Tagebuch eines jungen Edelmannes - Józef Ignacy Kraszewski - E-Book

Tagebuch eines jungen Edelmannes E-Book

Józef Ignacy Kraszewski

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Beschreibung

Von seiner Mutter wird der junge Graf Adas in die Welt geschickt. Zwar gibt er vor, eine Bildungsreise zu unternehmen wie vor Jahren, als er sogar in Paris und Brüssel war, doch kennt er seine eigentliche Aufgabe nur zu genau: Er soll heiraten, soll eine reiche Erbin einfangen, um die kümmerlichen Mittel aus dem mütterlichen Gut aufzubessern. In Lemberg macht er Station, besucht alte Bekannte und Verwandte, knüpft neue Verbindungen. Sein Herz erobert sich die kokette, leichtlebige Witwe Gräfin Emilia; sie zu nehmen ist jedoch nicht ratsam. Was nützt schließlich der älteste Stammbaum, wenn er keine goldenen Früchte trägt? Da ist das Mädchen Aria, eine millionenschwere "Zigeunerin", im Grunde eine bessere Partie, aber ohne Adel, ohne Rang und Namen, ist es doch eine heikle Sache, und als Adas sich endlich entschließt, diese Dame zu heiraten, wird er von ihr nicht einmal für voll genommen. Auch das Cousinchen Wanda mit dem literarischen Fimmel, das ganz überraschend zu einer riesigen Erbschaft gekommen ist, nimmt schließlich einen anderen. Adas verlässt Lemberg, gekränkt und tief besorgt sich kompromittiert zu haben. Die Reise geht nach Italien, ein großer Spielgewinn erlaubt das. Hier lacht noch einmal das verbotene Glück der inzwischen anderweitig verheirateten Emilia — dann aber ist der Beutel leer. Krank, gealtert und von vielen Illusionen geheilt, kehrt er heim.

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Seitenzahl: 281

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Table of Contents
Autor
Titel

Józef Ignacy Kraszewski

Tagebuch eines jungen Edelmannes

Impressum

Texte: © Copyright by Józef Ignacy Kraszewski

Umschlag: © Copyright by Walter Brendel

Illustrationen: © Copyright by Anonym

Übersetzer: © Copyright by Henryk Bereska

Verlag:

Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag

Gunter Pirntke

Mühlsdorfer Weg 25

01257 Dresden

[email protected]

Et haee olim meminisse iuvabit

10. Mai 187..

Nach dem Frühstück machte ich mich von Wilcza Gora auf die Reise. Meine gute Mama — obwohl sie um mich keine Sorgen zu haben braucht und obgleich sie meine Reise ja selber herbeigewünscht hat — vergoss beim Abschied in wahrhaft mütterlicher Rührung bittere Tränen. Ich fand keine Zeit mehr, um nachzuprüfen, ob Fiorek alles verstaute, was ich ihm aufgetragen hatte. Ich fürchte, es wird sich später herausstellen, dass wichtige Sachen fehlen; dabei habe ich ihn mehrere Male ermahnt, ja nichts zu vergessen. Ich habe mir vorgenommen, die Eindrücke dieser Reise aufzuzeichnen, was nicht bedeutet, dass ich den Ehrgeiz hätte, mit Dumas zu rivalisieren. Doch wer weiß, wozu solche Aufzeichnungen einmal nützlich sind? Mama wünschte, dass ich abreise. Sie sagte es mir zwar niemals ausdrücklich, aber ich kann mir denken, was sie im Sinne hat. Sie wird sich gedacht haben, ich müsse mir in der Welt Beziehungen verschaffen und womöglich irgendeine begüterte Erbin ausfindig machen.

Die Verhältnisse in der Nachbarschaft sind weiß Gott nicht allzu erfreulich. Dank seltsamer Umstände blieben wir in der ganzen Umgegend das einzige vornehme Haus. Man konnte mit niemand verkehren, mit niemand sprechen — eine entsetzliche Ode. Mama vermag zur Not noch unter solchen Bedingungen zu existieren, aber sie fühlt deutlich, dass es für mich unmöglich wäre.

Auch das letzte ansehnliche und wahrhaft vornehme Haus, das Haus des Grafen Atanazy, ist kürzlich verkauft worden.

Der neue Besitzer, der sich nun im Palais breitmacht, stammt aus der Sixtusstraße und trug vor kurzem noch einen schwarzen Shupan. Unerträglich finde ich den Kleinadel der Umgegend. Furchtbar ungebildet und in seinem Ehrgeiz einfach lächerlich. Es ist auch widerwärtig, wie er sich bei uns anbiedert. Ich habe mich in Acht nehmen müssen, um nicht meine guten Manieren einzubüßen. Mama hatte dies wohl befürchtet, zumal da es in der Umgebung einige durchaus annehmbare Damen gibt (leider haben sie so gar keine Erziehung genossen). Die beiden Damen Zaborzynski sind gar nicht übel, wirklich nicht übel — doch ihr Benehmen! Und so gar keine Vorstellung von der großen Welt!!! Die männliche Jugend gefällt sich immer noch in den Konfederatkamützen und den Trachten ihrer Vorfahren; kein einziger von den Jüngeren ist je über Krakau, Lemberg oder Wien hinausgekommen. Es herrscht da ein Patriotismus — zum Ersticken ... Mit einem Wort, das Leben hier war eine richtige Pein. Ich denke, dass ich auch Mama einmal bewegen kann, in die Stadt zu ziehen.

