Geschichten vom Scrum - Holger Koschek - E-Book

Geschichten vom Scrum E-Book

Holger Koschek

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Beschreibung

In der agilen Welt bedient man sich gerne der uralten Tradition des Geschichtenerzählens, um Wissen zu vermitteln und Inhalte erlebbar zu machen. Der Autor illustriert in diesem Sinne anhand eines fiktiven Projekts die Werte, Konzepte und Praktiken von Scrum: König Schærmæn der Weißnichtwievielte hat eine Vision: Er möchte die beste und flexibelste Drachenfalle aller Zeiten entwerfen und bauen lassen. Unter Anleitung eines Einhorns aus dem Lande Scrum soll eine Gruppe ganz normaler Märchengestalten ohne agile Vorkenntnisse diese Aufgabe meistern. Es gibt viel zu lernen: Das Handwerkszeug von Scrum und der Drachenfallenbau wollen beherrscht, die agilen Werte gelebt und zwischenmenschliche Probleme gemeistert werden. Am Ende entsteht nicht nur die gewünschte Drachenfalle, sondern auch ein erfolgreiches Scrum-Team. Die ergänzenden Erläuterungen des Einhorns unterstützen den Leser dabei, das vermittelte Scrum-Methodenwissen erfolgreich in die Tat umzusetzen. Die zweite Auflage beschreibt neue Praktiken und Werkzeuge, z.B. Magic Estimation. Als methodische Grundlage dient der "Scrum Guide" in der Version 2013.

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Dipl.-Inform. Holger Koschek ist selbstständiger Berater, Trainer und Coach. Er begleitet Projekte und Organisationen bei der Einführung und Verankerung agiler Denk- und Vorgehensweisen im Produktmanagement, Projektmanagement und der Unternehmensführung.

Dabei stützt er sich auf seine langjährige Erfahrung mit objektorientierter und agiler Softwareentwicklung. Holger Koschek ist (Ko-)Autor zahlreicher Fachpublikationen, regelmäßiger Sprecher auf Konferenzen und engagiert sich in verschiedenen agilen Communitys.

Geschichten vom Scrum

Von Sprints, Retrospektiven und agilen Werten

2., überarbeitete Auflage

Holger Koschek

Holger Koschek

[email protected]

http://holger.koschek.eu

Lektorat: Christa Preisendanz

Copy-Editing: Susanne Rudi

Herstellung: Birgit Bäuerlein

Umschlaggestaltung: Helmut Kraus, www.exclam.de

Druck und Bindung: M.P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100 Paderborn

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-

bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN

Buch 978-3-86490-140-9

PDF 978-3-86491-430-0

ePub 978-3-86491-431-7

2., überarbeitete Auflage 2014

Copyright © 2014 dpunkt.verlag GmbH

Wieblinger Weg 17

69123 Heidelberg

Abbildungen:

Mit freundlicher Genehmigung von PLAYMOBIL.

PLAYMOBIL ist ein eingetragenes Warenzeichen der geobra Brandstätter GmbH & Co. KG.

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Abbildungen, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und daher strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

Es wird darauf hingewiesen, dass die im Buch verwendeten Soft- und Hardware-Bezeichnungen sowie Markennamen und Produktbezeichnungen der jeweiligen Firmen im Allgemeinen warenzeichen-, marken- oder patentrechtlichem Schutz unterliegen.

Alle Angaben und Programme in diesem Buch wurden mit größter Sorgfalt kontrolliert. Weder Autor noch Verlag können jedoch für Schäden haftbar gemacht werden, die in Zusammenhang mit der Verwendung dieses Buches stehen.

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Für Andrea, Nele, Marit und Lotta

Inhaltsverzeichnis

1       Einleitung

1.1     Was ist neu in der zweiten Auflage?

1.2     Für wen ist dieses Buch?

1.3     Ein Märchen?

1.4     Eine Drachenfalle?

1.5     Ein Einhorn?

1.6     Viel zu einfach?

1.7     Nur Scrum?

1.8     Backlog?

1.9     Danke!

2       Prolog

3       Wieimmerland

3.1     Das Land der Drachenfallen

3.2     Der König

3.3     Die beste Drachenfalle aller Zeiten

3.4     Auf der Suche nach den Musketieren der Drachenfalle

3.5     Die Herausforderung

3.6     Der Prinz

3.7     Der Ritter

3.8     Das Großväterchen

3.9     Das Aschenputtel

3.10   Das Gespenst

3.11   Die Hexe

4       Sprint 0

4.1     Abschied vom alten Leben

4.2     Spielregeln

4.3     Strategische Planung

4.4     Das Planungsspiel

5       Sprint 1

5.1     Der Sprint-Planung erster Teil

5.2     Der Sprint-Planung zweiter Teil

5.3     Tägliche Zusammenkunft

5.4     Frisch ans Werk!

5.5     Der dritte Tag

5.6     Das Einhorn

5.7     Wert-voll

5.8     Sprint Review

5.9     Die erste Retrospektive

6       Sprint 2

6.1     Taktvoll oder taktlos?

6.2     Die Macht der Zahlen

6.3     Tägliche Zusammenkunft XXL

6.4     Unter vier Augen

6.5     Die strategische Planung geht weiter

6.6     Drei auf einen Streich

7       Sprint 3

7.1     Architektur

7.2     Die Akte Aschenputtel

7.3     Das ist nichts für mich!

7.4     Ein Königreich für einen Experten!

7.5     Begegnungen

7.6     Ritter in Love

7.7     Hindernislauf

8       Sprint 4

8.1     Ich bau dir ein Schloss, so wie im Märchen

8.2     Ganzheitlich fokussiert

8.3     Eine magische Schätzklausur

8.4     Testgetrieben

8.5     Glückliche Fügung

8.6     Warum kann man Scrum-Meister nicht klonen?

8.7     Das verflixte letzte Prozent

9       Sprint 5

9.1     Im Rausch der Geschwindigkeit

9.2     Umbaumaßnahmen

9.3     Der Scrum-Meister mischt mit

10     Sprint 6

10.1   Fluss vs. Fehlerteufel

10.2   Ist »ziemlich gut« gut genug?

10.3   Dem König reicht es

11     Der letzte Sprint

11.1   Jedem Ende wohnt auch ein Anfang inne

11.2   Modell »Musketier«

12     Déjà vu

13     Epilog

A      Gemmen der Wieimmerländer Staatsbibliothek

A.1    Über Scrum

A.2    Über Agilität im Allgemeinen

A.3    Über Agilität im Großen

A.4    Über andere agile Vorgehensweisen

A.5    Über Soft Skills

B      Begriffe

Index

1 Einleitung

Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung der Auswirkungen gewisser agiler Praktiken Ähnlichkeiten mit Situationen in realen Projekten ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.

frei nach Heinrich Böll, »Die verlorene Ehre der Katharina Blum«

Die Weitergabe von Wissen in Form von Geschichten ist eine uralte Tradition mit weltweiter Verbreitung – von den TraumzeitGeschichten der australischen Aborigines bis hin zu den isländischen Sagas. Scrum und andere agile Vorgehensweisen greifen die Idee des Geschichtenerzählens auf, weil sie wissen, dass Menschen Geschichten lieben – Softwareentwickler bilden hier glücklicherweise keine Ausnahme. Was liegt da näher, als das Grundwissen über das agile Rahmenwerk Scrum in Form einer Geschichte zu vermitteln?

Klassische Lehrbücher beschreiben die Werte, Konzepte und Praktiken, die agile Softwareentwicklung und agiles Projektmanagement ausmachen. Der Leser kennt nach der Lektüre das Handwerkszeug, weiß aber noch nicht, wie er damit arbeiten soll. Wann kommt welche Methode sinnvoll zum Einsatz? Worauf muss man im Detail achten, welche typischen Fehler gilt es zu vermeiden? Wie mischt man verschiedene Vorgehensweisen, beispielsweise Scrum und Extreme Programming (XP)? Vor allem aber: Wie verhalten sich Menschen, die nie zuvor agil gearbeitet haben, in einem Scrum-Projekt? Das ist die Frage, die mich ursprünglich zum Schreiben dieser Geschichte animierte. Anhand eines einfachen Beispiels möchte ich zeigen, wie sich eine Gruppe von Individuen im Verlauf eines Scrum-Projekts zum erfolgreichen agilen Team entwickelt. Sie sind herzlich eingeladen, diese Individuen auf ihrem Weg von der Idee zum fertigen Produkt zu begleiten. Ganz nebenbei werden Sie lernen, wie man ein Projekt agil durchführt.

