Gesammelte Werke 6 - Arkadi Strugatzki - E-Book

Gesammelte Werke 6 E-Book

Arkadi Strugatzki

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Beschreibung

Der krönende Abschluss der großen Neuausgabe der Gesammelten Werke von Arkadi und Boris Strugatzki

Ein Forschungsinstitut für Magie und Zauberei, in dem die Unredlichkeit der Mitarbeiter durch Haarwuchs aus den Ohren kenntlich wird. Ein Schriftsteller, dessen Gestalten aus einem aus Angst vor der Zensur unveröffentlichten Roman ins Leben treten und ihn zu verfolgen beginnen ... Die Geschichten von Arkadi und Boris Strugatzki haben nichts von ihrer unmittelbaren erzählerischen Kraft verloren, mit der sie Gesellschaftssatire und Fantastik vereinen. In Russland einst verboten, hat ihr Werk heute international eine Millionenauflage erreicht. Der sechste und letzte Band der Gesammelten Werke enthält die Romane Der Montag fängt am Samstag an, Das Märchen von der Troika und Das lahme Schicksal.

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Seitenzahl: 1365

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Arkadi und Boris Strugatzki

Werkausgabe – Sechster Band

Herausgegeben vonSascha Mamczak und Erik Simon

Titel der Originalausgaben

Понедельникначинаетсявсубботу

СказкаоТройке

Пятьложекзликсира

Хромаясудьба

Deutsche Übersetzung von Helga Gutsche (Der Montag fängtam Samstag an), Peter Klassen (Nachwort und Erläuterungen Priwalows),Helga Gutsche/David Drevs (Das Märchen von der Troika), Helga Gutsche(Fünf Löffel Elixier), Erika Pietraß/Helga Gutsche (Das lahme Schicksal),Erik Simon (Kommentar von Boris Strugatzki)

Textbearbeitung und Redaktion: Anna Doris Schüller

Deutsche Erstausgabe 1/2014

Copyright © 1965, 1968, 1985, 1972/1986/1989by Arkadi und Boris Strugatzki

Copyright © 2001 des Kommentars by Boris Strugatzki

Copyright © 2014 der deutschen Ausgabe

und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

www.heyne.de

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels

ISBN 978-3-641-10093-3

INHALT

Der Montag fängt am Samstag an

Das Märchen von der Troika

Fünf Löffel Elixier

Das lahme Schicksal

Anhang

BORIS STRUGATZKIKommentar

Anmerkungen

Die wichtigsten Werke der Brüder Strugatzki

DER MONTAG FÄNGT AM SAMSTAG AN

Am seltsamsten aber, am unverständlichsten ist,dass ein Autor zu einem solchen Gegenstand greift.Ich muss gestehen, das ist ganz einfach nicht mehrfassbar …; das ist geradezu, als ob … aber nein, nein,das kann ich wirklich nicht verstehen.

Nikolai Wassiljewitsch Gogol

ERSTE GESCHICHTE

Viel Lärm um ein Kanapee

1

Lehrer: Kinder, schreibt den Satz: »Ein Fisch saß auf einem Baum.«

Schüler: Sitzen Fische denn auf Bäumen?

Lehrer: Na ja … Es war eben ein verrückter Fisch.

Anekdote aus dem Schulleben

Ich näherte mich meinem Ziel. Der Weg führte mitten durch einen grünen Wald, und nur hier und da tat sich eine mit gelbem Riedgras bewachsene Lichtung auf. Die Sonne ging schon seit Stunden unter, kam und kam aber nicht vom Fleck und hing noch immer dicht über dem Horizont. Der Wagen rollte über eine schmale, mit knirschendem Schotter bedeckte Straße, und bei jedem größeren Stein schepperten und rumpelten die leeren Kanister im Kofferraum.

Rechter Hand traten zwei Männer aus dem Wald, blieben am Wegrand stehen und spähten in meine Richtung. Einer hob die Hand. Ich nahm den Fuß vom Gaspedal und sah mir die beiden genauer an. Es schienen Jäger zu sein – junge Burschen, kaum älter als ich. Ihre Gesichter waren mir sympathisch, und ich hielt an. Der Mann, der die Hand gehoben hatte, schob das hakennasige dunkle Gesicht durchs Fenster und fragte lächelnd: »Könnten wir vielleicht bis Solowetz mitfahren?«

Der zweite, der einen roten Backenbart trug, guckte ihm, ebenfalls lächelnd, über die Schulter. Keine Frage, das waren nette Jungs.

»Steigen Sie ein«, sagte ich. »Einer vorn, einer hinten, auf dem Rücksitz liegt jedoch allerhand Zeug herum.«

»Wohltäter!«, rief der Hakennasige erfreut, nahm das Gewehr von der Schulter und setzte sich neben mich.

Der Bärtige blickte unschlüssig in den Wagenfond und fragte: »Könnte ich hier ein bisschen …«

Ich beugte mich über die Sessellehne und half ihm, den Schlafsack und das zusammengerollte Zelt beiseitezuschieben. Zaghaft, das Gewehr zwischen den Knien, quetschte er sich in die Ecke.

»Schlagen Sie die Tür kräftig zu«, empfahl ich.

Langsam fuhr der Wagen an. Der Hakennasige drehte sich nach hinten um und ließ sich lebhaft darüber aus, wie viel angenehmer es sei, mit dem Auto zu fahren, als zu Fuß zu gehen. Der Bärtige stimmte murmelnd zu; er versuchte noch immer, die Tür zuzuschlagen, doch es gelang ihm nicht.

»Ziehen Sie den Mantel weg«, riet ich ihm mit einem Blick in den Rückspiegel. »Er ist in der Tür eingeklemmt.«

Nach fünf Minuten waren wir endlich so weit. Ich fragte: »Bis Solowetz dürften es wohl zehn Kilometer sein?«

»Ja«, antwortete der Hakennasige. »Vielleicht auch ein bisschen mehr. Die Straße ist nicht sonderlich gut – hier fahren nur Lastwagen.«

»Ich finde sie gar nicht so schlecht«, widersprach ich. »Dabei hatte man mir prophezeit, ich käme überhaupt nicht durch.«

»Die Straße kann man sogar noch im Herbst befahren.«

»Hier schon, aber hinter Korobetz ist sie nicht mehr befestigt.«

»Dieses Jahr ist der Sommer sehr trocken, da kann nicht viel passieren.«

»Bei Saton soll’s regnen«, warf der Bärtige von hinten ein.

»Wer sagt das?«, wollte der Hakennasige wissen.

»Merlin.«

Die beiden lachten, warum, wusste ich nicht. Ich fingerte meine Zigaretten heraus, zündete mir eine an und reichte die Schachtel weiter.

»Aus der Clara-Zetkin-Fabrik«, sagte der Hakennasige mit einem Blick auf die Schachtel. »Sind Sie aus Leningrad?«

»Ja.«

»Auf Reisen?«

»Ja«, erwiderte ich. »Und Sie sind von hier?«

»Seit Urzeiten«, antwortete der Hakennasige.

»Ich komme aus Murmansk«, teilte der Bärtige mit.

»Für einen Leningrader ist Solowetz wohl genauso wie Murmansk hoher Norden«, meinte der Hakennasige.

»Nein, wieso denn«, protestierte ich höflich.

»Machen Sie in Solowetz Station?«, fragte der Hakennasige.

