Geliebte des Königs - Józef Ignacy Kraszewski - E-Book

Geliebte des Königs E-Book

Józef Ignacy Kraszewski

0,0

Beschreibung

Zu Zeiten Kraszewskis, des "Vaters des polnischen Romans" (1812-1887), hing in vielen Häusern die Kopie eines Gemäldes, das ein schönes junges Mädchen darstellte, dessen bewegte Geschichte hier erzählt wird. Der Roman führt uns an den Hof August Poniatowskis, jenes Herrschers, den Russlands Einfluss 1765 auf den polnischen Thron brachte. Die Höflinge sind bemüht, den König dadurch zu "erheitern", dass sie ihm immer neue Frauen zuspielen, und als sie die Schönheit Natalkas entdeckt haben, ruhen sie nicht eher, bis das Mädchen das heimatliche Bauernhaus verlassen hat und zur Geliebten des Königs geworden ist. Um den Schein zu wahren, wird Natalka mit einem alten Edelmann verheiratet, der sich zunächst über dieses Spiel empört, schließlich aber für Orden und Titel seinem Herrn doch den "Liebesdienst" erweist. Poniatowski und seine Höflinge aber haben am Ende ihre Rechnung ohne Natalka gemacht: da diese ihre Hoffnungen, des Königs Gattin zu werden, schwinden sieht, verlässt sie Warschau, eine der Frauen, die durch die gewissenlose Gesellschaft der Adligen zugrunde gerichtet wurden. Kraszewski hat auch in diesem Werk die feudalistische Gesellschaft meisterhaft porträtiert.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 317

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Józef Ignacy Kraszewski

Geliebte des Königs

Geliebte des Königs

Illustrierte Ausgabe

Józef Ignacy Kraszewski

Impressum

Texte: © Copyright by Józef Ignacy Kraszewski

Umschlag:© Copyright by Walter Brendel

Illustrationen: © Copyright by Amonym

Übersetzer: © Copyright by Waldemar Krause

Verlag:Das historische Buch, 2023

Mail: [email protected]

Druck:epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

Vor etlichen Jahrzehnten hing in vielen Häusern die Kopie eines kleinen Gemäldes. Es stellte ein junges Mädchen dar, das auf einem Stuhl saß und den traurig geneigten Kopf in die Hand stützte. Auch der „Volksfreund" hatte das Porträt veröffentlicht. Diese Schönheit wurde die „Bondarywna" genannt. Die Geschichte des Mädchens wird hier so wiedergegeben, wie sie alte Leute noch heute erzählen. Ich habe sie aus dem Munde eines Mannes vernommen, der für die Wahrheit seines Berichtes bürgte. Übrigens enthalten Erzählungen, die von Mund zu Mund weitergehen, auch wenn sie erdacht sind, oft mehr Wahrheit als die verbürgteste Geschichte.

1

Es war spätabends; in einem Haus auf der Anhöhe, von wo man die weiten, von den Wassern des Dnepr überschwemmten Flächen übersehen konnte, stand ein Fenster offen. Eine schöne Dame stützte sich, in trübe Gedanken versunken, mit der Hand auf das Fensterbrett. Ihr aristokratisches, etwas blasses und müdes Gesicht zuckte, als ob es abwechselnd Blitze erhellten und Wolken verdüsterten. Hin und wieder stampfte sie ungeduldig mit dem Fuß auf, blickte zur Tür und seufzte. Zu Füßen der Anhöhe, auf der das Haus stand, lag das wunderlich gebaute Städtchen mit seinen alten Hütten, den in Eile erbauten Landhäusern und der wundervollen Ruine einer alten Kirche. Alles umhüllte bereits abendliche Dämmerung, nur am Himmel war nach die Abendröte zu sehen und mitten im Städtchen glühte eine erlöschende Feuersbrunst. Dort waren viele Menschen in erregter Bewegung.

Unter ihnen gab es Juden in langen schwarzen Kaftanen, Bauern in grauen Kitteln, Soldaten der polnischen Reiterei und Hofleute in vortrefflich geschneiderten Fräcken und gelockten Perücken, von denen man meinen konnte, sie wären im ersten Augenblick des Schreckens aus den Gemächern Seiner Königlichen Majestät geradewegs zu der Brandstätte gelaufen. Seine Majestät, König Stanislaus August,1 weilte damals in der Tat hier in Kaniow am Dnepr, und allen Erfordernissen der Etikette zum Trotz brach das Feuer gerade in dem Augenblick aus, als der Allergnädigste Herr nicht Angst, sondern Zerstreuung brauchte. Alle waren über das ungehörige Element verärgert, das in zügellosem Übermut gewagt hatte, unter den Augen des Königs auszubrechen. Mehr jedoch als alle andern war an ihrem Fenster Frau Mniszech erregt, die Nichte des Königs, die Seiner Majestät sehr zugetan war und dafür sorgte, dass das abgöttisch geliebte Onkelchen guter Stimmung sei. Sie zürnte dem Feuer, den Menschen, den eingeäscherten Holzbuden der Krämer, den langsamen Rettungsmaßnahmen, dem Wind, der die Flammen auseinandertrieb, und dem Jammern der Geschädigten, welches das Ohr des Herrschers beleidigen könnte. Sie kannte den König gut, er bedurfte vor allem der Ruhe und Zerstreuung. Er war zwar bereit, für seine Bequemlichkeit hohe Preise zu zahlen, andererseits war er aber auch so empfindsam, und so unglücklich, und doch so gut und liebenswert! Das sagte sich Frau Mniszech und ärgerte sich über die ganze Welt, über die Menschen, die vier Elemente, die Vorsehung und die Undankbarkeit all derer, die um den besten aller Herren waren, Wohltaten von ihm entgegennahmen und für diese nichts leisten konnten oder nicht wollten. Warum hat man nicht gleich im ersten Augenblick — so meinte die Kronmarschallin — ein paar Mützen über den Brand geworfen und das Feuer erstickt? Musik hätte das Geschrei übertönen sollen, damit es nicht bis in die Ohren des Allergnädigsten Herrn gelangte. Hätte man die Fenster rechtzeitig verhängt, wäre auch der Feuerschein draußen geblieben. So aber hatte der König das Feuer gesehen, und nun war er besorgt und betrübt! Er war gar hinausgegangen, um sich den Brand anzusehen. Dabei hätte er sich erkälten können, denn der Frühlingsluft war nicht zu trauen.

