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Je näher wir das Universum mit unseren immer leistungsstärkerenTeleskopen betrachten können und je mehr Erkenntnisse wir daraus gewinnen, umso größer scheint die Vielfalt zu werden, die wir dort erblicken. Gleichzeitig öffnen sich damit Türen, die uns faszinierende Einblicke in die Vergangenheit des Universums erlauben – von dessen Anfängen bis zur Ausformung von Materie, Galaxien und Planeten Die beständige Bewegung und Entwicklung des Universums setzt sich bis heute fort Sie schickt uns ferne Signale von werdenden oder sterbenden Sternen, aber auch interstellare Besucher wie Asteroiden und Kometen. Dass es immer noch ungelöste Fragen gibt, macht die Zukunft des Universums nur umso spannender.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Günther Hasinger
GESCHICHTE DES UNIVERSUMS
C.H.Beck
Cover
Inhalt
Textbeginn
Titel
Inhalt
Einleitung
1. Anfangsbedingungen des Universums
Der Horizont
Inflation
Kräfte und Kraftteilchen
Ausfrieren
2. Von der Quark-Suppe zur normalen Materie
Quark-Suppe
Hadronen
Baryonen
Leptonensterben
Primordiale Elementsynthese
3. Aufklaren
Einfang der Elektronen
Die Mikrowellen-Hintergrundstrahlung
Fluktuationen des Hintergrundes
Der Klang des Feuerballs
Ein einzelner kosmischer Trommelschlag
4. Entstehung und Entwicklung von Galaxien
Detaillierte kosmologische Simulationen
Ein neues Bild der Milchstraße
Die tiefsten Aufnahmen mit HST und JWST
Kosmische Geschichte der Sternentstehung
5. Stern- und Planetenentstehung
Voraussetzung für Sternentstehung
Selbstpropagierende Sternentstehung
Das Drehimpuls-Problem
6. Killer-Asteroiden und interstellare Besucher
Planetare Verteidigung
Interstellare Besucher
Der Kometen-Jäger
7. Das Leben der Sterne
Das Hertzsprung-Russell-Diagramm
Die
Gaia
-Revolution
8. Endstadien der Sternentwicklung
Weiße Zwerge
Neutronensterne
Schwarze Löcher
9. Die Entstehung der Elemente
Kernfusion in Sternen
Neutronen-Einfangprozesse
10. Massereiche Schwarze Löcher
Supermassereiche Schwarze Löcher
Das Schwarze Loch im galaktischen Zentrum
Intermediäre Schwarze Löcher
11. Einige ungelöste Probleme
Woher kommen die frühesten Schwarzen Löcher?
Woher kommt die Dunkle Materie?
Die Hubble-Spannung und die Dunkle Energie
Anmerkungen
Bildnachweis
Zum Buch
Vita
Impressum
Im Jahr 2007 wurde mein erstes Buch «Das Schicksal des Universums» veröffentlicht. In der Zwischenzeit ist sehr viel passiert, und neue Erkenntnisse haben unseren Blick auf die Geschichte des Universums und seiner Bestandteile deutlich erweitert. Persönlich durfte ich in dieser Zeit ebenfalls sehr viele neue Erfahrungen sammeln. Deshalb ist es Zeit mit diesem kompakten Band eine neue Bestandsaufnahme und ein Nachschärfen meiner damaligen Erzählung vorzunehmen.
