Genie und Gendarm - Erich Garhammer - E-Book

Genie und Gendarm E-Book

Erich Garhammer

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Beschreibung

Die Beurteilung des Synodalen Wegs durch die römische Kurie ist nur zu verstehen, wenn man die Theologie von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. in den Blick nimmt. Die deutsche Kirche – so sein Vorwurf - versucht ein Lehramt der Theologen zu installieren. Sie verunsichert damit die einfachen Gläubigen und macht Kirchenreform zu einem elitären akademischen Projekt. Es erstaunt, dass Benedikt XVI., der zu den Reformern auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil gehörte, zu dieser negativen Sicht kommt. Für Erich Garhammer, der bei Ratzinger studierte, steckt dahinter auch eine biographische Erfahrung, nach welcher der Begriff "Reform" für den jüngst verstorbenen Benedikt XVI. etwas Bedrohliches und sogar Zerstörerisches wurde.

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Erich Garhammer

Genie und Gendarm

Erich Garhammer

Genieund Gendarm

Wenn eine Theologie amtlich wirdam Beispiel von Benedikt XVI.

Der Umwelt zuliebe verzichten wir bei diesem Buch auf Folienverpackung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2023

© 2023 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter.de

Umschlag: wunderlichundweigand.de

Umschlagbild: © KNA-Bild/Letzte Generalaudienz von Papst Benedikt XVI. auf dem Petersplatz in Rom am 27. Februar 2013.

Innengestaltung: Crossmediabureau, Gerolzhofen

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

ISBN

978-3-429-05894-4

978-3-429-05281-2 (PDF)

978-3-429-06624-6 (ePub)

Inhalt

Vorwort

Prolog

JOSEPH RATZINGER UND DAS KONZIL

LITURGIEREFORM ODER DIE VERSUCHTE SANIERUNG DES BRUCHS

DAS KONZIL UND DIE MEDIEN ODER DIE UNTERSCHEIDUNG VON WIRKLICHEM UND MEDIALEM KONZIL

DIE WIEDERVERHEIRATET GESCHIEDENEN ODER DIE KONTINUITÄT DER LEHRE

WIDER DAS LEHRAMT DER THEOLOGEN

PLÄDOYER FÜR DIE ENTWELTLICHUNG DER KIRCHE

Epilog

Literatur

Vorwort

Zwei Gründe haben mich zu diesem Buch bewogen: ein persönlicher und ein kirchenpolitischer.

Der persönliche: Ich habe bei Joseph Ratzinger studiert und bei ihm Examen gemacht. Ich erlebte einen selten begabten und exzellenten Professor, bestens vorbereitet, eloquent, sprachbegabt.

Der kirchenpolitische Grund hat hohe Aktualität. Ich behaupte, dass die Beurteilung des Synodalen Wegs durch Rom nicht zu verstehen ist, wenn man nicht die jahrzehntelange Prägung des römischen Blicks auf Deutschland durch Joseph Ratzinger in Rechnung stellt.

Es sind drei wesentliche Narrative in seiner Theologie, die prägend geworden sind:

–Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich eine Haltung von Reform entwickelt, die sich eher dem marxistischen Geist der Veränderung und des Umsturzes und einem medialen Druck verdankt als der Sorge um die Kirche. Die Kirche zu reformieren stehe aber ausschließlich dem Lehramt zu.

–Die deutsche Kirche versucht ein Lehramt der Theologen – Theologinnen kommen bei Ratzinger nicht vor – zu installieren. Sie verunsichert damit die einfachen Gläubigen und macht Kirchenreform zu einem elitären akademischen Projekt.

–Die Diagnose der Verweltlichung – die Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. immer wieder konstatiert hat – bemängelt eine zu starke Verstrickung der deutschen Kirche in demokratische Abläufe. Seine Therapie lautet „Entweltlichung“.

