnisses und der Geheimdienstmorde gibt es drittens unerwartete Hilfsmittel: digitale Technologien. Der digitale Wandel hat das Staatsgeheimnis in seinen Grundfesten erschüttert. Informationen werden en masse geteilt und schwirren entmaterialisiert als Einsen und Nullen durch die Glasfaserkabel dieser Welt. Geheimdokumente existieren nicht mehr nur in ein- oder zweifacher Ausführung auf Papier, sondern als unzählige digitale Exemplare. Überwachungskameras und Hobbyfotografen stehen und filmen überall, Bilder gehen in rasantem Tempo durch die sozialen Medien und Kreditkartendaten können selbst von Hobbyhackern eingesehen werden. Es ist fast unmöglich, ohne digitalen Fußabdruck über diese Erde zu wandeln. Und manchmal weisen diese Fußabdrücke den Weg zu einem Geheimdienstmord.

Niemals hätten es sich zum Beispiel die russischen Geheimdienste FSB und GRU träumen lassen, dass das Team des vormals arbeitslosen Bloggers und autodidaktischen Digitaljournalisten Eliot Higgins Identitäten, Gesichter, Lebensläufe, ja sogar private Adressen, Telefonnummern und Reiserouten ihrer Killerteams herausfinden und im Internet veröffentlichen könnte. Doch so war es: Die Internetplattform Bellingcat durchstöberte in monatelanger Kleinarbeit Datenbanken, Fotoarchive, Posts, Chats und Messages. Dazu kauften die Mitarbeiter von korrupten russischen Beamten für gerade einmal 20 Euro heimlich Auszüge aus Steuerregistern, Wohnungs- und Kfz-Datenbanken. Und sie wurden fündig. Ein mutmaßlicher Mörder im Geheimdienstauftrag fand sich auf einmal für die ganze Welt einsehbar im Internet wieder!3 So gut waren die journalistischen Recherchen, dass der deutsche Generalbundesanwalt seine Anklageschrift auf deren Ergebnissen aufbaute und Bellingcat-Journalisten vor Gericht als Kronzeugen gegen den Mörder aussagten.4

Diese Leistungen wiederholte das Team von Bellingcat – mittlerweile ein erklärter Erzfeind der russischen Geheimdienste, die zum Beispiel mit Cyber-Operationen gegen die Journalisten vorgehen5 – in mehreren Fällen. Es scheint nur ein Vorgeschmack darauf zu sein, was uns in der Zukunft erwartet. Nichtsdestoweniger waren die Methoden und Möglichkeiten der Online-Journalisten auch im Jahr 2020 immer noch etwas Neues für die russischen Geheimdienste, wie der FSB-Offizier Konstantin Kudrjawzew, der an einem Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok beteiligt war, einräumen musste.6

Digitale Überwachungssoftware hat nicht nur den privaten Datenschutz, sondern auch das Staatsgeheimnis in eine Krise gestürzt.7 Die Geheimdienstmorde der letzten Jahre und die Menge öffentlich zugänglicher Informationen über sie sind der beste Beweis dafür.

Der vierte und letzte Grund, warum wir eben doch viel über Geheimdienstmorde erfahren, ist der, dass absolute Geheimhaltung nicht immer das Ziel ist. Manche Tötungen, zum Beispiel hochrangiger Politiker, sind so heikel, dass sie unter allen Umständen geheim gehalten werden sollen. Andere jedoch, wie zum Beispiel bei Geheimdienstüberläufern oder Terroristen, sollen eine strategische Botschaft senden und brauchen deswegen eine gewisse Öffentlichkeit. Bei solchen Tötungsoperationen wird nur eine »nachlässige Geheimhaltung« und manchmal auch eine gezielte Indiskretion betrieben. Hier geht es darum, dass die Tat bekannt und von einem bestimmten Publikum, etwa den Mitgliedern einer Terrorgruppe, verstanden wird und gleichzeitig die Spuren der Tat gerade so gut verwischt werden, dass die Täter unerkannt entkommen und ihre Auftraggeber jede Verwicklung halbwegs glaubwürdig abstreiten können.8

Ein Beispiel für diese »nachlässige Geheimhaltung«, die in Kapitel 6 und 7 ausführlich beschrieben wird, ist der Mord des israelischen Geheimdienstes an Fathi Schakaki, dem Gründer des »Islamischen Dschihad in Palästina«. Zwei Mossad-Agenten der Kidon-Einheit sollen Schakaki am 26.10.1995 in Malta von einem Motorrad aus erschossen haben, doch auch zwei Tage nach der Tat gab es in der Presse keine Meldung. Der Mossad selbst ließ daraufhin Informationen über die Tötung an internationale Journalisten durchsickern, um die Terroristen einzuschüchtern.9

Insgesamt werden in diesem Buch 123 Fälle von Tötungen mit geheimdienstlichem Hintergrund analysiert. Einige davon sind nicht nur besonders aktuell, sondern können auch in erstaunlicher Dichte und Tiefe betrachtet werden. Deshalb stehen manche Fälle, wie zum Beispiel die Serie mutmaßlicher russischer Geheimdienstmorde seit Mitte der 2010er-Jahre, mehrfach im Fokus. Das Bestreben dieses Buches ist es, die Schilderung der Fälle so in die verschiedenen Kapitel einfließen zu lassen, dass einzelne Abschnitte problemlos für sich allein oder quergelesen werden können. Am Ende des Buchs findet sich dann eine tabellarische Liste aller behandelten Fälle.

