Neue Geschichten vom Scrum - Holger Koschek - E-Book

Neue Geschichten vom Scrum E-Book

Holger Koschek

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Beschreibung

Drei Jahre sind vergangen, seit die "Musketiere der Drachenfalle" mithilfe des Einhorns Bumaraia aus dem Lande Scrum die beste und flexibelste Drachenfalle aller Zeiten in kleinen Schritten entwickelt und gebaut haben. Die Mitglieder dieses erfolgreichen ersten Scrum-Teams arbeiten seitdem als Berater und Coaches in den Fallenwerkstätten des Landes. Für den Austausch der wachsenden Gemeinde von Scrum-Interessierten wurde das Wieimmerländer Scrum-Treffen ins Leben gerufen. Das Buch nimmt Sie mit auf die zweite Konferenz dieser Art. Im Open Space gestalten die Teilnehmer das Programm selbst. Die Themen, die in offener Runde diskutiert werden, sind so vielfältig wie die Gäste selbst. Es geht um Verantwortung und Selbstorganisation, Stabilität und Wandel, Führung und Rollenkonflikte in agilen Projekten, die Bedeutung von Vertrauen und Werten, Scrum und Kanban. Bei Gesprächen im kleinen Kreis wird manch persönliches Thema besprochen. Das Treffen könnte also ein voller Erfolg sein – wenn nicht plötzlich die agilen Werte in Gefahr gerieten. Auf dem Wieimmerländer Scrum-Treffen wie auch in "echten" agilen Projekten geht es im Besonderen um ein gemeinsames Grundverständnis von Agilität. Das Fundament bilden ein hohes Maß an Vertrauen und eine neue Haltung seitens der Führungskräfte. Dieses Buch vermittelt auf erzählerische Art eine Vielzahl von Denkanstößen für die Reflektion und Neugestaltung der eigenen Arbeitsweise. Die ergänzenden Kommentare der Autoren als "Reflecting Team" auf der Metaebene unterstützen den Leser beim Transfer der vermittelten Prinzipien, Praktiken und Werkzeuge in die eigene Berufspraxis.

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Dipl.-Inform. Holger Koschek (links im Bild) ist selbstständiger Berater, Trainer und Coach für fortschrittliches Management in kleinen und großen Projekten und Organisationen. Er unterstützt Teams und Führungskräfte im Projekt- und Produktmanagement sowie im Projektmarketing. Dabei legt er Wert auf eine klare Vision, wirksame Kommunikation, eine dynamische Arbeitsorganisation und eine von gemeinsamen Werten getragene Zusammenarbeit.

Holger Koschek gibt sein Wissen und seine langjährige Erfahrung gerne und regelmäßig in Form von Fachvorträgen und Büchern weiter. Dazu gehören die »Geschichten vom Scrum« (dpunkt.verlag) sowie die Bestseller »Scrum – kurz & gut« (O'Reilly) und »Management Y« (Campus).

http://holger.koschek.eu

Rolf Dräther (rechts im Bild) lebt und arbeitet in Hamburg als selbstständiger Berater und Coach. Aufbauend auf seinen langjährigen Erfahrungen, seinem ganzen Wissen, Können und seiner Intuition unterstützt er Teams, Führungskräfte und Unternehmen bei der Einführung, der Anpassung und dem täglichen Leben von Wandel und agilen Vorgehensweisen. Dabei ist ihm Freude bei der Arbeit ein besonderes Anliegen.

Im Oktober 2014 erschien bei O’Reilly sein Buch »Retrospektiven – kurz & gut«. Er ist Ko-Autor des Bestsellers »Scrum – kurz & gut« (O’Reilly 2013) und Übersetzer von Rini van Solingens »Der Bienenhirte« (dpunkt.verlag 2017), tritt regelmäßig als Sprecher auf (agilen) IT-Konferenzen auf und ist einer der Organisatoren von »Agile by Nature – Das Agile Camp des Nordens«.

http://happycentric.de

Zu diesem Buch – sowie zu vielen weiteren dpunkt.büchern – können Sie auch das entsprechende E-Book im PDF-Format herunterladen. Werden Sie dazu einfach Mitglied bei dpunkt.plus+:

www.dpunkt.plus

Holger Koschek • Rolf Dräther

Neue Geschichtenvom Scrum

Von Führung, Lernen und Selbstorganisation infortschrittlichen Unternehmen

Holger [email protected]://holger.koschek.eu

Rolf Drä[email protected]://happycentric.de

Lektorat: Christa Preisendanz

Copy-Editing: Ursula Zimpfer, Herrenberg

Satz: Nadine Thiele

Herstellung: Susanne Bröckelmann

Umschlaggestaltung: Helmut Kraus, www.exclam.de

Druck und Bindung: M.P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100 Paderborn

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN:

Print978-3-86490-273-4

PDF978-3-96088-434-7

ePub978-3-96088-435-4

mobi978-3-96088-436-1

1. Auflage 2018

Copyright © 2018 dpunkt.verlag GmbH

Wieblinger Weg 17

69123 Heidelberg

Abbildungen:

Mit freundlicher Genehmigung von PLAYMOBIL.

PLAYMOBIL ist ein eingetragenes Warenzeichen der geobra Brandstätter Stiftung & Co. KG.

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Abbildungen, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und daher strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

Es wird darauf hingewiesen, dass die im Buch verwendeten Soft- und Hardware-Bezeichnungen sowie Markennamen und Produktbezeichnungen der jeweiligen Firmen im Allgemeinen warenzeichen-, marken- oder patentrechtlichem Schutz unterliegen.

Alle Angaben und Programme in diesem Buch wurden mit größter Sorgfalt kontrolliert. Weder Autor noch Verlag können jedoch für Schäden haftbar gemacht werden, die in Zusammenhang mit der Verwendung dieses Buches stehen.

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Für Andrea, Nele, Marit, Lotta und für meine Eltern.H.K.

Für Kess. Und für meine Eltern.R.D.

Inhalt

1Einleitung

2Prolog

3Wieimmerland#meta

Tag 1

4Vorbereitungen

5Der Raum öffnet sich

6Verbitterung

7Markt der Ideen

8Handel und Wandel

9Überraschung

10Auszeit

11Open Space#meta

12Inspizieren und Adaptieren

13Auf Schatzsuche

14Verantwortung und Selbstorganisation

15Ein Rahmen für Scrum#meta

16Audienz beim GROSSEN SCRUM-RAT

17Komplexität organisieren#meta

18Werte sind die wahren Schätze I

19Das fünfte Prinzip

20Werte sind die wahren Schätze II

21Vollwertkost#meta

22Konspiration

23Schmetterlinge

24Agilität und Führung

25Abendnachrichten

26Der Raum wird geschlossen#meta

27Drachenspuk

Tag 2

28Frühstück#meta

29Morgennachrichten

30Hilfsorganisation

31Teamwork#meta

32Anhänglich

33Der Marktplatz ist bereitet

34Scrum oder Kanban?

35Entscheidungen#meta

36Der Zauber der Truhe

37Rollenkonflikte

38Berater oder Coach

39Rollen#meta

40Seilschaften

41Was auch immer geschieht

42Burgtheater

Tag 3

43Schlanker Tee

44Un(t)ruhestifter

45Retrospektive

46Retrospektive#meta

47Osmose

48Abschied

49Epilog

Anhang

ADie Geschichte der Musketiere

BDie Protagonisten

CGemmen der Wieimmerländer Staatsbibliothek

DBegriffe

Index

1Einleitung

Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung von Diskussionen zu agilen Themen Ähnlichkeiten mit Situationen in realen Projekten ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.

frei nach Heinrich Böll,»Die verlorene Ehre der Katharina Blum«

Willkommen zurück in Wieimmerland!

Drei Jahre sind vergangen, seit die »Musketiere der Drachenfalle« mithilfe des Einhorns Bumaraia aus dem Lande Scrum die beste und flexibelste Drachenfalle aller Zeiten in kleinen Schritten geplant und gebaut haben. Auf Geheiß von König Schærmæn dem Weißnichtwievielten hatten sich alle Mitglieder des erfolgreichen Scrum-Teams anschließend auf die verschiedenen Fallenwerkstätten im Land verteilt. Dort sollten sie als Berater die Ideen von Scrum auf die Drachenfallenproduktion übertragen (wer das erste Buch »Geschichten vom Scrum« nicht gelesen hat, findet in Anhang A eine ausführlichere Zusammenfassung der Ereignisse).

Scrum ist einfach zu lernen, aber schwer zu leben.

Scrum hat in Wieimmerland seinen Siegeszug angetreten – genau wie in unserer Welt. Hier wie dort stellen die Projektmitglieder fest, dass das Erlernen von Scrum recht einfach ist, das erfolgreiche Arbeiten mit Scrum hingegen viele Fragestellungen aufwirft, für die der Scrum Guide keine Antworten parat hat. Da hilft nur eines: Man macht sich auf eigene Faust auf die Suche nach Antworten, indem man sich mit anderen Agilisten und Scrum-Anwendern vernetzt und austauscht – wohl wissend, dass das, was woanders gut funktioniert, nicht zwingend auch im eigenen Kontext erfolgreich sein wird. Es gibt keine Patentrezepte für erfolgreiche Projekte.

Das zweite Wieimmerländer Scrum-Treffen

Eine gute Gelegenheit, um Gleichgesinnte zu treffen, sind bekanntlich Fachkonferenzen und Community-Treffen. Dieses Buch handelt vom zweiten Wieimmerländer Scrum-Treffen. Dort versammeln sich Anwender und Interessierte agiler Vorgehensweisen aus Wieimmerland und den Nachbarländern, um mit großer Freude und Neugier ihre Erfahrungen auszutauschen, neue Ideen zu entwickeln und Thesen kontrovers zu diskutieren. Veranstaltet wird dieses Treffen von den Musketieren der Drachenfalle. Die Organisatoren haben aus der ersten Auflage des Wieimmerländer Scrum-Treffens viel gelernt und diese Erfahrung in das Format des zweiten Treffens einfließen lassen. Inspect & Adapt par excellence.

