Letzte Lockerung - Walter Serner - E-Book

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Walter Serner

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Beschreibung

Der Knigge für Zyniker

Serners Lockerungsübungen für kluge Köpfe gehören in jeden Smoking! Geistreich, frech und pointiert, avancierte sein »Handbrevier« schnell zum Kultbuch. Denn nirgendwo ist das Lebensgefühl des literarischen Amoralismus gewitzter auf den Punkt gebracht als in Serners Maximen. »Die Welt will betrogen sein, gewiß«, heißt es da kurz und bündig: »Sie wird sogar ernstlich böse, wenn du es nicht tust.«

Das Sernersche Benimmbuch für Filous spielt lustvoll mit den herrschenden Klischees von Moral und Wohlanständigkeit. Unverschämt, nicht selten ätzend werden die Widersprüche zwischen gesellschaftlichem Schein und Sein auf die Spitze getrieben. Der erste Abschnitt, 1918 in Lugano entstanden, war explizit als »Manifest dada« angelegt, als subversive Sinn-Camouflage und »prinzipielles Handbrevier«. Der zweite Teil, 1927 in Genf geschrieben, versteht sich indessen als »praktische« Denk- und Handlungsanleitung für den mondänen, stilbewußten Amoralisten.
Mit enzyklopädischer Nonchalance werden Kleidung und Manieren, Reisen und Hotels, Frauen und Männer, Gott und die Halbwelt abgehandelt. Ein anzüglicher Knigge – gleichsam für alle, die sich von der Schamlosigkeit der Moderne nicht länger zum Narren halten lassen wollen: Herrenzynismen wechseln mit Sentenzen der Weltgewandtheit, Travestien des Zeitgeists mit lebensphilosophischen Betrachtungen. Während sich eine durch und durch bigotte Gesellschaft in den Saturnalien der Selbstidealisierung berauschte, schrieb Walter Serner ihr die denkbar luzideste Ernüchterungsprosa auf den Leib.

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Seitenzahl: 191

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Inhaltsverzeichnis
 
Widmung
 
LETZTE LOCKERUNG Erster Teil – Das prinzipielle Handbrevier
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
 
LETZTE LOCKERUNG Zweiter Teil – Das praktische Handbrevier
I. – Elementares
II. – Menschenkenntnis
III. – Reisen und Hotels
IV. – Frauen
V. – Trucs
VI. – Training
VII. – Weisungen
VIII. – Sonderlich Wichtiges
IX. – Männer
X. – Kleidung und Manieren
XI. – Warnungen
XII. – Geld und Briefe
XIII. – Aberglaube
XIV. – Schlußnummer
 
anmerkungen
NACHWORT
EDITORISCHE NOTIZ
Copyright
Anton van Hoboken gewidmet
LETZTE LOCKERUNGErster Teil
Das prinzipielle Handbrevier
ZUR VORBEREITUNG
Man nehme vor der Lektüre ein kurzes lauwarmes Bad, ruhe eine halbe Stunde, gehe hierauf im Abendanzug in ein renommiertes Restaurant und lasse folgendes Diner sich servieren:
Portugiesische Austern (Pfälzer 1921)Hors d’oeuvres variésForellen in ButterSpargel, sauce vin.Poulet (Chambertin)Blumenkohl au gratinPommes fritesSalatOmelette souffléeCamembertPfirsiche, WeintraubenNürnberger Pumpernickel (Lanson brut 1911)Café natureChartreuse jaune1
Kaffee und Likör nehme man jedoch nur dann im Restaurant, falls man ungestört sitzt.
Andernfalls suche man sich eine stille Ecke in einem Café oder einer Bar und bestelle außerdem gleichzeitig einen Grand Marnier, Ruban rouge, und Cerises jubilé2, die man so lange unberührt stehenlasse, bis das Zeichen zum Konsum gegeben wird. Hierauf entzünde man sich sein Lieblingsrauchwerk und beginne mit der Lektüre. Nach jedem Fragment pausiere man drei Minuten, trinke ein wenig und rauche. Nach jedem der sechs Abschnitte lege man das Buch fünf Minuten aus der Hand und blicke auf den Plafond3.
Die Lektüre des ersten Teils dürfte nicht mehr als eine Stunde beanspruchen und einen Zustand außerordentlicher Unternehmungslust verursachen. Man folge dieser nur insoweit, als man das Lokal wechsle, und warte mit der Verwendung ihres wichtigeren Restes (Dame), bis das Zeichen dazu gegeben wird.
Jeder, der durch Eltern, Fibel, Bibel und Bonzen mühselig ist und mit Minusgefühlen beladen, deshalb nicht nur in hitzigen Nachtstunden davon träumt, jenes tyrannische Pack zu stäupen, sondern auch voll grimmiger Phantasien darin schwelgt, Glücksritter seines Leibes zu werden und des Lebens, spare monatelang, wenn es anderswie nicht zu erreichen sein sollte, um vor der Lektüre jenes Diner sich servieren lassen und, falls er über keine Dame gebietet, sich eine kaufen zu können. Wer dieser vorgeschriebenen Vorbereitung zuwiderhandelt, wird die Wirkung dieses Buches sich so schmälern, daß dessen Zweck, ihn für immer aufzulockern und zu dem zu machen, was er im Grunde ist, verfehlt werden dürfte.
Wird er aber erreicht, so wird dieses Brevier das erste Abenteuer gewesen sein und fortan von einem zum andern führen, von Stadt zu Stadt, von Land zu Land.
Jene, die längst solchen Weges dahinziehen, mögen gleichwohl diese Lektüre nicht verachten noch die vorgeschriebene Vorbereitung: ein kraftvolles Zusammenströmen alles dessen, was des Körpers und des Hirnes ist, wird die Lust zu neuen Taten stärken.
 