Es erstaunt, dass Joseph Ratzinger, der zu den Reformern auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil gehört hat, zu dieser negativen Sicht gekommen ist. Dahinter steckt eine persönliche biographische Erfahrung. Von da an wurde er zum Verfechter der bruchlosen Kontinuität und konnte Reform und Kontinuität nicht mehr zusammendenken. Reform bekam etwas Bedrohliches und Zerstörerisches.

Ich danke dem Echter Verlag, insbesondere dem so plötzlich verstorbenen Verlagsleiter Thomas Häußner, für das Interesse an meinem Buch, dem neuen Verlagsleiter Markus Reder für die Aufnahme in das Herbstprogramm und Reiner Bohlander für das Lektorat.

Regensburg, Juli 2023

Prolog

Ich habe bei Joseph Ratzinger in Regensburg studiert und 1977 Examen gemacht. Ich gehörte zum letzten Diplomkurs, den er betreute und prüfte. Für mich war Joseph Ratzinger ein theologisches Genie. Ohne zu übertreiben: Ich habe selten in meinem akademischen Leben solche brillanten Vorlesungen gehört. Der Professor betrat den Hörsaal, zückte sein Heft, in dem die handgeschriebene Vorlesung festgehalten war, und dozierte frei. Es wäre uns nie in den Sinn gekommen, eine Vorlesung ausfallen zu lassen. Wir freuten uns bereits auf die nächste Stunde. Stets baute er in seine Vorlesungen die neuesten Publikationen ein, mit denen er sich dann auseinandersetzte.

In der Schöpfungslehre erinnere ich mich an das Buch von Jacques Monod „Zufall und Notwendigkeit“. Er fasste nicht nur Inhalt und These zusammen, er lieferte stets eine Beurteilung mit, die das Neue, aber auch die Grenzen der Neuerscheinung aufzeigte. Ich erinnere mich auch an einen Gastvortrag von Paul Ricœur. Ricœur, ein international angesehener Philosoph, trug in französischer Sprache vor, Ratzinger übersetzte die Vorlesung synchron. Auch die Fragerunde und Diskussion meisterte er zweisprachig. Spätestens da war uns klar: Nicht nur eine theologische Begabung, sondern auch ein sprachlicher Könner stand hier am Pult.

Meine zweite Erfahrung mit Joseph Ratzinger: Er öffnete mir den akademischen Weg in die Theologie. Als ich mich für den pastoralen Dienst in der Diözese Passau entschieden hatte, begegnete ich Joseph Ratzinger beim bayrisch-österreichischen Priestertreffen im Stift Reichersberg in Oberösterreich. Er war in der Zwischenzeit zum Erzbischof von München und Freising berufen worden. In Reichersberg stand er der Vesper vor, predigte und hielt einen Vortrag. Bei der anschließenden Einkehr im Stiftskeller des Klosters ging ich auf ihn zu und begrüßte ihn. Neben ihm saß der Bischof von Passau, Dr. Antonius Hofmann. Und dann tat Ratzinger etwas, was ich nie erwartet hätte. Er sagte zu Bischof Hofmann: Herr Garhammer hätte bei uns in Regensburg in jedem Fach promovieren können, aber er entschied sich für Passau. Hofmann war nicht nur stolz, sondern er dachte meinen akademischen Weg weiter. Er stellte mich gegen den Widerstand des Domkapitels für das Weiterstudium und zur Promotion an der Universität Regensburg frei.

Der Passauer Priester Konrad Baumgartner war dort gerade von Eichstätt kommend auf den Lehrstuhl für Pastoraltheologie als Nachfolger von Josef Goldbrunner, bei dem ich studiert hatte, berufen worden. Er wurde mein Doktorvater. Meine Dissertation über die Kirche des 19. Jahrhunderts und über Kardinal Karl August Graf von Reisach und seine Bedeutung für die Seminargeschichte öffnete mir die Augen für das „Dunkelfeld“ der Kirche, für den Schatten, den ich in meinem Studium nicht zu sehen bekommen hatte.

