Geschichte kompakt: Österreich - Ernst Bruckmüller - E-Book

Geschichte kompakt: Österreich E-Book

Ernst Bruckmüller

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Beschreibung

Was vom historischen Erbe zählt zu den Grundlagen des heutigen Österreich? Entlang dieser Frage erzählt Ernst Bruckmüller die österreichische Geschichte in einem knapp gefassten Überblick: Alles, was man wissen muss, von der Urgeschichte bis zur Gegenwart. Ernst Bruckmüller schafft mit diesem kleinen Buch einen Einstieg in die Österreichische Geschichte und will Neugier auf mehr Wissen ermöglichen. Beim Freilegen der Fundamente des heutigen Österreich in der Geschichte sind die vergangenen Zeiten keineswegs auf die Rolle von Vorläufern des Hier und Heute reduziert. Es geht dabei um Kulturdenkmäler aber auch um jene Leistungen vergangener Generationen, die strukturelle Bedingungen geschaffen haben, in denen wir, meist unbewusst, noch heute leben: Landschaften, Institutionen, das immaterielle Erbe (Musik, Sprache, Literatur), Mentalitäten.

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Seitenzahl: 526

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Ernst Bruckmüller

Geschichte kompakt: Österreich

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Wien, Hofburg, Blick vom Michaelerplatz. © Irena Bruckmüller-Vilfan.

© 2021 Böhlau Verlag, Zeltgasse 1, A-1080 Wien, ein Imprint der Brill-Gruppe

(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)

Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Korrektorat: Vera M. Schirl, Wien

Einbandgestaltung: Michael Haderer, Wien

Satz: Michael Rauscher, WienEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage |www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-205-21315-4

Inhalt

Vorwort

1. Vor der Geschichte Österreichs

1.1 Was blieb von den Römern?

1.2 Die Bayern

1.3 Die Karantanen

1.4 Das karolingische Ostland

2. Von der Jahrtausendwende bis um 1300

2.1 Kolonisation, Bevölkerungswachstum und Siedlungsverdichtung

2.2 Die neuen Länder Österreich, Steiermark und Tirol – stabiles Erbe des Hochmittelalters

Die Entstehung des Steirerlandes

Von Ostarrîchi zum Herzogtum Österreich. Die Babenberger

Tirol – Ein neues Land an Inn, Etsch und Eisack

Das Neue an den neuen Ländern

3. Haus Österreich – Die Etablierung der Habsburger im Ostalpenraum

3.1 Die Etablierung der Habsburger im Ostalpenraum

Albrecht I. und seine Söhne

Rudolf IV., »der Stifter« 1358 – 1365

Die erste Teilungsperiode

Friedrichs III. lange Regierung

Das Land der Erzbischöfe von Salzburg

Das Land ob der Enns

Kärnten

3.2 Die Krise des Spätmittelalters

Verfolgung der Juden

Folgen der Pest

Wüstungen, Stadtwachstum, Kunst der Gotik

3.3 Herrscher an der Schwelle der Neuzeit: Maximilian I.

4. Frühe Neuzeit bis 1740

4.1 Reformation und Gegenreformation

Warum scheiterte die Reformation in Österreich?

Gegenreformation und Reform der katholischen Kirche

Landhäuser und adlige Schlösser

Verluste – die Exulanten

4.2 Die Krise des »langen« 17. Jahrhunderts

4.3 Höfischer »Absolutismus«, gesellschaftliche Disziplinierung und Staatsbildung

Höfischer »Absolutismus« und Staatsbildung

Gesellschaftliche Disziplinierung

Was blieb vom höfischen »Absolutismus«?

4.4 Das Barock – die Kunst der Repräsentation

4.5 Eine neue Wirtschaftspolitik – der Merkantilismus

5. Maria Theresia, Joseph II. und die österreichische Staatsbildung …

5.1 Maria Theresia und der Beginn der Staatsreform

5.2 Maria Theresia und ihr Mitregent Joseph II.

5.3 Der aufgeklärte »Absolutismus« Josephs II.

5.4 Die theresianisch-josephinischen Reformen

Veränderungen für die Bauern

Die gewerbliche Wirtschaft

Die Rechtskodifikationen und die »Erfindung« der Polizei

Bildungsreformen

Die Reformen auf kirchlichem Gebiet

Die Bürokratie

5.5 Ungarn, Türkenkrieg und Scheitern Josephs II.

6. Zwischen zwei Revolutionen: 1790 – 1848

6.1 Das antirevolutionäre Prinzip

6.2 »System Metternich« – Phantom oder Realität?

Zensur und kulturelle Blüte

Erzherzog Johann, der steirische Prinz

6.3 Biedermeierkultur und Industrielle Revolution

6.4 Das »Erwachen der Nationen«

6.5 Der Weg zur Revolution

6.6 1848 – das Sturmjahr

Die Märzrevolution

Die Frage der Verfassung

Die nationalen Forderungen – unüberwindbare Gegensätze

Die Wahlen. Der Reichstag und die Grundentlastung

Radetzky, die Radikalisierung und das Ende der Revolution

Italien und Ungarn, die Märtyrer von Arad

7. 1848 – 1918. Das Zeitalter Kaiser Franz Josephs I.

7.1 Was blieb von der Revolution?

7.2 Der Neoabsolutismus als Umweg zum Konstitutionalismus

Solferino und der Verlust der Lombardei

Oktoberdiplom und Februarpatent

Der Kampf um Deutschland

Der Ausgleich mit Ungarn und die Dezemberverfassung 1867

7.3 Das politische System der Monarchie 1867 – 1918

Der Reichsrat, das österreichische Parlament

Die Parteien

Die Anfänge der Christlichsozialen

Die Deutschnationalen

Die Sozialdemokratie

Die kaiserlichen Regierungen und das Parlament

7.4 Hochindustrialisierung und Urbanisierung

Depression und neuer Aufschwung

Die Urbanisierung und ihre Folgen

Das Judentum Wiens

7.5 Kultur und nationale Entwicklung

Konfliktfelder – Gleichberechtigung oder Majorisierung?

7.6 Außenpolitische Akzente und Konfliktfelder

Zwei- und Dreibund

Krisenherd Balkan

Erzherzog-Thronfolger Franz Ferdinand

7.7 Habsburgs letzter Krieg

Habsburgs Ende

8. 1918 – 1938 Erste Republik und Diktatur

8.1 Staatsform und Verfassung, der Name des Staates

8.2 Das Staatsgebiet

8.3 Hunger, Krankheit, Kälte und Putschversuche

Die Parteien

8.4 Die Sozialgesetzgebung der Republik

8.5 »Bürgerliche« Regierungen

Ignaz Seipel und die Genfer Sanierung

Die »Länderregierung« Ramek

Die zweite Regierungsperiode Seipels

Von Schattendorf zum Justizpalast

Der Aufstieg der Heimwehren, die Verfassungsreform 1929 und die letzte Phase der Demokratie

Verfassungsreform 1929

Die letzte Phase der demokratischen Republik

8.6 Das »Rote Wien«

8.7 Das österreichische Wirtschaftsproblem

»Lebensfähig« oder nicht?

Stabilisierung, Bankenkrise, Weltwirtschaftskrise

8.8 Kanzlerdiktatur, »autoritärer Ständestaat« oder »Austrofaschismus«?

Der Weg in die Diktatur

Vom Trabrennplatz zum Bürgerkrieg

Die Verfassung 1934

Juliputsch 1934 und Juliabkommen 1936

»Autoritärer Ständestaat«, »Austro-faschismus« oder Kanzlerdiktatur?

9. 1938 – Der »Anschluss« und die Folgen

9.1 Der »Anschluss«

9.2 Das Herrschaftssystem

9.3 Der große Raubzug

9.4 Verfolgung, Vertreibung, Deportation

9.5 Der große Krieg

9.6 Friedens- und Kriegswirtschaft. Zwangsarbeit

9.7 Zustimmung, Skepsis, Widerstand

9.8 Das Ende – Zusammenbruch, Niederlage, Befreiung?

Die »Endphasenverbrechen«

Das militärische Ende

Befreiungen

Besetzung und Besatzungsmacht. Die provisorische Regierung Renner

10. Die Zweite Republik

10.1 Die große Koalition und das Ringen um den Staatsvertrag

Regierung Leopold Figl (1945 – 1953)

Entnazifizierung

Südtirol

Das »deutsche Eigentum«

Entschädigung, Rückgabe, Wiedergutmachung?

Der Staatsvertrag

10.2 Wiederaufbau, Wirtschaftswunder, Wohlfahrtsstaat

10.3 Die Krise der Koalition. Die Alleinregierungen Klaus und Kreisky

Krisenjahre der Großen Koalition

ÖVP-Alleinregierung unter Josef Klaus 1966 – 1970

Die Ära Kreisky

10.4 Von Vranitzky zu Kurz. Österreich und Europa

Der Weg in die EU

Der Zusammenbruch des Kommunismus, Ostöffnung und neue Konfliktzonen

Das Ende der verstaatlichten Industrie

Das Ende des traditionellen Parteiensystems

10.5 Kritische Begleitung – die Kultur der Zweiten Republik

10.6 Die österreichische Gesellschaft um 2020

Vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland

Der Wandel in der religiösen Zugehörigkeit

Anmerkungen

Literatur

Verzeichnis der Infotafeln

Zeittafel

Abbildungsnachweis

Personenregister

Ortsregister

Vorwort

Die 2019 erschienene Österreichische Geschichte des Autors wurde vom Publikum so freundlich aufgenommen, dass seitens des Verlages eine kürzere Fassung dieses Buches angeregt wurde. Der Autor sagte etwas voreilig zu, merkte aber während der kürzenden Überarbeitung bald, dass es leichter ist, einen langen Text zu verfassen als einen solchen zu kürzen. Vor allem verlangte die Kurzfassung nach einer neuen leitenden Fragestellung. Diese lautet, in aller Kürze:

Was vom historischen Erbe zählt zu den Grundlegungen des heutigen Österreich?