 
- (Hier sei erwähnt, daß, um kräftige Trinker nicht zu irritieren, das Maß der Getränke nicht vorgeschrieben wurde; daß es aber ratsam ist, von jedem Wein nur eine halbe Flasche zu bestellen und von jeder Flasche dem Kellner ein Glas zu überlassen.)
1. Motto: Jeder sein eigener Papst!
2. Motto:
Non, je ne marche pas. Non, je ne marche plus.Mais j’irai peut-être à Canada. Chi lo sà?4
3. Motto:
«Ihr Name tut nichts zur Sache. Aber wie heißt du, Heißgeliebte?»
4. Motto:
(Die Kunst-Kuhe ging so lange zum Brunnen, bis ich ihr hinter die Ohren brach.)
5. Motto:
Que les chiens sont heureux! Ils se.............., ils s’........ entre eux:que les chiens sont heureux!(Ami, ami!)5
6. Motto:
Zwei Sparren zwischen den Beinen, eine Pfauenfeder am Mast, so geht er, es ist zum Weinen, und mit gelinder Hast. Wer? Das Pack.
7. Motto: Grips muß man haben, stark muß man sein!
I.
1. Um einen Feuerball rast eine Kotkugel, auf der Damenseidenstrümpfe verkauft und Gauguins besprochen werden. Ein fürwahr überaus betrüblicher Aspekt, der aber immerhin ein wenig unterschiedlich ist: Seidenstrümpfe können genossen werden, Gauguins nicht. (Bernheim6 als taschenspielernder Biologe zu imaginieren.) Die tausend Kleingehirn-Rastas 7 ödester Observanz, welche erigierten Bourgeois-Zeigefingern Ästhetisches servieren (o pastoses8 Gepinkel!), um Expressionen zu fixen, haben dieserhalb Verwahrlosungen angerichtet, die noch heute manche Dame zu kurz kommen lassen. (Man reflektiere drei Minuten über die Psychose schlecht behandelter Optik; klinisches Symptom, primär: Unterschätzung der Damenseidenstrümpfe; sekundär: Verdauungsbeschwerden.)
 
2. Was dürfte das erste Gehirn, das auf den Globus geriet, getan haben? Vermutlich erstaunte es über seine Anwesenheit und wußte mit sich und dem schmutzigen Vehikel unter seinen Füßen nichts anzufangen. Inzwischen hat man sich an das Gehirn gewöhnt, indem man es so unwichtig nimmt, daß man es nicht einmal ignoriert, aus sich einen Rasta gemacht (zuunterst: Schaubudenbesitzer; zuoberst: etwa Senatspräsident) und aus der mit Unrecht so beliebten Natur eine Kulisse für ein wahrhaftig sehr starkes Stück. Dieser zweifellos nicht sonderlich heroische Ausweg aus einem immer noch nicht weidlich genug gewürdigten Dilemma ist zwar vollends reizlos geworden, seit er so absehbar ist (wie blöde ist eine Personenwaage!), aber eben deshalb sehr geeignet, gewisse Prozeduren vorzunehmen.
 