Kardinal Reisach hat die Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts wesentlich geprägt. Er hat die Seminarausbildung der Priester gegen die Universitätstheologie in Stellung gebracht. Ignaz von Döllinger hat er als Konzilstheologen auf dem Ersten Vatikanum verhindert. Die Gelehrtenversammlung in München St. Bonifaz 1863 hat er mit dem Stigma der Häresie versehen und den Begriff des „ordentlichen Lehramts“ eingeführt, um künftig gegen solche Kongresse einschreiten zu können. Er war zusammen mit seinem Generalvikar Friedrich Windischmann ein „Höriger“ der Seherin von Altötting, Louise Beck. Diese wurde von den Redemptoristen gegen den Jesuitenorden instrumentalisiert. Ein Opfer war Johann Michael Sailer, der als „Apostat“ gebrandmarkt werden sollte (Garhammer 2022).

Für meine Studien konnte ich die Akten im Vatikanischen Archiv einbeziehen und auswerten. Während meiner Archivrecherchen wohnte ich im Kolleg des Campo Santo. Zwei Begebenheiten sind mir in Erinnerung geblieben. Als ich am Campo ankam, öffnete mir der dortige Gastpriester die Pfortentür mit dem Ausruf: „Sie sehen aber nicht wie ein Priester aus!“ Ich gab spontan zur Antwort: „Sie schon!“ Von Anfang an wurde deutlich, dass wir theologisch und menschlich unterschiedliche Planeten bewohnten. Als der Verantwortliche für die Erstellung der Gutachten für das „nihil obstat“ hatte er später Gelegenheit, von seiner negativen Sicht Gebrauch zu machen.

Beim Frühstück saß ich mit Kardinal Ratzinger zusammen. Neben dem Austausch von Neuigkeiten aus unserer gemeinsamen bayerischen Heimat interessierte mich natürlich seine Aufgabe als Präfekt der Glaubenskongregation. Ich sagte ihm: „Herr Kardinal, ich beschäftige mich gerade mit dem 19. Jahrhundert, vor allem mit der Rolle von Kardinal Reisach. Und da begegne ich vielen Gutachten, die in Ihrer Vorgängerbehörde über Theologen angefertigt wurden. Am meisten getroffen hat mich das Gutachten von Clemens Maria Hofbauer, das er über Johann Michael Sailer erstellte. Es war vernichtend. Ohne ihn persönlich zu kennen, bezog er sich dabei ausschließlich auf Gerüchte und verhinderte ihn damit 1819 als Bischof von Augsburg. Und dieses Gutachten ist später Sailer beim Seligsprechungsprozess von Hofbauer noch einmal zum Verhängnis geworden. Weil ein künftiger Seliger ohne Makel sein muss, wollte man Johann Michael Sailer, der als Bischof von Regensburg gestorben war, sogar noch posthum auf den Index setzen.“ Ich stellte Kardinal Ratzinger dann neugierig die Frage: „Ist Ihnen nicht manchmal bange bei solchen angeforderten Gutachten, Menschen nicht gerecht zu werden?“ Ich war gespannt auf seine Meinung und seine Position. Und ich bekam von Ratzinger zur Antwort: „Man weiß ja nicht, wie ohne solche Interventionen der Weg und die Entwicklung von Sailer verlaufen wäre.“ Nun war mir klar: Die neue Aufgabe hatte den Theologen Ratzinger geschluckt.

Als ich im Jahre 1991 den Ruf auf den Lehrstuhl für Pastoraltheologie und Homiletik in Paderborn bekam, wurde mir meine kritische kirchenhistorische Sicht zum Verhängnis. Die Glaubenskongregation, der Joseph Ratzinger als Präfekt vorstand, leitete ein negatives Gutachten an die Bildungskongregation weiter, die mir das „nihil obstat“ versagte. Weil aber gleichzeitig Erzbischof Johannes Degenhardt von Paderborn Eugen Drewermann die Lehrerlaubnis entzogen hatte, wollte er keinen zweiten Konfliktfall riskieren – weder für sich noch in der Öffentlichkeit. So reichte er mir das Gutachten der Glaubenskongregation weiter mit der Bitte um Stellungnahme. Dabei schlug er einige Sätze vor, auf die es ankommen würde.