1.1 Was ist neu in der zweiten Auflage?

In die zweite Auflage dieses Buches habe ich die frischen Erfahrungen und Erkenntnisse einfließen lassen, die ich in den vergangenen dreieinhalb Jahren als Berater, Trainer und Coach in agilen Projekten gesammelt habe. Mein Dank gilt an dieser Stelle meinen Kunden, den Teilnehmern meiner Trainings sowie allen Kolleginnen und Kollegen aus den agilen Communitys.

Nicht nur ich habe mich in dieser Zeit weiterentwickelt, sondern auch das Scrum-Framework und das stetig wachsende Ökosystem, das dieses Framework umgibt. Die neueste Aktualisierung des Scrum Guide ist im Juli 2013 erschienen und in diesem Buch bereits berücksichtigt, soweit ich die Neuerungen vertreten kann. So habe ich beispielsweise die neue Flexibilität in der Sprint-Länge unerwähnt gelassen, weil diese Neuerung meiner Meinung nach ein agiles Team aus dem Takt werfen und somit kontraproduktiv sein kann. Von den neuen Praktiken und Werkzeugen, die im Scrum-Ökosystem entstanden sind, wurde exemplarisch das Magic Estimation in diese Geschichte aufgenommen.

Umfang und Bandbreite der Literatur zu Scrum und agilen Vorgehensweisen haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Dementsprechend ist die kommentierte Literaturliste am Ende des Buches (»Gemmen der Wieimmerländer Staatsbibliothek«) deutlich angewachsen.

Nicht zuletzt haben Rückmeldungen von Leserinnen und Lesern der ersten Auflage zu vielen kleinen und großen Verbesserungen geführt – dafür vielen Dank! Von ihnen habe ich auch erfahren, was man mit diesem Buch alles anstellen kann: Einige Scrum Master veranstalten kleine Lesungen für ihr Team, um anhand der Geschichte bestimmte agile Sachverhalte zu erläutern. Andere schenken das Buch ihren Eltern, damit diese endlich verstehen, was ihr Nachwuchs beruflich tut. Auch bei der Bestimmung von Rollen und Arbeitspräferenzen im Team leisten die Märchenfiguren gute Dienste. Ich selbst nutze diese Geschichte gerne in meinen Scrum-Trainings, wo ich immer wieder feststelle, dass Storytelling eine sehr nachhaltige Wirkung erzeugt.

1.2 Für wen ist dieses Buch?

Dieses Buch ist für Scrum Master, Product Owner, Entwickler, Auftraggeber, Stakeholder, Kunden, Projektleiter traditioneller Projekte, Manager – sprich: alle, die auf die eine oder andere Art und Weise mit einem agilen Projekt zu tun haben (könnten). Und für alle, die wissen wollen, wie Scrum funktioniert.

Dieses Buch ist kein klassisches Scrum-Lehrbuch. Es bietet keinen strukturierten Überblick über die Werte, Prinzipien und Praktiken von Scrum, sondern zeigt deren praktische Anwendung in einem fiktiven Projekt. Als Leser sollte man deshalb ein theoretisches Grundwissen über Scrum mitbringen – oder sich überraschen lassen. Die Literaturliste am Ende des Buches führt auch die Standard-Lehrwerke über Scrum auf.

1.3 Ein Märchen?

Das Scrum-Team dieser Geschichte setzt sich aus ungewöhnlichen Personen zusammen: Prinz, Ritter, Großväterchen, Aschenputtel, Gespenst und Hexe – klingt ganz nach einem Märchen. Tatsächlich spielt die Rahmenhandlung in einer Umgebung, wie man sie aus Märchen kennt. Die Idee entstand bei der Suche nach Abstraktionen für die verschiedenen Charaktere, die man üblicherweise in Projekten vorfindet. Eine konkrete Projektsituation vor Augen, musste ich unwillkürlich an einen Prinzen denken und war damit gedanklich in die Märchenwelt eingetaucht. Danach dauerte es nicht mehr lange, bis ich mein Ensemble beisammen hatte.

So verschieden die Märchenfiguren, so unterschiedlich sind auch ihre ersten Erfahrungen mit Scrum. Die Bandbreite reicht von Begeisterung über vorsichtige Zurückhaltung bis hin zu offener Ablehnung. Dieses Spektrum wird man in fast jedem Projekt vorfinden, und der Umgang mit den Befindlichkeiten der Teammitglieder wird letztendlich über den Erfolg des Projekts entscheiden.

1.4 Eine Drachenfalle?

Ein Softwareentwicklungsprojekt in einem märchenhaften Ambiente? Das wirkt unnatürlich. Deshalb habe ich ganz bewusst ein fachfremdes Beispiel gewählt: Das Team bekommt in dieser Geschichte den Auftrag, die beste Drachenfalle aller Zeiten zu bauen. Bei der Beschreibung eines Softwareprojekts hätte ich zudem eine fachliche Domäne und eine oder mehrere Technologien auswählen müssen – und somit die Mehrzahl der Leser ausgegrenzt, deren Situation anders geartet ist. Dank des fachfremden Beispiels können Sie außerdem die eigentliche Aufgabe dieses Projekts außer Acht lassen (es sei denn, Sie entwickeln tatsächlich gerade eine Drachenfalle) und sich guten Gewissens auf die agilen Aspekte der Geschichte konzentrieren.

Die Tatsache, dass es sich bei der Drachenfalle um Hardware handelt, legt den Verdacht nahe, dass dieses Buch eine agile Systementwicklung beschreibt. Das tut es aber nicht. Die hier geschilderten Lösungsansätze geben meine Erfahrungen aus verschiedenen Softwareentwicklungsprojekten wieder. Als Beispiel für die Systementwicklung ist die Drachenfalle nur bedingt geeignet. Grundsätzlich gilt aber, dass agile Vorgehensweisen nicht allein in der Softwareentwicklung eingesetzt werden können.

1.5 Ein Einhorn?

Für den Leser ohne Erfahrung in agilen Vorgehensweisen ist es nicht immer leicht, die Besonderheiten von Scrum aus der Geschichte abzuleiten. Deshalb wird die Erzählung ab und zu unterbrochen, um das Einhorn Bumaraia zu Wort kommen zu lassen. Es stammt aus dem Land Scrum und kennt sich bestens mit Scrum aus. Die ergänzenden Erläuterungen und kritischen Kommentare des Einhorns vertiefen und festigen das vermittelte Wissen über Scrum. Am Ende kennen Sie nicht nur das Handwerkszeug von Scrum, sondern haben auch ein Gefühl dafür entwickelt, wie man dieses erfolgreich einsetzt.

Die Anmerkungen des Einhorns sind deutlich sichtbar von der Geschichte getrennt. Da das Einhorn über das Projekt reflektiert, verlassen Sie beim Lesen seiner Anmerkungen zwangsläufig die Erzählebene. Sollten Sie sich daran stören, so möchte ich Ihnen empfehlen, diese Anmerkungen beim ersten Lesen zu überblättern. Im zweiten Durchgang können Sie sich dann den Kommentaren des Einhorns widmen.

1.6 Viel zu einfach?

Das in diesem Buch beschriebene Projekt ist vergleichsweise klein. Es gibt nur ein Scrum-Team, das in sieben Sprints die ultimative Drachenfalle baut. Das Team besteht aus fünf Entwicklern und einem Scrum-Meister. Diese Konstellation reicht aber aus, um die wesentlichen Aspekte von Scrum (und ein paar Praktiken aus dem Extreme Programming) anschaulich darzustellen. Ein größeres Projekt wäre nicht so leicht verständlich gewesen. In der Literaturliste am Ende des Buches finden Sie Bücher über Agilität in großen und weltweit verteilten Projekten. Dort habe ich auch die aus meiner Sicht wichtigsten Bücher über Scrum, Agilität im Allgemeinen und andere agile Vorgehensweisen sowie Soft Skills zusammengestellt und kurz beschrieben.

