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Julius Stinde

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Beschreibung

Diese Sammlung der Werke von Julius Stinde enthält u. a.: Die Familie Buchholz. Buchholzen's in Italien Reise-Abenteuer von Wilhelmine Buchholz Jenseits der Alpen Von Verona nach Mailand Genua An der Riviera di Levante In der Siebenhügelstadt Am Golf von Neapel Allmälig heimwärts Frau Buchholz im Orient Wilhelmine Buchholz' Memoiren Emma das geheimnißvolle Hausmädchen Die Seerose Die Perlenschnur Die Gräfin aus der Rue vieux Jacques Der Recensent und das Gespenst Im Abgrund Eine wunderbare Kur Zu den Schlangen und Molchen Entlarvt Durch Nacht zum Licht Die Kolonial-Orgie Die schöne Spreewälderin Der Graf in der Poliklinik Das Haus in der Klosterstraße Der Untergang der Tyrannen Die Erbschleicher Das Brillanten-Halsband Das tanzende Todtenbein Die Tomaten des Todes Das Extrablatt Friederikens Beichte Des Pfarrers Tochter Die Seeräuber In höchster Noth Im Harem Vor dem Staatsanwalt Numero Eins Die Geier des Sultans Matthias, der große Räuber und Bandit Harems-Intriguen Der Roman des Räuberhauptmanns Die Greuel in den Kimberley-Gruben Das Blutdrama zu Jochenbrunn Die Amazonen Goldkönigs Ende Der Vampir Von Abgrund zu Abgrund Die Einbrecher Die Automobil-Hetzjagd Das schaudervolle Abenteuer im Thiergarten Im Banne der Schönheit Die Geheimnisse des Pensionats

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Table of Contents
Gesammelte Werke Julius Stindes
Die Familie Buchholz.
Aus dem Leben der Hauptstadt
Von Außen.
Ein Geburtstag
Musikalischer Bräutigamsfang
Auf der Ausstellung
Herr Buchholz hat Zahnschmerzen.
Spukgeschichten
Bei der Sylvesterbowle.
Ein magnetischer Thee.
Im Kremser.
Ein Polterabend in der dritten Etage.
Warum wir ins Bad müssen.
Badeleben
Wieder ein Jahresanfang.
Herrn Bergfeldt's Unglück
Der Erstgeborene.
»Auf einen Löffel Suppe«
Taufe
Eine Pfingsttour.
Sommerfrische
Erntefest
Geheimnisse.
Emmi's Trousseau.
Der letzte Kaffee.
Auf dem Bock.
Hochzeit.
Nach der Hochzeit.
Die erste Gesellschaft.
Onkel Fritzens Weihnachten.
Buchholzen's in Italien.
Reise-Abenteuer von Wilhelmine Buchholz.
Herausgegeben von Julius Stinde.
1884.
Io parlo per ver dire, Non per odio d'altrui, nè per disprezzo.Petrarca. Canz.XVI.
"Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?"
Statt einer Einleitung.
Aus dem Briefe des Verlegers an den Herausgeber.
Der Herausgeber an den Verleger.
Frau Wilhelmine Buchholz an den Herausgeber.
An den Verleger.
An den Herausgeber.
An den Verleger.
Zur zweiten Auflage.
Frau Wilhelmine Buchholz an den Herausgeber.
Der Herausgeber an Frau Wilhelmine Buchholz.
Frau Wilhelmine Buchholz an den Herausgeber.
Zur dritten Auflage.
Zur vierten u.s.w. Auflage.
Inhalt
Zurüstungen.
Warum Herr Buchholz nach Italien reiste und Frau Buchholz ihn begleitete. – Onkel Fritz. – Warum Frau Buchholz sich mit Frau Bergfeldt erzürnte. – Sprachstudien. – Kleidersorgen. – Betrachtungen über den historischen Boden.
Vorwärts.
Im Schlafwagen. – Herr Oehmichen. – Die Antike vom Standpunkte der Nützlichkeit. – Der erste Skat. – Herr Spannbein und die Kunstbrahminen. – Adam und Eva. – Warum die Festung Kufstein nicht eingenommen werden kann. – Wie Gebirgslandschaften gemalt werden. – Bozen. – Warum Herr Buchholz um eine Gardinenpredigt kam.
Jenseits der Alpen.
Die Gattin als Opfer der Regie-Zigarren. – Zollschrecknisse. – Warum es ein Glück ist, daß die Welt nicht von Malern regiert wird. – Verona. – Warum Italien der ewige Friede wünschenswerth ist. – Der Schutzengel in den Ruinen. – Molto interessante. – Thierkämpfe. – Wilhelmine Buchholz faßt eine Idee. – Julias Grab. – Der Halbgare. – Die Koffer.
Von Verona nach Mailand.
Wer der Halbgare war. – Flitterwochen. – Mailand. – Warum Frau Buchholz ihrem Manne das Opernglas wegnahm. – Ein Reinfall. – Warum die italienischen Schutzleute einen Frack tragen. – Ein marmorner Jourfix. – Warum Frau Buchholz wissen wollte, was die Mailänderinnen anziehen.
Genua
Das Land der Gesänge und die Quetschtenöre. – Pflichten einer reisenden Berlinerin. – Ueber Museen und Galerien. – Erfreuliche Fortschritte im Umgang mit den Eingeborenen. – Warum das Coupé gewechselt werden mußte. – Ein Brief an die Kinder. – Professor Quenglhuber. – Warum Herr Spannbein Polypen aß. – Warum die Buchholz fast eine Fee zu sein glaubte. – Der heilige Graal. – Warum Herr Buchholz Italien für kein Stehseidel hält.
An der Riviera di Levante
Feiertägliches. – Warum der Mensch kein Bohrwurm ist. – Eine außerordentliche Begegnung. – Warum Frau Buchholz sich vor dem Teufel fürchtet. – Das Gespenst. – Warum es große und kleine Uhren giebt. – Warum ein Trauerspiel nicht zu Ende gespielt wird. – Wie Onkel Fritz sich amüsirte. – Warum Frau Buchholz weiß, wieviel Einwohner Civita vecchia hat. – Warum die Reisenden bald um den Anblick von Rom gekommen wären. –
In der Siebenhügelstadt.
Warum die Engländerinnen unterwegs trauern. – Ein Gruß an Schwaben. – Warum Frau Buchholz nicht mit Mommsen übereinstimmt. – Warum Liebhabertheater gefährlich sind. – Warum Nero Nichts taugte. – Der neue Berliner Viehhof. – Warum der Apostel Petrus schlechte Aussicht hatte. – Warum der Vetturino doch kein Stiefel war. – Lina Morgenstern. – Warum Herr Buchholz für eine Memnonsäule angesehen wurde und Frau Buchholz zu dichten anfing. – Wie Hadrians Asche fliegen lernte. – St. Peter. – Warum Onkel Fritz Nasenbluten heuchelte. – Musikalisches. – Skat. –
Am Golf von Neapel.
Warum Frau Kliebisch keinen Sechsachteltakt und keine Zitronen vertagen konnte. – Die Abruzzen. – Vom Musik-Elend. – Die Räuber. – Gleichheit vor der Sonne. – Ein deutscher Tempel der Wissenschaft. – Santa Lucia. – Warum Frau Buchholz nicht im Museum sein mochte. – Warum der Neapolitaner mit keinem Berliner Banquier tauscht. – Neapel von draußen. – Der Hund und der Geizhals. – Pompeji und Spandau. – Die Fliegen und der Kapuziner. – Warum Frau Buchholz vor einem Fische knixt. – Warum der Vesuv wild wurde. – Capri. – Warum in Amalfi ein Loch im Fremdenbuche verehrt wird. – Addio mio bello Napoli. –
Allmälig heimwärts.
Warum Rom ein Stück Arbeit ist. – Beatrice Cenci. – Warum die Götter nicht für Berlin passen. Warum Frau Buchholz eine Giraffe sein darf. – Warum die heilige Praxedis auf einem Stein schlief. – Tivoli. – Warum Frau Buchholz geknufft werden wollte. – Warum die Schwiegersöhne in Berlin theuer sind. – Warum Herr Spannbein sich mit dem Professor erzürnte. – Florenz. – Warum Frau Buchholz Italien umsonst besucht hat. – Warum Onkel Fritz ein Couplet sang. – Venedig. – Der letzte Abend in Italien. – Wieder in Berlin. –
Frau Buchholz im Orient
Den Landsleuten im Orient
Inhalt:
Auf dem Mittelmeer.
Alexandrien.
Durch das Delta.
Kairo, die Wüstenstadt.
Eine Landparthie nach den Pyramiden.
Wanderungen durch Kairo.
Nach dem oberen Nil.
Zweiter Aufenthalt in Kairo.
Das gelobte Land.
Von Jerusalem nach Athen.
Konstantinopel.
Heimwärts.
Wilhelmine Buchholz' Memoiren
Inhalt.
Ein Antwortschreiben.
Dienstmädchennoth.
Eine kleine Handarbeit.
Emmis Räthsel.
Geschäftliche Pflichten
Sonntagsruhe.
Eine Aussprache.
Das Kind der Haide.
Strafgelder.
Musikalisch-Polizeiliches.
Ein frohes Ereigniß.
Heimsuchung.
Ein stilles Fest.
Die eigensinnige Pfeffernuß.
Großer Thee.
Ethisches.
Nach Harzburg.
Harz-Tage.
Eine Verlobungsfahrt.
Heirathen.
Unser aller Fest.
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Inhalt:
Vorrede für Verständige und sehr Verständige.
Die Gräfin aus der Rue vieux Jacques.
Der Recensent und das Gespenst.
Im Abgrund.
Eine wunderbare Kur.
Zu den Schlangen und Molchen.
Entlarvt.
Durch Nacht zum Licht.
Die Kolonial-Orgie.
Die schöne Spreewälderin.
Der Graf in der Poliklinik.
Das Haus in der Klosterstraße.
Der Untergang der Tyrannen.
Die Erbschleicher.
Das Brillanten-Halsband.
Das tanzende Todtenbein.
Die Tomaten des Todes.
Das Extrablatt.
Friederikens Beichte.
Des Pfarrers Tochter.
Die Seeräuber.
In höchster Noth.
Im Harem.
Vor dem Staatsanwalt.
Numero Eins.
Die Geier des Sultans.
Matthias, der große Räuber und Bandit.
Harems-Intriguen.
Der Roman des Räuberhauptmanns.
Die Greuel in den Kimberley-Gruben.
Das Blutdrama zu Jochenbrunn.
Die Amazonen.
Goldkönigs Ende.
Der Vampyr.
Von Abgrund zu Abgrund.
Die Einbrecher.
Die Automobil-Hetzjagd.
Das schaudervolle Abenteuer im Thiergarten.
Im Banne der Schönheit.
Die Geheimnisse des Pensionats.
Der Doppelselbstmord.
Der Wittwe Bekenntnisse.
In der Heimath der Putsche.
Brennende Liebe.
Das künstliche Alibi.
Aus den Schlingen des Bösen.
Der Prediger in der Wüste.
Der Segen der Arbeit.
Liebe und Ehre.
Hexensabbath.
Der spukhafte Gast.
Im Irrgarten der Politik.
Im Reiche der Mitte.
Unter dem Feudalregiment.
An den Stufen des Thrones.
Die Seerose
Die Perlenschnur
Die Perlenschnur