3. Auch einem Lokomotivführer fällt es jährlich wenigstens einmal ein, daß seine Beziehungen zur Lokomotive durchaus nicht zwingend sind und er von seinem Ehgespons nicht viel mehr weiß als nach jener warmen Nacht im Bois. (Hätte ich La Villette genannt oder die Theresienwiese, so wären beide Beziehungen gänzlich illusorisch;9 Fingerzeig für Habili-tanten:«Über topographische Anatomie, psychischen Luftwechsel und Verwandtes. ») Im Hotel Ronceray oder in Piccadilly kommt es hingegen bereits vor, daß es verteufelt unklar wird, warum man jetzt gerade auf seine Hand glotzt und trillert, sich kratzen hört und seinen Speichel liebt. Diesem scheinbar so friedlichen Exempel ist die Möglichkeit, daß das penetrante Gefühl der Langeweile zu einem Gedanken über ihre Ursache sich emporturnt, am dicksten. Solch ein lieblicher Moment arrangiert den Desperado (o, was für ein Süßer!), der als Prophet, Künstler, Anarchist, Staatsmann etc., kurz als Rasta Unfug treibt.
 
4. Napoleon, ein doch wirklich tüchtiger Junge, behauptete unverantwortlicher Weise, der wahre Beruf des Menschen sei, den Acker zu bestellen. Wieso? Fiel ein Pflug vom Himmel? Aber etwas hat der homo doch mitbekommen, supponiere10 ich mir eine liebesunterernährte Damenstimme. Nun, jedenfalls nicht das Ackern; und Kräuter und Früchte sind schließlich auch schon damals dagewesen. (Bitte hier bei den deutschen Biogeneten nachzulesen, warum ich Unrecht habe. Es wird jedoch sehr langweilen. Deshalb habe ich recht.) Sohin also: auch Napoleon, der ansonsten sehr erfreulich frische Hemmungslosigkeiten äußerte, war streckenweise Stimmungsathlet. Schade. Sehr schade.
 