Zu den einzelnen Fällen stehen unterschiedliche Quellen zur Verfügung: Presseberichte und Videoaufnahmen, polizeiliche Untersuchungen, Gerichtsprozesse, Augenzeugenberichte, Memoiren und wissenschaftliche Forschungen. Manchmal geben sogar originale Geheimdienstakten Auskunft über gezielte Tötungen, wie etwa bei den Mordplänen der CIA gegen Fidel Castro. Hin und wieder enthüllten Überläufer oder reuige Täter die dunklen Geheimnisse. Und manchmal lüfteten Geheimdienste selbst den Schleier und bekannten sich zu ihren Taten. Darüber hinaus führte der Autor dieses Buches im Laufe von mehreren Jahren zahlreiche Hintergrundgespräche mit deutschen und ausländischen Geheimdienstmitarbeitern.

Der Fokus des Buches ist ein analytischer, kein investigativer: Wer spektakuläre Enthüllungen aus dem Maschinenraum der Geheimdienste erwartet, wird enttäuscht werden. Dieses Buch will zeigen, was wir über Geheimdienstmorde wissen können. Viele Einzelfälle bleiben ein Mysterium, zu dem es immer wieder neue Spuren, Fragen und Antworten gibt. Legt man jedoch über hundert dieser Einzelfälle nebeneinander, ergibt sich ein deutliches – wenngleich unvollständiges – Bild. Und dieses Bild verrät die Antworten auf die brennendsten Fragen.

Bevor die Reise in die Dunkelkammer der Geheimdienste aber richtig losgehen kann, ist es hilfreich, sich einmal die verschiedenen Begriffe für Geheimdienstmorde anzusehen – davon gibt es nämlich so einige – und wer sie wie benutzt. Das verdeutlicht nicht nur, was dieses Buch unter einem Geheimdienstmord versteht, sondern schafft auch etwas Ordnung im Begriffschaos, das einem in den Medien begegnen kann. »Geheimdienstmord« ist ein Ausdruck, den Geheimdienste nicht benutzen – jedenfalls nicht, wenn es um sie selbst geht. Mord ist natürlich etwas, was nur ein böser politischer Gegner tun würde. Und »Mord« klingt ja nicht nur illegal – er ist es auch, in jedem Land, überall. Daher haben Geheimdienste viele Euphemismen dafür, was in diesem Buch als »Geheimdienstmord« bezeichnet wird.

Doch was ist unter dem Begriff zu verstehen? Der erste Wortteil zeigt den Täter an: Es ist zunächst einmal natürlich ein Mord, der von Geheimdiensten ausgeführt oder in Auftrag gegeben wird. So weit, so gut, doch der zweite Bestandteil ist wesentlich komplizierter, denn nicht jede Tötung ist auch tatsächlich ein Mord. Der Unterschied liegt – wie so oft – in rechtlichen Details und Spitzfindigkeiten.

In Deutschland ist Mord nach Paragraf 211 Strafgesetzbuch definiert und unterscheidet sich vom (vorsätzlichen) Totschlag durch neun Merkmale:

MordlustHabgierBefriedigung des Sexualtriebesandere niedere BeweggründeHeimtückeGrausamkeitgemeingefährliche MittelErmöglichung einer anderen StraftatVerdeckung einer anderen Straftat

Diese Merkmale eines Mordes sind unterteilt in drei Gruppen: Verwerflicher Beweggrund (1 bis 4), verwerfliche Begehungsweise (5 bis 7) und verwerflicher Zweck (8 bis 9). Wenn eines dieser Merkmale erfüllt ist, handelt es sich um Mord – und damit um die schlimmste Art der Tötung.

Mindestens eines (manchmal auch mehrere) dieser Merkmale trifft auf jede geheimdienstliche Tötung zu, die in diesem Buch behandelt wird. Dies gilt vor allem für die heimtückische Tatausführung und/oder die gemeingefährlichen Mittel, oftmals aber auch für die besonders verwerflichen Motive der Tat. »Geheimdienstmord« kann also mit gutem Recht als Oberbegriff für geheimdienstliche Tötungen verwendet werden.

Es ist allerdings kein Begriff, der im internationalen Verkehr zwischen Staaten benutzt wird. Mord ist eine rechtliche Kategorie, die Staaten nur für private, also nicht-staatliche Täter und nur im nationalen Kontext bzw. vor Gericht verwenden. Töten aber staatliche Institutionen wie Geheimdienste, werden intern andere Begriffe verwendet.

»Gezielte Tötung« ist einer dieser Begriffe, der seit Beginn der 2000er-Jahre in Mode gekommen ist. Zuerst gebrauchte der Staat Israel diesen Ausdruck, als er seine »Politik der gezielten Tötungen« mutmaßlicher Terroristen proklamierte. Im »Krieg gegen den Terrorismus« übernahmen auch die USA diesen Begriff. Gezielte Tötung ist allerdings nicht genau definiert, stattdessen ist das »gemeinsame Element in all diesen Fällen […], dass tödliche Gewalt absichtlich und bewusst, mit einem bestimmten Grad des Vorsatzes, gegen eine oder mehrere von dem Täter im Voraus bestimmte Personen angewendet wird. Bei einer gezielten Tötung ist das konkret angestrebte Ziel die Anwendung tödlicher Gewalt.«10

Gezielte Tötungen unterscheiden sich – vor allem in den Augen der ausführenden oder beauftragenden Staaten – von Morden, Attentaten oder Anschlägen: Sie sollen zumindest eine legitime, wenn nicht sogar legale, Art der Tötung darstellen.11 Dazu haben Staaten seit der Jahrtausendwende zahlreiche Rechtsgutachten und Auffassungen hervorgebracht, die zum Beispiel den Einsatz tödlicher Gewalt in Form von gezielten Tötungen einzelner Terroristen legitimieren und rechtlich absichern sollen. Dies wird in Kapitel 9 ausgeführt. Der Begriff der gezielten Tötung als Bezeichnung für legale und legitime Tötungen ist jedoch genauso umstritten wie ihre Praxis.