Julius Stinde

Theophil Ballheim, Dr. Böhm, Wilhelmine Buchholz, Julius Ernst, David Hersch, Julius Neuland, D. Quidam, J. Steinmann, Alfred de Valmy, Richard E. Ward

Gesammelte WerkeJulius Stindes

Die Familie Buchholz.

Aus dem Leben der Hauptstadt

Von Außen.

In der Landsberger Straße, welche vom Alexanderplatz nach dem Friedrichshain führt, und zum Postbezirk Nordost der Reichshauptstadt gehört, steht ein Haus, das sich von seinen Nachbarn rechts und links, gerade und schräg gegenüber dadurch unterscheidet, daß es keine Ladenschaufenster hat und an seiner Facade ein paar Pilaster aufweist, die ein Architekt ersonnen hat, der einmal griechisch bauen wollte und aus Versehen falsche Vorlageblätter in die Hand bekam, als er den Aufriß zu Papier brachte.

Aber diese beiden Wandpfeiler, welche von der ersten Etage bis fast an das Dach reichen und den zweiten Stock durchschneiden, geben dem Hause trotzdem ein gewisses feierliches Aussehen, so daß es sich vortheilhaft von den modernen Miethskasernen abhebt, denen die kleinen Gebäude Alt-Berlins allmälig zum Opfer fielen, die dort im Nordost noch hin und wieder anzutreffen sind, und nur auf das Weggerissenwerden zu warten scheinen. Sie werden sich auch wohl nicht lange mehr halten, denn die Pferdebahn, die schon so manches Alte aus früherer Zeit zu Grabe geläutet hat, klingelt bereits an ihnen vorbei.

Das Haus mit den mißverstandenen griechischen Pilastern wird sich aber noch eine Weile halten, denn als es entstand, schüttelten die Leute die Köpfe über den gewaltigen und prunkvollen Bau, der viel zu sehr gegen seine Umgebung abstach. Sollte vielleicht ein Prinz darin wohnen oder ein Graf? Die Vornehmen zögen nicht nach der Landsbergerstraße, die blieben unter den Linden oder in der Wilhelmstraße, wo die anderen Paläste stehen und die Kinder nicht in Pantinen herumlaufen. So sagten die Leute damals, und jetzt nach kaum einem Menschenalter paßt jenes Haus nur noch eben in das moderne Berlin hinein, weil es seiner Zeit auf den Nachwuchs gebaut wurde, wie der Sonntagsrock für den Dreizehnjährigen, dem die Arme und Beine quartalsweise länger werden. Aus dem vermeintlichen Palaste ist mittlerweile ein gut bürgerliches Haus geworden, und wer jetzt vom Alexanderplatze kommt, den Bahnhof der Stadtbahn, das schloßartige Hotel, die Markthalle und die anderen himmelaufstrebenden Neubauten bewundert, der wird, wenn er die Landsbergerstraße durchschreitet, nichts merkwürdig finden als das für die Nachwelt in Stuck erhalten gebliebene Gelüste des Architekten, einmal das Antlitz eines modernen Wohnhauses mit griechischen Motiven zu tättowiren.

Der eine Flügel des Hauses, dem der übliche Rundbogen nicht fehlt, ist am Tage meistens geöffnet, so daß man auf den Flur sehen kann und auf die Glasthüre, welche zum Hofe führt. Durch die mattgemusterten Glasscheiben schimmert es im Sommer grün, denn hinter dem Hause liegt ein kleiner Garten, in dem ein Apfelbaum und einige Fliederbüsche nach Luft und Licht ringen. Wenn der Steinkohlenrauch von der benachbarten Fabrik von feuchten Winden in den Hof hinabgedrückt wird, färbt er die spärlichen Apfelblüthen schwarz und dringt in die zarten Kelchröhren des Flieders, dem deshalb stets ein Beigeruch nach dem Schornstein anhaftet. Es wird auch jedes Jahr versucht, ein wenig Rasen anzusäen, aber die langen Keime, welche im Schatten unter dem Baume aufsprießen, bringen es nicht weit, denn was die Spatzen übrig lassen, scharren die Hühner aus der Erde. Wenn aber ein linder Mairegen gefallen ist und die Jungens in den überflutheten Rinnsteinen der Straße Papierkähne schwimmen lassen oder in Ermangelung derselben ihre Mützen, dann sieht der Garten hinter dem Hause aus als wäre der Frühling darin zu Gast. Und das ist schon sehr viel in dem großen weiten Berlin.

Groß und weit ist die Stadt geworden, so groß, daß der einzelne Mensch darin verschwindet. Wie ganz anders ist es dagegen in einer kleinen Stadt. Da kennt Einer den Andern, wenn auch nicht näher, so doch vom Ansehen, und wenn einmal ein Fremder durch die Straßen geht, so weiß Jeder, der ihn sieht, daß es wirklich ein Fremder ist. Es kann Jemand durch ganz Berlin wandern, Straße für Straße, ohne daß man ihn beachtete; er muß es für einen glücklichen Zufall halten, wenn ihm ein Bekannter oder Freund begegnet. Tausende hasten an ihm vorbei, sie sind ihm fremd, er ist ihnen fremd; fremd sind ihm die Mitfahrenden in dem Omnibus, in dem Pferdebahnwagen, im Waggon der Stadtbahn. Es überkommt ihn das Gefühl der Einsamkeit mitten in dem lauten Treiben des Tages und in dem Gedränge der Menschen. Die Einsamkeit ist nicht allein draußen im Walde daheim, auf dem Meere und in der Öde, sie hat ihre Stätte auch in der Millionenstadt.

Und doch ist jedes Haus dieser großen Stadt eine Heimath für die, welche darin wohnen, und die Straße, in der das Haus liegt, ist ein Bezirk, in dem es Nachbarn giebt wie in einer kleinen Stadt, in der man sich persönlich nahe steht oder doch wenigstens vom Ansehen kennt. Die Familien in den Häusern haben Verwandte und Bekannte, ganz so wie in einer kleinen Stadt, man hat seine Kreise ganz so wie dort und redet von den Angehörigen dieser Kreise ebensoviel Gutes und ebensoviel Böses, wie anderwärts. Der Unterschied besteht nur darin, daß es in der großen Stadt mehr Kreise giebt, als in der kleinen und daß sie schärfer von einander getrennt sind, weil sich die Einsamkeit der Großstadt dazwischen drängt. Sie gleichen jenem Garten, den die hohen Mauern der Nachbarhäuser einschließen, dessen grünen Schimmer der Vorübergehende nur gewahrt, wenn das Hausthor offensteht. Der Fliederbaum blüht nicht für Jedermann, wie in den Anlagen des Lustgartens, wo die weißschäumenden Strahlen der Springbrunnen sich hoch in die Luft erheben und das blühende Gebüsch netzen, das sie umhegt, wenn der Wind mit den glitzernden Tropfen spielt.

Über das öffentliche Leben der Großstadt wird täglich von den Zeitungen Protokoll geführt. Wir erfahren gewissenhaft, wann die ersten Knospen im Thiergarten sich entfalten, aber über die ersten Blüthen jenes Apfelbaumes wird keine Zeile gedruckt, denn er ist ein privater Apfelbaum und hat als solcher kein Anrecht an der Druckerschwärze, es sei denn, daß er irgend etwas Außerordentliches leiste, im Herbste noch einmal wieder anfängt jung zu werden, oder vor Altersschwäche stürzt und dabei Unheil anrichtet. Und so ist es auch mit dem Privatleben in den Häusern und mit dem Thun und Treiben in den vielen Kreisen. Nur außergewöhnliche Vorkommnisse gelangen an die Öffentlichkeit: ein Einbruch, eine Feuersbrunst, ein besonderes Unglück oder ein fröhliches Ereigniß seltener Art. Von Tausenden und aber Tausenden erfährt die Welt nichts, die wandeln ihren Weg von der Geburt bis zum Tode mitten in der großen Stadt wie in stiller Verborgenheit, und doch schlägt ihnen ein Herz in der Brust, das liebt und haßt, Freude empfindet und Leid, weil es ein Menschenherz ist.