Was ich erst seit kurzem weiß: Im Hintergrund war Bischof Karl Lehmann von Mainz eingeschaltet worden, der für eine deeskalierende Problemlösung sorgte. Er riet zu einer „emotionsfreien“ Stellungnahme zu den Bemerkungen aus Rom. Jede Gegenpolemik, sosehr sie menschlich verständlich wäre, sollte vermieden werden. Er riet ferner dazu, ich sollte einräumen, dass ich aus heutiger Sicht manchen Artikel differenzierter schreiben würde. Dann folgte in seinem Schreiben an Erzbischof Degenhardt vom 9. Juni 1992 eine deutliche Kritik an den römischen Bemerkungen: Sie vernachlässigen den Eindruck der Qualifikationsarbeit und beziehen sich meist auf kleinere Arbeiten und überschätzen diese. Bei der kritischen Besprechung der Stellen sei keinerlei Wohlwollen zu erkennen, immer werden die Äußerungen aus dem Zusammenhang gerissen, sehr negativ gewendet und auch entsprechend interpretiert, nicht selten auch entstellt. Die Bemerkungen seien sehr beckmesserisch und von oben herab geschrieben. Und dann sein Wunsch und seine Klage an seinen Amtsbruder: „Ich hoffe, dass alles gut geht. Wir brauchen ja ungeheuer viel Zeit für diese Dinge. Ich würde auch im Schreiben noch einmal darauf hinweisen, dass Du am 1. August 1991 geschrieben hast und dass es nun fast neun Monate sind, bis Du eine Stellungnahme erhalten hast. Erst recht dauert es nochmal länger, bis der ganze Vorgang abgeschlossen ist. Dies ist schlechterdings unzumutbar – ganz besonders, wenn wir es mit staatlichen Stellen zu tun haben! Du bist ja noch der eigene Herr im Hause.“ Damit spielte Lehmann darauf an, dass Degenhardt Magnus Cancellarius einer kirchlichen Fakultät war.

Ich konnte mich – Erzbischof Degenhardt und Bischof Lehmann sei Dank – zu den Unterstellungen, die der Gutachter aus mir durchschaubaren Gründen verantwortete, verhalten und sie ausräumen. Meine Ent-Täuschung über meinen ehemaligen Lehrer Joseph Ratzinger, der bei der Auswahl seiner Mitarbeiter keine glückliche Hand bewies, war groß. Norbert Trippen in Köln bemerkte, als ich ihm diese Geschichte erzählte: „Joseph Ratzinger hat Personenkenntnis, aber keine Menschenkenntnis!“ Meine Beziehung zu Ratzinger ist also vielfältig: ich begegnete dem genialen Professor während meiner Studienzeit, dem Erzbischof, dem ich meinen akademischen Weg verdankte, und ich begegnete auch dem Glaubenswächter, der mir diesen Weg fast verbaut hätte.

Diese persönlichen Erfahrungen haben mich geleitet, den Entwicklungsweg von Joseph Ratzinger aus meiner ganz persönlichen Sicht, aber auch seine Bedeutung für die Kirche des letzten halben Jahrhunderts noch einmal in den Blick zu nehmen.

„Vom Genie zum Gendarm“ – das scheint mir ein passender Titel für den Weg von Joseph Ratzinger zu sein. Dieser Weg hat unterschiedliche Stationen: vom Professor über den Erzbischof und Kardinal, den Glaubenspräfekten und den Papst. Dieser Weg wird allerdings nicht chronologisch oder biografisch abgehandelt, sondern ich beschreibe Ratzingers Theologie an verschiedenen Sachthemen: seiner Bedeutung für das Zweite Vatikanische Konzil, seiner Forderung nach einer Neubewertung des Konzils, seiner Beurteilung der Liturgiereform, seiner Unterscheidung von medialem und wirklichem Konzil, seiner geänderten Position gegenüber den wiederverheiratet Geschiedenen, seiner Warnung vor einem professoralen Lehramt und seinem Programm der Entweltlichung der Kirche.