Die Republik Österreich besteht aus Ländern, von denen einige im Hochmittelalter, einige etwas später entstanden sind, zwei stammen erst aus dem 20. Jahrhundert (Wien und das Burgenland). Diese Länder wurden bis um 1500 vom Haus Österreich (mit einigen anderen heute deutschen, italienischen und slowenischen Regionen, aber ohne Salzburg) zu einer stabilen Konfiguration zusammengefügt, die trotz Teilungen und Verlusten doch die heutige Republik präfigurierte. Diese politische Entwicklung war ebenso nachzuzeichnen wie die Voraussetzungen und Folgen der hochmittelalterlichen Expansion, der Krise des Spätmittelalters und der Industriellen Revolution im Hinblick auf die Siedlungsgeschichte und die Verschiebungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Unter der Herrschaft der Habsburger entwickelten sich zwar starke Elemente eines Rechtsstaates, nicht jedoch Formen politischer Beteiligung der Untertanen bzw. Staatsbürger. Trotz dem Scheitern der Revolution von 1848 wandelte sich die Habsburgermonarchie als Folge der Niederlagen von 1859 und 1866 zu einem konstitutionellen Staatswesen. Schließlich ermöglichte die Niederlage im Ersten Weltkrieg und der Zerfall der Monarchie den Sieg der Demokratie, allerdings unter nicht besonders günstigen Begleitumständen. War die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts von Krisen und Brüchen dominiert (1918, 1933/34, 1938, 1945), so gelangte ab etwa 1950 das Schifflein der Republik Österreich in ruhigeres Fahrwasser. Doch auch die Entwicklung im 21. Jahrhundert ist nicht frei von alten und neuen Problemen, von denen gerade die schwersten (Klimakrise, Migration, Covid-19-Pandemie) nicht (mehr) allein im nationalstaatlichen Rahmen gelöst werden können.

Der Autor hat zunächst den Damen vom Verlag Böhlau für ihr Vertrauen zu danken, allen voran Frau Mag. Waltraud Moritz und Frau Dr. Ursula Huber für ihre Ermunterung, dieses Buch zu schreiben, sodann Frau Julia Roßberg für die Betreuung während der Genese des Buches und Frau Vera Schirl für das genaue Korrektorat. Aus der großen Österreichischen Geschichte wurden sieben der von Frau Rihtaršič sogfältig gezeichneten Karten übernommen, ebenso eine Grafik aus der österreichischen Sozialgeschichte des Autors, 1985 umgesetzt von Sigilde Haas-Ortner. Das Foto auf dem Cover stammt von meiner Frau Irena Bruckmüller-Vilfan, die den Autor auch in Zeiten des Zweifels stets ermutigte. Zur Benennung größerer sozialer Einheiten wird im Text das generische Maskulinum verwendet, um die Lesbarkeit nicht zu stören.

Dieses Buch widme ich meiner Frau, unseren Kindern, Schwiegerkindern und Enkelkindern – hoffentlich finden sie zu ihren Fragen an die österreichische Geschichte hier auch einige passende Antworten.

Wien, im Mai 2021

1. Vor der Geschichte Österreichs

Die Wendung »Geschichte Österreichs vor der Geschichte Österreichs« zitiert einen Buchtitel des bedeutenden und für die Entwicklung der Frühmittelalter-forschung hoch verdienten Mediävisten Herwig Wolfram. Seit der ersten Jahrtausendwende wird der Name Österreich kontinuierlich verwendet, jedoch für recht verschiedene Regionen. Dennoch hatten diese Gebiete Geschichte, sogar ziemlich viel davon.

Auf die Frage, was denn aus der Urgeschichte im heutigen Österreich so sichtbar übrig geblieben sei, dass es auch für Laien bemerkenswert war, so ist zunächst auf gewisse Geländeformen zu verweisen, die in dieser Form kaum natürlichen Ursprungs sein konnten. Die ältesten erkennbaren größeren Anlagen, von Menschenhand geformt, sind die so genannten Kreisgräben. Sie entstanden im 5. Jahrtausend, waren zuweilen auch von zwei Gräben umschlossen, ihre Funktion ist unklar. Zum kulturellen Welterbe gehören älteste »künstlerische« Artefakte wie die Venus von Willendorf (etwa 27.500 v. Chr.), aber auch die zahlreichen beeindruckenden Funde aus Hallstatt- und La-Tène-Zeit. Besiedelt wurden ab der Mitte des 6. Jahrtausends v. Chr. Gunstlagen im Osten (Weinviertel, unteres Traisental, Burgenland), später weitere Gebiete des Alpenvorlandes. Erst mit dem Beginn des Bergbaues auf Kupfer (4./3. Jahrtausend v. Chr.) drangen die Menschen mit Dauersiedlungen ins Gebirge vor. Aus viel späteren Zeiten erhalten sind große Hügelgräber, die sogar Ortsnamen geschaffen haben wie »Großmugl«, benannt nach dem Leeberg, einem Hügelgrab aus der älteren Eisenzeit, der Hallstattzeit, zwischen etwa 800 und 480/450 v. Chr. Bedeutende Zeugnisse der (östlichen) Hallstattkultur aus demselben Zeithorizont bargen Siedlung und Nekropole auf dem Burgstallkogel zwischen Gleinstätten und Kleinklein (Gem. Großklein) zwischen Sulm- und Saggautal aus der Zeit von 800 bis 600 v. Chr. Die Nekropole ist die größte der kontinentalen Eisenzeit mit ursprünglich mindestens 2000 Grabhügeln (Tumuli). In das 7. Jahrhundert v. Chr. wird der berühmte Kultwagen von Strettweg bei Judenburg datiert – ein mehr als 40 cm hoher Wagen mit vier Speichenrädern, auf dessen Plattform stehend eine größere weibliche Figur, umgeben von kleineren Menschen und Tieren, eine Schale hält. – Für die späte La-Tène-Zeit werden in römischen Quellen die Namen von diversen keltischen Völkern genannt, von denen einige im regnum Noricum (wohl in Kärnten) lebten. Wenn sie, wie die Ambidravi wirklich an der Drau siedelten, verweist ihr Name wohl auf das hohe Alter dieses Flussnamens.

Karte 1 Österreich und seine Nachbargebiete im 4. Jahrhundert n. Chr.

Unter Augustus wurde das Alpengebiet dem Römischen Reich einverleibt. Am heutigen Bundesgebiet hatten drei Provinzen Anteil: Noricum, Pannonien, Rätien (vgl. Karte 1).

1.1 Was blieb von den Römern?

Zunächst einmal Namen: Aus Ovilava wurde Wels, aus Lentia Linz, aus Teriolae Zirl, aus Lauriacum Lorch, aus Cucullae Kuchl, aus Veldidena Wilten. Östlich der Enns sind solche Übernahmen selten, ebenso in Kärnten und in der Steiermark. Zwar sind inzwischen mehrere noch aufrechte Gebäude aus der Römerzeit entdeckt worden, etwa der so genannte Salzturm in Tulln, aber das imposanteste Bauwerk ist immer noch das »Heidentor« bei Petronell-Carnuntum. Kaiser Constantius II. ließ es um 360 errichten. Es ist das einzige bauliche Großdenkmal, das oberirdisch in Österreich erhalten blieb. Allerdings ist trotz des populären Namens sicher, dass es niemals ein »Tor« war. Es wird derzeit als Monument der Wiederherstellung der Grenzsicherheit interpretiert.

Abb. 1 Das Heidentor bei Petronell-Carnuntum wurde um 360 n. Chr. unter Kaiser Constan-tius II., vielleicht als Monument zur Wiederherstellung der Grenzsicherheit, errichtet.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel spätrömischer Kunst ist das Mosaik aus der Friedhofskirche von Teurnia. Die bemerkenswerten Mosaiken sind in das erste Viertel des 6. Jahrhunderts zu datieren, als deren Stifter haben sich ein Ursus vir spectabilis und seine Frau Ursina verewigt. Das waren Menschen aus der führenden Schicht, vielleicht ein vom Ostgotenkönig Iheoderich eingesetzter »Grenzgeneral« für Binnennoricum samt Ehefrau. Das Mosaik ist in situ zu besichtigen, ebenso die beeindruckende Rekonstruktion der Bischofskirche mit ihren Chorschranken, die ganz ähnlich jenen von Grado gestaltet sind.

Dann aber hörte das römisch-christliche Leben auch in Binnennoricum auf, manche Bischöfe flohen ins (ost-)römisch beherrschte Istrien. Neue Namen begegnen in den alpinen Gebieten und im nördlichen Alpenvorland: Bayern und Karantanen – beide wurden von Stammes- zu Landesbezeichnungen, die bis heute existieren. Zahlreiche Romanen lebten weiterhin südlich von Salzburg und im Tiroler Inntal, wo die Namen vieler Dörfer auf diese Herkunft verweisen.

Severin von Noricum

Der heilige Severin starb 482 in Favianis, das mit dem heutigen Mautern identifiziert wird. Er stammte höchstwahrscheinlich aus einer Familie der römischen Oberschicht. Nach einem Bekehrungserlebnis wurde er für einige Jahrzehnte als Mönch zur Zentralfigur im noch römischen Noricum. Seine eindrucksvolle Persönlichkeit genoss nicht nur bei den Römern, sondern auch bei den barbarischen Fürsten Ansehen. Die Lebensbeschreibung Severins enthält viele Angaben über die Verhältnisse der Zeit. Ein »städtisches« Leben im traditionellen Sinne existiert kaum mehr. Die Bevölkerung hatte sich in Militärlager und befestigte Stützpunkte (burgi) zurückgezogen. Die Menschen lebten bäuerlich. Zur Versorgung der Armen diente der Zehent, den die Kirche organisierte – manchmal wurden solche Vorräte Beute der Barbaren. Auf der Donau kamen Frachtschiffe mit Getreide bis nach Favianis. Vor dem Druck der Alemannen und der Thüringer organisierte Severin die Rücknahme der romanischen Bevölkerung donauabwärts, bis Lorch. In diesem Restbestand Ufernoricums lebten die Römer dann unter dem Schutz der Rugier. 488 wurde (Ufer-)Noricum auch offiziell aufgegeben und die romanische Bevölkerung nach Italien geführt. Die Mönche von Favianis nahmen den sechs Jahre nach dessen Tod unverwesten Leichnam des als heilig verehrten Mannes mit in ihre neue Heimat bei Neapel. Dort schrieb der Mönch Eugippius bis 511 die Vita Sancti Severini, eine einzigartige Quelle für das späte 5. Jahrhundert.

Literatur: Theodor Nüsslein (Hg.): Vita Sancti Severini, Das Leben des heiligen Severin.

Lateinisch/Deutsch. Reclam, Stuttgart 1999.

