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Im schönen Eutin in Holstein, erblickte Klaus Frischkorn im September 1941 das Licht der Welt. Kindheit und Schulzeit verbrachte er im Norden Hamburgs, im Ortsteil Fuhlsbüttel. Schon mit acht Jahren begann er damit Rassegeflügel wie Tauben und Zwerghühner zu züchten und machte das Gebiet der Oberalster sowie das Ohemoor, westlich der nördlichen Landebahn des Flughafens Fuhlsbüttel mit seiner großartigen Natur zu seinem "Revier". Schon in den Schuljahren hielt er die damals gewonnenen beglückenden Erlebnisse und Eindrücke schriftlich, in den damals üblichen Halbjahresarbeiten fest. Auch dadurch entwickelte sich bei ihm eine tiefe Naturverbundenheit. Als Berufsoffizier der Bundeswehr kam er in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts auch für ein paar Jahre auf die schwäbische Alb. Hier lernte er den Offizierkameraden Nikolaus Graf Adelmann kennen, der mit seiner Familie in Hohenstadt, auf der Ostalb, sein wunderschönes Zuhause und ein Jagdrevier hat. Mit ihm und seiner ältesten Tochter Patricia entwickelte sich eine herzliche, heute noch währende Freundschaft. Viele der geschilderten Erlebnisse aus dem Jagdtagebuch stammen aus dem dortigen Revier. Natürlich kam es im Laufe der Jahre auch zu einer Reihe von Einladungen in andere Reviere. Einige davon auch ins Ausland, wie zum Beispiel in die USA, nach Österreich oder Ungarn. Der Autor präsentiert dem Leser naturnahe, spannende, häufig auch sehr selbstkritische, Jagdgeschichten, was wohl auch einen Nichtjäger ansprechen mag.
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Seitenzahl: 394
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Nicht das, was einer niederlegt,
nur was dabei sein Herz bewegt,
nur was er fühlt bei jedem Stück,
das ist das wahre Jägerglück!
Erzherzog Johann von Österreich 1782–1859
Vorwort
Erinnerung und neues Glück
Im letzten Moment
Ein Schaf
Das »Stacheldrahtböckchen«
Peter und Paul
Ungewöhnliche Delikatesse
Freitag, der 13.
Der »Raufer«
Teamwork
Die »Plastiktüte« und der Schläfer
Mäuseln
Strafe muss sein
Hilferufe
Glück im Unglück
Eine tapfere Mutter
Der Perlenbock
Auf den Tom
Die Elf-Minuten-Strecke
Unverhofft kommt … manchmal
Zwiegespräch mit Reineke
Pirsch mit glücklichem Ausgang
Zwei Gladiatoren
Kugelsicher?
Auf den Spielhahn
Die Sau, die mich suchte, oder der gute Rat eines estnischen Jägers
Nachsuche
Diana ist mir hold
Brunfthirschpirsch
Eine »Küchensau«
Oi schwarzr Bolla
Eine jagdliche Kurzgeschichte oder der »Neunzig-Sekunden-Bock«
Petrus versus Hubertus
Ein weißer Hirsch
Pirschen lohnt sich
Doppeltreffer?
Schwere Beute
Können Damhirsche hellsehen?
Grenzgänger
Ein kleines Malheur
Gummipirsch auf den Weinbergsbock
Blattzeit auf der Ostalb
Als ich die Weihen des Jungjägers erhielt und meine ersten Stücke Wild erlegt hatte, machte ich mir ernsthaft Gedanken darüber, wie ich das bei der Jagd Erlebte festhalten sollte, um auch später darauf zurückgreifen zu können. Ich begann damit, auf die Patronenhülsen, die ich bei der Jagd benutzt hatte, mit einem Filzstift zu schreiben, was ich wann, wo, wie erlegen konnte. Die Hülsen sammelte ich in einer alten Zigarrenkiste.
Schon bald merkte ich, dass dieses System für mich keine Zukunft haben würde, und begann damit, handschriftliche Notizen zu fertigen. Dazu hatte ich immer einen Stift und einen Notizblock in meinem Rucksack.
Bald entstand ein kleines DIN-A6-Blatt mit dem gezeichneten Körper eines Rehbocks, dem das Gehörn fehlte. Hier skizzierte ich dann für den Jagdherrn oder Mitjäger einen Trophäenträger, den ich in Anblick bekommen, aber nicht erlegt hatte.
Für den Fall, dass ich ein Stück strecken konnte, entwickelte ich ein Format, das alle wesentlichen Fakten eines jagdlichen Erlebnisses beinhaltet.
Dazu hier zwei Beispiele:
Di., 09.06.98
Fuchsrüde
BÖRRAT
65 m, weich hinter Blatt
21:47 Uhr
Kanzel a. d. .Bubensteige
22 Magn. KHS 2,6 g
oder
Mi., 25.06.14
67. Bock
18 kg
RUTENHOFRE- VIER
107 m, Hochblatt
22:08 Uhr
dreijährig 220 g Gehörngewicht
Kanzel Nr. 1
.30-06, KS, 9,7 g
Danach folgte das jagdliche Erlebnis in freier Beschreibung. Dann stand irgendwann in den Neunzigerjahren mein erster Laptop auf meinem Schreibtisch und ich schrieb alles in einem Schreibprogramm.
Eine sehr große Erleichterung war dann der Erwerb eines Spracherkennungsprogramms, das in der Lage war, meine in das Mikrofon gesprochenen Worte entsprechend niederzuschreiben.
Ich habe mich sehr ernsthaft darum bemüht, die Wahrheit zu schreiben und kein Jägerlatein zu Papier zu bringen. Auch wenn ich dabei selbst häufiger nicht gut ausgesehen habe.
Im Laufe der Zeit sammelte sich so eine große Anzahl loser Blätter in einem dafür vorgesehenen Sammelordner und die fast logische Folge daraus war, dass ich das Buchbinden erlernte. So stehen heute 21 in grünes Leinen gebundene, mit einem kleinen wildledernen Eichenbruch verzierte Bände der Jagdtagebücher griffbereit bei mir in einem Regal. Ich nehme sie sehr gern und häufig zur Hand, um zu sehen und zu lesen, was jagdlich bei mir in den letzten Jahrzehnten geschehen ist. Drei weitere Bände sind fertig geschrieben und gedruckt, warten aber noch darauf, gebunden zu werden.
Gar nicht so selten geschah und geschieht es noch, dass einer meiner vielen Jagdfreunde beispielsweise persönlich fragt oder bei mir mit der Bitte anruft, ihm doch zu sagen, wie denn bei dem kleinen »Drückerle« am 3. Dezember 1994 in Hohenstadt die Strecke aussah und ob der Waidkamerad Herrmann auch dabei war. Gerne ziehe ich dann den entsprechenden Band aus dem Regal und gebe darüber Auskunft.
Natürlich bin ich vom Führen eines Jagdtagebuchs auch derart überzeugt, dass ich heute jedem Jungjäger nur aus vollem Herzen raten kann, auf ähnliche Art und Weise Geschehnisse um die Jagd, die er selbst oder aber mit anderen Waidkameraden erlebt hat, schriftlich festzuhalten.
Nun sitze ich schon weit über eine Stunde bei schönstem Spätherbstwetter auf der oberen Kanzel an der Fachwiese. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages tauchen das Land in ein angenehmes, warmes Licht. Ruhig beobachte ich meine Umgebung, lasse meinen Gedanken freien Lauf und dabei steigt so manches interessante Bild aus meinen Erinnerungen in mir auf.
Von hier oben kann man den Hang hinab bis zur kleinen Ortschaft Fach schauen, die auf der hiesigen südlichen Seite des Flusses Kocher liegt. Dahinter auf der nördlichen Seite verläuft die Bundesstraße zwischen den Ortschaften Abtsgmünd im Osten und Untergröningen im Westen.