Der Mensch ist nicht geschaffen, um mit wilden Geschöpfen in einer Wüste zu hausen. Möglich, dass einige Nachbargüter, die sich in den Händen der Spekulanten befinden, einmal von wohlhabenden Familien erworben werden und dass dadurch die Umgegend wieder bewohnbar wird. Aber so wie die Dinge heute liegen ...?

Nicht umsonst ließ mich Mama in Frankreich und Belgien die höhere Schule besuchen und die bessere Welt kennenlernen. Und nun erwarb ich einen derartigen Abscheu gegen unsere Barbarei, dass ich damit nicht mehr zurückhalten konnte. Ich kenne zwar wenig von unserem lieben Galiläa, wie boshafte Zungen unsere Gegend benennen, aber ich will gestehen, dass mich — die eine Schicht ausgenommen, die überall auf der Welt gleich ist — all das, was ich hier gesehen habe, nur in Erstaunen und Empörung versetzt.

0 süße Erinnerung an Brüssel! Nie werde ich Lili vergessen! Sie war ein einfaches Mädchen, zugegeben, aber von welch einer angeborenen Distinguiertheit! Bei uns können nicht einmal die Damen ihre Hände so vornehm bewegen. Lilis Schuld war es, dass ich durchs Examen fiel, aber genaugenommen: Wozu hätte ich es denn überhaupt brauchen können? Durch den Umgang mit Menschen gewann ich sicher mehr, als mir trockene Vorlesungen zu geben vermocht hätten. Ein bisschen Witz und ein Lexikon, und man kann vortrefflich auch ohne Gelehrsamkeit auskommen.

12. Mai

Gestern in Lemberg angekommen. Ich war seit meiner Kindheit nicht mehr hier und kann mich an die Stadt kaum noch erinnern. Offen gestanden, habe ich mir die Hauptstadt Galiziens unvergleichlich ordentlicher und schöner vorgestellt.

Die Stadt erinnert mich an die kleinen belgischen Nester und erregt in mir nur ein Gefühl des Mitleids. Was für ein Loch! Welche Geschmacklosigkeit und welch ein miserables Lebensniveau! Eigentlich wollte ich einige Zeit hier verweilen, aber ich beginne zu zweifeln, ob dies überhaupt möglich ist. So etwas Hinterwäldlerisches und Zurückgebliebenes ... lachons le mot, so etwas Barbarisches kann man sich schwerlich vorstellen.

Gleich morgens erschien in meinem Zimmer ein Israelit. Er nannte sich Kommissionär oder so ähnlich. Im Ausland gibt es, glaube ich, eine solche Stellung überhaupt nicht. Vergebens versuchte ich ihn loszuwerden und versicherte ihm, mich im Bedarfsfalle seiner zu bedienen — er wich nicht von der Tür, ja er fing sogar ein Gespräch an.

Es war wirklich belustigend ... Der Mann verwandelte sich im Nu in eine lebende Stadtchronik, zählte sämtliche Bälle und Vergnügungen auf und wollte mir offensichtlich meinen Lebenswandel vorschreiben. Es ist, als gehöre es zum Beruf dieser Art Menschen, alle zu kennen, alles zu wissen und allen behilflich zu sein. C'est un homme a tont faire. Ich konnte ihn kaum loswerden.

Eine Reminiszenz aus einer Zeit, in der es nicht genügend dienstbare Geister gegeben hat.

Das Hotel ist ein würdiges Ebenbild dieser Stadt. Ich glaube, dass man in den Urwäldern Amerikas ebenso bequeme und vielleicht sogar noch vornehmere Hotels finden kann. Im ersten Augenblick zögerte ich, ob ich überhaupt einkehren sollte, so schmutzig war es da ...

Ich glaubte, ich wäre irrtümlicherweise in eine gewöhnliche Spelunke geraten. Aber man versicherte mir, es handle sich um das vornehmste Hotel der Stadt. Heute ruhe ich mich aus und mache einen kleinen Ausflug, um mir die Stadt anzusehen.

Wie vorausgesehen, hat Florek eine Menge Sachen vergessen. Es sind zwar lauter Kleinigkeiten, aber man kann unmöglich ohne sie existieren. Kölnisch Wasser, an das ich mich gewöhnt habe und von dem ich nicht weiß, ob es hier erhältlich ist, echte dänische Handschuhe für den Vormittag; nach Maß gearbeitet, Manschettenknöpfe mit Perlen eingelegt — all das blieb in Wilcza Gora zurück. Der närrische Kerl scheint übrigens in Mamas Kammerzofe verschossen zu sein. Dabei ist sie eine Kokotte sondergleichen.

Vormittags spazierte ich ein wenig durch die Stadt, aber mir war bei dieser Exkursion die Lust bald vergangen.

Irgendwo wurde ein Hügel aufgeschüttet, und es fehlte nicht viel, dass man mich vor einen Karren gespannt hätte. Die Bevölkerung sieht ziemlich elend aus, manche Straßen sind, leer, manche schmutzig und von merkwürdigen Gestalten bevölkert...

Es mag vielleicht ganz malerisch wirken, aber dieser Gestank! Ich sah Theaterreklamen, irgend so ein nationales Schauspiel wird aufgeführt; es gibt in der Stadt weder eine Oper noch ein Ballett ... Das Theater gleicht einer gewöhnlichen Scheune... Ich habe Mamas Empfehlungsschreiben durchflogen.

Selbstredend werde ich auch den Grafen aufsuchen müssen, aber ich tue es nur aus Gründen des Anstands ... Der Graf ist zu sehr mit seiner Beamtentätigkeit ausgefüllt. Wie man sich erzählt, lassen auch seine Manieren zu wünschen übrig. Er ist eben Beamter, cela dit tont. Dennoch kann das, was man von der Straße aus erblickt, unmöglich alles sein.