»Natürlich«, erwiderte ich. »Da will ich ja hin.«

»Haben Sie in Solowetz Verwandte oder Bekannte?«

»Nein«, sagte ich. »Da warte ich auf die anderen. Sie haben die Route am Ufer entlanggenommen, und wir treffen uns in Solowetz.«

Vor uns tauchte ein großer Schotterhaufen auf. Ich bremste und bat: »Halten Sie sich gut fest.« Es holperte und rumpelte, der Hakennasige stieß mit der Nase gegen den Gewehrlauf. Der Motor heulte, Steinchen prasselten gegen den Wagenboden.

»Das arme Auto«, klagte der Hakennasige.

»Lässt sich nicht ändern«, meinte ich.

»Nicht jeder würde seinen Wagen über solche Wege jagen.«

»Ich schon«, sagte ich. Der Schotterhaufen lag hinter uns.

»Das ist wohl gar nicht Ihr Auto«, mutmaßte der Hakennasige.

»Woher sollte ich auch ein Auto haben?! Das ist ein Leihwagen.«

»Verstehe«, sagte der Hakennasige – wie mir schien, enttäuscht. Das ärgerte mich.

»Was hat es für einen Sinn, sich einen Wagen anzuschaffen, wenn man doch bloß auf Asphaltstraßen fährt? Wo Asphalt ist, gibt es nichts Interessantes, und wo es interessant ist, gibt es keinen Asphalt.«

»Ja, natürlich«, stimmte der Hakennasige höflich zu.

»Ich finde es dumm, aus seinem Wagen einen Götzen zu machen«, erklärte ich.

»Stimmt«, sagte der Bärtige. »Aber nicht jeder denkt so.«

Wir sprachen eine Weile über Autos und gelangten zu dem Schluss, dass man sich, wenn überhaupt, einen Geländewagen des Typs Gas-69 kaufen sollte; diesen allerdings gab es nicht im freien Verkauf. Dann fragte der Hakennasige: »Wo arbeiten Sie?«, und ich gab Auskunft.

»Kolossal!«, rief er. »Ein Programmierer! Genau das, was wir brauchen. Hören Sie, lassen Sie Ihr Institut sausen, und kommen Sie zu uns!«

»Was haben Sie denn zu bieten?«

»Was wir zu bieten haben?«, fragte der Hakennasige.

»Einen Aldan-3«, antwortete der Bärtige.

»Nicht schlecht«, sagte ich. »Und wie läuft er?«

»Tja, wie soll ich’s Ihnen sagen …«

»Verstehe«, unterbrach ich ihn.

»Eigentlich ist er noch nicht eingerichtet«, erklärte der Bärtige. »Bleiben Sie bei uns, machen Sie das.«

»Ihre Versetzung bekommen wir schon durch«, fügte der Hakennasige hinzu.

»Und woran arbeiten Sie hier?«, erkundigte ich mich.

»Woran die ganze Wissenschaft arbeitet«, begann der Hakennasige. »Wir beschäftigen uns mit dem menschlichen Glück.«

»Verstehe«, sagte ich. »Auch mit dem Kosmos?«

»Das auch«, gab der Hakennasige zurück.

»Das Bessere ist der Feind des Guten«, sagte ich.

»Hauptstadt und ordentliches Gehalt«, murmelte der Bärtige leise, aber ich hörte es trotzdem.

»Nein«, warf ich ein. »Es geht mir nicht ums Geld.«

»War auch nur Spaß«, sagte der Bärtige.

»Das sind so seine Späße«, meinte der Hakennasige. »Aber eine interessantere Arbeit als bei uns werden Sie nirgends finden.«

»Warum glauben Sie das?«

»Da bin ich mir sogar ganz sicher.«

»Na ja, ich weiß nicht.«

Der Hakennasige grinste. »Darüber unterhalten wir uns noch«, sagte er. »Bleiben Sie eine Weile in Solowetz?«

»Höchstens zwei Tage.«

»Na, dann sprechen wir uns am zweiten Tag.«

Der Bärtige fügte hinzu: »Meiner Meinung nach ist das ein Wink des Schicksals: Wir gingen durch den Wald und trafen auf einen Programmierer. Ich glaube, Ihnen bleibt gar keine andere Wahl.«

»Brauchen Sie wirklich so dringend einen Programmierer?«, fragte ich.

»Unbedingt.«

»Ich werde mal mit den Kollegen reden«, versprach ich. »Einige von ihnen würden sich gern verändern.«

»Wir brauchen nicht irgendeinen Programmierer«, gab der Hakennasige zu bedenken. »Programmierer sind rar und daher ein verwöhntes Völkchen. Wir brauchen einen, der nicht verwöhnt ist.«

»Dann wird es schwierig«, sagte ich.

Der Hakennasige zählte an seinen Fingern ab: »Wir brauchen a) einen Programmierer, der nicht verwöhnt ist, b) einen, der freiwillig kommt, und c) einen, der bereit ist, ins Wohnheim zu ziehen …«

»Und das«, fiel der Bärtige ein, »für hundertzwanzig Rubel.«

»Und wie steht’s mit Engelsflügeln? Oder, sagen wir, mit einem Heiligenschein? Von der Sorte gibt es einen unter tausend!«

»Dieser eine würde uns genügen«, sagte der Hakennasige.

»Und wenn es insgesamt nur neunhundert gibt?«

»Sind wir auch mit neun Zehnteln zufrieden.«

Der Wald war zu Ende, wir überquerten eine Brücke und fuhren an Kartoffeläckern vorbei.

»Schon neun Uhr«, meinte der Hakennasige. »Wo werden Sie übernachten?«

»Ich schlafe im Wagen. Wie lange haben hier die Geschäfte offen?«

»Die sind schon zu«, gab der Hakennasige zurück.

»Sie könnten mit ins Wohnheim kommen«, schlug der Bärtige vor. »In meinem Zimmer ist ein Bett frei.«

»Zum Wohnheim kommt man nicht mit dem Auto«, gab der Hakennasige zu bedenken.

»Da magst du recht haben«, sagte der Bärtige und lachte aus unerfindlichen Gründen.

»Den Wagen könnten wir am Milizrevier abstellen«, sagte der Hakennasige.

»Unsinn«, widersprach der Bärtige. »Ich rede dummes Zeug, und du machst es mir nach. Wie sollen wir ihn denn ins Wohnheim schleusen?«

»Ach ja, verflixt«, rief der Hakennasige. »Kaum macht man einen Tag blau, vergisst man schon den ganzen Zauber.«

»Vielleicht könnten wir ihn transgredieren?«

»Lass gut sein«, winkte der Hakennasige ab. »Wir haben’s hier nicht mit dem Kanapee zu tun. Du bist kein Cristóbal Junta und ich auch nicht.«

»Machen Sie sich keine Sorgen«, bat ich. »Ich werde im Wagen schlafen, es ist ja nicht das erste Mal.«

Ich bekam plötzlich schreckliche Sehnsucht nach ordentlichem Bettzeug. Vier Nächte hatte ich schon im Schlafsack verbracht.

»Hör mal«, sagte der Hakennasige. »Da ist doch noch die Hüahü!«

»Ja, sicher!«, rief der Bärtige. »Ab in die Meeresbucht mit ihm!«

»Es macht mir wirklich nichts aus, im Wagen zu schlafen«, wiederholte ich.

»Sie werden in einem richtigen Haus schlafen«, erklärte der Hakennasige. »In relativ sauberer Bettwäsche sogar. Irgendwie müssen wir uns doch erkenntlich zeigen.«

»Wir können Ihnen ja schließlich kein Trinkgeld zustecken«, lachte der Bärtige.