„Diese undankbaren Menschen", murmelte Frau Mniszech am Fenster. „So einen guten, lieben Herrn haben sie!" Seit ein paar Tagen war das Gesicht des Herrschers bewölkt. Er gähnte, war zerstreut, nichts ergötzte ihn, nicht einmal der Gesang und das Spiel der Marschallin, auch nicht das Billardspiel mit Plater und Tyszkiewicz, und erst recht nicht das Gespräch mit dem Starosten von Mielec, der nach Meinung der Marschallin nicht mehr witzig war. Der König langweilte sich!

Dem musste abgeholfen werden. Er hätte ja von der Langeweile krank werden können ... Und was sollte dann aus all den Berechnungen der Woiwodin von Podolien werden und aus den Spekulationen des Herrn Marschalls, die alle aus der Schatulle des Oheims Hilfe erwarteten? Zur Langeweile, die schon an sich die Gesundheit des Königs gefährdete, kam noch der Schreck, den das Feuer hervorgerufen hatte, der Ärger, die Erkältung und die Ausgaben für die Brandgeschädigten in einem Augenblick, als gerade viel Geld gebraucht wurde für Reisekosten und wertvolle Geschenke, Edelsteine, Schnupftabaksdosen... In Gedanken versunken, seufzte Frau Mniszech tief auf. Ihre Augen wandten sich von dem Feuerschein ab, und ihr Blick glitt über den Parkettboden des kleinen Raumes zur Tür. Sie schien jemand zu erwarten. Noch war sie eine schöne Frau. Ihr zartes Gesicht war zwar schon etwas müde, aber immer noch anmutig. Wer konnte wissen, ob sie, die Nichte des Königs, nicht bereit gewesen wäre, die Langeweile des Herrschers mit einem Lächeln, mitfühlenden Worten oder herzlichem Schmeicheln zu vertreiben ...? Aber Stanislaus August war seit ihrer Kindheit an ihr Gesicht gewöhnt; unter seinen Augen war sie aufgeblüht und verwelkt, und er, ein Sterblicher wie andere auch, hatte einen Fehler, einen großen, ja sogar sehr großen Fehler: im ersten Augenblick machte auch ein weniger schönes Gesicht, wenn es nur den Reiz der Jugend hatte, tiefen Eindruck auf ihn; er war bereit, für das Lächeln eines solchen Gesichtchens alles zu opfern und auch die heiligsten Bande zu zerreißen. Aber was nützte das, wenn ihm mit jedem Tag der Zauber eines solchen Gesichtchens mehr und mehr verflog und der König bald so gleichgültig, kühl und teilnahmslos wurde, dass ihn die Zeichen wärmster Gefühle nicht zu beleben vermochten? Frau Mniszech erinnerte sich an gewisse Augenblicke eigener Illusionen und seufzte wieder. Nichts konnte die Natur dieses Menschen ändern, leider; es war besser, ihr nachzugeben. Stanislaus August war so gut und hatte ein so gefühlvolles Herz! Sicherlich war er nicht daran schuld, dass ihn das Leben so gemacht hatte, wie er war — das Leben, die Menschen, Enttäuschung und Überdruss, die ihm begegnet waren... vielleicht auch das Alter. Die Marschallin sprach ihn von jeder Schuld frei. Den geplagten Herrscher musste man aufheitern und erfreuen. Seltsame Gedanken schwirrten ihr durch den träumenden Kopf. Vornehme Damen in Atlas und Spitzen und im vollen Glanz ihrer kunstvoll gepflegten Reize machten keinen Eindruck mehr auf ihn. Nur ein frisches Naturkind konnte noch sein Blut lebhafter erregen. Hatte nicht in Wisniowiec die Ehrenjungfer Marysia drei Tage lang die Augen Seiner Majestät auf sich gezogen und bei des Königs Abreise Brillantohrringe erhalten?

Frau Mniszech zuckte mit den Schultern. „Was mag er in ihr gesehen haben? Ich weiß es wirklich nicht", flüsterte sie. Ach, die Jugend! Sie kommt nicht wieder, und sie ist so schnell dahin! Während sie diesem Gedanken nachhing, öffnete sich langsam die Tür, und auf der Schwelle stand ein kleiner, unansehnlicher Mann. Auf den ersten Blick konnte man ihn für einen untergeordneten Diener des Hofes halten. Er war schon ziemlich alt, sein nichtssagendes, gerunzeltes Gesicht zeigte gewöhnliche Züge, eine plumpe, niedrige Stirn, dicke Lippen und eine Nase, die aussah, als wäre sie geschwollen; aber aus den grauen, tief unter herabhängenden Brauen liegenden Augen schauten Geist und Erfahrung. Sein Gesichtsausdruck war kalt und gleichgültig wie bei Menschen, die gewohnt sind, mit den Großen der Welt umzugehen, die durch nichts mehr verblüfft werden, die nichts mehr in Schrecken versetzt, die aber auch keiner allzu großen Freude mehr fähig sind. Sein nicht besonders prächtiges, aber modisches Gewand konnte sich auch in den Gemächern des Allergnädigsten Herrn sehen lassen, jedoch hätte es weder durch Frische noch durch erlesenen Geschmack die Blicke auf sich gezogen. Nach dem Anzug konnte man eher auf allzu große Sparsamkeit schließen, denn die dauerhafte Kleidung zeigte, dass ihr Träger mit allen möglichen Ereignissen rechnete: die stahlgraue Farbe des Anzugs konnte Staub und Regen vertragen, und die Perlmutterknöpfe waren gewiss geeigneter fürs Reisen als die damals üblichen wertvollen Edelsteine, mit denen sich die Hofgesellschaft schmückte. Der Besucher blieb auf der Schwelle stehen und verneigte sich ziemlich gleichgültig, nahm den Hut, den er in der Hand hielt, unter den Arm, griff mechanisch nach der Uhrkette, die aus seiner Weste hervorhing, und wartete ab. Der höfische Brauch erlaubte ihm nicht, die erlauchte Dame zuerst anzusprechen. Die Marschallin trat auf ihn zu.