Dieser vor allem von ausführenden Staaten gebrauchte Begriff wird von Menschenrechtsorganisationen und dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen ergänzt durch den Begriff der »außergerichtlichen (oder: extralegalen) Hinrichtung«. Dabei handelt es sich nach der Menschenrechtsorganisation Amnesty International um »eine willkürliche und vorsätzliche Tötung eines Menschen, meistens ausgeführt auf Anordnung, unter Beteiligung oder mit Duldung von Regierungen, ohne dass ein ordentliches Gericht eine Todesstrafe verhängt oder die Hinrichtung angeordnet hat«.12 Außergerichtliche Hinrichtung und gezielte Tötung sind dabei zwei Seiten einer Medaille: Es handelt sich stets um staatlich organisierte Tötungen. Wie in Kapitel 9 dargelegt wird, können gezielte Tötungen unter bestimmten, von der UN festgehaltenen Kriterien durchaus legal, das heißt im Einklang mit dem Internationalen Recht sein. Erfüllt eine (gezielte) Tötung diese Kriterien nicht, was laut UN bei den meisten Fällen zutrifft, handelt es sich um eine außergerichtliche Hinrichtung. Außergerichtliche Hinrichtungen sind immer ein Verstoß gegen die Menschenrechte.

Vermehrt in Mode gekommen ist auch der Begriff »Staatsterrorismus«. Zuerst nur von einigen Journalisten und Experten benutzt, verwendet ihn seit 2020 auch zum Beispiel der deutsche Inlandsnachrichtendienst BfV. Laut Verfassungsschutz ist dies der »von Staaten ausgeübte oder gesteuerte Terrorismus, der dazu dient, außen- oder innenpolitische Ziele zu verfolgen«.13

»Das war Staatsterrorismus!«, so urteilte auch Olaf Arnoldi, Vorsitzender des 2. Strafsenats des Berliner Kammergerichtes, Ende 2021 im Prozess über den Mord an Zelimkhan Khangoshvili. Leicht übersehen wird dabei jedoch, dass es für den Begriff des Terrorismus nach wie vor keine allgemeingültige wissenschaftliche oder rechtliche Definition gibt.14 Davon hängt jedoch auch das Verständnis von »Staatsterrorismus« ab. Abgrenzungen und Abstufungen zwischen den Parteien eines gewaltsamen Konfliktes, der sich unterhalb der Schwelle eines militärischen Konfliktes bewegt, sind hier ein Problem. Überspitzt ausgedrückt ist der Unterschied zwischen »Freiheitskämpfer« und »Terrorist« vor allem eine Frage der Perspektive. Der Begriff »Staatsterrorismus« ist also aufgrund der enormen politischen Aufladung problematisch sowie der offensichtlichen Willkür, mit der verschiedene Staaten für sich auslegen, wer oder was als Terrorist und Terrorismus zu gelten hat. Wenn Staaten bei der Bekämpfung von Terrorismus zu denselben Mitteln greifen wie Terroristen – dann ist überall Terrorismus. Die Vereinten Nationen lehnen deshalb den Begriff »Staatsterrorismus« für gezielte Tötungen und Geheimdienstmorde ab. Ob also jeder Geheimdienstmord auch Staatsterrorismus ist und ob dieser ungleich dramatischere Begriff bei der Einordnung und Bewertung wirklich hilft, ist zumindest zweifelhaft.

Terrorismus und Geheimdienstmorde beziehungsweise gezielte Tötungen sowie außergerichtliche Hinrichtungen – die von der ausführenden Seite oftmals als Terrorismusbekämpfung deklariert werden – unter dem Hut des Staatsterrorismus zu vermischen hat einen besonders emotionalisierenden Effekt. Allerdings verstellt der Ausdruck den Blick auf die Ursachen, Täter, Arten und Motive von Geheimdienstmorden. Der Terrorismus unserer Zeit, vor allem islamistischer oder rechter Terrorismus, zeichnet sich dadurch aus, dass kleine, nicht-staatliche Gruppen Gewaltakte gegen Einzelpersonen oder Ziele wie Menschenansammlungen begehen. Machtdemonstration, Demoralisierung und Psychoterror sind wesentliche Ziele dabei. Damit unterscheiden sich terroristische Aktionen maßgeblich von Geheimdienstmorden: Einerseits werden diese eben nicht von kleinen, nicht-staatlichen Gruppen begangen, andererseits sind geheimdienstliche Tötungen wesentlich zielgerichteter und auf einen spezifischen Effekt beziehungsweise ein konkretes Ziel ausgerichtet.15