Wir fuhren in die Stadt hinein. Vorbei an altertümlichen, doch soliden Zäunen und wuchtigen Blockhäusern aus mächtigen dunklen Balken; sie hatten kleine Fenster, geschnitzte Fensterrahmen und einen hölzernen Hahn auf dem Dach. Dazwischen standen ein paar alte Ziegelbauten mit eisernen Toren, bei deren Anblick mir das fast vergessene Wort »Kornspeicher« in den Sinn kam. Die Straße war breit und schnurgerade und nannte sich »Prospekt des Friedens«. Weiter zum Zentrum hin sah man auch zweistöckige Häuser aus Schlackenstein mit offenen Vorgärten.

»Die Nächste nach rechts«, sagte der Hakennasige.

Ich blinkte, bremste und bog rechts ab. Hier war die Fahrbahn mit Gras bewachsen, und doch sah ich dicht an einem Tor einen nagelneuen Wagen der Marke »Saporoshez« stehen. An den Toren hingen Hausnummern, die Zahlen auf den rostigen Schildern waren jedoch kaum zu erkennen. Die Gasse trug den stolzen Namen »Straße an der Meeresbucht«. Sie war schmal und wurde von schweren alten Zäunen begrenzt, die anscheinend noch aus der Zeit stammten, als hier schwedische und norwegische Piraten ihr Unwesen trieben.

»Halt«, rief der Hakennasige. Ich bremste, und er stieß erneut mit der Nase gegen den Gewehrlauf. »Jetzt machen wir’s so«, begann er und rieb sich an seiner Nase. »Sie warten hier, bis ich alles geregelt habe.«

»Das ist wirklich nicht nötig«, erklärte ich ein letztes Mal.

»Keine Widerrede! Wolodja, pass gut auf ihn auf.«

Der Hakennasige stieg aus und zwängte sich geduckt durch das niedrige Tor; mit seinen pudschweren rostigen Angeln hätte es gut zu einem Eisenbahndepot gepasst. Hinter dem hohen grauen Zaun war kein Haus zu entdecken. Erstaunt betrachtete ich daher die Anschläge. Es waren drei. Am linken Torflügel prangte unter dickem Glas eine silberne Aufschrift auf dunkelblauem Grund:

Fifhuz

Hütte auf Hühnerbeinen

Denkmal

aus dem alten Solowetz

Am rechten Torflügel hing oben ein rostiges Blechschild: »N. K. Gorynytsch, Straße an der Meeresbucht 13«, und darunter war ein Stück Sperrholz angebracht, auf das jemand mit Tinte gekritzelt hatte:

Kater außer Betrieb

Die Verwaltung

»Was für ein ›Kater‹?«, fragte ich. »Die Kooperative Abteilung des Territoriums?«

Der Bärtige kicherte. »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte er. »Bei uns geht es ein bisschen verrückt zu, ansonsten aber hat alles seine Richtigkeit.«

Ich stieg aus und putzte die Windschutzscheibe. Da hörte ich über mir plötzlich ein Rascheln. Ich schaute auf. Oben auf dem Tor reckte und streckte sich ein schön gezeichneter schwarzgrauer Kater von einer solchen Größe, wie ich es noch nie gesehen hatte. Nachdem er die richtige Lage gefunden hatte, blickte er mich mit seinen gelben Augen gleichgültig und träge an. »Miez, miez, miez«, machte ich automatisch. Ebenso höflich wie kühl riss der Kater den mit scharfen Zähnen besetzten Rachen auf, stieß einen heiseren, kehligen Laut aus, wandte sich ab und blickte in den Hof hinunter. Von dort drang die Stimme des Hakennasigen über den Zaun.

»Wassili, mein Freund, darf ich Sie mal stören?«

Der Riegel quietschte. Der Kater stand auf und ließ sich lautlos in den Hof hinuntergleiten. Das Tor schaukelte schwerfällig in den Angeln, ein fürchterliches Knarren setzte ein, und langsam schob sich die linke Torhälfte auf. In der Öffnung erschien das vor Anstrengung rote Gesicht des Hakennasigen.

»Mein Wohltäter!«, rief er. »Fahren Sie den Wagen auf den Hof!«

Ich stieg wieder in den Moskwitsch und fuhr langsam durch das Tor. Der Hof war sehr geräumig. Weiter hinten stand ein Haus aus dicken Balken und davor eine mächtige, gedrungene Eiche, deren dichte, weit ausladende Krone das Dach völlig verdeckte. Vom Tor her führte ein schmaler, mit Steinplatten ausgelegter Weg um die Eiche herum zum Haus. Rechts davon lag ein Gemüsegarten, und linker Hand, inmitten einer kleinen Wiese, ragte ein verwitterter, moosbewachsener Brunnen mit einem Haspelrad auf.

Ich parkte den Wagen ein Stück vom Weg entfernt, stellte den Motor ab und stieg aus. Der bärtige Wolodja stieg ebenfalls aus, lehnte das Gewehr gegen den Wagenschlag und schnallte sich den Rucksack um.

»So, da wären wir«, sagte er.

Der Hakennasige ließ das knarrende Tor krachend ins Schloss fallen, während ich etwas verlegen dastand und mich unschlüssig nach allen Seiten umsah.

»Da ist ja auch schon die Hausherrin!«, rief der Bärtige. »Seien Sie mir gegrüßt, Großmütterchen Naina Kiewna!«

Die Hausherrin schien die hundert schon überschritten zu haben; auf einen knorrigen Stock gestützt, schlurfte sie in Filzstiefeln und Galoschen langsam auf uns zu. Ihr Gesicht war tiefbraun, und inmitten eines dichten Geflechts aus Runzeln schob sich die lange spitze Nase, krumm wie ein Säbel, nach vorn. Ihre Augen waren trübe und fast farblos, so als seien sie mit Hornhaut überzogen.

»Grüß dich, Enkelchen, grüß dich«, erwiderte sie mit einer überraschend kräftigen, tiefen Stimme. »Das ist also der neue Programmierer? Sei auch du gegrüßt, mein Guter! Herzlich willkommen!«

Ich begriff, dass ich jetzt am besten den Mund hielt, und verbeugte mich stumm vor der alten Frau. Auf dem flauschigen schwarzen Kopftuch, das sie unter dem Kinn zusammengeknotet hatte, trug sie ein lustiges Tüchlein mit mehrfarbigen Abbildungen des Atomiums und einem in allen möglichen Sprachen aufgedruckten Text: »Internationale Ausstellung in Brüssel«. Am Kinn und unter der Nase sprossen ein paar graue Borsten. Sie trug ein schwarzes Tuchkleid und eine wattierte Weste.

»Also, Naina Kiewna«, begann der Hakennasige, während er auf uns zukam und sich den Rost von den Händen rieb. »Wir müssen unseren neuen Mitarbeiter für zwei Nächte bei dir unterbringen. Darf ich vorstellen … äh …«

»Nicht nötig«, sagte die Alte und blickte mich forschend an. »Ich sehe schon: Es ist Alexander Iwanowitsch Priwalow, Jahrgang 1938, Geschlecht: männlich, Nationalität: russisch, Mitglied des Komsomol, nein, nein, er hat nicht teilgenommen, er war nicht, und er hat nicht … Vor dir, mein funkelndes Juwel, liegen ein langer Weg und Geschäfte in Amtsstuben … Aber nimm dich in Acht, mein strahlender Diamant, vor einem bösen rothaarigen Menschen. Und nun, mein schönster Rubin, belohn mich für meine Mühe …«

»Ähem!«, räusperte sich der Hakennasige, und die alte Frau verstummte. Peinliches Schweigen trat ein.