Auch die Familie Buchholz in der Landsbergerstraße würde zu jenen Tausenden gehören, wenn nicht ein Erlebniß ärgerlicher Natur der Frau Wilhelmine Buchholz die Veranlassung gegeben hätte, ihre Entrüstung der Öffentlichkeit zu unterbreiten und aus der Verborgenheit hervorzutreten. Mit dem ersten Briefe, den sie an die Redaktion einer Berliner Wochenschrift sandte, war sie der Presse verfallen, denn ein Brief folgte dem andern und jeder gewährte einen Einblick in das Privatleben der Familie und in den Kreis ihres Verkehres. Frau Wilhelmine öffnete nicht allein das Gartenthor, sondern sie schnitt auch, wenn es an der Zeit war, eine Handvoll von dem Flieder für solche Leute ab, die der Schornsteingeruch nicht störte. Sie meinte: »Orchideen wüchsen nicht in der Landsbergerstraße; einfache Bürgersleute hätten kein Treibhaus.«

Sie hat Recht. Wem die Schilderung des kleinbürgerlichen Lebens der Reichshauptstadt nicht gefällt, dem bleibt es unbenommen, sich einen Roman zu kaufen, in denen [!] Grafen und Comtessen gebildete Conversation führen. Wen es aber interessirt, zu erfahren, wie sich intimes Familienleben in der Einsamkeit der großen Stadt gestaltet, der wird an den Sorgen und den Freuden der Frau Wilhelmine Antheil nehmen und ihre Briefe als Skizzen aus dem Leben der Hauptstadt betrachten, die nicht blos aus Asphaltstraßen und langen Häuserreihen besteht, sondern aus vielen, vielen Heimstätten, deren Thüren dem Fremden verschlossen bleiben.

Ein Geburtstag

Ich bin nur eine einfache Frau, Herr Redakteur, und das Schreiben ist meine Sache durchaus nicht, aber da in Ihrem Blatte, welches ich so gerne lese, doch auch manchmal Gegenstände zur Sprache kommen, die nur von Frauen richtig erfaßt und behandelt werden können, so wage ich es, als vorsorgliche Mutter, Ihnen mein Herz auszuschütten und bitte Sie, den Stil, wo er reparaturbedürftig ist, gütigst ausbessern zu wollen. Es wäre mir nämlich peinlich, wenn meine Töchter Fehler in meinem Schreiben entdecken sollten, so etwas würde meine bisherige Autorität schädigen. Sie glauben gar nicht, wie die Kinder heut zu Tage es weit in der Schule bringen.

Nun aber zur Sache.

Vor zwei Weihnachten schenkte Onkel Fritz den Kindern ein Puppentheater, womit wir auch ganz einverstanden waren, weil sie ruhig sind, wenn sie sich damit beschäftigen. Selbst wenn der kleine Krause zu Besuch kommt und Heimreichs Dreie aus der Müllerstraße, geht es ohne Lärm her, sobald sie das Puppentheater vorhaben. Sonst spielten sie immer: »Wie gefällt dir dein Nachbar«, oder »Räuber und Soldat«, wobei es nie ohne Spektakel abging und einmal sogar die Scheibe von der Servante eingestoßen wurde, worin das gute Porzellan steht, das Gott sei Dank unversehrt blieb. Mein Mann schenkt den Mädchen daher auch hin und wieder einige Groschen, damit sie sich Bilderbogen kaufen und neue Figuren für das Theater zurechtpappen können, es ist das immer noch vortheilhafter, als wenn etwas entzweigebrochen wird. Die Scheibe vom Spinde kostete baar acht Mark. Neulich war nun Emmi's Geburtstag, und weil es doch ein Aufwaschen war, so bat ich die Alten auch, während Emmi, wie wir das so gewohnt sind, ihre Kindergesellschaft hatte.

Den Kindern war das Eßzimmer überlassen, und nachdem sie ihre Chokolade bekommen hatten (notabene mit der nöthigen Portion Kuchen), bauten sie das Puppentheater auf und stellten Stühle davor, ordentlich wie im Theater. Dann kam der kleine Krause und lud uns Großen ein, die Vorstellung zu besuchen, und wir gingen denn auch Alle hin, um den Kindern den Gefallen zu thun. Wir Damen saßen gleich vorne an, die Herren mußten aber an der Wand stehen, denn das Geschlepp mit den Plüschstühlen aus der guten Stube dulde ich nicht.

Als wir nun so sitzen und der Dinge harren, die da kommen sollen, sagt Frau Heimreich zu mir, daß sie im Ganzen nicht sehr dafür wäre, daß die Kinder sich mit Komödie beschäftigten, es machte siesophantasiereich. Ich erwiderte ihr darauf: »Im Gegentheil, es bildet Herz und Gemüth und ist eine bessere Beschäftigung, als das Skandalmachen, wobei leicht Spiegelscheiben von Schränken eingerannt werden.« – Den Stich hatte sie weg, denn ihre Agnes war damals Schuld an dem Malheur gewesen, und so schwieg sie denn auch still.

Endlich ging der Vorhang auf. Onkel Fritz fing an zu applaudiren, obgleich noch kein Wort gesprochen war; er mußte wohl meinen, im Viktoriatheater zu sein, wo die Dekorationen immer den meisten Beifall bekommen. Hier war jedoch gar nichts zu beklatschen, denn die Szenerie stellte ein einfaches Zimmer dar, an dem unsereins nichts Bemerkenswerthes finden konnte. Aber Onkel Fritz will einmal als Kenner gelten.

Nun fingen die Kinder an zu sprechen. Meine Emmi schob eine der auf dem Theater befindlichen weiblichen Figuren nach vorne und sagte ganz laut und vernehmlich:

»Guten Morgen, meine Damen. Nee, ich kann nicht anders, als Ihnen mein Herz ausschütten. Denken Sie sich, die Rosalie, das leichtsinnige Geschöpf, kokettirt nun auch schon mit meinem Wachtmeister.«

»Das fängt ja sehr nett an!« flüsterte Frau Heimreich mir zu. – »Wer wird denn gleich Alles auf die Goldwage legen!« sagte ich. Ein bischen sonderbar war mir aber doch zu Muthe geworden, allein der Heimreichen gegenüber wollte ich mir keine Schwäche anmerken lassen.

Die Kinder spielten weiter und Emmi fuhr fort:

»Na es ist auch kein gutes Haar an dem Frauenzimmer. Hat sie Ihnen nicht auch Ihre Liebhaber abspenstig zu machen gesucht, das fatale Ding?«

»Ja freilich! Ja freilich!« antworteten die anderen Kinder im Chor und bewegten die Puppen an ihren Drähten, als wenn die gesprochen hätten. Sogar der kleine Krause stimmte mit ein, weshalb er vom Theater weggewiesen wurde und weinerlich hinter dem Bettschirmhervorkam, mit dem die Kinder das Puppentheater auf der einen Seite verstellt hatten, damit man sie nicht sehen konnte.

»Mir scheint, die Sache wird immer heiterer!« sagte Frau Heimreich ziemlich laut. Ich that, als wenn ich nicht merkte, was sie meinte, und sagte deshalb zum kleinen Krause: »Komm nur zu mir, Eduard, von hier siehst Du's am allerbesten!« – »Ich denke, das Kind thäte gut, wenn es von solcher Art Komödie gar nichts sähe,« bemerkte Frau Heimreich spitz. Ich schwieg. Nun erschienen auf der Bühne zwei Puppen, die davon redeten, daß sie heimlich verheirathet seien, einen Sohn hätten, von dem die Eltern nichts wüßten, und dergleichen Anzüglichkeiten mehr. Hierauf kam ein alter Sünder, welcher der Rosalie die Cour machen wollte und zwei Flaschen Champagner mitbrachte, auf die er zwei Zehnthalerscheine geklebt hatte. Frau Heimreich machte in einem fort spöttische Bemerkungen. »Das bildet wohl Herz und Gemüth?« gab sie mir zurück. »Besser ist denn doch, die Glasscheiben nehmen Schaden, als die jungen Kinderseelen!« – Konnte ich ihr Recht geben? Ich hätte es wohl eigentlich müssen, allein sie war zu impertinent, so daß ich nur sagte: »So etwas wie auf der Bühne kommt im Leben oft genug vor!« – »Derlei Erfahrungen habe ich nicht gemacht!« höhnte sie. – Ich hätte ihr dies und das anthun können, aber Recht sollte sie doch nicht haben. »Wenn man sich blind und taub stellt, sieht und hört man natürlich nichts von der Welt!« erwiderte ich. Zum Glück fiel der Vorhang und der erste Akt war vorbei. Onkel Fritz und der kleine Krause waren die einzigen, die applaudirten, ich klatschte natürlich auch mit, blos um Frau Heimreich zu zeigen, daß ich mich an ihr Geschwätz durchaus nicht kehrte.

Nun kam der zweite Akt. Es wurde ein Kind ausgesetzt, die Rosalie findet es, ein Mann sagt ihr auf den Kopf, es wäre das ihre. – »Ich bin Stickmamsell, wie käme ich denn zu so was!« ruft meine Emmi, welche die Rolle der Rosalie zu sprechen hatte.