Ja, auf dieser Straße der Schwäbischen Ostalb fuhr ich vor etwas mehr als sechs Jahren zur Blattzeit mit meinem Freund und auch jetzigem Gastgeber Nikolaus Graf Adelmann in Richtung Reichertshofen-Abtsgmünd. Wir waren auf der Rückfahrt von unserem Büchsenmacher, bei dem wir unsere Waffen angeschossen hatten. Als Beifahrer hatte ich die sehr schöne Möglichkeit, mir während der Fahrt die großartige Landschaft der Ostalb links und rechts des Flusses Kocher eingehend zu betrachten, und machte davon auch gern und ausgiebig Gebrauch.
Dabei ging mein Blick auch über die Ortschaft Fach hinweg auf die große Wiese, die sich hinter ihr erhob und die auch schon zum Jagdrevier meines Freundes Nikolaus gehörte. An deren oberen Ende, an dem ich jetzt, in diesem Moment, gerade auf der Kanzel ansitze, sah ich dabei zwei Stücke Rehwild. Natürlich machte ich Niko – wie Nikolaus kurz von Freunden genannt wird – sofort auf meine Entdeckung aufmerksam. Er stoppte daraufhin sein Fahrzeug und stellte mit seinem Fernglas fest, dass dort oben ein Bock eine Geiß trieb. Das veranlasste ihn, sofort nach rechts auf die wunderschöne hölzerne überdachte Kocherbrücke abzubiegen, auf der wir dann den Fluss überquerten. Es folgte nur noch eine kurze Fahrt durch den kleinen Ort und dann ließen wir den Wagen an dessen südlichem Rand stehen. Wir entnahmen ihm unsere Waffen und pirschten sehr vorsichtig am linken Wiesenrand hangaufwärts bis zu einer Kanzel, von der Niko als dem Ameisensitz sprach.
Sehr vorsichtig erklommen wir diese Ansitzeinrichtung und beobachteten von dort das Treiben, das sich etwa 120 Meter oberhalb von uns auf der Wiese abspielte. Rasch stellten wir auch fest, dass ein zweiter Bock, ein Jährling, immer wieder in die Nähe der beiden zunächst beobachteten Stücke kam.
Hier bot mir Niko zu meiner großen Freude an, den älteren braven Sechser, wenn ich denn möchte, zu schießen. Natürlich mochte ich. Der Sechser trieb ständig die Geiß und musste dann auch immer wieder den starken und ebenso dreisten Jährling abschlagen, der ihm wohl sein Vorhaben streitig machen wollte.
Dann hatte Niko die Idee, es einfach mal mit dem Blatter zu versuchen. Mit seinen kunstvoll vorgetragenen Fieptönen hatte er dann auch sofort vollen Erfolg. Leider jedoch nicht den, welchen wir uns so sehr erhofft hatten. Denn kaum waren die ersten zärtlichen Töne dort oben angekommen, da kam der Jährling buchstäblich wie eine Rakete den Hang hinab und nahm mit unverminderter Geschwindigkeit direkt links neben unserer Kanzel den Hochwald hinter uns an.
Aus nachvollziehbaren Gründen nahm der alte Bock bei der Geiß von Nikos Blattkünsten leider keinerlei Notiz.
Mir gelang es dann auch erst nach etwa zwanzig Minuten, als der alte Bock endlich für einen Moment einmal kurz verhoffte und dabei auch breit stand, zu schießen. Dieser quittierte die Kugel, indem er mit den Hinterläufen auskeilte, kurz einen krummen Rücken machte und in wilder Flucht mit tiefem Haupt in der angrenzenden jungen Fichtenkultur verschwand.
An Nikos Verhalten und seinem nicht sehr positiv klingenden »Waidmannsheil« merkte ich, dass er wohl mit meinem Schuss aufgrund des Zeichnens nicht ganz zufrieden war, was ich in diesem Augenblick auch sehr gut nachvollziehen konnte. Nach einer kleinen Wartepause verließen wir die Kanzel. Niko ging aber zunächst zurück zu seinem Wagen und holte von dort Jagdterrierin Maja, die wir dort zurückgelassen hatten.
Zusammen gingen wir hinauf zum Anschuss, der relativ problemlos von uns gefunden wurde, weil dort reichlich Schweiß auf den niedrigen Pflanzen vorhanden war. Während Nikolaus mit dem Hund, der die Wundfährte eifrig und mit viel Temperament anfiel, nachsuchte, legte ich mich nicht am Anschuss ab, sondern folgte dem Nachsuchengespann kurze Zeit später mit langsamen, ruhigen Schritten. Dabei achtete ich auf einen guten Abstand zu dem Gespann vor mir und ging dabei die Fährte mit den Augen aus.
Als ich vorsichtig die etwa zwölfjährige Fichtenkultur betrat, in der Niko mit dem Hund verschwunden war, konnte ich zunächst feststellten, dass wenige feine Schweißspritzer und ein Wischer an einer Fichte bereits direkt hinter der zweiten Kulturreihe rechts zu sehen waren. Dann entdeckte ich nach wenigen Metern weitere, sehr feine Spritzer, die den Jungwuchs in Richtung Wiese wieder verließen.
Ja, und dann sah ich nur wenige Sekunden später den verendeten Bock fünf Meter vor mir in einer grabenähnlichen Vertiefung im hier goldgelben kräftigen Gras am Rande der Kultur liegen.
Mit freudigem Ruf »Bock tot« rief ich meinen Freund mit seinem Hund heran. Schnell stellten wir zu meiner Freude fest, dass ich den Bock doch mit einem sauberen Blattschuss gestreckt hatte. Als Niko mir dann zu meiner großen Freude den Erlegerbruch von einer Fichte für meinen allerersten Bock überreichte, klang sein »Waidmannsheil« dann doch ganz anders als beim ersten Mal unmittelbar nach dem Schuss unten auf dem Ameisensitz.
Ein Mäusebussard, der von hinten kommend mit ärgerlich klingendem »Hiääh« in die vor mir liegende Wiese einschwebt, lässt diese schönen Bilder der Vergangenheit verschwinden und bringt mich zurück in die Wirklichkeit. Der Greif segelt hinunter, etwa bis dorthin, wo von hier aus gesehen rechts der Ameisensitz immer noch an der Waldecke steht. Dort hat die Wiese einen kleinen Absatz, und an diesem macht sich der kräftige Vogel als »Infanterist« auf die Mäusejagd. Mein Blick geht nun noch ein kleines Stückchen weiter die Wiese hinab und dort stehen in diesem Augenblick für mich völlig überraschend zwei Stücke Rehwild am Waldrand. Ich spreche sie auf den ersten schnellen Blick als schwache Geiß mit Kitz an.
Erst ein zweiter Blick, diesmal aber mithilfe meines Fernglases, verrät mir, dass ich mit meinem ersten Ansprechen falschlag. Ich habe einen schwachen Jährlingsbock und ein Schmalreh vor mir. Der Jährling trägt bleistiftdünne Spießchen, etwa so lang, wie meine Hand breit ist. Mein Entschluss ist sofort gefasst. Das Böckchen will ich nach Möglichkeit schießen.
Noch aber ziehen die beiden Stücke, dabei immer mal wieder vom Grün der Wiese naschend, langsam am Waldrand bergauf, halb spitz auf mich zu. Das gibt mir aber auch die Möglichkeit, mich ruhig auf den Schuss vorzubereiten.