Irgendwo in höheren Bezirken muss doch die obere Gesellschaft existieren, irgendwo muss es doch auch hochherrschaftliche Häuser geben. Traurig, Bürger eines so rückständigen Landes zu sein!

Unterwegs sah ich drei lächerliche Kutschen und höchstens zwei annehmbare Gespanne. Wo sich nun das aristokratische Viertel befindet, wo die Paläste liegen, habe ich nicht herausfinden können. Das Gräfliche Palais ist einer großen Konditorei mit Wappen vergleichbar... Ich begreife überhaupt nichts.

Seit dem Mittagessen stehe ich unter dem Alpdruck der erbärmlichen Küche. Mit Seufzen des Bedauerns denke ich an die Küche im Hotel de Sude zurück. Absichtlich begab ich mich in ein öffentliches Restaurant, um mir das Publikum ein wenig anzusehen.

Möge ihnen Gott verzeihen, was sie mir da vorgesetzt haben ... Ein derartiges Beefsteak kann doch nur aus alten Schuhsohlen zubereitet worden sein. Und eine Tafelgesellschaft!

Noch nie in meinem Leben sah ich so viel Landadel auf einem Flecken. Sie wirken alle wie Ökonomen oder Förster. Die Schnauzbärte, der Lärm an den Tischen; man muss gehört haben, wie sie das Gesöff, das ich kaum hinunterschlucken konnte, priesen.

Ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Der schmutzige Kellner ging mit mir um wie mit einem alten Freund. Nie werde ich die Serviette vergessen, die er in der Hand hielt — sie raubte mir vollends den Appetit.

Woraus der Kaffee gemacht wurde, könnte ich nicht sagen. Er war zwar schwarz, das will ich zugeben, dass man ihn jedoch deshalb als Kaffee bezeichnen darf, bezweifle ich.

Wie traurig ist das Schicksal eines solchen Landes ... es dauert mich. Ich weiß noch nicht, was ich mit dem Abend beginne, vielleicht gehe ich ins Theater.

Wo mag wohl Florek seinen Kopf gehabt haben, als er die Sachen packte. Ich entdecke schon wieder, dass er die englischen Handtücher vergessen hat ... die Hotelhandtücher zu benutzen, habe ich Angst.

14. Mai

Die beiden letzten Tage waren mit Besuchen ausgefüllt. Zuerst ging ich natürlich zu Mamas Freundin, der Comtesse Maria, wo ich bereits erwartet wurde. Den Wagen hatte ich rechtzeitig bestellt. Ich gehe hinaus, um zu sehen, ob er schon da ist, doch was bietet sich meinen erstaunten Augen: da steht ein demoliertes Etwas, die Geschirre ärmlich, der Kutscher in einer schmuddeligen Livree. Das also sollte der bestellte Wagen sein! Ich schlug im Hotel einen Riesenlärm; wofür man mich halte, dass man mir zumuten wolle, in einem so schändlichen Vehikel Besuche abzustatten! Die Leute wurden auch noch anmaßend und grob, und ich hatte alle Mühe, etwas weniger Anstößiges zu bekommen. Man blickte mich erstaunt an und behauptete, hierzulande stellten nicht einmal Fürsten dergleichen Ansprüche ...

Das Haus, das der Graf bewohnt, entspricht zwar nicht ganz meinen Vorstellungen, ist aber ganz annehmbar.

Er belegt die ganze erste Etage. Ich fand die Gräfin, wie sie mir Mama geschildert hatte — eine überaus liebenswürdige, sehr gut erzogene Person, die ungemein auf guten Ton hält. Sie war früher lange Jahre im Ausland und findet unser Land unzivilisiert, aber sie ist gezwungen, hier zu leben. Sie führt einige Prozesse und hat ziemlich verwickelte Familienverhältnisse. Sie seufzt und langweilt sich, muss sich jedoch ins Unvermeidliche fügen.

Mama bereitete mich darauf vor, dass ich dort auch ihre Tochter, die Witwe Emilia, antreffen würde. Mama warnte mich vor ihr. Sie sei noch jung, schön und in Gesellschaft ungemein reizvoll... doch wie Mama sagte, soll ihr erster Mann mit ihr sehr unglücklich gewesen sein.

Sie wollte mir nicht erklären, woran es lag. Emilia hat herrliche Augen und versteht mit ihnen umzugehen. Sie und ihre Mama können nicht genug Worte finden, um die Situation dieses Landes, in dem zu leben sie gezwungen sind, treffend zu charakterisieren. Frau Emilia wiederholte einige Male ironisch: Cette chere patrie. Wir stimmten in unseren Anschauungen völlig überein. Die Gräfin Maria sagt, sobald ihre und ihrer Tochter Geschäfte erledigt sein würden, blieben sie keinen Tag länger hier. „C'est un trou abominable", wiederholte sie noch einmal.

Leider erinnere ich mich nicht mehr an die vortrefflichen Anekdoten, die sie mir über die hiesige Gesellschaft erzählt haben. Es versteht sich, dass ich morgen zu Mittag eingeladen bin ... In einem solchen Salon, obgleich es da ein wenig muffig riecht, fühlt man sich doch wieder in seinem Element — es atmet sich leichter ...

Ich verließ das Haus, ein wenig belebt.