1.7 Nur Scrum?

Da in dieser Geschichte ein konkretes (wenngleich fiktives) Projekt vorgestellt wird, musste ich mich für eine konkrete agile Methode entscheiden. Die Wahl fiel auf Scrum – nicht zuletzt deshalb, weil Scrum den größten Verbreitungsgrad aller agilen Vorgehensweisen hat. Wie bereits erwähnt, werden auch einige Elemente des Extreme Programming vorgestellt. Außerdem ist die Geschichte in den grundlegenden agilen Werten und den Grundsätzen des Agilen Manifests verwurzelt. Das in diesem Buch vermittelte Wissen geht also weit über Scrum im Speziellen hinaus.

Es ist mir wichtig zu erwähnen, dass Scrum nur eine von mehreren Ausprägungen agiler Vorgehensweisen ist. Bevor Sie sich für Scrum entscheiden, sollten Sie sich anschauen, was die anderen agilen Methoden bieten. Und nicht vergessen: Es handelt sich um ein agiles Rahmenwerk, das Sie an Ihre projektspezifischen Bedürfnisse anpassen dürfen und sollen – nicht nur zu Projektbeginn, sondern im Sinne kontinuierlicher Rückkopplung und Verbesserung immer wieder. Nur so werden Sie auf Dauer mit Ihrem Entwicklungsprozess zufrieden und erfolgreich sein.

1.8 Backlog?

Die agilen Methoden kommen alle aus dem englischsprachigen Raum. Alle Fachbegriffe sind dementsprechend englisch. Ich habe überall dort, wo ich es für sinnvoll hielt, einen deutschen Begriff verwendet. Die englische Entsprechung finden Sie beim ersten Auftauchen eines neuen Begriffs kursiv in Klammern gesetzt. Im Index sind sowohl die deutschen als auch die englischsprachigen Begriffe aufgeführt. Dadurch lassen sich leichter Querbezüge zur englischsprachigen Literatur herstellen. Einige Scrum-spezifische Begriffe wie Sprint oder Product Backlog habe ich nicht übersetzt, obwohl es auch dafür deutsche Begriffe gibt. Im Kapitel »Begriffe« am Ende dieses Buches habe ich die deutschen und englischen Begriffspaare noch einmal in einer Tabelle zusammengestellt.

1.9 Danke!

Ein Buch entsteht immer in Teamarbeit. Auf dem Einband steht aber nur (m)ein Name. Deshalb möchte ich an dieser Stelle die anderen Mitglieder des Teams »Geschichten vom Scrum« erwähnen und mich auf diesem Weg ganz herzlich bei ihnen bedanken.

Mein größter Dank geht an meine Frau Andrea. Sie hat mir mit viel Geduld und großer Unterstützung die Zeit und Ruhe geschenkt, die ich fürs Schreiben brauchte. Unsere Töchter Nele, Marit und Lotta haben mir freien Zugriff auf ihren PLAYMOBIL-Fundus gewährt und mir bei der Auswahl der Figuren geholfen. Zudem haben Marit und Lotta dem Einhorn Bumaraia seinen wunderschönen Namen gegeben.

In der Geschichte ist sehr oft von bösen Drachen die Rede. An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass ich auch viele gute kenne. Drachen – so nennt die Schriftstellerin Doris Lessing die Copy Editors im britischen Verlagswesen: »Sehr effiziente, hochgebildete Menschen, die in den Manuskripten zielsicher jede Wortwiederholung und andere stilistische Mängel aufspürten oder auch anmerkten, wenn die Konstruktion unlogisch war. Sie haben jedes Manuskript Wort für Wort durchgearbeitet.« (DER SPIEGEL 45/2002)

In meiner erweiterten Definition umfasst der Drachenbegriff neben den Korrektoren auch die fachlichen Reviewer. Rolf Dräther, Stefan M. Heldt, Anke Koschek, Heinz Koschek, Bernd Oestereich, Carsten Sahling, Michael Schulze-Ruhfus, Wolfgang Strunk und Henning Wolf haben Großartiges geleistet.

Dem dpunkt.verlag zolle ich Respekt dafür, dass er das Wagnis eingegangen ist, ein ungewöhnliches Buch zu verlegen. Ein besonderer Dank geht an meine Lektorin Christa Preisendanz.

Ich freue mich über die freundliche Genehmigung von PLAYMOBIL, Abbildungen ihrer Figuren in diesem Buch verwenden zu dürfen. Das freut mich vor allem deshalb, weil Helmut Kraus (www.exclam.de) mit diesen Figuren ein so wunderbares Titelbild geschaffen hat. Die Bilder im Buch wären ohne die professionelle Unterstützung von Melanie »Melly« Dreysse (www.dreysse.com) niemals so toll geworden.

Mehr Informationen zum Buch und zu agilen Themen finden Sie unter www.scrum-geschichten.de.

Holger KoschekWedel, im Oktober 2013

2 Prolog

Seid gegrüßt! Mein Name ist Bumaraia, und ich bin ein Einhorn aus dem Lande Scrum. Heute bin ich bestens gelaunt – wie immer, wenn ich Menschen helfen konnte, sich zu einer Mannschaft (oder, wie wir sagen, zu einem »Team«) zusammenzufinden und gemeinsam etwas Großartiges zu schaffen. So geschehen bei den Wieimmerländer Drachenfallenkonstrukteuren. Ihr wisst ja, dass unser aller Wohl von den berühmten Fallen abhängig ist, und Ihr kennt auch die Probleme, die sich in den letzten Jahren ... warum schaut Ihr so ungläubig? Habt Ihr denn noch nie von Wieimmerland gehört? Aber Ihr kennt doch das Land Scrum, meine wundervolle Heimat? Nein? Ach, Ihr seid nicht aus der Gegend? Oh, entschuldigt bitte! Wenn das so ist, dann möchte ich Euch ganz herzlich hier in Wieimmerland als Gäste willkommen heißen und werde Euch gleich mit einem Geschichtenerzähler aus Scrum bekannt machen. Er hat die Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate niedergeschrieben. Sie sollen allen Bürgern des Landes als Beispiel dafür dienen, wie man aus einer Gruppe von Menschen, die verschiedener kaum sein könnten, eine eingeschworene Gemeinschaft formen kann. Deshalb war es des Königs Wunsch, dass diese Ereignisse der Nachwelt erhalten bleiben sollen. Euch, liebe Gäste, wird nun das besondere Privileg zuteil, eine Geschichte zu vernehmen, die bisher nur dem König selbst vorgelesen worden ist.

Ach, da sehe ich Holger, den Geschichtenerzähler. Er kommt direkt vom König, und in seinem Gesicht kann ich lesen, dass König Schærmæn der Weißnichtwievielte mit Holgers Erzählung sehr zufrieden gewesen sein muss. Wie die meisten unserer Geschichtenerzähler wohnt Holger im Gebirge Scrum – jener legendären Hügelkette, die unser Land umgibt. Werter Holger! Darf ich Euch diese reizenden Gäste vorstellen? Sie interessieren sich sehr für die Drachenfallen-Geschichte. Da diese dem König offensichtlich gefallen hat, dürft Ihr sie uns bestimmt erzählen, oder? Ich werde mich zwischendrin immer mal wieder melden, um Euch, werte Gäste, ein paar Hintergrundinformationen zu den agilen Werten, Konzepten und Praktiken zu geben, die für das Verständnis der Geschichte hilfreich sind. Das ist Euch hoffentlich recht? Ihr nickt – das freut mich! Dann will ich Euch nicht länger warten lassen. Ich übergebe das Wort an Holger. Viel Spaß mit der Geschichte vom Bau der besten Drachenfalle aller Zeiten!

Recht herzlichen Dank, werte Bumaraia. Mein Name ist Holger, und ich möchte Euch jetzt eine Geschichte erzählen. Sie handelt von fünf Wieimmerländer Bürgern, die gemeinsam etwas Großartiges geschaffen haben. Dabei erlebten sie aufregende Abenteuer und wuchsen schließlich zu einem echten Team zusammen.

Es war einmal ...

3 Wieimmerland

Es war einmal ein Königreich namens Wieimmerland. Seine Ländereien lagen an den Ufern eines mächtigen Stroms, dem Mainstream. Aus einem beeindruckenden Gebirge kommend, stürzte der Mainstream als Kaskade von Wasserfällen viele Meter in die Tiefe. Dem Rauschen dieser Wasserfälle wurde eine beruhigende, geradezu einlullende Wirkung nachgesagt, weshalb sie zum Pilgerziel vieler Zeitgenossen wurden, die sich in der Hektik ihres täglichen Lebens nach Momenten der Ruhe sehnten.