„Oh, Herr Quartiermeister, Ihr habt mich lange warten lassen!"

„Verzeiht, Frau Marschallin", ließ sich der Mann mit trockener, etwas heiserer Stimme vernehmen, „der Brand erforderte meine Anwesenheit. Soeben erst bin ich zurückgekehrt." „Es ist unerhört", sagte die Marschallin lebhaft, „dass gerade jetzt, da der König hier wohnt, die Krambuden in Brand geraten. Ihr wisst doch, wie empfindlich unser Allergnädigster Herr ist."

„Das Feuer konnte doch unmöglich bis zur Wohnung Seiner Königlichen Majestät dringen", erwiderte der Quartiermeister.

„Dennoch hat sich der König erschreckt, und sein empfindsames Herz musste darunter leiden”, fuhr die Marschallin fort. „Auch der Geldbeutel wird es zu spüren bekommen, denn der König ist außerordentlich wohltätig. Wer weiß, wie sich dieser Zwischenfall auf seine Gesundheit auswirken wird!" Sie zuckte mit den Achseln.

„Aber wer von uns ist denn daran schuld?" flüsterte Szuszkowski und hob gleichfalls die Schultern.

„Weder ich, noch ..." „Alle sind daran schuld, alle! Ihr, ich, wir alle, das sage ich Euch!" entgegnete die Dame aufgebracht. „Denn wir alle sind verpflichtet, achtsam zu sein, ihn zu behüten und ihn stets im Auge zu behalten. Was war die Ursache des Brandes?" „Wer soll das wissen. Ein Funke fiel in das Gerümpel der Juden; vielleicht hat, mit Verlaub, ein altes Weib unvorsichtigerweise ein Heizbecken in der Bude stehenlassen oder glühende Asche verschüttet."

Der Ausdruck „mit Verlaub, ein altes Weib" klang in den Ohren der Dame unangenehm. Sie zeigte ihren Unwillen, aber sie musste diesem Menschen die Worte verzeihen, denn obwohl die Marschallin in Szuszkowski nur einen sehr gewöhnlichen Menschen erblickte, war er doch ein Edelmann. Wenn es nicht notwendig gewesen wäre, hätte sie nicht einmal geruht, sich mit ihm abzugeben, mit ihm zu sprechen oder in seine Nähe zu kommen. Szuszkowski konnte zwar nicht Französisch sprechen, aber mit seiner Königstreue, seiner Bereitschaft, sich für Seine Majestät aufzuopfern, und schließlich mit seiner Diskretion konnte man rechnen. In dieser Beziehung war er unschätzbar und unentbehrlich. „Die Feuersbrunst ist gelöscht und der Schaden gar nicht so groß", sagte der Quartiermeister, die Worte mit einer Handbewegung unterstreichend.

Er schien im Dämmerlicht den Blick der Marschallin zu suchen, um dahinterzukommen, warum er gerufen worden war. Trotz seines plumpen Äußeren war Szuszkowski ungemein schlau. Er witterte auch jetzt eine besondere Angelegenheit.

Dieser schweigsame, unscheinbare eiskalte Mann war der gefährlichste Höfling und Intrigant, obwohl ihn niemand unter dieser dürftigen äußeren Schale dafür gehalten hätte. Die Marschallin hatte es nicht eilig, Ihm eine neue Frage zu stellen, obwohl Szuszkowski wie zufällig, aber mit voller Absicht auf seine Uhr blickte, die ein Geschenk Seiner Majestät war. „Lasst Euch Zeit, Herr Quartiermeister", ließ sie sich nach einem Weilchen vernehmen und trat ans Fenster, „wir haben über Wichtiges zu reden. Ich weiß, dass man sich auf Euch verlassen kann und dass Ihr unserem lieben Herrn sehr zugetan seid."

„Ja, so ist es gewiss", brummte Szuszkowski vor sich hin. „Ihr sollt die Dinge so sehen, wie ich ..." fuhr die Marschallin fort, während sie wieder vom Fenster zurücktrat, als wüsste sie nicht, wie sie anfangen sollte. „Ihr werdet ja selbst wissen, dass unser geliebter König sich langweilt."

Szuszkowski hob etwas erstaunt den Kopf. „Ja, so ist's, ich kenne ihn von meiner Kindheit an, ich lese in seinem Gesicht wie in einem Buch; der König langweilt sich." „Der Allergnädigste Herr leidet", verbesserte Szuszkowski, „o ja, das ist wahr." „Gerade deshalb müssen wir versuchen, ihm unbedingt Zerstreuung zu verschaffen", schloss die Marschallin.

„Aber an Unterhaltung und Zerstreuung fehlt es doch nicht, an Besuchen auch nicht, und an Menschen am allerwenigsten ... Auch Musik und Billard sind da, und solche kluge Gesellen wie der Bischof Naruszewicz, solche witzigen Männer wie der Vizekanzler, und Spaßvögel von der Art des Herrn Starosten von Mielec ..."

„Lasst mich mit diesen Leuten in Ruhe! Sie alle, bis auf Littlepage, sind dem König so über! Der König braucht etwas Neues." Die Marschallin hüstelte und blickte Szuszkowski an.

Dessen graue Augen blitzten in der Dämmerung auf. Er zuckte mit dem Acheln. Sie trat auf ihn zu und schaute sich dabei nach allen Seiten um, als ob sie Lauscher fürchtete. „Ihr wollt mich nicht verstehen ..." Szuszkowski schwieg eine Weile. Er sammelte seine Gedanken und wog seine Worte ab.