Die Geheimdienste selbst benutzen von diesen Begriffen nur den der gezielten Tötung. Dieser Ausdruck ist erst seit dem »Krieg gegen den Terror« aufgekommen und wird vor allem in der Öffentlichkeit und im internationalen Verkehr von Staaten verwendet. Intern benutzen Geheimdienste gänzlich andere Formulierungen. Dieser Geheimdienstjargon offenbart die Neigung, Begriffe wie Tötung oder Mord zu vermeiden und neutrale oder beschönigende Ausdrücke zu verwenden. Die israelischen Geheimdienste, die seit dem Jahr 2000 den Begriff der gezielten Tötung in ihrer öffentlichen Kommunikation verwenden, sind ein hervorragendes Beispiel dafür: Im internen Sprachgebrauch von Mossad, Schin Bet und Aman, so zeigen die Recherchen des Journalisten Ronen Bergman, wird lieber von »negativen Behandlungen« oder »Verhinderungsmaßnahmen« gesprochen.16

Damit sind die israelischen Geheimdienste keineswegs allein. Die Geheimdienste der Sowjetunion und ihre Verbündeten verwendeten während des Kalten Krieges Begriffe wie »Liquidierung« oder »physische Entfernung«. Wenn die Mitarbeiter besonders salopp sein wollten, sprachen sie von »nassen Sachen« (russisch mokrye dela), die auch im Englischen ihre Entsprechung in den sogenannten wet jobs haben.17 Zudem gehörten keine Entführungen oder Verschleppungen zu ihrem Instrumentarium, sondern »Rückführungen« oder »Verbringungen«.18 Als Oberbegriff für alle gewaltsamen Aktionen wie Mord, Entführung, Sprengstoffanschläge oder Sabotage verwendeten die sozialistischen Geheimdienste unter Führung des KGB die Ausdrücke »Sonderaktionen«, »Spezialaufgaben« oder »scharfe Maßnahmen«. Bis in die 1960er-Jahre wurden »Sonderaktionen« mitunter auch noch als »aktive Maßnahmen« (russisch aktivnoe meroprijatie) bezeichnet, da sie sich vom passiven Sammeln von Informationen durch ihre aktive Einwirkung auf den Gegner unterschieden. Ab den 1960ern war dieser Begriff ausschließlich für Einflussoperationen, verdeckte Propaganda und Desinformation reserviert.19

Zu guter Letzt haben auch die US-amerikanischen Geheimdienste ihr eigenes Vokabular, wenn es um Mord, Umsturz, Einflussnahme oder Sabotage geht: Als Oberbegriff dient hier der Ausdruck »verdeckte Aktionen« (englisch covert actions).20 Als die CIA in den 1950er- und 1960er-Jahren eine ständige Kapazität zur Durchführung von Morden und Anschlägen im Ausland aufbauen wollte, sprach sie von »exekutiven« beziehungsweise »ausführenden Aktionen« (englisch executive actions).21 Darunter verstand die CIA »ein breites Spektrum an Aktionen, um die Effektivität ausländischer Anführer zu eliminieren, wobei Mordanschläge die extremste Aktion sind«.22 Seit den frühen 2000er-Jahren, als die CIA mit ihrem verdeckten Drohnenprogramm begann, benutzt auch sie den Begriff der gezielten Tötung.

Die Begriffe und Ausdrücke, mit denen geheimdienstliche Tötungen bezeichnet werden, sind also genauso vielfältig wie politisch, gesellschaftlich und rechtlich umstritten. Die wenigsten Bezeichnungen sind eindeutig, viele hingegen sind verharmlosende Kunstbegriffe. Dieses Buch verzichtet daher auf die Verwendung von Euphemismen und juristische Haarspalterei. Stattdessen wird der Oberbegriff Geheimdienstmord genutzt, da er die Natur von planmäßigen, staatlichen Tötungen durch Geheimdienste am besten charakterisiert. Dabei ist jedoch zu bemerken, dass es einen Unterschied gibt zwischen sogenannten gezielten Tötungen in militärischen Konflikten und der gezielten Ermordung von Einzelpersonen. Im Kontext militärischer Konflikte wird in diesem Buch daher auch der Ausdruck geheimdienstliche Tötung oder Tötungsoperation verwendet.

Kapitel 1:

Die Lizenz zum Töten? Faszination Geheimdienstmord

Detektive und Ermittler, Krimis und Thriller haben – vor allem in Deutschland – immer Hochkonjunktur. Warum aber zieht uns das Thema Mord so in seinen Bann, was macht die Faszination von Morden, die im Verborgenen geschehen, aus? Mindestens drei Faktoren spielen dabei eine Rolle.

Faktor 1: James Bond und die Macht der Spionagefiktion

James Bond, 007 – der beste Geheimagent Ihrer Majestät, im Auftrag des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 unterwegs mit der »Lizenz zum Töten«. Davon macht er, wie jeder Roman und Film der Bond-Reihe demonstriert, ausgiebig Gebrauch. Genau genommen ist dies sogar das einzige Mittel, mit dem Bond und durch ihn der britische Geheimdienst aktiv auf seine Gegner einwirkt. Was Spionage in den Bond-Filmen ausmacht, lässt sich auf einen einfachen Nenner bringen: Geheimagenten mit falschen Identitäten und fantastischen technischen Hilfsmitteln, unterwegs, um zu töten.