Dem Lauf des Mainstream folgte auch die Hauptstraße des Landes. Auf dieser Straße waren tagaus, tagein viele Händler unterwegs, um die Waren des Landes in den benachbarten Königreichen zu verkaufen. Entlang der Hauptstraße waren nahezu alle Manufakturen des Landes angesiedelt. Diese versorgten die Händler mit den wichtigsten Wieimmerländer Waren.

Nur jenen, die das hektische Treiben auf der Hauptstraße hinter sich ließen und einen der unscheinbaren Seitenwege einschlugen, war es vergönnt, dieses Land von einer ganz anderen Seite kennenzulernen: Jenseits des Mainstream war Wieimmerland ein Mosaik aus hohen, schattigen Wäldern, kleinen Obst- und Gemüsegärten, saftigen Weiden und penibel bestellten Feldern, die von den charakteristischen, aus dem Mainstream gespeisten Wassergräben und den als Windschutz gepflanzten Wallhecken gesäumt wurden. Dazwischen lagen, wie zufällig hingeworfen, Höfe und kleine Siedlungen. Die meisten der dort lebenden Wieimmerländer arbeiteten in der Landwirtschaft oder der Viehzucht. Diese Region wurde oft als »Speisekammer des Landes« bezeichnet. Tatsächlich reichten die dort produzierten Nahrungsmittel gerade eben aus, um die Bevölkerung zu ernähren. Deshalb konnte mit den landwirtschaftlichen Erzeugnissen kein Handel außerhalb des Landes getrieben werden, und so überraschte es niemanden, dass das Königreich für die Nachbarstaaten nur aus dem Fluss und der einen Straße zu bestehen schien. Da der Mainstream schiffbar war, konnten die Händler anstelle der Straße auch den Wasserweg für den Transport ihrer Waren nutzen. Sie mussten die Lastkähne nur mit dem Strom schwimmen lassen, um ihre Handelspartner zu erreichen.

3.1 Das Land der Drachenfallen

Wieimmerland war weit über die Grenzen des Landes hinaus für seine Drachenfallen bekannt. Diese Fallen waren sehr begehrt, denn die Drachen waren eine Plage für die gesamte Region. Ständig und überall tauchten die fliegenden Störenfriede auf, allein oder in Gruppen, und fielen über die Ernte, das Vieh oder die Märkte her. Man muss wissen, dass nicht alle Drachen blutrünstige Ungeheuer waren. Unter ihnen gab es auch viele Pflanzenfresser, die sich lieber an einem reifen Maisfeld labten, als eine Schafherde zu verschlingen. Neben den Pflanzenfressern gab es auch Gattungen, die sich auf Stoff- und Lederwaren spezialisiert hatten. Diese Ungetüme waren zwar die kleinsten, zählten aber zu den gefährlichsten, da sie ihre Leibspeise nur auf den Märkten in ausreichender Menge vorfanden. Dort handelten damals wie heute Menschen, und so wurde mitunter ein redlicher Kaufmann zum Beifang eines hungrigen (und vielleicht ein wenig kurzsichtigen) Drachen. Und dann gab es noch die Smoks – große, Feuer speiende und Fleisch fressende Biester. Diese wurden zwar vergleichsweise selten gesichtet, brachten aber jedes Mal Not und Elend über das Land.

Um die Autonomie in der Lebensmittelversorgung aufrechtzuerhalten, musste die Wieimmerländer Ernte nahezu vollständig eingebracht werden. Auch die Viehzucht durfte keine allzu großen Verluste beklagen, wollte man das Volk nicht hungern lassen. Deshalb waren diese Drachen für die Wieimmerländer nicht nur eine direkte Bedrohung (weil sie immer Gefahr liefen, von ihnen gefressen zu werden), sondern auch indirekt gefährlich, weil sie mit ihrer Gefräßigkeit ohne Mühe eine Hungersnot auslösen konnten. Kein Wunder, dass die Wieimmerländer dieser fliegenden Bedrohung schon vor Urzeiten den Kampf angesagt hatten.

So verschieden die Drachen, so unterschiedlich waren auch die Mittel und Wege, um sich ihrer zu erwehren. Die Wieimmerländer hatten im Laufe der Zeit immer bessere und präzisere Drachenfallen konstruiert. Um diese ungeheuer komplexen Apparate entwerfen und in größeren Stückzahlen bauen zu können, waren viele erfahrene und geschickte Baumeister und Handwerker vonnöten. Zimmerleute, Schmiede, Seilmacher, für einige Modelle sogar ein Schneider und ein Goldschmied leisteten ihren Beitrag zum Bau der Drachenfallen. Diese Projekte gingen keineswegs reibungslos vonstatten. Das lag zum einen daran, dass die Arbeiten der vielen verschiedenen Gewerke aufeinander abzustimmen waren. Damit nicht genug, mussten viele bereits im Bau befindliche Drachenfallen noch einmal geändert werden. Die Drachen waren nämlich alles andere als dumm. Geriet ein Artgenosse in eine Falle, so waren kurz darauf andere Drachen zur Stelle, angelockt durch das ohrenbetäubende Gebrüll des seiner Freiheit Beraubten. Während die zur Hilfe herbeigeeilten Drachen früher nur unbeholfene Befreiungsversuche unternommen hatten, an deren Ende sich die Befreier nicht selten mit der eigenen Gefangenschaft konfrontiert sahen, so wurden sie mit der Zeit immer vorausschauender und schlauer. Geglückte Befreiungsversuche schienen sich im Drachenvolk herumzusprechen – zumindest stellten Beobachter fest, dass spätere Befreiungsversuche nach eben jenen erfolgreichen Mustern unternommen wurden, die dann in der Regel ebenfalls glückten. So deckten die Drachen immer wieder neue Schwächen der Fallen auf und lernten, diese für sich zu nutzen. Den Wieimmerländern blieb nichts anderes übrig, als ihre Fallen kontinuierlich zu verbessern. Dabei waren sie auf die Hilfe von Rittern angewiesen, die ja bekanntlich ebenfalls die Drachenbekämpfung zur Aufgabe hatten. »Wo Fallen sind, da sind auch Drachen«, dachten sich zu jener Zeit viele Ritter, und sie schlugen ihre Zelte in der Nähe der Fallen auf. So wurden sie oft Zeugen von Befreiungsversuchen und konnten bei dieser Gelegenheit den einen oder anderen im Kampf gegen die Falle geschwächten oder mit der Befreiung eines Artgenossen beschäftigten Drachen ohne große Mühe zur Strecke bringen. Dieses Wissen um die Befreiungsstrategien der Drachen machte die Ritter zu gefragten Beratern für die Gilde der Fallenbauer und brachte den wackeren Männern im Blechkleid so manchen Extra-Dukaten ein.

Mit der Zeit entwickelte sich eine Hassliebe zwischen Fallenbauern und Rittern: Erstere waren zwar froh über das Wissen und die Erfahrung der Ritter. Auf der anderen Seite bedeutete der von den Rittern vermittelte Erkenntnisgewinn immer lästige Mehrarbeit für die Fallenproduktion. Die Folgen waren Unruhe (»Jetzt wird wieder alles über den Haufen geworfen!«), Ungewissheit (»Wird die neue Falle wirklich besser funktionieren?«) und Stress (»Wie sollen wir das nur in so kurzer Zeit schaffen?«). Die Störung des inneren Wieimmerländer Gleichgewichts war also nicht nur eine direkte Folge der Drachenangriffe, sondern hatte in der Notwendigkeit der kontinuierlichen Anpassung von Drachenfallenkonstruktion und -produktion noch eine weitere, indirekte Ursache. Das machte die Drachen bei den Wieimmerländern nicht unbedingt beliebter. In den Werkstätten ging es in der Mittagspause oft nur um dieses eine Thema: Würden die Drachen nicht immer schlauer und wären sie in ihren Handlungen und Befreiungstaktiken besser einzuschätzen, dann wäre die Fallenproduktion deutlich einfacher und standardisierter. Wie üblich setzten die Wieimmerländer alle Hoffnungen auf ihren König.

