Geschichte der Baptisten in SüdrusslandPritzkPritz - J Pritzkau - E-Book

Geschichte der Baptisten in SüdrusslandPritzkPritz E-Book

J Pritzkau

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Beschreibung

Das Buch ist ein wichtiger Gedenkstein baptistischer Geschichte und ist ein neuer Beweis für die Lebensfähigkeit und den Sieg der Ideen der Taufgesinnten. Die Geschichte der Taufgesinnten ist stets ein Dokument vom menschlichen Leiden um Christi willen - „wer mir nachfolgen will, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ - doch aber auch ein Beweis davon, daß der Glaube überwindet.

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J. Pritzkau

Geschichte der Baptisten

in Südrußland

J. Pritzkau

Geschichte der Baptisten in Südrußland

1. Auflage 1999 erschienen im Logos Verlag GmbH, Lage

© 2013 Lichtzeichen Verlag, Lage

Umschlag: Thorsten Plass

Satz: Gerhard Friesen

ISBN 9783869549347

Bestell Nr.: 548934

E-Book Erstellung: LICHTZEICHEN Medien www.lichtzeichen-medien.com

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

Geschichte der Baptisten in Südrußland

Die ersten Anfänge

Die Mennoniten-Brüdergemeinde

Hindernisse und Verfolgungen

Ergänzung zu dem Artikel über die Verfolgungen

Unsere Anerkennung

Unsere Reise zu den Mennoniten

Onkens Besuch in Rußland

Deljakow

Odessa

Die Berufung des Br. A. Liebig

Die Gründung unserer Vereinigung

Die Gründung der Bibelkurse

Gemeinde Michailowka

Gemeinde Bessabotowka

Gemeinde Kleinliebental

Gemeinde Belagwesch

Gemeinde Feodorowka

Gemeinde Eupatoria

Gemeinde Neudanzig

Gemeinde Friedrichsfeld

Gemeinde Kronental

Gemeinde Romanowka

Gegenwärtiger Stand

1. Die Vorrechte der Gegenwart

2. Bedürfnisse der Gegenwart

3. Die Gefahren der Gegenwart

4. Die Aussichten der Gegenwart

5. Die Aussichten für die Zukunft

Vorwort

Vorliegendes Buch ist von einem geschrieben, der überall „dabei war“, darum atmet es auch einen ganz anderen Geist wie die Alltagsbücher. Persönliche Erinnerungen knüpfen an jeden Gegenstand, und das ist es, was das Buch lebendig macht. Wir haben deshalb das meiste in seiner ursprünglichen Form stehen gelassen, nur dort Anmerkungen beigefügt, wo wir es für die bessere Verständlichkeit des Textes notwendig fanden.

Das Buch ist ein wichtiger Gedenkstein baptistischer Geschichte und ist ein neuer Beweis für die Lebensfähigkeit und den Sieg der Ideen der Taufgesinnten. Die Geschichte der Taufgesinnten ist stets ein Dokument vom menschlichen Leiden um Christi willen - „wer mir nachfolgen will, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ - doch aber auch ein Beweis davon, daß der Glaube überwindet.

Unseren Glaubensgenossen klar diesen Sieg vor Augen zu führen und ihre Nachfolger aufzumuntern und zu stärken, das Erbe der Väter zu wahren, schicken wir dies Buch in die Welt. Gott segne es!

Die Herausgeber

Einleitung

Die deutschen Kolonisten in Südrußland

Von jeher wollte Rußland einen Ausgang ins Meer haben. Obwohl es Peter dem Großen gelang, durch die Eroberung der baltischen Provinzen Fühlung mit dem nordischen Meer zu erlangen, gelang es erst der klugen Kaiserin Katharina Herrschaft auf dem Schwarzen Meer zu erlangen. Der damalige Süden war unter türkischer Hoheit.

Im zweiten türkischen Krieg wurde die Macht der Türkei am Schwarzen Meer 1788 durch die Erstürmung Otschakows gebrochen. Rußland war Herr über das nordische Ufer des Schwarzen Meeres geworden. Fürst Potjemkin war der Held der Türkischen Kriege. Seine Hauptsorge war es, nun die eroberten Landstriche mit einem kulturfähigen Volk zu bevölkern. Viele Städte wurden gegründet: Cherson 1779, Sewastopol 1783, Jekaterinoslaw 1787, Nikolaew 1789, Tiraspol 1793, Odessa 1794. Potjemkin war selbst einer der größten Kulturträger des 18. Jahrhunderts. Der eroberte Süden war sein Sorgekind. Er gründete 1784 in Jekaterinoslaw eine Universität, doch durch den zweiten Türkenkrieg wurde die Universität aufgehoben. In Nikolaew wurde 1790 eine Ackerbauschule gegründet, die aber nach dem Tode Potjemkins einging. Am 14. Juni 1779 erließ Potjemkin den Befehl an den Gouverneur von Jekaterinoslaw: Es sollen in allen Kronsansiedlungen und auf den Ländereien der Gutsbesitzer am Meeresufer, und von Chortiza bis an den Weinberge angelegt werden unter der Aufsicht der Professoren und Adjunkten der Universität von Jekaterinoslaw. Die Rebseßlinge soll man vom Don nehmen, im Falle des Mangels aber aus der Krim und von der Moldau.“1)

Bis zum Jahre 1774 wurden die eroberten Provinzen militärisch verwaltet. 1774 wurde das Neurussische Gouvernement gegründet. Es bestand aus dem größten Teil des heutigen Jekaterinoslawschen Gouvernements und Elisabethpoler Kreis, Chersoner Gouvernement. Im Jahre 1796 wurde das Neurussische General-Gouvernement geschaffen, welches 1802 in die Gouvernements Nikolaew (seit 1803 Cherson), Jekaterinoslaw und Taurien eingeteilt wurde. Bessarabien kam 1812 nach einer Eroberung hinzu.

Das riesenweite Steppengebiet Südrußlands war so gut wie gar nicht bevölkert. Auf den weiten Strecken fand man nur Kosakendörfer vor. Diese verwegenen Gesellen konnten nie die Kulturaufgaben lösen. Zu Krieg und Überfall waren sie wohl bereit und zu gebrauchen, deshalb waren sie eine gute Festungskette für das nördlich liegende Rußland gegen die Tataren und Nogaizy, doch Kulturträger waren sie nicht. 1750 wurden Neuserben in Rußland angesiedelt, auf einem Landstrich, den man den Kosaken abnahm. Darüber empört, wanderten viele in die Türkei aus, andere siedelten sich am Kuban an. In den Steppen nomadisierten die Nogaizy, Abkömmlinge der Tataren, auch keine Kulturträger. Verschiedene Kolonisationsversuche wurden mit verschiedenen Völkern gemacht. So wurden Griechen bei Mariopol, Armenier bei Nachitschewan, Juden im Jekaterinoslawschen und Chersonschen Gouvernement, Nogaier bei Nogaisk, Bulgaren, Serben und Montenegrier bei Nachitschewan eingesiedelt, doch man erzielte nicht die gewünschten Erfolge und beschloß ausländische Kolonisten zu berufen, weil man gute Ergebnisse mit der Berufung von deutschen Handwerkern zur Zeit Peter des Großen, gemacht hatte.