Ich habe auch einen Empfehlungsbrief für den Präses, den Grafen Sylvester, der Mama von Kindheit an gekannt und überaus geschätzt hat. Ich glaubte, er lebe auf großem Fuß, da er einen schönen Namen trägt und einstmals ein reicher Mann war. Wie groß war daher mein Erstaunen, als man mich in das zweite Stockwerk eines ganz gewöhnlichen Mietshauses verwies. Der Alte hat das Podagra, überdies soll er, wie Mama behauptet, sehr geizig sein; dies entschuldigt teilweise, dass er so fürchterlich verkalkt ist.

Als einziges blieb ihm sein Französisch und die Erinnerung an den Hof von Louis Philippe. Großer Gott! Was dieses Land und diese Umwelt sogar aus einem vornehmen Mann machen können!

Ich fand ihn in einem solchen Schmutz und einer solchen Unordnung, dass er mich dauerte. Seinen Sarkasmus, der ihn früher so berühmt machte, hat er jedoch beibehalten.

„Cher comte" (er nennt mich Graf), sagte er nach den ersten Worten, „du kannst offen aussprechen, was dich zu deiner Reise nach Lemberg bewogen hat. Als Freund deiner Mutter und deiner Familie kann ich dir wenigstens mit einem guten Ratschlag dienen. Que venez vous faire sur cette gaIfre? Bei mir wird man es verstehen: es ist die Pflicht und der Zwang, aber in deinem Alter freiwillig hierherzukommen? Man kann ein derartiges Unterfangen nur der Unwissenheit zuschreiben."

Ich antwortete mit allgemeinen Phrasen, aber der gute Präses bemerkte trotz der geschwollenen Füße und seines Alters bei der geringsten Anspielung sofort, wo der Hase lag.

„Vermutlich ist es deiner geehrten Mama darum zu tun, dass du dich ein wenig in der großen Welt umsiehst, von der du nur eine verwaschene Vorstellung besitzt. Sicher hätte sie auch nichts dagegen, wenn du mit höheren Kreisen Verbindungen anknüpftest, vielleicht sogar — Herzensverbindungen..: n'est ce pas? Sie will dich verheiraten, stimmt's? Lieber Graf, dazu hast du wahrhaftig noch Zeit genug ... überdies wirst du bei uns auch kaum etwas Geeignetes finden. Man kann an den Fingern abzählen, wie viele von uns noch übriggeblieben sind. Ich will schon gar nicht davon reden, in welchem Zustand sie sich befinden ... Das Land ist ruiniert ... ich sage dir, lieber Graf, wo du auch hinschaust, nichts als Ruinen.

Die großen Familien stehen wie die alten Mauern, die in die Erde hineingewachsen sind, aber auch sie werden fallen. Der Kleinadel kann kaum noch krebsen, und diejenigen, die eine Erbschaft nach der anderen machen, taugen nicht viel... Es ist ein Mischmasch von Menschen, Blut, Herkunft, von Anschauungen und Glaubensrichtungen ... ein wahres Chaos! Das ist das Ende! Die Welt geht unter!" fügte er hinzu und seufzte. Ich war sehr froh, dass er so zum Plaudern aufgelegt war, und forschte ihn weiter aus.

„Was willst du, cher comte, es wird zwar erzählt, dass sich allmählich überall eine gesellschaftliche Metamorphose vollziehe, aber ich glaube sogar, dass sie nirgendwo stärker spürbar ist als bei uns. Neulich traf ich doch die Fürstin W., stelle dir vor, sie ist jetzt Wäscherin; im Salon des Grafen kann ich dir einen Burschen zeigen, der mir früher meine Stiefel geputzt hat. Dieser Mann trägt nun den Grafentitel und hat Millionen."

„Aber so etwas gab es doch schon immer!" erwiderte ich.

„Nun, früher stahlen sich die Parvenüs durch die Hintertür in unsere Salons, heute nehmen sie sie im Sturm.

Jeden Tag erlebt man neue Mesalliancen. Wir haben die großen Güter verloren, und dies hat uns den Rest gegeben ... La fine fleure existiert nicht mehr, nur noch in Einzelexemplaren; die gute Gesellschaft ist dahin. Oh, das ist das Ende!" wiederholte der Präses. Er sprach sehr lange und wirklich interessant. Stets flickte er jemand am Zeug und machte dabei auch vor seinen eigenen Leuten nicht halt, die sich mühelos kaufen ließen und in dem Chaos allmählich untergingen. Wie ich bemerken konnte, verspürte Graf Sylvester eine größere Antipathie gegen jene galizischen Herren, die ihre Titel erst nach Polens Teilung von den Österreichern bekamen, als gegen die aus anderen sozialen Sphären Zugelaufenen ... Die Gründe für seine Einstellung ließ er nicht durchblicken.

„Nichts gegen wohlerzogene Kleinbürger", sagte er.

„Dass sie zu uns wollen, ist begreiflich. Kein Mensch wird sie mit unsereinem verwechseln, aber diese hochnäsigen Herren von der anderen Partei kann ich nicht ausstehen. Obwohl sie die gute Gesellschaft nachäffen, merkt man ihnen an den Ellbogen an, dass sie sich ihre Grafentitel mit Tinte in den Kanzleien erschrieben haben, indem sie zwei Jahrzehnte lang vor allen Systemen und Ministern auf dem Bauche lagen, von dem Wunsche beseelt, dass man vor ihnen wenigstens im Alter den Hut zieht ... Der Kleinbürger, der Bauer, der getaufte Jude, sie erheben keinen Anspruch auf adliges Blut, es fällt ihnen nicht im Traume ein, ihre Reinblütigkeit nachweisen zu wollen. Diese Herrschaften jedoch bringen es fertig, sich mit ihren österreichischen Wappen neben die Potockis, Lanckoronskis oder die Jablonowskis zu stellen und sich mit uns zu vergleichen, die wir von Senatorengeschlechtern der Adelsrepublik abstammen!!!"