»Nennen Sie mich einfach Sascha«, brachte ich mühsam den lange vorbereiteten Satz heraus.

»Und wo soll ich ihn unterbringen?«, wollte die alte Frau wissen.

»Im Magazin natürlich«, sagte der Hakennasige ein wenig gereizt.

»Und wer übernimmt die Verantwortung?«

»Aber Naina Kiewna!«, donnerte der Hakennasige plötzlich mit der großen Geste eines Provinztragöden, fasste die Alte unter und zog sie ins Haus. Man hörte, dass sie sich stritten.

»Das war doch abgemacht!«

»Und wenn er was stibitzt?«

»Nicht so laut! Das ist doch ein Programmierer, verstehen Sie? Ein Komsomolze! Ein Wissenschaftler!«

»Und wenn er an den Zähnen lutscht?«

Peinlich berührt, wandte ich mich zu Wolodja um. Wolodja kicherte.

»Das ist mir aber unangenehm«, stammelte ich.

»Keine Sorge, es geht alles seinen Gang …«

Er wollte noch etwas hinzufügen, als die alte Frau mit wilder Stimme schrie: »Aber das Kanapee, das Kanapee!«

Ich fuhr zusammen und sagte: »Wissen Sie was, ich fahre jetzt lieber weiter.«

»Kommt überhaupt nicht infrage!«, widersprach Wolodja in entschiedenem Ton. »Es wird sich alles finden. Die Großmutter verlangt bloß ihren Lohn, Roman und ich haben aber kein Geld dabei.«

»Dann bezahle ich«, schlug ich vor. Am liebsten wäre ich auf der Stelle abgefahren; solche Alltagsquerelen kann ich nicht ausstehen.

Wolodja schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall. Da kommt er auch schon. Es ist alles in Ordnung.«

Der hakennasige Roman trat zu uns, fasste mich unter und sagte: »So, das hätten wir geklärt. Kommen Sie.«

»Hören Sie, mir ist das irgendwie peinlich«, sagte ich. »Schließlich ist sie nicht verpflichtet …«

Aber da waren wir schon beim Haus.

»Doch, doch, das ist sie«, murmelte Roman.

Wir gingen um die Eiche herum zum Hintereingang. Roman stieß eine mit Kunstleder bespannte Tür auf, und wir gelangten in einen geräumigen und sauberen, aber schlecht beleuchteten Flur. Die Alte hatte die Hände über dem Bauch gefaltet und erwartete uns mit verkniffenem Mund. Als sie uns erblickte, brummte sie rachsüchtig: »Aber das Scheinchen, das krieg ich gleich! Und dass mir da ja draufsteht: Das und das hab ich von der und der erhalten, die dem Unterzeichnenden Obiges übergeben hat …«

Roman heulte leise auf, und wir gingen in das für mich vorgesehene Zimmer. Es war ein kühler Raum mit einem Fenster; davor hing ein Kattunvorhang. Roman sagte mit gepresster Stimme: »Machen Sie es sich bequem, fühlen Sie sich ganz wie zu Hause.«

Sofort erkundigte sich die Alte argwöhnisch aus dem Flur: »Und er lutscht auch wirklich nicht an den Zähnen?«

Roman bellte zurück, ohne sich umzudrehen: »Nein! Ich sag Ihnen doch: Er hat gar keine Zähne.«

»Dann komm jetzt mit, und stell das Scheinchen aus.«

Roman zog die Brauen hoch, verdrehte die Augen, fletschte die Zähne und schüttelte den Kopf, ging aber hinaus. Ich sah mich im Zimmer um. Es war nur spärlich möbliert. Am Fenster stand ein massiver Tisch mit einer abgenutzten grauen Fransendecke, und an den Tisch war ein wackliger Hocker gerückt. Entlang der kahlen Balkenwand befand sich ein breites Kanapee und an der gegenüberliegenden, mit unterschiedlichen Tapetenstücken beklebten Wand ein Garderobenbrett mit altem Plunder (daran hingen Wattejacken, abgewetzte Pelze, zerfledderte Schirm- und Fellmützen). Ins Zimmer ragte ein frisch geweißter russischer Ofen, und im Winkel gegenüber hing ein großer trüber Spiegel in einem abblätternden Rahmen. Die mit gestreiften Läufern belegten Dielen waren abgezogen.

Hinter der Wand hörte man zweistimmiges Gemurmel: Während die tiefe Stimme der Alten immer in derselben Tonlage blieb, klang Romans Stimme bald laut, bald leise.

»Eine Tischdecke, Inventarnummer zweihundertfünfundvierzig …«

»Warum schreiben Sie nicht jedes Dielenbrett einzeln auf?«

»Ein Esstisch …«

»Tragen Sie den Ofen auch ein?«

»Ordnung muss sein … ein Kanapee …«

Ich trat ans Fenster und zog den Vorhang zurück. Außer der Eiche war nichts zu sehen. Ich heftete meinen Blick auf den Baum, der schon sehr alt sein musste. Er hatte eine graue, leblos wirkende Rinde, und die mächtigen, aus der Erde ragenden Wurzeln waren mit roten und weißen Flechten bedeckt.

»Vergessen Sie nicht, die Eiche aufzuschreiben!«, hörte ich Roman hinter der Wand sagen.

Auf dem Fensterbrett lag ein dickes, speckiges Buch. Ich blätterte gedankenlos darin, trat dann vom Fenster zurück und setzte mich aufs Kanapee. Sofort wurde ich schläfrig. Mir fiel ein, dass ich an diesem Tag vierzehn Stunden hinter dem Lenkrad gesessen und mich, wie es schien, völlig umsonst so beeilt hatte; ich fühlte, dass mir der Rücken weh tat und der Kopf schwirrte, und dachte, dass mir diese lästige Alte letzten Endes gestohlen bleiben konnte, dass das Ganze hoffentlich bald ein Ende nahm und ich endlich alle viere von mir strecken konnte …

»Also«, hörte ich Roman von der Tür her sagen. »Die Formalitäten hätten wir erledigt.« Er spreizte die mit Tinte beklecksten Finger. »Die Hände sind müde, sie haben geschrieben und geschrieben … Sascha, legen Sie sich schlafen. Wir gehen jetzt, und Sie können sich ausruhen. Was machen Sie morgen?«

»Warten«, antwortete ich träge.

»Wo?«

»Hier. Und an der Post.«

»Morgen fahren Sie doch noch nicht weiter?«

»Wahrscheinlich nicht. Eher übermorgen.«

»Dann sehen wir uns also noch, und es liegt noch alles vor uns.« Er lächelte, winkte mir zu und ging. Ich dachte träge, dass ich ihn hinausbegleiten und mich auch von Wolodja verabschieden müsste, legte mich aber hin. Sofort kam die Alte ins Zimmer. Ich stand auf. Sie musterte mich eingehend.

»Ich hab bloß Angst, mein Guter, dass du an den Zähnen lutschst«, meinte sie besorgt.