Im September 2008 wurde der Large Hadron Collider (LHC) am CERN in Genf das erste Mal eingeschaltet und in den folgenden Jahren die Kollisionsenergie der beschleunigten Protonen schrittweise auf 14 Teraelektronenvolt erhöht. Das ist etwa die Energie, die im Universum eine Billiardstelsekunde nach dem Urknall herrschte. Die Physiker hatten riesige Erwartungen in den LHC gesetzt und hofften, damit den Geheimnissen des Urknalls auf die Spur zu kommen. In der Tat wurden ihre Erwartungen zunächst nicht enttäuscht. Im Juli 2012 gab das CERN offiziell bekannt, ihre «Urknallmaschine» hätte das letzte noch fehlende Teilchen des Standardmodells der Teilchenphysik entdeckt, das Higgs-Boson. Bereits im Jahr darauf bekamen die beiden theoretischen Teilchenphysiker Peter Higgs und François Englert den Nobelpreis für Physik. Beide Forscher hatten die Existenz dieses Teilchens in den 1960er-Jahren vorhergesagt.
Der LHC wurde ebenfalls erfolgreich eingesetzt, um mit Hilfe von schweren Ionen ein sogenanntes Quark-Gluon-Plasma zu erzeugen. Das ist ein Zustand, der im Universum etwa eine Zehntausendstelsekunde nach dem Urknall geherrscht haben muss. Um das auf der Erde nachzustellen, ließen die Forschenden Blei-Ionen bei sehr hohen Energien kollidieren. Dadurch werden Quarks, aus denen die Protonen und Neutronen unserer normalen Materie bestehen, und die Gluonen, die sie darin zusammenhalten, aus den Teilchen herausgezogen und für kurze Zeit entsteht ein hochenergetisches Plasma, an dem man die Entstehung der schweren Teilchen – der sogenannten Hadronen – untersuchen kann.
In anderer Hinsicht wurden die Physiker jedoch enttäuscht. Viele Kollegen – auch ich – waren überzeugt, dass der LHC neben dem Higgs-Teilchen noch einen ganzen Zoo weiterer neuer Teilchen entdecken würde. Die Annahme war, dass es für jede bekannte Teilchenart noch einmal einen sogenannten supersymmetrischen Partner gibt. Das leichteste von ihnen hätte dann die lange Suche nach den Teilchen der Dunklen Materie beendet. Doch die supersymmetrischen Teilchen bleiben weiter im Verborgenen. Ich hatte im Jahr 2004 sogar eine Flasche Champagner auf dieses Ergebnis verwettet, die ich nun 20 Jahre später kleinlaut einlösen musste. Andere, immer komplexere physikalische Experimente suchen bisher erfolglos nach dem Teilchen der Dunklen Materie. Über dieses Thema gibt es in der Reihe C.H.Beck Wissen ein eigenes Buch von Sibylle Anderl,[1] auf das ich mich im Weiteren bei diesem Thema beziehe. Allerdings deutet sich in jüngster Zeit vielleicht eine Lösung des Rätsels der Dunklen Materie an: Könnte es sich dabei möglicherweise um primordiale Schwarze Löcher handeln? Davon wird am Ende dieses Buches die Rede sein.
Auch in der Astrophysik gab es dramatische Entwicklungen: Im September 2015 wurden von den LIGO-Gravitationswelleninferometern die ersten Signale von der Vereinigung zweier Schwarzer Löcher gemessen und im Februar 2016 bekannt gegeben. Im August 2017 entdeckten die US-amerikanischen LIGO-Detektoren und das italienische Virgo-Instrument die ersten Signale von der Vereinigung zweier Neutronensterne, was der Jagd nach dem Verständnis der Entstehung der schweren Elemente neuen Auftrieb verlieh. Noch im selben Jahr erhielten Rainer Weiss, Kip Thorne und Barry Barish für die Entdeckung der Gravitationswellen den Nobelpreis für Physik.