Auf wen seine Worte gemünzt waren, weiß ich nicht, da ich die hiesigen Verhältnisse nicht kenne, aber ich kann seine edle Entrüstung vollends begreifen.

Ich hätte den ganzen Tag dableiben können, er hätte immer weitererzählt. Aber es erschien mir unratsam, gleich beim ersten Mal allzu lange zu verweilen. Er verabschiedete mich sehr zärtlich und sehr väterlich.

Wenn es bei ihm bloß nicht so schmutzig wäre!

"Cher comte!" sagte er mir beim Abschied, „leider kann ich dich nicht zu Mittag einladen, da ich ein Junggesellendasein führe und außerdem Diät esse ... Aber solltest du einmal zu einem Plauderstündchen Lust haben, so komm ruhig vorbei. Ich lebe einsam und kann dir mancherlei Erscheinungen besser deuten als andere Leute."

„Apropos”, fügte er hinzu, „deine liebe Mutter war mit der Gräfin Maria sehr befreundet, du musst sie unbedingt besuchen. Es gibt da noch eine junge Witwe, die Tochter der Gräfin ... vor ihr nimm dich in Acht. Elle est charmante, aber es ist nichts für dich ..."

Ich lächelte und gestand, dass mich auch meine Mutter vor ihr gewarnt habe. Ein sehr netter Mensch ... aber eigentlich ist es nur noch eine Mumie. Mama empfahl mir ganz dringend, den General Z. aufzusuchen, der in Wien gut angeschrieben ist und den Mama noch als Hauptmann gekannt hatte ... Er ist Spross einer hervorragenden Familie und hat am Hofe einen Namen. Er ist zwar nicht mit uns verwandt, zählt aber immerhin zur europäischen Aristokratie und zur großen Welt.

Ich fuhr also zu ihm.

Er ist nicht mehr jung, ich schätze ihn an die Siebzig, aber er hält sich straff und sehr militärisch, mitunter mimt er sogar den jugendlichen Helden. Man sieht sofort, dass er zur vornehmsten Gesellschaft gehört. An Mama konnte er sich bestens erinnern. Er vermutete offensichtlich, dass mir eine militärische Karriere vorschwebe, aber ich klärte ihn sofort auf. Ich sagte, ich fühlte mich dazu nicht berufen. Über die hiesigen Verhältnisse konnte er mir gar nichts sagen, da er außer der Beamtenschaft niemand kennt und mit niemand verkehrt ... Höchstens, dass er mir in Wien etwas nützen könnte.

Ich habe noch einen Verwandten aufgesucht, den neunzigjährigen Starosten, der vor ein paar Jahren halb erblindet ist und nun mit seiner Enkelin ein kleines Häuschen in der Vorstadt bewohnt, weitab vom Stadtzentrum. Er muss sehr verarmt sein, denn bei ihm herrscht ziemliches Elend, und meine Cousine, die ihn versorgt, scheint überhaupt keine Erziehung genossen zu haben.

Sie spricht ein schauderhaftes Französisch. Hier und da stößt man noch auf klägliche Reste des früheren Wohlstands. Sonst sieht es dort ausgesprochen armselig aus ... Der Alte und meine Cousine haben von der Welt draußen so gar keine Ahnung. Er spricht nur noch von den alten Zeiten, und sie von ihrem Opa und von dem nationalen Unglück ... ich weiß gar nicht, was sie meint.

Ich sehe, dass große Häuser dahinbröckeln, das halte ich für das größte Unglück. Das arme Mädchen scheint von unserem unleidigen Patriotismus angesteckt zu sein.

In den engen Räumen, die sie bewohnen, roch es derart nach Arzneien, Kräutern und ähnlichen Substanzen, dass ich's kaum aushalten konnte und bald aufbrach.

Heute war ich bei der Gräfin Maria zu Mittag. Auch hier wird über den Ruin geklagt, aber man erkennt doch gleich, dass das Haus eine Tradition fortführt. Das Personal war entsprechend gekleidet, das Mittagessen war auserlesen, denn sie selbst isst gern. Zum ersten Mal kam ich mir vor wie im Ausland. Die Speisen, die Gänge, die Weine, all das war vortrefflich. Die schöne Emilia saß neben mir. Man hat mich vor ihr gewarnt, aber ich kann nichts Gefährliches an ihr entdecken. Sie ist sehr natürlich, im Umgang unkompliziert und sehr liebenswürdig... Die Gräfin hatte auch den Prälaten Hyacynth und den Baron Tartakowski eingeladen, der hier irgendeine Stellung bei der Behörde bekleidet.

Sogar bei diesen Einladungen kam das Taktgefühl der Hausherrin zum Vorschein. Der Prälat ist trotz Beleibtheit und äußerer Würde der lustigste und netteste Mensch, der mir je begegnete. Er lebte längere Zeit in Rom, kennt die europäische Aristokratie und alle politischen Berühmtheiten, il est au fait über sämtliche Klatschgeschichten von Wien und allen Hauptstädten Europas. Solche Talente müssen nun bei uns versauern.

Ich lauschte ihm voller Hochachtung. Er war ungemein geistreich.

Auch Tartakowski, obwohl er seinen Baronstitel sich selbst verdankt und über seine Herkunft angeblich nicht allzu viel bekannt ist, schien mir ein Mann von ungewöhnlichen Fähigkeiten und tadellosen Manieren.