»Ich lutsche nicht an den Zähnen«, sagte ich müde. »Ich will schlafen.«

»Dann leg dich hin, und schlaf. Bezahl fürs Nachtlager, und schlaf dich aus.«

Ich langte in die Hosentasche und angelte nach der Brieftasche. »Was bekommen Sie?«

Die Alte blickte zur Decke hoch. »Einen Rubel fürs Zimmer. Einen halben Rubel für die Bettwäsche – die gehört nämlich mir. Macht für zwei Nächte drei Rubel. Und was du von dir aus – für die Unannehmlichkeiten nämlich – drauflegst, ist deine Sache.«

Ich reichte ihr einen Fünfrubelschein. »Fürs Erste leg ich einen Rubel drauf«, sagte ich. »Morgen sehen wir weiter.«

Die Alte schnappte nach dem Schein und verschwand, noch etwas von Wechselgeld brabbelnd. Sie blieb ziemlich lange fort, und ich wollte schon auf Wechselgeld und Bettwäsche pfeifen, als sie endlich wieder angeschlurft kam und eine Handvoll schmutziger Kupfermünzen auf den Tisch warf.

»Hier hast du das Wechselgeld, mein Guter«, sagte sie. »Es ist genau ein Rubel, brauchst es nicht nachzuzählen.«

»Ich hatte auch nicht die Absicht«, erwiderte ich. »Und was ist mit der Bettwäsche?«

»Die bring ich dir gleich. Geh so lange auf dem Hof spazieren, ich mach inzwischen dein Bett.«

Ich ging vor die Tür und zog im Gehen die Zigaretten aus der Tasche. Mittlerweile war die Sonne untergegangen. Die weiße Nacht brach an. Irgendwo bellten ein paar Hunde. Ich setzte mich auf die halb im Boden versunkene Bank unter der Eiche, steckte mir eine Zigarette an und betrachtete den blassen, sternenlosen Himmel. Der Kater strich lautlos an mir vorbei, blickte mich mit funkelnden Augen an, kletterte dann flink auf die Eiche und verschwand im dunklen Blattwerk. Sofort vergaß ich ihn wieder und fuhr zusammen, als es plötzlich über mir raschelte. Auf meinen Kopf rieselte allerlei Unrat. »Hol dich doch der …!«, rief ich laut und klopfte meine Sachen ab. Ich war unglaublich müde. Die Alte kam aus dem Haus und trippelte, ohne mich zu beachten, zum Brunnen. Ich schloss daraus, dass mein Bett fertig war, und kehrte ins Zimmer zurück.

Die garstige Alte hatte mir das Bett auf dem Fußboden gemacht. Nein, dachte ich, nicht mit mir, riegelte die Tür ab, verfrachtete das Bettzeug aufs Kanapee und zog mich aus. Durch das Fenster fiel ein fahler Lichtschein, und ich hörte, wie der Kater noch immer in der Eiche raschelte. Ich schüttelte den Kopf und strich mir den Unrat aus dem Haar. Was aber da zu Boden rieselte, waren merkwürdigerweise große trockene Fischschuppen. Das piekt doch beim Schlafen, dachte ich, ließ mich aufs Kissen fallen und schlief auf der Stelle ein.

2

… Das verlassene Haus ist zu einer Heimstatt für Füchse und Dachse geworden, und so können hier merkwürdige Geister und Gespenster auftauchen.

Ueda Akinari

Mitten in der Nacht wachte ich auf, weil im Zimmer gesprochen wurde. Zwei Männer unterhielten sich in fast lautlosem Flüsterton. Ihre Stimmen ähnelten sich, nur dass die eine gedämpft und heiser klang und die andere äußerst gereizt.

»Hör auf zu krächzen«, flüsterte der eine ärgerlich. »Kannst du das nicht bleiben lassen?«

»Kann ich«, erwiderte der andere gedämpft und hustete.

»Nicht so laut«, zischte der Gereizte.

»Das ist der Raucherhusten«, erklärte der andere. »Der morgendliche Husten des Rauchers.« Und er fing wieder an zu husten.

»Geh raus«, forderte der Gereizte ihn auf.

»Aber er schläft doch.«

»Wer ist das überhaupt? Wo kommt der plötzlich her?«

»Woher soll ich das wissen?«

»Zu dumm … Wir haben aber auch ein Pech.«

Die Nachbarn sind noch auf, dachte ich im Halbschlaf. Ich glaubte, ich wäre zu Hause. Meine Zimmernachbarn waren Brüder, zwei Physiker, die am liebsten nachts arbeiteten. Um zwei gingen ihnen gewöhnlich die Zigaretten aus, und dann kamen sie in mein Zimmer und durchstöberten alles, stießen gegen Möbel und fluchten.

Ich packte mein Kissen und schleuderte es ins Zimmer hinein. Ich hörte, wie etwas herunterfiel, dann wurde es still.

»Gebt mir das Kissen zurück«, forderte ich. »Und schert euch raus. Die Zigaretten liegen auf dem Tisch.«

Als ich meine Stimme hörte, wurde ich endgültig wach. Ich setzte mich auf. Irgendwo kläfften ein paar Hunde, und die Alte hinter der Wand schnarchte, was das Zeug hielt. Plötzlich wusste ich wieder, wo ich war. Doch in meinem Zimmer war niemand. Im fahlen Lichtschein sah ich mein Kissen und den vom Garderobenbrett gefallenen Plunder auf dem Fußboden liegen. Die Alte reißt dir den Kopf ab, dachte ich und sprang auf. Der Fußboden war kalt, und ich trat rasch auf den Läufer. Die Alte hörte auf zu schnarchen. Ich hielt den Atem an. Die Dielen knarrten, in allen Ecken knackte und raschelte es. Die Alte stieß einen gellenden Pfiff aus und schnarchte weiter. Ich hob mein Kissen wieder auf und warf es aufs Kanapee. Der alte Plunder roch nach Hundefell. Das Brett war vom Nagel geglitten und hing schief herab, ich rückte es gerade und sammelte den Plunder auf. Kaum hatte ich den letzten Überzieher aufgehängt, rutschte das Brett von Neuem ab, schrappte über die Tapete und blieb wieder nur an einem Nagel hängen. Die Alte hörte auf zu schnarchen, und mir brach der kalte Schweiß aus. Irgendwo in der Nähe krähte ein Hahn. Ab in den Suppentopf mit dir, dachte ich böse. Die Alte hinter der Wand wälzte sich im Bett, dass die Sprungfedern quietschten. Ich stand reglos auf einem Bein und wartete. Draußen sagte jemand leise: »Gehen wir schlafen, wir haben heute lange genug hier gesessen.« Das war die Stimme einer jungen Frau. »Wie du willst«, erwiderte eine andere Stimme. Dann gähnte jemand ausgiebig. »Und plätschern willst du heute gar nicht mehr?« – »Mir ist kalt. Lass uns schlafen.« Dann wurde alles still. Die Alte brabbelte vor sich hin, und ich tappte vorsichtig zum Kanapee zurück. Morgen stehe ich beizeiten auf und mache Ordnung …

Ich legte mich auf die rechte Seite, zog mir die Decke übers Ohr, schloss die Augen und merkte plötzlich, dass ich überhaupt nicht schlafen wollte. Ich hatte Hunger. Ach herrje, dachte ich. Du musst dir sofort was einfallen lassen. Und ich ließ mir was einfallen.

Nehmen wir zum Beispiel ein System zweier Integralgleichungen des Typs stellarstatistischer Gleichungen; die beiden unbekannten Funktionen kommen unter dem Integralzeichen vor. Lösen lassen sie sich natürlich nur zahlenmäßig, beispielsweise mit einem Schnellrechner … Ich dachte an unseren Schnellrechner mit dem cremefarbenen Bedienpult und stellte mir vor, wie Shenja ein in Zeitungspapier gewickeltes Päckchen darauflegte und es gemächlich aufmachte.

»Was hast du drauf?«, fragte er.