Nur Scrum?

Wenngleich die Veranstaltung »Scrum-Treffen« heißt, so wird in den Sessions eine große Bandbreite agiler Themen diskutiert: Es geht unter anderem um agile Führung, Kanban, Verantwortung und Selbstorganisation, Rollenkonflikte – und immer auch um agile Werte. Nicht umsonst bilden Werte die Basis aller agilen Konzepte und Methoden – vom Agilen Manifest über Scrum, XP und Kanban bis hin zu moderner Führung.

In Anhang B werden die Protagonisten kurz vorgestellt.

Die Protagonisten des Buches (die in Anhang B kurz skizziert werden) machen durch ihr Handeln die agilen Werte erlebbar. Manchmal zeigen sie auch, was passiert, wenn jemand diese Werte verletzt.

Für wen ist dieses Buch?

Für neugierige Agilisten

Dieses Buch richtet sich an Menschen, die Anregungen für die Anwendung der gemeinhin als »agil« bezeichneten Projektmanagementmethoden im gesamten Unternehmen suchen und diese auf eine erzählerische Art und Weise vermittelt bekommen möchten. Sie haben schon praktische Erfahrungen mit agilen Methoden sammeln können und suchen nach Denkanstößen, um ihren agilen Horizont zu erweitern und neue Werkzeuge, Prinzipien und Praktiken kennenzulernen, die sie mit ihren Teams gemeinsam ausprobieren können. Dabei ist ihnen die thematische Breite wichtiger als die inhaltliche Tiefe.

Für Führungskräfte

Viele Diskussionsrunden des zweiten Wieimmerländer Scrum-Treffens behandeln oder berühren Führungsthemen. Selbstorganisierte Teams verlangen eine andere Art von Führung. Das erfordert oft eine neue Haltung seitens der Führungskräfte – und viel Vertrauen auf allen Seiten. Dieses Buch bietet Führungskräften eine Vielzahl von Denkanstößen für die Reflektion und Neugestaltung ihrer Rolle.

Für alle agilen Rollen

Apropos Rolle: Die Zielgruppe des Buches umfasst alle Rollen, die man in agilen Projekten antrifft – vom Product Owner bis zum Scrum Master, von der Entwicklerin bis zum Fachexperten. Es ist uns ein Anliegen, allen Rolleninhabern ein gemeinsames Grundverständnis von Agilität zu ermöglichen – gerade weil die gängigen Schulungen und Zertifizierungen ganz gezielt einzelne Rollen im Fokus haben. Immer wieder erleben wir in Projekten, dass einzelne Rollen eine Schulung durchlaufen haben, andere (meistens das Entwicklungsteam sowie die Auftraggeber und Führungskräfte) hingegen nicht. Dieses Ungleichgewicht an agilem Wissen sorgt oft für Missverständnisse und in der Folge für Probleme und Verzögerungen – die dann nicht selten der Methodik angelastet werden. Deshalb wollten wir ein Buch für alle an Agilität Interessierten schreiben.

Scrum-Grundwissen erforderlich

Dieses Buch ist kein Scrum-Lehrbuch. Wir verwenden die Scrum-Begriffe, ohne sie zu erklären – erwarten also gewisse Grundkenntnisse in Sachen Scrum. Aber keine Angst: Die Mechanik und Terminologie von Scrum lässt sich schnell erlernen. Einen guten Schnelleinstieg vermittelt – neben dem offiziellen Scrum Guide♦ – unser Buch »Scrum – kurz & gut«♦. Aber was soll dieses merkwürdige Zeichen hinter dem Buchtitel bedeuten?

Weiterführende und vertiefende Literatur

Die Gemme ♦ verweist auf die Literatur in Anhang C.

Zur tiefer gehenden Beschäftigung mit einzelnen Themen verweist eine kleine Gemme♦ im Text auf die Links und Literaturtipps in Anhang C »Gemmen der Wieimmerländer Staatsbibliothek«. Da dieses Buch wie erwähnt sehr breit und dafür weniger tief angelegt ist, lohnt sich der Blick in die »Gemmen«, um den diskutierten Themen auf den Grund zu gehen.

Ein Märchen – zwei Autoren

Viele Leser (und vor allem Leserinnen) der »Geschichten vom Scrum« ♦ haben das märchenhafte Wieimmerland liebgewonnen. Das mag daran liegen, dass dieses Land so ganz anders ist, aber doch sehr viele Ähnlichkeiten zu unserer alltäglichen Realität aufweist. Diese positiven Rückmeldungen haben uns dazu bewogen, die »Neuen Geschichten vom Scrum« wieder in Wieimmerland spielen zu lassen. Und wir haben es gewagt, die Fortsetzung als Autorenduo zu schreiben.

»Eine Geschichte von zwei Autoren? Das kann nicht funktionieren!« Diese Rückmeldung bekamen wir sehr früh, als wir uns auf die Suche nach Korrektoren und fachlichen Reviewern machten. Nachdem unser Kritiker anhand der ersten Kapitel nicht feststellen konnte, von wem welcher Text stammte, waren wir froh – und machten uns motiviert daran, den Rest des Buches zu schreiben.

Die Metaebene: Wo ist Bumaraia?

Ähnlich wie im ersten Buch gibt es eine Metaebene, auf der über die Handlung des Buches reflektiert wird. In den »Geschichten vom Scrum« war es das Einhorn Bumaraia, das in der Geschichte als Scrum-Coach agierte und auf der Metaebene das Erlebte und Beobachtete kommentierte und sein Scrum-Wissen mit dem Leser teilte.

Im vorliegenden Buch sind die Experten in der Geschichte zu finden – lauter erfahrene Agilisten, darunter auch ein Einhorn aus dem Lande Scrum. Auf der Metaebene agieren wir, die Autoren, als »Reflecting Team«: Wir beobachten und kommentieren das Geschehen, leisten den Transfer in unsere Welt und schildern persönliche Erfahrungen aus der Praxis, greifen aber nicht in die Handlung ein.

Einige Leser des ersten Buches empfanden den Wechsel auf die Metaebene als störend, weil sie dadurch immer wieder aus dem Erzählfluss gerissen wurden. Lesern, die sich vollständig in die Welt von Wieimmerland versenken möchten, empfehlen wir deshalb, die Metaebene beim ersten Lesen zu überspringen. Die entsprechenden Kapitel sind in der Überschrift mit dem Hashtag #meta gekennzeichnet.

Backlog?

Alle agilen Methoden kommen aus dem englischsprachigen Raum. Die Fachbegriffe sind dementsprechend englisch. Wir haben überall dort, wo wir es für sinnvoll hielten, einen deutschen Begriff verwendet. Im Index sind sowohl die deutschen als auch die englischsprachigen Begriffe aufgeführt. Dadurch lassen sich leichter Querbezüge zur englischsprachigen Literatur herstellen. Einige Scrum-spezifische Begriffe wie Sprint oder Product Backlog haben wir – analog zum ersten Buch – nicht übersetzt, obwohl es auch dafür deutsche Begriffe gibt. In Anhang D »Begriffe« haben wir den im Buch verwendeten deutschen Begriffen die englischen Begriffe in einer Tabelle gegenübergestellt.

Danksagungen

An der Entstehung dieses Buches waren viele Menschen mittelbar oder unmittelbar beteiligt. Wir hoffen, dass wir nachfolgend niemanden vergessen haben.

Die sprachliche und fachliche Güte dieses Buches ist nicht zuletzt auch ein Verdienst unserer Reviewer. Sie haben verschiedene, teilweise sogar mehrere Fassungen des Manuskripts gelesen und kommentiert. Das ist, wie wir aus eigener Erfahrung wissen, eine große und mitunter anstrengende Aufgabe. Unser Dank gilt Andreas Christ, Andreas Erber, Ellen Friehe, Heinz Koschek, Veronika Kotrba, Hannes Kropf, Kathleen Kühmel, Thomas Lieder, Ralph Miarka, Silke Notheis und Juliane Schmid. Ursula Zimpfer hat als Copy-Editorin nicht nur unsere Rechtschreibund Grammatikfehler ausgemerzt, sondern ganz nebenbei ein paar logische Ungereimtheiten aufgedeckt.

Besonders hervorheben möchten wir den Beitrag von Jens Himmelreich zu diesem Buch. Er hat uns im Jahr 2011 mit seinem Vortrag »Das agile Ich« ♦ eine neue Perspektive auf die agile Welt eröffnet, die uns nachdenklich gestimmt hat. Ein Großteil der Diskussionen im Kapitel »Was auch immer geschieht …« basiert auf diesen Gedanken – und auf einem Text, den Jens für uns geschrieben hat, damit wir ihn ins Wieimmerland mitnehmen.

Wir freuen uns über die freundliche Genehmigung von PLAYMOBIL, Abbildungen ihrer Figuren in diesem Buch verwenden zu dürfen und damit die Bilderwelt aus dem ersten Buch fortführen zu können.

Ein besonderer Dank geht an unsere Lektorin Christa Preisendanz vom dpunkt.verlag für ihre Motivation, Begeisterung und die große Geduld, mit der sie dieses Buchprojekt begleitet hat.

Website

Mehr Informationen zum Buch und zu agilen Themen finden Sie unter www.scrum-geschichten.de.

Holger Koschek & Rolf DrätherWedel/Hamburg, im Dezember 2017

2Prolog

In einer dunklen Drachenburg, hoch in den rauen Bergen

Die lange Tafel in der Großen Halle war bis auf den letzten Platz besetzt. Ein prasselndes Feuer im großen Kamin und Berge glühender Kohlen in gusseisernen Becken mühten sich, den hohen Raum zu erwärmen. Unzählige Fackeln flackerten entlang der Wände und konnten doch kaum die Schatten aus den Ecken vertreiben. Vom großen Kronleuchter mit seinen Dutzenden Kerzen fiel hin und wieder ein Tropfen Wachs herab.