Wie wirkmächtig diese Fiktion ist, lässt sich auch an einem anderen Beispiel ablesen: Spionagemuseum Berlin, 8. März 2018, wenige Tage nach dem Mordanschlag auf Sergej Skripal. Eine Berliner Tageszeitung will dringend ein Statement, und als Erstes kommt die Frage aller Fragen zur Welt der Spione: »Ist das eigentlich wirklich so wie bei James Bond, mit der ›Lizenz zum Töten‹?« Der fiktionale Kinoheld wird zum Vergleichsrahmen für die reale Welt. Aber warum?

In James Bond hat sein Schöpfer, der britische Geheimdienstler, Journalist und Autor Ian Fleming der Welt den Prototyp dessen geliefert, was wir uns unter einem Geheimagenten vorstellen wollen. James Bond ist eine Projektionsfläche für alles, was wir von der Welt der Geheimdienste erwarten, was wir fürchten, hoffen oder träumen. Das gilt auch für die Morde, die er begeht. Denn Bond bekommt von seinen Bossen und von seinen Fans die berühmte »Lizenz zum Töten«: Er darf, was alle anderen nicht dürfen, natürlich nur zum guten Zweck (worüber er sich immer wieder aus niederen, persönlichen Motiven hinwegsetzt). Der tödliche Schuss zwischen die Augen des Gegners gehört nicht nur zum Bond-Intro, sondern zum Kern der Marke James Bond. Es ist das Töten des Bösewichts, worauf das Publikum wartet, der unbestrittene Höhepunkt jedes Bond-Films.

Damit ist James Bond bei Weitem nicht allein. Die Verfilmungen der Jason-Bourne-Reihe machen dies noch deutlicher: Hier geht es um ein spezielles CIA-Programm, mit dem »perfekte Killer« geschaffen wurden. Dass einer von ihnen, mit dem Decknamen Jason Bourne, aufgrund von Gewissensbissen erst seine eigene Lebensgeschichte vergisst und sich dann in den mittlerweile fünf Filmen gegen die Agency selbst wendet, geht dabei fast unter. Der morbiden Faszination, die Geheimdienstmorde ausüben, tut das in der Filmreihe angedeutete Szenario keinen Abbruch. Sie stehen für das Geheimnis im Geheimnis, den dunkelsten, dreckigsten und am stärksten unter Verschluss gehaltenen Bereich der Geheimdienstarbeit. Diese Faszination teilen sich Spionagefilme und Spionagerealität.

Kaum eine reale Person oder ein reales Ereignis beeinflusst unsere Vorstellung von Geheimdiensten so sehr wie die fiktionale Welt der Superspione und -agenten. Wer kennt schon den letzten Jahresbericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste? Richtig: so ziemlich niemand. Den letzten Bond-Film aber sahen Millionen Menschen weltweit.

Wie realistisch die Filme und Bücher dabei sind, spielt kaum eine Rolle. Denn wie es Alexis Albion vom Spy Museum in Washington zusammenfasste: »Spionage ist nicht wie Bond, aber für Millionen von Menschen überall auf der Welt ist Bond gleich Spionage.«23 Diese Macht der Spionagefiktion, die unser Denken und unsere Vorstellungen schon lange infiltriert und geprägt hat, wird von Politikern und Geheimdienstlern immer wieder abgetan und unterschätzt. Sie ist jedoch sehr real.

Denken wir an die eingangs erwähnte Frage nach dem Anschlag auf Sergej Skripal zurück: »Ist das eigentlich wirklich so wie bei James Bond, mit der ›Lizenz zum Töten‹?« Egal wie unsinnig diese Frage Politikern, Polizisten und Geheimdienstmitarbeitern erscheint (und das tut sie!) – sie hat eine Antwort verdient. Der Tötungswahn des James Bond, auf dessen Konto bereits über 400 fiktive Menschenleben gehen, ist ein Spiegelbild unserer Vorstellung von Geheimdiensten und ihren Machenschaften. Immer wieder stellen wir alle – ob Kinobesucher, Journalisten oder Kommentatoren – uns vor, die Welt von James Bond sei die Realität – oder die Realität sei wie die Welt von James Bond. Gezielte Tötungen sind in dieser Welt die extremste und zugleich ultimative Form von Geheimdienstarbeit. Ob dem tatsächlich so ist und dass die reale Welt der Geheimdienstmorde sogar um einiges spannender ist als im Film, zeigt dieses Buch.

Faktor 2: Das politische Geheimnis und die Welt der Deep Secrets

Der zweite Faktor der besonderen Faszination von Geheimdienstmorden ist so banal wie einleuchtend: Es ist das Geheimnis. Geheimnisse beflügeln und reizen die menschliche Neugier und Fantasie. Vor allem, wenn es um die Geheimnisse eines anderen geht, und noch mehr, wenn dieser andere ein ganzer Staat mit Institutionen ist, die im Verborgenen arbeiten.

Im Verborgenen verübte Attentate gehören zu den dunkelsten Geheimnissen des modernen Staates. Planung, Ausführung, Anzahl, Erfolge, Misserfolge und Motive – alles topsecret. Staaten und Regierungen lassen Geheimdienstmorde natürlich nicht ohne Anlass ausführen, sondern um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Während Tötungen bis ins 19. Jahrhundert ein mehr oder weniger legitimes Mittel der Politik waren, sind sie heute in den meisten Teilen der Welt illegal und geächtet – eigentlich. Und weil dem so ist, müssen Tötungen, wenn sie doch angeordnet werden, oft im Verborgenen passieren. Geheimdienstmorde sind immer Staatsgeheimnis Nummer eins.