»Käse und Wurst«, antwortete ich. In runde Scheiben geschnittene polnische Räucherwurst.

»Ach, du solltest heiraten! Ich habe Hackfleischschnitzel mit Knoblauch dabei, selbstgebraten. Und dazu ein Salzgürkchen.«

Nein, zwei Salzgürkchen. Vier Hackfleischschnitzel und, der glatten Rechnung wegen, vier knubblige Salzgürkchen. Dazu vier Scheiben Brot mit Butter …

Ich warf die Decke zurück und setzte mich auf. Vielleicht lag noch etwas im Wagen? Nein, das hatte ich alles aufgegessen. Im Wagen lag nur noch das Kochbuch für Valkas Mutter in Leshnjowo. Wie war das doch gleich? Pikante Soße. Ein halbes Glas Essig, zwei kleine Zwiebeln und etwas Pfeffer. Kann zu Fleischgerichten gereicht werden. Ich erinnerte mich ganz genau: zu kleinen Beefsteaks. Das war pure Bosheit, dachte ich, nicht einfach zu Beefsteaks, sondern zu k-l-ei-n-enBeefsteaks … Ich stand auf und lief ans Fenster. Die Nachtluft roch unverkennbar nach k-l-ei-n-enBeefsteaks. Aus den Tiefen meines Unterbewusstseins stiegen Worte auf: »Ihm wurden die in Gasthäusern üblichen Gerichte serviert, als da sind: Kohlsuppe, Hirn mit Erbsen, eine saure Gurke (ich schluckte) und die ewig süße Blätterteigpastete …« Ich muss mich ablenken, dachte ich, und nahm das speckige Buch vom Fensterbrett. Es war Alexej Tolstois »Trüber Morgen«. Ich schlug aufs Geratewohl eine Seite auf. »Machno zog, nachdem er den Konservenschlüssel zerbrochen hatte, ein mit Perlmutt eingelegtes Messer mit einem halben Hundert Klingen aus der Tasche und fuhr mit seiner Arbeit fort, Büchsen mit Ananas« – das ist fatal, dachte ich –, »Gänseleberpastete und Hummer zu öffnen, die das Zim-mer mit scharfem Geruch erfüllten.« Vorsichtig legte ich das Buch zurück und setzte mich auf den Hocker. Im Zimmer roch es plötzlich kräftig nach Essen – wie mir schien, nach Hummer. Ich fragte mich, warum ich noch nie im Leben Hummer gegessen hatte. Oder Austern. Bei Dickens isst alle Welt Austern, hantiert mit Taschenmessern, säbelt dicke Brotscheiben ab und streicht Butter darauf … Nervös zog ich die Tischdecke glatt. Auf ihr wimmelte es von Flecken, die beim Waschen nicht herausgegangen waren. Auf dieser Decke war viel und herzhaft gegessen worden. Hummer und Brägen mit jungen Erbsen. Kleine Beefsteaks mit pikanter Soße. Und bestimmt auch große und mittelgroße Beefsteaks. Und nach dem Essen hatten die Leute nach Luft geschnappt und zufrieden an den Zähnen gelutscht. Und da ich keinen Grund zum Luftschnappen hatte, begann ich, an meinen Zähnen zu lutschen.

Wahrscheinlich fiel das Lutschen allzu laut und hungrig aus, denn plötzlich hörte ich hinter der Wand das Bett der Alten knarzen. Sie murmelte ärgerlich etwas vor sich hin, klapperte mit Geschirr und kam zu mir ins Zimmer. Sie trug ein langes graues Nachthemd und hielt einen Teller in den Händen, und im Nu verbreiteten sich im Zimmer keine erdachten, sondern ganz reale Wohlgerüche. Die Alte lächelte. Sie stellte den Teller vor mir auf den Tisch und flötete mit honigsüßer Bassstimme: »Iss nur, Alexander Iwanowitsch, iss, mein Guter, was Gott dir beschert, empfange es aus meinen Händen …«

»Nicht doch, Naina Kiewna«, murmelte ich. »Wozu die Umstände …«

Aber schon hielt ich eine Gabel mit beinernem Griff in der Hand und machte mich über das Essen her. Die Alte stand neben mir, nickte vor sich hin und murmelte freundlich: »Iss, mein Guter, lass es dir schmecken …«

Ich aß den ganzen Teller leer. Heiße Kartoffeln mit zerlassener Butter.

»Naina Kiewna«, begann ich inbrünstig, »Sie haben mich vor dem Hungertod bewahrt.«

»Fertig?«, brummte sie.

»Es hat wunderbar geschmeckt. Tausend Dank! Sie können sich gar nicht vorstellen …«

»Was gibt’s da groß vorzustellen?«, fuhr sie mich auf einmal gereizt an. »Bist du endlich fertig? Dann gib den Teller her. Los, gib den Teller her, sag ich!«

»Bi… bitte«, stotterte ich.

»›Bitte, bitte‹! … Für ein Bitteschön soll man euch alle durchfüttern!«

»Ich kann Ihnen das Essen bezahlen«, sagte ich beleidigt.

»›Bezahlen, bezahlen‹ …« Sie schlurfte zur Tür. »Und wenn das alles unbezahlbar ist? Hättest du mal lieber nicht geschwindelt.«

»Geschwindelt? Wieso?«

»Jawohl, geschwindelt! Du hast gesagt, du lutschst nicht an den Zähnen.« Sie verstummte und verschwand hinter der Tür.

Was hat sie bloß?, dachte ich. Eine komische Alte … Ob sie das abgerissene Garderobenbrett bemerkt hat? Ich hörte, wie sie sich murrend im Bett hin und her wälzte; wieder quietschten die Sprungfedern. Dann stimmte sie leise ein barbarisches Lied an: »Ach, wie ist mir, ach, wie wird mir – schwer im Magen liegt mir der Iwanuschka …« Durchs Fenster wehte nächtliche Kühle. Ich fröstelte und stand auf, um mich wieder aufs Kanapee zu legen, als mir plötzlich einfiel, dass ich vor dem Zubettgehen den Riegel vorgeschoben hatte. Verwirrt trat ich an die Tür und tastete mit der Hand nach dem Riegel. Kaum berührten meine Finger das kalte Eisen, als mir alles vor den Augen verschwamm … Dann merkte ich, dass ich, die Nase ins Kissen gedrückt, auf dem Kanapee lag und mit den Fingern über die kalte Balkenwand tastete.

Eine Zeit lang lag ich ganz steif da, bis mir klarwurde, dass hinter der Wand die Alte schnarchte und in meinem Zimmer gesprochen wurde. Jemand dozierte halblaut: »Der Elefant ist das größte aller Erdentiere. An seinem Kopf sitzt ein großer fleischiger Auswuchs, den man Rüssel nennt, weil er hohl und lang ist wie ein Rohr. Diesen Rüssel kann der Elefant nach Belieben strecken und zusammenrollen, er gebraucht ihn wie eine Hand …«

Ganz unruhig vor Neugier, drehte ich mich vorsichtig auf die rechte Seite. Das Zimmer war genauso leer wie zuvor. Die Stimme fuhr in noch belehrenderem Ton fort: »Wein, in Maßen genossen, wirkt außerordentlich anregend auf den Magen; trinkt man jedoch zu viel davon, so erzeugt er Dämpfe, die den Menschen mit dem unverständigen Vieh auf eine Stufe stellen. Sie haben bestimmt schon Trinker gesehen und werden sich an den Abscheu erinnern, den Sie ihnen gegenüber zu Recht empfanden …«

Ich setzte mich mit einem Ruck auf und schob die Beine vom Kanapee. Die Stimme verstummte. Mir schien, sie sei von draußen gekommen. Im Zimmer war alles unverändert, sogar das Garderobenbrett hing ordentlich an der Wand. Und erstaunlicherweise hatte ich schon wieder Hunger.