Inzwischen haben die beiden Stücke längst den Ameisensitz am rechten Waldrand passiert und halb rechts von mir in einer Entfernung von etwa hundert Metern eine Stelle in der Wiese erreicht, an der das Rehwild gern verweilt und äst. Als der Bock breit steht und mein Schuss das Schmalreh nicht gefährden kann, lasse ich fliegen. Die Kugel bannt ihn an den Anschuss. Kurzes Schlägeln mit den Hinterläufen, dann liegt er still.
Und was ist mit dem Schmalreh? Nach ein paar lockeren Fluchten direkt auf mich zu verhofft es und äugt neugierig und wohl auch erschrocken zum Böckchen zurück. Es springt aber nicht ab. Wenn es jetzt nicht sehr bald den Wald annimmt, habe ich ja vielleicht die Möglichkeit, auch noch dieses schwache weibliche Stück zu strecken.
Schnell, aber ohne jede Hektik lade ich die Bockbüchsflinte nach. Das feine Kreuz des Absehens 4 findet das Blatt und ein zweites Mal innerhalb von nur drei Minuten liegt ein Stück im Feuer.
Hubertus sei Dank kommt erst in diesem Augenblick so etwas wie leichtes Jagdfieber in mir auf. Einige Male muss ich tief bis in die Lungenspitzen durchatmen und dann habe ich das Gefühl, dass es mir wieder etwas besser geht. Noch einmal schaue ich in die Wiese und sehe dort unten in etwa neunzig und siebzig Metern Entfernung die beiden Stücke liegen.
Nicht mehr lange verweile ich auf der Kanzel, denn nun will ich die beiden erlegten Stücke aus der Nähe betrachten.
Am Schmalreh, das ich zunächst erreiche, habe ich nichts auszusetzen. Es ist sauber geschossen und auch richtig eher als schwächeres Stück zu bezeichnen.
Etwas gespannter bin ich dann, als ich mich dem Jährlingsbock nähere. Natürlich interessiert mich zunächst einmal sein Gehörn. Die beiden bleistiftdünnen Spießchen sind gerade einmal sieben und acht Zentimeter lang. Da er auch sichtbar noch schwächer als das Schmalreh ist, habe ich auch hier sicherlich nichts falsch gemacht.
Nachdem ich beide Stücke an den Waldrand gebracht habe, bekommen sie den letzten Bissen und ich meinen Erlegerbruch. Dann halte ich eine Totenwacht, bevor ich sie versorge.
Da ich weiß, dass Nikolaus »nebenan« im Gääsburra angesessen hat, hoffe ich natürlich sehr, dass er nach den beiden Schüssen nicht den Heimweg über die Straße genommen hat, sondern diesen hier durch den Wald an der oberen Kante der Fachwiese benutzen wird. Ich warte jedoch vergeblich.
Der Heimweg mit zwei Stücken und den Aufbrüchen im Rucksack, den optischen Teil der Ausrüstung vor der Brust und den anderen auf der Schulter, gestaltet sich dann doch zu einer leichten Schinderei. Da es inzwischen völlig dunkel geworden ist, quäle ich mich im Schein meiner Taschenlampe schwitzend durch den Wald, immer bergan bis hinauf zum Schloss.
Endlich dort angekommen, hänge ich die beiden Stücke sofort in die Wildkammer. Da ich aber hier niemanden antreffe, gehe ich hinüber in das dem Schloss gegenüberliegende Café.
Welch ein Hallo, als ich mit dem frischen Bruch am Hut die Räumlichkeiten betrete, in dem Niko gemeinsam mit Ehefrau Brigitte nach selbst erfolglosem Ansitz bei einem Viertele Roten schon auf mich wartet.
Dann muss ich von meinem Waidmannsheil berichten, wobei natürlich noch ein Gläschen mit der linken Hand getrunken wird.
Auf meine Frage, ob er im Gääsburra nicht meine beiden Schüsse gehört hat, versichert er mir glaubhaft, dass dies nicht der Fall gewesen sei, weil der Wind zu ungünstig wehte, was ich zumindest von der Windrichtung her bestätigen kann.
Die Fachwiese und der Ort Fach, am Kocher gelegen, von der Oberen Kanzel aus gesehen.
Das Gehörn des Jährlings.
Wallfahrtskirche und Schloss Hohenstadt, Familiensitz meines Freundes Nikolaus.
Brigitte, die Frau meines gastgebenden Freundes Nikolaus auf Schloss Hohenstadt (Ostalb), hatte bei einem Abendansitz zu dritt an einem lauen Juniabend auf ein Jährlingsböckchen geschossen und es aller Wahrscheinlichkeit nach gefehlt.
Was war geschehen? Während ich auf meiner kleinen Kanzel drunten am Sulzbach lediglich den Anblick eines Dompfaffenpaares hatte, das sich zu meiner großen Freude emsig um die sperrenden Jungvögel in einem Nest etwa fünfzehn Meter vor mir in der Fichtenkultur bemühte, hörte ich im Abstand von etwa zehn Minuten zwei Schüsse. Nikolaus, der gut 400 Meter Luftlinie von mir entfernt unweit seiner Frau auf einer Leiter im Hochwald ansaß, hatte, wie ich später erfuhr, ein schwaches Schmalreh mit gutem Blattschuss erlegt.
Biggi, wie Brigitte von ihrem Mann und Freunden gerufen wird, nur unweit davon auf der Hornissenleiter ansitzend, hat bei noch relativ gutem Büchsenlicht das Böckchen vom gegenüberliegenden Hochwaldrand äsend auf die große Wiese ziehen sehen und sprach es richtig als schwachen Jährling an, der, wir hatten den 16. Juni, das linke Spießchen noch nicht ganz verfegt hatte. Als der Bock auf fünfzig Metern breit stand, schoss sie. Obwohl sie der Überzeugung war, gut abgekommen zu sein, sprang der Beschossene ohne zu zeichnen ab.
Ich sitze derweil drunten am Bach auf meiner Kanzel, ohne auch nur ein Wildhaar zu sehen, höre beide Schüsse und denke darüber nach, was dort oben wohl geschehen sein mag.
Nach einiger Zeit beginnt die Neugierde, heftig in mir zu bohren, und noch bevor das Büchsenlicht endgültig geschwunden ist, gebe ich meinem inneren Drängen nach und baume ab. Mit ruhigen, raumgreifenden Schritten ist der kurze Aufstieg auf dem schmalen, aber gut zu begehenden Waldweg schnell geschafft, und als ich vorsichtig aus dem Hochwald trete, um die große Wiese einsehen zu können, entdecke ich, dass Biggi und Nikolaus unterhalb des Hornissensitzes damit beschäftigt sind, den Boden der Wiese und die Gräser abzusuchen.
Als ich bei den beiden ankomme, wird mir rasch das Wesentliche der Geschehnisse geschildert. Dann suchen wir gemeinsam nach irgendwelchen Pürschzeichen. Obwohl uns die Jägerin vom Sitz noch einmal so genau wie möglich auf den vermeintlichen Anschuss einweist, ist alles Suchen und Forschen vergeblich. Inzwischen ist es auch so dunkel geworden, dass es uns nicht mehr möglich ist, feines Schnitthaar oder einen kleinen Schweißspritzer zu entdecken, geschweige denn eine Kontrollsuche mit dem Hund durchzuführen. Diese soll frühestens am nächsten Morgen erfolgen.
Vorher aber, darum bittet Biggi mich, soll ich hier einen Morgenansitz machen, um das Böckchen, sollte ich es denn in Anblick bekommen, zu strecken oder wenigstens zu bestätigen. Besondere Kennzeichen: schwach im Wildbret, so um die zehn Kilogramm, relativ dunkle Decke, ungefähr acht Zentimeter kurze Spießchen, das linke noch nicht ganz verfegt. Um 7 Uhr wollten wir uns auf jeden Fall hier treffen, um den Anschuss bei Tageslicht zu suchen oder aber eine Kontrollsuche vorzunehmen.