Durch das Manifest von 1762 öffnete Katharina die Zweite die neuerworbenen Steppenbesitzungen als Ansiedlungsgebiet. Das Manifest fand wenig Widerhall, weil keine bestimmten Garantien für das künftige Wohl der Übersiedler darin enthalten waren; so daß ein zweites ausführliches Manifest 1763 erlassen wurde.2 Das Manifest erlaubte den Einwanderern, sich in allen Gegenden des russischen Reiches niederzulassen, und gewährte besondere Vergünstigungen wie Steuer- und Religionsfreiheit, freie Wohnung und staatliche Mithilfe. Das Manifest wurde zur Verbreitung an die russischen „Residenten“ im Ausland gesandt, in Deutschland nahmen besondere Auswanderkomissare die Auswanderungswilligen in Empfang und schickten sie in Partien nach Rußland. Die Hauptmasse wurde an die Wolga geschickt, andere Partien gingen nach Petersburg. 1787 wurden die sogenannten schwedischen Kolonien Schwedendorf und Altdanzig gegründet. 1789 Jamburg, Rybalsk und Josephstal. 1789 wurden die Mennoniten im Chortizer Gebiet angesiedelt. Die Ansiedlung der Mennoniten an der Molotschna begann 1803.3

Im Jahre 1764 erschien das Kolonistengesetz. Es gibt uns eine Vorstellung dessen, was den Kolonisten geboten wurde: „Die Emigranten sind in Bezirken anzusiedeln. Zunächst in der Nähe von bewohnten Ortschaften, dann in der Mitte freier Gebiete. Die Bezirke sind kreisförmig anzulegen; im Umfang nicht weniger als 60 - 70 Werst, und sollte genügend brauchbares Land für etwa 1000 Familien enthalten. Die Leute sollen der Religion nach angesiedelt und so verteilt sein, daß sie sich gegenseitig unterstützen können.“

Jeder Familie sind 30 Dessjatinen Land zuzuteilen: 15 Dessjatinen Acker-, und 5 Heuland, 5 Wald, 5 Hof und Dreschplatz und Weideland. Die Kolonien sind so anzulegen, daß der sechste Teil sowohl vom Ackerland sowie auch vom übrigen Grund und Boden unbebaut bleiben kann für die in Zukunft sich vermehrenden Einwohner. Zehn Jahre sind die Kolonisten von Abgaben und sonstigen Beschwerden befreit.“

Die ersten Kolonisationsversuche können nicht als besonders gelungen bezeichnet werden. Die Regierungskommissare hatten jedermann ohne Auswahl zur Einwanderung nach Rußland zugelassen, so kam es, daß viele schlechte Elemente einwanderten. M. Braun schreibt:

„Die ersten Ansiedler waren aus allen denkbaren Schichten der Gesellschaft, waren von jung auf an die verschiedenste Beschäftigung gewöhnt; der bei weitem kleinere Teil bestand aus Ackerbauern. Diese mußten die Stelle der Lehrer im Landbau übernehmen. Wie konnten Leute, die in ihrem Leben kaum einen Pflug gesehen, die nicht einmal ein Pferd einzuspannen wußten, die Landwirtschaft betreiben? Aber nicht nur Mangel an Kenntnis, sondern auch Trägheit, Mangel an gutem Willen waren die Ursache der langsamen Entwicklung der Landwirtschaft.

Die ersten Ansiedler mußten des Morgens zur Arbeit geweckt werden, sie hielten, ehe sie zum Pflügen oder in die Ernte fuhren, ihren „blauen Montag“, welcher öfters noch bis Dienstag dauerte. Viele trieb die Sucht nach Abenteuer hierher, und - hier angekommen, schlugen sie die Hände über dem Kopf zusammen, als sie, anstatt ein Land, wo Milch und Honig fließt, eine öde Steppe vor sich sahen, wo einem jeden nur nach dem Maßstab seines Fleißes die irdischen Güter zuteil werden sollten.“4

Die Regierung stellte bis auf weiteres die Einwanderungen ein, bis eine ausführliche Regel für die Emigration festgestellt war. Obwohl nach dieser nur einigermaßen bemittelte und mit guten Zeugnissen über guten Lebenswandel und Befähigung zum Ackerbau versehene Personen angenommen werden sollten, kamen doch viele unerwünschte Elemente mit.

Aus dem Ukas Kaiser Alexander I, vom Jahre 1804, sei folgendes mitgeteilt:

Den Ministern an fremden Höfen ist mitzuteilen:

1. Daß sie keinerlei Vorschüsse machen, ausgenommen die Zahlung für Schiffe und Fuhrwerke für diejenigen, welche expediert werden.

2. Daß diejenigen, die sich bei ihnen melden, Zeugnisse darüber aufzuweisen oder sichere Bürgen dafür stellen müssen, daß sie ein Vermögen in barem Geld oder in Waren nicht weniger als 300 Gulden besitzen und mit sich nehmen; daß diejenigen aber, die nichts aufzuweisen haben, nicht anzunehmen sind, denn die Erfahrung hat gelehrt, daß die Ansiedlung unbemittelter Leute langsam vonstatten geht und schlecht gelingt.

3. Es versteht sich von selbst, daß die Auswanderer Leute mit Familien sein müssen; Alleinstehende sind nicht anzunehmen, es sei denn, daß jemand sie in seine Familie aufnimmt.

4. Familien, aus Mann und Frau bestehend, sollen, soweit als möglich, nicht befördert werden, denn die Erfahrung zeigt, wie schwer es fällt, die Wirtschaft zu führen und zu Wohlstand zu gelangen, wenn sie keine Mittel haben, Arbeiter zu erlangen.

5. Auswanderer werden zu Partien von 20 - 30 Familien gebildet und aus ihrer Mitte ein Ältester gewählt.

6. Die Übersiedler erhalten: Nahrungsgelder vom Tage der Ankunft an der Grenze 10 Kop. auf jeden Erwachsenen, 6 Kop. für jedes Kind; vom Tage der Ankunft an Ort und Stelle jedoch, bis zur ersten Ernte, von 5 bis 10 Kop. pro Kopf, je nach dem Preise der Lebensmittel; für den Bau der Häuser, Ankauf von Vieh und zur Einrichtung der Wirtschaft bis zu 300 Rubel je Familie; die Abzahlung dieses von der Krone dargeliehenen Geldes ist nach Ablauf der 10 Freijahre auf die folgenden 10 Jahre zu verteilen.