Mir war es schon zu verschiedenen Malen heiß und kalt übergelaufen und jetzt konnte ich nicht länger an mir halten. – »Nun ist's aus mit der Komödie!« rief ich, »das geht mir denn doch über allen Spaß!« und sprang auf. »In Ihrem Hause lernen die Kinder allerliebste Dinge!« rief Frau Heimreich. »Ha, ha! Herz und Gemüth! Ja die finden ihre Rechnung. Das muß man sagen!« Hierauf rief sie: »Agnes, Paula, Martha, Ihr kommt zu mir, von solchem Unfug will ich nichts wissen. Wir sind eine respektable Familie, Euer Großpapa, mein seliger Vater, hatte den rothen Adlerorden.«

»Aber man blos vierter,« warf ich ein, denn wenn sie nur irgend kann, bringt sie den alten Mann mit seinem Orden auf's Tapet. – Die Kinder kamen hinter dem Bettschirm mit trübseligen Gesichtern hervor. Meine weinten laut und der kleine Krause fing mit an zu heulen. Es war das reine unterbrochene Opferfest.- »Was haben wir denn gethan, daß Du so böse bist, Mama?« flennte Emmi. – »Ach was!« sagte ich, »wie könnt Ihr so dummes Zeug aufführen!« – »Blos dumm?« fragte die Heimreich. – »Wo habt Ihr das Stück her?« inquirirte ich. – »Vom Buchbinder!« antwortete Emmi und brachte mir ein Büchlein, dessen Titel lautete: »Eine leichte Person. Posse in drei Akten von Büttner und Pohl. Für Kindertheater bearbeitet von Dr. Sperzius. Neu-Ruppin, Verlag von Oehmigke und Riemschneider.« – »Das mag ein schöner Doktor sein, der Spuzius oder Sperenzius,« sagte Frau Heimreich. »Schämen sollte er sich.« – Nun mischte Onkel Fritz sich dazwischen. »Eine sehr gute Posse,« sagte er, »sie ist unzählige Male auf großen Bühnen gegeben.« »Ja wohl!« rief ich, »eine Posse für einzelne Herren. Aber was Dir als ledigem Junggesellen gefällt, braucht deshalb noch immer nicht gut zu sein. Ich hoffe nicht, daß Du sie gesehen hast, Karl?« fragte ich meinen Mann. Er erinnerte sich nicht genau.

Nun bohrte Frau Heimreich wieder nach. Ich, als Mutter, hätte nicht dulden müssen, daß solche Bücher in mein Haus kämen, worauf ich sagte, daß ich mehr zu thun hätte, als darauf zu achten; in meinem Hause könnten die Leute, die zu Besuch kämen, ihren Namen nicht anstatt der Visitenkarte in den Staub schreiben, der fingerdick auf den Möbeln läge. Ein Wort gab das andere und sie verließ uns, indem sie sagte, sie würde nie wiederkommen, ebensowenig wie sie ihren Kindern ferner gestattete, ein solches Gomorrha wieder zu betreten, wie unser Haus sei. Das war mir ganz recht, denn meine beiden sind eigentlich schon zu groß für Heimreich's drei Jüngsten und wenn die Heimreichen sich auch mit ihrer Moral brüstet, so bin ich doch der festen Meinung, daß sie nur so lange fromm ist, als sie Sonntags in der Kirche sitzt.

Die Kinder weinten schrecklich, als die Heimreichs davongingen. Ich gab ihnen Chokolade und Kuchen, obgleich sie erst vor Kurzem genug gehabt hatten, aber Kinder haben immer noch Platz und das war in diesem Fall sehr gut, denn so wurden d i e wenigstens ruhig. Wir hatten zwar ziemlich lange Umgang mit Heimreichs gehabt, aber des Menschen Wille ist ja sein Himmelreich. Sie wollte es einmal nicht anders. Außerdem wohnen sie ganz hinten in der Müllerstraße, und das ist von uns ein entsetzliches Ende. Krauses blieben noch und als wir wieder in der guten Stube saßen, kam die Rede natürlich auf das infame Buch, das soviel Unheil angerichtet hatte. Herr Krause meinte, es sei unverantwortlich, solches Zeug den Kindern in die Hände zu geben. Onkel Fritz entgegnete, die seien viel zu dumm, als daß sie wüßten, warum[!] es sich eigentlich handelte. »Aus kleinen Kindern werden große!« sagte mein Mann. »Jugendeindrücke haften fürs ganze Leben!« sagte Frau Krause. »Die Kinder hätten ja nur 'Schneewittchen' oder 'Rübezahl' oder Derartiges aufführen können,« rief ich, »daß ihnen auch gerade solche Dummheit in die Hände gerathen mußte, wie die leichte Person.«

Onkel Fritz meinte, wir hätten die Komödie ruhig zu Ende spielen lassen sollen, das wäre besser gewesen, als unnützes Aufsehen zu machen. – Ich wusch ihm aber nicht schlecht den Kopf, denn Onkel Fritz ist mein jüngster Bruder. Sein albernes Theater sei an Allem Schuld, behauptete ich. Er wälzte sie jedoch von sich ab auf den Buchbinder und den Dr. Sperrenzius oder wie er heißt. Es gab eine allgemeine Verstimmung.

Nun frage ich Sie, Herr Redakteur, ist es zu verantworten, daß Fabrikanten und Händler unter der harmlosen Bezeichnung »für Kindertheater bearbeitet« Schriften zum Verkauf bringen, die für die Kinderwelt passen, wie die Faust aufs Auge? Wo ist ein Gesundheitsamt für die Verfälschung der geistigen Nahrungsmittel?

Das Geburtstagsfest war allerdings gründlich gestört – Schuld hatte die Heimreich auch . . . . . aber das habe ich als Lehre daraus genommen, die Lektüre meiner Beiden wird von heute ab von mir und meinem Manne überwacht, in das Paradies ihrer Kindheit kommt mir ein solches Giftgethier nicht wieder. Krausens sind ganz meiner Meinung und vielleicht sind es andere Familien auch, wenn sie erfahren, wie es mir ergangen ist. Sie sind nicht Mutter wie ich, aber ich hoffe, Sie werden mir in dieser Angelegenheit beistehen, Herr Redakteur.

Ihre ergebene

Wilhelmine Buchholz, geb. Fabian.

P. S. Das Buch füge ich bei. Sie sehen, daß ich die schlimmsten Stellen gar nicht angeführt habe.

Musikalischer Bräutigamsfang

Sie waren damals so nett und druckten die fatale Geschichte ab, welche auf meiner Emmi Geburtstag passirt war, als die Kinder das alte gräßliche Komödienstück auf dem Puppentheater spielten und ich mich mit der Heimreich erzürnte. Sie ist noch nicht wieder bei uns gewesen und die Krausen von nebenan, die eine sehr verständige Frau ist, meint auch, ich würde mir etwas vergeben, wenn ich den ersten Schritt thäte.

Nun muß ich Ihnen aber erzählen, wie ich neulich überrascht wurde. Ich sitze also und denke an rein gar nichts, als es klingelt und der Postbote kommt und das dazu mit einer Geldanweisung für mich. Erst wollte ich es gar nicht glauben, aber ich mußte ja quittiren und er legte die Goldstücke auf den Tisch. Es war das Honorar für das, was ich für Sie geschrieben hatte; nein, ich hatte es wirklich nicht erwartet und dann so viel, ich war ganz außer mir und fing an zu weinen und die Kinder auch. Das Geld lag auf dem Tisch, ich dachte, es würde vor meinen sichtlichen Augen verschwinden, wenn ich es anrührte, und hätte geglaubt, der Postbote wäre ein Gespenst aus einem Zaubermärchen gewesen, wenn er die Stube nicht so voll getreten hätte.

Mein Mann sagte: »Ich kann ordentlich stolz auf Dich sein, Wilhelmine, das hast Du nun so mit dem Schriftstellern verdient.« – »Karl,« sagte ich zu ihm, »ich bin mitunter wohl etwas heftig gegen Dich gewesen, es soll nicht wieder vorkommen, nein, ganz gewiß nicht.« Er umarmte mich und gab mir einen Kuß und ich mußte wieder anfangen zu weinen. Emmi und Betti klammerten sich an mich, als sie sahen, daß ich mich immer noch nicht beruhigen konnte, und wischten sich auch die Augen. »Laßt gut sein, Kinder,« beschwichtigte ich sie, »es ist ja nur die Freude. Wenn blos die Heimreich das sehen könnte, wie würde die sich ärgern!«

»Was willst Du nun mit dem Gelde anfangen?« fragte mein Mann. – »Das bewahre ich zum ewigen Andenken auf,« antwortete ich, »oder wenn es nicht anders ist, so kaufe ich mir einen neuen Hut dafür, der alte ist durchaus nicht mehr modern. Die Krausen hat sich kürzlich auch erst einen neuen angeschafft.« – Die Kinder meinten auch, es wäre das Beste, wenn ich den Hut kaufte. So gab ich denn ihrem Drängen nach und wir gingen alle drei ins Modemagazin. Weil aber noch ein kleiner netter Rest von dem Gelde übrig blieb, das der Postbote gebracht hatte, sagte ich: »Dafür wollen wir uns einen vergnügten Tag machen. Wir gehen heute Abend ins Konzerthaus bei Bilse; ich setze den neuen Hut auf und Papa holt uns nachher ab.«

Der Jubel von den Kindern war unermeßlich, und weil wir doch einmal unterwegs waren, gingen wir in eine Konditorei und ließen uns Chokolade geben mit Schlagsahne darauf und etwas Angenehmes zum Knabbern dazu. Es war allerliebst. –

Am Abend machten wir uns rechtzeitig auf den Weg, um einen guten Platz bei Bilse zu bekommen. Als wir nun in den Saal treten, sehe ich da bereits eine Freundin von mir an einem Tisch sitzen. Wir gingen heran und begrüßten uns. »Guten Abend, Frau Bergfeldt,« sagte ich, »sieht man Sie auch mal wieder? Nein, und wie ihre Auguste herangewachsen ist, seit ich sie nicht gesehen habe!« – die Bergfeldten meinte auch, daß ihre Tochter sich sehr herausgemacht hätte. – Na, ich sah gleich, daß es nur das Kleid war, welches das Mädchen so groß machte, ganz modern mit Schleppe und Cuiraßtaille und die Haare vorne ins Gesicht herunter gekämmt wie eine Ponnymähne. Bei meinen würde ich so etwas nicht leiden, obgleich der Betti bereits ebensogut solches Kleid passen würde, wie Bergfeldtens Auguste, die freilich schon vor zwei Jahren konfirmirt wurde, aber noch sperrig und ungelenk ist, daß es eine Sünde und Schande ist, sie wie eine Erwachsene zu kleiden. Nun, wer so spitze Ellbogen hat, thut freilich am besten, lange Ärmel zu tragen.