Im Oktober 2017, wenige Monate bevor ich meine Aufgabe als Direktor des Astronomischen Instituts der Universität Hawaii beendete und als Wissenschaftsdirektor zur Europäischen Weltraumorganisation ESA wechselte, entdeckten meine Kollegen auf dem lieb gewonnenen Archipel den ersten Interstellaren Besucher ‘Oumuamua und eröffneten damit einen ganz neuen Zweig der Astronomie. Für die Entdeckung der extrasolaren Planeten erhielten Michel Mayor und Didier Queloz 2019 den Nobelpreis für Physik. Bereits seit 2014 hatte das Radioobservatorium ALMA in der chilenischen Atacama Hochebene mit 64 Antennen sein höchstes Auflösungsvermögen erreicht und in der Folge immer höher aufgelöste Beobachtungen von protoplanetaren Scheiben und der Planetenentstehung darin ermöglicht. Inzwischen kennen wir mehr als 5000 extrasolare Planeten und fast 1000 protoplanetare Scheiben.
Mit den endgültigen Ergebnissen der ESA-Mission Planck Surveyor wurde im Jahr 2018 der Goldstandard der Kosmologie veröffentlicht, nachdem die Mission mehr als 30 Monate perfekt gearbeitet und mit ihren beiden Instrumenten mehr als fünf vollständige Himmelsdurchmusterungen durchgeführt hatte. Die ESA-Mission Gaia wurde im Jahr 2013 gestartet und beendete ihre Beobachtungen am 15. Januar 2025, kurz vor der Fertigstellung dieses Buches. Ihre endgültigen Daten werden allerdings erst am Ende des Jahrzehnts zur Verfügung stehen. Gaia ist eine fantastische Mission, die bereits auf vielen Gebieten der Astrophysik eine Revolution eingeläutet hat und deren Forschungsergebnisse sich durch dieses ganze Buch ziehen. Derzeit werden jeden Tag etwa fünf referierte Publikationen veröffentlicht, deren Ergebnisse auf Gaia-Daten basieren.
Die Jahre 2018 bis 2020 standen ganz im Zeichen der Schwarzen Löcher. Im April 2019 wurde das erste Bild des Lichtringes nahe dem Ereignishorizont eines supermassereichen Schwarzen Loches, des riesigen Zentralobjektes in der Galaxie M87 im Zentrum des Virgo-Haufens, veröffentlicht. Der Kollaboration rund um das Event-Horizon-Telescope (EHT) wurde dafür im Jahr 2020 der Breakthrough Prize für Fundamentalphysik verliehen. Ein ähnliches Bild des Schwarzen Loches im galaktischen Zentrum wurde im Mai 2022 veröffentlicht. Im gleichen Jahr (2020) ging der Nobelpreis für Physik an Roger Penrose, Reinhard Genzel und Andrea Ghez für den theoretischen Beweis der Existenz von Schwarzen Löchern bzw. die Entdeckung des supermassereichen Schwarzen Loches im Zentrum unserer Milchstraße.
Eines der bewegendsten Ereignisse der letzten Jahre – auch für meine Zeit als Wissenschaftsdirektor der ESA – war der Start des James-Webb-Space-Teleskops an Weihnachten 2021 auf einer Ariane-5-Rakete von Kourou in Französisch-Guayana. Dieses wohl komplexeste und teuerste Gerät der Astronomie ist das Ergebnis einer Kooperation zwischen der NASA, der ESA und der kanadischen Raumfahrtagentur CSA. Trotz jahrelanger Verzögerungen und Kostensteigerungen, die hauptsächlich die NASA abgefangen hat, stieg die Rakete an diesem Weihnachtstag inmitten der Coronapandemie majestätisch in den Himmel und hat seit diesem Tag nicht nur tadellos funktioniert, sondern sogar weitaus besser als geplant. Mein kleiner Beitrag zu der Mission war die Entscheidung, Kameras auf die Oberstufe der Ariane-5-Rakete zu montieren. Dadurch können die historischen Aufnahmen der Separation des Teleskopes nun für lange Zeit in unserer Erinnerung bleiben und neue Faszination wecken.