»Tinctura ex vitro antimonii«, erklärte eine andere Stimme. Ich fuhr zusammen. »Magisterium antimon angeli salae. Basilii oleum vitri antimonii alexiterium antimoniale!« Unüberhörbares Kichern ertönte. »Was für ein Unfug«, sagte eine Stimme, um dann heulend fortzufahren: »Gar bald schon werden diese noch ungeöffneten Augen die Sonne nicht mehr sehen, doch lass nicht zu, dass sie sich schließen, bevor ich die barmherzige Botschaft empfange, dass mir Verzeihen und Seligkeit zuteil werden wird … Selbiges ist ›Der Geist, oder die moralischen Betrachtungen des berühmten Young, seinen Nachtgedanken entnommen‹. Für zwei Rubel mit Pappdeckel in Sweschnikows Buchhandlung zu St. Petersburg und Riga erhältlich.« Jemand schluchzte auf. »Auch so ein Schwachsinn«, klagte eine Stimme und deklamierte dann ausdrucksvoll:

Schönheit, Reichtum und Ränge,

des Lebens hehrste Gepränge

entschwinden, verwehen ungefragt.

O Glück, du trügerisch’ Gewinn!

Am Herzen dein der Zweifel nagt,

und auch der Ruhm ist bald dahin …

Jetzt wusste ich, woher die Stimmen kamen: aus der Ecke mit dem blind gewordenen Spiegel.

»Und nun Folgendes«, sagte eine Stimme. »Das Brahman, fürwahr, war diese Welt zu Anfang … Er ist der unbegreifliche höchste Atman, unausmessbar, ungeboren, unerforschlich, undenkbar ist er … Er ist es, der, wenn das Weltall untergeht, alleine wach bleibt. Und er ist es, der dann (wieder) aus diesem Weltraume das Reingeistige aufweckt …«

»Und woher stammt dieser Schwachsinn?«, fragte ich. Eine Antwort erwartete ich nicht. Ich war fest davon überzeugt zu schlafen.

»Das sind Sprüche aus den ›Upanischaden‹«, antwortete die Stimme bereitwillig.

»Und was sind die ›Upanischaden‹?« Jetzt war ich schon nicht mehr so fest davon überzeugt zu schlafen.

»Weiß ich nicht«, erwiderte die Stimme.

Ich stand auf und schlich auf Zehenspitzen zum Spiegel. Ich sah mich nicht darin. Das trübe Glas spiegelte den Vorhang, eine Ecke des Ofens und viele andere Dinge, aber mein Abbild war nicht darin.

»Was ist los?«, erkundigte sich die Stimme. »Gibt es Fragen?«

»Wer spricht da?«, fragte ich und warf einen Blick hinter den Spiegel. Dort lagen dicke Staubflocken und ein paar tote Spinnen. Ich drückte mit dem Zeigefinger auf mein linkes Auge – ein altes Hausmittel zum Erkennen von Halluzinationen, das ich aus W. W. Bitners anregendem Buch »Soll man daran glauben?« hatte. Sobald man mit dem Finger auf den Augapfel drückt, sieht man – im Unterschied zu Halluzinationen – alle realen Gegenstände doppelt. Diesmal verdoppelte sich der Spiegel, und in ihm erschien mein verstörtes, verschlafenes Äußeres. Ein kalter Lufthauch strich über meine Füße. Ich zog die Zehen zusammen, trat ans Fenster und sah hinaus.

Draußen war niemand, nicht einmal mehr die Eiche. Ich rieb mir die Augen und schaute noch einmal genau hin. Ich erkannte deutlich den bemoosten Brunnen mit dem Haspelrad, das Tor und meinen Wagen am Wegrand. Also schlafe ich doch, dachte ich beruhigt. Da fiel mein Blick aufs Fensterbrett und auf das zerlesene Buch. In meinem letzten Traum war es der dritte Band des »Leidenswegs« gewesen, während ich nun »Das Schaffen von Geisteskranken und sein Einfluss auf die Entwicklung von Wissenschaft, Kunst und Technik« von P. I. Karpow vor mir hatte. Vor Kälte mit den Zähnen klappernd, blätterte ich in dem Buch und sah mir die Farbtafeln an. Dann las ich »Vers Nummer zwei«:

In der Lüfte Ozeanen

ohne Zweck und ohne Ziel

schwebt dahin rasch auf den Bahnen

schwarz ein Spatz im Nebel still.

Lautlos fliegt er durch die Nacht,

nur vom Mondlicht sacht erhellt,

eins mit sich und mit der Welt,

blickt er auf der Fluren Pracht.

Stolz und grimmig, unverstellt,

fliegt vorbei er wie ein Schatten,

seine Schwingen nie ermatten.

Plötzlich wankte der Boden unter meinen Füßen. Ich hörte ein markerschütterndes, langgezogenes Knarren und gleich darauf ein tiefes »Ko-o, ko-o, ko-o«, das an das leise Grollen eines fernen Bebens erinnerte. Die Hütte schaukelte wie ein Boot in den Wellen. Der Hof hinter dem Fenster kippte seitlich weg, und unter dem Fenster schob sich ein riesiges Hühnerbein hervor, das sich in den Erdboden krallte, tiefe Furchen im Gras hinterließ und wieder verschwand. Der Fußboden glitt unter mir fort, ich merkte, wie ich fiel, mit den Händen in etwas Weiches griff, mir die Hüfte und den Kopf anstieß und vom Kanapee rollte. An das mit mir vom Kanapee gerutschte Kissen geklammert, fand ich mich schließlich auf dem Läufer wieder. Im Zimmer war es taghell, und draußen hustete jemand ausgiebig.

»Also«, begann eine wohlklingende männliche Stimme. »In einem fernen Zarenreich lebte einmal ein Zar. Der Zar hieß … hm, äh … Na, ist ja auch egal. Sagen wir, hm, äh … Poluekt … Und dieser Zar hatte drei Söhne. Der erste … äh … Der dritte war ein Dummkopf, aber der erste?«

Geduckt wie ein Soldat im Kugelregen schlich ich zum Fenster und lugte hinaus. Die Eiche war an Ort und Stelle. Mit dem Rücken zu ihr stand, ganz in Gedanken versunken, Kater Wassili auf den Hinterpfoten. Zwischen den Zähnen hielt er eine Seerose. Der Kater starrte vor sich hin und ließ ein langgezogenes »Hm-äh …« hören. Dann schüttelte er den Kopf, legte die Vorderpfoten auf den Rücken und entfernte sich, leicht gebeugt wie der Dozent Dubino-Knjashitzki in der Vorlesung, mit federnden Schritten von der Eiche.

»Na gut«, murmelte der Kater durch die Zähne. »Es waren einmal ein Zar und eine Zarin. Und dieser Zar und diese Zarin hatten einen Sohn … hm, äh … einen Dummkopf natürlich …«

Ärgerlich spuckte der Kater die Seerose aus, zog eine Grimasse und rieb sich die Stirn.