„Die edle Frau Marschallin werden entschuldigen ... Ich kann tatsächlich nicht verstehen, um was es sich handelt. Denn es gibt verschiedene Unterhaltungen! Und an Menschen, die sie ausdenken können, ist kein Mangel." „Ihr wollt mich also durchaus nicht verstehen!" wiederholte die Marschallin und stampfte mit dem Fuß auf. Das tat sie oft. Szuszkowski lächelte nur. „Nun, wenn ich es auch verstünde, so fühlte ich mich der Sache doch nicht gewachsen. Ich will nicht mit der Wahrheit zurückhalten. Frau Marschallin werden mir verzeihen" — schon zum dritten Mal wiederholte er diese Redewendung, eine üble Angewohnheit —, „unser Allergnädigster Herr lässt sich manchmal gar nicht aufheitern und zerstreuen; wer kann erraten, was ihn rühren könnte? Manchmal erweckt eine Kinderei sein Interesse, ein andermal wieder würde er auch eine ..." — hier schluckte er —, „auch eine Gottheit, die aus den Wolken zu ihm herabstiege, nur mit Gähnen begrüßen." „Nun scheint Ihr meine Gedanken zu erraten, Herr Quartiermeister", unterbrach ihn Frau Mniszech. „Eine Gottheit! Ja, die braucht er wirklich ... Aber keine aus den Wolken!" „Solche gibt es hier genug."

Szuszkowski lächelte. „Das sind alles bekannte Gesichter, die keinen Eindruck mehr auf ihn machen, Herr Quartiermeister. Unseren armen Märtyrer erfreut nur etwas Neues, etwas Frisches, nur ..." Der Quartiermeister strich sich über den Bart und flüsterte: „Der Herr Starost hat bereits eine kleine ,Esther2 ausfindig gemacht und sie dem König vorgestellt; ein ganz hübsches Mädchen, aber sie bekommt den Mund nicht auf."

„Wie war es denn — Ihr wisst es natürlich am besten — mit dieser Spazierfahrt und dem Besuch in der Bauernhütte vorgestern?" fragte die Marschallin leise. „Es werden da Wunderdinge erzählt." Szuszkowski trat einige Male von einem Fuß auf den anderen, so, als wolle er nichts sagen, und schnalzte nachdenklich mit der Zunge. „Sagt mir die Wahrheit!" „Ich kann darüber nicht sprechen ... Das hat keinen Sinn und bringt nur unnötige Verwirrung." „Aber es wird erzählt, dass der König gutgelaunt zurückkehrte, so aufgelebt war und so glücklich aussah, wie man ihn lange nicht gesehen hatte. Er ist sogar singend im Billardzimmer auf und ab gegangen. — Nehmt Platz, Herr Quartiermeister, nehmt bitte Platz!" unterbrach sie sich, nachdem ihr plötzlich eingefallen war, dass sie ihn stehen ließ. Sie setzte sich ans Fenster und wies Szuszkowski den Platz ihr gegenüber an. „Sprecht offen! Ich habe keine kindischen Vorurteile. Der König bedeutet mir alles, ihm ist erlaubt, was bei anderen zu tadeln wäre. Ihr versteht mich. Es wäre lächerlich, dort Hemmungen zu haben, wo man dienen und helfen soll. Für den König muss man alles tun."

Der Quartiermeister setzte sich auf den Rand des Stuhles, zog die Schnupftabaksdose hervor, blickte sie an und atmete schwer. In diesem Augenblick drückte Frau Mniszech dem Gast, als wolle sie ihn noch mehr zur Vertraulichkeit anregen, etwas in die Hand. Seine Hand zuckte erst ein wenig zurück, dann schloss sie sich aber fest und verschwand in der Tasche, während der Oberkörper sich dankend verneigte.

„Ich weiß alles", ließ sich der Quartiermeister mit veränderter und vertraulich klingender Stimme hören, „und ich weiß es besser als der Starost von Mielec, der ebenfalls jeden Schritt Seiner Majestät überwacht. Es ist ja mein Beruf, und außer dem König gibt es für mich nichts auf der Welt. Ich habe keine Frau, keine Kinder, nur den König. Ich liebe und verehre ihn." „Wer würde ihn nicht lieben und verehren!" schwärmte die Marschallin. Sie seufzten einstimmig.

„Wie war es denn, Herr Szuszkowski?" fragte Frau Mniszech. „Ich habe im Augenblick nichts weiter zu tun", sagte der Quartiermeister. „Da ich die Quartiere schon am frühen Morgen angewiesen habe, könnte ich den ganzen lieben Tag einnicken oder gähnen. Aber das liegt nicht in meiner Natur. Der Mensch ist zur Bewegung geboren. Hat man nichts zu tun, so spaziert man eben herum und sieht vieles. Ungefähr vor fünf Tagen kam Zuzel zu mir, der alte Furier. Frau Marschallin werden ihn vielleicht schon einmal gesehen haben, er war in Wisniowiec im Gefolge des Königs."

„Ich kann mich nicht erinnern." „Er ist schon alt, von großer Gestalt, ein Graukopf mit Bart, der ihm bis auf die Brust hängt, und trotzdem blickt er, mit Verlaub, nur nach Frauen. Halten wir während der Reise, und sei es nur für einige Stunden, so hat er schon irgendwo eine Schürze aufgespürt und sitzt bei ihr. Dieser Zuzel kommt also zu mir und sagt: ,Herr Quartiermeister, solange ich lebe, habe ich noch nie ein so hübsches Geschöpf gesehen wie gestern.' Ich fange an zu lachen, denn bei ihm ist jede schön, wenn sie nur jung ist." Die Marschallin hörte mit niedergeschlagenen Augen zu, aber der Verlauf des Gespräches schreckte sie nicht ab. Der Zweck heiligt die Mittel. „,Lass du mich in Ruhe mit deinen ukrainischen Schönheiten', sage ich. ,Sie sehen alle wie Negerinnen aus.' ,Oho, Ihr solltet mal die Bondarywna sehen!' erwidert er.

,Die Menschen kommen zu ihr wie zu einem wundertätigen Bild, denn solch eine Schönheit findet man selten in einer ukrainischen Bauernhütte.' Ich lache wieder, aber als er mir zu erzählen beginnt und immer wieder schwört, dass es sich lohne, sie nur einmal im Leben zu sehen, da wird meine Neugierde geweckt. Ich erkundige mich, wo und wie dieses Wunderkind zu suchen sei, und erfahre, dass die Bauernhütte hinter der Stadt liegt, wo es zur Trift hinausgeht. Sie gehört einem reichen Bauern, einem Ukrainer, der Bondar (Böttcher) genannt wird, obwohl er keine Fässer macht. Und dort ist diese Schönheit versteckt. Zuzel sagt mir, es halte schwer, dort Zutritt zu erlangen, der Alte sei eine hochmütige Kosakennatur, auf die weder elegante Kleider noch hohe Herrschaften Eindruck machten. In einem passenden Augenblick schnalle ich also den Degen um, nehme meinen Stock zur Hand und begebe mich hinaus zur Trift. Es fällt mir nicht schwer, die Bauernhütte zu finden, doch sie ist verschlossen, weit und breit ist niemand zu sehen.