7. Die auf Kronsländereien angesiedelten Ausländer unterstehen dem Schutze einer eigenen Behörde unter der Benennung „Vormundschaftskontor für ausländische Ansiedler.“

Auf diese Weise suchte man Landstreicher und ungeeignete Kolonisationselemente fernzuhalten, dafür gute, erfahrene und bemittelte Leute anzusiedeln.

Am 12. September 1803 langten auf 25 Fuhrwerken unter Begleitung des Inspektors Silberharnisch der erste Transport von Kolonisten in Odessa an. Ulm war der Sammelpunkt der Auswanderer. Aus verschiedenen Leuten zusammengesetzte Auswandererpartien wurden mehrmals im Jahr nach Rußland abgefertigt.

Ein Bild von der beschwerlichen Reise kann man sich aus der Bittschrift eines Kolonistentransportes machen:5

„Wir sämtlich dienstwillige und gehorsame Kolonisten von Ovidiopol können nicht mehr unterlassen, ein Hochlöbliches Militär- und Zivilamt des russischen Landes, nämlich den Herrn Festungskommandanten nebst einem Hochlöblichen Oberamt, in unserer Verlegenheit um Hilfe zu ersuchen, weil wir mit unserem Schicksal nicht mehr zufrieden sein können. Denn wie wir immer Besserung hofften, so wird es je länger, je ärger, denn da wir auf das Ausschreiben des K. K. russischen Kommissars Ziegler unser ganzes Vermögen veräußerten, auch wegen einer so weiten Reise Leib und Leben daran gewagt haben, so glauben wir, es sollte uns auch gehalten werden, was uns versprochen worden ist, nämlich: das Tagegeld von 40 Kop. vom Hause weg und der Fuhrlohn zu Wasser und zu Land sollte uns bezahlt werden, es ist auch von Ulm aus von einer Station zur anderen versprochen worden, und haben nichts erhalten …

Und da wir in den Kasernen den Winter durch nicht nur wenig Holz und gar kein Licht bekommen haben, sondern auch so eng aufeinander liegen müssen, daß wir wegen Dampf und Unannehmlichkeiten unmöglich unsere Gesundheit erhalten können … Nun aber sind in diesem Gefängnis schon viele Eltern ihrer Kinder und viele Kinder ihrer Eltern durch den Tod beraubt worden …“

Mit unnennbaren Schwierigkeiten hatten somit die ersten Kolonistentransporte zu kämpfen. Doch durch Erfahrung wurden bald günstigere Bedingungen geschaffen.

Aus Bayern, Sachsen, Württemberg, Hannover, Baden, Elsaß-Lothringen, Tirol, Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz sammelten sich Scharen von Auswanderern, um im fernen Osten eine Ruhestätte zu finden. Die französische Revolution hatte diesen Leuten ihre Heimat vergällt. Zuletzt trug der Zug Napoleons dazu bei, die Leute heimatlos zu machen. Die Revolution plünderte, mordete und raubte so, daß die blühende Ebenen bald düstere Einöden wurden und viele an den Bettelstab gebracht worden waren. Die Franzosenherrschaft hauste noch ärger. Während in den Revolutionstumulten noch einigermaßen Gerechtigkeit zu finden war, stahlen und raubten die als Beamte eingesetzten Nationalfranzosen. Ihnen war alles gleich, wenn sie nur ihre Beutel füllen konnten. Die Armut und Heimatlosigkeit trieb die Leute deshalb, eine neue Heimat zu suchen. Drei Länder boten den Hilfsbedürftigen eine Zufluchtsstätte: Rußland, Ungarn und Nordamerika. Rußland nahm in 191 Kolonien 9067 deutsche Familien auf, die auf 513.437 Dessjatinen angesiedelt wurden. Außerdem 222 Familien Schweden und 40 Familien französische Schweizer.6

Durch das Kolonistengesetz waren die Ansiedler einem besonders privilegierten Stand zugezählt mit eigener Verwaltung. Bis zum Jahre 1837 waren sie dem Kontor für ausländische Ansiedler in Jekaterinoslaw unterstellt, dann wurden sie dem Ministerium der Reichsdomänen unterstellt, welches das Fürsorgekomitee in Odessa zur Regelung der Ansiedlerangelegenheiten ins Leben rief. Durch Inspektoren wurde eine stramme Zucht in den Kolonien aufrecht erhalten. Saumselige Wirte wurden durch Geld-, Arrest- und Prügelstrafen zur Arbeit und Ordnung angehalten. Der Fortschritt lag dem Komitee am Herzen, durch allerlei Einführungen suchte man die Landwirtschaft, den Ackerbau und die Viehzucht zu verbessern. Durch Vereine, Schriften, Bezug von Sämereien, Raterteilung und Herausgabe des Unterhaltungsblattes für deutsche Ansiedler in Rußland, waren die Grundlagen eines gedeihlichen Fortschritts gelegt. In kurzer Zeit gelangten die Kolonien durch solche Organisation zu hoher Blüte.

Die sittliche Gestaltung war unter den obwaltenden Umständen eigenartig. Probst Kühler berichtet:7 „Die Krone hat ihnen zwar Land und auch einen Vorschuß gegeben, bald war er aber verbraucht, die Leute verstanden wenig von der Landwirtschaft. Zu arm, um sich gehörig einzurichten, ohne Häuser und Ställe, wurden sie obendrein betrogen und bestohlen. Da konnten sie nur mit Bangen in die Zukunft blicken. Vorwürfe und Angst preßte ihnen das Herz; Heimweh regte sich in ihrer Brust. Eltern hatten sich von ihren Kindern, Kinder von ihren Eltern losgerissen, und nicht einmal einen Brief wußten sie in ihr Heimatland zu senden. Es war auch keine Aussicht auf einen rechtschaffenen Geistlichen und Schullehrer. So kam es denn, daß in wenigen Jahren die Hälfte der Einwanderer auf dem Friedhof lag. Zu arm, um den Toten die letzte Ehre zu erweisen, wurden diese ohne Bahre und Leichenzug in Lumpen der Erde übergeben. Die meisten der ersten Einwanderer waren in ihrem Vaterland unbemittelte, manche unsittliche und viele rohe Leute, denen es an Mitteln, Überlegung und Einsicht fehlte, um zu ihrem und ihrer Nachkommen Wohl eine Ansiedlung vorteilhaft zu begründen. Wenn auch einzelne eine ehrenvolle Ausnahme machten, so hatten dieselben zu wenig Einfluß auf das Ganze.“ - „Zu den Zänkereien um zeitlicher Güter willen gesellte sich auch noch der Religionsneid; Aberglaube und Schwärmerei erhoben ihre unheimlichen Häupter, Gottesdienst und Schulwesen wurden indessen von der Mehrheit nicht versäumt, obgleich man sich im letzten Fach so gut als möglich behelfen mußte, weil keine Lehrer von Fach eingewandert waren.“8