5. Alles ist nämlich rastaquouèresk, meine lieben Leute. Jeder ist (mehr oder weniger) ein überaus luftiges Gebilde, dieu merci11. (Nur nebenbei: 10 Pfennig dem Kühnen, der mir nachweist, daß etwas letzthin nicht willkürlich als Norm herumspritzt!) Andernfalls würde übrigens ein epidemisches Krepieren anheben. Diagnose: rabiate Langeweile; oder: panische Resignation; oder: transzendentales Ressentiment etc. (Kann, beliebig fortgesetzt, zum Register sämtlicher unbegabter Zustände erhoben werden.) Der jeweilige landläufige Etat der bewohnten Erdoberfläche ist deshalb lediglich das folgerichtige Resultat einer unerträglich gewordenen Langeweile. Langeweile: nur als harmlosestes Wort. Jeder suche sich die ihm schmackhafteste Vokabel für seine Minderwertigkeit! (Herziges Sujet für ein scharfes Pfänderspiel!)
6. Es ist allgemein bekannt, daß ein Hund keine Hängematte ist; weniger, daß ohne diese zarte Hypothese Malern die Schmierfaust herunterfiele; und überhaupt nicht, daß Interjektionen am treffendsten sind: Weltanschauungen sind Vokabelmischungen... Sapristi12, hier muß die Prozedur ein wenig erweitert werden. (Kleines Bild: leichte Kraneotomie13!) Nun: alle Stilisten sind nicht einmal Esel. Denn Stil ist nur eine Verlegenheitsgeste wildester Struktur. Und da Verlegenheit (nach kurzer Beschlafung) als perfekteste Reue über sich selber sich entschält, ist merkbar, daß die Stilisten aus Besorgnis, für Esel gehalten zu werden, um vieles schlechter als diese sich benehmen. (Esel haben nämlich zwei weitaus überragende Eigenschaften: sie sind störrisch und faul.) Der Unterschied zwischen Paul Oskar Höcker, Dostojewskij, Waldemar Bonsels und Wedekind14 blaut daher lediglich in der Contenance innerhalb der besagten Verlegenheitsgeste. Ob einer in richtig funktionierenden Trochäen oder sonstwie bilderstrotzend (alle Bilder sind plausibel) oder sozusagen expressionistisch mir vorsäuselt, daß ihm übel war, und seit er es schwarz auf weiß hat, besser wurde, oder, daß ihm zwar wohl war (schau, schau!), aber übel wurde, als er das nicht mehr begriff (teremtete!): es ist immer dieselbe untereselhafte Anstrengung, aus der Verlegenheit sich ziehen zu wollen, indem man sie (stilisierend, ogottogotto) – gestaltet. Gräßliches Wort! Das heißt: aus dem Leben, das unwahrscheinlich ist bis in die Fingerspitzen, etwas Wahrscheinliches machen! Über dieses Chaos von Dreck und Rätsel einen erlösenden Himmel stülpen!! Den Menschenmist ordnend durchduften!!! Ich danke... Gibt es ein idiotischeres Bild als einen (puh) – genial stilisierenden Kopf, der bei dieser Beschäftigung mit sich selbst kokettiert? (Nur nebenbei: meine Gunst dem Tüchtigen, der mir nachweist, daß das Kokettieren bei Ethbolden15nicht stattfindet!) O, über die so überheitere Verlegenheit, die mit einer Verbeugung vor sich selber endet! Deshalb (dieser stilisierten Krümmung wegen) werden Philosophien und Romane erschwitzt, Bilder geschmiert, Plastiken gebosselt, Symphonien hervorgeächzt und Religionen gestartet! Welch ein erschütternder Ehrgeiz, zumal diese eitlen Eseleien durchwegs gründlich (sc. besonders gründlich in mitteleuropäischen Gauen) mißglückt sind! Alles Unfug!!!
 
7. Die schönste Landschaft, die ich kenne, ist das Café Barratte bei den Pariser Hallen. Aus zwei Gründen. Ich machte daselbst die Bekanntschaft Germaines, die u.a. zischte: «J’ voudrais bien être bonne, si j’ savais pourquoi.»16 Hämisch gestehe ich es ein: ich erblaßte vor Freude. Und dann hat in diesem freundlichen Lokal Jean Kartopaitès, der sonst nur mit Herren ohne Stehkragen sich einließ, den Verkehr mit mir brüsk abgebrochen, weil ich so unvorsichtig war, den Namen Picasso fallen zu lassen.
 