An dem Anwesen ist zu erkennen, dass der Besitzer wohlhabend sein muss. Das Haus ist hell und ordentlich, bunt gestrichen und mit großen Fenstern, ebenso ordentlich sehen die Stallungen und der Hausgarten aus. Für einen armen Edelmann wäre es keine Schande, darin zu wohnen, wenn die Hütte nur einen Korridor hätte. Ich setze mich in einiger Entfernung ins Gras und sinne nach, wie ich hineinkommen könnte. Ich war doch neugierig, die berühmte Bondarywna zu sehen. Von ihrer Schönheit hatten mir außer Zuzel noch andere erzählt, die sie beim Kirchgang gesehen hatten. Unsere Höflinge laufen wie toll hinter ihr her, aber sie mussten, nachdem sie sie erblickt hatten, wie begossene Pudel abziehen. Sie konnten nicht ins Haus hineinkommen. Ich meinte, ich bin alt, mir gelingt es, wenn ich zum Schein um Wasser bitte.

Ich gehe also an die Hütte heran und rüttele an der Tür. Sie ist versperrt. Ich klopfe, bis sich am Fenster ein Frauengesicht im weißen Kopftuch zeigt, das gleich wieder verschwindet. Ich klopfe wieder, da wird die Tür um einen Spalt geöffnet. Ein, mit Verlaub, altes Weib steckt die Nase heraus und brummelt in ruthenischer Sprache: ,Was ist los?` ,Ich bitte um Wasser.' Sie schaut mir prüfend ins Gesicht und auf meine Kleidung und öffnet die Tür. Ich trete hinter ihr ein.

Der Flur hat keinen Fußboden, das ist wahr, aber als ich die Schwelle zur Stube überschreite, erkenne ich, dass der Mann sehr reich sein muss. In der Stube ist alles blitzsauber; der Tisch und die Bänke ordentlich, der Boden gefegt und die Wände sauber verputzt. In der Ecke hingen goldumrahmte Bilder und vor ihnen eine Lampe, eine weiße Decke auf dem Tisch und darauf ein Brot und ein Messer. In der Stube war niemand. Das Weib, das mir die Tür geöffnet hatte, war von hoher Gestalt und stolzer Haltung. Sie musterte mich, schöpfte schweigend aus dem Eimer Wasser und reichte es mir. Durst hatte ich nicht, aber ich musste trinken. Ich bat nur um die Erlaubnis, mich etwas zu setzen. Ich stellte den Stock in die Ecke, nahm nicht weit vom Fenster Platz und schaute mich um. Das Weib blieb vor mir stehen, faltete die Hände über der Brust und wartete, ohne eine Wort zu sagen.

Ich trank absichtlich langsam, hoffend, die schöne Bondarywna erscheinen zu sehen oder ein Gespräch in Gang bringen zu können. Ich erzählte dies und jenes, aber das Weib antwortete kaum. Ich zweifelte schon daran, dass meine Neugierde befriedigt würde. Da wird vom Alkoven her die Tür geräuschvoll geöffnet. Auf der Schwelle steht ein Mädchen, ganz erstaunt, und weiß nicht, ob es nähertreten oder zurückgehen soll. Ich schaue hin, gnädige Frau Marschallin, und traue meinen Augen nicht ..."

„Und was nun?" fragte Frau Mniszech gespannt. „Was nun?“

„Man hätte vor ihr knien mögen!" rief Szuszkowski. „Ein Geheimnis der Natur! Wie konnte solch ein Mädchen in einer einfachen Bauernhütte geboren werden und aufwachsen! Gott sei mein Zeuge, ich übertreibe nicht, Frau Marschallin, es kann eher sein, dass ich es nicht verstehe, diese Schönheit gebührend zu schildern."

„Wirklich ein Wunder? Wie?" flüsterte Frau Mniszech, begeistert und misstrauisch zugleich. „So ist es, ein Wunder!" sagte Szuszkowski, „wirklich ein Wunder! Weiß wie eine Lilie, schlank wie eine Pappel, schwarze Augen wie zwei Diamanten, und welche Wimpern! Die Brauen wie zwei Bogen, und Lippen von der Farbe der Himbeeren! Und ..."

„Schämt Euch, Herr Quartiermeister", unterbrach ihn lachend die Marschallin, „Ihr seid doch nicht mehr der Jüngste, und in Warschau hattet Ihr ja Gelegenheit, viele Schönen zu sehen."

„Keinesfalls! Somatys, Bacciarelli, Lullier, das ist schon alles dagewesen ... Das ist alles gar nichts, wirklich nichts!" erwiderte Szuszkowski, sich ganz gegen seine Gewohnheit ereifernd. „Schön sind sie, das bestreite ich nicht, aber sie sind alle verwelkt und schwach im Vergleich mit diesem Mädchen. Sie strahlt solch ein Leben und solch eine Kraft aus, dass mir die Amazonen einfielen. Und schön ist sie! Ich war verblüfft. Als ihre Mutter dies sah, blickte sie mich mitleidig an und hielt sich mit der Schürze den Mund zu, um nicht über meine Verwirrung zu lachen. Das Mädchen schaute mich auch kurz an, lief dann aber plötzlich in den Alkoven zurück, lachte übermütig und schlug die Tür hinter sich zu. Ich stellte das Wasserglas hin und er hob mich.

,Na! sagte ich zu der Alten, das ist wohl eine verkleidete Prinzessin?' ,Nein, das ist nur meine Tochter', entgegnete sie und nickte dabei. ,Der liebe Gott hat sie mir geschenkt, und die ukrainische Luft hat sie so frisch werden lassen. Unberufen, toi-toi-toi Und sie spuckte dreimal aus. ,Man kann Euch nur beglückwünschen', sagte ich. ,Wie heißt denn Eure Prinzessin mit Vornamen?' ,Natalka', antwortete die Frau stolz. ,Die Leute nennen sie nur die ,Bondarywna', und zwanzig Meilen in der Runde kennen sie mein liebes Täubchen, dies Wunderkind.' ,Lasst mich alten Mann Eure Tochter noch etwas länger anschauen', sagte ich. Das Weib lachte und zuckte mit den Schultern. ‚Geht mit Gott!' sagte sie. ,Ihr habt Wasser bekommen, Eure Augen haben sich erfreut, und Ihr habt auf der Bank ausgeruht. Nun, das ist genug. Meine Tochter ist nicht dazu da, dass ich sie allen zeige.'