Kolonist Jühlich berichtet:9 „Die Ansiedler waren sich selbst überlassen, ohne geistliche Pflege, und da konnte man auch von ihnen sagen die Worte, die in der Bibel stehen: „Zu der Zeit war kein König in Israel, und ein jeder tat, was ihm wohl gefiel.“ Eine Partei wollte links, die andere rechts; nur Wünsche hörte man, und ein jeder wünschte den noch aus Deutschland ihm bekannten Gebrauch und Mißbrauch. Als das Gebiet im Jahre 1812 einen Kirchspielgeistlichen bekam, nahm die Zügellosigkeit nicht ab, sondern eher zu.“

Der Gesamteindruck war folgender: „Unsägliche Mühsale, auch Unkenntnis der Sachlage, Untüchtigkeit vieler Ansiedler, deren erste Züge sich aus den ärmsten und verkommensten Elementen zusammensetzte,10 die Vernachlässigung der Erziehungsmittel, auch Schule und Kirche, machten aus den Kolonisten bald einen besonders veranlagten Menschenschlag.“

Die Regierung wollte tüchtige Kolonisten haben, und es ist ihr auch gelungen, solche zu erziehen. Die Präsidenten des Fürsorgekomitees wagten alles daran, um die Kolonien zur höchsten Blüte zu bringen. Ehe der „Landwirtschaftliche Verein“ gegründet wurde, wurden den Kolonisten allerlei praktische Ratschläge gegeben. Von dem von den Mennoniten eingeführten Vierfeldersystem wurde bald zur Dreifelderwirtschaft übergegangen, und heute wird meistenteils danach gewirtschaftet. Der Garten-, Gemüse- und Waldbau sollte durch die Kolonisten besonders gepflegt werden. Staatsrat E. v. Hahn hat sich besonders verdient gemacht um die Baumanpflanzungen. Als er anfangs seiner Verwaltung Rechenschaftsberichte über die Garten- und Waldanlagen abverlangte, antworteten die Gemeinden, daß bei ihnen auf dem „schlechten“ Land keine Bäume wachsen. Er gab sofort den Befehl an diese Gemeinden mit der Devise: „Es müssen Bäume wachsen.“ Und er hatte Recht, die Bäume wuchsen auf seinen Befehl in allen Kolonien.11 Die meisten aus jener Zeit stammenden Obst- und Waldplantagen sind nach der Aufhebung des Fürsorgekomitees eingegangen, andere sind auf barbarische Weise ausgerottet worden. Der Viehzucht kam die Regierung in besonderer Weise entgegen. Durch Veredlung bester Rassen zogen die Kolonisten das südrussische Vieh als mustergültige Rasse heran. Heute sind die südrussischen Kolonisten als die reichsten Ansiedler in Rußland bekannt,12 ihr allgemeines Streben ist mehr auf das Materielle als auf geistige Güter gerichtet, darum liegt die geistige Welt im argen. „Geld und Feld“ ist das Losungswort der meisten Kolonisten.

Verschiedenartig waren die Fürsorger der Kolonisten, um deren geistiges Leben zu heben, bemüht gewesen. Eugen v. Hahn13 gründete Zentralschulen als Lehrerbildungsstätten, da die Schullehrer, abgesehen von ihrer pädagogischen Unfähigkeit, nur schwach lesen und schreiben konnten, und demzufolge der Unterricht der Kinder ein äußerst mangelhafter war. Die Hauptsache war ein billiger Lehrer, und wenn man diesen hatte, war man zufrieden. Die Pflege von Seiten der Geistlichen war im Anfang der Kolonisation nicht derartig, wie sie sein sollte; unzählige Kirchspiele mußten bereist werden, wie konnte da von Seelenpflege die Rede sein? Doch braucht jede Pflanze Pflege, und jede Seele noch mehr, um nicht in der argen Welt Schaden zu nehmen, das läßt sich aus der „Instruktion zur inneren Einrichtung und Verwaltung der neurussischen, ausländischen Kolonien“ ersehen.14