Internet-Verweis: https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Severin_(Heiliger)

1.2 Die Bayern

Die Bayern waren ein im Zuge der Völkerwanderung oder gegen deren Ende neu entstandener Stamm. Wie sich die Stammesbildung (die Ethnogenese) genau vollzog, bleibt unklar. Ihr Name – Bojovarii – verweist auf das Land der Boier, Boiohaemum, Böhmen. Von dort muss der traditionstragende Kern gekommen sein, dem sich dann weitere Gruppen anschlossen. Man kennt das aus jenen unruhigen Zeiten: War eine solche Gruppe bzw. deren Führung erfolgreich, so wuchs sie, weil sich andere dieser erfolgreichen Führung anschlossen. Möglich, dass diese Stammesbildung unter der Oberhoheit der Ostgoten oder der Franken passierte, die seit dem frühen 6. Jahrhundert erstmals bis in den Ostalpenraum expandierten. Das traditionstragende königliche Geschlecht (stirps regia) waren die Agilolfinger. Die Bayern hatten auch eine Herkunftssage, eine origo gentis. Da die Bayern in einer christianisierten Umwelt entstanden, konnte man sich nicht von Göttern oder Heroen ableiten. Man gab daher die römischen Noriker als Ahnen aus. Die waren christlich und römisch. Auch war der Noriker-Name inzwischen nach Westen gewandert und bezeichnete geographisch das Tiroler Wipptal. Die gelehrte Bezeichnung für die Bayern blieb lange Norici. Das bayerische Stammesgebiet dehnte sich bis zur Enns aus. Gegen Norden blieb zunächst die Donau die Grenze, im Westen der Lech. Gegen die Alpenslawen verlief die Grenze östlich von Innichen, dann über die Hohen und Niederen Tauern zu den nördlichen Kalkalpen.

Abb. 2 Der wahrscheinlich in Salzburg angefertigt Tassilo-Liutpirc-Kelch entstand nach 768/69 (Heirat Tassilos III. mit der langobardischen Prinzessin Liutpirc) und wurde vom Herrscherpaar dem neu gegründeten Kloster Kremsmünster geschenkt.

Auf die Frage, was denn von den alten Bayern (oder: aus dem alten Bayern der Agilolfinger und Karolinger) für das heutige Österreich langfristig prägend wurde, lautet die erste Antwort: Die Sprache, denn die österreichischen Dialekte des Hochdeutschen entwickelten sich – mit Ausnahme Vorarlbergs und des Lechtales – aus der Sprache der kolonisierenden Bayern bzw. des bayerischen Adels und der bayerischen Kirche. Ein bedeutendes Erbe ist auch das Kloster Kremsmünster, gestiftet von Herzog Tassilo III., und nicht zuletzt das Erzbistum Salzburg, dessen Bischof Metropolit für die ganze bayerische Kirchenprovinz wurde. Heute erscheint uns Salzburg als barockes Juwel, aber schon das früh- und hochmittelalterliche Salzburg ragte durch seine Kathedrale aus den damals noch wenigen präurbanen Siedlungen hervor.

Der Tassilo-Liutpirc-Kelch

Der letzte Agilolfinger war auch der bedeutendste. Tassilo III. war ein Cousin Karls des Großen. Er half den Karantanen gegen die wieder angriffslustigen Awaren, dafür gerieten jene unter die Oberhoheit der Bayern (741/743). 772 besiegte er die heidnische Reaktion bei den Karantanen und machte deren Fürsten endgültig von den Bayern abhängig. Neben seinen Klostergründungen (neben Kremsmünster ist vor allem Innichen zu nennen) trägt der berühmte Kelch in Kremsmünster das Gedächtnis an die Stifter weiter – Tassilo und seine Gemahlin. Er war mit Liutpirg verheiratet, einer Tochter des Langobardenkönigs Desiderius, der 774 von Karl dem Großen besiegt und abgesetzt wurde. 787 wurde Tassilo zum Lehensmann Karls degradiert, man warf ihm Verweigerung der Heerfolge vor. Außerdem soll Tassilo mit den Awaren in zu gutem Einvernehmen gestanden sein. 788 wurde er unter dem Vorwand des Treubruchs abgesetzt und in ein Kloster gesteckt. 794 trat er in Frankfurt nochmals in der Öffentlichkeit auf, um feierlich für sich und seine Nachkommen auf Bayern zu verzichten. Damit fand das alte bayrische Herzogtum sein Ende.

Die Inschrift am Fuß des Kelches: »TASSILO DVX FORTIS + LIVTPIRC VIRGA REGALIS« (Tassilo, tapferer Herzog + Liutpirg, königlicher Spross) muss nach 768/69 angefertigt worden sein. Als Entstehungsort wird eine Salzburger Werkstätte vermutet. Alois Brandstetter thematisierte den – fiktiven – Diebstahl des Kelchs in seiner Erzählung »Die Abtei« (1977).

Literatur: Egon Wamers (Hg.): Der Tassilo-Liutpirc-Kelch im Stift Kremsmünster. Regensburg 2019.

Internet-Verweis: https://www.stift-kremsmuenster.at/wissenschaft/tassilokelch

Zurück zu Kremsmünster, der Stiftung des letzten Agilolfingerherzogs, Tas-silo III. (* um 741, † um 796). Das Münster an der Krems, gegründet 777 n. Chr., wurde reich mit Besitzungen ausgestattet. Der so genannte Tassilo-Liut-pirc-Kelch ist das bleibende Zeugnis seiner Gründungstätigkeit, gleichzeitig eines der schönsten Kunstwerke der Zeit. Tassilo III. wurde 788 unter dem Vorwand des Treubruchs von Karl dem Großen abgesetzt.

Als weltliches Zentrum Bayerns galt Regensburg, das geistliche aber war Salzburg. Ob der heilige Rupert (Hrodpert, um 700) schon Bischof war, ist nicht gesichert. Spätestens seit 739 ist Salzburg sicher Bischofssitz, damals organisierte der heilige Bonifatius die bayerische Kirche neu. 746 oder 747 wurde der Ire Virgil Bischof von Salzburg. Unter ihm begann die Mission der Karantanen. Er ließ die Kathedrale erbauen (767 – 775), für Jahrhunderte der mächtigste Bau im ganzen mittleren Europa. Das Salzburger Skriptorium erreichte unter ihm einen hohen Rang (Psalter von Montpellier, Codex millenarius maior von Kremsmünster, Wiener Cutbercht-Evangeliar). Auch der Tassilo-Liutpirc-Kelch dürfte in Salzburg entstanden sein.

Virgils Nachfolger Arn(o), Abt eines fränkischen Klosters, war durch seine Freundschaft mit Alkuin dem Hof Karls des Großen eng verbunden. 798 wurde Arn zum Erzbischof ernannt und zum Metropoliten einer Kirchenprovinz, die ganz Bayern umfasste. Suffragane saßen in Regensburg, Passau und Freising. Seine (Erz-)Diözese umfasste das Missionsgebiet im (Süd-)Osten, Karantanien und das Awarengebiet. Für das Missionsgebiet wurden Chorbischöfe eingesetzt. Damit schloss Arn an eine Institution Virgils an, der schon um 757 Modestus als Chorbischof in Karantanien ernannt hatte (bis 763). Unter seinen Nachfolgern Adalram (821 – 836) und Liupramm (836 – 859) wurde die Mission im Osten intensiviert: Adalram weihte in Nitra (Slowakei) vor 830 eine Kirche für den Slawenfürsten Privina. Als dieser von dem Mährerfürsten Moimir verdrängt wurde, ließ sich Privina in Traismauer vom Salzburger Erzbischof taufen. Ab 838 beherrschte Privina im Gebiet des Plattensees ein christliches Tributärfürstentum, in dem Salzburg eine lebhafte Tätigkeit entfaltete. Die Kirchenbauten in Privinas Burg Mosapurc/Zalavár (H) wurden von Salzburger Handwerkern erbaut und ausgestattet. Auch in Pettau/Ptuj (ad Bettobiam, SI) und Fünfkirchen/Pécs (ad Quinque basilicas, H) wurden Kirchen errichtet. Sein Nachfolger Adalwin (859 – 873) erhielt 860 von Ludwig dem Deutschen eine umfangreiche Schenkung in den heutigen Ländern Niederösterreich, Steiermark und Kärnten.

In die Regierungszeit Adalwins fiel das Auftreten der griechischen Slawen-apostel Konstantin (Kyrill von Saloniki) und Methodios im Mährerreich und in Pannonien. Zur Verteidigung der Salzburger Position in Pannonien, die durch Methods Wirken bedroht schien, entstand die berühmte Conversio Bagoariorum et Carantanorum, eine Art »Weißbuch« zur Dokumentation der seelsorglichen und missionarischen Tätigkeit Salzburgs nicht nur bei den Bayern, sondern auch bei den Karantanen und den pannonischen Slawen.

1.3 Die Karantanen

Neben dem Namen der Bayern hat sich aus dem Frühmittelalter jener der Karantanen erhalten. Die Stammesbildung der Karantanen geschah auf dem Boden des heutigen Österreich, wo auch ihr Herrschaftszentrum lag. Ihre besondere Identität entwickelten sie in Abgrenzung zu den Awaren, in deren Gefolge sie zunächst in den Alpenraum gekommen waren. Diese Reiternomaden hatten sich ab 569 im heutigen Ungarn niedergelassen. Unter ihrer Herrschaft standen auch viele Slawen, von denen die in die Alpen eingedrungenen (oder abgedrängten) wohl im 7. Jahrhundert den Namen Karantanen erhielten oder angenommen haben. Sie waren der älteste slawische Stamm mit einem besonderen Namen, der wohl vorrömische Wurzeln hat. Die alpine Lage ihrer Siedlungsgebiete dürfte den Karantanen ihre Verselbstständigung erleichtert haben, sie fanden in den Tälern der Ostalpen offensichtlich einen gewissen Schutz gegen die Awaren, ihre (früheren) Herren. 610 stießen die aus dem Pustertal vordringenden Bayern bei Aguntum (unweit Lienz) mit den Slawen zusammen und erlitten eine herbe Niederlage. Der Name der Karantanen lebt bis heute im Namen Kärntens fort. Sie hatten duces, also eine Herrscherfamilie. Vielleicht schon in der Frühzeit, vielleicht aber auch später (10./11. Jahrhundert?) entwickelten sie das ganz besondere Ritual der Herzogseinsetzung auf dem Fürstenstein unweit der Karnburg, das freilich erst aus viel späteren Quellen genauer bekannt ist. Eine schöne barocke Darstellung der Herzogseinsetzung von Josef Ferdinand Fromiller ziert den Wappensaal des Klagenfurter Landhauses.

Mehrere Namen karantanischer duces sind in der Salzburger »Conversio« überliefert. Ab etwa 750 begann eine intensive, primär von Salzburg ausgehende Christianisierung. Aufstände wurden von Tassilo III. niedergeschlagen. Eigene duces sind bis um 820 bekannt. Als Folge der Beteiligung an einem antifränkischen Aufstand im heutigen Kroatien verloren sie diese eigenen Fürsten. In der Karolingerzeit existierte bereits ein höherer Adel. Dieser Adel wurde vom bayerischen als gleichrangig angesehen, was sich im 9. und 10. Jahrhundert in gemeinsamem Konnubium und gegenseitigen Namensübernahmen äußerte.