Gehörte das Staatsgeheimnis von der Antike bis zum Ersten Weltkrieg noch zur legitimen und allgemein anerkannten Regierungskunst, ist es in der modernen, digitalen Demokratie anrüchig und verdächtig geworden. Ein faszinierender Widerspruch wohnt dem Staatsgeheimnis heute inne: Einerseits stabilisiert Geheimhaltung den demokratischen Staat, indem sie zum Beispiel das Entstehen von Gesetzen bis zu einem gewissen Zeitpunkt vor äußeren Einflüssen wie Lobbyismus oder wirtschaftlichen Interessen schützt. Oder indem zum Funktionieren der Versorgung (der sogenannten kritischen Infrastruktur) notwendige Informationen geheim gehalten werden. Jede Macht, jeder Staat und jede Regierung hat legitime »Betriebsgeheimnisse«.24

Andererseits hat das Staatsgeheimnis eine dunkle Seite: Indem Staat, Regierung und Behörden bestimmte Bereiche der öffentlichen Kenntnis entziehen, entsteht ein Raum für unbeobachtete und illegale Handlungen. Hier, so vermutet die kritische Öffentlichkeit, soll versteckt werden, was eigentlich gar nicht sein darf. Die Schmutzwäsche der Macht soll in der dunkelsten Kammer eines verstecken Labyrinths vor der Enthüllung bewahrt werden.

Es gibt also gute und schlechte Geheimnisse. Geheime Morde gehören natürlich in die zweite Kategorie. Sie sind aber nicht »einfach nur schlecht«, sondern auch sogenannte Deep Secrets – man könnte auch sagen: besonders geheime Geheimnisse. Was zunächst etwas seltsam klingt, bedeutet nichts anderes, als dass es bei derartigen Geheimnissen schwierig bis unmöglich ist abzuschätzen, was alles geheim gehalten wird. Wir wissen also nicht, was wir nicht wissen und nicht wissen können. Bildlich gesprochen: Man schaut nicht nur in eine dunkle Kammer in einem schier endlosen Labyrinth; man schaut in ein dunkles Nichts, in dem Licht nicht vorgesehen und deshalb nicht angebracht wurde. Und genau deswegen werden Geheimdienste mit solchen Aktionen beauftragt: Sie haben die notwendigen finanziellen, personellen und technischen Ressourcen und vor allem das Know-how, um solche Aktionen durchzuführen, während gleichzeitig Geheimhaltung ihr ureigenstes Geschäft ist.

Der Ex-Präsident des deutschen Auslandsnachrichtendienstes BND, Gerhard Schindler, meinte auf die Frage nach einer ungefähren Anzahl von Geheimdienstmorden im Januar 2020: »Wie sollen wir die denn bitte zählen? Wenn ein Geheimdienstmord gelingt, ist er ja gar nicht zu erkennen.«25 Wenn also zum Beispiel der russische Geheimdienstüberläufer Sergej Skripal wie geplant zu Hause still an Herzversagen verstorben wäre, statt halbtot auf einer Parkbank gefunden zu werden, stünden die Chancen recht gut, dass der Todesfall niemals mit einer Vergiftung in Verbindung gebracht worden wäre – und die globale Öffentlichkeit niemals auch nur ein Sterbenswörtchen davon gehört hätte. Den Toten als Opfer und den Tod als Mord zu erkennen und dann auch noch einem Täter zuzuschreiben ist eine große und manchmal unüberwindbare Herausforderung. Und genau diese Undurchschaubarkeit ist es, die stark zum morbiden Reiz des geheimen Mordes beiträgt.

Faktor 3: Psychologie und Tötungstrieb

Der letzte Faktor der morbiden Faszination von geheimen Morden sind psychologische, tief im Menschen verankerte Aspekte: Mord beziehungsweise Töten ist eine Grenzerfahrung, ist extrem, endgültig – und eigentlich wider die menschliche Natur. Und doch gibt es anscheinend eine verborgene, dunkle Seite tief in uns, die der »Übervater« der Psychologie, Sigmund Freud, den Todestrieb nannte, der dem Lebenstrieb des Menschen entgegengesetzt sei.26 Nach dieser – in der Psychologie nicht unumstrittenen – Theorie Freuds ist der Todestrieb in jedem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt. Nicht jeder wird also zwangsläufig zum Mörder. Aber der verborgene Tötungstrieb weckt unser Interesse an den Morden anderer, egal ob im Film oder in der Realität. Durch Krimis oder Nachrichten über reale Morde stellen wir eine Verbindung mit unserer eigenen dunklen Seite her, vergewissern uns, dass unser Wertekompass intakt ist und wir unseren aggressiven inneren Tötungsdrang weiter effektiv unterdrücken und bekämpfen.

Das alles gilt natürlich nur für den Täter in uns. Doch in uns allen steckt auch ein Mordopfer. Oder besser gesagt: die Angst davor, eines zu werden – denn theoretisch könnte jeder von uns jederzeit ermordet werden. Diese Angst ist ein weiterer Grund für die Faszination von (geheimen) Morden. Wir beschäftigen uns mit den Tötungsdelikten anderer, lesen darüber, schauen sie uns an, verstehen sie und versuchen, sie aufzuklären. Dadurch erlangen wir Kontrolle zurück, befreien uns ein Stück weit von unserer tief sitzenden Angst und können sie wieder in unser Unterbewusstsein verbannen. Angst und Faszination liegen – jeder Horrorfilm singt ein Lied davon – ganz nah beieinander. Und beide Aspekte finden sich auch bei geheimen Morden wieder.