„Eine der wichtigsten Pflichten aller Kolonisten ist diese: daß jeder die Gebote und Lehren seines Glaubens ernstlich zu Herzen nehme und dieselben als Richtschnur seines Lebenswandels treu befolge. Demnach soll ein jeder pflichtmäßig alle Sonn- und Feiertage dem Gottesdienste beiwohnen, die im Hause Gottes vorgetragenen Glaubenslehren mit Andacht hören und wenn er dessen würdig ist, das heilige Abendmahl empfangen.“ Wenn jemand ohne erhebliche Ursachen, vielmehr aus Faulheit oder Nachlässigkeit ausbliebe, so soll er das erste und zweite Mal nachdrücklich ermahnt werden, nachher aber für sein jedesmaliges Ausbleiben vom Gottesdienst 10 Kop. Strafgeld erlegen. Und sofern jemand solche Strafgelder dreimal im Jahr erlegt haben würde, ohne sich zu bessern, solcher die erwähnte Geldstrafe doppelt tragen und einen ganzen Tag Gemeindearbeit verrichten muß. Nur wenige Seelsorger waren für die großen Kolonistenbezirke vorhanden. Der Kampf um die Existenz hieß des Kolonisten ganze Sinne auf das Materielle lenken, so daß für das Geistliche wenig übrig blieb. Die Ältesten des Volkes, Dorf- und Bezirksälteste, waren nicht nach ihrer Befähigung gewählt worden, sondern weil sie reicher und gewandter als andere waren. Untaugliche Schullehrer, verpfuschte Handwerker, entlassene Beamte wurden zu Gemeinde- und Bezirksschreibern gewählt. Die Verwaltung war nicht dazu angetan, die Sittlichkeit zu heben. Die Gelegenheiten zu Saufgelagen wurden gesucht, in den Zusammenkünften der Gemeinde gefunden und redlich ausgenutzt. Kein Wunder, daß die Arbeit ernster Seelsorger angefeindet wurde. Das Heilige wurde verspottet. Es war angebracht, sich nicht mit der Dorfobrigkeit zu verfeinden, und die ganze Gemeinde blies in dasselbe Horn. Die Gottlosigkeit und Zügellosigkeit brachen sich Bahn. Wollte man die Kirchen nicht leer haben, dann durfte die Sünde nicht gerügt werden, und es verstanden manche meisterhaft zu predigen, ohne persönlich zu werden. Wenn dann der Krug übervoll wurde, suchte man durch strenge Zucht, Geld, Arbeit und Züchtigung dem Übel Einhalt zu gebieten. Selbst bei den eingewanderten Pietisten fand man nicht mehr die schwäbische Frömmigkeit, und wenn sie die Väter hatten, war sie bei den Kindern nicht zu finden. War der junge Mann konfirmiert, dann hatte er das Recht, die nächtlichen Umzüge mitzumachen und war reif, sich an den Jugendbelustigungen, die oft unsittlicher Art waren, zu beteiligen. Welche Folgen solche Ausschweifungen hatten, ist schwer zu beschreiben. Während die Eltern in den Bethäusern sich versammelten, trieben ihre Kinder ihr Unwesen. Und wenn der Leib zur Sünde unfähig war, dann wurden sie Betbrüder und Betschwestern … die mit ihren Kindern viel Nachsicht hatten, weil sie es nicht anders getrieben hatten. Aber Gottes Geist hat nicht geruht. Wenn er dann rauschte, brach ein Weinen und Klagen aus … Die Herzen brachen unter der Last der Sünde zusammen, Erweckungen entstanden, und es gibt kaum einen Kolonisten, der nicht Zeuge der Arbeit des Geistes Gottes war. Gott hat sich je und je Leute erwählt, die zur Buße riefen. Da waren Wüst15 und andere, deren Einfluß sich heute noch geltend macht. Doch war das Wort vom Kreuz stets ein Ärgernis denen, die verloren gehen wollen. Ihnen war Bekehrung und Buße ein Pfaffenjoch, das Beten und Singen eine Schwärmerei. Als Laien die Bewegung ausbreiteten, sah man plötzlich die Kirche in Gefahr. Man raffte sich auf, die Unruhestifter still zu kriegen. Es war so selig, der Sünde zu leben und das erwachte Gewissen weiter zu betäuben durch Erfüllung äußerer Formalitäten. Das Evangelium von der Buße und Gnade wurde verächtlich gemacht. Der natürliche Mensch, der nichts vernimmt vom Geiste Gottes, unternahm es, die mit einer Erweckung manchmal verbundene Nervenreizung zu einer Posse zu machen. Man erzählte von Krämpfen, Ohnmachtsanfällen und dergleichen, um die geistliche Aufregung lächerlich zu machen. Pastor Hübner schreibt: 16 „Im Kirchspiel Rohrbach fanden in diesem Jahr seltsame Konvulsionen statt, da die davon Ergriffenen sich selbst rauften, schlugen und schrien … dabei sich triefend naß arbeiteten; - endlich mit dem Freudenruf: „Jesus lebt!“ aufsprangen und jedermann küßten, da es dann hieß: der oder die ist jetzt durch! Der ganze Hergang wurde die eigentliche Wiedergeburt genannt.“ Wenn auch viel Ungesundes in solcher Begebenheit war, so sehen wir doch, welch ein gewaltiger Kampf auf dem geheimnisvollen Gebiet der Seele sich abgespielt haben muß. Für ganze Gegenden waren diese Erweckungen von Segen. Sünde wurde wieder Sünde genannt, Wirtshäuser wurden leer, das Familienleben bewegte sich in gesunden Bahnen. Wüst wurde das Predigen verboten. Doch das von ihm angefachte Bußfeuer ließ manche Seele für Gott reifen. Wüst ist der eigentliche Reformator der Kolonisten Südrußlands. Man mag über seine Schwächen deuten und richten, wie man will, das eine bleibt, er hat nicht umsonst gelebt. Die Entstehung des Baptismus im Süden ist zum Teil aus der religiösen, von Wüst ins Leben gerufenen Bewegung hervorgegangen.

Der Baptismus ist, unserer Meinung nach, ein Segen für die Kolonisten in Südrußland geworden. Die nachfolgenden Blätter zeigen uns, wie aus einem winzigen Anfang, einem Senfkorn, sich ein Baum entwickelte.

Artur Wenske

Geschichte der Baptisten in Südrußland

Oftmals wurde schon darauf hingewiesen, daß doch jemand von den ersten Anfängen und der Entstehung der Baptisten im südlichen Rußland etwas schreiben möchte. Da niemand mehr von den ersten Brüdern am Leben ist, die den Anfang der geistlichen Bewegung in unserer Gegend miterlebt, die mitgekämpft und mitgearbeitet haben, so empfand ich es als eine Pflicht vom Herrn, mit der Abfassung der Geschichte zu beginnen, um der Nachwelt einen geschichtlichen Beweis zu hinterlassen von dem, was der Herr hier zu seiner Zeit Großes getan hat. Zu diesem Entschluß hat mich die südrussische Vereinigungskonferenz in Altdanzig, im Mai 1909, ermutigt und durch einheitliche Abstimmung beauftragt, die Arbeit zu übernehmen. Es ist kaum nötig zu erwähnen, daß dies keine allgemeine Geschichte der Baptisten in Rußland sein soll, sondern nur Notizen aus den Gemeinden der südrussischen Vereinigung, die später Stoff bieten werden zu einer allgemeinen Geschichte des baptistischen Werkes in Rußland.

Die ersten Anfänge

Beim Beginn des Schreibens kann ich nicht umhin, den Pietismus zu erwähnen, denn er ist mit dem ersten Anfang unserer Geschichte sehr eng verknüpft.