8. Ach, die lieben weißen Porzellanteller! Denn... Nun denn: ehemals wollte man, was man nicht aussprechen zu können vorgab, also gar nicht hatte, malerisch vermitteln. (Juchhu! Als ob man auch nur eine Vizekönigin fein säuberlich abkonterfeien könnte, wenn man nicht wüßte, daß sie kein Fauteuil ist!) Wohin diese Sudelburschen geraten würden, wenn sie aufhörten, Ölphotos zu wichsen, war somit längst vorabzulächeln. (Hinter die Ohren: mehr Mädchen, bitte, mehr Mädchen!) Aber die Impressionen! Nun: was ist erreicht, wenn man nach heftigem Blinzeln sich zurechtbauen kann, daß jener Kartoffelvertilger auch nur eine Kuhe ersah, aber erst so sich vorzublähen vermochte, daß es seine Kuhe gewesen sei, eine ganz besondere Kuhe, kurz: die Kuh und erlösend? Teremtete! Aber die Expressionen! Haho: was ist erreicht, wenn man gefixt sieht, was ein Adjektiv leistet, und, da es auch diesem bisher mißglückt ist, orientierend zu wirken, also noch ungemalt schon mißglückt wäre? Aber die Kubisten, die Futuristen! Hoppla: die Champions dieser geradezu ultraviolett mißglückten Pinselritte ließen zwar ausblasen, sie würden die (puh!) – liberatio gleichsam von der hohen Stilschaukel herab landen (Trapezritt! Trapezritt! Etwa so: «Wir werden diese Verlegenheit schon schaukeln!»), erreichten aber nicht nur, daß nicht einmal ein Chignon17 ins Schaukeln geriet, sondern vielmehr gerade die wildesten Esel in geregeltem Trapp arrivierten. (O wurfbesprungener Sagot 18! etc. pp. pp.) Unfug! Unfug!! Unfug!!!
9. Das sub 8 im Grunde bereits für schlecht Erwachsene geredet: Fibelhaftes, außerordentlich Fibelhaftes. Immerhin noch zur Vorsicht zu notieren, meine Kleinen:
a. Plastik: sehr unhandliches Spielzeug, verschärft durch metaphysischen Augenaufschlag.
b. Musike: Pantopon19- oder Ero-Ersatz (längst unterfibelhaft!).
c. Lyrik: ein Knabe befindet sich in der Klemme. Rezept: frage ihn, von welcher er träumt, und du kannst ihm sagen, mit welcher er nicht geschlafen hat. (Selbstverständlich befindet man sich stets in der Klemme; in der c-Klemme aber hat man sich denn doch nicht mehr zu befinden.)
d. Roman und so: die Leute reden wie am Spieß oder neuerdings überhaupt nicht mehr. Noch ein wenig Schweiß und die Sache glückt: Belletristik! (Am Spieß befindet man sich gar oft. Ein Samuel-Fischer-Band 20 aber ist ein zu langwieriges Mittel, die Luftlinie Syrakus-Butterbrot-Zentralheizung herzustellen.)
e. Drama, Tragödie, Komödie: die Klemme spitzt sich zu, spießt sich und erregt im Publikum die dumpfe Vermutung, daß ein Kino wohl doch das beste zweite Dessert sei (mangels Poussagen21).
In summa, meine Kleinen: die Kunst war eine Kinderkrankheit.
 
10. hat man nie einen Gedanken. Bestenfalls tut der Gedanke so, als ob. (Immer aber sein Einherredner!) Jedes Wort ist eine Blamage, wohlgemerkt. Man bläst immer nur Sätze zirkusähnlichsten Schwunges über Kettenbrücken (oder auch: Pflanzen, Schlüchte, Betten). Günstiger Vorschlag: man figuriere sich vor dem Einschlafen mit heftigster Deutlichkeit den psychischen Endzustand eines Selbsttöters, der durch eine Kugel sich endlich Selbstbewußtsein einloten will. Es gelingt jedoch nur dann, wenn man sich zuvor blamiert. Schwer blamiert. Entsetzlich blamiert. Ganz maßlos blamiert. So grauenhaft blamiert, daß alles mit blamiert ist. Daß jeder metaphorisch auf den Hintern fällt. Und niest.
 
11. Interjektionen sind am treffendsten. (Ach, die lieben weißen Porzellanteller!)... Man muß diese Amphibien und Lurche, die sich für zu gut halten, Esel zu sein, zur Raison bringen. Indem man sie ihnen austreibt. Auspeitscht! Man muß dieses schauderhafte überlebensgroße Ansichtskartenblau, das diese trüben Rastas an den He- Ho- Hu- Ha- (wie bitte?) Himmel hinaufgelogen haben, herunterfetzen. Man muß sein Haupt zag, aber sicher an das des Nachbarn titschen wie an ein faules Ei (gut, gut). Man muß das gänzlich Unbeschreibliche, das durchaus Unaussprechbare so unerträglich nah heranbrüllen, daß kein Hund länger so gescheit daherleben möchte, sondern viel dümmer. Daß alle den Verstand verlieren und ihren Kopf wiederbekommen. Man muß ihnen die Prozente, die Bibelsprüche, die Mädchenbusen, die Pfannkuchen, die Gauguins, die Rotztücher, die Schnäpse, die Strumpfbänder, die Abortdeckel, die Westen, die Wanzen, all das Zeugs, das sie gleichzeitig denken, tun und wälzen, so scharf hintereinander vor den Kinnbogen schieben, daß ihnen endlich so wohl wird, wie ihnen bislang bloß schwappig war. Man muß. Man muß eben. Teremtete!
12. Damenseidenstrümpfe sind unschätzbar. Eine Vizekönigin ist ein Fauteuil. Weltanschauungen sind Vokabelmischungen. Ein Hund ist eine Hängematte. L’art est mort. Vive le rasta!22
II.
13. Es geht nicht an, von Tyrannei zu plaudern... Was soll man mit seiner (je nun) – Freiheit, he? Jede Revolution war die sehnsüchtige Empörung nach einer geliebteren Faust (eromasoch). Die Zahl derer, die, kaum majorenn 23, jede Autorität begrinsen, ist so winzig wie die der Despoten (erosade24) bei weitem zu ungenügend. Es gab noch nie eine Revolution. Nur Revolteure. Rastas. Das Jahr 1789 ist das historisch mißhandeltste. Die kompakte Majorität der hungernden Magen krächzte vor dem Versailler Schloß, und einmal im Taumel der rauschenden Straßen schlug sie Köpfe herunter. Revolution, he? Die hysterische Rauferei organisch zu kurz Gekommener. Freiheit? Ein gewisser kleiner Wohlstand, ein kleiner gewisser Beruf, die Sicherheit vor Ohrfeigen und das sexuell auf Viertelkost heruntergebrachte Weibchen, an dessen Seite man als Beamten (Soldaten) Fabrik und schlechter Fresser dem Himmel entgegenreifen darf. Pompös!... Sofern nur dieser kontinuierliche Druck von oben nicht aufhört, das geruhige Wissen, nicht weiter wollen zu brauchen, ist alles, aber auch alles in Ordnung... Es geht nun wirklich nicht mehr an, von Tyrannei zu flöten …
 