An der Stirnseite des Raumes, unter Bannern und Trophäen, saß auf einem finsterschönen Thron aus schwarzem Obsidian ein großer alter Smok – der Drachenkönig. Rauch kräuselte von seinen Nüstern zur Decke. Zu seiner Linken und Rechten hatten die engsten Berater und Gefährten Platz genommen. Allesamt erfahren und kampferprobt. Man sollte meinen, sie hätten in ihren langen Leben schon so viel erlebt und gesehen, dass sie nichts mehr erschüttern könnte. Und doch lag eine deutlich spürbare Ratlosigkeit in der Luft.

Der König hatte diese Versammlung einberufen, weil das Leben für Drachen in den letzten Jahren immer gefährlicher und mühsamer geworden war. Das konnte so nicht weitergehen. Gerade trat ein Vertreter der vegetarischen Fraktion vor den Thron und wandte sich an den König.

»Euer Hoheit, wir wissen nicht mehr weiter. Seit die Wieimmerländer diese neuen Fallen verkaufen, können wir kaum noch unsere Familien mit dem Nötigsten versorgen. Immer wieder werden wir bei der Nahrungssuche auf den Feldern der Menschen zum Opfer dieser raffinierten Geräte. Über Generationen weiterentwickelte Strategien, mit denen wir früher viele Gefangene rechtzeitig befreien konnten, ehe die Ritter des Königs eintrafen, erweisen sich heute ein ums andere Mal als wirkungslos. Immer öfter müssen wir mit ansehen, wie unsere Kameraden in Gefangenschaft geraten oder sogar den Tod finden. Selbst Eure Drachenrettungskreuzer müssen häufig unverrichteter Dinge abdrehen, um nicht selbst unter ritterlichen Beschuss zu geraten.« Ein bestätigendes Murmeln ging durch die Reihen der Anwesenden, und so mancher Drache grollte lautstark: »Genau wie bei uns. Genau wie bei uns. Diese neuen Fallen sind ein fürchterliches Übel!« Nach einem fauchenden Flammenstoß aus den königlichen Nüstern kehrte wieder Ruhe im Saal ein. »Was ist da los?«, fragte der König in die Runde seiner Berater. »Warum gelingt es uns nicht mehr, die Technik dieser Menschen zu überwinden und unsere Landsleute zu befreien?«

»Weil sich etwas an der Arbeitsweise der Menschen verändert hat.« Der Oberste Drachenfallen-Hacker trat vor den König, putzte umständlich die Gläser seiner Nickelbrille und wandte sich dann blinzelnd an die versammelte Runde. »Damals wie heute analysieren wir alle Fallenkonstruktionen sehr genau. Wir dokumentieren jede bekannt gewordene Schwachstelle und beschreiben, wie sie sich für Befreiungsversuche nutzen lässt. Und damit waren wir bisher sehr erfolgreich, denn es dauerte ewig, bis die Menschen die von uns genutzten Schwachstellen in der nächsten Fallenversion behoben hatten. Doch nie wurden alle Schwachstellen beseitigt. Zusätzlich gab’s neue Lücken im System. Denn stets wurden bei der Fehlerbehebung und Weiterentwicklung unbemerkt neue Fehler gemacht.«

»Jaja, das wissen wir ja alles.« Der Drachenkönig schnaubte ungeduldig kleine Feuersäulen aus seinen Nüstern und trommelte mit den Krallen auf die Armlehne des Throns. »Kommt auf den Punkt. Warum seid ihr neuerdings so unfähig?« Nach einem Moment der Stille fuhr der Oberste Drachenfallen-Hacker an den König gewandt fort: »Bitte – nennt uns nicht unfähig, Majestät. Nicht wir, sondern die Menschen und die Fallen haben sich verändert. Kaum, dass wir heute eine neue Schwachstelle gefunden und zur Befreiung benutzt haben, ist sie auch schon behoben und die verbesserte Fallenversion im Einsatz. Und ganz im Gegensatz zu früher werden bei dieser Anpassung keine neuen Fehler gemacht. Die Fallen werden einfach immer besser. In immer kürzerer Zeit. Wir kommen nicht mehr hinterher.« Den letzten Satz hatte er leise und mit gesenktem Kopf gesprochen, denn er war nicht für die königlichen Ohren bestimmt. »Und alles nur«, rief er dann, vor unterdrückter Empörung Rauch und Funken speiend, »wegen dieses Scrum, mit dem sie nun arbeiten! Das macht sie so schnell und flexibel. Ich sage euch, Scrum ist das wahre Übel!«

Wieder erhob sich Tumult im Saal. Alle schnaubten, rauchten und grollten durcheinander, bis der König mit einem langen Flammenstoß donnernd dazwischenfuhr: »Seit undenklichen Zeiten leben wir hier. Das ist unsere Heimat. Und daran kann niemand und nichts etwas ändern! Wir werden dieses Scrum vernichten!«

Noch in derselben Nacht verließ ein dunkler Schatten die Drachenburg.

3Wieimmerland#meta

Früher Abend, Holger und Rolf sitzen auf einem Mauerrest am Ufer des Mainstream.

Rolf: Einfach herrlich (schaut über den Mainstream und seufzt). So lässt es sich aushalten. Ich hätte nicht gedacht, dass es im Wieimmerland so schön ist. Wie fühlt es sich eigentlich für dich an, wieder hier zu sein?

Holger: Wundervoll (lehnt sich zurück, stützt beide Hände auf die Mauer und atmet die kühle Luft ein, die vom Fluss heraufweht). Seit ich die Geschichte des ersten Wieimmerländer Scrum-Projekts aufgeschrieben und in die Welt getragen habe, wollte ich immer noch einmal zurückkehren. Wollte wissen, was sich aus diesen Anfängen entwickelt hat. Und wie es den Musketieren der Drachenfalle dabei ergangen ist. Und so kam Bumaraias Anregung, das zweite Wieimmerländer Scrum-Treffen zu besuchen, gerade recht.

Rolf: Ja, die Musketiere. Ich bin gespannt, wie es Aschenputtel, Hexe, Prinz, Großväterchen, Gespenst und Ritter heute geht. Nachdem ich deine Geschichte oft gehört und selbst vorgelesen habe, fühlt es sich an, als wäre ich mit ihnen befreundet. Als würde ich die sechs schon ein Leben lang kennen. Sie kommen mir so vertraut vor.

Holger: Auf den Prinzen müssen wir wohl leider verzichten. Ich habe gehört, dass er in dringenden Regierungsgeschäften unterwegs ist. Aber seine Frau ist ja dabei. Du weißt, dass das Aschenputtel den Prinzen geheiratet hat, oder?

Rolf: Hmm-hmm (nickt). Nun – ich sollte sie wohl besser nicht mehr als Aschenputtel bezeichnen, sondern als Prinzessin, die sie ja jetzt ist.

Holger: Hattest du nicht auch das Gefühl, dass Bumaraia recht geheimnisvoll tat? Vor allem als sie sagte, wir sollten auf ein paar Überraschungen gefasst sein, hatte ich eine unbestimmte Vorahnung. Irgendwoher kommt mir das bekannt vor. Ich kann es nur noch nicht greifen.

Rolf (schaut einem kleinen Frachtsegler hinterher, der langsam um eine Flussbiegung verschwindet): Jetzt, da du es sagst. Irgendwie schwang da eine sonderbare Vergnügtheit mit, als sie meinte, dass es nach dem festlichen Charakter des ersten Scrum-Treffens dieses Mal mehr um den Austausch von Erfahrungen gehe – mal sehen, was sich die Musketiere als Organisatoren des diesjährigen Treffens überlegt haben.

Holger: Weil ich die fünf und ihren Hang zu unkonventionellen Ansätzen kenne, bin ich umso neugieriger (schmunzelt, wirft einen Kiesel ins Wasser und betrachtet die auseinanderlaufenden Wellen). Aber ich muss mich wohl bis morgen in Geduld üben. Da hilft weder Grübeln noch Spekulieren. Davon schläft man höchstens unruhig.

Rolf: Franz von Assisi hat mal gesagt: »Habe Hoffnungen, aber keine Erwartungen. Dann erlebst du vielleicht Wunder, aber niemals Enttäuschungen.«

Holger: Da ist was dran. Apropos Hoffnungen: Ich bekomme langsam Hunger und habe die Hoffnung, dass uns die Wirtin in unserer Herberge ein Bier und ein Abendessen serviert.

Rolf: Ja, gute Idee! Lass uns zurückgehen und etwas essen. Und dann ab ins Bett, sodass wir morgen früh fit und ausgeschlafen sind. Wird sicher ein langer und spannender Tag werden. Übrigens: Schön, dass ich bei diesem Wieimmerländer Abenteuer dabei sein kann.

Holger: Ja – Abenteuer! Dieses Wort schoss auch mir nach den Andeutungen Bumaraias durch den Kopf. Ich freue mich, dass wir das gemeinsam erleben werden. Lassen wir uns überraschen!

Tag 1

4Vorbereitungen

Die Sommerresidenz des Wieimmerländer Königshauses an einem nebligen Maimorgen

Als das Großväterchen die hohen Flügeltüren des Ballsaals öffnete und die frische Morgenluft einatmete, die eine leichte Brise in den Saal trug, ebbte das Gewimmel und Gemurmel in seinem Kopf langsam ab. Über den Wasserfällen des Mainstream bahnte sich die Sonne ihren Weg durch die Wolken. Licht, Luft und Ruhe – endlich!

Das Großväterchen trat an das Geländer der Veranda und schaute lange in den Garten der Sommerresidenz, der an diesem Frühlingsmorgen ruhig und menschenleer vor ihm lag. »So wie früher, als ich allein in meiner Hütte im Wald lebte«, erinnerte es sich an die Zeit zurück, als ihm tagelang keine Menschenseele begegnet war.