Bereits an dieser Stelle möchte ich meinen großen Dank aussprechen für die Unterstützung, die ich bei der Vorbereitung dieses Bandes erfahren durfte. Mein Dank geht einerseits an den Verlag C.H.Beck und Daniela von Aretin, die diesen Text von Anfang an mit Sorgfalt und Liebe lektoriert hat. Andererseits an meinen Kollegen Stefan Witschas vom Deutschen Zentrum für Astrophysik, der auch in für ihn persönlich schwieriger Zeit keine Mühen scheute und mir wertvolle Hinweise zur besseren Allgemeinverständlichkeit des Buches gab.
«Der Horizont vieler Menschen ist ein Kreis mit Radius Null – und das nennen sie ihren Standpunkt.» Dieses Zitat wird oft Albert Einstein zugeschrieben, stammt aber vermutlich von seinem Zeitgenossen David Hilbert, einem der einflussreichsten Mathematiker des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Trotzdem ist es für den Beginn unserer kosmologischen Betrachtungen sehr hilfreich, weil die Krümmung des Horizonts eine wichtige Aussage über die Größe des Ganzen erlaubt. Stellen Sie sich vor, Sie stehen am Meeresstrand und schauen auf den Horizont. Früher dachten wohl viele Menschen, sie könnten das Ende der Erde sehen und würden, wenn sie dorthin führen, am Rand hinunterfallen. (Sogar heute gibt es noch etliche von diesen Flache-Erde-Propheten.) Aber bereits die alten Griechen, zum Beispiel Eratosthenes von Kyrene, wussten sehr genau, dass die Erde eine Kugel ist. Er hatte den Erdumfang erstaunlich genau mit etwa 40.000 Kilometern angegeben. Der Radius unseres Horizonts ist, abhängig von der Höhe des Beobachters, etwa 10 Kilometer. Wenn Sie also zum Horizont fahren, sehen Sie wieder einen Horizont und so weiter. Das können Sie etwa 4000 Mal wiederholen, bevor Sie wieder zum Ausgangspunkt kommen. Die Fläche des für uns sichtbaren Horizonts ist weniger als ein Millionstel der gesamten Erdoberfläche!
Wären Sie der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry, der zusammen mit seiner Rose auf dem Asteroiden B 612 lebt, wäre Ihr Horizont stark gekrümmt und Sie wüssten, dass Sie auf einem sehr kleinen Himmelskörper leben. Die Flachheit des Horizonts ist ein Maß für die relative Größe des Körpers, auf oder in dem Sie leben. Lassen Sie uns dieses Prinzip auf das ganze Universum anwenden!
Das Dark Energy Spectroscopic Instrument hat aufbauend auf früheren spektroskopischen Durchmusterungen die größte dreidimensionale Karte unseres Universums angefertigt. Ein Ausschnitt ist in Abbildung 1 zu sehen. Faszinierend sind die großräumigen kosmologischen Strukturen, die Filamente, auf denen wie auf Perlenschnüren die Galaxien angeordnet sind. Die großen Leerräume sowie die riesigen Galaxienhaufen an den Knotenpunkten erzeugen das «kosmische Netz». Diese Strukturen werden durch die Wirkung der Schwerkraft erzeugt, wie sie in den größten kosmologischen Simulationen auf den modernsten Supercomputern vorhergesagt werden (siehe Abbildung 2).
Abbildung 1: Das Dark Energy Spectroscopic InstrumentDESI hat die bisher größte dreidimensionale Karte unserer kosmischen Umgebung produziert. Im Zentrum der Darstellung befindet sich die Sonne. In dem vergrößerten dünnen Ausschnitt ist die großräumige Struktur des Universums deutlich zu erkennen.