Die wunderbarsten Erweckungen des 17. und 18. Jahrhunderts, die durch den Pietismus (lat. Frömmigkeit, Achtung, Ehrfurcht, Rücksicht, liebevolle Anhänglichkeit) entstanden und die fast die ganze christliche Welt mit dem Feuer des Geistes überfluteten, ja, deren Funken bis zu den Heidenvölkern drangen, haben, Gott sei Dank, auch Rußland nicht unberührt gelassen. Die Werkzeuge, die Gott dazu gebrauchte, das Geistesfeuer in den deutschen Ansiedlungen zu entfachen, waren besonders zwei Pastoren: im Taurischen Gouvernement der weitbekannte Pfarrer Otto Wüst17 und im Chersonschen Gouvernement Pastor Bonekämpfer, der mit seinen gewaltigen Bußpredigten die geistlich tote Christenheit in den Kolonien um Odessa herum aus dem Sündensschlaf weckte. Die Erweckten und Bekehrten vereinigten sich zu einer Bruderschaft, die neben den kirchlichen Gottesdiensten ihre Privatversammlungen, Bet- und Missionsstunden abhielten, nach dem Muster des deutschen Pietismus. Von den Bet- und Missionsstunden rührt der in Rußland so viel genannte und mißverstandene Name „Stundist“ her. Nebst Pastor Bonekämpfer halfen das Feuer schüren durchreisende Prediger und Missionare, wie auch einfache Bauern aus den Kreisen der Bekehrten und Gläubigen in der Kirche, welche damals ein „Kirchlein in der Kirche“ bildeten und ihre Boten von Dorf zu Dorf sandten, Betstunden und Versammlungen in erwecklicher Weise zu leiten. So verbreitete sich der Pietismus bald auf alle evangelische Dörfer, zum Teil auch auf katholische Ansiedlungen, ja selbst bis nach Bessarabien hin, wo sich große deutsche Ansiedlungen befinden. Durch Gottes wunderbare Leitung kam diese Geistesregung auch bis nach Altdanzig, ein einzelnes deutsches Dorf unter den Russen, von den anderen deutschen Ansiedlungen Hunderte von Werst abgelegen, sittlich tief gesunken und geistlich abgestorben.

Den ersten Anstoß zu einer Wiedergeburt und Neubelebung in Altdanzig gab der obenerwähnte Pastor B., der in Ermangelung eines Pastors hier am Orte im Jahre 1840, gelegentlich eines Vikarbesuchs, über Apostelg. 10, 29 eine ergreifende Bußpredigt hielt, die ihre Wirkung nicht verfehlte. Ihm folgten einige sogenannte Stundenbrüder, unter anderem der hervorragende Versammlungsvorsteher Friedrich Engel aus Neudanzig, der 20 Jahre später mit noch einer Anzahl Brüdern und Schwestern, die ersten im Chersonschen Gouvernement waren, die sich biblisch taufen ließen und bald darauf über die Grenze verschickt wurden. Diese freiwilligen Boten schürten das Feuer der Erweckung, das angezündet war, aber zur rechten Aufflammung erst etliche Jahre später kam, als hier ein Missionar namens Kuß durchreiste. Er war ein Freund von Pfarrer Wüst, und da er einen Ruf von Amerika erhalten hatte und auf dem Wege dorthin war, wollte er noch erst seinen Freund Wüst im Taurischen Gouvernement besuchen. Dieses konnte damals nur per Achse geschehen. So eine Reise hatte bei aller Beschwerlichkeit und Langwierigkeit auch manches Gute für sich. Sie war gerade geeignet, eine solche umfangreiche Missionstour mit Erfolg von Kolonie zu Kolonie zu machen. Wenn’s dabei auch monatelange Abwesenheit von Haus und Wirtschaft gab, Selbstverleugnung und mancherlei Opfer kostete, so half die Liebe Christi, die dringend war, alles überwinden. Von Odessa begleiteten den Prediger Kuß mehrere leitende Brüder, unter anderem der Führer der Brüderschaft in Odessa, Albert. Es ging durch deutsche Dörfer, die auf dem Wege von Odessa nach Altdanzig zahlreich sind. Hier in Altdanzig aber geschah etwas Außerordentliches, so daß sie länger als eine Woche blieben. Der Funke, der gezündet hatte und glimmte, loderte durch den außergewöhnlichen Besuch zu einer mächtigen Flamme auf. Eine allgemeine Erweckung brach im Dorfe aus. Jung und alt, ja, selbst Schulkinder, gingen täglich in die Versammlung ins Schulhaus, das bis auf den letzten Platz besetzt war, und beteten bußfertig und brünstig um Gnade und Vergebung. Damals mochte ich wohl 5 Jahre alt gewesen sein und kann mich noch gut erinnern, daß alle Tage viel Menschen ins Schulhaus gingen, welches gerade unserem Wohnhaus gegenüber stand. Später erst erfuhr ich von meinen Eltern den Zweck und die Bedeutung der vielen und großen Versammlungen, sowie von dem wunderbaren Bekehrungswerke jener Zeit, das unser Dorf ganz umgestaltete. Bald ist seitdem ein ganzes Jahrhundert dahingerollt, aber noch brennt dieses Feuer des Geistes an diesem einsamen Orte unter Russen und Deutschen, zwar nicht immer gleich mächtig, oft sinkt es herab zu einem glimmenden Docht. Doch das Verheißungswort Jesu: „Den glimmenden Docht will ich nicht auslöschen“, hat sich auch hier erfüllt. Nein, der Herr hat es nicht nur geschützt unter den mancherlei Stürmen und Bedrängnissen von außen und innen in dieser Ecke Rußlands, sondern hat es ab und zu wieder entflammt zu einem mächtigen Feuer, so daß Erweckungen und Neubelebungen stattfanden. Eine der großartigsten Erweckungen, die ich selbst miterlebte, fand im Jahre 1859 statt. Vorbereitet hatte sie der liebe Gott in seinen Friedens- und Liebesgedanken durch eine schwere Heimsuchung, die er in unser Dorf kommen ließ.