Vor allem aber will ich zeigen, wie ein persönliches Erlebnis seine Theologie verändert hat, längst bevor er ein kirchliches Amt bekam. Mit diesem Amt konnte er dann allerdings seine Theologie durchsetzen. Er wurde zum Wächter über die Theologie, zum Gendarm der Theologie. Er gründete keine eigene wissenschaftliche Schule, er ging einen anderen Weg: über das kirchliche Amt konnte er für die weltweite Rezeption seiner Theologie sorgen. Auch wenn er häufig betonte, dass seine Theologie kein lehramtlicher Akt sei, so wurde und wird sie doch bis heute so rezipiert.

JOSEPH RATZINGER UND DAS KONZIL

Ein Theologe mit göttlicher Berufung

Zwei Schwierigkeiten stellten sich dem jungen Theologen Joseph Ratzinger in den Weg: zum einen sein Habilitationsverfahren, das wegen des Einspruchs des Dogmatikers Michael Schmaus fast gescheitert wäre. Ratzinger galt als zu „progressiv“. Er konnte allerdings im Habilitationsverfahren den beanstandeten Teil herausnehmen und so die Hürde nehmen. Relativ rasch kam dann der Ruf an die Universität Bonn. Doch Kardinal Wendel hatte etwas anderes mit ihm vor: er sollte an die Pädagogische Hochschule nach Pasing gehen und weiterhin auch die Professur in Freising vertreten. Ratzinger lehnte rundweg ab und nannte in einem ausführlichen Schreiben am 14. Oktober 1958 seinem Kardinal, der gerade beim Konklave in Rom weilte, seine Gründe. Seine Berufung sei ein Dienst an der wissenschaftlich-theologischen Forschung und der wissenschaftlichen Ausbildung des Klerus. Seine Zielgruppe waren von Anfang an die Priester. Für Pasing müsste er ein eigenes Lehrprogramm ausarbeiten, das theologischen Laien einen Umriss der ganzen Welt des Glaubens entwerfen sollte. Diese Aufgabe würde ihn von seiner wissenschaftlichen Arbeit abhalten. Deshalb werde er am Ruf nach Bonn festhalten. Diese Berufung fordere eine vollständige Freigabe für sein Fach. Zudem sei sie auch eine Ehre für die Freisinger Hochschule. Er hoffe in dieser wirren Zeit durch intensive Arbeit gerade in diesem Fach einen wichtigen Dienst für die Kirche zu leisten. Dieser Dienst würde ihm am meisten entsprechen. Und dann fuhr er gegen seinen Kardinal ein Argument auf, dem dieser nicht widersprechen könne: dieser Dienst ist gottgewollt.

Der junge Theologe berief sich gegen den Wunsch des Kardinals auf Gottes unmittelbaren Willen und legitimierte damit seine Entscheidung. Er steigerte am 27. Oktober 1958 seine „Eigenmächtigkeit“: sollte er auf sein Schreiben keine Antwort bekommen, würde er das als „tacita consensio“ werten. Daraufhin traf ein Brief des Sekretärs des Kardinals ein: der Kardinal fühle sich verletzt und vor den Kopf gestoßen. Wenigstens die übergangsweise Vertretung in Pasing und Freising hätte er annehmen können, das hätte einer großen Not abgeholfen. Ratzinger solle also noch nicht handeln, der Kardinal wolle sich noch einmal mit seinem Generalvikar besprechen. Daraufhin schuf Joseph Ratzinger in einem weiteren Schreiben am 6. November 1958 Fakten. Er nannte dafür auch Gründe. Eine Kombination von Pasing und Freising sei rechtlich gar nicht möglich. Dafür bräuchte es einen Landtagsbeschluss. Zudem habe er nicht die lehrmäßigen Voraussetzungen für Pasing. Er habe keinerlei Vorbildung in Religionspädagogik. Er sei für das Fach