Vom Musketier zum Mentor

Und dann hatte der Bau der besten Drachenfalle aller Zeiten sein Leben gehörig auf den Kopf gestellt. Mit einer bunt zusammengewürfelten Gruppe Wieimmerländer Bürgerinnen und Bürger hatte das Großväterchen eine Falle gebaut, die so flexibel erweitert und verändert werden konnte, dass die Konstruktion den Befreiungsversuchen der schlauen Drachen immer einen Schritt voraus war. Das Großväterchen, einst ein begabter Drachenfallenbauer, hatte wieder Gefallen an der Arbeit innerhalb einer Mannschaft gefunden. Und so war es traurig gewesen, als dieses Projekt, bei dem sie das Einhorn Bumaraia aus dem Lande Scrum methodisch unterstützt hatte, plötzlich zu Ende war. Einerseits. Andererseits erfüllte es ihn mit Stolz, dass ihn König Schærmæn der Weißnichtwievielte höchstpersönlich mit der Aufgabe betraut hatte, sein bei diesem Projekt erworbenes Wissen in die Fallenwerkstätten des Landes zu tragen.

All das war nun schon drei Jahre her, und seitdem spazierte das Großväterchen wie in jungen Jahren jeden Morgen zu Fuß in die Fallenwerkstatt, um dort den Baumeistern und Gesellen die Kunst des Fallenbaus mithilfe der Methodik aus dem Lande Scrum zu lehren. Diese Tätigkeit entsprach seinem Naturell, und es verfügte über das erforderliche Fachwissen und genügend Lebenserfahrung, um seinen Schützlingen ein guter Lehrer zu sein.

Einzig das fehlende Vertrauen in die Fähigkeiten und Fertigkeiten der anderen hinderte das Großväterchen so manches Mal daran, loszulassen und die Entscheidungen in die Hände der Fachexperten zu legen. Diesen Mangel an Grundvertrauen hatte das Großväterchen auch heute wieder an sich selbst beobachtet, als es sich hier im Ballsaal der Sommerresidenz um jede Kleinigkeit persönlich kümmern wollte. Schließlich sollte dieses zweite Wieimmerländer Scrum-Treffen perfekt werden.

»Das Scrum-Treffen!« Das Großväterchen hatte tatsächlich für einen Moment vergessen, warum es zu früher Stunde auf der Terrasse der Sommerresidenz stand. Sofort waren die Zweifel wieder da. War es wirklich eine gute Idee, das kommende Treffen so ganz anders zu gestalten?

Das erste Wieimmerländer Scrum-Treffen

Auf Geheiß des Königs hatte der Hofmarschall vor eineinhalb Jahren die Vorbereitung und Organisation des ersten Wieimmerländer Scrum-Treffens übernommen. Es war eine pompöse Zusammenkunft geworden, eine einzige große Zeremonie. Kein Wunder: Mehr als ein Jahr nach dem Erfolg des ersten Scrum-Projekts auf Wieimmerländer Boden hatten sich die neuen Vorgehensweisen in den Fallenwerkstätten im ganzen Land und darüber hinaus herumgesprochen. Die Scrum-Euphorie war von Beginn an groß gewesen. Und obwohl das Großväterchen sonst eher zurückgezogen lebte, war es unbestritten auch angenehm, so im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu stehen und gefeiert zu werden. Die Musketiere der Drachenfalle hatten die Begeisterung genossen und mit Hoffnungen verbunden.

Beim ersten Wieimmerländer Scrum-Treffen hatten Empfänge, Würdigungen, Grußbotschaften und Expertenvorträge einander in detailliert geplanter Folge abgelöst. Es war viel über Scrum gesprochen worden, aber kaum einer der Festredner war an anderen Meinungen ernsthaft interessiert. Im Gegenteil – ein jeder hatte seine Auffassungen so vertreten, als wären sie die einzig wahren. Schon damals hatten sich dabei besonders die Vertreter des GROSSEN SCRUM-RATS hervorgetan.

Wie sich das Großväterchen später erinnerte, hatten die wirklich fruchtbaren Diskussionen in den wenigen kurzen Pausen stattgefunden. In kleinen Gruppen, die spontan bei einem Kräutertee auf der Terrasse oder in den Gängen zusammengetroffen waren, hatte man leidenschaftlich über eigene Erfahrungen bei der Umsetzung der »reinen Lehre« diskutiert. Und häufig war es passiert, dass jemand neu hinzukam und etwas sagte wie: »In der anderen Gruppe habe ich gerade dieses und jenes gehört. Das passt doch genau zu eurem Thema, oder?« und damit dem Gespräch einen neuen und ungeahnten Impuls gab. Wären diese Pausengespräche nicht gewesen, hätte das Großväterchen von diesem Scrum-Treffen wohl gar keine neuen Denkanstöße mitgenommen.

So war es kein Wunder, dass das Großväterchen in der Folgezeit oft darüber nachgedacht hatte, wie man diese Kraft der Pausen stärker nutzen könnte. Zumal der alte Mann auch während seiner täglichen Arbeit als Lehrer in den Fallenwerkstätten immer wieder ähnliche Beobachtungen machte. In den Pausen oder am Ende der Zusammenkunft standen die Menschen in kleinen Gruppen beisammen und besprachen die wirklich interessanten Themen. Jetzt kamen die eigentlichen Probleme und Fragen zur Sprache. So reifte nach und nach in ihm ein verrückter Gedanke: Was, wenn eine solche Zusammenkunft ganz und gar aus Pausen bestünde? Das müsste doch großartig sein, weil alle Zeit dann für die wirklich bedeutsamen Themen genutzt würde. Aber – wie könnte so etwas aussehen? Wie müsste er ein solches Treffen organisieren? Und mit wem?

Ein Konzept für das zweite Wieimmerländer Scrum-Treffen

Lange hatte er hin und her überlegt, ehe er seine Ideen und Beobachtungen mit den anderen Musketieren teilte und ihnen – noch unsicher – sein neues Konzept für das nächste Scrum-Treffen vorstellte. Er wollte einen Rahmen, einen Raum schaffen, in dem jeder Teilnehmer seine eigenen Themen vorstellen und mit anderen diskutieren konnte. In einer offenen und ungezwungenen Atmosphäre, genau wie in einer Pause.

Der Ritter war sofort begeistert. Und dann hatten sie gemeinsam überlegt, wie so ein Treffen genau aussehen könnte: Alle von den Teilnehmern eingebrachten Themen würden auf Schiefertäfelchen an einer großen Wand gesammelt und jeweils einem Raum und Zeitpunkt, an dem das Thema besprochen werden sollte, zugeordnet werden. So könnte ein Programm entstehen, das die Teilnehmer selbst mitbrachten und zusammenstellten. Außerdem sollte sich niemand zur Teilnahme an Sitzungen gezwungen fühlen, sondern frei auswählen können. Diese und noch ein paar andere einfache Regeln für ein solches Treffen hatten sie gemeinsam zusammengetragen und waren damit voller Euphorie zum König gelaufen.

Im Taumel der Begeisterung hatte damals alles so schlüssig ausgesehen. Aber ohne ein vorbereitetes Programm zu starten – diese Vorstellung bereitete dem Großväterchen auch heute immer noch die größten Bauchschmerzen. Und das, obwohl es in den Werkstätten schon mehrfach erlebt hatte, dass es funktionierte. Schlagartig stieg sein Puls an, und sein Kopf schaltete wieder in den Arbeitsmodus. Eilig ging es im Geiste noch einmal die Liste der wichtigsten Aufgaben durch: »Der Stuhlkreis ist aufgebaut, Schiefertäfelchen und Griffel liegen bereit, die Wand für die Themen ist vorbereitet. Speisen und Getränke müssten jeden Moment eintreffen. Ich muss den Hofmarschall fragen, wie viele Anmeldungen er für das Treffen registriert hat, um gegebenenfalls noch weitere Stühle zu besorgen. Und dann muss ich noch überprüfen, ob in allen Räumen die Arbeitsmaterialien …« »Ähem …« – neben dem Großväterchen war ein junges Mädchen erschienen, das sich offensichtlich nicht traute, den alten Mann aus seinen Gedanken zu reißen. Das Großväterchen drehte sich um und blickte das Mädchen fragend an: »Ja, bitte?« »Ich wollte nur sagen …« »Wenn Ihr es sagen wollt, warum tut Ihr es dann nicht einfach?«

Alles ist vorbereitet.

»Also, ich kann Euch mitteilen, dass in allen Räumen die gewünschten Arbeitsmaterialien in ausreichender Zahl vorhanden sind.« »Und die Regeln für den Ablauf des Treffens?«, wollte der Alte wissen. »Hängen im Ballsaal gut sichtbar aus.« »Gut.« Das Mädchen war im Begriff, in den Ballsaal zurückzukehren, als sich das Großväterchen räusperte. »Wartet bitte!« »Ja?« Das Mädchen blickte ihn fragend an. »Ich danke Euch, dass Ihr diese Aufgaben so gewissenhaft erledigt habt«, sagte das Großväterchen mit einem freundlichen Lächeln. »Jetzt sind wir bestens vorbereitet – und mir ist auch gleich viel wohler. Danke!« »Keine Ursache – gern geschehen!« Die Überraschung, die in der Stimme des Mädchens mitschwang, ließ das Großväterchen schmunzeln. »Es ist doch immer wieder erstaunlich, dass ein ehrlicher Dank überrascht aufgenommen wird. Dabei sollte das etwas Selbstverständliches sein. Andererseits – auch ich habe eine Weile gebraucht, ehe ich ganz selbstverständlich ›Danke‹ sagen konnte. Wie gut, dass Bumaraia mich während des Drachenfallenprojekts immer wieder daran erinnert hat …«

Tief in Gedanken versunken, spürte das Großväterchen plötzlich ein Zupfen am Ärmel. Die Hexe stand neben ihm und schaute ihm in die Augen. »Lasst uns anfangen, es ist Zeit.« Damit wandte sie sich der Terrassentür zu. Das Großväterchen seufzte noch einmal kurz und atmete tief ein. Beim Ausatmen straffte es sich und folgte der Hexe in den Saal.