Bei noch völliger Dunkelheit steige ich am nächsten Morgen auf den Hornissensitz, der seinen Namen jenem Insekt verdankt, vor dem mein Freund Nikolaus einen sehr ausgeprägten Respekt hat. Auf dieser damals noch namenlosen Leiter wurde er einmal während des Ansitzes auf den Bock so aggressiv von einem Mitglied der Familie der sozialen Faltenwespen belästigt, dass er den Sitz fluchtartig verließ und dieser dann spontan nach diesem Insekt benannt wurde.
Ich erlebe einen wunderschönen Morgen mit einem nicht zu überbietenden Vogelkonzert in der blauen halben Stunde der Dämmerung und aufs Neue bin ich überwältigt von der Ehrfurcht einflößenden Schönheit eines erwachenden Tages. Lange Zeit kommt außer einem Hasen, der direkt vor meinem Sitz von den saftigen, tauglänzenden Blättern und leuchtend gelben Blüten des Löwenzahns nascht, kein Wild in Anblick. Man sieht dem Mümmelmann an, dass er genau wie auch ich die ersten wärmenden Strahlen der Morgensonne genießt. So jedenfalls deute ich das minutenlange Schließen seiner Seher und das häufige wohlige Strecken seines ganzen Körpers.
Kurz darauf beobachte ich einen offensichtlich jungen Sechserbock, der von links entlang des Hochwaldsaumes langsam auf mich zuäst. Er ist stark im Wildbret, hat gut handbreit über lauscherhoch auf und ist genau das, was man unter einem Zukunftsbock versteht. Es macht Spaß, diesem jungen, vor Kraft strotzenden etwa dreijährigen Bock zuzuschauen, wie er sich hungrig, immer wieder einmal aufwerfend durch die bunte Wiese äst. Dabei bemerke ich auch gar nicht, wie die Zeit vergeht.
Es ist wohl nur wenige Minuten vor dem verabredeten Zeitpunkt, als genau gegenüber von mir ein weiteres Stück Rehwild aus den blühenden Holunderbüschen tritt, die hier den Rand des Hochwalds säumen. Ein kurzer Blick durch das Glas gibt mir schnelle Gewissheit. Ich spreche den Bock als den relativ schwachen Jährlingsspießer mit Bastresten an der linken Stange an. Ich bin mir sehr sicher, es muss sich um den Gesuchten handeln. Er zieht spitz auf mich zu und gesellt sich zu dem jungen Sechser, der aber keine Notiz von ihm nimmt. Beide Böcke äsen einträchtig dicht nebeneinander. Mehrmals gehe ich in Anschlag, lasse meine Bockbüchsflinte aber immer wieder sinken, weil ein Schießen ohne die Gefährdung des älteren Bockes nicht möglich ist. Fast immer wird der schwache von dem anderen, starken Bock verdeckt. Da ich aber damit rechne, dass einer der beiden doch einmal ein Stück weiterziehen wird, behalte ich die Böcke so lange durchs Zielfernrohr im Blickfeld, bis mir vor Anstrengung das rechte Auge nervös zu zucken und dann auch noch zu tränen beginnt.
Zu allem Unglück macht sich bei mir jetzt auch noch verstärkt heftiges Jagdfieber bemerkbar. Mein Puls beginnt wie ein Hammer zu pochen, ich spüre ihn im Hals und, was noch viel schlimmer ist, meine Hände zittern jetzt wie Aspenblätter im Wind.
Es ist wie verhext. Jedes Mal, wenn ich glaube, dass es passen könnte, weil einer der Böcke einen Schritt zurückbleibt oder weiterzieht, stehen sie im nächsten Moment wieder hintereinander. Stets befindet sich jetzt dabei aus meiner Sicht der Jährling vor dem Sechser.
Im gleichen Augenblick, in dem es mir gelingt, mein Jagdfieber durch kontrollierte, tiefe Atemzüge in den Griff zu bekommen, durchfährt mich ein heißer Schreck. Ich höre die Uhr der nahen Schlosskirche von Hohenstadt die siebte Stunde des Tages schlagen und zu allem Überfluss auf dem Weg hinter mir Schritte sowie Hundehecheln. Es sind wie verabredet Biggi und Niko mit den Hunden. »Hätten sie nicht ein wenig unpünktlicher sein können?«, frage ich mich nervöser werdend und blicke wieder zu den Böcken, um festzustellen, ob diese in der Zwischenzeit bereits abgesprungen sind.
Aber nein, sie sind noch da. Der Jährling wirft mehrmals beunruhigt auf und sichert in meine Richtung. Mehr im Unterbewusstsein registriere ich dabei, dass er dabei in diesem Moment völlig freisteht, weil der noch immer äsende Sechser inzwischen ein paar Schritte weitergezogen ist. Blitzschnell bringe ich die Waffe in Anschlag und den Zielstachel des Absehens auf das Blatt. Hart zerreißt der Schuss die Stille des Morgens. Das Böckchen wirft es auf der Stelle in das noch immer taunasse Gras und der junge Sechser verschwindet, ohne einmal zu verhoffen, in hohen und weiten Fluchten im nahen Hochwald.
Wie versteinert sitze ich für einen Moment auf meiner Leiter und kann das eben Erlebte, vor allem jedoch den überraschend glücklichen Ausgang dieses Ansitzes, noch gar nicht recht fassen. Erst als das gemeinsame »Waidmannsheil« von Biggi und Niko, die inzwischen direkt unter mir auf dem Weg stehen, zu mir heraufschallt, reißt es mich aus meinen Gedanken. Ich antworte ihnen mit einem freudigen und sicher erlöst klingenden »Waidmannsdank«.
Glücklicherweise haben Biggi und Nikolaus beim vorsichtigen Näherkommen erkannt, dass ich die Büchse im Anschlag auf der Gewehrauflage liegen hatte, und den richtigen Schluss daraus gezogen. Es war für meine Freunde Grund genug, sofort stehen zu bleiben und sich wie auch die beiden vierbeinigen Helfer augenblicklich mucksmäuschenstill zu verhalten. Das verhalf mir letztlich doch noch zu meinem Waidmannsheil in wahrhaft letzter Sekunde. Besonders gern nehme ich heute den Bruch entgegen, nicht zuletzt deswegen, weil Biggi ihn mir mit einem Küsschen auf die Wange versüßt. Ich bin sicher, dass sie neben ehrlicher Mitfreude Erleichterung darüber empfindet, dass sich damit auch ihr Schuss vom Vorabend aufgeklärt hat.
Nikolaus und seine Frau Brigitte mit den Hunden Sepp und dem jungen Pöldi.
Die Trophäe des Jährlingsspießers mit dem Bastrest an der linken Stange.
Ein Blick vom Schlosshof des Schlosses Hohenstadt ins Kochertal.
Weil wir für das bevorstehende weihnachtliche Jagdgenossenessen unbedingt noch Wildbret benötigen, will ich zum Abendansitz hinüber nach dem Nachbarort Börrat fahren, denn ich glaube, dort am ehesten etwas zum Gelingen dieses Vorhabens beitragen zu können.
Bevor ich mich gemeinsam mit Pöldi, dem kleinen Rauhaarteckelrüden, aufmache, erzählt mir mein gastgebender Freund Nikolaus, dass in dem Bereich, in dem auch unser Jagdbezirk liegt, seit Tagen ein herrenloses Schaf herumirren soll. Da es auf den Straßen in der Umgebung fast schon zu einigen Zusammenstößen mit Kraftfahrzeugen gekommen war, hat die Jagdbehörde das Schaf zum Abschuss freigegeben.