Es war im Jahre 1858, als hier ein bösartiger Typhus epidemisch ausbrach, und viele Leute, Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen dahinraffte. Fast kein Haus blieb von dieser Heimsuchung unberührt, wenn auch nicht gerade in jedem Todesfälle vorkamen. Auch ich wurde durch diese Krankheit an den Rand des Grabes gebracht, doch Gott half mir in seiner großen Liebe und Barmherzigkeit und in seinem wunderbaren Walten noch einmal auf, während mehrere meiner erkrankten Kameraden mit dem Tode endigten. In der Trübsal der Krankheit gelobte ich meinem Gott, daß ich fortan mein Leben ihm weihen wolle, der es mir mit der Genesung aufs neue geschenkt hatte. Und er, der so sein Werk in mir angefangen hatte, half mir auch durchzudringen zur Glaubensfreudigkeit, in der Vergebung meiner Sündenschuld. Dies war eine meiner gesegneten Erfahrungen in meinem Leben, als ich und noch drei Jünglinge von meinen Schulkameraden, die ich gewann, uns zu einer Betstunde versammelten, in welcher wir unserer Herzensbedürfnisse Rechnung tragen konnten. Dies geschah an einem Maiabend 1859. Die Leitung wurde mir aufgetragen, und erst nach langem, heißem Kampfe gelangte ich zur Entscheidung. Aus „Goßners Schatzkästlein“, das in der Zeit nebst „Hillers tägliches Andachtsbuch“ in den Brüderkreisen bei ihren Versammlungen und Betstunden mit Vorliebe benutzt wurde, wählte ich ein Lied mit der Absicht, ein paar Verse singen zu lassen, wie man es in solchen Versammlungen zu tun pflegte, und dann zu beten, konnte mich aber nicht eher überwinden dies zu tun, bis der letzte Vers von dem elf Verse langen Liede verklungen war. Dann aber faßte ich Mut, und auf meine Aufforderung knieten wir nieder zum Gebet. Meine Mitkameraden beteten alle mit mir, und als wir die erste Betstunde, die der Anfang zu so vielen großen Erweckungsbetstunden sein sollte, beendigt hatten, fühlten wir uns so froh, als ob wir einen großen Sieg errungen oder einen reichen Schatz entdeckt hätten. Es wurde sogleich beschlossen, uns am kommenden Sonntag wieder zu demselben Zweck zu versammeln, wozu wir dann auch andere einluden. Am folgenden Sonntag aber kamen schon 20 junge Leute, Jünglinge und Jungfrauen, Männer und Frauen, mit demselben Bedürfnis wie auch wir. Die so Versammelten beteten, bekannten ihre Sünden und flehten um Vergebung. Das Gerücht von dem Ereignis verbreitete sich bald wie ein Lauffeuer durchs ganze Dorf, so daß am dritten Sonntage der Saal im Privathause zu klein wurde für die suchenden und gnadenhungrigen Seelen. Das Gnadenfeuer loderte immer mächtiger auf und erreichte seinen Höhepunkt, als ein sehr verkommener junger Mann, der später, was seinen unbekehrten Zustand betraf, sich mit John Bunyan verglich, in einer Betstunde, nach heißem Gebetskampf Vergebung und Frieden mit großer Freudigkeit vor der großen Versammlung bekannte. Das war ein überschwenglich göttlich großes Ereignis, welches das Bekehrungswerk noch mehr entflammte. Auch waren sie sichtlich alle davon überzeugt, daß es das Werk des Heiligen Geistes sei. Die suchenden Seelen bekamen nun um so mehr Mut und Hoffnung zum Finden, die aber bis dahin mehr gleichgültig geblieben waren, kamen zur Entscheidung und fingen auch an zu beten, denn jedermann, der mit dieser Bewegung in Berührung kam, fühlte die Kraft des Heiligen Geistes, und wurde unwillkürlich zu dem Bekenntnis genötigt: „Das ist vom Herrn geschehen und ein Wunder vor unsern Augen.“

So kam es denn, daß fast in jeder Versammlung einige Seelen Frieden fanden und sich der Vergebung ihrer Sünden in Christi Blut freuten.

Die Sommerzeit ging vorbei, da wir unsere Gebetsversammlungen nur auf den Sonntag beschränken konnten, weil in der Erntezeit damals die Leute, die ganze Woche hindurch, Tag und Nacht, auf dem Felde verblieben. Nach der Ernte aber wurden die Versammlungen allabendlich fortgesetzt. Die Neubekehrten gingen von Haus zu Haus und nötigten hereinzukommen, diejenigen, die bis dahin noch fern geblieben waren. So wurden fast alle Bewohner des Dorfes aus dem Sündenschlafe gerüttelt, auch die laugewordenen Brüder wurden zu neuem Eifer angeregt. Diese Bewegung dauerte in ihrer Frische jahrelang fort. Viele lasterhafte Menschen, wie Trunkenbolde, deren Altdanzig in der Zeit nicht wenige hatte, weil sich ja auch eine Branntweinschenke im Dorfe befand, kamen zu wahrer Herzensbekehrung.

So wurde denn die Gemeinde dieses Dorfes durch diese Bewegung ganz umgewandelt, daß das Wort des Apostels auch hier paßte: „Das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden“ (2. Kor. 5,17). Die Schenke mitten im Dorfe, die am Sonntage und an den Winterabenden den Sammelplatz der Jugend und auch leider vieler alten Leute bildete, blieb nun leer, die Kirche aber und die Betstunden waren gedrängt voll und auf der Straße, wo sonst aus Jugend Mund schmutzige Lieder gesungen wurden, ertönte nun das Lied von der Gnade und Liebe Christi. Nicht unerwähnt kann ich hier ein Ereignis in der Dorfgemeinde damaliger Zeit lassen, das wir auch zu den wunderbaren Führungen unseres Gottes in der Bewegung zählten, und das auch meinem Leben eine andere Wendung gab. Damals war die Lehrerstelle hier am Orte vakant, und als sich ein Lehrer noch vor dem Schulbeginn meldete, die Gemeinde auch zum größten Teil für ihn stimmte, verhinderte es der Dorfschulze aus selbstsüchtigen Gründen; er vermochte das um so mehr, weil mit dem Lehreramt auch sogleich das Schreiberamt verbunden war und er als Schulze zur Wahl des Schreibers ein gewisses Recht hatte. Um zum Ziel zu kommen und den unliebsamen Mann fern zu halten, schlug er in einer Gemeindeversammlung, in welcher über die Lehrerfrage beraten wurde, vor, mich als Lehrer anzustellen. Vielen entsprach dieser Vorschlag nicht, weil ich ja erst ein 17 jähriger Knabe mit mangelhafter Schulbildung war. Zwar hatte ich in Herrn Schreutel einen tüchtigen Lehrer, den ich liebte und hochachtete; außerdem hatte ich Lust zum Lernen, und so brachte ich es ja im Lernen etwas weiter als meine Mitschüler, dennoch war das ungenügend eine Schule von über 80 Kindern zu übernehmen. Die Bedenken derer, die dagegen stimmten, waren wohl berechtigt, die Mehrzahl aber aus den Brüderkreisen, bei denen ich damals schon in Achtung stand, sahen darin Gottes Führung und unterstützten den Vorschlag des Schulzen, wenn sie auch seine Beweggründe nicht gutheißen konnten. Die Abstimmung fiel zu meinen Gunsten aus. Ich konnte nur das Versprechen geben, daß ich tun wolle, was ich könne, wozu mir meine Brüder Mut zusprachen mit der Aussicht, daß sie für mich beten würden.