5Der Raum öffnet sich

Im Ballsaal der Sommerresidenz

Eine bunte Gesellschaft hatte sich im Ballsaal eingefunden. Da waren junge Männer, die Barette in allen Farben der Wieimmerländer Fallenwerkstätten trugen. Bärtige Magier mit spitzen Hüten und wallenden Umhängen saßen neben Waldarbeitern in schlichten Gewändern. Die Vertreter der Schmiedegilden trugen ihre besten Lederschürzen. Hier und da wippten Federbüsche auf ritterlichen Helmen. Besonders fielen jedoch die prunkvollen Gewänder und reich verzierten Kopfbedeckungen der Vertreter des GROSSEN SCRUM-RATS ins Auge. Vereinzelt sah man mit Turbanen, Pluderhosen und anderen fremdartigen Gewändern gekleidete Gäste aus den nahen und fernen Nachbarländern. Und zur allgemeinen Freude war auch ein Einhorn aus dem Lande Scrum angereist.

Der Stuhlkreis

Einfache Stühle mit bequemen Polstern waren in konzentrischen Kreisen rund um eine aufwendig beschlagene hölzerne Truhe aufgereiht. Auf dieser Schatzkiste flackerten Kerzen in einem mehrarmigen Leuchter. Ringsum häuften sich Schiefertäfelchen und Griffel. Der Ballsaal war bis auf den letzten Platz besetzt und von einem auf- und abschwellenden Gemurmel erfüllt. Mit einer Mischung aus Anspannung und Vorfreude musterten die Teilnehmer einander und spekulierten über das, was sie in den nächsten Stunden erwarten würde. Zu ungewöhnlich war diese runde Sitzordnung, die nur an einer Seite offen blieb. Dort, an der Stirnseite des Ballsaals, standen die Musketiere der Drachenfalle: Prinzessin, Hexe, Großväterchen, Gespenst und Ritter. Das Großväterchen warf noch einmal einen kurzen Blick nach rechts und links zu seinen Mitstreitern, dann trat es einen Schritt nach vorn und hob eine Hand in die Höhe. Einer nach dem anderen folgten die Gefährten seinem Beispiel. So standen sie einen Augenblick. Nach und nach reckten sich immer mehr Arme der Teilnehmer im Raum nach oben und die Gespräche verebbten. Irgendwann war auch das letzte Wispern verstummt. Ein Schmunzeln stahl sich auf das Gesicht des Großväterchens.

»Danke«, sagte es, nahm den Arm herunter und schaute in die Runde. »Danke, dass wir gleich zu Beginn dieses Treffens auf so eindrucksvolle Weise miteinander erleben durften, wie Selbstorganisation funktioniert.« Es begann langsam entlang der vorderen Stuhlreihe im Kreis zu laufen. »Vielleicht können wir miteinander dieses Signal verabreden, wann immer die Aufmerksamkeit aller gebraucht wird. Einfach das Sprechen einstellen und eine Hand heben.« Wieder schaute es in die Gesichter im Saal und registrierte nach ersten verwunderten Blicken mehrheitlich zustimmendes Nicken. Der Knoten in seinem Bauch wurde spürbar kleiner.

»Herzlich willkommen zum zweiten Wieimmerländer Scrum-Treffen. Schön, dass Ihr so zahlreich den Weg in die königliche Sommerresidenz gefunden habt.« Es nahm seine Wanderung entlang der Stuhlreihen wieder auf. »Ich denke, es ist für jeden offensichtlich, dass dieses Treffen anders werden wird als unsere letzte große Zusammenkunft. Aber bevor ich Euch erkläre, worin die Unterschiede bestehen«, dabei wies es auf die Wand hinter sich und die Griffel und Schiefertäfelchen in der Mitte, »bitte ich unseren König, das Treffen zu eröffnen. Verehrte Teilnehmer – bitte erhebt Euch!«

König Schærmæn – ein würdiger Gastgeber

König Schærmæn der Weißnichtwievielte begrüßte zunächst die Gäste aus dem Ausland und dankte den Wieimmerländer Teilnehmern für deren aktives Engagement und die spürbaren Fortschritte in der Fallenproduktion. Durch die Neuerungen in der Herangehensweise, sagte er, sei es gelungen, die Konstruktion, Qualität und Zuverlässigkeit der Wieimmerländer Fallen deutlich zu verbessern. Als Beweis führte er an, dass es in den vergangenen Monaten den Drachen immer seltener gelungen sei, sich wieder aus den Fallen zu befreien. »Und«, hob er hervor, »wann immer eine Schwachstelle in der Konstruktion bekannt wurde, konnte diese zeitnah behoben und eine neue, zuverlässigere Version der Drachenfalle ausgeliefert werden. Das wäre noch vor drei Jahren undenkbar gewesen.« Dann ging er noch einmal auf das inzwischen legendäre erste Wieimmerländer Scrum-Projekt ein. »Die Konstruktion der besten und flexibelsten Drachenfalle der Welt – das war meine Vision. Fünf Wieimmerländer Bürgern – mittlerweile bekannt als ›Musketiere der Drachenfalle‹ – ist es gelungen, mittels einer neuen Herangehensweise aus dieser Vision etwas zu entwickeln, das heute ein Exportschlager unseres Landes ist. Dafür brauchte es viel Mut und persönlichen Einsatz. Nicht einmal die Musketiere selbst waren von Anfang an davon überzeugt gewesen, dass dieses Projekt gelingen würde.« Dabei schaute der König schmunzelnd in Richtung Hexe. »Ihr alle kennt diese fünf, denn nach Abschluss des Projekts haben sie auf meinen Wunsch ihr Wissen und ihre Erfahrungen in die Fallenwerkstätten getragen und mit teils ungewöhnlichen Ansätzen beachtliche Fortschritte erzielt. Für dieses unablässige Engagement möchte ich heute, zum Auftakt des zweiten Wieimmerländer Scrum-Treffens, meinen königlichen Dank aussprechen.«

Im Saal erhob sich tosender Beifall. Der Ritter nahm – soweit das möglich war – eine noch stattlichere Haltung an, das Gespenst leuchtete vor Glück in allen Farben des Regenbogens, die Hexe schaute lächelnd in die Runde und auch der Prinzessin, dem früheren Aschenputtel, war die Freude anzusehen. Einzig das Großväterchen blickte etwas verlegen zu Boden. »Und ich habe keinen Augenblick gezögert«, fuhr der König fort, »als mich diese fünf aufsuchten, mir ihre neuen Ideen vortrugen und mich baten, dieses zweite Scrum-Treffen auf eine andere, ungewöhnliche Weise gestalten zu dürfen. Aber ich will nicht zu sehr vorgreifen. Werte Teilnehmer! Die Räume der königlichen Sommerresidenz stehen Euch offen, die Köche der Schlossküche werden für Euer leibliches Wohl sorgen, und so mancher gute Tropfen aus dem königlichen Weinkeller sowie mehrere Fässer Bier sollen an den Abenden den Gedankenaustausch beflügeln. Darüber hinaus werden die Musketiere und ihre Helferinnen und Helfer Sorge dafür tragen, dass es Euch in den kommenden Tagen an nichts fehlt. Nutzt die Zeit, tauscht Euch aus, lasst Euch inspirieren. Ich wünsche allen dabei viel Freude und Erfolg. Und glaubt mir: Was auch immer geschieht, ist das Einzige, was zu diesem Zeitpunkt geschehen kann. Deshalb rufe ich Euch zu: Seid bereit für Überraschungen!«

Lang anhaltender Jubel, Applaus und Hochrufe begleiteten den König, als er den Saal verließ. Dann traten die Musketiere einen Schritt nach vorn. Wie schon zu Beginn hob das Großväterchen die rechte Hand in die Höhe. Dieses Mal reagierte die Runde deutlich schneller auf das Signal. Bald hatten alle Teilnehmer Platz genommen. Es machte sich eine erwartungsvolle Stille im Saal breit und so mancher fragte sich, wie es jetzt wohl weitergehen würde.

Den Raum öffnen

Die Hexe und das Großväterchen begannen, etwas versetzt zueinander, langsam entlang der Stuhlreihen im Kreis zu gehen. »Ich freue mich sehr«, begann das Großväterchen, »dass Ihr alle zum zweiten Wieimmerländer Scrum-Treffen gekommen seid. Unser König hat es bereits angedeutet: Dieses Treffen wird anders verlaufen als unsere erste Zusammenkunft vor einem Jahr.« »Zur Einstimmung«, nahm die Hexe den Faden auf, »möchte ich Euch eine kleine, sehr persönliche Geschichte erzählen.« Während sie weiter mit dem Großväterchen in der Runde lief, erzählte die Hexe, wie sie seinerzeit in die Drachenfallenmannschaft gekommen war und dass sie damals von der ganzen Sache überhaupt nicht überzeugt gewesen sei. Und, wie sich jeder vorstellen könne, hätte sie daraus auch gar keinen Hehl gemacht. Der Prinz als Scrum-Meister und alle anderen Musketiere hatten sicher anfangs sehr darunter gelitten. Was sie irritiert hatte, war das unbedingte Vertrauen, das der König dieser bunt zusammengewürfelten Truppe entgegenbrachte. Noch heute hört sie ihn fragen: »… wenn ich an diese Mannschaft glaube, warum in aller Welt solltet Ihr das dann nicht ebenfalls tun? Ich habe Euch meine volle Unterstützung zugesagt und ich stehe zu meinem Wort.« Das hatte ihr immer wieder zu denken gegeben. Vertrauen als Vorschuss – so etwas hatte sie bis dahin noch nicht erlebt. Deshalb hatte sie sich erst einmal halbherzig auf die Herausforderung des Projekts einlassen wollen.