Wir nahmen Platz, aber als Emmi sich neben Auguste setzen wollte, sagte die Bergfeldten, der Stuhl wäre vergeben, ihr Emil käme noch nach. Ich sagte, »es sind ja zwei Stühle frei, an einem wird Ihr Emil wohl genug haben;« – Da gab sie mir zur Antwort, ihr Emil würde noch einen Freund mitbringen, und wurde ganz verlegen. – »Aha,« dachte ich, »hier spinnt sich etwas an. Aufgepaßt!«

Es dauerte denn auch nicht lange und Emil kam richtig mit seinem Freunde an, der, wie sich nachher herausstellte, ebenso wie Emil auf den Assessor studirt, wozu er jedoch noch ein paar Jährchen Zeit hat. Wie ich nicht anders erwartete, setzte sich der Freund neben die Auguste, die roth bis hinter die Ohren wurde und sich von nun an noch linkischer benahm, als zuvor. Emil kam bei meiner Betti zu sitzen und so war unser Tisch denn komplet.

Das Konzert begann, und kaum fingen die Musiker an zu spielen, als die Bergfeldt einen Strickstrumpf aus der Tasche holte und darauf losstrickte, als wollte sie das Entree wieder verdienen. So lange die Musik langsam und feierlich war, strickte sie ganz ruhig, aber als nachher ein Walzer gespielt wurde, fuhr ihr der Takt in die Finger und sie ließ so viele Maschen fallen, daß ihre Auguste alles wieder auftrennen mußte, was sie fertig gebracht hatte. Nun konnte ich mir auch erklären, warum der Strumpf so grau aussah.

Ich bin ja sehr für den häuslichen Fleiß und hasse das Müßiggehen, aber wenn man seinen Geist im Konzert bilden will, kann man doch die Aufmerksamkeit nicht zwischen einer Symphonie und dem Strumpf theilen. Auch glaube ich nicht, daß Beethoven seine himmlischen Eingebungen komponirte, damit dazu gestrickt werden sollte. Und wie großartig ist solche Symphonie, wenn sie Alle vier Kellertreppen tief in Gedanken dasitzen, und man meinen muß, sie könnten höchstens durch einen Eimer kaltes Wasser wieder zu sich gebracht werden. Das ist die Macht der Musik!

In den Zwischenpausen unterhielten wir uns recht gut. Emil ließ sich mit meiner Betti in ein umfassendes Gespräch über die deutsche Literatur ein und da Betti erst kürzlich etwas von der Marlitt gelesen hatte, so wußte sie recht gut Bescheid; sie fand auch, daß die Marlitt ihre Charaktere außerordentlich schildert und hielt es für durchaus richtig, daß der Baron erschossen wurde und der brave charaktervolle Ingenieur die Gräfin kriegte. Wenn die Kinder etwas lernen, können sie nachher auch ein Wort mitsprechen.

Bergfeldtens Auguste und der Student redeten fast keine Silbe miteinander, aber von Zeit zu Zeit warfen sie sich schief von der Seite verliebte Blicke zu, die gerade genug sagten. Die Bergfeldten that aber, als wenn sie gar nichts bemerkte, im Gegentheil nannte sie den Studenten immer »lieber Herr Weigelt« und fragte, wie es ihm ginge, was seine Eltern machten und warum er die Pulswärmer nicht trüge, die Auguste ihm gehäkelt habe? »Sie wollen den jungen Mann wohl warm halten, weil Sie ihm Pulswärmer schenken?« flüsterte ich ihr leise zu, ohne etwas Übles bei dem Scherz zu denken. Sie aber warf einen höhnischen Blick auf meinen neuen Hut und sagte: »Wir sind für das Nützliche und nicht für Flitterstaat und Tand!« – Ich war sprachlos. Meinen neuen Hut Tand zu nennen!. Ja, wenn ich ihn geborgt, oder meinem Karl das Geld dafür abgezwackt hätte, das wäre etwas Anderes gewesen. Als ich mich gefaßt hatte, erwiderte ich: »Natürlich, wenn der Mann Alles allein verdienen muß, ist es unrecht von der Frau, die Mode mitzumachen.« Das hatte sie weg.

Während der zweiten Abtheilung aßen wir den Kuchen, den ich mitgebracht hatte; die beiden jungen Herren steckten sich eine Cigarre an, und je schöner die Musik wurde, um so näher rückten sich der Student und Bergfeldtens Auguste. Ich sagte gar nichts weiter und bemerkte nur, als die Kapelle in einem sehr zu Gemüthe sprechenden Potpurri die Melodie: »Ach, wenn du wärst mein eigen« spielte, daß die Zwei Hand in Hand da saßen und sich anschmachteten.

Endlich war das Konzert aus; mein Karl und Herr Bergfeldt erwarteten uns auf dem Flur und wir gingen in eine Restauration, wo wir ein Separatzimmer nahmen, um gemüthlich beisammen zu sein. Mein Karl hatte Herrn Bergfeldt erzählt, woher ich meinen neuen Hut hätte, und er gratulirte mir und sagte, nun gehörte ich auch zu den deutschen Schriftstellerinnen, worauf seine Frau sagte – es war ja nur der Neid über den Hut, der sie reden hieß – Damen, welche am Schreibtische säßen, kümmerten sich nicht viel um den Hausstand und die Familie. – »So?« erwiderte ich. »Jedenfalls kümmere ich mich mehr um meine Töchter, als Sie sich um die Ihrige, ich würde nie leiden, daß meine Älteste eine Liebschaft mit einem Studenten anfinge, wie Ihre Auguste.« – Na, das Wort fuhr denn dazwischen, wie eine Bombe. – »Was ist das?« rief Herr Bergfeldt, »Herr Weigelt, ich will nicht hoffen – – – .« »O Gott, Papa!« rief Auguste. – »Franz meint es aufrichtig,« sagte die Bergfeldt. – »Welcher Franz?« fragte Herr Bergfeldt heftig. – »Nun, Herr Weigelt,« erwiderte sie, »er liebt Auguste treu und innig .....«

»Ich bitte Sie um ein Wort,« wandte sich Herr Bergfeldt an den jungen Studenten, der aufstand und dessen Aussehen wurde wie konfiszirte Milch. Du mein Gott, wie er zitterte. Wie so eine neumodische elektrische Klingel. Er konnte Einen wirklich dauern.

»Was sind Sie?« fragte Herr Bergfeldt.

»Student der Rechte.« – »Wo haben Sie meine Tochter kennen gelernt.« – »Bei Bilse.« – »Und sie lieben sich so sehr!« rief die Mutter. – »Ach ja, Papa!« weinte Auguste. – »Aber Sie sind noch zu jung zum Heirathen und auf weite Aussichten hin giebt ein Vater seine Tochter nicht.« – »O Papa, Du brichst mir das Herz,« schluchzte Auguste, »Franz ist so gut.'« – »Willst Du unser Kind unglücklich machen?« fragte die Mutter. – Der Student stand vor Herrn Bergfeldt, wie ein armer Sünder im Verhör und konnte kein Wort hervorbringen. – »Werden Sie für das Glück meines Kindes sorgen?« wandte sich Herr Bergfeldt an ihn. »Wollen Sie mir versprechen, fleißig zu sein, Ihre Examina zu machen, solide zu leben und mein Kind – meine Älteste – meine Erstgeborene – –.« Hier konnte er nicht weiter. Auguste war ganz aufgelöst in Thränen. Und als die Mutter nun rasch die Hände der beiden jungen Leute ineinanderlegte und sagte: »Ich segne Euch, meine Kinder,« da fingen meine Beiden ebenfalls an. Es war auch zu rührend, denn ich selbst hatte Thränen in den Augen aber im Stillen mußte ich mir doch sagen, daß die Partie mindestens übereilt war. Er hat sein Brod nicht . . . . . und sie mit den spitzen Ellbogen! Er wird sich wundern, wenn er sie zu sehen bekommt.

Obgleich die Bergfeldten nicht artig gegen mich gewesen war, so gratulirte ich ihr doch und sagte, ich hoffte, daß sie nie bereuen möge, ihr Kind so früh mit einem so sehr jungen Manne verlobt zu haben. Daß er jung war, sah man ja auf den ersten Blick an den Finnen im Gesicht und den paar Bartstoppeln; ich hätte ihn nicht zum Schwiegersohne haben mögen, denn etwas geb' ich stets auf das Äußere. Wozu hätte ich mir sonst den neuen Hut angeschafft?