Ich legte einen Dukaten auf den Tisch, um die Alte doch noch gefügig zu machen, aber sie warf ihn mir verärgert vor die Füße, und ich musste betrübt zur Tür hinausgehen. Doch als sie bereits hinter mir zugeriegelt hatte und ich mich noch einmal umschaute, da wurde das Fenster geöffnet, die Bondarywna saß auf dem Fensterbrett und blickte mir dreist in die Augen. Vielleicht hatte sie mein Gespräch mit ihrer Mutter gehört und wollte noch einmal den Triumph auskosten."

„So eine Kokette!" murmelte Frau Mniszech. „Mit Verlaub, Frau Marschallin, welche Frau außer Euch ist keine Kokette?" entgegnete Szuszkowski mit gesenkter Stimme. „Und damit war mein Abenteuer zu Ende." „Habt Ihr dem König etwas über die Bondarywna zugeflüstert?" fragte leise die Marschallin.

„Ich ... Ich denke gar nicht daran! Ich mache bei solchen delikaten Angelegenheiten”, er senkte seine Stimme, „niemals einen Schritt vergeblich. Ich reize den Allergnädigsten Herrn nicht, wenn ich des Erfolgs nicht sicher bin. Mit der Bondarywna, davon bin ich überzeugt, ist nichts anzufangen, selbst wenn wir wüssten, dass der Allergnädigste Herr sie mit seiner Zuneigung beehrt ... Aus dieser Angelegenheit wird nichts, der König wird nur Sehnsucht bekommen, es kann bloß Scherereien geben." „Aber der König war dort, er war schon dort! Er saß dort länger als eine halbe Stunde und hat ihr eine Korallenschnur geschickt, ich weiß es. Wer hat das veranlasst? Wer hat dieses Spiel abgekartet? Ich bin sehr froh, aber auch eifersüchtig; ich möchte es wissen. Sagt Ihr es mir, Herr Szuszkowski ...?" Der Quartiermeister erhob sich und trat einen Schritt zurück. „Ich würde es nicht ableugnen, wenn ich es gewesen wäre", sagte er. „Aber ich wiederhole, ich will mich in diese Angelegenheiten nicht einmischen. Ich kenne die Menschen ein klein wenig und weiß, dass aus dieser Sache nur Ärger und unnötiges Gerede entstehen kann; es ist vergebliche Liebesmüh! Und bei uns am Hofe bleibt es auch nicht geheim. Es gibt lose Zungen ... Die besten Freunde des Königs verraten Seine Majestät."

„Ist es denn so schrecklich? Wenn auch darüber geredet wird, was ist denn dabei? Sollte es denn einem mit Regierungsgeschäften überlasteten und geplagten Menschen, der auf seinen Schultern die ganze Last der Geschicke des Landes trägt, nicht erlaubt sein, sich zu zerstreuen? Und um wen geht es denn überhaupt? Doch nur um ein gewöhnliches Kosakenmädel! Das ist ja lächerlich."

Frau Mniszech begann im Zimmer auf und ab zu gehen.

Szuszkowski strich mechanisch seinen Ärmel glatt.

„Wer hat dem König also die Bauernhütte gewiesen und ihm von der Bondarywna erzählt?” fragte die Marschallin. „Was denkt Ihr?" „Ich weiß nichts", erwiderte Szuszkowski, „bei meiner Ehre, ich weiß wirklich nichts." „Habt Ihr keine Vermutung, wer es sein könnte?" „Nicht einmal das. Kann man denn erraten, wer sich beim Allergnädigsten Herrn beliebt machen wollte? Von Zuzel bis zu dem Herrn Starost kann es ja jeder gewesen sein, oder auch ein Zufall ..." „Ein Zufall kann es nicht sein!" rief Frau Mniszech. „Dann weiß ich es auch nicht", schloss Szuszkowski. „Ich verstehe nur so viel, dass ich mich in diese Angelegenheit nicht einmischen werde." „Warum nicht?" „Ich kenne dies Volk und seine Gesinnung. Seine Majestät der König wird in Träumereien versinken, und das fällt ihm, mit Verlaub, Frau Marschallin, nicht schwer."

Die Marschallin zuckte mit den Schultern. „Ich verstehe Euch nicht", sagte sie leise. „Ihr macht Euch über ein einfaches Bauernmädel viel zu viel Gedanken." Szuszkowski nickte mehrmals. Die Marschallin begann ungeduldig im Zimmer auf und ab zu gehen. „Ich bitte Euch", sagte sie und trat dabei näher an ihn heran, „forscht dort in der Bauernhütte nach und spürt aus, wer das bewerkstelligt hat. Ich muss das wissen." „Ich werde es erfahren", antwortete der Quartiermeister, „aber ich werde dabei nicht behilflich sein, ich wiederhole, gnädige Frau, ich kenne dieses Volk: es ist überaus hochmütig." Das Gespräch, bei dem beide Partner nicht ganz aufrichtig gewesen waren und gezögert hatten, ihre Gedanken auszusprechen, hätte vielleicht trotz der im Zimmer herrschenden Dunkelheit noch länger gedauert, wenn sich nicht die Tür geöffnet und der Page des Königs mitgeteilt hätte, dass Seine Majestät der König die Marschallin in seine Gemächer bitte.