Was dann geschah, hat ihr Leben wohl für immer verändert. Sie hatte gesehen, wie die Mannschaft mit jedem Tag enger zusammengerückt war. Wie jeder sein Bestes gegeben und entsprechend seinen besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten zum Erfolg beigetragen hatte. Und als sie erlebte, dass das Vertrauen und die volle Unterstützung des Königs keine leeren Worte waren, hatte auch sie endlich ihre Zweifel beiseite geschoben. Und sie hatte Vertrauen fassen können: in die Herangehensweise, den Produktverantwortlichen, das Fallenprojekt an sich und am Ende in die eigene Kraft. So erfuhr sie die magische Wirkung, die in den Scrum-Werten steckte, am eigenen Leibe und lernte viel über Offenheit, fokussiertes Arbeiten, mutiges Voranschreiten und wie befreiend es sein kann, auch mal einen Fehler machen zu dürfen. Vor allem aber, was es bedeutet, wenn man von den anderen angenommen und respektiert wird, so wie man ist.

Agile Schätze

Die Augen der Hexe strahlten: »Seither ist meine Begeisterung für die ungeheure Kraft, die den Scrum-Werten – Selbstverpflichtung, Mut, Fokus, Offenheit und Respekt – innewohnt, weiter gewachsen. Und bei der Arbeit mit Mannschaften, die versuchen, nach Scrum zu arbeiten, ist mir noch etwas klar geworden: Gerät bei deren täglicher Arbeit das Wertesystem von Scrum in Vergessenheit, dann bleibt am Ende nur reine Mechanik übrig, die kaum Nutzen stiftet.« »Das fühlt sich an, als beherrschte man beim Ball zu jedem Tanz die korrekten Schritte, folgte ihnen jedoch ohne jegliche Leidenschaft«, fügte das Großväterchen an. »Ich frage Euch, würdet Ihr gern mit einer solchen Marionette tanzen? Und – würdet Ihr das überhaupt einen Tanz nennen?« Vereinzelt war beifälliges Murmeln zu hören.

»Vielleicht habt Ihr Euch gefragt, wozu diese Truhe hier steht.« Die Hexe hatte sich herabgebeugt und strich mit der Hand über den kunstvoll beschlagenen Deckel. »Nun, in ihr sind unsere wertvollsten Schätze – die agilen Werte – sicher verwahrt. Dazu gehören auch die erwähnten Scrum-Werte, ohne die es kein funktionierendes Scrum gibt. Aber nicht allein Scrum hat eine Wertebasis. Ich erinnere mich an das uralte ›Manifest des Drachenfallenbaus‹, in dem vier Wertepaare eine zentrale Rolle spielen. Ich weiß, dass ich diese Pergamentrolle irgendwo habe – sie wäre eine Diskussion wert … Wie auch immer: Als Sinnbild für die zentrale Rolle dieser Werte steht die Truhe im Mittelpunkt der Stuhlkreise und unseres Treffens. Lasst uns deshalb gemeinsam dafür sorgen, dass dieser Schatz nicht in Vergessenheit gerät oder gar verloren geht.« Nach einem Moment der Stille fuhr die Hexe fort: »Ich möchte Euch nun alle bitten, Euch mit den Nachbarn in Dreiergruppen zusammenzufinden und darüber auszutauschen, welche Erfahrungen Ihr bereits mit den Scrum-Werten gemacht habt. Ihr bekommt dafür fünf Minuten Zeit.« Bei diesen Worten zog die Prinzessin eine Uhr auf, die mit deutlichem Glockenschlag das Ende dieses Zeitrahmens verkünden würde.

»Werte? Pah!« Sichtlich empört erhob sich ein Mitglied des GROSSEN SCRUM-RATS von seinem Platz und steuerte den Nebenraum des Ballsaals an. Dort war ein reichhaltiges Büfett aufgebaut. Und während die anderen Teilnehmer angeregt über die Werte diskutierten, genehmigte sich der Scrum-Advokat ein spätes Frühstück.

Offener Raum

»Wer von Euch beim ersten Scrum-Treffen bereits dabei war«, sagte das Großväterchen, »dem ist es vielleicht ein wenig wie mir ergangen. Die interessantesten und inspirierendsten Gespräche, so schien es mir, habe ich in den wenigen und knappen Pausen geführt. Wie gern wollte ich das eine oder andere Thema vertiefen, statt im nächsten Festvortrag Wahrheiten und Weisheiten der eher allgemeineren Art vorgetragen zu bekommen. Je länger das Treffen dauerte, umso mehr freute ich mich auf jede einzelne Pause. Denn in diesen kurzen Momenten zwischen den Vorträgen und Referaten kamen Themen zur Sprache, die mich als Fallenbauer wirklich bewegten.« Das Großväterchen schaute in die Runde. Vereinzelt war Getuschel und unruhiges Füßescharren zu hören. »Dieses Phänomen ist mir, nachdem ich erst einmal darauf aufmerksam geworden war, in der Folgezeit auch in den Fallenwerkstätten immer wieder begegnet: Es gibt eine Zusammenkunft zu einem Thema. Alle gehen hin und verbringen dort eine Menge Zeit. Und dennoch werden die wichtigen Fragen beim Tee in der Pause oder danach, auf dem Gang oder auf dem Heimweg, diskutiert. Deshalb habe ich mich gefragt, wie wohl ein Treffen aussehen könnte, das gefühlt nur aus Pausen besteht. Denn dann wären die wirklich wichtigen Themen der Teilnehmer Inhalt der Zusammenkunft.«

»Aus dieser Idee heraus«, übernahm die Hexe, »haben wir in der Runde der Musketiere den Rahmen für ein solches Pausentreffen entwickelt. Innerhalb dieses Rahmens kann nun jeder von Euch genau die Fragen stellen und die Themen ansprechen, die ihm wirklich am Herzen liegen. Und gemeinsam mit anderen Teilnehmern Antworten finden, die bei der täglichen Arbeit weiterhelfen. Wir haben dem Ganzen den Namen ›Offener Raum‹ gegeben.« Im Saal wurde das Gemurmel lauter. Während die einen beifällig nickten, schüttelten andere ungläubig den Kopf. Wieder andere Teilnehmer schienen erbost darüber, was man ihnen zumuten wollte – waren sie doch hier erschienen, um sich einfach mal unterhalten zu lassen.

Das Handzeichen half auch jetzt. Nach und nach kehrte wieder Ruhe ein, sodass Großväterchen und Hexe erklären konnten, wie diese Zusammenkunft ablaufen sollte.

Vier Prinzipien und ein Gesetz für den »Offenen Raum«

»Prinzip Nummer eins!«, begann das Großväterchen und zeigte dabei auf eines der großen Aquarelle an der Wand. Darauf war eine Gruppe von Menschen abgebildet. Diese standen im Kreis und streckten die rechte Hand in die Mitte, sodass die Handflächen übereinander lagen – ein starker Ausdruck von Zusammengehörigkeit. Unter dieser Abbildung stand geschrieben: »Die, die da sind, sind genau die Richtigen.« Das Großväterchen erläuterte, dass es nicht darauf ankomme, wer oder wie viele Personen einer Diskussionsrunde beiwohnen, sondern dass sich genau diejenigen zusammenfinden werden, die Interesse an dem Thema haben und etwas voranbringen wollen. Das können drei, aber auch dreißig Personen sein. Die Größe der Gruppe sei kein Indiz für die Relevanz des Themas, so das Großväterchen. Und sollte einmal niemand zu einem angekündigten Thema erscheinen, dann kann derjenige, der das Thema eingebracht hat, einen Beitrag zu einer anderen Gruppe liefern. Oder sich zurückziehen und ganz einfach die eigenen Gedanken und Ideen neu sortieren.

»Prinzip Nummer zwei!« Die Hexe wies auf ein weiteres Aquarell, auf dem eine Kiste abgebildet war. Heraus sprang ein Narrenkopf, der auf einer Feder befestigt war. »Was auch immer geschieht, ist das Einzige, das geschehen konnte.« Worauf sie ergänzte, dass alles Räsonieren und ›Hätte, hätte …‹ nichts bringe. Indem man Konjunktiven nachjage, vergeude man nur wertvolle Zeit. Es kann nur das geschehen und entstehen, was die Anwesenden mit ihren Ideen und ihrem Tun in Gang setzen.

»Prinzip Nummer drei«, übernahm wieder das Großväterchen, während es auf ein drittes Aquarell zeigte, auf dem eine Uhr Luftsprünge vollführte. »Es fängt an, wenn die Zeit reif dafür ist.« Der Alte schaute in die Runde der Teilnehmer und registrierte gespannte Aufmerksamkeit. Dann fuhr er fort, dass grandiose Ideen oder Weisheiten selten pünktlich zum Beginn einer Diskussionsrunde einfach so vom Himmel fallen. Manches Thema braucht etwas Zeit, ehe es Fahrt aufnimmt und eine Diskussion beginnen kann. Und manchmal bringt erst ein neu hinzugekommener Teilnehmer den entscheidenden Impuls mit. Wann immer dies passiert: Es ist der richtige Augenblick.

»Prinzip Nummer vier!« Wieder schaltete sich die Hexe ein. »Wenn es vorbei ist, ist es vorbei.« Auf dem zugehörigen Aquarell rekelte sich eine Uhr in einer Hängematte. Wenn also nach zwanzig Minuten, so die Hexe, alles gesagt ist und ein tolles Resultat erarbeitet wurde, dann können die Teilnehmer besser andere Diskussionen mit ihren Ideen befruchten. Oder eine Pause einlegen. Denn nichts ist schlimmer, als ein gutes Ergebnis zu zerreden! Und wenn sich die tollen Ideen erst sehr spät einstellen, dann können die Diskussionsteilnehmer bleiben und weiterarbeiten. Oder sich neu verabreden und an einen anderen Ort umziehen. Wichtig ist dabei, auf jeden Fall im Ideenfluss zu bleiben, bis alles besprochen ist.