3.2 Der König

König Schærmæn der Weißnichtwievielte war ein weiser und gütiger Herrscher. Er liebte sein Land, und er liebte sein Volk. Aber er trug schwer an der Verantwortung, die er von seinem Vater übernommen hatte. Viele Wieimmerländer hatten sich bei König Schærmæns Inthronisierung große Sorgen um die Zukunft des Königreichs gemacht. Zu groß waren die Verdienste des Vaters gewesen, als dass der einzige Sohn ihn vollkommen ersetzen könnte. König Schærmæn hatte die Herausforderung mit großer Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit angenommen. Und er machte nie einen Hehl daraus, dass er trotz des Standesunterschieds auch nur ein Mensch war, dem ab und zu Fehler unterliefen. Das missfiel den obersten Beamten, die stets bemüht waren, der Bevölkerung das Bild des makellosen und über jeden Zweifel erhabenen Regenten zu verkaufen.

Insgeheim war die Bevölkerung froh über die klaren Hierarchien, die der König in allen Bereichen des Wieimmerländer Alltags installiert hatte. Ob zu Hause im Familienkreis, als Bürger im Umgang mit den Behörden oder als Arbeiter in einer der Werkstätten: Überall gab es eine eindeutige Rangordnung und klare Verhaltensregeln. Das war sicherlich nicht immer angenehm, aber doch zumindest bequem und verlässlich. Im Laufe der Zeit und von Generation zu Generation hatte sich das Volk immer mehr an diese Lebensweise gewöhnt, sodass sich schließlich kaum noch jemand vorstellen konnte, jemals anders zu leben. König Schærmæn hätte diese Ergebenheit seiner Untertanen leicht für seine Zwecke missbrauchen können, und er wäre nicht der Erste gewesen. In den Geschichtsbüchern der Nachbarstaaten finden sich viele Geschichten von Herrschern, die in erster Linie an sich gedacht und damit ihr Volk in Not und Elend gestürzt hatten. Mit diesen abschreckenden Beispielen vor Augen wollte König Schærmæn immer ein besserer König sein. Deshalb war es sein ständiges Bestreben, seinen Untertanen das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten – soweit dies in seiner Macht stand, versteht sich.

Das größte Ärgernis und Quell latenter Unzufriedenheit waren die besagten Drachenüberfälle. Der König war sich des Erfolgs der Wieimmerländer Drachenfallenproduktion bewusst. Insbesondere der erfolgreiche Export der Fallen und das damit verbundene hohe Ansehen seines Landes in den Nachbarstaaten erfüllten ihn mit Stolz. In vielen Gesprächen, die er bei seinen regelmäßigen Besuchen der Werkstätten mit den Arbeitern führte, hatte er deren Sorgen und Nöte vernommen, und die drehten sich immer wieder um die Unruhe, verursacht durch neue Drachentricks und damit verbundene Anpassungen an den Fallen, die den Produktionsablauf beeinflussten. Deshalb reifte in König Schærmæn der Wunsch, die beste und flexibelste Drachenfalle aller Zeiten entwerfen und bauen zu lassen.

3.3 Die beste Drachenfalle aller Zeiten

Die neue Drachenfalle sollte so konstruiert sein, dass man sie sehr einfach verändern konnte, um auf die Befreiungstaktiken der Drachen zu reagieren, ohne dafür jedes Mal ein neues Fallenmodell entwerfen zu müssen. Wie das genau funktionieren sollte, wusste der König natürlich nicht, aber er hatte diese Vision, die er sogleich mit seinem Hofmarschall besprach.

Der fand die Idee grundsätzlich interessant, hegte aber im Stillen Zweifel an der Realisierbarkeit. »Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen!«, kam es ihm in den Sinn – ein Zitat, das er einst bei einem befreundeten Kanzler aufgeschnappt hatte. Aber anstatt dieses Zitat zum Besten zu geben, sagte er nur: »Eine sehr gute Idee, Euer Majestät! Welche der königlichen Werkstätten gedenkt Ihr mit der Konstruktion dieses Wunderwerkes zu beauftragen?« Das war durchaus eine berechtigte Frage, denn wenngleich die Wieimmerländer die besten Drachenfallenbauer diesseits des großen Gebirges waren, so unterschieden sich die verschiedenen Werkstätten weder hinsichtlich der Qualität noch der Funktionalität oder der Gestaltung ihrer Produkte (die Wieimmerländer Drachenfallen waren im Übrigen eher unansehnlich). Die Frage, ob ein Kunde seine Fallen bei der einen oder der anderen Werkstatt kaufte, war eine Frage persönlicher Beziehungen, alter Gewohnheiten oder schlicht und ergreifend Willkür.

König Schærmæn ließ sich durch die Frage seines Hofmarschalls nicht irritieren, denn er hatte lange über seine Vision nachgedacht. Dabei war ihm etwas in den Sinn gekommen, das er im vergangenen Jahr von einem der Erzähler gehört hatte, die jeden Sommer durchs Land reisten und die Menschen mit Geschichten, Anekdoten und Märchen in ihren Bann zogen. Die Geschichte, an die sich König Schærmæn erinnerte, handelte von einem zauberhaften Land namens Scrum – benannt nach seinem legendären Gebirge, dem Scrum. Kreisrund umgab diese Bergkette das Land. Die Berge waren nahezu gleich hoch und erhoben sich in schöner Regelmäßigkeit aus bewaldeten Hochtälern. Aus der Ferne betrachtet sah der Scrum aus wie eine riesige Königskrone. Deshalb hatten viele machtbesessene Herrscher versucht, dieses Land zu erobern – und waren gescheitert. Die Bewohner von Scrum waren alles andere als herrschsüchtig. Sie sahen in dieser besonderen Gebirgsformation denn auch keine Königskrone. Ihrer Meinung nach waren die regelmäßig geformten Berge ein Sinnbild für den Rhythmus des Lebens und einen gleichmäßigen Takt, gleichsam der Herzschlag von Scrum. Diesem Takt, da waren sich die Bewohner einig, wohnte eine besondere Kraft inne.

Um das Land zu betreten oder zu verlassen, musste man sich auf eine lange Reise durch das Gebirge begeben. Man konnte die Berge und Hochtäler nicht einfach queren, sondern war gezwungen, einem Pfad zu folgen, der sich spiralförmig über die gesamte Bergkette erstreckte. Dreimal musste ganz Scrum umrundet werden, bis man die Bergkette überwunden hatte.

Im Scrum-Gebirge wohnten viele Geschichtenerzähler. Einer von ihnen hatte dem König von den sagenhaften Einhörnern von Scrum berichtet. Diese lebten gemeinsam mit den handwerklich geschickten Trollen im Landesinneren und hatten sich auf die Herstellung von Utensilien für Zauberer und Alchemisten spezialisiert. Bei dem magischen Zubehör handelte es sich durchweg um Unikate, die von den Kunden bei den Einhörnern beauftragt und von den Trollen hergestellt wurden. Die Zauberer und Alchemisten waren immer sehr zufrieden, weil sie von den Einhörnern tatsächlich das bekamen, was sie wollten – obwohl sie davon zu Beginn meist gar keine konkrete Vorstellung hatten. Die Besonderheit lag darin, dass die Produkte in schrittweiser Annäherung an das beste Ergebnis entwickelt wurden, was den Kunden die Möglichkeit verschaffte, noch während der Entwicklung auf das Ergebnis Einfluss zu nehmen. Diese besondere Fähigkeit der Scrum-Einhörner hatte den König seinerzeit sehr beeindruckt. Deshalb antwortete er auf die Frage des Hofmarschalls: »Ich werde keine der Werkstätten beauftragen! Stattdessen werde ich eine Mannschaft zusammenstellen, der die Besten aller Zünfte angehören sollen. Wir brauchen außerdem eines der Einhörner von Scrum, die sich so vorzüglich auf das lebendige Projektgeschäft verstehen. Mit seiner Hilfe wird es uns gelingen, die beste Drachenfalle aller Zeiten zu bauen. Euch, mein lieber Hofmarschall, kommt die ehrenvolle Aufgabe zu, die richtigen Mitstreiter für diese Mannschaft zu finden. Ich freue mich darauf, in genau einer Woche diese ›Musketiere der Drachenfalle‹ persönlich kennenzulernen und auf den letzten großen Kreuzzug gegen das Drachengetier zu schicken.« »Eine Woche? Nun denn – wie soll ich sagen – sehr wohl, Euer Majestät!«, stammelte der völlig perplexe Hofmarschall und verließ ohne ein weiteres Wort den Thronsaal.