Ich habe mir für den abendlichen Ansitz den Ahornsitz ausgesucht, der mitten in einem alten, starken, buschigen Feldahornbaum steht. Hier genieße ich zusammen mit Rauhaardackel und Jagdgefährte Pöldi, der nun, wie er es gewohnt ist, rechts neben mir auf dem Sitzbrett liegt, den sonnigen Spätnachmittag und die herrliche Aussicht, den dieser Punkt am südlichen Rande der Frickenhofer Höhe auf der Ostalb bietet.
Im Südwesten, also halb rechts von mir, präsentiert mir die Sonne gerade einen spektakulären, unvergleichlichen Sonnenuntergang mit rotgoldener gleißender Glut. Die hohen Federwolken (Cirrus), die jetzt das Sonnenlicht so farbenprächtig leuchtend zur Schau stellen, sind aber auch ein mögliches Zeichen für eine Wetterverschlechterung, denn sie werden dichter und später sicherlich in milchige Schleier übergehen.
Auf den Talwiesen Richtung Sulzbach, direkt vor mir, sind an schattigen Plätzen, die der Waldrand bietet, noch einige wenige Schneeflächen vorhanden. Die klare Winterluft riecht aber schon wieder nach neuem Schnee.
Es ist genau 6:20 Uhr, als ich halb rechts talwärts hinter mich durch die kahlen Zweige des Ahorns blicke und unter den niedrigen Zweigen der Randfichten einer Kultur in 150 Metern Entfernung ein dickes braunes Etwas sehe. »Das Schaf!«, schießt es mir wie ein Blitz durch den Kopf. Existierte es bisher in meiner Vorstellung nur als rundes weißes Wolltier, so hat es soeben braune Farbe angenommen.
Rasch ist das neben mir auf der Sitzbank abgelegte Fernglas zur Hand und mit dem Mitteltrieb scharf gestellt. Das, was ich für ein Schaf halte, steht dort drüben immer noch an der gleichen Stelle.
Und nun, hätte ich etwas sagen wollen, würde es mir die Sprache verschlagen haben. Ich sehe dort unten ein zweites, ein drittes und ein viertes Tier. Kein Zweifel, ich habe kein Schaf oder gar mehrere Schafe, sondern eine Rotte Sauen in Anblick! Für hiesige Verhältnisse ein eher seltener Anblick.
Und nun ist es leider urplötzlich wieder da, das Jagdfieber. Ich spüre meinen Herzschlag im Hals, die Hände zittern leicht und die Knie fühlen sich an, als wollten sie das Gewicht meines Körpers nur mehr ungern tragen. Gott sei Dank bleibt der Kopf relativ klar!
Ein nochmaliger kurzer Blick ohne Glas in Richtung der Schwarzkittel bestätigt mir, was ich gleich angenommen habe. Ein Schuss von hier oben durch das dichte Gewirr feinster Äste des Ahorns ist absolut ausgeschlossen. Also leise runter von der Kanzel und unten im Hohlweg sehr flott eine Möglichkeit für einen sicheren Schuss suchen. Dabei bleibt Pöldi natürlich zunächst an seinem Platz.
Das Fernglas um den Hals gehängt, die entladene Waffe in der linken Hand, vorsichtig, aber mit fließenden Bewegungen flott Sprosse für Sprosse die Leiter hinabsteigend, hoffe ich inständig, dass die Sauen mich nicht mitbekommen.
Unten angekommen genügt ein kurzer Blick: Sie sind noch da. Doch was ist das? Ich höre lauter werdende Motorengeräusche. Auf dem Wege, der nur wenige Meter hinter mir neben dem Sitz vorbeiführt, kommt mir ein Traktor, nein, es sind gleich zwei, tuckernd und rumpelnd entgegen.
Wieder ein schneller, ängstlicher Blick hinunter an den Waldrand: Die Bühne ist leer! Die Sauen offenbar vergrämt. Enttäuschung über die verpasste Chance und ein wenig Ärger über die beiden Störenfriede steigen in mir hoch, obwohl mir dabei durchaus bewusst ist, dass diese die Störung nicht beabsichtigt haben und selbst noch nicht einmal ahnen, dass sie gestört haben. Sicherlich waren die beiden Landwirte den ganzen Tag über mit der harten Arbeit des Holzeinschlages im Wald beschäftigt und freuen sich nun auf die warme Stube und eine kräftige, wohlschmeckende »Veschber«.
Mit hängendem Kopf steige ich langsam die Leiter wieder hoch und richte mich oben erneut ein, nicht ohne immer wieder mit den Augen den Waldsaum nach den dunklen Wildkörpern abzusuchen. Aber dort bewegt sich nichts mehr.
Langsam wird es immer dämmriger. Zwei Waldkäuze beginnen ganz in der Nähe meines Sitzes zu rufen und noch immer geht mein Blick rastlos suchend hinüber an den Waldrand.
Plötzlich stockt mir der Atem. Nein, meine Augen narren mich nicht, die Sauen sind wieder ausgetreten. Jetzt zähle ich sogar fünf Schwarzkittel. Offenbar fünf Überläufer.
Nun beginnt alles von Neuem. Wieder vorsichtig von der Kanzel runter und möglichst jedes verräterische Geräusch vermeidend den Hohlweg hinaufgepirscht. Nach etwa zwanzig Metern bemerke ich links von mir eine kleine, etwa fußballgroße Lücke im Geäst der Bäume, die tiefer unter mir im Hang stehen.
Durch dieses kleine »Fenster« müsste ich meiner Meinung nach liegend aufgelegt sicher auf einen der Überläufer dort unten in 150 Metern Entfernung zu Schuss kommen können. Ich lege mich auf den Erdboden. Blitzschnell habe ich meine Waffe wieder geladen. Meinen Hut als Gewehrauflage nutzend, gehe ich in Anschlag und fasse einen auf einem Schneerest breit stehenden Schwarzkittel auf. Ruhig ziehe ich die Spitze des Zielstachels zum Blatt und raus ist der Schuss. Ich sehe, wie die Sau vorn rechts einknickt, sich überschlägt, aber sofort wieder auf die Läufe kommt und flott wie die vier anderen in den Fichten verschwindet.
Nun atme ich erst einmal tief durch und überlege in Ruhe, was zu tun ist. Da ich mir eigentlich eines guten Schusses sicher bin und in meinem Rucksack eine starke Taschenlampe habe, hole ich mir diese zusammen mit dem auf dem Sitz verbliebenen Pöldi und pirsche dann nach ein paar Minuten Wartezeit mit meinem kleinen Helfer langsam den Trauf hinab zum Anschuss. Dieser ist gleich gefunden, denn deutlich erkenne ich auf einem Schneerest den schmutzigen Abdruck eines Körpers, den die Sau bei ihrem Überschlag verursacht hat. Schweiß oder Schnittborsten aber finde ich trotz intensiver Suche mit meiner Lampe nicht. Hier ist heute Abend in der Dunkelheit für Pöldi und mich nichts mehr zu machen!
Nachdem ich den Anschuss deutlich verbrochen habe, machen wir uns auf den Heimweg.
Freund Nikolaus, dem ich nach meiner Heimkehr im Schloss den ganzen Hergang schildere, hat am nächsten Morgen Zeit, um mit mir gemeinsam eine Nachsuche durchzuführen.
Nach recht unruhigem Schlaf sitze ich wie geplant um halb acht gemeinsam mit Niko im Wagen unweit des Ahornsitzes und wir warten dort gemeinsam auf mehr Licht. Mit uns im Fahrzeug warten Rauhaarteckelrüde Pöldi, der wieder mit von der Partie ist, und Sepp, der Pointerrüde, auf ihren Einsatz.