Noch immer war im Ballsaal kaum ein Räuspern zu hören. Die Hexe und das Großväterchen schritten weiter langsam den Stuhlkreis ab. Der Luftzug ihrer Bewegung ließ die Kerzen auf dem großen Leuchter flackern. Es war für einen Augenblick so still, dass deutlich zu hören war, wie ein Wachstropfen zu Boden fiel.

»Bleibt noch das eine Gesetz.« Das Großväterchen schaute kurz hinauf zur Stuckdecke des Ballsaals, bevor es fortfuhr: »Wir haben es ›Das Gesetz der Füße‹ genannt, denn wann immer jemand das Gefühl hat, dass er zu einem Thema nichts mehr beitragen kann, er nichts mehr lernt oder ihm langweilig wird, dann möge er seinen Füßen folgen und sich von ihnen zu einem neuen Thema oder in eine Pause tragen lassen.«

»Genau! Niemand soll sich bei unserem diesjährigen Treffen gezwungen fühlen, von Anfang bis Ende in einer Diskussionsrunde zu bleiben«, übernahm die Hexe. »Jeder kann kommen und gehen, wann und wie es ihr oder ihm gefällt. Ihr sollt Euch allein von Eurer Wissbegierde leiten lassen. Da kann es also durchaus passieren«, fügte sie mit einem Augenzwinkern hinzu, »dass so mancher Monologisierer bald allein ist. Das nennt man dann ›Direkte Rückmeldung‹.«

»Dieses ›Gesetz der Füße‹ begünstigt unterschiedliches Verhalten der Teilnehmer. Manche von Euch werden vielleicht wie Hummeln schwärmen und neue Eindrücke und Ideen von Gruppe zu Gruppe tragen, damit sich die Themen miteinander vernetzen und quergedachte Impulse auslösen.« Das Großväterchen wies dabei auf ein Aquarell an der Ballsaalwand, auf dem einige der schwarzgelb geringelten Wesen zu sehen waren, die eifrig zwischen Blüten hin- und herflogen. »Wieder andere verhalten sich eher wie Schmetterlinge, die an den schönsten und gemütlichsten Stellen flanieren, pausieren und fernab vom allgemeinen Trubel mit Gleichgesinnten Gedankenaustausch pflegen – gleichsam die Pausendiskussion in der Pausendiskussion führen.« Die Blicke der Teilnehmer wanderten ein Aquarell weiter, auf dem sich ein wunderschöner Schmetterling auf einem Blatt unter Blütenranken niedergelassen hatte. »Da können wir aber froh sein, dass nicht auch noch Drachen unterwegs sind!«, rief einer der Teilnehmer übermütig in die Runde. Kurz schwappte Lachen durch den Ballsaal. Das Großväterchen wartete lächelnd, bis wieder Ruhe einkehrte: »Ganz gleich, auf welche Weise Ihr die kommenden zwei Tage verbringt – eines ist gewiss: Wenn es Euch gelingt, für einen Augenblick die gewohnten Denkmuster und Glaubenssätze zur Seite zu schieben und für Neues und Ungewohntes offen zu sein, dann werdet Ihr mit positiven Überraschungen belohnt werden. Ich rufe Euch zu: Hebt diese Schätze!«

»Ach ja, ehe wir es vergessen: Einen gibt es allerdings, der nicht vom Gesetz der Füße Gebrauch machen darf. Na, ahnt jemand von Euch schon, wer das ist?« Verschmitzt lächelte die Hexe in die Runde. »Och – das ist doch einfach, oder? Der Gastgeber! Die Person, die zur Diskussion eingeladen hat und von der das Thema stammt. Die bleibt bis zum Schluss und sorgt dafür, dass die Ergebnisse der Diskussion für die Teilnehmer und die Nachwelt festgehalten werden. Und bitte – solltet Ihr in dieser Rolle sein – vergesst nicht, Euch bei den Teilnehmern Eurer Gruppe für die wertvollen Gedanken, die sie miteinander geteilt haben, zu bedanken.«

Ein paar Schritte lang schauten die beiden einfach nur schweigend in die Runde, um den Teilnehmern die Chance zu geben, all diese Informationen ein wenig einsinken zu lassen. »Nun, da Ihr alle wisst, nach welchen Prinzipien unser Scrum-Treffen ablaufen wird, fehlt uns noch das Programm«, nahm das Großväterchen den Faden wieder auf. »Und dazu brauchen wir gleich die Schiefertäfelchen und die Griffel – vor allem aber brauchen wir Euch!«

Der Marktplatz

»Das dort an der Wand ist der Marktplatz unseres Treffens.« Die Hexe wies auf die Stirnseite des Ballsaals. Dort waren links untereinander fortlaufend die vollen Stunden von 11:00 Uhr bis 17:00 Uhr angeschrieben. So entstanden für jede Stunde Zeilen, die über die ganze Breite der Wand reichten. Darüber, wie Spaltenüberschriften, hingen in regelmäßigen Abständen Schilder, die mit »Ballsaal«, »Ritterzimmer«, »Jagdzimmer«, »Turmzimmer« und anderen Raumnamen beschriftet waren. Auf diese Weise entstand ein Raster, in dessen Schnittpunkten Haken montiert waren. »Wie Ihr seht, ist dies ein leerer Plan für den heutigen Tag. Ihr möchtet zum Beispiel Eure Scrum-Erfahrungen mit anderen teilen oder ein Thema diskutieren, das Euch besonders am Herzen liegt? Dann beschriftet eines von diesen Schiefertäfelchen.«

»Umreißt dazu bitte Euer Thema so knapp und verständlich wie möglich«, übernahm das Großväterchen. »Das ist wichtig, denn auch heute Nachmittag sollen sich die anderen Teilnehmer, wenn sie das Täfelchen sehen, noch vorstellen oder erinnern können, was Euer Anliegen ist. Und – bitte schreibt gut lesbar. Vielleicht, indem Ihr Versalien verwendet.« Er schaute kurz in die Runde und fuhr fort: »Jeder bekommt dann die Möglichkeit, mit wenigen Sätzen sein Thema vorzustellen. Danach muss er nur noch an der Wand einen geeigneten Raum und eine Zeit wählen und das Täfelchen an den zugehörigen Haken hängen – und schon ist es geschafft. Weiter geht es dann mit dem nächsten Teilnehmer und dessen Thema.«

»Und vergesst bitte eines nicht: Schreibt unbedingt Euren Namen dazu!« Etliche Teilnehmer fuhren kurz zusammen, denn diesen Satz hatte die Hexe sehr laut und fordernd ausgesprochen. Schmunzelnd schaute sie in die Runde und wusste schon jetzt, dass der eine oder die andere trotzdem mit namenlosem Täfelchen vor dem Marktplatz stehen würde. »Noch Fragen?« »Ja, eine Frage habe ich noch!« Eine junge Teilnehmerin stand auf und schaute das Großväterchen selbstbewusst an. »Ihr sagtet, dass ich für meine Diskussionsrunde einen geeigneten Raum finden soll. Woher weiß ich denn, welcher Raum geeignet ist?« »Oh, das ist eine gute Frage! Ich habe tatsächlich vergessen zu erwähnen, was die Zahl bedeutet, die Ihr auf den Schildern neben dem Raumnamen findet. Diese gibt an, für wie viele Personen der betreffende Raum geeignet ist. Wie viele Teilnehmer Ihr erwarten könnt – nun, darüber kann auch ich nur spekulieren. Achtet auf die Reaktionen der anderen Teilnehmer, nachdem Ihr Euer Thema vorgestellt habt – das ist ein gutes Indiz. Ansonsten vertraut einfach Eurem Bauchgefühl!«

»Nun lasst uns endlich anfangen, den Marktplatz zu füllen!« Die Hexe war voller Tatendrang. »Und denkt daran: Das soll Euer Treffen mit Euren Themen werden. Vielleicht glaubt Ihr, dass das, was Euch gerade bewegt, für die anderen Teilnehmer nicht interessant ist. Oder Ihr findet Eure Frage banal. Glaubt mir: Ihr werdet es erst wissen, wenn Ihr es ausprobiert habt.« Das Großväterchen blickte die Teilnehmer ermunternd an. »Seid mutig! Traut Euch und stellt Euer Thema vor! Denn was für Euch und Eure Werkstatt bereits Normalität ist, kann für andere neu, spannend und inspirierend sein. Die Frage, die Euch seit Wochen bewegt, beschäftigt vielleicht auch andere. Gemeinsam könnt Ihr einer Antwort näher kommen. Aber nur, wenn Ihr die Frage offen zur Diskussion stellt. Also greift zu, bewaffnet Euch mit Griffel und Schiefertafel und legt los!« Mit diesen Worten und einer einladenden Geste übergaben das Großväterchen und die Hexe den Marktplatz an die Teilnehmer.

Im Raum war es mucksmäuschenstill. Einzig das Brummen einer Fliege, die sich in den Saal verirrt hatte und einen Ausweg suchte, war deutlich zu hören. Etliche Teilnehmer schauten zu Boden. Andere schienen tief in Gedanken versunken zu sein. Niemand wagte es, den Anfang zu machen. Die Stille wurde quälend. Da riss sich die kleine Anna-Belle von der Hand ihrer Amme los. Sie packte ein Täfelchen und einen Griffel, rannte damit zur Prinzessin und streckte ihr beides entgegen. »Mama, da!«, rief sie. Ein befreiendes Lachen wogte durch den Saal und spülte die Anspannung fort. Die Prinzessin hockte sich nieder und nahm die Kleine lächelnd in die Arme. Dann begann sie zu schreiben. Damit war der Bann gebrochen.

6Verbitterung

Drei Wochen früher, zu vorgerückter Stunde in der finsteren Hafenschänke »Zum heiteren Blick« am Ufer des Mainstream

Als die Tür geöffnet wurde, wirbelte ein Schwall kühler Nachtluft die Rauchschwaden unter der niedrigen Holzbalkendecke durcheinander. Die Kerzen auf den Leuchtern flackerten. Wie auf Kommando drehten sich alle Köpfe am Tresen in Richtung Eingang.