Hallo! Ich bin es – Eure Bumaraia! Ich unterbreche diese Geschichte nur ungern, aber es gibt da ein paar Dinge zu erläutern, die wir Einhörner aus Scrum für bemerkenswert halten.

Wir kennen jetzt das größte Wieimmerländer Problem: ein erfolgreiches Produkt, das aber immer wieder angepasst werden muss, weil sich die Anforderungen ständig ändern. Das stört die Fallenbauer – sie haben es gerne, wenn ihr Leben einen geordneten Gang geht. Dabei ist der ständige Wandel eine ganz natürliche Angelegenheit, und wer ihn als gegeben akzeptiert, der hat schon den ersten Schritt hin zu einer agilen Vorgehensweise gemacht. Wir Einhörner aus Scrum sind Verfechter des sogenannten Agilen Manifests. Dort werden der Mut und die Offenheit für Veränderungen höher bewertet als das Befolgen eines festgelegten Plans. Da scheinen die Wieimmerländer noch ein wenig Nachholbedarf zu haben. Ihr König Schærmæn ist aber bereits auf einem guten Weg. Er hat das, was am Anfang eines jeden guten Projekts steht: eine Vision, die sich in einem Satz auf den Punkt bringen lässt und die jeder Wieimmerländer sofort versteht. Hinter dieser Vision steht der Wunsch nach mehr Flexibilität. Da der König schon von Scrum gehört hat, weiß er, dass man eine solche Aufgabe am besten mit einer handverlesenen interdisziplinären Mannschaft angeht. Wie gut, dass sich König Schærmæn an die Geschichten vom Scrum erinnerte, die er einst von einem unserer Erzähler vernommen hatte. Diese wandernden Erzähler sind sehr beliebt, und kaum ein Mensch kann sich der Faszination entziehen, für eine Weile in eine andere Welt einzutauchen. Die Geschichten regen die Fantasie an, sie erweitern den Horizont, und sie machen vor allem Lust auf mehr Geschichten – ein Umstand, den die Erzähler geschickt nutzen, indem sie an das Ende einer jeden Geschichte den Anfang einer neuen Erzählung anknüpfen, mit der sie die Zuhörerschaft dann auf den nächsten Besuch vertrösten. Ihr werdet später sehen, wie Scrum die Idee des Geschichtenerzählens in der sogenannten Retrospektive aufgreift.

Wird der Hofmarschall es schaffen, in nur einer Woche die »Musketiere der Drachenfalle« zu finden und zu überzeugen? Ich habe das Gefühl, dass er noch nicht so ganz verstanden hat, was König Schærmæn mit seinem Plan bezweckt. Kein Wunder, denn der Hofmarschall hat noch nie etwas vom agilen Vorgehen gehört. Er sieht nur die extrem kurze Zeit, die ihm der König für die Teamzusammenstellung eingeräumt hat. Die Überzeugungsarbeit bei den Wunschkandidaten hingegen dürfte ihm recht leicht fallen, ist sich der Hofmarschall doch der Unterstützung von höchster Stelle gewiss. Dieser Rückhalt ist gerade bei Scrum-Projekten in (noch) nicht agilen Unternehmen sehr wichtig. Schwierig ist der enge Zeitrahmen. Aber hören wir doch einfach weiter zu und lassen uns berichten, was dem Hofmarschall bei seiner Suche widerfahren ist ...

3.4 Auf der Suche nach den Musketieren der Drachenfalle

Die Zusammenstellung der idealen Mannschaft gestaltete sich schwieriger als erwartet. Der Hofmarschall konnte sich der vollen Unterstützung der Fallenbaumeister aller Wieimmerländer Werkstätten gewiss sein, denn jeder war bestrebt, dem König bestmöglich zu dienen. So nannten die Meister bereitwillig die Namen ihrer besten Mitarbeiter und wurden nicht müde, deren besondere Leistungen zu loben – um dann aber sofort hinzuzufügen, dass die Genannten aus genau diesem Grund auf keinen Fall aus der laufenden Fallenproduktion abgezogen werden könnten. Schließlich sei man Lieferverpflichtungen gegenüber Kunden im In- und Ausland eingegangen, und diese Kunden seien wohl kaum bereit, die Sicherheit einer soliden Wieimmerländer Drachenfalle gegen die vage Aussicht auf eine bessere Falle einzutauschen. Diesem Argument gegenüber musste sich der Hofmarschall geschlagen geben, zumal er zu Beginn dieses Jahres die Erhöhung der Exportquote als Ziel für alle Werkstätten des Landes ausgegeben hatte.

Außerhalb der Werkstätten sah es auch nicht besser aus. Der Hofmarschall hatte ein paar ganz besondere Experten im Sinn, als er an die bevorstehende Aufgabe dachte. So dachte er an Ritter Grünbalk, einen herausragenden Vertreter seiner Zunft, der zugleich Vorsitzender des Prüfungsausschusses für Ritteranwärter war. Grünbalk war bekannt für seine Perfektion, die er durch jahrelanges Training auf vielen Turnieren und anderen Wettstreiten erworben hatte. Deshalb war es nicht verwunderlich, dass der Ritter just zu jener Zeit, als sich der Hofmarschall auf die Suche begab, an einem Turnier in Junitanien teilnehmen wollte. Dieses Land lag fünfzehn Tagesmärsche von Wieimmerland entfernt, und das Turnier sollte fünf Tage dauern. Da der Ritter erst vor drei Tagen aufgebrochen war, konnte man nicht mit einer schnellen Rückkehr rechnen – zumal dem Sieger des Turniers ein zweiwöchiger Aufenthalt auf der königlichen Sommerresidenz in Begleitung der Prinzessin von Junitanien als Prämie winkte.

Die zweite Person, die der Hofmarschall gerne in der Mannschaft der besten Fallenbauer gesehen hätte, war der Zauberer Merlinus aus der Gilde der Unixoiden. Er wusste viele Sprüche und geheime Mixturen, die seinen Zauberbrüdern und -schwestern unbekannt waren und die das Königreich schon aus manch kniffliger Situation gerettet hatten. Aber auch dieser Ausnahme-Magier weilte nicht im Lande, sondern pflegte den Erfahrungsaustausch auf einem großen Alchemistentreffen fern der Heimat.

Es sah also nicht gut aus für den armen Hofmarschall. Die Woche neigte sich bereits dem Ende zu, und er hatte noch nicht eine einzige Person für seine Mannschaft nominieren können. Sieben ideale Kandidaten sollte er dem König präsentieren – das war nach Aussage des Herrschers die geeignetste Mannschaftsgröße. Die magische Zahl Sieben spukte dem Hofmarschall seither im Kopf herum. Der Verzweiflung nahe, fragte er schließlich jeden im Land, den er für entbehrlich hielt.

Habt Ihr schon einmal versucht, ein Projektteam zusammenzustellen, dem nur Eure Wunschkandidaten angehören? Dann wisst Ihr auch, wie schwierig, um nicht zu sagen wie unmöglich dieses Unterfangen ist. Das ist ganz natürlich, denn andere werden genau wie Ihr die besonderen Qualitäten dieser Kolleginnen und Kollegen kennen und schätzen. Im Kampf um die Besten kann man nicht immer gewinnen, und so steht man schnell vor der Frage: Nehme ich den Experten in Anspruch, auch wenn er mir nur zu 10 Prozent seiner Arbeitszeit zur Verfügung steht, oder wähle ich lieber einen anderen Kandidaten, der zwar fachlich nicht perfekt passt, aber zu 100 Prozent verfügbar ist? Meiner Erfahrung nach werdet Ihr mit der zweiten Lösung erfolgreicher sein. Eine hohe Verfügbarkeit ist nämlich die Grundvoraussetzung für eine gute und nachhaltige Teambildung. Wer in einer geschützten Umgebung (dem Scrum-Team) konzentriert an einer Aufgabe arbeiten kann (dem Sprint-Ziel, engl. Sprint Goal), der wird auf Dauer erfolgreicher sein als jemand, der ständig zwischen verschiedenen Projekten hin und her springt und nirgends so richtig dazugehört. Durch dieses Multitasking gehen übrigens bis zu 80 Prozent an Produktivität verloren – das haben unsere ehrwürdigen Wissenschaftler unlängst herausgefunden. Aus dem Gefühl der Zusammengehörigkeit, das ein agiles Team mit der Zeit aufbaut, erwächst gegenseitiges Vertrauen, die Bereitschaft, voneinander zu lernen, und somit schließlich ein emergentes Teamwissen, das über das Wissen der einzelnen Teammitglieder hinausgeht – und nicht selten an den Erfahrungsschatz mancher Experten heranreicht. Wie auch immer Ihr Euch entscheidet: Wichtig ist, dass Ihr beide Möglichkeiten in Betracht zieht. Wie wir später sehen werden, schließt Scrum das temporäre Konsultieren eines Experten nicht kategorisch aus.