Das Wetter hat sich – wie am Vorabend prognostiziert – leider verschlechtert. Tief hängende Wolken jagen über die Höhe, Schneeregen platscht gegen die Autoscheiben und spült um uns herum die letzten Schneereste hinweg.
Plötzlich fasst Niko mich am Arm. »Klaus, schau mal da vorn, auf der Wintergerste steht Rehwild!« Kaum zu glauben, aber der Blick durch das Glas zeigt uns in etwa achtzig, vielleicht neunzig Metern Entfernung im ersten fahlen Licht des Morgens zwei äsende weibliche Stücke. Es sind eine Geiß und ein schwaches Geißkitz. Der Wind steht günstig. Nikos Nicken lässt mich aus der geöffneten Wagentür gleiten. Der Gedanke an das bevorstehende Essen mit den Jagdgenossen und das dafür noch fehlende Wildbret macht uns diese Entscheidung wohl auch relativ einfach.
Kaum bin ich draußen, umfangen mich Kälte, Schneeregen und ein doch sehr heftiger Wind. Meine Waffe, insbesondere aber die Zieloptik versuche ich mit meinem Körper gegen die fliegende Feuchtigkeit zu decken. Nur wenige Meter neben dem Fahrzeug gehe ich am Rande des Weges in Stellung. Sofort spüre ich, wie an mehreren Körperpartien die eiskalte Nässe bis auf die Haut dringt. Das Auffassen des Kitzes mit dem Zielfernrohr ist sehr schwierig, da trotz meiner Vorsicht schon die ersten Wassertropfen auf der Optik haften. Außerdem stelle ich jetzt fest, dass ich mich noch ein paar Meter seitwärts verschieben muss, weil der Bewuchs des Ackerrains aus altem gelbem Gras, Wegwarte und Rainfarn einen sicheren Schuss von hier nicht zulässt.
Endlich, nachdem ich nochmals auf sehr rustikale Art das Okular mit dem Zeigefinger der rechten Hand ausgewischt habe, kann ich das jetzt breit stehende Kitz auffassen und … Bruchteile einer Sekunde bevor der Schuss bricht, macht das Stück einen Schritt, den ich nicht mehr nachregulieren kann. Der Befehlsweg vom Hirn zum Finger ist eben doch relativ lang. Das Ausschlagen mit den Hinterläufen und die Flucht mit gekrümmtem Rücken machen es relativ deutlich: Weidwundschuss! An einen schnellen zweiten Schuss ist nicht zu denken, da das Stück spitz von mir weg und zudem einen Hang hinab flüchtet.
Niko, der vom Fahrzeug aus alles verfolgt hat, macht sich wortlos zur Nachsuche fertig. Sepp, den Pointerrüden, führe ich mit. Bis zum Abhang haben wir das kranke Stück mit den Augen verfolgen können, sodass wir bis dort keine Schwierigkeiten haben, es zu verfolgen. Außerdem ist der Wind, der direkt auf uns zu steht, mit uns im Bunde.
Während ich vorsichtig versuche, den steilen, sehr nassen und schmierigen Hang heil und ohne Rutschpartie hinabzukommen, fällt rechts von mir in unmittelbarer Nähe ein Schuss. Nikolaus, nur ein paar Meter neben mir, hatte das Kitz im Wundbett entdeckt und ihm auf wenige Meter einen sicheren Fangschuss angetragen. Glücklich und erleichtert wünschen wir uns gegenseitig ein herzliches »Waidmannsheil«. Niko fügt lächelnd hinzu: »Der Tag fängt ja gut an!«
Nachdem das aufgebrochene Stück im Wagen verstaut ist, bereiten wir uns für die Hauptaufgabe des heutigen Morgens vor: die Nachsuche des Überläufers.
Wir fahren hinüber zum südlichen Rand des Plateaus, wo wir zu dritt, Nikolaus, Pöldi und ich, zum Anschuss hinuntergehen. Dort finden wir außer meinem in die Erde gesteckten Bruch keinerlei Pürschzeichen. Der Schneerest, auf dem am Vorabend deutlich der Abdruck der Sau zu sehen war, ist zu einem schmutziggrauen Haufen von der Größe eines kleinen Handtuchs zusammengeschmolzen. Hier setzen wir Pöldi zur Nachsuche an.
Eifrig fällt der kleine Helfer die Fährte an und führt uns etwa dort in die Fichtenkultur, wo ich den beschossenen Schwarzkittel und die anderen vier der kleinen Rotte nach meinem Schuss verschwinden sah. Konzentriert arbeitet er schräg hangabwärts durch die junge Fichtenkultur hinab in Richtung Sulzbach. Wenn er die Fährte einmal verliert, greift er selbstständig in einem Bogen zurück und nimmt sie wieder auf. Nur Schweiß oder irgendeinen anderen Beweis, dass wir auf der richtigen, also auf der Krankfährte sind, erhalten wir nicht. Auch im Hochwald, in dem wir wesentlich mehr Licht haben und selbst besser sehen können, gibt es keinerlei Anzeichen dafür.
Inzwischen sind Niko und ich, immer noch dem Hund folgend, wie aus dem Wasser gezogen. Von innen schweißnass und von außen durch den anhaltenden Schneeregen und von der abgestreiften Nässe tief hängender Zweige und Büsche. Nach etwa einer Stunde Arbeit sind wir übereinstimmend der Ansicht, auf der Gesundfährte eines der Überläufer zu sein. Wir beschließen, den Hund abzutragen, an den Anschuss zurückzukehren und ihn dort erneut anzusetzen.
Vorher will ich allerdings – einer plötzlichen Eingebung folgend – dem Lauf des Sulzbaches, an dem wir jetzt gerade stehen, noch etwa 200 Meter aufwärts folgen. Ich will das Gewässer und dessen nähere Umgebung pirschend absuchen, um dann direkt vom Bach bergauf wieder zum Anschuss zu kommen.
Auf beiden Seiten des Schmelzwasser führenden, reißenden Baches ist die Vegetation besonders dicht und so komme ich auch nur sehr schwer vorwärts. Einige Male rutsche ich die zum Teil steilen, schmierigen Bachufer hinunter und lande auch einmal, die Waffe möglichst hoch über den Kopf haltend, bis zur Hüfte im, Hubertus sei Dank, nicht sehr tiefen, aber doch sehr kalten und reißenden Wasser.
Als ich an die Stelle komme, an der ich rechts den Hang zum Anschuss hinauf muss, bemerke ich plötzlich rechts aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Im Hinwenden stehe ich der aus dem Wundbett hochwerdenden kranken Sau auf knapp dreißig Schritt gegenüber. Schwerfällig versucht sie, mich anzunehmen. Ich wundere mich über die Leichtfüßigkeit, mit der ich den starken Überläufer in einem großen Halbkreis umschlage und hinter einer starken Fichte Deckung nehme. Der große Respekt vor der Angriffslust einer kranken Sau scheint mir Flügel zu verleihen.
Automatisch spanne ich die Waffe, reiße sie hoch, ziele rasch und drücke ab. Ächzend bricht der Schwarzkittel nur wenige Meter vor mir zusammen. Nachdem ich blitzschnell nachgeladen und mich vorsichtig davon überzeugt habe, dass er verendet ist, schallt mein freudiger Ruf »Sau tot!« den Berg hinauf zum Anschuss, wo ich Nikolaus und unseren vierbeinigen Helfer Pöldi weiß.
Langsam fällt die Anspannung von mir ab und weicht einem großartigen Glücksgefühl. Vor mir liegt ein Überläuferkeiler von reichlich fünfzig Kilogramm, den ich vor siebzehn Stunden auf den ersten Blick für ein Schaf gehalten habe. Vergessen sind Kälte, Nässe und die Strapazen der letzten Stunden.