Infobox

Geheimdienste werden weltweit damit beauftragt, geheime Tötungen durchzuführen. Sie haben das Know-how und die personellen und finanziellen Mittel dazu. Geheimdienstmorde üben eine besondere Faszination aus: Sie sind ein Rätsel, Geheimnis und Mysterium.Spionagefilme, wie die Reihen um James Bond oder Jason Bourne, verdeutlichen und befeuern die Faszination, die von Geheimdienstmorden ausgeht.Geheimdienstmorde sind »besonders geheime Geheimnisse«, sogenannte Deep Secrets: Wir wissen nicht, wie viel wir nicht über das Thema wissen.Es gibt verschiedene rechtliche und politische Begriffe für Geheimdienstmorde. Geheimdienste selbst verwenden neutral klingende Kunstbegriffe und Beschönigungen.

Kapitel 2

Wen Geheimdienste töten

Der erste Schritt zur Untersuchung von Geheimdienstmorden ist ihre Kategorisierung. Die grundlegende Frage dabei ist: Welche Arten von Geheimdienstmorden gibt es überhaupt? Das mag zunächst trocken und technisch erscheinen, doch die Antwort darauf ermöglicht es, verschiedene Geheimdienstmorde voneinander zu unterscheiden und einzuordnen.

Viele Beobachter denken vielleicht zuerst an die Mordwaffe als Unterscheidungsmerkmal, also zum Beispiel: Gift, Sprengsätze oder Schusswaffen. Dies mag auf den ersten Blick logisch klingen, allerdings greift der Blick auf die gewählte Waffe zu kurz, denn Geheimdienste wählen ihre Mordwaffen vor allem nach praktischen Gesichtspunkten aus und greifen dabei auf so ziemlich jedes erdenkliche Mordinstrument zurück.

Demgegenüber gibt es aber einen anderen, ganz wesentlichen Punkt, der Geheimdienstmorde voneinander unterscheidet: die Opfer. Dieses Kriterium ermöglicht eine genauere Kategorisierung. Es gibt acht Personengruppen, die Opfer von Geheimdienstmorden werden. Daraus lassen sich dann vier Arten von Geheimdienstmorden ableiten, die am Ende des Kapitels vorgestellt werden.27 Diese Gruppen der Opfer sind:

Machthaber, Politiker und AmtsträgerOppositionelle und DissidentenWissenschaftlerMilitärische GegnerTerroristenWaffenhändlerGeheimdienstmitarbeiterUnbeteiligte Zivilisten

Sehen wir uns jede dieser Gruppen zunächst einmal genauer an, um herauszufinden, warum sie zum Ziel von Geheimdienstmorden werden.

Machthaber, Politiker und Amtsträger

Sie sind wichtige – und besonders spektakuläre – Ziele geheimdienstlicher Mordaktionen. Das Motiv dabei ist zumeist ein Regierungswechsel oder eine grundlegende (außen-, innen- und wirtschafts-)politische Richtungsänderung eines Landes. Deshalb werden Personen aus dieser ersten Gruppe oft, wenn auch nicht ausschließlich, im Zuge von Putschs, militärischen Interventionen oder Umstürzen Opfer von gezielten Tötungen.

Oft sind es die globalen Supermächte USA und Russland, die zu diesem Mittel greifen. Legendär sind zum Beispiel die Pläne der USA, den kubanischen »Revolutionsführer« Fidel Castro zu töten. Über 600 verschiedene Arten und Pläne soll die CIA dazu geschmiedet haben (mehr dazu in Kapitel 5). Und der »Comandante« Castro war keineswegs der einzige Staatsmann, den die CIA umbringen wollte. Auch der erste Ministerpräsident des aus dem belgischen Kolonialregime entlassenen Kongo, Patrice Lumumba, sollte 1960 von der CIA vergiftet werden. Anders als Castro starb Lumumba tatsächlich, allerdings wurde er von durch die USA und Belgien unterstützten Putschisten getötet.28

Bis auf den heutigen Tag umstritten ist hingegen die Rolle der CIA bei der Ermordung von Rafael Trujillo, der die Dominikanische Republik zwischen 1930 und 1961 mit brutaler Gewalt regierte. 1961 wurde er von Putschisten erschossen, deren Waffen aus Lieferungen der CIA stammen sollten. Der Untersuchungsausschuss, der 1975 im Auftrag des US-Senates die Mordaktionen der CIA untersuchte – das sogenannte Church Committee –, fand jedoch keine Beweise für eine »aktive Rolle der CIA« bei Trujillos Ermordung.29