14. Bessere Empörer haben ja nun freilich gewissermaßen gewaltsame Veränderungen aufgezogen. Wo aber blieb das (ha!) – Gewaltige? (O Sophokles, düsterer Eierhändler!) … Freiheit! Mein Dasein souverän? Konträr: es ist schwerst passiv, von allen Seiten gepackt. Der große Di-Do-Datterich!!! (Aber doch sehr angenehm...) Man setze stets das Ganze (inkl. Atem- und Expreßzüge) in Klammern: auch in den nächsthausenden Täuschungsdingen vermag man solcherart sachte zu bestülpen, daß mit dieser eingeklammerten Größe nicht einmal fiktiv zu krebsen ist. Einen Maßstab, ihr Gemessenen! Ihr Schaluppen von der Willensfreiheit!! Ihr zerebralen Hopser!!!... Zwischen Zangen (Klatsch) Geburt und exitus hopst man mit dem, womit man hergetan wurde, teils keß, teils trüb auf und nieder; man hopst (ja, ja) – geistige Erziehung, sexuelle Aufklärung (wie wärs mit der der Erwachsenen, etwa?) und ähnliche grandiose Albernheiten; und man hopst auch (huch nein!) – Freiheit, Willensfreiheit... Klammerfatzken!!!
 
15. Diese Halunken, als da sind geschlossene Persönlichkeiten, schwer arbeitende Arrivisten 25 etc. stoßen, selbst wenn sie es zu stupend-stupider Einseitigkeit bringen, bestenfalls ein Löchelchen (meistgefragter Schüfftsteller) in irgendeine Reihe (Gummiball), die sich jedoch rasch wieder auffüllt, weil die Anderen, die luftici, die so vielseitig sind und fix, daß sie windrosenhaft stupsen («Blasen Sie Bukarest senkrecht an!»), weitaus in der Überzahl sind. Sehr erfreulicher Weise. Anziehende oder abstoßende Köpfe? Die Nasen, die sie tragen, stoßen ab oder ziehen an. Mithin gibt es schwerlich idiotischere Optimisten als Ri- Ra-Revolutionäre (jede Naht ein dicker Dreher!). Golgatha war ein Kinderspiel, verglichen mit jener Pleite, welche da jüngst Mitteleuropa das Antlitz deformierte... Erfahrung? Die lange Nase, mit der man stets abzieht, so man nicht spontan darauf ausging, zum Vergnügen sich selber eine zu drehen. Siehe immerhin, schlimm be-dachter Jüngling, jenes leise Grinsen, das Personen (sogar Gustl Pufke26; und naturgemäß Thomas Mann), die Erfolg hatten (stattgehabte Nasführung), in ihrer näheren Umgebung zu sichten in der Lage sind.
 