Mit ihm, der mir dem Alter nach näher ist, freundete ich mich rasch an. Beim schwarzen Kaffee nahm mich Frau Emilia ins Kreuzfeuer. Sie nennt mich Cousin, mir ist allerdings schleierhaft, wo sie die verwandtschaftlichen Beziehungen hernimmt. „Cher cousin", sagte sie, „willst du uns nicht verraten, was du nun wirklich mit deiner Reise bezweckst?"

Ich erklärte ihr, dass man bei uns auf dem Lande unmöglich leben könne, da es an guter Gesellschaft fehle, und dass mich Mama persönlich auf die Reise geschickt habe, damit ich nicht vollkommen versauere. Ich sagte, ich hätte kein anderes Ziel als dies — der Ode zu entrinnen. Sie begann mich nun interessiert nach meinem Reiseplan auszuforschen und nach den Terminen für die einzelnen Etappen. Ich versetzte, dass es von den Umständen abhängen würde und dass ich mich nicht festlegen wolle ... Sie war sehr neugierig und ließ sich sogar über meine gestrigen Besuche und Eindrücke Bericht erstatten. Zum Schluss fragte sie, ob sie mir nicht irgendwelche Bekanntschaften vermitteln solle.

Ich erwiderte: da ich nun diese voyage des decouvertes unternommen hätte, wäre ich froh, soviel wie möglich zu sehen und die mysteres de la Galicie zu erforschen.

Sie lachte, weil ihr Mysteres de Paris einfielen. „Oh, Geheimnisse gibt es bei uns nicht", sagte sie, „alles Sensationelle bringt ja die Presse an den Tag; selbst die geringsten Geräusche und Gerüchte werden vor der Allgemeinheit ausgebreitet, aber es gibt schon einiges Interessante... das zu sehen und kennenzulernen sich verlohnt."

Gräfin Maria versprach, mich mit dem Fürsten bekannt zu machen. Man muss alle Gesellschaftskreise kennengelernt haben. Tartakowski führt mich in den Klub ein. Ich erfahre, dass hier auch irgendein Jockey-Club au petit pied existiert. Das muss ja sehr amüsant sein.

15. Mai

Ich beginne zu ahnen, dass ich es auch hier nicht lange aushalten werde ... Der Gesellschaft, die ich aufsuche, kann ich keinen Geschmack abgewinnen. Diese Unglücklichen, die hier in diese Wildnis geworfen sind, verkommen, ohne es selbst zu fühlen. Eine fürchterliche Langeweile. Ich erfahre auch manches Oberraschende, das mir Furcht einflößt. Beim Fürsten wurde erzählt, die ganze Gesellschaft sei unterminiert, es drohe ihr ein Umsturz, ein furchtbarer Umsturz. Es hieß, es wimmle überall von Revolutionären, die Mitglieder der Masonloge planten Anschläge auf Kirche und Glauben... Man sprach von Aufständen, Propagandaaktionen und so weiter. Solche Gespräche kann ich nicht vertragen, sie nehmen mir meine Laune. Ich ging zum Grafen Sylvester, um von ihm Näheres zu erfahren, aber ich wagte es nicht, damit anzufangen.

Zum Glück fragte mich Graf Sylvester selber nach meinen Eindrücken und löste damit mein Geständnis aus über jenes Gespräch, das mich beunruhigt hatte. Er hörte sich das an und zuckte mit den Achseln.

„Ich bin nicht sehr genau orientiert, was unten geschieht", sagte er, ‚Aber mir scheint, als ob sich jetzt allzu viele für die Gesellschaft und ihr Schicksal interessierten. Früher war es Sache der Regierung und der Behörde, die Ordnung aufrechtzuerhalten, und unsere Sache war es, in Ruhe zu schlafen und zu leben. Heute haben sich alle möglichen Leute zu ungebetenen Hütern aufgeschwungen, und da nun jeder die Bedürfnisse mit anderen Augen sieht, bringt auch jeder ein anderes Heilmittel. Ich weiß nur eines, dass heutzutage alle Stände, Auffassungen und Funktionen durcheinandergewürfelt sind und dass ich glücklich bin, durch das Podagra ans Haus gefesselt zu sein. Ich könnte in dieser Welt nicht existieren... Für mich gilt nur die alte Ordnung. Und was die Propagandaversuche, Geheimbünde, Umstürze und all diese Dinge anbetrifft, die die Unordnung in Österreich gebären, so meine ich, dass bei uns noch viel Unwahrscheinlicheres möglich ist. Mais, apros nous le deluge!"

Nachdem ich sein Haus verlassen, traf ich auf der Straße Rechtsanwalt Hawrylowicz, der längere Zeit unsere Geschäfte verwaltet hatte.

Ich hatte ihn in der Erinnerung, wie er meine Mutter besuchte: ein bescheidenes und zurückhaltendes Männlein. Und ich hätte ihn kaum wiedererkannt, wenn er mich nicht angesprochen hätte, und dies auf eine so vertrauliche Art, dass ich perplex war ... Haltung, Gesicht, Sprache, Bewegung, all das war völlig verändert ... Er hakte sich bei mir ein, so dass ich nicht entwischen konnte, obzwar mich die übermäßige Vertrautheit dieses Herrn im ersten Augenblick sehr empörte. Wie er mir erzählte, war er Stadtrat und Sejmdeputierter und außerdem an irgendwelchen politischen Kombinationen usw. usw. maßgeblich beteiligt.