So feierten wir denn die Verlobung in aller Stille und versprachen auch, keinen Ton darüber zu reden, bis der Bräutigam sein Assessorexamen gemacht haben würde. Als wenn eine Verlobung verschwiegen bleiben könnte? Am nächsten Tage weiß es die Waschfrau und in einer Woche wissen es alle Bekannte, das kenne ich aus Erfahrung, weil es mir selbst so ging, als ich mit meinem Karl verlobt war und Vater die Sache noch geheim halten wollte. Mutter konnte nicht reinen Mund halten. Herr Bergfeldt war schweigsamer als gewöhnlich und drehte in einem fort Brodkügelchen zwischen den Fingern, während sie, die Bergfeldten, sich ein möglichst wonnestrahlendes Aussehen zu geben versuchte. Nun, ich will ja auch nicht leugnen, daß eine frisch verlobte Tochter das Mutterherz mit Stolz und Genugthuung erfüllen darf, aber doch nur dann, wenn man mit dem Bräutigam einigen Staat machen kann und er statt an den Haaren, mit den sanften Banden der Liebe herbeigezogen worden ist.

Herrn Bergfeldts Einsilbigkeit war Schuld daran, daß wir die Sitzung nicht zu lange ausdehnten. Er berappte Alles, auch was wir gehabt hatte, er war also gewissermaßen nobel, und das machte einen guten Eindruck. Auf dem Heimwege fragte ich meinen Karl, ob er nicht auch bemerkt hätte, daß der Bräutigam, so wie man bei uns in der Landsbergerstraße zu sagen pflegt, ein dämliches Gesicht gemacht hätte, als wenn ihm die ganze Verlobung ein bischen überrascht gekommen wäre? Karl meinte, der junge Mann wäre eine Padde (er drückt sich mitunter etwas familiär aus, mein guter Karl), sonst hätte er sich nicht so überrumpeln lassen, denn genau besehen, wäre die Mutter doch nur die Anstifterin von der Verlobung gewesen, die ginge nicht wegen der Musik zu Bilse, sondern nur, um ihre Tochter sehen zu lassen. Er fügte noch hinzu, daß es ihm unangenehm sein würde, wenn ich ohne ihn mit den Kindern ausginge.

Hierauf erwiderte ich, daß er sich auf mich verlassen könne, und ich schon dafür sorgen würde, daß unsere Kinder solche Partien nicht machten, und ich schon verstände, junge Leute ohne Aussichten zu verscheuchen. So gab denn ein Wort das andere, und wurde auch nicht eher Friede, als bis Karl schwieg. Das thut er immer, wenn wir nicht egaler Meinung sind, und ich ärgere mich um so mehr, weil ich dann nie weiß, was er im Stillen denkt. Es ist eben schwer, mit den Männern umzugehen.

Als wir zu Hause waren, fragte Betti, wann wir wieder nach dem Konzerthause gehen wollten, worauf Papa sagte, das hätte noch lange Zeit. Betti machte einen schiefen Mund und stotterte, sie hätte Bergfeldtens Emil aber versprochen, am nächsten Donnerstag wieder bei Bilse zu sein.

Der Schreck, den ich bekam, ich danke! Nun aber ging ich ins Geschirr und sowohl mein Mann, als die Kinder kriegten ihr Theil. Mein Karl, weil er nicht gleich mitgekommen war, Betti, weil sie mit dem Emil sich verabredet hatte, und Emmi, weil sie doch hätte sehen müssen, daß Emil und Betti miteinander redeten. Es war ungemüthlich, und der Tag, der so schön anfing, endete mit Kummer und Verdruß.

Als ich mit meinem Karl allein war, sagte ich: »Wir wollen auf die Mädchen Acht geben, solche Verlobungen, wie die heute bei Bergfeldtens, können doch uns nicht passen!« – Karl meinte, wenn die Mütter nur vernünftig wären, könnten keine Dummheiten passiren, selbst wenn die jungen Leute noch so liebenswürdig und die Musik noch so sentimental sei. Ich möchte nur wissen, was die Männer von solchen Sachen verstehen?

In zwei Jahren kann Bergfeldtens Emil vielleicht bereits Assessor sein und Betti ist denn doch zehnmal hübscher, als die spitzknochige Auguste, die nun schon Braut ist. Und was die Musik anbelangt, so spielen sie bei Bilse wirklich ausgezeichnet, nur der Paukenschläger haut auf sein Instrument, als sollte es entzwei werden und es wollte nicht. Warum soll man nicht öfter ins Konzerthaus gehen? Auch läßt sich nicht leugnen, daß Emil ein schmucker Mensch ist und namentlich einen blendenden Vicefeldwebel abgeben würde. Vielleicht auch Lieutenant.

*

Es trat eine lange Pause ein. Mittlerweile war der Sommer des Jahres 1879 herbeigekommen, an den der Berliner mit Freude zurückdenken wird, denn die Berliner Industrie hatte ein Festtagsgewand angezogen und hielt täglich großen Empfang auf der Gewerbeausstellung ab, für die in der Nähe des Lehrter Bahnhofes ein großes Gebäude errichtet worden war, das ein hübscher Park mit Anlagen, Wasserkünsten und freundlichen Pavillons aller Art umgab.

Vor der Ausstellung war dieser Platz eine kleine Privatsandwüste, ein unangenehmes Terrain, auf dem sich selbst das Gras zu wachsen weigerte. Und nun hatte man einen Garten daraus gemacht, aber ohne Zauberei, nur durch Arbeit und das erforderliche Kleingeld. Schade, daß wir nicht auch in fremden Welttheilen den nöthigen Grund und Boden haben, um deutscher Kultur und Industrie Heimstätten zu bereiten ..... es sollten schon prächtige Plätze werden.

In dem Ausstellungspark standen damals bereits die Bogen der Stadtbahn, über welche die Züge noch nicht hinwegsausten in die weite Welt hinein, aber die großen Gewölbe wurden als Ausstellungsräume benutzt und eins derselben war sogar in eine altdeutsche Weinstube verwandelt worden, denn das Antike fing gerade an Mode zu werden. Mit einigen Fenstern von grünem Glase und einem Topf voll brauner Farbe kann man jedes Lokal ins Altdeutsche übersetzen.

Damals war es namentlich das Berliner Kunstgewerbe, welches Triumphe feierte, und das rapide Aufblühen dieser Industrie ist theilweise der Ausstellung zuzuschreiben; das belebende Sonnenlicht der Anerkennung brachte auch die nur erst halbgeöffneten Knospen zu voller Entfaltung.

Industrie und Gewerbe gaben ein Fest, das ganz Berlin mitfeierte, und gar bald konnte der Millionste Besucher der Ausstellung begrüßt und vor den Apparat des Photographen gesetzt werden, damit sein Bild der dankbaren Nachwelt erhalten bleibe. Die Berühmtheit ist eben ein sonderbares Ding. Einige machen ihr ganzes Leben lang vergebens Jagd darauf, Andern wird sie zu theil, ohne daß sie eine Ahnung davon haben. Unvermuthetes Glück soll, wie man sagt, das reinste sein.

Unter den neunhundertneunundneunzig Tausend Besuchern der Ausstellung, die vor dem Millionsten den Drehzähler passirten, befand sich auch die Familie Buchholz, wie wir aus einem Schreiben der Frau Wilhelmine erfahren, das gleichzeitig über den Grund ihres langen Schweigens Aufschluß giebt. Sie ist vielleicht die Einzige, deren Erinnerung an die Ausstellung keine ungetrübte genannt werden kann. Es giebt Leute, die dem Verdruß auf halbem Wege entgegengehen, anstatt ihm auszuweichen; dafür, daß unsere Freundin ihn auch auf der Ausstellung finden sollte, ist bei genauer Prüfung der Verhältnisse das Ausstellungskomité jedoch nicht verantwortlich.

Auf der Ausstellung

Sie haben gewiß schon oft gedacht, wie mag es wohl zugehen, daß die Buchholzen nichts von sich hören läßt, sie greift doch sonst hin und wieder zur Feder. Aber können Sie schreiben, wenn Sie ein solches Gallenfieber bekommen, daß Sie einen Doktor gebrauchen müssen, und sich dann später beim Gardinenaufstecken eine Nadel in den Finger rennen, als hätte man kein Gefühl und keine Nerven? – Nein, dann schreiben Sie auch nicht.

Nun fragen Sie sicher, wie ein Wesen von meiner Sanftmuth und Geduld mit einem Gallenfieber behaftet werden kann? Ich möchte jedoch Jemand sehen, der ruhig bliebe, wenn ihm passirt, was mir geschehen ist.

Und was hatte ich gethan? Nichts, reinweg gar nichts. Ich hatte nur geäußert, daß die Bergfeldten dem jungen Studenten ihre Auguste aufgehängt hätte, und diese harmlose Äußerung war ihr hinterbracht worden. Ich dachte mir weiter gar nichts Böses dabei, denn es war die unverfälschte Wahrheit. Dies hat die Bergfeldten jedoch schrecklich übelgenommen, und so schrieb sie mir denn einen empörenden Brief, in welchen sie sagte, daß, wenn sie wollte, sie von meinem Karl Geschichten erzählen könnte, worüber die Leute sich sehr amüsiren würden. Ich zeigte meinem Manne den Brief und sagte: »Karl, lies, was diese Person geschrieben hat, und dann geh' gleich zum Staatsanwalt und verklage sie.«

Mein Karl las den Brief und antwortete zögernd, daß er keinen Grund zum Einschreiten darin finden könnte. – Mir war, als rührte mich der Schlag. Ich sank wie vernichtet auf das gute Sopha und rief: »Also Du fühlst Dich schuldig, Deine Vergangenheit ist eine verschleierte, dies elende Weib hat Recht. O, Karl!« – Er suchte sich zu vertheidigen, indem er behauptete, die Bergfeldten habe nur aus Rache eine sinnlose Bemerkung hinausgeschleudert, allein dies beruhigte mich nur halb; denn wenn sie doch etwas wüßte? Und wäre Karl ganz rein in seinem Gewissen, so hätte er ihr das Gericht auf den Hals geschickt. Ich merkte ihm deutlich an, daß er verlegen war. In demselben Augenblick kamen die Kinder herein und brachten den großen Schmortopf und die Waschleine, die ich der Bergfeldten geliehen hatte und die sie nun mit spöttischen Bemerkungen retour schickte. Außerdem ließ sie sagen, der Henkel an dem Topf wäre schon entzwei gewesen, als sie ihn von mir bekommen hätte. Das war aber eine grobe Unwahrheit und diese Malice warf mich nun ganz darnieder.