Die Zeit bis zum Erscheinen meiner zwei- und vierbeinigen Jagdkameraden nutze ich, um festzustellen, dass mein erster Schuss unmittelbar hinter dem Vorderlauf in die Kammer eingedrungen und auf der anderen Seite knapp über dem Ellbogengelenk den Knochen zerschlagen hat. Dies und die lange Nachsuche sind wieder ein klarer Beweis dafür, wie hart doch Schwarzwild ist. Mein zweiter, eher hingeworfener Schuss traf den Schwarzkittel übrigens sehr zufällig an genau gleicher Stelle wie der erste am Vorabend. Ich finde keinen zweiten Einschuss, jedoch einen zweiten Ausschuss.
Dann erscheint Nikolaus strahlend mit dem Hund bei mir. Fast ungläubig steht er vor der Sau und dann erklärt er mir, dass er beim Vernehmen des Schusses zunächst befürchtete, dass ein Unfall geschehen sei. Dann aber kommt es ihm langsam und klar über die Lippen: »Danke, Klaus, damit ist auch das Jagdgenossenessen sichergestellt!«
Nachdem der Schwarzkittel seinen letzten Bissen bekommen und Niko mir strahlend mit einem herzlichen »Waidmannsheil« einen frischen Fichtenbruch überreicht hat, gibt es aus der schönen alten lederbezogenen Kristallflasche einen wohltuenden Schluck Himbeergeist.
Über den Verbleib des richtigen Schafs haben wir übrigens nie mehr etwas gehört.
Sepp B., ein Jagdkamerad, der leider drei Jahre später bei einem Jagdunfall ums Leben kam, hat es mir ermöglicht, dass ich hin und wieder in meiner norddeutschen Heimat im Revier der Jagdherren Bernhard J. und Uwe M. bei den Ortschaften Wulsbüttel und Heine, nördlich von Bremen, mitarbeiten und dafür dort auch jagen kann. Ich bekomme dort sogar Böcke frei, was ich natürlich sehr gern und dankbar annehme. So bin ich denn auch am Tag des diesjährigen Aufganges der Bockjagd in diesem Revier.
Nach einem erfolglosem Morgen- und nun auch gerade beendeten Abendansitz auf der Kanzel an der Aue, einem kleinen Bach, der durch das Revier fließt, pirsche ich langsam den breiten Mittelweg zurück zu meinem an der Hagener Straße abgestellten Wagen.
Obwohl ich den Heimweg als Schneider antrete, genieße ich diesen Abend. Er ist angenehm warm und es weht kaum ein Lüftchen. Ein feinwürziger Duft nach frischen Kräutern liegt in der Luft. Mehrfach habe ich bei meiner Pirsch zurück von der Kanzel Waldschnepfen beobachten können, die im Zickzackflug zwischen den Spitzen der hohen Buschreihen flogen, die beiderseits meinen Weg säumen.
Als ich nur noch wenige Meter von dem Hof, an dem ich mein Fahrzeug abgestellt habe, entfernt bin, bemerke ich bei einem Blick zur Wiese, die hinter dem dortigen Silageplatz liegt, vier Stücke äsendes Rehwild.
Mit dem Glas kann ich sicher eine Ricke und zwei Schmalrehe ansprechen. Erst beim genauen Hinleuchten gelingt es mir, das vierte Stück als einen schwachen Jährlingsbock zu bestätigen. Dieser verhofft in etwa siebzig Metern Entfernung auf einem kleinen Erdhügel und dabei erkenne ich deutlich seinen Pinsel gegen den noch ganz leicht erhellten Abendhimmel. Weil er aber sehr schwach im Wildbret ist und ich auf dem Haupt so gut wie gar nichts entdecken kann, entschließe ich mich jetzt sofort, ihn zu schießen.
Gedeckt pirsche ich im Sichtschutz des Stammes einer gewaltigen Eiche näher. Als ich diese erreicht habe, setze ich mich rechts neben sie auf den Boden und streiche an der rauen Borke des sehr starken Stammes an. Inzwischen steht das Böckchen auch so, dass ich im Hintergrund einen sicheren Kugelfang habe. Ruhig liegt die Waffe auf dem Knie des aufgestellten linken Beins. Das leicht erleuchtete Absehen steht ruhig auf dem Blatt, als mein Zeigefinger sachte den gestochenen Abzug berührt.
Zu meiner Überraschung zeichnet der Bock auf den Schuss überhaupt nicht, sondern er springt offenbar gesund und locker gemeinsam mit den drei weiblichen Stücken ab. Ich bin völlig perplex und kann mir das überhaupt nicht erklären, denn ich bin mir eines guten Schusses absolut sicher. Vor meinem geistigen Auge sehe ich förmlich immer noch den Zielstachel sauber und ruhig auf dem Blatt des verhoffenden Böckchens stehen. Sollte sich etwa das Absehen durch einen Stoß oder Schlag gegen das Zielfernrohr verstellt haben? Um das zu klären, muss ich selbstverständlich möglichst bald einen Probeschuss machen. Es wäre aber auch nicht das erste Mal, dass ein Stück auf einen guten Schuss so gut wie überhaupt nicht zeichnet. Also was ist zu tun?
Zunächst entschließe ich mich dazu, sofort den vermutlichen Anschuss zu untersuchen. Dazu entnehme ich meinem Rucksack die starke Stabtaschenlampe, hänge mir die Waffe über die Schulter und mache mich auf den Weg nach vorn. Nach etwa fünfzehn Metern komme ich an einen Stacheldrahtzaun, den ich vorher noch gar nicht bemerkt hatte. Zum Übersteigen fasse ich vorsichtig mit der linken Hand zwischen zwei Stachelkränze der beiden oberen, miteinander verdrehten Einzeldrähte. Trotzdem sticht mich dabei etwas sehr überraschend schmerzhaft in die Hand. Als ich mit der Taschenlampe dorthin leuchte, stelle ich zu meiner großen Überraschung fest, dass mein Geschoss offenbar genau den oberen dieser beiden miteinander verdrehten Drähte getroffen, dabei zerrissen und aufgebogen hat. Nun ist mir das gesunde Abspringen des Bockes absolut kein Rätsel mehr.
Zehn Minuten später betrete ich den Gasthof »Zur Post« in Wulsbüttel, wo wir Jäger uns nach der Jagd verabredungsgemäß treffen wollten. Natürlich haben Mitjäger meinen Schuss gehört und entsprechend fragend sind dann auch die Blicke des anwesenden Jagdherrn Bernhard und meines Jagdfreundes Sepp auf mich gerichtet.
Als ich ihnen meine Geschichte bei einem frisch gezapften Pils erzähle, sehe ich in ungläubig schauende Gesichter. Ich spüre, dass man mir meine Schilderung nicht so ganz abnimmt, und das fast ein wenig spöttisch wirkende Grinsen auf ihren Gesichtern tut mir dann doch ein bisschen weh.
An Ort und Stelle gelobe ich deshalb, nicht eher ein anderes Stück Schalenwild in diesem Revier zu erlegen, bevor ich das kleine »Stacheldrahtböckchen«, wie ich es ad hoc taufe, gestreckt habe.
Nachdem sich Jagdfreund Sepp am nächsten Tag in meiner Anwesenheit von der Richtigkeit meiner Stacheldraht-Schilderung überzeugt hat, baue ich mir am Rande der Wiese hinter dem Silageplatz aus Ästen und Zweigen einen kleinen Schirm, in den ich mich am frühen Abend setzen will. Der gewählte Platz ist nur etwa fünfzig Meter von der Stelle entfernt, an der das Böckchen am gestrigen Abend bei Abgabe des Schusses verhoffte, und bietet einen hervorragenden Rundumblick.