Die Karantanen drangen bis in das heutige Osttirol vor. Karantanisch waren auch der Lungau und das Murtal, vielleicht auch das Ennstal. Die nördlichen Kalkalpen waren die Grenze nach Norden – noch im 12. Jahrhundert galt die Gegend um den Ötscher als Grenze zu »Kärnten«. Die Ostgrenze verlief vielleicht entlang der Fischbacher Alpen nach Süden. Das Zentrum lag entweder im Zollfeld mit der Karnburg (civitas Carantanorum), oder im nahen Moosburg, diskutiert wird aber auch das Lurnfeld (von Teurnia zu Liburnia – Lurn) in der Nähe von Spittal an der Drau.

1.4 Das karolingische Ostland

Karl der Große eroberte im Südosten die ehemaligen Provinzgebiete von (Ufer-) Noricum und Pannonien. Karantanien hatte ja so ziemlich dem alten Binnennoricum entsprochen, das Awarenland Pannonien (mit einem ufernorischen Glacis zwischen Wienerwald und Enns, wo Bayern begann), das restliche Bayern dem übrigen Noricum und einem großen Teil Rätiens. Theoretisch reichte die fränkische Herrschaft bis zur Mündung der Save, jedenfalls aber bis zur Mündung der Drau in die Donau. Die Gebiete nördlich und östlich der Donau blieben davon unberührt. Unter Karl dem Großen wurden die frühmittelalterlichen gentes auf dem Boden der ehemaligen römischen Provinzen im Ostalpengebiet und an der Donau ins fränkische Reich eingegliedert. Seit der Absetzung Tassilos III. (788) gab es keine bayerischen Herzöge mehr, das Volk der Awaren verschwand überhaupt aus den Quellen. In den Randgebieten des fränkischen Reiches existierten mehr oder weniger abhängige slawische Fürstentümer. Nach der Niederschlagung eines Aufstandes (823) kamen fränkische Grafen in die Region, auch die Karantanen verloren jetzt ihren eigenen dux. Zur Überwachung der lokalen Herrschaftsträger ebenso wie der zugeordneten slawischen Fürsten ernannte Karl der Große missi dominici, königliche bzw. kaiserliche Kommissare.

Bis um 870 hatte sich ein neuer Sprachgebrauch eingebürgert. Man sprach von der plaga orientalis, von oriens, wenn man die weiten Gebiete des bayerischen Ostlandes vom Traungau bis tief ins heutige Ungarn (Transdanubien) meinte. Althochdeutsch hieß das wohl ostarrîhhi, Land oder Gebiet im Osten. Dieses Gebiet ging 907 verloren. Nur ein kleiner Teil davon wurde nach 955 als bayerische Mark im Osten rekonstruiert, für dieses Gebiet blieb der alte Begriff erhalten. Im 11. Jahrhundert sollte er zum Landesnamen für die babenbergische Mark werden.

Aus dem eroberten Land erhielten insbesondere kirchliche Institutionen reiche Schenkungen. Den Löwenanteil sicherte sich Salzburg, das auch in erster Linie für die Mission in den eroberten Gebieten verantwortlich war. Die Schenkungen schlossen häufig an spätantike Mittelpunktsorte an. So erhielt Salzburg den Kärntner Zentralraum (Virunum) mit Maria Saal übertragen, aber auch St. Peter in Holz (Teurnia), ferner Besitz bei Pettau/Ptuj (Poetovio) und Steinamanger/Szombathely/Savaria, auf dem Aichfeld im oberen Murtal, ferner bei Leibnitz (Flavia Solva); auch der niederösterreichische Besitz mit dem Zentrum Traismauer schloss an spätantike Siedlungen an. Begehrt war offenbar auch Weingartenbesitz in der Wachau – solchen erhielten nicht bloß Salzburg, sondern auch die Klöster Niederalteich, Tegernsee, Kremsmünster usw. Die bayerische Kolonisation überschritt in der Wachau, aber auch unterhalb von Krems vereinzelt die Donau. Auch Gegenden östlich des Wienerwaldes werden schon genannt, an der Fischa und Schwarza, Orte wie Pitten und Zöbern. Baden bei Wien wurde 869 als karolingische »Pfalz« bezeichnet. Ortsnamen wie Gerolding oder Wilhelmsburg verweisen auf einen Präfekten Gerold (I. oder II.) oder auf einen Grenzgrafen Wilhelm. Zahlreiche Orts- und Weilernamen auf »Meier« und »Meierhof« zeugen von der typischen Meierhofverfassung der älteren Grundherrschaft.

Als Folge der endlosen internen Konflikte zwischen verschiedenen karolingischen Teilkönigen und diversen Adelsgruppen sowie der häufigen Kriege gegen die Mährer – die wir hier nicht darstellen – ging der dadurch verwüstete pannonische Osten des Ostlandes schon um 900 an die Ungarn verloren. Die Raffelstettener Zollordnung (903/906) spricht nur mehr von drei Grafschaften eines Grenzgrafen Ar(i)bo, die an der Donau lagen, etwa zwischen Linz und Mautern. »Slawen und Bayern« waren die Bewohner istius patriae (dieses Landes). Die Zollordnung regelte Aus- und Einfuhr über die Reichsgrenze, damals noch durchwegs die Donau. Die Händler waren Juden oder andere Kaufleute. Ausgeführt wurde vor allem Salz, meist aus Reichenhall, per Schiff bis zum »Markt der Mährer« – wo auch immer der gelegen war (Krems?). Salz war im Reich der Mährer Mangelware. Unter den Einfuhrgütern werden auch Sklaven genannt.

Das östlich bzw. nordöstlich des fränkischen Ostlandes um 830/40 entstandene mährische Reich blieb trotz häufiger Konflikte und zeitweiliger Kooperation mit den ostfränkischen Herrschern doch ephemer. Schließlich wurden sowohl das Mährerreich wie das fränkische Ostland östlich der Enns bzw. der Berge östlich der Mur von einer neuen reiternomadischen Völkerschaft aus dem Osten, den Magyaren (Ungarn) zerstört.

Sie kamen aus den Regionen nördlich des Schwarzen Meeres bzw. dem heutigen Moldawien und drangen von dort in den Karpatenbogen ein. 881 wird ein Zusammenstoß mit ostfränkisch-bayrischen Kräften »apud Weniam« (erste Nennung Wiens!), gemeldet. König Arnulf von Kärnten benützte die Magyaren als Verbündete gegen die Mährer. Um 896 erfolgte die endgültige Landnahme der Ungarn in der Donau-Theiß-Ebene und bis 900 auch in Pannonien, westlich der Donau. Um 900 wurde die bayerische Ennsburg errichtet – ein Indiz dafür, dass man die neue Bedrohung ernst zu nehmen begann. Bei Pressburg (Bratislava) erlitten die Bayern 907 eine katastrophale Niederlage gegen die Ungarn. Mehrere Bischöfe und der größte Teil des bayerischen Adels fanden den Tod. Die Enns wurde – wieder – zur Reichsgrenze.

Nach der Niederlage in der Lechfeldschlacht gegen den ostfränkischen König Otto I. 955 wurden die Ungarn sesshaft. Ihr Fürst Vajk wurde 985 unter dem Namen Stephan getauft. Zur Jahrtausendwende erhielt Stephan I. von Papst Silvester II. eine Königskrone – das christliche Ungarn war geboren. Stephan war mit Gisela, einer Tochter des bayerischen Herzogs Heinrich des Zänkers aus dem Geschlecht der Ottonen vermählt. Das führte zu einer engen Verbindung zwischen dem christlichen Ungarn und dem ostfränkisch-bayerischen Bereich. Was blieb aus der Zeit bis zur ersten Jahrtausendwende? Überreste im Gelände, Tumuli, Kreisgräben, einige besondere Artefakte (Venus von Willendorf), aus der Römerzeit einige Namen, das Heidentor, die Ausgrabungen in Carnuntum oder am Magdalensberg, aus später Zeit das Mosaik von Teurnia. Aus dem Frühmittelalter bleiben zwei Namen: Bayern und Karantanen – beide wurden von Stammes- zu Landesbezeichnungen, die bis heute existieren.

2. Von der Jahrtausendwende bis um 1300

Zwischen dem 10. Jahrhundert und dem Ende des 13. Jahrhunderts vollzogen sich in Europa und damit auch in den Regionen des heutigen Österreich entscheidende Veränderungen:

–Nach dem Ende der Invasionen durch Araber, Ungarn und Normannen wurden die Zeiten ruhiger, die Bevölkerung begann zu wachsen. Kolonisation und Rodung erweiterten den Nahrungsspielraum und das besiedelte Land.

–Eine breite religiöse Bewegung ergriff die westliche Christenheit. Ausdruck dieser Bewegung sind die zahlreichen Ordens- und Klostergründungen ebenso wie die Kreuzzüge. Die Forderung nach Befreiung der Kirche von weltlicher Vorherrschaft richtete sich direkt gegen die Vergabe von kirchlichen Positionen durch die ostfränkisch-deutschen Könige und (römischen) Kaiser (Investiturstreit, 1076 – 1122).

–In den zahlreichen oft recht gewaltsamen Auseinandersetzungen des 11. und 12. Jahrhunderts gelang einigen (Mark-)Grafen die Aufrichtung einer stabilen Herrschaft über größere, territorial zusammenhängende Gebiete. Mit einem eigenen (Landes-)Fürsten, eigenem Landrecht und einem selbstbewussten »Landvolk« wurden diese zu neuen Ländern (Österreich, Steiermark, später Tirol usw.). Landesbildung bedeutet Integration in eine neue gesellschaftlich-politische Einheit, eigentlich eine Neustammbildung.

–Jene Herren waren gleichzeitig die im 13. Jahrhundert privilegierten Fürsten des Heiligen Römischen Reiches. Sie regierten gemeinsam mit den Königen das Reich.

2.1 Kolonisation, Bevölkerungswachstum und Siedlungsverdichtung

Die im frühen Mittelalter erfundene Dreifelderwirtschaft erweiterte mit Hafer und Roggen den Nahrungsspielraum für die Menschen und lieferte das Futter für die Pferde der Ritter. Der neue schwere Pflug ermöglichte die Bearbeitung tiefgründiger Böden. Das waren die technischen Voraussetzungen für eine starke Bevölkerungsvermehrung und -verdichtung. Von bayerischen, aber auch einheimischen (slawischen, romanischen) Kolonisten wurden zuerst die günstigeren Lagen erschlossen, hochwassersicher in den höheren Tallagen bzw. an deren Rändern. Eiszeitliche Terrassen wie das Tiroler Mittelgebirge waren bevorzugte Siedlungsgebiete, ebenso die Ebenen und Hügelländer im Alpenvorland, im Osten Niederösterreichs und der Steiermark. Die Siedlungsverdichtung im Mühl- und Waldviertel mit ihren zahlreichen slawischen topographischen Bezeichnungen dauerte hingegen noch bis weit ins 13. Jahrhundert. Sprechende Ortsnamen auf -schlag, -schwend oder -reuth, oft in Verbindung mit einem Personennamen, überliefern nicht nur Rodungstechniken, sondern auch die Namen von Ortsgründern. Träger der Besiedlung waren in erster Linie bayerische Adelige, Bistümer und Klöster. Sie griffen oft auf Besitzungen aus der Karolingerzeit zurück, Salzburg etwa in der Wachau und um Traismauer, aber auch im Kärntner Zentralraum oder um Leibnitz, Passau im Tullnerfeld und um St. Pölten, Regensburg in Pöchlarn, Freising in Tirol und Kärnten.