16. Nur hereinspaziert, meine Herrschaften! Nur hereinspaziert! Was Sie noch nie gesehen haben, werden Sie zwar auch hier nicht sehen, aber eine Menagerie, die sich gewaschen hat. Sie hat sich gewaschen! Hallo:... Einer, der die lächerlich-positive Geschäftigkeit der Trübsten als Anregung benützt, steht auf und prophezeit ein Gott-System, indem er das jederzeit suggestiv anzuseilende Gehirn in der Schlinge einer gänzlich unbeweisbaren Grund-Behauptung (Axiom, Idee, a priori-Satz etc. pp. Unfug) einfängt, um die verzweifelte Qual der eigenen Langeweile verstummen zu machen. Es kitzelt, macht überhaupt Vergnügen und ist derart beschämend für das Publikum, daß man sich ach so sehr vorkommt… Ein Anderer schöpft ein dickes Buch über die letzten (bum!) – Fragen und serviert mit unwiedergebbarer Stirn (man faßt sich an die Hüften) – Lösungen, tja...Ein Anderer ärgert sich darüber, wird (ob der Unlösbarkeit weniger als der blamablen Situation) rabiat und Propagandeur der fuchswilden Tat: immerhin ergötzlicher Typ des Denkfiaskos; er verwendet das Sinnlos-Reale sinnlos-real (lieber Ravachol27!) Wieder einer dichtet direkt oder musiziert etc. pp. Unfug und will die Sudate28 seiner peinlichsten Zustände als Vor- oder gar Erlösungen bestaunt wissen. Hinweg…! Einer endlich eisenbahnkutschiert über den Kontinent, ist je nach Bedarf Graf oder Einbrecher, Schieber oder Diplomat, Hazardeur oder Heiratsschwindler, Kuppler oder Regierungsrat, da allein diese vielseitige Tätigkeit sein ganz enormes Zerstreuungsbedürfnis befriedigt (Manolescu, Charles de Hoffmann29, je vous salue!30). Ist er sehr begabt, wird er Staatsmann und sperrt den Dieb ein und köpft den Mörder, da es nicht durchführbar ist, sporadisch zu gestatten, worauf en masse der ganze Schwindel angelegt ist. Einmal aber im Besitz der Macht, erhebt er sie flugs zum Axiom und glaubt nach etlichen Minuten selbst daran, da es so überaus abwechslungsreich ist, unter dem Vorwand, die auf der Flucht vor der Langeweile konsumierten Gewalttaten zu bestrafen, sie zu organisieren. Er stellt ehemalige Kollegen, welchen er jetzt nachstellen läßt, wenn er sie ohne Anstellung schieben sieht, auf Gesandtschaftsposten; zapft den (Mut) – Künstler in Fibeln ab, in die er zwar hineingehört, allwo aber das Zart-Verblödete jeder guten (juchhu!) – Dichtung (die schlechten sind besser) nicht so zur Geltung kommt, wenngleich die ganze Geschichte nun doch noch einen Zweck erhält; und präpariert die Köpfe vollends zum langeweile-fortheuchelnden Positivisme, indem er der – Kirche auf die Schulter klopft, wenn sie Jesus, der als Erz-Jesuit sonst zu verheerend würde, zum Katechismus (Ruderverein) umbiegt... Und siehe: Gestank kommt in die Welt und wird immer dicker. Selbstverständliches (das hold Unselbstverständliche) hört auf, es zu sein. Unselbstverständliches (das angekurbelt Unselbstverständliche) wird Pflicht. (Diese: die Summe der Frechheiten, die jener Spitzbube sich herauszunehmen die – Trucs31 hat!) Aber das nicht zu bannende Gespenst der Langeweile steilt weiß hinter allem und fängt sich endlich mit einem kurzen Griff die ganze Bande: der Staatsmann klingelt, der Vorhang geht auf...
17. Krieg! C’est la guerre!32 Nur hereinspaziert, meine Herrschaften! Nur hereinspaziert!... Die Leute rennen durcheinander, verwirrt, erschreckt, entsetzt. Wo ist ein Halt? Ein Punkt? Ein Zweck? Ein Sinn?... Sie wissen eben nicht, die lieben Leute, wozu sie eigentlich da sind, was war und werden soll, und selbst die unterstellte Überlegung, daß sie dem Privattreiben einzelner höchster Gauner dienen, vermöchte daran nichts zu ändern; auch nicht das Wissen darum, daß die Regisseure ihres Schlachtfeldtodes dieses Schauspiel lediglich inszenieren, weil auch sie sich langweilen. Die Mehrzahl wird nicht deshalb Schießer, weil sie die Aufmachung nicht durchschaut, sondern weil sie sie als (hoho!) – Sensation benützt... Zudem ist das Arrangement gut. Die Journale schreien hurrah und telephonieren mit den Ministerien wegen der Motivierungs-Phraseologie. Musik wankt herauf und ersäuft jede Änderung. Großartige Reden werden auskalkuliert, historisch wertvoll gefeilt und in die bereits besoffene Menge geträufelt, Hochämter inseriert und der liebe Gott wird persönlich bemüht, das Schlachten zu protegieren. Und alsbald, nach dieser vorzüglich angelegten Reklame, platzen die ersten Granaten. Der Bursche in seiner Loge hat sein Spektakel, die Bevölkerung einen blutigen Zeitvertreib und der stramme Tod, der einzig wirklich Erfolgreiche, knickst vor der Langeweile, die nach dem ersten Akt Zuschauer und Akteure unweigerlich wieder befällt... Halt: sie sind jetzt dabei, (o, o, o) – Ri- Ra- Republikaner zu werden, um für Industrie- und andere Rastas zu schuften. Wenn sie aber all das auch durchschauten und endlich die völlige persönliche Verfügung über sich erhielten, stünden sie letzthin vor der Wahl zwischen der erschrecklichsten Langeweile oder... (Ich konzipiere die gelbe Garde der letzten Wut...)
 