2

An diesem Tage waren seltsamerweise weder Gäste aus Kiew noch sonst jemand angekommen, auch der Kurier aus Warschau war ausgeblieben. Es gab keine dringenden Korrespondenzen, das Musizieren dauerte nicht lange, und das Vorlesen der „Taurika" von Naruszewicz schien den Allergnädigsten Herrn nicht zu interessieren. Als das Abendessen gereicht wurde, verabschiedete sich der König mit einem Lächeln von seinen Gästen und zog sich zurück. Noch war das Abendessen nicht beendet, als der Page dem Starosten von Mielec zuflüsterte, der König bitte ihn zu sich. Der Starost, der sich gerade mit dem General Komarzewski fröhlich unterhielt, leerte hastig sein Glas, verzog etwas das Gesicht, erhob sich und wischte sich den Mund mit einer Serviette ab. Dann schlenderte er gemächlich und ziemlich unwillig zu den königlichen Gemächern.

Das erste Zimmer war leer. Im zweiten, das von einer abgeschirmten Alabasterlampe erleuchtet war, saß in einem Sessel, halb ausgezogen, nur mit einem blauseidenen, mit dünnem Pelz abgefütterten Schlafrock bekleidet, König Stanislaus August. Der Starost trat in das Kabinett mit dem sicheren Schritt eines Menschen, der weiß, dass er gut aufgenommen wird.

Dabei stocherte er mit einem kleinen Elfenbeinstäbchen, das er aus der Weste hervorgezogen hatte, in seinen Zähnen herum.

Der Starost von Mielec war ein Mann im besten Alter, von schöner, beinahe riesenhafter Gestalt und mit vornehmem Gesicht. Alles an ihm verriet den Lebemann.

Sein Gang, sein Blick, die Sprache, die Bewegungen und die nachlässigen Haltung hatten etwas Kriegerisch-Ungeschliffenes an sich. Er verstand zur Not ein Höfling zu sein, obwohl ihn die Natur eher zum Jäger, Athleten und frohen Zechbruder geschaffen hatte. Sogar in Gesellschaft des Königs, mit dem er auf vertraulichem Fuße stand, hielt er es nicht für notwendig, sich anständig zu benehmen. Er sprach in halben Worten und dachte nicht daran, sich einzuschmeicheln, außer bei den Frauen. Er fürchtete weder Menschen noch Bären und kämpfte gern gegen beide. Kampf und fröhliches Gelage und hohes Spiel, das waren die Dinge, an denen er am meisten Gefallen fand.

Überaus offenherzig und oftmals zynisch, hatte der Starost von Mielec alle Fehler und Tugenden eines solchen Charakters. Er warf mit dem Geld um sich, verschwendete seine Gefühle und zögerte nicht, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Den Begriff Ehre verstand er auf seine Art, Kriecherei lag ihm nicht, aber er duldete auch keinen Widerstand. Er glaubte, die Welt sei nur für ihn geschaffen, und genoss sie mit naivem Egoismus in dem felsenfesten Bewusstsein, ein Recht dazu zu haben. Der König liebte ihn und war ihm gegenüber nachsichtig. Da der Starost aber ein energischer Mann war, fügte sich ihm der König; er fürchtete ihn sogar ein wenig.

Ein Blick auf Stanislaus August belehrte ihn beim Eintreten, dass er sich bemühen müsse, Seine Majestät mit irgendetwas zu zerstreuen: der König war müde, traurig und nervös. „Zu Befehl", meldete sich der Starost soldatisch und salutierte scherzhaft. „Setz dich, mein Lieber, setz dich", entgegnete der König, „ich habe Langeweile, du wirst mich vielleicht zerstreuen, zumindest aber wirst du nicht zulassen, dass die düsteren Gedanken mich übermannen!" Der Starost nahm bequem auf dem Kanapee Platz, legte einen Fuß über den anderen, stützte den Kopf in die Hand und hörte gedankenvoll zu. „Du glaubst es nicht, wie unglücklich ich bin", fuhr der König fort und seufzte. „Ja, ich glaube es, denn Eure Königliche Majestät essen kein Abendbrot und trinken auch keinen Wein, et sans soupers il n'y a pas de bonheur sur la terre"3, sagte der Starost. „Das ist eine Binsenwahrheit."

„Du hast gut reden", sagte Stanislaus August. „Wirklich, gut reden! Du wirst niemals alt werden." „Davor soll mich Gott bewahren!" unterbrach ihn der Starost. „Ich beneide dich wirklich", fuhr der König fort. „Du weißt nicht, was es heißt, König zu sein, und dazu noch in einem solchen Land wie dem unseren. Wenn ich doch nur für einen Augenblick diese goldenen Fesseln vergessen, diese Last von meinen Schultern wälzen könnte! Der Purpur verfolgt einen und rächt sich, mein lieber Starost; das ist das Gewand der Deianeira." 4

„Was ist geschehen?" fragte der Starost. „Ich denke, Eure Königliche Majestät haben das Recht, sich gerade in diesem Augenblick zu freuen. Es geht doch alles nach Wunsch, sogar die Feinde kommen zur Besinnung." Der König winkte ab.

„Lasse sie mich einen Augenblick vergessen”, sagte er. „Das quält und langweilt mich alles, nichts macht mir Freude. Ich sehne mich nach etwas Frischem." „Dazu gibt es keine andere Medizin, als sich für einige Tage zu verlieben, Allergnädigster Herr. Aber in wen?"

Der Starost blickte den König scharf und spöttisch an. „Ich darf wohl hinzufügen", fuhr er fort, „dass man zur Abwechslung den Gegenstand nicht dort suchen sollte, wo alles bekannt und abgedroschen ist und wo man zu Anfang der Liebe schon weiß, an welchem Tage sie endet." Der König errötete und wurde verlegen; er schaute eine Weile auf den Starosten.

„Höre! Du weißt etwas, du Schwerenöter. Gib es zu!" rief er lebhafter. „Freilich weiß ich etwas, Allergnädigster Herr", erwiderte der Starost ziemlich nebenbei. „Ich weiß, dass bei der einsamen Spazierfahrt an Eurem Wege eine Bauernhütte lag, dass Eure Königliche Majestät in diese Hütte eintraten, um auszuruhen und Wasser zu trinken, dass dieses Wasser eine Ukrainerin, schön wie Hebe5, reichte und dass ihr Bild in Eurem Gedächtnis haftengeblieben ist." Stanislaus August lächelte.