Ein agiles Team soll über Wissen aus allen Disziplinen verfügen, die man für die Umsetzung der Projektziele benötigt. Für diese Autonomie brauchen wir Architekten, Ingenieure, Entwickler, Tester, Qualitätssicherer, Dokumentare, Mechaniker, ... aber die Mannschaft soll doch aus nur sieben Personen bestehen! Deshalb muss jedes Teammitglied verschiedene Rollen einnehmen können – und wollen. Der Architekt, der sich auf seine angestammte Rolle zurückzieht und sich weigert, bei der Entwicklung zu unterstützen, hilft uns nicht. Wir wollen den Tester, der das Scrum-Projekt als Chance sieht, das im Rahmen der Testtätigkeit erworbene Wissen zukünftig auch als Entwickler zu nutzen. Und den Experten in Sachen technische Dokumentation, der mit seinem Sprachgefühl die Anforderungsbeschreibungen verbessert. Wir suchen Menschen, die sich gerne weiterentwickeln und in einem Team eng zusammenarbeiten wollen. Das verlangt neben einer soliden fachlichen Qualifikation auch nach einer guten Ausstattung mit sogenannten »Soft Skills«.

Natürlich wird nicht jedes Teammitglied alle Fertigkeiten gleichermaßen gut beherrschen. Jeder sollte aber mindestens einen Stellvertreter haben, der bei geplanter oder ungeplanter Abwesenheit (Urlaub, Krankheit) einspringen kann und verhindert, dass das Projekt teilweise zum Stillstand kommt. Der dafür notwendige Wissenstransfer zwischen Teammitgliedern geschieht nicht immer von allein. Dann ist der Scrum-Meister gefragt, um moderierend und mit geeigneten Maßnahmen dafür zu sorgen, dass das Wissen einzelner Entwickler auf mehrere Köpfe verteilt wird.

Wichtig ist auch, dass jedes Teammitglied möglichst in seinem persönlichen Präferenzbereich arbeitet, denn nur dort kann intrinsische Motivation zu Höchstleistung führen.

Der Hofmarschall hatte zum Schluss keine Wahl mehr. Wir wollen sehen, wen er letztendlich zu diesem spannenden und ungewöhnlichen Projekt überreden konnte.

3.5 Die Herausforderung

Am nächsten Morgen, es war ein kühler, klarer Spätsommertag, machte im Thronsaal eine bunte Truppe dem König ihre Aufwartung. König Schærmæn begann seine Ansprache mit einem Lob. Er dankte den Anwesenden für deren Bereitschaft, diese anspruchsvolle und herausfordernde Aufgabe zu übernehmen, von der noch keiner so genau wusste, wie sie am Ende ausgehen würde. Dann erklärte er den Anwesenden noch einmal mit seinen eigenen Worten, was der Hofmarschall auf seiner Anwerbungstour kurz als »die Herausforderung« umrissen hatte: die Konstruktion der besten und flexibelsten Drachenfalle aller Zeiten.

»Nun fragt Ihr Euch wahrscheinlich, wie man so ein herausragendes Produkt am besten entwickelt«, sprach der König. »Ich will es Euch sagen: mithilfe von ›Scrum‹. So will ich der Einfachheit halber die Art und Weise nennen, in der die Einhörner aus dem Land Scrum ihre unvergleichlich guten Produkte herstellen. Eines dieser Einhörner wird Euch bald in die Geheimnisse der Scrum-Vorgehensweise einweihen. Ich habe Euch auswählen lassen, weil Ihr die Besten seid, die unser schönes Wieimmerland zu bieten hat. Voller Vorfreude sehe ich dem Tag entgegen, an dem die neue Drachenfalle zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert wird. Habt diesen glorreichen Tag immer vor Eurem inneren Auge – gerade dann, wenn Euch Zweifel kommen. Denkt an diesen Moment, und Ihr werdet sehen, dass das Feuer der Leidenschaft in Euch zurückkehrt. Ich bin stolz auf Euch!« Mit diesen Worten schloss der König seine Rede. Anschließend verkündete der Hofmarschall, dass die Mannschaft nicht in einer der Werkstätten an der Falle arbeiten sollte, sondern in die königliche Sommerresidenz ziehen würde. Dort hatte er bereits eine der Stallungen zu einer Werkstatt ausbauen lassen. Die Sommerresidenz war idyllisch in der Nähe der Wasserfälle gelegen. Ihre Abgeschiedenheit sollte sich positiv auf die Produktivität auswirken – der König nannte sie gar einen »magischen Ort – perfekt, um etwas Magisches zu schaffen«. Trotzdem spürte er, wie schwer dem einen oder anderen der Anwesenden die Vorstellung zu schaffen machte, für unbestimmte Zeit Abschied von der Familie und den alten Gewohnheiten nehmen zu müssen. Selbst die Aussicht auf eine königliche Unterkunft und fürstliche Verpflegung vermochte die Stimmung nicht zu heben. Und auch der Hinweis, dass es ihnen an nichts fehlen würde und dass alle Hindernisse sofort von einem Scrum-Meister aus dem Weg geräumt werden sollten, verfehlte die beabsichtigte euphorisierende Wirkung. Das kann allerdings auch daran gelegen haben, dass der König einen seiner jüngeren Söhne, Prinz Rollo, zum Scrum-Meister ernannt hatte.

3.6 Der Prinz

Der König sah es als förderlich für die Ordnung in der Gruppe an, dass jemand den Vorsitz bekam, der in der Rangfolge über den anderen Mitgliedern stand. Außerdem hatte Prinz Rollo im Rahmen der höfischen Erziehung erste Erfahrungen im pfleglichen Umgang mit Untertanen sammeln können. Der Prinz freute sich unbändig auf diese Aufgabe, bot sie ihm doch Gelegenheit, sich hervorzutun und Führungserfahrung zu sammeln. Außerdem versprach diese Tätigkeit eine willkommene Abwechslung zum monotonen Trott des höfischen Alltags. Prinz Rollo wusste zwar so gut wie nichts über den Bau von Drachenfallen, aber dieses Manko gedachte er durch seine Erfahrung im Befolgen und Kontrollieren von Regeln und Gesetzen wettzumachen. Von Kindesbeinen an dem höfischen Protokoll unterworfen, wusste er genau, was es bedeutete, nach einem komplizierten Regelwerk zu leben (und leben zu lassen). Das, so glaubte er, war die ideale Voraussetzung für die Rolle des Scrum-Meisters. Er betrachtete sich als Auserlesener unter den Befehlshabern. Der »Meister« im Namen war es, der dieser Rolle den besonderen Glanz verlieh – gestützt von der Tatsache, dass die meisten Scrum-Meister nach König Schærmæns Aussage sagenumwobene Einhörner waren.

Natürlich wäre es besser gewesen, wenn das Einhorn aus dem Land Scrum die Rolle des Scrum-Meisters übernommen hätte. Aber erstens befand sich das Einhorn noch auf der langen Anreise durch das Scrum-Gebirge, und zweitens war es dem König wichtig, ein Mitglied seiner Familie in dieser Mannschaft zu haben. Da man einen Prinzen unmöglich einem gewöhnlichen Untertanen gleichstellen konnte, musste Prinz Rollo zwangsläufig die Aufgabe des Scrum-Meisters bekleiden – eine Entscheidung, mit der sich Ritter Magnolius nicht so recht anfreunden konnte.