Entsprechend des derzeitigen Standardmodells der Kosmologie entstehen diese Strukturen aus den winzigen Fluktuationen, die wir auf dem Baby-Bild des Universums anhand der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung erkennen können, wie es zuletzt von der Planck-Mission der ESA aufgenommen wurde. Die Planck-Daten, können zusammen mit Daten der sogenannten Baryonischen Akustischen Oszillationen (siehe unten) benutzt werden, um die Krümmung des Horizonts unseres Universums zu bestimmen. Danach hat unser Universum eine vernachlässigbar kleine Krümmung von 0.0007 ± 0.0019 und ist damit bis auf eine Genauigkeit von 0.2 % absolut flach![2]
Abbildung 2: Ausschnitt der derzeit größten kosmologischen Simulation des Illustris-TNG Projekts. Die dargestellte Region hat eine Größe von etwa 1.2 Milliarden Lichtjahren. Dargestellt ist die großräumige Struktur der normalen baryonischen Materie.
Wie bei dem Beispiel des Erdhorizonts am Meeresstrand ist der kosmische Horizont nur eine Art optischer Täuschung. Die kommt dadurch zustande, dass das früheste Licht, das unsere Teleskope erreichen kann, vor etwa 13.8 Milliarden Jahren ausgesandt wurde. Das ist das «Baby-Bild» des Universums, das wir im Mikrowellen-Hintergrundbild der Planck-Mission sehen. Die Strahlung wurde ausgesandt, als das Universum etwa 380.000 Jahre alt war, damals als Licht einer etwa 3000 Grad heißen Plasmakugel (ähnlich der Oberfläche eines Sterns etwas kälter als die Sonne). Die Temperatur des Universums war zu diesem Zeitpunkt so weit abgekühlt, dass sich aus dem Urknall-Plasma neutrale Wasserstoff- und Heliumatome bilden konnten und damit das Medium durchsichtig wurde. Weil sich das Universum seitdem um etwa den Faktor 1100 ausgedehnt hat, sehen wir dieses Licht heute als Radio- bzw. Mikrowellen-Hintergrundstrahlung mit einer Temperatur von etwa drei Kelvin über dem absoluten Nullpunkt. Der Ort, an dem dieses Licht ausgesandt wurde, ist heute wegen der Ausdehnung des Universums wesentlich weiter von uns entfernt, etwa 46 Milliarden Lichtjahre. Diesen Radius könnte man als das sichtbare Universum bezeichnen.
Aber die Flachheit des Horizonts deutet darauf hin, dass das Volumen unseres Universums jenseits des beobachtbaren Bereichs viele Zehnerpotenzen größer ist. Legt man die Planck-Daten zugrunde, ist der Radius des gesamten Universums mindestens 200-mal größer als das das beobachtbare. Das entspricht einem mindestens 15 Millionen-mal größerem Volumen. Die Antwort auf die Frage, was sich jenseits unseres Universums befindet ist also: «wieder Universum», und zwar mindestens genau so viel mehr, wie es dem Verhältnis unseres Horizonts zur gesamten Erdoberfläche entspricht. Unserer derzeitigen Information zufolge könnte das Volumen auch unendlich groß sein.
Der Horizont entfernt sich von uns mit etwa 1100-facher Lichtgeschwindigkeit. Man kann also annehmen, dass sich die einander gegenüberliegenden Seiten des Horizonts mit mehr als 2000-facher Lichtgeschwindigkeit voneinander entfernen. Auf den ersten Blick scheint das im Widerspruch zu Einsteins Relativitätstheorie zu stehen. Da sich jedoch die Raumzeit gemeinsam mit ihrem gesamten Inhalt aus Teilchen und Energie ausgedehnt hat, ist dies kein Problem. Die Relativitätstheorie verbietet nur Relativ-Geschwindigkeiten zwischen Materie und Raum, die größer sind als die Lichtgeschwindigkeit. Die beiden gegenüberliegenden Seiten des Horizonts stehen aber nicht in kausalem Zusammenhang zueinander, können also keine Signale über ihren Zustand austauschen. Selbst wenn man zurück in die Frühzeit des Kosmos schaut, sind die kausal getrennten Bereiche des Universums nie miteinander in Kontakt gewesen. Trotzdem ist die Karte des Mikrowellenhintergrundes extrem homogen und isotrop. Die sichtbaren winzigen Fluktuationen entsprechen nur etwa einem Hunderttausendstel der Strahlungsintensität. Das Universum war also von Anfang an exakt auf die gleiche Temperatur abgestimmt. Das lässt sich nur erklären, wenn die heute kausal getrennten Bereiche des Universums zu einem frühen Zeitpunkt miteinander in physikalischer Wechselwirkung gestanden haben, so dass sich ein thermisches Gleichgewicht ausbilden konnte. Das sehr frühe Universum muss also deutlich kleiner gewesen sein als sein Horizont.