So kam ich zu meinem Gallenfieber. Kann die Bergfeldten es vor ihrem Schöpfer verantworten, daß sie so an mir handelte, so ist es gut, ich hoffe jedoch nicht, daß ich einmal unter vier Augen mit ihr zusammentreffe. Dann sage ich ihr, wie ich es meine, denn in meinem Hausstande ist Alles ganz und propper!

Als ich mich allmälig wieder erholte und mein Teint nicht mehr so abscheulich gelb war, wie ich ihn mir herangeärgert hatte, sagte Karl: »Wilhelmine, wie wäre es, wenn Du Dich etwas zerstreutest? Ich denke, wir gehen alle zusammen auf die Ausstellung, Du und ich und die Kinder; es soll mir auf ein paar Groschen nicht ankommen, Deine Genesung zu feiern.« – Im ersten Augenblick empfand ich große Freude über diesen Vorschlag, dann aber mußte ich denken, ob Karl's liebevolles Benehmen gegen mich nicht etwa aus einem geheimen Schuldbewußtsein hervorgegangen sein könnte, das durch den Brief der Bergfeldten neu aufgefrischt worden war? Ich sagte jedoch keine Sterbenssilbe von dem, was ich fühlte, sondern ging bereitwillig auf seine Wünsche ein. Die Kinder hatten gerade ihre neuen Sommerkostüme bekommen und da Karl mir so wie so einen modernen japanischen Shawl versprochen hatte, war der Ausführung seines Planes ja nichts im Wege. Hätte ich aber gewußt, was mir bevorstand, so wäre ich sicher zu Hause geblieben.

Ich will Sie nicht mit der Beschreibung der Ausstellung aufhalten, denn dazu gehört am Ende doch wohl eine Fachfeder, nur das muß ich bemerken, daß der Eindruck des Ganzen sowohl auf mich als auf die Kinder ein überwältigender war. Karl, der schon öfter draußen gewesen, kam mir bereits etwas abgehärtet gegen die Schönheiten im Allgemeinen und im Einzelnen vor.

Weil es an diesem Tage sehr heiß war, schlug Karl erst eine kleine Herzstärkung im Moabiter Bierausschank vor und wir sagten denn auch nicht Nein. Karl ging gleich nach dem dicken Baiern hin, der aus dem großen Riesenfaß zapfte, um das Bier selbst zu holen, Ich dachte, er ist doch galant und nett, mein Karl, ein wirklich ausgezeichneter Gatte, als mein Blick auf die Münchener Kellnerin in ihrem bunten Maskeradenanzug fiel, die ihm Kleingeld herausgab und ihn dabei sehr freundlich anlächelte. Dies Lächeln gab mir einen Stich durch das Herz, aber ich blieb ruhig. Im Stillen nahm ich mir jedoch vor, Karl nie wieder allein auf die Ausstellung gehen zu lassen. Dies gelobte ich fest und heilig.

Daß das Bier mir unter solchen Umständen wie Wermuth schmeckte, ist natürlich kein Wunder. Ich konnte es nicht austrinken, und gab es daher den Kindern, damit es nicht umkommen sollte.

Karl fragte: »Schmeckt Dir das Bier nicht, Wilhelmine? Wollen wir lieber einen leichteren Stoff versuchen?« – »Es ist mir hier zu viel Sonne,« entgegnete ich mit einem Blick auf die Münchnerin, aber Karl verstand mich nicht, oder wollte mich nicht verstehen. »Gut,« sagte er, »dann gehen wir zum Böhmischen Brauhaus.« – Ich war froh, fortzukommen, und wir siedelten ins nasse Dreieck nach dem Böhmischen Ausschank über. Hier trafen wir zu unserer großen Freude nicht nur Onkel Fritz, sondern auch den Doktor Wrenzchen, der mich behandelte, als der Brief von der Bergfeldten mich auf das Siechbett geworfen hatte. Das Wiedersehen war ein sehr vergnügtes, denn ein Doktor ist für einen Patienten immer so eine Art von übernatürlichem Wesen und ein wahrer Engel des Trostes, namentlich wenn er milde und gut mit Einem umgeht und den leidenden Mitmenschen ab und zu durch einen niedlichen kleinen Scherz aufzuheitern versteht. Nun, wir kamen denn auch bald in ein sehr angenehmes Gespräch. Nur mein Karl und Onkel Fritz fingen einen Streit darüber an, welches das beste Bier sei, weil mein Mann darauf hinwies, daß mir das Böhmische besser zu munden schien, als das Moabiter. Aber kannte er die innerlichen Gründe?

Der Eine hatte diese Meinung und der Andere jene, und da sie sich nicht einigen konnten, war Onkel Fritz wo gottlos, eine Bierwette zu proponiren, auf die mein Karl trotz meines stark betonten Hustens einging und wobei der Doktor durchschlug. Als ich jedoch bemerkte, es sei nachgerade Zeit, etwas von der Ausstelllung zu sehen, erklärte Karl, daß er mit Fritz Bier probiren müsse, um die Wette zum Austrag zu bringen, und ich daher besser mit den Kindern allein ginge. UIm fünf Uhr wollten er und Onkel Fritz uns in der altdeutschen Weinstube treffen. Der Doktor bot uns seine Begleitung an, da er wegen seiner Völligkeit gerade eine Marienbader Hauskur durchmachte und deshalb, wie er sich scherzhaft ausdrückte, auf die Bierreise Verzicht leisten müßte. Mein Mann machte ein so unschulidges Gesicht, als wäre er erst gestern konfirmirt worden.

Ich durchschaute meinen Karl jedoch, aber ich faßte mich, denn ich wollte nicht , daß der Doktor sehen sollte, wie unser eheliches Glück Risse bekam und sich dem Einsturz näherte, da Betti sich für ihn interessirt und Bergfeldt's Emil ein für allemal keine Partie für sie ist. Der Brief und der zerbrochene Schmortopf trennen uns für ewig von dieser Familie. Überdies ist ein Doktor in der Verwandtschaft stets sehr zweckmäßig, da er doch seinen Angehörigen nicht gleich jede Kleinigkeit auf die Rechnung setzen kann.. Ich bat meinen Mann nur noch: »Karl, bleibe bei einer Sorte, Du weißt, Vieles durcheinander bekommt Dir nicht!«

Der Doktor führte uns nun durch die Ausstellung. es war wirklich prachtvoll, wie er Alles zu erklären wußte und uns belehrte. Betti kam aus dem Erstaunen gar nicht heraus, so daß ich ihr mehr als einmal zuflüstern mußte: »Sperr' doch den Mund nicht so auf, es sieht zu einfältig aus.« – Bei den Zimmereinrichtungen bemerkte ich, daß der Mittelstand sich so etwas Kostbares wohl nicht leisten könne, worauf er sagte: »Raum ist in der kleinsten Hütte für ein glücklich liebend Paar.« – »Hörst Du, Betti«, rief ich, »wie treffliche Anschauungen der Doktor vom Leben hat?« Aber anstatt daß sie nun eine geistreiche Gegenbemerkung gemacht hätte, da sie doch auf die Gartenlaube abonnirt ist, klappte sie plötzlich mit einem hörbaren Ruck den Mund zu, den sie wieder aufstehen gehabt hatte, weil sie erschrak und glaubte, ich wollte ihr abermals eine mütterliche Ermahnung zu Theil werden lassen. »Betti ist ganz hingerissen von diesen Ergebnissen des menschlichen Geistes auf dem Gebiete der Industrie und des Gewerbes,« sagte ich gewandt, »sie überhörte deshalb Ihren wohlmeinenden Ausspruch, lieber Doktor!«

»O bitte, das macht nichts,« sagte dieser liebenswürdig wie immer, »das ist ja nur äußerlich.« – Ich tippte ihm leicht mit dem Fächer, der gleichzeitig als Sonnenschirm zu gebrauchen ist, auf den Arm und erwiderte: »Ganz recht, die Hauptsache beruht in der gleichen Stimmung der Seelen.« – Hierauf sah er mich ein bischen schief von der Seite an und plinkerte mit dem einen Auge, und schon wollte ich ihm sagen, was Betti mitbekommt und daß wir noch eine Erbtante in Bützow wohnen haben, als Emmi mit einem Male laut dazwischen rief: »O seh' mal, Mama, wie blank die Badewanne ist und dabei lauft das Wasser ordentlich!«

Obgleich mein eigen Fleisch und Blut, hätte ich dem Kinde doch in diesem Moment etwas anthun können, da sie mit ihrem dummen Ausruf plötzlich ein Gespräch unterbrach, von dem das Glück ihrer Schwester abhing. Wie schön wäre es gewesen, wenn der Doktor und Betti als heimlich Verlobte die Ausstellung verlassen hätten und wie würde die Bergfeldten sich geärgert haben. Denn wenn man in die eine Wagschale einen Doktor mit Praxis und in die andere einen hungrigen Studenten legt, so wird der Letztere doch entschieden zu leicht befunden. Jetzt war das Gespräch aber einmal abgerissen und nicht gut wieder anzuknüpfen, denn Angesichts einer Badewanne lassen sich Herzensangelegenheiten nicht erörtern, wenigstens widerstrebt das meinem Zartgefühl. Die schöne Konjunktur war richtig verpaßt; ich kann doch nicht wieder krank werden, um den Doktor bei uns zu sehen, und von alleine kommt er nicht. Nun, ich rechnete noch auf den Zuhauseweg.