»He, Brett zu!«, lallte es vom Stammtisch. Ein Moment Stille. Dann fiel knarrend und krachend die Tür ins Schloss, und das Lachen und Johlen setzten wieder ein. Die Köpfe am Tresen kehrten in die Ausgangsposition zurück. Auch der Fallenbauer stierte wieder in seinen halbleeren Humpen Bier und lehnte sich mit der rechten Schulter an die rußgeschwärzte rückwärtige Wand der Schänke, in der die Theke wie in einem weit geöffneten Schlund zu verschwinden schien.

»Wisst Ihr«, nahm er seinen Monolog mit dem Wirt wieder auf, »jeden verdammten Tag habe ich mich in dieser Fallenwerkstatt krummgelegt. Jede noch so besch… Arbeit gemacht. Und das ist nun der Dank.« Er nahm einen kräftigen Schluck und schaute dem Wirt geistesabwesend auf den beachtlichen Bauch. »Hab’ mich hochgedient. Nach entbehrungsreichen Jahren bin ich endlich Oberfallenbauer geworden. Mit ein paar Mitarbeitern unter mir, die machen müssen, was ich sage. Endlich am Ziel, dachte ich.« Der Wirt polierte Gläser, ohne aufzuschauen. »Und dann das!« Der Oberfallenbauer rülpste. »Da habe ich mir endlich das Häuschen im Grünen gekauft. Zwischen den Hügeln. Abseits vom Mainstream. Naja – gekauft, gekauft … gehört ja alles diesen Halsabschneidern von der Wieimmerländer Banken- und Immobilien-Gilde. Jedenfalls (kurzer Schluckauf) dachte ich: endlich geschafft! So kann’s bleiben. Und dann das!« Wieder stierte er vor sich hin. Von hinten rempelte ihn jemand auf dem Weg zur Latrine an. Die letzte Pfütze Bier schwappte in seinem Krug hin und her. »Was denn – ›das‹?«, brummte endlich der Wirt. »Na, dieses Scrum!« Der Oberfallenbauer war nun nicht mehr zu bremsen. »Da kommen diese Typen in unsere Fallenwerkstatt. So’n alter Gevatter und ’ne Hexe. Und nehmen mir alles weg! Behaupten, Oberfallenbauer würden abgeschafft. Die braucht man bei Scrum nicht. Da gibt es nur Fallenbauer.« Er haute mit der Hand auf den Tresen, dass die Gläser klirrten, und lachte kurz und bitter. »Oder noch besser: Als Oberfallenbauer soll ich lernen, mich selbst abzuschaffen. Mich verändern, verwandeln. Mich überflüssig machen.« Wieder schlug er auf den Tresen. »Aber nicht mit mir! Das lasse ich mir nicht bieten! Und – wer soll denn die Fallenbauer führen, hä? Ihnen sagen, was sie zu tun haben? Und – wie soll ich mein Häuschen abbezahlen? Nee, Scrum … nicht mit mir! Die Suppe werde ich denen versalzen. Die werden schon sehen!« Dann sackte er wieder in sich zusammen.

Kurze Zeit später schob ihm der Wirt einen frisch gezapften Humpen zu. Der Oberfallenbauer schaute auf. »Von dem da hinten.« Der Wirt wies durch den Raum. »Sollst mal an seinen Tisch kommen.« Der Oberfallenbauer drehte sich schwerfällig um und starrte durch den Rauch und Dunst in die hinterste Ecke des Raumes. Dort saß eine geheimnisvolle Gestalt, in eine dunkle Kutte gehüllt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Sie winkte ihm kaum wahrnehmbar mit behandschuhter Hand. Er zögerte kurz, griff dann nach dem frischen Bier, knurrte noch irgendetwas und drängte sich leicht schwankend zwischen den Tischen und Stühlen hindurch.

Als der Oberfallenbauer weitere zwei Humpen später in Richtung Droschkenhaltestelle wankte, waren die Sorgenfalten von seinem Gesicht verschwunden. Sie hatten einem diebischen Grinsen Platz gemacht – eine Verwandlung, die mit ein paar Bier allein nicht zu erklären war.

7Markt der Ideen

Im Ballsaal der Sommerresidenz

Gereon erhob sich. Er zögerte kurz, schaute sich um und stellte sich dann an das Ende jener Menschenschlange, die sich auf seiner Seite des Saales gebildet hatte. Dann beobachtete er interessiert die Teilnehmer, die sich auf der anderen Seite in die zweite Schlange einreihten. Sie hielten beschriebene Schiefertäfelchen in der Hand. Wie er. Sein Blick schweifte über den Saal, den er von hier aus erstmals vollständig überblicken konnte. Gereon erschrak: Mit so vielen Teilnehmern hatte er nicht gerechnet. Es schien, als hätten alle Fallenwerkstätten des Landes Delegierte entsandt.

Veränderungen beim Treffen der Führungskräfte

Gereon kannte viele Fallenbauexperten von den regelmäßigen Treffen der Führungskräfte. Ziel dieser Treffen war es, einheitliche Standards für den Fallenbau zu erarbeiten und zu verabschieden. Über die Jahre hatte sich eine feste Gruppe herausgebildet, die sich immer wieder dort traf. Doch in den vergangenen zwei Jahren war Bewegung in die Gruppe gekommen. Plötzlich nahmen Fallenbauer teil, die er auch bei seinen Besuchen in den anderen Werkstätten nie als Führungskraft wahrgenommen hatte. Beim nächsten Treffen war diese Person dann nicht mehr zugegen. Auf Nachfrage erfuhr Gereon den Grund: In einer der Werkstätten wurde mit einem Rotationssystem gearbeitet. Zu jedem Treffen wurde ganz bewusst eine andere Kollegin oder ein anderer Kollege entsandt, um das Wissen besser auf mehrere Köpfe zu verteilen.

Gereon konnte sich nur schwer mit diesen ständigen Überraschungen anfreunden, zumal jedes Treffen, bedingt durch die verschiedenen Denkweisen und Wissensstände der Teilnehmer, ganz anders verlief als das vorige. Früher hatten sich die Führungskräfte immer über dieselben Probleme unterhalten. Sie waren sich jedes Mal einig, dass etwas passieren müsste, um effektivere Fallen bauen zu können, und hatten auch jedes Mal neue und gute Ideen entwickelt. An diesem Ideenreichtum hatte sich glücklicherweise nichts geändert. Nur fragten jetzt einige der neuen Teilnehmer bei jedem Treffen, ob und wie die Ideen der vergangenen Sitzung umgesetzt worden waren. Einige gingen sogar so weit, am Ende der Sitzungen für jede beschlossene Maßnahme aus der Runde der Teilnehmer einen Verantwortlichen zu bestimmen, der auf die Umsetzung der entsprechenden Maßnahme achten sollte. Ein Abgesandter der Hohen Werkstatt, in der auch Gereon arbeitete, sprach in diesem Zusammenhang immer von einem »Paten« für die Maßnahme, da diese Person nur für die Umsetzung sorgen, sie aber nicht zwingend allein durchführen sollte.

Gereon fühlte sich von der neuen Verbindlichkeit anfangs unter Druck gesetzt. Doch als er feststellte, dass einige von ihm umgesetzte Maßnahmen tatsächlich zu einem besseren und erfolgreicheren Arbeiten führten, war er begeistert. Jetzt sah auch er einen Mehrwert in der expliziten Verantwortung. Von nun an fiel es ihm leichter, die Patenschaft für ein Thema zu übernehmen, dieses in seiner Werkstatt vorzustellen und dessen Umsetzung zu begleiten. Auch mit Fehlschlägen konnte er zunehmend besser umgehen, denn er wusste jetzt, dass Fehler immer eine Möglichkeit zum Lernen sind. Auch das hatte ihn der Kollege aus der Hohen Werkstatt gelehrt, obwohl dieser bestimmt zehn Jahre jünger war. All diese Erkenntnisse hatten Gereon schließlich auf das zweite Wieimmerländer Scrum-Treffen geführt. Er wollte weiter lernen. Vor allem aber wollte er eine Frage diskutieren, die im vergangenen halben Jahr in ihm gereift war und die ihn seitdem nicht mehr losließ.

Gereons erste Einreichung beim Offenen Raum

»… und ich möchte dieses Thema heute um 11 Uhr im Turmzimmer mit Euch diskutieren!« Die junge Frau nahm ihre Schiefertafel, hängte sie vorsichtig an den Haken, an der die Zeile mit der angekündigten Uhrzeit die Spalte kreuzte, die mit »Turmzimmer« beschriftet war, und wandte sich den Teilnehmern zu. Niemand hatte eine Frage zu ihrem Thema. Das war ihr nur recht. Es hatte sie bereits große Überwindung gekostet, sich überhaupt hier vorne hinzustellen. Erleichtert blickte sie kurz Gereon an und huschte schnell wieder auf ihren Platz. Gereon fühlte, dass jetzt alle Augen auf ihn gerichtet waren. Das machte es nicht unbedingt leichter, den Platz am Kopf der Reihe zu verlassen und sich allein vor die Marktplatzwand zu stellen.

Gereons Beine fühlten sich mit jedem Schritt schwerer an. Er hatte das Gefühl, dass sein Kopf mit den Kerzen im Saal um die Wette glühte. Seine linke Hand umklammerte das Barett, in der rechten zitterte das Schiefertäfelchen, auf dem er sein Thema und seinen Namen notiert hatte. Plötzlich überkamen ihn Zweifel. War sein Thema wichtig genug, dass er es diesem kundigen Gremium zur Diskussion anbieten durfte? Alle bisher vorgestellten Themen waren ihm unglaublich relevant, intelligent und innovativ erschienen. Viele waren zudem brillant formuliert. Die Menschen, die diese Themen vorgestellt hatten, vermittelten ausnahmslos den Eindruck, dass ihnen ihr Thema sehr am Herzen lag. Konnte Gereon in dieser Liga mitspielen?