So kam ich denn vom Pfluge in den Lehrsaal mit der festen Überzeugung, daß der Herr mich dorthin gerufen hatte und mir den Weg dorthin, der mir doch sehr holperig schien, auch ebnen werde. Daß er das nach seinem Verheißungswort auch getan, durfte ich auf wunderbare und auffallende Weise vielfach erfahren. Die Prophezeiungen meiner Gegner, daß die Kinder, von denen die größten nur 3 Jahre jünger waren als ich, mich nicht achten und mir nicht folgen würden, gingen nicht in Erfüllung. Obgleich ich von dem damaligen Recht der Prügelstrafe wenig Gebrauch machte, folgten die größeren Kinder nicht nur, sondern liebten mich, was mich sehr ermutigte und ich als Frucht der Fürbitte meiner Brüder ansah. Daß die Gemeinde mit meinen Leistungen zufrieden war, bewies der Umstand, daß ich ihr mit Gehaltserhöhung 6 weitere Jahre nach der Reihe dienen durfte. Mit dem Lehreramte war auch das Küsteramt verbunden; deshalb war es auch meine Aufgabe, in Abwesenheit des Pastors, der jährlich ein oder höchstens zweimal zu uns kam, seine Vertretung zu übernehmen und nebst Kindertaufen, Beerdigungen auch sonntäglich die Gottesdienste und Sonntagsschule zu leiten. Selbstverständlich bestand der Gottesdienst im Predigtvorlesen, wozu gewöhnlich Ludwig Hofackers und andere Predigtbücher gebraucht wurden. Bei meinem Amtsantritt kamen gerade die ersten Predigten Spurgeons in deutscher Sprache heraus, die wir schon in außerkirchlichen Kreisen im Segen gebraucht und die bald nach ihrem Erscheinen in den Kreisen der Kirchgläubigen sehr beliebt und viel gelesen wurden. So wurden sie auch bei uns fast ausschließlich bei den Vormittagsgottesdiensten zum Vorlesen benutzt. Damals wußten wir noch nicht, daß Spurgeon der Baptisten-Gemeinschaft angehörte, wir fühlten es aber seinen Predigten ab, daß er ein geistvoller Bote Christi war, der von der Liebe Christi gedrungen, das reine Evangelium von der Erlösung und Seligkeit aus Gnaden durch Christi Blut, von der Wiedergeburt und Rechtfertigung durch den Glauben an Jesum Christum, in klarer ergreifender Sprache verkündigte. Die Predigten wurden auch selbst von kirchlichen Leuten gern gehört. Die Ewigkeit wird es erst offenbar machen, wie vielen Seelen dieser Fürst unter den Predigern auch bei uns ein Wegweiser zum Kreuze und zum Frieden, durch seine gedruckten Predigten geworden ist. Nicht nur sind in Sündenschlaf versunkene Seelen zur Buße erweckt, zerbrochene, von Sündenschuld überzeugte und geängstigte Seelen getröstet und auf das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt, hingewiesen, wo sie Vergebung fanden, sondern auch den Gläubigen gereichten seine Predigten zum großen Segen, indem sie Schriftkenntnis und dadurch das Wachstum im Glauben mehrten. Die Erkenntnis, die in den pietistischen Kreisen im Süden Rußlands schon längst Wurzel gefaßt hatte, daß die Lehre von der Wiedergeburt in der Taufe bei den Kindern unbiblisch und ein verderblicher Irrtum sei, wurde durch die klaren und kräftigen Zeugnisse in Spurgeons Predigten noch gefördert.

Die Mennoniten-Brüdergemeinde

Wie bei uns im Chersonschen und Bessarabien der wunderbare Gott durch verschiedene Werkzeuge und geistliche Ausrüstung derselben das Feuer der Erweckung entzündet und ausgebreitet hatte, so auch im Taurischen und angrenzenden Gouvernements und namentlich unter den Mennoniten, die sich, als die russische Regierung Ausländern, und namentlich Deutschen Untertanen, in der damals öden und wenig bevölkerten Steppengegend Südrußlands Land zur Ansiedlung anbot, das Jekaterinoslawsche Gouvernement zur Niederlassung wählten. Am Dnjepr bei Alexandrowsk und im Taurischen Gouvernement an der Molotschna gründeten sie umfangreiche Kolonien. Als gesittetes kulturfähiges Volk, von der Regierung mehr als andere Kolonisten mit Privilegien begünstigt, kamen sie nach jahrelangem Kampf mit Armut und allerlei Drangsalen zu Wohlstand und Fortschritt nach jeglicher Richtung, so daß sie andere Kolonisten in kultureller Beziehung überragten. Doch in dem Maße, wie sie in wirtschaftlicher Beziehung gewannen und zunahmen, verloren sie den Standpunkt immer mehr im freudigen Bekenntnis und opferwilligen und selbstverleugnenden Glauben. Sie erstarrten gleich den anderen evangelischen Kolonisten hier im Süden zum toten Formalismus. Als später der Bote Gottes, Pfarrer Wüst, nach Rußland kam und seine Evangelisationsarbeit unter den separierten Gemeinden am Asowschen Meere mit so auffallendem Erfolg begann und mit seinen ergreifenden Bußpredigten, die im Schlafe der Sicherheit daliegenden und lässig gewordenen Gemeinden aufrüttelte, da erwachten, angeregt durch die lebendigen und zündenden Bußpredigten Wüsts, die er auch oft in den angrenzenden Mennonitendörfern hielt, auch sie zu neuem Streben. Bald traten aus ihrer Mitte Prediger, Handwerker und Bauern der Bewegung bei und halfen, das Werk zu fördern. So entstand auch im Taurischen und angrenzenden Gouvernements ähnlich wie bei uns und in der Gegend von Odessa, eine allgemeine Erweckung, die namentlich bei ihnen nachhaltig blieb. Die also bekehrten Mennoniten lasen nun mit Eifer in der Heiligen Schrift und fanden bald heraus, daß das Mennonitentum, nicht nur in seiner Verweltlichung von dem streng christlichen Gemeindeleben nach apostolischem Muster, wie es ihre Vorväter übten, abgewichen war, sondern auch von den apostolischen Grundsätzen, wie sie dieselben durch ihren Reformator Menno Simon und andere empfangen hatten. Unter anderem war es auch die Taufpraxis, die nicht mehr wie zur Zeit der Reformation auf das freiwillige Bekenntnis einer begnadigten Seele durch Untertauchung nach apostolischer Ordnung gehandhabt wurde, sondern nach einem festgesetzten Alter ohne Herzensbekehrung des Täuflings durch Begießen, die Anlaß gab zum Austritt aus der Mennoniten-Kirche und zur Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Zustand oder wie sie sich bei der Obrigkeit rechtfertigten: „Wir treten nicht vom ursprünglichen Mennonitentum aus, sondern wollen es in der Praxis befolgen.“18 Als dann in den Sechziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts von den Mennoniten-Brüdern die Frage über die biblische Taufe der Gläubigen durch Untertauchung angeregt wurde, traten sie, von Bruder Unger geleitet, in brieflichen Verkehr mit Bruder Onken in Hamburg, der zur Folge hatte, daß sich ein Häuflein sammelte, an dessen Spitze Bruder Unger und andere hervorragende Männer standen, welche sich biblisch taufen ließen.