»Zu dumm ist das«, murmelte er. »Zu dumm … Verschiedenes weiß ich aber doch noch, zum Beispiel: ›Ha, ha, ha! Endlich wieder was zu beißen: zum Mittagessen ein Pferd, zum Abendbrot einen wackeren Burschen …‹ Woraus ist das doch gleich? Und Iwan, der Dummkopf – Sie wissen schon –, antwortet: ›Ach, du garstig Ungetüm, hast den weißen Schwan noch nicht gefangen und willst ihn schon verschlingen!‹ Dann tritt der glühende Pfeil in Aktion – runter mit den drei Köpfen –, Iwan reißt die drei Herzen heraus und bringt sie – der Kretin! – dem lieben Mütterchen. Ein reizendes Mitbringsel!«

Der Kater brach in krampfhaftes Gelächter aus, dann seufzte er auf. »Es gibt eine Krankheit, und die heißt Verkalkung«, stieß er hervor.

Er seufzte noch einmal, kehrte zur Eiche zurück und sang: »Kra, kra, meine Kinderchen! Kra, kra, meine Täubchen. Mit Tränen … hm, äh … hab ich euch getränkt, genauer gesagt, gepäppelt …« Er seufzte ein drittes Mal und lief eine Zeit lang schweigend auf und ab. Wieder auf der Höhe der Eiche angelangt, grölte er plötzlich ganz unmusikalisch: »Süß war der Brocken, doch viel zu groß …!«

Auf einmal hielt er – wer weiß woher – eine riesige Gusli in den Pfoten. Er hämmerte wild darauf herum, schlug die Krallen in die Saiten und brüllte, als wollte er die Musik übertönen:

Dass es im Tannwald finster ist,

das macht das Holz,

das … hm, äh … mein Schatz … oder Katz …?

Er verstummte und schritt eine Weile, wortlos auf die Saiten hämmernd, auf und ab. Dann stimmte er leise und zögernd folgendes Liedchen an:

Ich schlich mich in den Garten

und braucht nicht lang zu warten:

Wie zum Hohn

grub man im Mohn.

Er kehrte zu der Eiche zurück, lehnte die Gusli dagegen und kratzte sich mit der Hinterpfote am Ohr.

»Arbeit, Arbeit!«, rief er. »Nichts als Arbeit!« Wieder legte er die Pfoten auf den Rücken, ließ die Eiche links liegen und murmelte vor sich hin: »Wie mir zu Ohren kam, o großer Kalif, lebte in der wunderschönen Stadt Bagdad ein Schneider namens …« Er ließ sich auf alle viere nieder, machte einen Buckel und fauchte grimmig. »Besonders mit diesen Namen ist es schlimm! Abu … Ali … Eben irgendein Ibn … Na schön, nennen wir ihn Poluekt. Poluekt Ibn … hm, äh … Poluektowitsch. Ich weiß sowieso nicht mehr, wie das mit diesem Schneider war. Ach, hol ihn der Teufel, nehmen wir was anderes …«

Ich lag bäuchlings auf dem Fensterbrett und traute meinen Augen nicht. Der unglückselige Wassili spazierte vor der Eiche auf und ab, murmelte vor sich hin, hustete, jaulte, graunzte und ließ sich vor Anstrengung auf alle viere nieder, mit einem Wort: Er quälte sich unsäglich. Sein Wissen war breit gefächert. Wenn er von jedem Text auch nur die Hälfte kannte, so waren das doch russische, ukrainische, westslawische, deutsche, englische, ja, ich glaube sogar japanische, chinesische und afrikanische Märchen, Legenden, Parabeln, Balladen, Lieder, Romanzen, Spottverse und Kehrreime. Die Verkalkung brachte ihn zur Raserei, ein paarmal schlug er seine Krallen wild in die Rinde der Eiche, fauchte und spuckte, und seine Augen glühten teuflisch, während sein buschiger Schwanz, der so dick war wie ein Holzscheit, bald steil in die Höhe ragte, bald krampfhaft zuckte oder gegen seine Flanken peitschte. Trotzdem war das Lied vom »Zeisig Dickbauch« das einzige, das er zu Ende brachte, und das Märchen »Von dem Haus, das Jack sich baute« in Marschaks Übersetzung das einzige, das er zusammenhängend, wenn auch leicht verstümmelt, wiedergeben konnte. Allmählich machte sich in seiner Aussprache ein immer stärkerer Katzenakzent bemerkbar, woran wahrscheinlich seine Müdigkeit schuld war.

»Übers Feld, übers Feld«, sang er, »zieht einsam ein Pflug, und … hm, mnäh … und … mnäh-a-u! … Und hinter dem Pflug … mi-au! … geht … oder schreitet? … der Herr selbst einher …«

Schließlich war er völlig erschöpft, setzte sich auf seinen Schwanz und hockte eine Zeit lang mit hängendem Kopf da. Dann ließ er ein leises, klägliches Mauzen hören, klemmte sich die Gusli unter den Arm und humpelte auf drei Beinen langsam durch das taunasse Gras davon.

Ich stieg vom Fensterbrett und riss dabei das Buch herunter. Ich wusste genau, dass es zuletzt »Das Schaffen von Geisteskranken« gewesen war, und glaubte nun, eben dieses Buch heruntergeworfen zu haben. Als ich es aufhob und wieder aufs Fensterbrett legte, war es jedoch »Die Aufklärung von Verbrechen« von A. Svensson und O. Wendel. Verwirrt schlug ich das Buch auf, überflog ein paar Absätze und hatte plötzlich das Gefühl, in der Eiche baumele ein Erhängter. Beklommen sah ich auf. Vom unteren Ast der Eiche hing ein nasser, silbrig grüner Haifischschwanz herab. Der Schwanz schaukelte schwerfällig im böig auffrischenden Morgenwind.

Ich fuhr zurück und prallte mit dem Hinterkopf gegen etwas Hartes. Irgendwo läutete ein Telefon. Als ich mich umblickte, sah ich, dass ich quer über dem Kanapee lag, die Decke war auf den Fußboden gerutscht, und ins Fenster schien durch das Eichenlaub hindurch die Morgensonne.

3

Mir kam in den Sinn, dass man die übliche Unterredung mit dem Teufel oder mit einem Zauberer vorteilhaft durch die geschickte Anwendung wissenschaftlichen Fachjargons ersetzen könnte.

H.G. Wells

Das Telefon läutete. Ich rieb mir die Augen, blickte aus dem Fenster (die Eiche war an Ort und Stelle) und sah nach dem Garderobenbrett (auch das Garderobenbrett hing an seinem Platz). Das Telefon läutete noch. Hinter der Wand, im Zimmer der Alten, rührte sich nichts. Da sprang ich vom Kanapee, öffnete die Tür (der Riegel war ebenfalls dort, wo er sein sollte) und trat in den Flur. Das Telefon läutete immer noch. Es stand auf einem Bord über einem großen Kübel – ein hochmodernes Gerät aus weißem Kunststoff, wie ich es bisher nur im Kino und im Arbeitszimmer unseres Direktors gesehen hatte. Ich nahm den Hörer ab.

»Hallo …«

»Wer ist da?«, fragte eine schrille weibliche Stimme.

»Wen möchten Sie denn sprechen?«

»Ist dort die Hüahü?«

»Was?«

»Ich frage, ob dort die Hütte auf Hühnerbeinen ist oder nicht. Mit wem spreche ich überhaupt?«

»Ja«, sagte ich. »Hier ist die Hütte. Wen wollen Sie sprechen?«

»Teufel noch eins«, versetzte die Frauenstimme. »Nehmen Sie einen Fernspruch entgegen.«

»Fangen Sie an.«

»Notieren Sie.«

»Einen Augenblick«, bat ich. »Ich hole mir nur Papier und Bleistift.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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