Um 1000 lebten auf dem Gebiet des heutigen Österreich höchstens 200.000 bis 250.000 Menschen. Im 13. Jahrhundert gab es hier vielleicht schon 700.000 bis 900.000 Menschen. Die meisten Bewohner hatte Niederösterreich (mit Wien) mit etwa 350.000 Einwohnern. Eine wachsende Bevölkerung ermöglicht Arbeitsteilung. Arbeitsteilung erfordert Austausch. Austausch braucht Verkehrswege und Marktplätze. Um 1000 gab es bloß einige bescheidene Burgzentren (Salzburg, Enns, Krems). Im 12. und 13. Jahrhundert wurden zahlreiche Städte gegründet. Um 1300 existierten schon die meisten heute bestehenden Städte – wenn man von den Veränderungen durch die industrielle Revolution absieht.

Im karantanischen Herzogtum lebten ebenso wie in den Markengebieten slawische und bayerische Siedler nebeneinander, nur langsam entstand eine Sprachgrenze. In den westlichen Alpenländern verliefen die Entwicklungen ähnlich, nur dass hier statt der slawischen die romanischen Dialekte allmählich zurückgedrängt wurden. Auch im äußersten Westen, in Vorarlberg, drang die Siedlung im Hochmittelalter in die Wälder vor, so in den bis ins 13. Jahrhundert kaum besiedelten Bregenzer Wald. Das Große und Kleine Walsertal bewahren bis heute in ihren Namen das Andenken an ihre Kolonisatoren – Bergbauern aus dem Wallis (spätes 13./14. Jahrhundert). Sie brachten eine entwickelte Alp- und Heuwirtschaft mit. In Tirol waren die bayerischen Bistümer wie Freising, Regensburg und Salzburg kolonisatorisch tätig, ebenso wie eine Reihe von Adelsgeschlechtern, die häufig mit Klöstern oder Bistümern in Verbindung standen, oft als deren Vögte. Dagegen dominierte im späteren Land Salzburg der Erzbischof mit seinen weitläufigen Besitzungen und seinen zahlreichen Leibeigenen den Landesausbau. Die Romanen des Landes wurden in diesem Prozess endgültig bajuwarisiert.

Fragt man sich, was aus diesen Prozessen für das heutige Bundesgebiet Belangreiches hervorging, so lautet die Antwort: Außerordentlich viel. Es entstand eine neue, von der Landwirtschaft geprägte Kulturlandschaft. Die Wälder wurden gerodet und zurückgedrängt, zuweilen auch über das umweltgerechte Maß hinaus (das zeigte noch die Lawinenkatastrophe von Blons 1954). Der Getreidebau weitete sich aus. Die Viehhaltung wurde nur so weit betrieben, wie man sie für das Funktionieren der Landwirtschaft und der bäuerlichen Haushalte benötigte, man hielt Zugtiere (meist Ochsen), Wollschafe (für die Bekleidung), Pferde für die Ritter – doch wurden letztere eher in herrschaftlichen Höfen gezüchtet, wie auch das Rindvieh (Ortsname »Viehhofen«). Orts- und Personen-(Familien-) Namen reflektieren in großer Zahl gesellschaftliche Verhältnisse des Hochmittelalters: Die Maier (Meier, Mayer, Mayr usw.) und Meierhofer waren ursprünglich als maiores die Verwalter herrschaftlicher Höfe, curtes oder Meierhöfe. Auch die Huber (Hueber, Huemer, Hubner, Hübner usw.) sind ein Erbe des Hochmittelalters: Vorfahren bewirtschafteten die Huben, seit der Karolingerzeit so benannte bäuerliche Wirtschaften mit Abgaben- und Arbeitsverpflichtungen gegen ihre Grundherren. Häufig wurden die Huben später geteilt, auf halbe oder Viertelhuben. Auch die Lehner (Lechner usw.) haben ihre Namen hochmittelalterlichen Verhältnissen zu verdanken, den Lehen, die im 11./12. Jahrhundert vielfach an die Stelle der älteren Huben traten. Die Lehner hatten häufig einen Zins zu entrichten, oft auch schon in Geld (Zinslehen). Ebenso wie Meierhöfe oder Huben leben auch Lehen nicht nur in Personennamen, sondern auch in Ortsnamen weiter.

Die ländliche Siedlungsweise veränderte sich. An die Stelle von einzelnen herrschaftlichen Meierhöfen, kleinen Weilern oder Haufendörfern traten Straßen- oder Angerdörfer. In den Quellen werden immer mehr Namen von solchen Dörfern genannt. Im Westen und im Gebirge dominierten abseits der Städte und Pfarrdörfer kleine Weiler oder Einzelhöfe. Diese Höfe waren zunächst oft herrschaftliche Meierhöfe, auf denen unfreie Leute (servi, mancipia) arbeiteten. Später wurden diese Höfe durchwegs in Bauernhöfe umgewandelt bzw. auf drei bis acht Bauernhöfe aufgeteilt. Es war ab dem 12./13. Jahrhundert für die Grundherren (Bischöfe, Äbte, adelige Herren und Ministerialen) offensichtlich praktischer, von abhängigen Bauern Geld oder Naturalien einzufordern, als sich selbst um die Bewirtschaftung der Höfe durch unfreie Leibeigene zu kümmern. Die ältere Besiedlungsform dominiert bis in die Gegend von Melk – östlich davon herrscht die Dorfsiedlung vor. Hier wurden offenkundig schon früh nur Bauern angesiedelt. Die Dörfer waren anfangs klein, sie wurden erst in späteren Jahrhunderten vergrößert, die bäuerlichen Behausungen waren recht bescheidene Hütten. Kleinvieh und Menschen lebten zumeist unter einem Dach. Während im Einzelhofgebiet die Gründe meist bei den Höfen lagen, gehörten zu den Dörfern wegen der Dreifelderwirtschaft mindestens drei ungefähr gleich große Teile der Dorfflur, oft Gewanne, Felder oder Lüsse genannt, an denen die einzelnen Wirtschaften entsprechende Anteile hatten. Gemeinsam – oft auch mit der Grundherrschaft – wurde die Allmende bewirtschaftet, das Weideland und der Wald. Zwar oft überformt, haben sich diese Strukturen vielfach bis in die Gegenwart erkennbar erhalten.

Die aus dem Hochmittelalter überlieferten Namen von Siedlungen, Burgen und Klöstern leben in der Gegenwart weiter. Auch wenn zahlreiche Namen auf ältere Schichten, vorkeltische, keltische, römische und slawische, verweisen, verbindet doch ein immer breiter werdender Strom an nachweisbarer Kontinuität das Hochmittelalter mit der Gegenwart.

Neben der damals geschaffenen ländlichen Kulturlandschaft entstanden im Hochmittelalter auch die meisten wichtigen Elemente einer differenzierten Raumordnung. Dabei ist weniger an die früh in ihrer Bedeutung reduzierten »Grafschaften« zu denken, als an ein Gefüge von kleineren oder größeren Herrschaftssitzen, zu Städten sich wandelnden Burgorten und zahlreichen Pfarrorten, den Zentren eines sich langsam verdichtenden Netzes von Pfarren. Viele dieser Pfarren wurden bei der Gründung von Chorherrenstiften (wie St. Florian oder Klosterneuburg) oder Klöstern (wie Seitenstetten, Melk, Altenburg oder Viktring) für deren Ausstattung verwendet, da die Pfarren in der Regel zum Unterhalt der Geistlichkeit über Anteile an den prinzipiell dem Bischof zustehenden Zehentrechten und vielleicht auch über Grund und Boden bzw. abhängige Bauern verfügten. Alte Herrschaftsmittelpunkte entwickelten sich häufig zu Städten, da sich hier auch der Warenaustausch konzentrierte.

Es wäre allerdings ganz ahistorisch, wollte man für das hohe Mittelalter eine systematische Raumplanung erwarten. So hing der Charakter einer Siedlung (Stadt oder Markt?) mit der gesellschaftlichen Position des Herrschaftsträgers zusammen. Städte gründen und beherrschen konnte zunächst der ostfränkische (deutsche bzw. römische) König/Kaiser, dann die seit dem 12. Jahrhundert als »Fürsten« bezeichneten Großen, die ihre eigene Position gerade auch durch die Gründung von Städten unterstrichen. Im heutigen Österreich waren dies die Herren der neuen Länder, allen voran die Babenberger und die steirischen Otakare. Ebenso die geistlichen Reichsfürsten: Die Erzbischöfe von Salzburg waren nicht nur Stadtherrn von Salzburg, sondern auch außerhalb ihres engeren Landes Stadtherren z. B. von Friesach, Pettau (Ptuj SI), Traismauer, Rann (Brežice, SI) usw. Die Bischöfe von Freising waren Stadtherren von Oberwölz ebenso wie von Waidhofen an der Ybbs, von Groß-Enzersdorf, aber auch von Bischoflack (Škofja Loka, SI) in Oberkrain. Der Bischof von Regensburg war Stadtherr von Pöchlarn – während die wesentlich bedeutendere urbane Siedlung Melk stets nur ein »Markt« blieb, weil ihr Herr kein Reichsfürst, sondern nur der Abt des Klosters Melk war.

Die ältesten Städte trugen in ihren Namen durchwegs eine Verbindung mit »-burg« – Salzburg, Judenburg, Freiburg im Breisgau, Klosterneuburg und Korneuburg, Ybbs – urspr. Ybbsburg, Steyr – urspr. Stiraburg, Enns – urspr. Enns-burg, Eggenburg usw. Der Burg-Begriff verweist auf ihre Schutzfunktion. Eine größere Zahl von Burgstädten lag an der Donau bzw. in ihrem näheren Einzugsbereich. Ihre Namen waren oft mit denen von Flüssen verbunden, an deren Mündung diese Örtlichkeiten lagen: Das beginnt bei Regensburg (Burg an der Mündung des Regen), ist zu beobachten bei Enns und Enns(-burg), bei Ybbs an der Ybbsmündung, bei Melk an der Mündung der Melk, bei Krems an der Mündung der Krems, bei Tulln und natürlich auch bei Wien, an der Mündung der Wien in die Donau. Traismauer zeigt im Namen die Verbindung mit dem Fluss Traisen, in der Verbindung mit »-mauer« vermutlich das in der Stadtmauer erhaltene römische Gemäuer. Abgesehen von der Ennsburg kennt man nirgends ein Gründungsdatum, die Namen sind alt. Schon diese alten Zentren hatten offenkundig militärische ebenso wie wirtschaftliche Funktionen, lagen also für Handel und Verkehr günstig.