„Wird schon darüber geklatscht? Weiß man schon was davon? Das wäre ja fatal. Dementiere das, Starost. Ich will nicht, dass man davon spricht." „Es ist schwer, da zu verbieten und zu verhindern; aber wozu sich darum kümmern?" sagte der Starost. „Zwischen dem König und einem ukrainischen Mädchen ist der Abstand so groß, dass keiner Eure Majestät verdächtigen wird, und sei es auch nur eines launischen Einfalls. Die Leutewerden reden und dann wieder damit aufhören."

Er blickte den König spöttisch an. „Hast du sie gesehen, Starost?" fragte Stanislaus Augustleise. „Das ist wirklich ein Wunderkind, eine Blume dieser üppigen Erde, eine sonderbare, wunderschöne, bezaubernde Blume ..."

„Ich habe sie noch nicht gesehen, aber ich bin sehr neugierig", sagte der Starost. „Ich vermute jedoch, dass sich Eure Majestät langweilt, und da haben in den Augen Eurer Majestät Frische und Jugend die wirkliche Schönheit ersetzt. Wie soll so ein einfaches Mädchen zu solcher Schönheit kommen?" Der König erhob sich aus seinem Sessel und beugte sich über den Starosten. „Du hast keine Ahnung!" rief er begeistert. „Sie ist keine Bauernschönheit, obwohl sie kräftig und üppig ist; sie hat die Schönheit eines griechischen Standbildes. Ich habe schon den richtigen Kennerblick! Wie aus edelstem Blut! Ein Füßchen, sage ich dir, klein und zierlich, die Hände wundervoll geformt; so eine Taille, die Brust einer Göttin, und welch ein Ausdruck in den Augen!" Der Starost fing an zu lachen und sagte: „Und dazu erst fünfzehn Jahre."

„Du irrst dich, sie ist neunzehn, obwohl sie nicht älter als sechzehn aussieht. Ich fragte danach. Vielleicht entwickelt sich dieses Geschlecht hier später und langsamer."

„Sie wird dumm wie eine Gans sein", spottete der Starost.

„Nicht ein I-Tüpfelchen dümmer als unsere Damen", widersprach Stanislaus August. „Im Gegenteil! Geist leuchtet ihr aus den Augen, und Verstand steht ihr auf der Stirn geschrieben. Sie spricht zwar kein Französisch und hat auch keinen Voltaire gelesen, aber der Patriarch von Ferney6 selber würde sich für diese ukrainische Perle begeistern." Der Starost lachte immer lauter. „Stimmt, du hast recht", gab der König zu, „ich fühle es selbst und komme mir mit meiner Begeisterung für diese Schönheit lächerlich vor, aber ich bin auch ein geborener Künstler. Ich kann solch ein Meisterwerk des Schöpfers aller Dinge nicht gleichgültig betrachten."

„Werden wir sie mit nach Warschau nehmen?" fragte der Starost trocken. „Bacciarelli kann sie vielleicht als Modell für ein Gemälde brauchen. Außerdem könnte sie sich in der Stadt Manieren aneignen. Dann kann sie ihr Glück machen! Man müsste sie nur mit irgendeinem anständigen Trottel verheiraten und den Ehemann dann nach Konstantinopel schicken."

„Mach keine Witze", entgegnete der König, „sie hat ein besseres Schicksal verdient, und ich glaube, sie nimmt keinen, auch nicht den herrlichsten aller Männer. Ich will, dass du sie einmal siehst. Von deiner Diskretion bin ich überzeugt, du wirst morgen mit mir hinfahren." „Für diese Ehre bin ich sehr dankbar", erwiderte der Starost. „Wenn sie aber auch auf mich Eindruck macht? Werden Eure Königliche Majestät nicht eifersüchtig werden?"

Der König schwieg einen Augenblick, als hätte er nichts gehört. Er wurde nachdenklich. „Sie weckt in mir ein Interesse ganz anderer Art, als du denkst", sagte er. „Sie ist wie eine Erscheinung, die man nur betrachten möchte." Der Starost lachte schallend. Stanislaus August erhob sich aus seinem Sessel. „Nichts drückt mehr als die Ketten der Herrschaft", rief er pathetisch. „Wir sind von Spionen umgeben, man kann nirgends einen Schritt tun. Das ist schrecklich, das ist langweilig, das ist unerträglich!" „Danken wir ab", sagte der Starost. Der König blickte ihn melancholisch an. „Daran habe ich schon oft gedacht. Nach Italien fahren und in der Stille und dem schönen Klima sich mit der Kunst beschäftigen, Meisterwerke bewundern und das sorgenvolle Leben beenden — das wäre ein Paradies."

„Das müssten Eure Königliche Majestät mit der Frau Generalin, Eurer Schwester, teilen", flüsterte der Starost spöttisch.

Die Erinnerung an die Frau Generalin schien den König zur Besinnung zu bringen. „Das natürlich", fügte er trocken hinzu, „die Gefühle und die Verpflichtungen, die ich ihr gegenüber habe, dürfen nicht angetastet werden."

„Und die schöne Bondarywna?" unterbrach ihn der Starost mit kaum hörbarem, sarkastischem Flüstern. Darauf antwortete der König nichts. Er war in Gedanken versunken. „Wie schade", ließ er sich nach einer Weile vernehmen, „dass ich keinen Maler zur Hand habe! Ich möchte sie malen lassen. Tu mir den Gefallen und bemühe dich, Plersch unauffällig herzuschaffen. Er malt gerade in Wisniowiec die Kopien jener riesigen Klecksereien, die die Geschichte Marynas7 darstellen. Die Kaiserin Katharina hat durch irgendjemand davon erfahren und den Wunsch ausgesprochen, diese Gemälde zu besitzen." Er zuckte mit den Schultern. „Das hat wohl einen historischen Wert, aber diese Malerei — dass Gott erbarm!" fuhr der König fort.

„Plersch könnte die Arbeit für einige Tage unterbrechen und mir das allerliebste ukrainische Mädchen porträtieren. Solche Gesichter gibt es nur wenige auf der Welt, und wie schnell verwelken sie. Mögen sie wenigstens als Erinnerung auf der Leinwand dauern." „Mit Plersch wäre es gar nicht so schlimm", sagte Szydlowski. „Man braucht es nur der Frau Marschallin zu sagen, sie wird ihn sofort durch Eilboten herkommen lassen, denn sie kann Eurer Königlichen Hoheit keine Bitte abschlagen."