Wie gut gedeckt ich in diesem Schirm bin, beweist mir sehr klar die Tatsache, dass ein starkes Habichtsweib in einer kleinen Eiche aufhakt, die nur einen Steinwurf weit von mir entfernt im Knick steht. Sie bemerkt mich nicht bei meinem Probesitz.
Mehrfach habe ich in den nächsten Stunden Anblick von Rehwild, das seinen Einstand offenbar dort unten in einem Busch- und Schilfgürtel entlang der Drepte, einem kleinen rechten Nebenfluss der Unterweser, hat.
Genau von dort trollt gegen Viertel vor 9 Uhr ein einzelnes schwaches Stück Rehwild auf mich zu. Sollte das etwa …? Der Blick durch das Glas macht es mir sofort sehr klar und deutlich. Es ist tatsächlich das von mir gesuchte »Stacheldrahtböckchen«!
Ich habe Zeit, ihn genau anzusprechen. Es ist wirklich ein sehr geringes Böckchen und auf seinem Haupt trägt er zwei winzige, bleistiftdünne Spießchen im Bast. Ein wahrhaftiger Knopfbock. Nein, diesen müsste man eigentlich Stiftbock nennen.
Als das Böckchen nun siebzig Meter vor mir durch den Knick schlüpft, tausche ich ruhig das Fernglas gegen die Waffe. Ich fasse das Ziel auf und fahre mit. Als der Bock auf meinen kurzen Pfiff verhofft, ist mein Schuss heraus und wirft ihn ins hohe Gras.
Auf die Minute genau 23 Stunden später habe ich das von mir Gelobte erfüllt und das »Stacheldrahtböckchen« mit meinem zweiten Schuss, einem guten Blattschuss, gestreckt.
Die Brüche nehme ich von der Eiche, in der vor anderthalb Stunden das Habichtsweib aufgehakt hatte.
Dankbar gebe ich dem Jährling den letzten Bissen und stecke mir glücklich und sehr zufrieden, aber auch ein wenig stolz den Erlegerbruch an den Hut.
Im Gasthof »Zur Post« werde ich angesichts des Bruchs an meiner Kopfbedeckung mit vielen Fragen empfangen. Sehr gerne berichte ich von meinem erfolgreichen Jagderlebnis und nehme genauso gern die anerkennenden Worte und das »Waidmannsheil« meiner Jagdkameraden entgegen.
Natürlich spendiere ich dann auch ebenso gern ein paar Gläschen, die wir nach gutem Brauch mit der linken Hand trinken.
Die Trophäe des »Stacheldrahtböckchens«. Die größere rechte Stange misst 2,5 Zentimeter in der Länge und ist an der stärksten Stelle acht Millimeter breit.
Schon einige Tage haben mein Freund Nikolaus und ich etwa 700 Meter östlich der kleinen Ortschaft Börrat, am ostwärtigen Ende des Plateaus, an einer Kanzel gebaut und heute Morgen ist sie nun endlich fertig geworden. Sie gefällt uns beiden deshalb so gut, weil sie relativ einfach zu erreichen ist und in fast jede Richtung gute Beobachtungsund Schießmöglichkeiten bietet.
Da Niko selbst verhindert ist, bittet er mich zu meiner Freude, heute Abend auf der neuen Kanzel, die bis jetzt noch ohne Namen ist, den ersten Ansitz durchzuführen und damit einzuweihen. Das möchte ich natürlich sehr gerne machen und bin ihm für dieses großherzige und ausgesprochen kameradschaftliche Angebot sehr dankbar.
Als ich dann am späten Nachmittag zusammen mit dem kleinen Rauhaardackelrüden Pöldi an meiner Seite im Wagen den Schlosshof verlassen will, um nach Börrat zum Ansitz zu fahren, ist das aber nicht möglich, weil einige Fahrzeuge die Ausfahrt zur Straße versperren. Die Besitzer dieser störenden Vehikel befinden sich offensichtlich im Fruchtkasten. Der Fruchtkasten war bis Ende des 19. Jahrhunderts eine gräfliche Brauerei, in der dann später landwirtschaftliche Erzeugnisse für das Schloss gelagert wurden und die heute als große Räumlichkeit für gesellschaftliche Veranstaltungen aller Art genutzt wird.
Die ersten feiernden Personen, die ich noch vor dem Eingang zum Fruchtkasten treffe, erklären mir schnell, dass hier heute, am 29. Juni, das Peter-und-Paul-Fest gefeiert wird. Das finde ich persönlich auch ganz großartig, wenn mir nicht einige der Feiernden mit ihren Kraftfahrzeugen die Schlosshofeinfahrt versperren würden.
Als ich kurz darauf den großen Raum betrete, in dem gefeiert wird, schallen mir freudige und fröhliche Begrüßungsrufe entgegen. An einem der vordersten Tische steht mein jagdlicher Mentor, Förster Günter Kopp, zusammen mit seinen beiden Söhnen und einigen anderen guten Freunden und Bekannten. Natürlich ist mein eigentliches Anliegen sofort absolute Nebensache und es wird erzählt, gelacht, diskutiert und dabei auch genüsslich ein Viertele Trollinger mit Lemberger »geschlotzt«.
Als ich dann zu sehr später Stunde – oder soll ich besser sagen, zu früher Stunde? – den Saal verlasse, sind die Fahrer der die Einfahrt versperrenden Fahrzeuge zwar nicht gefunden, aber eines der Vehikel hat seinen Platz geräumt und damit ist nun für Pöldi und mich der Weg ins Revier und zur neuen Kanzel frei.
Nach relativ kurzer Fahrt haben wir unseren Fahrzeugabstellplatz erreicht. Ich nehme meine Ausrüstung auf, Pöldi kommt an die Leine und dann machen wir bei wunderschöner Beleuchtung, die uns ein noch fast voller Mond spendet, eine ruhige Pirsch hinunter an die neue Kanzel.
Es ist eine angenehm milde und dabei auch noch sternenklare Nacht. Pöldi, der wie immer seinen Platz rechts neben mir auf der Sitzbank gefunden hat, schmiegt sich eng an mich und so machen wir zunächst einmal ein relativ angenehmes und auch nicht so ganz kurzes Nickerchen.
Als Morpheus mich wieder aus seinen Armen entlässt, ist die Morgendämmerung schon so weit fortgeschritten, dass ich vieles meiner Umgebung optisch sehr gut wahrnehmen kann. Dazu gehört dann sehr plötzlich und überraschend auch ein Fuchs, den ich am Hochwaldrand genau mir gegenüber auf dem Weg bemerke, der rechts zum Sulzbach hinab führt. Aber was ist das? Als er sich wieder in meine Richtung bewegt, schnürt er nicht etwa, sondern er bewegt sich ganz eigenartig humpelnd, hüpfend. Nein, schnüren ist sicher nicht die richtige Bezeichnung für diese Art der Fortbewegung.
Mit dem Glas stelle ich dann sehr schnell fest, dass dieser stark abgekommene Jungfuchs offensichtlich rechts einen gebrochenen, zumindest aber stark geschädigten Vorderlauf hat. Da ich noch vor meinem Nickerchen meine Waffe geladen und vor mir auf die Ablage gelegt hatte, ergreife ich diese jetzt im Zeitlupentempo, entsichere sie, gehe in Anschlag und steche ein. Als der Rote in einer Entfernung von etwa siebzig Metern wieder einmal kurz verhofft, lasse ich fliegen. Reineke zeichnet mit einem hohen Satz und ist dann sofort meinen Blicken entschwunden. Ich mache mir aber keine großen Gedanken, denn ich bin mir eines ordentlichen Schusses sicher.