Schon im Hochmittelalter wurden diese wenigen frühstädtischen Zentren durch Gründungsstädte ergänzt. Die voranschreitende Neubesiedlung erforderte neue zentrale Orte. Sie waren häufig Zentren von großen adeligen Bezirken, wie Zwettl, Weitra oder Gmünd für Distrikte der Kuenringer. So war die zwischen 1201 bis 1208 von Hadmar II. von Kuenring gegründete Burgstadt Weitra militärisches, administratives, gerichtliches und kirchliches Zentrum und Marktort des districtus Witrensis. Ähnlich war Horn das Zentrum des Poigreiches, des Herrschaftsgebietes der Grafen von Poigen-Rebgau. Da die spätere Entwicklung diese hochmittelalterliche Struktur nicht überformt hat, ist sie heute noch gut erkennbar.

Die wichtigsten Städtegründer wurden aber jene adeligen Herren, die im 12. bzw. 13. Jahrhundert zu Landesfürsten aufstiegen – Babenberger, Otakare, Spanheimer, Görzer, in Bayern die Wittelsbacher. Zugleich mit dem weiter unten noch zu besprechenden Prozess der Landesbildung setzte im 12. Jahrhundert eine Welle von Städtegründungen ein. Auf dem Höhepunkt dieser Welle zeigen Namen wie Wiener Neustadt (nach 1194) und Freistadt (um 1200), dass sich Burg und Stadt begrifflich trennten. Der Terminus »Burg« wird ab nun befestigten Sitzen auf meist erhöhten Plätzen vorbehalten. Die mit den adeligen Höhenburgen korrespondierenden Marktflecken hat man in der Regel als »Markt« bezeichnet. In der neuen »Stadt« spielt die Schutzfunktion (Stadtburg, Mauer) aber weiterhin eine zentrale Rolle.

Städtegründung unterstrich den Anspruch auf fürstliche Stellung des Gründers. Zeitlich ist diese Phase relativ kurz. Alle wichtigen Ausbauten älterer Plätze und Neugründungen erfolgten zwischen 1120 und etwa 1280. Damals wurden nicht nur neue Städte gegründet, auch ältere Siedlungen wurden ausgebaut und rechtlich zur Stadt erhoben. So erhielt das offenbar auf dem Gebiet des römischen Ovilava errichtete und 776 als castrum Uueles erwähnte Wels, das ab etwa 1000 als »Markt« bezeichnet wurde, im 13. Jahrhundert unter der Herrschaft der Babenberger einen neuen zentralen Platz. Eine kräftige Erweiterung erfuhr in dieser Zeit auch Wien.

Während die zentralen Plätze der älteren Städte eher eine Dreiecksform aufweisen (Krems, Eggenburg), stechen die Neugründungen des späten 12. und des 13. Jahrhunderts wie Freistadt, Wiener Neustadt, Fürstenfeld, Retz usw. durch ihre regelmäßigen Grundrisse und die großen, meist rechteckigen zentralen Platzanlagen ins Auge. Die Stadtburg rückt an den Rand, in eine Ecke der Stadtmauer. Eine ähnliche Stellung nehmen die gegen Ende der Periode häufig gegründeten Bettelordensklöster ein.

Nach Auffassung des 13. Jahrhunderts gehörte zu einer Stadt auch ein spezielles Stadtrecht. Komplette Stadtrechtsurkunden sind zunächst für Enns (1212), später für Wien (1221) erhalten. Jene Urkunden standen nicht am Beginn der städtischen Siedlungs- und Sozialformen, sondern bestätigen ein bereits ent wickeltes städtisches Gemeinwesen. Bestimmte Vorrechte zielten auf die Sicherung der Stellung im Handel, etwa die Stapel- bzw. Niederlagsrechte für Wien (1221) und Innsbruck (1239). Durch sie wurde der Warenverkehr zugunsten eines zeitlich befristeten bürgerlichen Abnahmemonopols unterbrochen. Ähnlich wirkte die Bannmeile, also die Untersagung nichtstädtischer Handels-bzw. später auch Gewerbetätigkeit in einem bestimmten Umkreis um die Stadt (Aschbach vor 1238, Enns 1244). Jahrhundertelang bekämpften die Bürger der Städte und Märkte das Landhandwerk und den »Gäuhandel« bäuerlicher Händler und Produzenten.

Bis zum Ende des 13. Jahrhunderts war die Entwicklung des Städtenetzes im heutigen Österreich weitgehend abgeschlossen. Auch ein Netz von Pfarrorten und den damit häufig korrespondierenden Märkten war schon entstanden, es wurde allerdings im Spätmittelalter noch erheblich verdichtet. Fehlen noch die befestigten Herrschaftssitze. Man darf sich von den erhaltenen pittoresken Burgen und Schlössern nicht täuschen lassen: Sie sind in ihrer jetzigen Gestalt durchwegs ein Produkt des Spätmittelalters und der Renaissance. Der befestigte Herrschaftssitz eines Grafen von Formbach-Ratelnberg (auf dem Gelände des Friedhofs von Unterradlberg), von Peilstein oder Schala sah sicher wesentlich bescheidener aus als die späteren Schlossbauten. Zieht man den in der Schallaburg erhaltenen Altbau als Beispiel heran, so war das ein schlichter, mehrstöckiger, kastenartiger Bau, umgeben von einer Ringmauer. Die zunächst noch rechtlich unfreien Ministerialen der Babenberger hatten nur das Recht, feste Häuser zu erbauen, in oder neben den von ihnen beherrschten Dörfern, keine durch ihre Höhenlage hervorgehobene Burg. Aus solchen Ansitzen konnten später eindrucksvolle Schlösser werden wie Schönbühel an der Donau, nach dem sich Ministerialen des Bischofs von Passau nannten, oder Maissau, der Stammsitz der im Spätmittelalter mächtigen Maissauer. Sozial noch unter den Ministerialen standen die niederen Ritter, deren Sitze später nur selten zu richtigen Burgen oder Schlössern wurden, vielfach blieben nur Flurnamen (»Burgstall«) oder bescheidene Überreste. Die Vorstellung, im Hochmittelalter sei Europa von hoch aufragenden Burgen mit ihren beherrschenden Türmen geprägt gewesen, ist anachronistisch.

Auch die bis heute das Landschaftsbild an manchen Orten beherrschenden Klöster sind zwar fast alle im Hochmittelalter gegründet worden, aber auch sie waren baulich viel bescheidener als sie seit den (meist) spätmittelalterlichen und barocken Aus- und Umbauten wirken. Die im 10. Jahrhundert einsetzende, vom burgundischen Kloster Cluny ausgehende Reformbewegung forderte nicht nur eine Rückbesinnung von Klerus und Laien auf ursprüngliche Werte des Evangeliums. Sie lehnte auch die Einsetzung von Bischöfen und Äbten durch weltliche Gewalten radikal ab. Diese Ablehnung der Simonie – sie löste den Investiturstreit mit dem Höhepunkt zwischen etwa 1076 und 1122 aus – war nur ein Teil einer gewaltigen Emanzipationsbewegung der westlichen Kirche von der Herrschaft durch Könige und Fürsten. Die Verbindung von monastischen Reformbewegungen und Papsttum stärkte dessen Position massiv.

Gründungen der Reformbewegung im heutigen Österreich waren als Mönchsklöster (Benediktiner) etwa Ossiach (vor 1028), Lambach 1056 (als Kanonikerstift schon 1046), Admont 1074, Göttweig 1094 – gegründet als Kanonikerstift 1083 –, Melk 1089 usw. Auch die Weltpriester sollten in klosterähnlichen Verbänden (Kanonikerstifte) zusammengefasst werden, die häufig in Augustiner-Chorherrenstifte umgewandelt wurden; so beispielsweise St. Florian 1071, St. Pölten 1081 oder Klosterneuburg 1133. In diesen Stiften lebten Priester nach der Ordensregel des heiligen Augustinus. Sowohl Mönchsklöster wie auch Chorherrenstifte waren häufig Doppelklöster, d.h., es gab neben dem Herrenstift ein Frauenstift.

Ein radikaler Reformorden waren die Zisterzienser. Lage und turmlose Architektur ihrer Klöster symbolisierten Verzicht auf Herrschaft und Protest gegen die herrschaftlichen Bischofssitze oder Benediktinerklöster. Sie wurden immer in entlegenen, unwirtlichen Tälern errichtet. Die Zisterzienser lebten anfangs auch nicht von bäuerlichen Abgaben, sondern bebauten durch Laienbrüder (Konversen) eigenes Land (Grangien). Die erste Zisterze entstand im steirischen Rein (1129), es folgten Heiligenkreuz (1133), Zwettl (1138) usw. Prämonstratenser waren reformierte Chorherren, die ähnlich unwirtliche Örtlichkeiten aufsuchten wie die Zisterzienser. 1138 erfolgte die Umwandlung von Wilten in ein Prämonstratenserstift, 1153 die Gründung von Geras und Pernegg als Herren- und Frauenstift, 1218 die von Schlägl, wo es den 1202/03 angesiedelten Zisterziensern zu unwirtlich war, 1236 von Griffen in Kärnten.

Der älteste noch bestehende Bau des 10. Jahrhunderts ist vermutlich das auf den heiligen Wolfgang von Regensburg und ein Privileg von 976/79 zurückgehende Oktogon von Wieselburg (später zur Apsis einer gotischen Kirche umgewandelt).

Seit der Mitte des 11. Jahrhunderts wurden eindrucksvolle Kirchenbauten errichtet, meist als Kloster- und zuweilen auch als Pfarrkirchen (Tulln). Die Kathedrale von Gurk oder die Stiftskirchen von St. Paul oder Klosterneuburg sind die bekanntesten erhaltenen Zeugen jener Bautätigkeit.