18. Die so beliebte Unterscheidung zwischen Kultur und Zivilisation bricht in dieser netten Perspektive an der Größe des Bedürfnisses, sich zu betäuben (zu trillern)... O, über die sogenannten Aufregungen des Denkens! Nichts weiter als derart maßlos gesteigerte Exzesse der Langeweile, daß manch einer sich einzubilden imstande war, er langweile sich nicht. In Wirklichkeit aber langweilt man sich in diesen Stunden am krampfhaftesten. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß alle (on m’excuse33) – Genies der Weltgeschichte sich das eingestanden, vorsichtiger Weise aber verschwiegen haben. Keiner noch hat auf diese allerübelste Mentalreservation zu verzichten vermocht. Der Grund ist freilich ebenso plausibel wie jämmerlich: kein Kutscher wird den noch bewundern, der die Größe seiner Gedanken verneint, indem er zugibt, daß sie Krampfzustände sind. Hätte nicht aber diese trottelhafte Eitelkeitsbewichsung jene Hosenträger auf die Dauer einmal so unerträglich langweilen müssen, daß...? Vermutlich war ihnen jahrelanges angestrengtes Japsen irgendeiner Madame gegenüber mehr vonnöten als vor sich selbst ein rechtschaffener Exzeß nach unten, (von wo es, glaubt es mir, straffer zusammengeht als anderswie)... Welch primitive Hochstapelei! Alle starben sie mit der reservatio ihrer Größe (pfui Teufel!) auf den letztwortig arrangierten Lippen. Auch Voltaire und Montaigne. Pfui Teufel!... (Man muß weder Kant gelesen haben noch Nietzsche: es genügt, sich an einem Satz das Kotzen geholt zu haben...)
19. Nein, es ist nicht wahrscheinlich. Diese Jammerwesten haben es sich nicht eingestanden. Hat man wirklich, auch nur einmal, diese fürchterliche Öde um einen (man halte mich!) – großen Gedanken erlebt, diese grenzenlose Langeweile, die von ihm ausgeht, dann kann man nicht anders: man löst seinen Krampf und – wütet um sich, gegen sich...
 
20. lob ich mir den Asiaten. Er lebt für nichts und wieder nichts; allenfalls für sein dolce f. n.34, das nur der einfache Ausdruck für die erfreuliche Absicht ist, sich nicht zu bemerken. Ein erhabener Faulenzer! (Der Europäer lebt manchmal für ein Tuskulum35