Mit einem Wort, er war zu einer galizischlembergischen Berühmtheit herangewachsen. Deshalb wohl ging er auch so gönnerhaft mit mir um ... Es entrüstete mich auch, wenn, er, von Personen der höheren Gesellschaft sprechend, sie vertraut mit dem Vornamen nannte und abfällig über sie urteilte. Er begleitete mich ein ganzes Stück, ich schwebte in, ständiger Furcht, in seiner Begleitung gesehen zu werden. Sich verabschiedend, sagte er, er hoffe, ich würde ihn und seine Familie besuchen ...

Diese Begebenheit zeigte mir am besten, wie weit wir gekommen sind und was hier geschieht! Der Herr Hawrylowicz!!! Bestimmt die Geschicke des Landes und sitzt im Sejm ... Aber warum sich darüber wundern! Es heißt ja, dass dort auch Bauern sitzen.

16. Mai

Mich plagte die Neugier, und so suchte ich Hawrylowicz kurzerhand auf. Und ich tat gut daran. Dass schöne, man kann sagen herrliche Haus, das er bewohnt, ist sein Eigentum. Man führte mich in einen riesigen Salon in der ersten Etage — ich dachte zuerst, ich hätte mich geirrt. Der Salon war nicht sehr geschmackvoll, jedoch mit einem unermesslichen Prunk ausgestattet, Spiegel, Wandteppiche, Samt- und Damaststoffe, Bronzen, all das glänzte, leuchtete und schillerte nur so. Ich hatte mich kaum umgesehen, da öffnete sich die Tür, und herein stürzte Hawrylowicz. Er begrüßte mich laut und vertraulich, bot mir einen Platz an. Er erzählte, er fahre demnächst als Abgeordneter nach Wien, wenn ich Lust hätte, so könnte ich mitkommen, er würde mir in der Hauptstadteinige Verbindungen verschaffen. Bestürzt lauschte ich seinem Redefluss. Ober Minister redete er in einem Ton wie gestern über unsere Gutsbesitzer, geringschätzig und als wäre er ihresgleichen. Er brüllte mit gewaltiger Stimme, die in dem riesigen Salon schauerlich hallte und mir auf die Nervenging. Ich weiß nicht, wo unser Adel und unsere Parvenüs diese hässliche Unsitte des lauten Brüllens herhaben: lernen sie es im Parlament oder im Viehstall? Ich wollte mich schon verabschieden, doch zwang mich Hawrylowicz, noch dazubleiben, um mir Frau und Tochtervorzustellen. Er ging die Damen holen, und ich sah mir inzwischen den geschmacklosen Salon etwas näher an. An den Wänden hingen billige Öldrucke, die Bronze war eigentlich aus Zink, und der Damast bestand sicherlich auch zur Hälfte aus Baumwolle, aber von weitem wirkte das Ganze wahrhaft hochherrschaftlich. Endlich rauschten die Damen herein. Die Herrin des Hauses, tout ce qui il y a de plus commun, sehr still und zurückhaltend, auch irgendwie verängstigt, eine unscheinbare Person. Dafür merkt man der Tochter an, dass sie aus einer erstklassigen Pension kommt.

Sie ist ein hübsches Mädchen, resolut, mutig, der Typ einer Kosakin, sie spricht ein großartiges Französisch. Der arme Hawrylowicz, wahrscheinlich bildet er sich ein, auf mich Eindruck gemacht zu haben ... Ich amüsierte mich im Stillen. Sie luden mich auch für einen der nächsten Tage zum Tee ein, sie empfangen sogar, hört, hört ... Ich verließ dieses Haus, sehr erstaunt und belustigt. Muss es unbedingt der Mama schreiben ... sie wird es nicht glauben wollen.

17. Mai

Ich bin Tartakowski außerordentlich dankbar, dass er mich in den Klub eingeführt hat. Nachdem ich dort einige Bekanntschaften geschlossen habe, beginne ich aufzuatmen. Ich hatte schon allen Glauben an die Zukunft verloren und sprach sogar des Öfteren wie Graf Sylvester vom „Weltuntergang". Aber es ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Es gibt auch hier interessante Menschen ... Die Grafen Iwinski (es sind Brüder), die ich hier kennengelernt hatte, luden mich zum Mittagessen ein. Ihr Vater war ein Freund meiner Eltern. Während dieses Mittagessens, das wir zu dritt einnahmen, wurde mir manches klarer. Namentlich der Ältere, Robert, ist ein Mensch von Format, dem die Dinge der Welt recht geläufig sind. Als ich ihm meine Zweifel und Befürchtungen mitteilte, lächelte er nur über meine Unwissenheit. „Von der Straße aus erscheinen all die Dinge in einem ganz anderen Licht als vom Salon, mein Lieber", sagte er. „Und über all diese Umsturzbestrebungen, über die Versuche der Kleinbürger, der mittleren Schichten und der Pseudoaristokratie, bei uns einzudringen, amüsieren wir uns nur! Herrschaft und Autorität befinden sich wie eh und je völlig in unseren Händen, wir streicheln diesen Herrschaften ein wenig den Bart, bedienen uns ihrer, wie es uns gefällt, im Übrigen lachen wir uns ins Fäustchen. Zeitweilig scheint ihnen, als vermöchten, als täten sie etwas, in Wirklichkeit gehen sie an einem unsichtbaren Gängelband. Die Gefährlichsten lassen wir in unseren Kreis, und nachdem wir sie erst durch unseren Händedruck und unsere Vertraulichkeit geehrt haben, sind sie sanftmütig wie die Schafe ... Die Welt ändert sich nie ..." Sie begannen, mir die allgemeine Situation zu erklären. „Es sind zwar die verschiedensten Elemente in Aufruhr geraten", sagte Robert, „aber das Ganze ist ungefährlich, du kannst es mir glauben ... Die mittleren Schichten brauchen nur zu Wohlstand zu gelangen, und sie sind überglücklich, wenn sie mit uns gemeinsam gehen können; die Demokratiewühlt so lange, bis sie sich eine annehmbare Position geschaffen hat ... dann steht sie uns zu Diensten ..."Es zeigte sich auch, dass man hier mehr anständige Häuser und mehr europäisches Leben vorfinden kann, als es auf den ersten Blick scheinen mochte. Junge Leute vom Schlage der Iwinskis gibt es mehr. Die beiden sind im Ausland erzogen, sie sind große Pferdeliebhaber und Gentlemen. Sie versicherten mir, dass es sich hier nicht schlechter lebe als anderswo ... Ich bekam auch den Beweis. Der Jüngere lud uns zum Abendessen ein und, führte uns anschließend zu seiner Bella, die weniger kostet als die Brüsseler und Pariser Mädchen und ihnen, was Schönheit anbelangt, in nichts nachsteht. Sie ist allerdings nicht so charmant wie meine Lili und hat unschöne Hände ...