2.2 Die neuen Länder Österreich, Steiermark und Tirol – stabiles Erbe des Hochmittelalters

Das »Ostarrîchi«, das Ostland der Karolingerzeit wurde nach dem Sieg Ottos I. über die Ungarn (955) nicht im alten Umfang wiederhergestellt. Die als Grenzmarken gegen Ungarn im Vorfeld der Herzogtümer Bayern und Karantanien eingerichteten Marken waren klein, zunächst nicht mehr als ein Landstreifen östlich der Enns und entlang der Donau, bis hin zum Wienerwald, und ein zweiter, vor Karantanien, entlang der mittleren Mur. Die Könige (Otto I., seit 962 auch wieder »römischer Kaiser«, ebenso seine Nachfolger) hatten zunächst genug zu tun, um ihre Herrschaft im Ostfrankenreich zu stabilisieren. Besonders Heinrich II. behielt die beiden Herzogtümer Bayern und Karantanien durch mehrere Jahre wiederholt selbst in der Hand, dazwischen wurden immer wieder Herzöge eingesetzt, so 1012 ein gewisser recht begüterter Adalbero. Er ist indirekt für den nachhaltigen Ruf einer bedeutenden Frau, Hemma von Gurk verantwortlich: Denn er tötete 1036 ihren Gemahl, den reich begüterten Markgrafen Wilhelm von Saunien (von der Sann/Savinja, SI). Hemma selbst stammte ebenfalls aus einer mächtigen Familie. Aus dem reichen Erbe der Familie ihres Mannes und ihrer eigenen Familie gründete sie ein Nonnenkloster in Gurk. Später verwendete der Salzburger Erzbischof den Hemma-Besitz als Ausstattung für sein Eigenbistum Gurk, aber auch für das Kloster Admont. Hemma wurde in Kärnten und in Slowenien bald hoch verehrt – die Seligsprechung erfolgte noch im Mittelalter, die Kanonisation durch Rom jedoch erst im Jahr 1938.

Die beiden Herzogtümer Bayern und Karantanien blieben zwar erhalten, aber ihre Geschichte auf dem Gebiet des heutigen Österreich ist genau genommen eine Verlustgeschichte. Aus Teilen beider Herzogtümer und aus den mit ihnen verbundenen Marken entstanden fünf neue Länder: die Steiermark, Österreich und das Land ob der Enns (modern gesprochen: Nieder- und Oberösterreich), Tirol und das Land Salzburg, während das kleiner gewordene Herzogtum Kärnten erst im 16. Jahrhundert zu einem geschlossenen Land wurde. Auch das verkleinerte Bayern wurde langsam zu einem »Land«, wobei die Landeseinheit durch Teilungen innerhalb der wittelsbachischen Herzogsfamilie wiederholt gefährdet war.

Diese Vorgänge sind für die Geschichte Österreichs von größter Bedeutung, denn aus ihnen gingen letztlich sechs der neun Bundesländer der heutigen Republik hervor. Dagegen entstand Vorarlberg auf dem Boden des Herzogtums Schwaben.

Die Entstehung des Steirerlandes

Weniger das Markgrafenamt in der karantanischen Mark als vielmehr einige Erbschaften ermöglichten den Markgrafen eine rasche Umgestaltung ihrer zunächst voneinander weit entfernten Besitzungen zu einem neuen Land. Geerbt wurden nicht nur Grundbesitz und Herrschaftsrechte, sondern auch die Herrschaft über Ministerialen. Ministerialen waren unfreie, als Krieger und Verwalter wichtige Dienstleute, die später einen neuen Adel bildeten. Die Rechtsmängel der Unfreiheit beschränkten sich bald auf ein Heiratsverbot außerhalb der familia (der Gefolgschaft) des Herren. Dieser Personenkreis trieb auch die Besiedlung der Oststeiermark voran. Ererbt waren aber auch zahlreiche Vogteirechte, so dass die steirischen Markgrafen zuletzt die Herrschaft über fast alle kirchlichen Besitzungen in ihrem Machtbereich ausübten.

Dem Kärntner Herzogtum im Osten vorgelagert, umfasste die Mark im 10. Jahrhundert einen 40 bis 50 km breiten Gebietsstreifen. Um 1043 (Ungarnkriege Kaiser Heinrichs III.) wurde die Grenze nach Osten vorgeschoben, hier gab es freies Land für neue Siedler. Seit 1056 begegnet ein Otakar I. als Markgraf, schon vorher Graf im bayerischen Chiemgau, der sich ab 1074 auch nach seiner Burg Steyr benannte. Seine Hausmacht lag im damals bis zur Enns bayerischen Traungau und im Ennstal mit dem Zentrum Grauscharn (Pürgg).

1122 erbte sein Enkel, Markgraf Leopold »der Starke« (fortis), nach dem letzten Eppensteiner große Gebiete im Mur- und Mürztal. Man hat daher das Jahr 1122 mit einem gewissen Recht als Geburtsjahr der Steiermark bezeichnet. Denn erst diese Erbschaft schuf eine direkte Verbindung zwischen den Besitzungen im Traungau (mit Steyr) und der Mark. Eine lebhafte Siedlungs- und Rodungstätigkeit im Osten der Mark setzte ein. Getragen wurde sie von Ministerialen der Otakare aus ihren Traungauer (also bayerischen) Besitzungen. Mit der Gründung von Hartberg (1125/28) entstand hier auch ein frühes städtisches Zentrum. 1128 gründete Leopold in Rein die erste Zisterze im Ostalpenraum. Er starb aber schon 1129. Für den kleinen Otakar III. (1129 – 1164) regierte seine tüchtige Mutter, die Welfin Sophie. Ab 1139 oder 1140 großjährig, gelangen ihm entscheidende Schritte der Landesbildung. Zuerst erbte er Besitzungen und Rechte nach dem stammverwandten Grafen Otto von Cordenons im Friaul; 1147 folgten als Erbe nach einem Grafen von Spanheim-Trixen Besitzungen im slowenischen Draugebiet sowie an Savinja und Save; 1158 schließlich beerbte er einen Grafen von Formbach im Süden des späteren Niederösterreich, nördlich von Semmering und Wechsel (»Grafschaft« Pitten – Bucklige Welt), damit waren neben Pyhrn- und Schoberpass auch die wichtigen Ostalpenpässe Semmering und Wechsel in seiner Hand. Er war Vogt vieler Stifte und Klöster wie Traunkirchen, Lambach, St. Lambrecht, Seckau usw. Vogtei bedeutete Herrschaft über Kirchenbesitz – eine wichtige zusätzliche Einflussmöglichkeit. Neu gründete der Markgraf das Spital am Semmering, das Stift Vorau (1163) und die erste Kartause auf Reichsboden in Seitz (Žiče, SI, wohl ebenfalls 1163). Bei jedem Erbfall fielen auch die Ministerialen, die Dienstleute der ehemaligen Herren, an den Markgrafen. Insgesamt wirkten etwa 15 bis 20 Ministerialengeschlechter an der erfolgreichen Landesbildung mit. Graz, vor 1164 (in diesem Jahr urbs) gegründet (1189 civitas) wurde bald zur wichtigsten Residenz, neben und nach Steyr und Grauscharn (Pürgg). Kaiser Friedrich I. Barbarossa (1152 – 1190) verlieh an Otakar das Bergregal (das dem König zustehende Recht der Ausbeutung von Erzen), seit 1158 redete Barbarossa Otakar III. als princeps, Fürst, an. 1160 führte der Markgraf erstmals das Pantherwappen, das spätere steirische Landeswappen. Die Herzogswürde für seinen Sohn Otakar IV. (1180) steht im Zusammenhang mit dem Sturz Heinrichs des Löwen im selben Jahr. Das Land Otakars, das von der Donau bei Steyregg bis an die Drau reichte, war nun vollständig von Bayern getrennt. Zweimal sicherten tüchtige Frauen ihren Söhnen die Herrschaft – die Mutter Otakars III., Sophie, und seine Witwe, Kunigunde von Vohburg, die für den kleinen, erst 1163 geborenen Otakar IV, regierte. Sie gehören zu einer Reihe bedeutender Frauen im selben Zeithorizont wie Hildegard von Bingen, Eleonore von Aquitanien oder die Salierin Agnes, 2. Gemahlin Leopolds III. von Österreich.

Karte 2 Alte Herzogtümer – neue Länder. Österreich um 1200.

Grundlage der otakarischen Stellung war die erfolgreiche Kombination von Gütererwerb und Herrschaftsrechten mit Landesausbau im Osten der Mark. Andere feudale Herren wurden ausgeschaltet oder in die Ministerialität, in den Verband der »Stirenses«, der »Steyrer« integriert. Diese »Stirenses« waren es, die am Georgenberg bei Enns 1186, als der unheilbar kranke Otakar IV. (1164 – 1192) die Erbverbrüderung mit dem Babenberger Leopold V. abschloss, auf die Sicherung ihrer Rechte (des ius provinciae, also des bereits vorhandenen Landrechts) pochten und diese auch verbrieft erhielten. Sie waren Träger der Landesbildung, sie und ihre Nachfolger blieben als Landesadel Träger des Landesbewusstseins. Dies auch dann, als das alte namengebende Zentrum Steyr im 13. Jahrhundert vom Land abgetrennt wurde. Auch unter den Babenbergern und Habsburgern blieb die Steiermark stets ein eigenes, auf ihr eigenes Recht und ihre besondere Stellung beharrendes Land.

Von Ostarrîchi zum Herzogtum Österreich. Die Babenberger

Die ersten beiden Markgrafen aus der später so benannten Familie der »Babenberger« waren – nach einem um 970/72 genannten Burkhard – Leopold I. (976 – 994) und Heinrich I. (994 – 1018). In dessen Burg zu Melk wurde 1014 der Leichnam des einem Justizmord zum Opfer gefallenen, fremden Pilgers Koloman übertragen. Seither wurde Koloman als Heiliger verehrt, bis ins 17. Jahrhundert galt er als der Landespatron Österreichs. Koloman wurde bei Stockerau ermordet, das damals noch nahe der mährischen Grenze lag. Es folgte Adalbert (1018 – 1055), Bruder des Markgrafen Heinrich. In diese Zeit fallen die Ungarnkriege Kaiser Heinrichs III. An deren Ende war um die Jahrhundertmitte die Ostgrenze der Mark an March und Leitha fixiert. Sie blieb sehr stabil – bis zum heutigen Tag.

Den neben den Markgrafen in der Mark aktiven geistlichen Gewalten wie Salzburg, Regensburg, Passau, Freising usw., oder adeligen Geschlechtern (Ebersbergern, Formbachern, Vohburgern, Sighardingern usw.) können wir hier keine detaillierte Aufmerksamkeit widmen. Alle zusammen und vielleicht auch manche von ihnen für sich genommen waren anfangs mindestens genauso mächtig wie die Markgrafen selbst, deren Besitzungen und Herrschaftsrechte sich durch Königsschenkungen und später durch eine geschickte Erwerbungspolitik langsam mehrten – bis sie im 13. Jahrhundert alle früheren Konkurrenten ausgeschaltet bzw. verdrängt hatten.