3.7 Der Ritter

Ritter Magnolius war eine beeindruckende Erscheinung. Seine Rüstung war elegant und stets spiegelblank geputzt, sein fein geschnittenes Gesicht zierte ein moderner Schnurrbart. Er war mit einem scharfen Verstand und einer guten Ausdrucksweise gesegnet. Deshalb war er in allen Drachenfallenwerkstätten immer ein gern gesehener Berater gewesen. Dabei war es Ritter Magnolius gewohnt, den Ton anzugeben und als Autorität anerkannt zu sein. Eines Tages aber wagte es ein einfacher Schreinergeselle, die Empfehlungen des Ritters zu hinterfragen. Der Ritter war außer sich und beschimpfte den Gesellen aufs Übelste, sodass dessen Meister sich schließlich schützend vor den völlig verunsicherten Jungen stellen musste und den aufgebrachten Ritter zu beruhigen versuchte. Dieser aber beschwerte sich weiterhin lautstark darüber, dass ein einfacher Geselle es gewagt hatte, ihn zu kritisieren. Als der Meister vom Ritter eine Antwort auf die vermeintlich dumme Frage des Gesellen verlangte, da wurde der Ritter zunächst noch zorniger – und dann ganz stumm. Es stellte sich nämlich heraus, dass die Zweifel des Gesellen durchaus berechtigt waren. Der Geselle war sich jetzt endgültig sicher, dass der Ritter keineswegs so allwissend war, wie er gerne zu sein vorgab. Da er sich des Schutzes und der Unterstützung seines Meisters und der anwesenden Kollegen sicher war, setzte er nun gnadenlos nach. In dem darauffolgenden Streitgespräch, das Geselle und Ritter vor den Augen und Ohren der gesamten Belegschaft führten, konnte der Geselle viele Argumente des Ritters recht einfach entkräften. Da sahen auch die anderen Arbeiter, dass der Ritter manchmal nur mit gesundem Halbwissen arbeitete. Dabei trat er aber so überzeugend auf, dass bisher niemand die Richtigkeit dieser Aussagen in Zweifel zu ziehen gewagt hatte. Diese Situationen waren zwar eher die Ausnahme als die Regel, denn meistens war das Wissen des Ritters fundiert. Aber so ist es nun einmal auf der Welt: Wenn man den Bogen überspannt, dann wird man am Ende nicht mehr an dem gemessen, was man wirklich kann, sondern nur noch an dem, womit man unangenehm aufgefallen ist. Der einst so angesehene Ritter Magnolius musste mit ansehen, wie sein Stern zu sinken begann. Er wurde zwar immer noch gelegentlich als Berater engagiert, aber den Vorsprung gegenüber anderen, ehrlicheren Rittern hatte er eingebüßt. Er war nun einer unter vielen, und das machte ihm schwer zu schaffen. So war er froh, als der Hofmarschall ihn in der Drachenfallensache um Rat und Unterstützung bat, und sagte sofort zu. Nun stand er hier im Thronsaal, hörte die Worte des Königs und fragte sich, wie man mit einem solch armseligen Grüppchen eine so große Aufgabe bewältigen sollte.

3.8 Das Großväterchen

Das Großväterchen war alt und weise. Seit seine Frau vor vielen Jahren gestorben war, lebte es allein in einer kleinen Hütte im Wald, ganz in der Nähe der Wasserfälle, deren Rauschen der Alte verfallen war. Das Geräusch des hinabstürzenden Mainstream war das erste, was der alte Mann hörte, wenn er bei Sonnenaufgang erwachte, und es war das letzte Geräusch, das er abends beim Zubettgehen vernahm, bevor er müde von des Tages harter Arbeit in einen tiefen, erholsamen Schlaf fiel. Das Großväterchen war ein Eigenbrötler, den man in den Dörfern nur selten sah – meist nur dann, wenn er etwas benötigte, das er draußen im Wald nicht selber anpflanzen oder anfertigen konnte. Das moderne Leben in Wieimmerland war nicht seine Welt. Er folgte lieber seiner eigenen, einfachen Lebensweise. Mochten die anderen von ihm denken, was sie wollten – er wusste, dass er mit dem, was er in jungen Jahren gelernt hatte, sein Leben lang gut zurechtkommen würde. Seine seltenen Begegnungen mit der Welt außerhalb des Waldes wurden für ihn immer anstrengender, weil das moderne Leben aus seiner Sicht immer komplizierter wurde. Deshalb verließ er seinen Wald nur selten. Lieber sammelte er Beeren und Früchte, schlug Holz für den Ofen, hielt sich Nutz- und Schlachtvieh und baute in seinem kleinen Garten allerlei Gemüse an. Er liebte dieses einfache und einsame, aber zufriedene Leben fernab der Zivilisation.

Wer das Großväterchen einmal auf einem Markt traf, wo es Mehl und Gewürze kaufte und in seinem kleinen Eselskarren verstaute, der mochte kaum glauben, dass dieser Mann in jungen Jahren ein gefragter Konstrukteur der ersten Generation von Drachenfallen gewesen war. Aus Mangel an geeignetem Baumaterial hatte man damals vor allem mit viel Grips und unkonventionellen Ideen einen leidlich funktionstüchtigen Prototyp einer Drachenfalle entworfen und gebaut. Somit kann man das Großväterchen durchaus als einen Urvater der Drachenfallenentwicklung bezeichnen. Das wussten allerdings die wenigsten Wieimmerländer. Einer, der es wusste, war glücklicherweise der Hofmarschall. In einer der Fallenwerkstätten hatte ihn ein Baumeister auf den komischen Kauz aufmerksam gemacht, der draußen bei den Wasserfällen im Wald hauste.

Es hatte den Hofmarschall einiges an Überzeugungskraft gekostet, um den alten Mann aus seiner Hütte in den Thronsaal zu bewegen. Ein Appell an die Verpflichtungen eines jeden Wieimmerländers gegenüber Krone und Vaterland war schließlich das ausschlaggebende Argument gewesen. Und da stand er nun in seiner schmutzigen Hose und der abgewetzten Joppe und fühlte sich fehl am Platz und auch ein bisschen unpassend gekleidet. Dabei fiel sein schlichtes Gewand gar nicht so sehr auf, denn er stand neben dem Aschenputtel, das sich ebenfalls sichtlich unwohl fühlte.

3.9 Das Aschenputtel

Das flaue Gefühl im Magen des Aschenputtels rührte nicht nur vom Hunger, sondern auch von der äußerst verzwickten Lage her, in die der Hofmarschall das arme Mädchen durch die Nominierung für die Fallenbau-Mannschaft gebracht hatte. Wie üblich sollte das Aschenputtel ausschließlich der Stiefmutter zu Diensten sein. Diese aber wagte es nicht, dem Aschenputtel die vom König bestimmte Aufgabe zu verbieten. Sie verlangte jedoch, dass das Aschenputtel die Arbeiten an der neuen Falle in seiner knapp bemessenen Freizeit erledigen sollte. Als der Hofmarschall die Stiefmutter davon überzeugte, dass dies ein Ding der Unmöglichkeit sei, lenkte sie ein und schraubte ihre Ansprüche am Aschenputtel auf die Hälfte eines Tages, also zwölf Stunden, herunter. Der Hofmarschall hatte ein betont freundliches Gesicht aufgesetzt und mit Engelszungen auf die Dame eingeredet. Dennoch gelang es ihm nicht, das Aschenputtel vollständig von seiner Arbeit im stiefelterlichen Haus und Hof freistellen zu lassen.

Warum aber war das Aschenputtel überhaupt in diese Mannschaft aufgenommen worden? Als Fallenkonstrukteurin war es nämlich noch nie in Erscheinung getreten, sondern hatte sich bisher als gewissenhafte und zuverlässige Hauswirtschafterin einen Namen gemacht (auch wenn die Stiefmutter und deren leibliche Töchter dies stets leugneten). Aber genau diese Charakterstärke hatte der vorausschauende Hofmarschall für seine Mannschaft gesucht. Ein solch tugendhaftes Mädchen, so dachte er, würde die Arbeitsmoral positiv beeinflussen und Vorbildcharakter für die labileren Kollegen haben – insbesondere für das Gespenst.

3.10 Das Gespenst

Das Gespenst hatte der Hofmarschall des Nachts unter ungewöhnlichen Umständen rekrutiert. Er kam aus der Dorfschänke, wo er seine Personalprobleme in einem einfachen, aber guten Landwein ertränkt hatte, und begab sich nun zu Fuß, ein paar fröhliche (aber harmlose) Lieder trällernd, auf den Heimweg. Am Schloss angelangt, machte er den Wachen eine Szene, weil diese