Mordkomplotte gegen Staatsführer hatten während des Kalten Krieges aber auch bei der zweiten globalen Supermacht, der Sowjetunion, Tradition. In den letzten Lebensjahren des sowjetischen Diktators Josef Stalin bis 1953 war die Ermordung des jugoslawischen Kommunistenführers Josip Brosz Tito eine wichtige Aufgabe des sowjetischen Geheimdienstes. Im Moskauer Exil war Tito ein treuer Gefolgsmann Stalins, als er jedoch 1944 die Macht in Jugoslawien übernahm, wandte er sich von Stalin ab und wollte einen »eigenen Weg zum Kommunismus« finden – für Stalin nichts weniger als Hochverrat. Mehrmals warb der KGB-Vorläufer NKWD Killer an, die Tito in Belgrad umbringen sollten. Einer davon war Josif Grigulewitsch, ein Undercover-Agent des sowjetischen Geheimdienstes, der als »Teodoro Castro« Geschäftsträger der costa-ricanischen Botschaft in Rom war. Grigulewitsch schlug Ende 1952 vor, Tito in Belgrad mit Lungenpesterregern zu besprühen, ein Schmuckkästchen mit einer Vorrichtung, die Giftgas freisetzen könnte, zu überreichen oder ihn bei einem Empfang in London zu erschießen. Am 1. März schrieb Grigulewitsch jedoch einen enttäuschenden Bericht darüber, dass eine Durchführung des Mordes unmöglich war. Einen Tag später starb Stalin und mit ihm der Plan zur Ermordung Titos.30

1979 hatte der KGB mehr Erfolg mit der Beseitigung des afghanischen Präsidenten Hafisullah Amin. Amin hatte sich im September 1979 durch eine blutige Palastrevolte an die Staatsspitze gebracht und in Moskau ersthafte Besorgnis ausgelöst, er könnte das kommunistische Regime in Afghanistan beenden wollen. Nur vier Monate später startete der KGB unter Federführung der Spezialeinheit »Alfa« mit der »Operation Agat« die Invasion Afghanistans, die in einem mehrjährigen, erfolglosen Krieg enden sollte. Die Ermordung Amins durch die KGB-Spezialeinheiten gehörte dabei von Anfang an zum Operationsplan. Über 700 »Alfa«-Kämpfer stürmten den Palast in Kabul am 27.12.1979 und töteten Amin und seine Familie.31

Ein jüngeres Beispiel stammt aus dem Jahr 2004: Wiktor Juschtschenko befand sich im Wahlkampf um das Amt des Staatspräsidenten der Ukraine, als er am 6. September ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Die Diagnose: Vergiftung mit dem Schwermetall Dioxin. Aufgrund der Reinheit und der hohen Konzentration des Giftes in Juschtschenkos Körper schlossen die Ärzte eine zufällige Vergiftung aus. Juschtschenkos Angaben zufolge aß er am 5. September mit dem Chef des ukrainischen Geheimdienstes Ihor Smeschko und dessen Stellvertreter Wolodimir Sazjuk auf Sazjuks Datscha zu Abend. Dort soll ihm das Dioxin ins Essen gemischt worden sein. Hinter dem Attentat sollen mutmaßlich russische Geheimdienste gestanden haben, die eine Präsidentschaft des prowestlichen Juschtschenkos unbedingt verhindern wollten.32 Juschtschenko überlebte und wurde 2005 zum Präsidenten gewählt.

Dies sind nur einige Beispiele für Geheimdienstattentate auf Staatsmänner und Politiker. Bei manchen handelt es sich um Einzelattentate, mit denen missliebige politische Persönlichkeiten ausgeschaltet werden sollen. Oft spielen emotionale und persönliche Motive mit hinein, wie zum Beispiel bei den »Intimfeinden« der USA (Fidel Castro) oder der Sowjetunion (Tito). In anderen Fällen geht es um Staatsstreichpläne, bei denen das ganze politische System eines Staates zugunsten fremder Interessen verändert werden soll und bei deren Ausführung die vorherige Staatsführung getötet wird. Dabei nutzen Staaten geheime Mordanschläge auf missliebige Politiker, Machthaber und Amtsträger, um die eigenen außen-, wirtschafts- und sicherheitspolitischen Interessen zu festigen.

Was bedeutet das mit Blick auf die Frage, welche Personen zum Ziel von Mordattentaten werden? Zum einen ist zu beobachten, dass Staaten, vor allem die beiden Supermächte, in ihren traditionellen Einflusssphären zu solchen Methoden greifen. Für die USA sind das zum Beispiel Mittel- und Südamerika, für Russland vor allem der Kaukasus und Zentralasien. Dort werden immer wieder solche Politiker und Amtsträger Opfer geheimer Mordanschläge, die zentralen strategischen Interessen Russlands oder der USA gefährlich werden. Besonders in der jüngsten Vergangenheit griffen jedoch auch kleinere Staaten wie der Iran, Saudi-Arabien oder die Türkei zu solchen Mitteln. Sie streben zwar nicht wie die USA, Russland oder China eine Rolle als globale Supermacht an, doch sie befinden sich in Auseinandersetzungen um eine Vormachtstellung in ihrer Region (mehr dazu in Kapitel 9).

Oppositionelle und Dissidenten

Wir alle haben ein bestimmtes Bild im Kopf, wenn wir an Geheimdienstmorde denken: mysteriöse Vergiftungen, verdächtige Selbstmorde oder erschossene Politiker. Doch die häufigste Art von Geheimdienstmorden hat wenig mit vergifteten Kugelschreibern oder elaborierten Spionage-Operationen zu tun, sondern mit dem schmutzigen Geschäft von Geheimpolizeien. Anders als in der Spionage geht es bei dieser Arbeit darum, einen Diktator, eine Partei, eine Militärjunta oder andere autoritäre Machthaber an der Macht zu halten. Dabei spielen Geheimpolizeien eine wichtige Rolle: Sie verhaften politische Gegner, sperren sie ein, foltern und töten sie. Das dient nicht nur dazu, tatsächliche Oppositionelle auszuschalten, sondern hat auch den Zweck, Angst zu verbreiten.