Um 1050 wurde es zur ständigen Übung, die Mark des Markgrafen mit dem Gegendnamen »Österreich« zu bezeichnen. Auf Adalbert folgte Ernst »der Tapfere« (1055 – 1075), dessen Gebeine in Melk noch die Spuren seiner tödlichen Verletzungen in einer typischen Schlacht der Zeit zeigen. Sein Sohn Leopold II. (1075 – 1095) gründete das Kloster Melk (1089, in der bisherigen Burg auf dem Felsen über Melk). Dem Kloster wurden nur wenige Besitzungen in der Nähe von Melk übertragen, hingegen mehrere Pfarren weit im Osten und Norden, also im Kolonisationsgebiet (Wullersdorf, Ravelsbach, Weikendorf, Traiskirchen und Mödling), der Gründungsvorgang wurde erst unter Leopold III. abgeschlossen.

Eine neue Dimension gewann die Politik der österreichischen Markgrafen mit Leopold III. (1095 – 1136), bald nach seinem Tod als pius marchio verehrt und 1485 heiliggesprochen. In zweiter Ehe heiratete er Agnes, die Schwester Kaiser Heinrichs V., Witwe nach dem schwäbischen Herzog Friedrich von Staufen, dem sie bereits elf Kinder geboren haben soll. Ein Sohn aus erster Ehe wurde als Konrad III. selbst König (1137 – 1152). Agnes muss unglaublich gesund und kräftig gewesen sein, denn sie soll in ihrer zweiten Ehe noch 18 Kinder geboren haben – neun sind namentlich bekannt. Einige hat man ihre wohl noch zugeschrieben, um diese außerordentliche Frau noch mehr zu erhöhen.

Leopold III. verlegte seine Hauptburg nach Klosterneuburg. Das neben der Burg errichtete Kanonikerstift wurde 1133 in ein reguliertes Chorherrenstift umgewandelt. Leopolds Sohn Otto, schon jung zum Propst erhoben, lernte während des Studiums in Paris den neuen Zisterzienserorden kennen und trat selbst in das Kloster Morimond ein. Otto wurde später Bischof von Freising und einer der bedeutendsten Historiker des Hochmittelalters. In seinen Gesta Friderici I imperatoris beschrieb er auch die Ereignisse von 1156 – die Erhebung Österreichs zum Herzogtum. 1136 sprach Leopold III. von seinem principatus terrae, seiner fürstlichen Gewalt über das Land. Nun kam auch der latinisierte Landesname Austria auf, der seit 1147 urkundlich regelmäßig gebraucht wurde.

Das Privilegium minus 1156

Das so genannte Privilegium minus – zum Unterschied von dem unter Rudolf IV. um 1360 gefälschten maius – garantierte dem österreichischen Herzog wichtige Rechte: Die bisherige Mark wurde endgültig von Bayern gelöst. Die Gemahlin des Herzogs, die byzantinische Prinzessin Theodora Komnena wurde besonders hervorgehoben. Der Herzog und seine Frau konnten einen Nachfolger selbst bestimmen, auch die weibliche Erbfolge wurde möglich. Der Herzog von Österreich war nur zur Teilnahme an Hoftagen des Königs in Bayern verpflichtet, ferner zur Heerfolge nur gegen Ungarn. Und es sollte im Herzogtum keine Gerichtsbarkeit ausgeübt werden, die nicht vom Herzog ausging. Die Nennung von drei Grafschaften, die gemeinsam mit der Mark zum Herzogtum erhoben wurden, hat lebhafte Spekulationen ausgelöst – handelte es sich um die drei Grafschaften der Raffelstettner Zollordnung von 904/06? Oder um drei Grafschaften im Waldviertel? Oder um die drei peilsteinischen Grafschaften im niederösterreichischen Mostviertel? Diese Fragen bleiben offen.

Das Original der Urkunde ist nicht erhalten, da es bei der Herstellung des falschen Privilegium maius unter Herzog Rudolf IV. (1359) vernichtet wurde, das originale Siegel wurde dem Falsifikat beigefügt.

Literatur: Heinrich Appelt: Privilegium minus. Das staufische Kaisertum und die Babenberger in Österreich, 2., veränderte Auflage, Wien 2006.

Die berühmte Erhebung der Mark Österreich zum Herzogtum hing engstens mit dem Streit zwischen Staufern und Welfen auf Reichsebene zusammen. 1137 setzte der neue König Konrad (III.) von Staufen, ein Halbbruder der Söhne Leopolds III., einen Welfen, Heinrich »den Stolzen«, wegen Huldigungsverwei-gerung als Herzog von Bayern ab. Das Herzogtum übertrug er seinem Halbbruder, Markgraf Leopold IV. von Österreich. Ihm folgte als Markgraf und Herzog Heinrich II. »Jasomirgott«. König Konrads Neffe Friedrich I. Barbarossa versuchte die Versöhnung mit den Welfen und bewog den Babenberger Heinrich II. »Jasomirgott« zum Verzicht auf Bayern. Als Gegenleistung wurde die Mark Österreich zusammen mit drei Grafschaften zum Herzogtum erhoben (1156).

Heinrichs Sohn Leopold V. (1177 – 1194) schloss mit dem unheilbar kranken Otakar IV. den Erbvertrag vom Georgenberg bei Enns (1186). Nach dem Tod Otakars wurde er 1192 auch Herzog von Steiermark. Um diese Zeit bildete sich auch die Nordgrenze Österreichs heraus: 1179 legte Kaiser Friedrich I. die Grenze zwischen Österreich und Böhmen bzw. Mähren fest. Leopold V. nahm am 3. Kreuzzug teil. Der Legende nach entstand dabei das rot-weiß-rote Wappen, eine allerdings unwahrscheinliche Geschichte. Wichtiger wurde ein Zwist, der sich vor oder in Akkon ereignete: Der englische König Richard Löwenherz beleidigte das schwache Reichskontingent, worauf sich Leopold 1191 wütend zurückzog. Auf der Rückfahrt erlitt König Richard an der oberen Adria Schiffbruch, versuchte sich über Land durchzuschlagen, kam aber ausgerechnet nach Österreich und wurde in Erdberg (damals noch bei Wien) im Dezember 1192 erkannt und festgesetzt. Hoch erfreut über diese Wendung war auch Kaiser Heinrich VI., der schon vorher die Festnahme Richards angeordnet hatte – Richard war ja der engste Verbündete der dem Staufer weiterhin feindlichen Welfen. Richard musste ein enormes Lösegeld zahlen, von dem Leopold V. die Hälfte erhalten sollte. Der Herzog verwendete das Geld für eine neue Stadtmauer um Wien, für die Gründung von Wiener Neustadt und die Befestigung von Enns und Hainburg.

Leopold VI. (1198 – 1230) setzte den territorialen Integrationsprozess fort. Erst jetzt wurde das »Land« Österreich auch ein territorial geschlossener Komplex. Er beerbte mehrere große Familien wie die das Mostviertel beherrschenden Grafen von Peilstein, kaufte die Herrschaften Wels und Lambach (1216), erwarb Linz und das wichtige Freistadt im Mühlviertel sowie die Grafschaft Raabs im Waldviertel. Wien erfuhr eine neuerliche Stadterweiterung – dieser Umfang blieb dann bis in die Neuzeit erhalten. Enns (1212) und Wien (vor 1208 und wieder 1221) erhielten die ersten kompletten Stadtrechte. Der Herzog gründete die Zisterze Lilienfeld (1202). Er bekämpfte in seinen Ländern und in Südfrankreich die »Ketzer« (Albigenser) sowie die spanischen Muslime, 1217 beteiligte er sich am gescheiterten Kreuzzug nach Ägypten. Leopold VI. starb 1230 in Italien.

Herzog Friedrich II. mit dem nicht unzutreffenden Beinamen »der Streitbare« (1230 – 1246) hatte unter Zeitgenossen und der Nachwelt keine gute Nachrede. Die österreichischen ebenso wie die steirischen Ministerialen forderten Mitspracherechte. Unter Führung des mächtigsten dieser Geschlechter, der Kuen-ringer, kam es zu einem ersten – vergeblichen – Aufstand dieser Herren gegen den Herzog. Kaiser Friedrich II. verhängte nach zahlreichen Beschwerden die Reichsacht über ihn (1236). Aber bald versöhnte man sich wieder. Für die Hilfe, die Herzog Friedrich II. dem ungarischen König Béla IV. gegen die Mongolen leisten sollte, verlangte er die westungarischen Komitate Wieselburg (Moson), Ödenburg (Sopron) und Eisenburg (Vasvár). Die Hilfe Friedrichs war sehr bescheiden. Als die Mongolen nach Asien umkehrten, ließen sie Ungarn verwüstet zurück, König Béla blieb ein erbitterter Feind des Babenbergers.

Nun tauchte der »Königreichsplan« auf. Das Königreich des Babenbergers sollte aus Österreich und der Steiermark bestehen, samt Krain als lehensabhängigem Herzogtum. Dafür sollte Gertrud, eine Nichte des Babenbergers, den Kaiser heiraten. Der Tod des Babenbergers in einer Schlacht an der Leitha am 15. Juni 1246 beendete alle diese Spekulationen.

Der jahrelange Kampf um das babenbergische Erbe endete erst 1251, als die österreichischen »Landherren«, wie sich die Ministerialen selbstbewusst nannten, Otakar II. Přemysl, Markgrafen von Mähren, ins Land holten. Er heiratete die in Hainburg sitzende Babenbergerin Margarete (1252). Im Streit mit dem Ungarnkönig kam ein Kompromiss zustande: Béla erhielt die Steiermark, Otakar Österreich, aber mitsamt den bisher steirischen Gebieten nördlich des Gebirges. Die Bucklige Welt und der Traungau wurden von da an österreichisch – das Gebiet westlich der Enns wurde schließlich ein neues Land, das Land ob der Enns, die Steiermark verlor die namengebende Stadt und Burg Steyr.

Nach einem neuerlichen Konflikt mit Ungarn übernahm Otakar II. Přemysl, nun bereits König von Böhmen, auch die Steiermark (1261). Später erwarb er auch die Herzogswürde von Kärnten und Krain und wurde 1272 »Generalkapitän« des Friaul, damit reichte seine Herrschaft bis zur Adria. Der Herrscher begünstigte die Kirche und die Städte, aber er verscherzte es sich mit dem Adel. Der Steirer Seifried von Mahrenberg wurde ohne Gerichtsverfahren getötet. Es gärte unter den Herren. Das ist der Hintergrund der schlussendlichen Niederlage des »goldenen« Böhmenkönigs gegen den »armen« Grafen Rudolf von Habsburg.

Tirol – Ein neues Land an Inn, Etsch und Eisack