Wir spielten bei ihr Karten bis zwei Uhr nachts ... Der Altereverlor mehrere tausend Gulden. Ich bin außerordentlich froh, Iwinskis kennengelernt zu haben, jetzt erst fühle ich mich hier in meinem Element. Zur Not könnte man ja auch hierexistieren. Ich fragte Robert nach seiner Meinung über Frau Emilia, vor der ich überall gewarnt worden war. Er wurde ihr gerecht: sie gab in ihrem bisherigen Verhalten noch keinen Anlass zu einem Skandal und achtet peinlichst auf ihren guten Namen. Sie soll allerdings sehr kokett sein, was sie zu verbergen sucht, nicht zuletzt dadurch, indem sie die Rolle einer Schüchternen spielt.

Robert sagte mir offen, er hätte sich zu Lebzeiten ihres Mannes unzweifelhaft in sie verliebt, jetzt aber fürchtet er, sich Emilia zu nähern, weil sie ihn womöglich für immer festnageln könnte. Sie soll auch eine ungewöhnliche und ungemein geschickte Intrigantin sein. Iwinskis rieten mir, vorsichtig zu sein, aber ich werde sicherlich nicht lange in Lemberg verweilen, und ich habe auch nicht die Absicht, mich zu verlieben. Ich schrieb Mama einen langen Brief, aber ich teilte ihr nicht einmal die Hälfte der Details mit, um sie nicht zu beunruhigen.

Morgen bin ich bei Hawrylowicz' zu Gast.

18. Mai

Müde komme ich von dem bürgerlichen Festessen zurück, wo außer mir kein Mensch aus der Gesellschaft anwesend war. Hawrylowicz lud einige in seinem Kreise verkehrende Damen ein. Der Empfang war sehr üppig, mais commun au possible. So ohne jede Distinguiertheit. An allen Äußerungen erkennt man die Parvenüs — sie wissen nicht einmal, wie sie den Fußstellen sollen. Sie meinen, man könne für Geld alles kaufen, aber es stimmt nicht! Fräulein Julia wollte augenscheinlich schön und interessant wirken. Man drängte sie, en lui faisant une douceviolence, etwas zu spielen und zu singen. Sie hat eine schöne Stimme, auch keine schlechte Art des Vortrags. Aus einer Unterhaltung mit ihr erfuhr ich, dass sie sehr viel liest und sich intensiv mit Literatur beschäftigt, besonders mit deutscher und französischer, dass sie leidenschaftlich gern reist...usw. usw. 'Alles Dinge, die für mich völlig gleichgültig sind und Fräulein Julia in meinen Augen absolut nicht erhöhen...

In einer anderen Gesellschaft würde sie mir vielleicht sogar gefallen, aber in einer Position, die man als verständiger Mensch einnehmen möchte, muss man sehr vorsichtig sein ... Ober Wien sprach sie mit großer Begeisterung. Außer ihr waren noch einige Damen aus demselben Kreise anwesend. Sie waren gar nicht übel und derart dressiert, dass sie sogar in den besten Salons akzeptabel wären ... dennoch, das Gepräge ihrer Herkunft lässt sich nicht verleugnen. Diese Kühnheit, Lebhaftigkeit und Offenheit ... alles Dinge, die uns völlig wesensfremd sind. Ich könnte nicht sagen, dass ich mich gelangweilt hätte, auch habe ich eine ganze Menge gelernt ...

Hawrylowicz brachte mich in eine peinliche Lage, als er mich beiseite nahm und fragte: "Na, Graf, was sagst du zu unserer Gesellschaft. Wie gefällt sie dir?"

Ich musste loben, ging jedoch auf Einzelheiten nicht ein.

"Der Mittelstand", sagte er, "macht sich ganz schön heraus, er emanzipiert sich und fordert seine Rechte. Ihr Herren Aristokraten werdet wohl eure Stellung beibehalten. Aber den Kleinadel holt der Teufel. Und wir werden wahrscheinlich an seine Stelle treten. Der Kleinadel hat seine Intelligenz, seinen Instinkt und seine Güter eingebüßt. Der Boden rutscht unter seinen Füßen weg ... Nichts vermag ihn zu retten —

Ich schwieg.

„Mit dem Kleinadel stehen wir im antagonistischen Verhältnis", fügte Hawrylowicz hinzu. „Mit euch sind wir verbündet, wir brauchen uns ja gegenseitig."