Das ist die Idee hinter der Inflationstheorie, die 1979 entwickelt wurde,[3] um einige Probleme der großen vereinheitlichten Theorie (Grand Unified Theory; GUT) der Teilchenphysik zu lösen, unter anderem das Fehlen magnetischer Monopole. Dann stellte sich heraus, dass diese Theorie auch in der Lage ist, zwei der wichtigsten kosmologischen Rätsel zu lösen: das Problem der Flachheit des Universums und das Horizontproblem. Sie geht davon aus, dass das Saatkorn des Universums unmittelbar nach dem Urknall eine wesentlich höhere Nullpunktsenergie hatte, ein sogenanntes falsches Vakuum, das auch als Inflatonfeld bezeichnet wird. Die Nullpunktsenergie hatte eine stark abstoßende Wirkung und führte zu einer exponentiellen Ausdehnung dieses Saatkorns – also der Inflation. Das Inflatonfeld zerfiel in den ersten 10–32 Sekunden nach dem Urknall, nachdem das Saatkorn mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit dramatisch gewachsen war. Damit war das exponentielle Wachstum beendet und das Universum ging in seine immer noch anhaltende langsamere Ausdehnung über. Unser heute sichtbares Universum hatte kurz nach der Inflation etwa die Größe eines Fußballs, gigantisch viel größer als sein eigener Horizont, der zu diesem Zeitpunkt nur 3x10–24 Meter betrug. Aber wie oben gezeigt, ist das gesamte Universum heute dramatisch viel größer als unser Horizont. Deshalb muss das gesamte Saatkorn nach der Inflation ebenfalls viel größer gewesen sein als der Fußball – mindestens 40 Meter, wenn nicht deutlich mehr.
Die Inflation hat alle davor möglicherweise existierenden Strukturen dramatisch auseinandergezogen und damit das Universum absolut flach gemacht. Gleichzeitig hat sie die vorher auf kleinstem Raum existierende Temperatur auf einen großen Bereich jenseits des Horizonts ausgedehnt, so dass der heute für uns sichtbare Kosmos überall am Horizont die gleiche Temperatur hat. Die vor der Inflation in der Nullpunktsenergie existierenden Vakuumfluktuationen wurden durch die Inflation ebenfalls stark auseinandergezogen und damit «eingefroren». Die winzigen Fluktuationen der Mikrowellen-Hintergrundstrahlung sind die Keime der daraus entstandenen großräumigen Strukturen in Abbildung 1 und Abbildung 2.
Die Heisenbergsche Unschärferelation der Quantenmechanik erfordert, dass es im Vakuum Fluktuationen gibt. Diese können wir uns zum Beispiel als Paare virtueller Teilchen – ein Teilchen und sein Antiteilchen – vorstellen, die jeweils für einen winzigen Zeitraum aus dem Nichts entstehen und sich sofort wieder gegenseitig vernichten. Das «Nichts» muss demnach mit Energie gefüllt sein. Während der Inflation werden die Quantenfluktuationen räumlich derart dramatisch auseinandergezogen, dass sich die zu diesem Zeitpunkt existierenden virtuellen Teilchenpaare nicht mehr finden, um sich gegenseitig zu vernichten. Aus dem Zoo der virtuellen Quantenfluktuationen entsteht so eine heiße Ursuppe aus realen Teilchen.