Der Doktor sah auf die Uhr und sagte, es sei gerade Zeit, die Weinstube aufzusuchen, wo wir mit meinem Mann und Onkel Fritz zusammentreffen wollten, und so gingen wir denn. Der Badewanne warf ich aber noch einen Abschiedsblick zu, von dem sie eine Beule hätte bekommen müssen, wenn sie einigermaßen unsolide gearbeitet gewesen wäre. Diese Wanne ist gewissermaßen das Grab von dem Glück meiner Ältesten.

Wir mußten nun die Abtheilung der Spirituosen passiren, wo die Aussteller uns auf das Dringendste zum Gratisprobiren einluden, und wirklich verleitete und der Doktor, einen kleinen Damenliqueur zu nehmen. Grad' als ich mich lobend über diese Annehmlichkeiten aussprechen wollte, sehe ich meinen Karl, wie er sich einschenken läßt und verschiedene Arten von Branntwein probirt. Ich gehe auf ihn zu. »Karl,« sagte ich, »heißt das auf uns warten?« – »Na ob,« sagte er und lachte, »das Moabiter ist noch das beste.« – »Du warst wieder dort?« – »Gewiß mein Engel!« sagte er und kniff mir in die Backe! – »Karl,« rief ich strenge, »Du hast zu viel durcheinander getrunken!« – »Noch immer nicht genug!« antwortete er vergnügt. – »Wo ist Onkel Fritz?« – »Der ist ein Schwachmatikus, der wollte nicht mal an den Liqueur heran; der kann sich meinetwegen abmalen lassen.«

»Doktor,« sagte ich, »nehmen Sie meinen Mann unter den Arm, damit die Kinder nichts merken, er hat nun einmal einen schwachen Magen.« – »Das ist ja nur äußerlich,« sagte der Doktor und faßte meinen Karl unter und zog ihn fort.

Es war durchaus liebensürdig vom Doktor, daß er sich so viel Mühe mit meinem Karl gab und seine Aufmerksamkeit auf die Ausstellungsgegenstände lenkte, obgleich Karl immer wieder nach dem Liqueur wollte, weil er noch nicht alle Sorten gekostet hätte. Der Doktor hielt ihn aber fest und da wir gerade in der chirurgischen Abtheilung waren, die unmittelbar beim Liqueur lag, so erklärte er ihm, wozu alle die Messer und Sägen gebraucht würden, die Kehlkopfpinsel und Sonden und zeigte ihm die künstlichen Beine und Arme. »Wie viel Elend giebt es doch in der Welt,« sagte mein Karl, »die unglücklichen Menschen! O, Kinder, dankt Eurem Schöpfer, daß Ihr gesunde Gliedmaßen habt. O, die arme leidende Menschheit und so viel Elend.« Weiter konnte er nicht reden, denn in diesem Augenblicke spielte Jemand nebenan auf der Orgel »Das ist der Tag des Herrn!« Nun war es alle. Die Rührung überkam meinen Karl so stark, daß er laut zu schluchzen anfing und immer dazwischen rief: »Kinder, dankt Eurem Schöpfer; ja, das müssen wir Alle.« Und so knickte er auf einen Stuhl und weinte bitterlich.

Als die Kinder dies hörten und sahen, ward ihnen angst und bange. »O Gott, was fehlt Papa?« schrie Emmi. »O Papa, mein guter Papa,« rief Betti. Die Leute liefen bereits zusammen und bildeten einen Kreis, und unter diesen Leuten – ich denke der Himmel soll einbrechen – waren die Bergfeldten und Auguste mit ihrem mageren Lulatsch von Studenten. – »Kinder,« rief ich, »stellt Euch vor Vatern, dies ist kein Anblick für Menschen ohne Gemüth und Bildung!«

»Ich bitte Sie, meine Herrschaften, zerstreuen Sie sich,« sagte der Doktor, »der Herr ist von der großen Hitze ein wenig unwohl geworden; er wird sich bald wieder erholen.« Die Leute gingen nun auch, nur die Bergfeldten blieb noch stehen. »Hitze?« rief sie ungläubig, »wird wohl nichts Ordentliches zu essen bekommen haben, denn wenn die Frau schriftstellert, muß der Mann natürlich darben. Kommt, Auguste und Franz, wir haben heute Abend junges Huhn und Stangenspargel.« – Ich war sprachlos. Bergfeldtens und Spargel! Lieber Gott, am ersten Pfingsttag vielleicht ein paar grünköpfige in der Suppe, aber sonst doch nicht! Spargel?! Den großen Klumpen Cyankali, den wir vorher bewundert hatten, weil man so viele Menschen damit vergiften kann, als im Berliner und Charlottenburger Adreßbuch zusammen stehen, Rixdorf eingerechnet, hätte ich ihr in den Hals stopfen mögen, bis sie daran erstickte. Dabei spielte die Orgel immer zu und mein Karl jammerte über das Elend der leidenden Menschheit. – –

Als er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, fuhr ich mit ihm nach Hause; die Kinder blieben noch mit dem Doktor zum Konzert. Erst wollte ich sein Anerbieten, Ritterdienste bei meinen Beiden zu thun, nicht annehmen, aber ich gab zuletzt nach, zumal es mir vorkam, als wenn der Doktor mir mit dem Auge vielsagend zuplinkerte.

Zu Hause nahm ich meinen Karl heftig ins Gebet und er wurde auch ganz zerknirscht. »Geliebte Wilhelmine, ich rühre nie wieder einen Liqueur an.« – »Und läßt Dich von Fritz nicht wieder zum vielen Biertrinken verführen?« – »Nein.«- »Und kokettirst nicht wieder mit der bairischen Kellnerin?« – »Aber Minchen.« – »Überhaupt mit keiner Kellnerin?« – »Ich bitte Dich!« – »Und gehst auf die Polizei und verklagst die Bergfeldten wegen gröblicher Injurien?« – »Alles, Minchen, aber nur das nicht!« – »Du läßt Deine Dir angetraute Gattin von dieser Klapperschlange beleidigen?« – »Ich kann und darf sie nicht verklagen!« – »Hier liegt etwas vor. Karl, gestehe, oder Du setzest mein Glück und das Deiner Kinder aufs Spiel. Was weiß die Bergfeldten von Dir?«

Als ich ihn mürbe genug hatte, beichtete er. In ganz früheren Jahren hatte er einmal mit Bergfeldt, als sie noch ledig und jugendlich überwallend waren, Geburtstag gefeiert und dann Nachts mit einem Nachtwächter krakehlt, der sie alle Beide auf die Wache brachte, wo sie leider, weil es am Sonnabend spät gewesen war, bis zum Montag verweilen mußten. Dies wußte die Bergfeldten, und hiermit glaubte sie Unfrieden stiften zu können. »Das hat nichts auf sich, Karl,« sagte ich, »denn es gehört doch gewissermaßen Muth dazu, mit einem Nachtwächter anzufangen, und Muth hast Du immer gehabt. Nur das viele Durcheinander kannst Du nicht vertragen!« Er versprach, von nun an vorsichtig zu sein, und so wie ich ihn kenne, wird er auch Wort halten.

Ich machte ihm nun eine gute Tasse Kaffee und nahm mir vor, nicht nur Alles zu vergessen, sondern recht liebevoll gegen ihn zu sein, denn er war doch nur der unschuldig Verleitete. Er lobte den Kaffee auch sehr und meinte, daß er ihm gut thun werde, denn er sei wirklich etwas leidend. Als ich hierauf mitleidsvoll zu ihm trat und sein Dulderhaupt sanft streicheln wollte, duckte er sich rasch, als wenn er sich vor mir fürchtete. »Karl,« rief ich, »traust Du mir so etwas zu? Glaubst Du, ich könnte meine Hand gegen Dich erheben?« – »Es sah beinahe so aus,« antwortete er. »Nimms nicht übel, Minchen, meine Nerven haben etwas gelitten.« – »Von dem Bier und dem Liqueur,« rief ich. – »Schon möglich!« entgegnete er, »aber thu mir den Gefallen und sprich nicht so viel mehr, es greift mich an.« –

Die Kinder kamen erst zurück, als mein Karl schon im Bette lag, das er diesmal früher aufsuchte, als sonst gewöhnlich.

»Nun?« fragte ich, »habt Ihr Euch noch gut amüsirt?« – »Ja,« sagte Emmi, »und der Doktor plinkerte immer so mit dem einen Auge.«

»That er das wirklich, Betti, mein Herzenskind?«

»Ja, Mama, den ganzen Abend.«

»Und was sagte er?« fragte ich gespannt.

»Er sagte, er würde wohl ein Gerstenkorn bekommen,« rief Emmi, »er hätte es schon am Nachmittage gespürt.«

»Nun ja,« sagte ich, »das muß er als Doktor am besten wissen.« – Hinterher erfuhr ich noch, daß es natürlich Onkel Fritz gewesen ist, der die Orgel spielte. Ich habe ihn darüber aber nicht schlecht zur Rede gestellt.