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Magisterarbeit aus dem Jahr 2001 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Printmedien, Presse, Note: 1,5, Universität Leipzig (Inst. für Kommunikations- und Medienwissenschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: Die gesellschaftlichen Veränderungen Hongkongs, besonders seit dem Beginn der Angliederungsverhandlungen, treten auch als Veränderungen der Pressestruktur in Erscheinung. Diese Veränderungen darzustellen, ist ein Ziel der Arbeit. Ein weiteres Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es zu überprüfen, ob die juristisch verankerte Notwendigkeit zur Beibehaltung des way of life nach 1997 mit Blick auf die Pressestruktur tatsächlich gegeben ist, ob sich also Vielfalt und Freiheit der Presse erhalten können oder ob sie Änderungen unterworfen sind, die sich nicht im Einklang mit dem Basic Law oder der Joint Declaration verhalten. Es sollen die Faktoren der Pressestruktur sowie deren Wandel in Abhängigkeit zum sozialen und gesellschaftlichen Wandel beschrieben und bewertet werden. Hongkong ist nicht erst seit 1997 von den durch die Angliederung hervorgerufenen Transformationsprozessen betroffen. Diese setzten bereits in der Frühphase der Verhandlungen am Anfang der 80er Jahre ein. Von diesem Zeitpunkt der Transformation soll die Untersuchung ihren Ausgang nehmen.
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Veröffentlichungsjahr: 2002
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Gesellschaftlicher Wandel und Struktur der Presse in Hongkong II
Erklärung
Ich erkläre hiermit, daß ich die vorliegende Arbeit selbständig verfaßt und noch nicht anderweitig für Prüfungszwecke vorgelegt habe.
Sämtliche benutzte Quellen und Hilfsmittel sind angegeben, wörtliche Zitate sind als solche gekennzeichnet.
Leipzig, den 03.12.2001
Jens Riemer
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ATV -Asian Television Ltd. AMIC -Asian Communication and Research Information Center BL -Basic Law BoRO -Bill of Rights Ordinance ExecCo -Executive Council FEER -Far Eastern Economic Review GIS -Government Information Services GMD -Guomindang HKJA -Hong Kong Journalist Association JD -Joint Declaration KPCh -Kommunistische Partei Chinas LegCo -Legislative Council
New China News Agency (Xinhua Nachrichtenagentur新华社)NCNA -NYT -New York Times OMELCo -Office of Members of the Executive and Legislative Council RTHK -Radio Television Hong Kong SAR -Special Administrative Region SCMP -South China Morning Post TVB - Television Broadcasts Ltd.
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Aus demAnnual report of the Hong Kong Journalist Association(HKJA), herausgegeben im Juni 1997, wenige Tage vor der Angliederung Hongkongs an die Volksrepublik China.
„Weise aber das Nahende“,ein Gedicht von Konstantin Kavafis (1863-1933) nach Zeilen von Philostratos.
1Zit.: The Die Is Cast: Freedom of Expression in Hong Kong on the eve of the handover to China. Hong Kong Journalist Association. Juni 1997. Annual Report. Hongkong. 1997. S.2.
2Zit.: Kabaphes, Konstantinos P.: Das Gesamtwerk : griechisch und deutsch / Konstantinos Kavafis. Aus dem Griech. übers. und hrsg. von Robert Elsie. Zürich: Ammann, 1997.
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Als am 1. Juli 1997 die britische Kronkolonie Hongkong nach über 15 Jahre andauernden Verhandlungen an das chinesische Festland, die VR China angegliedert wurde, äußerten sich führende Politiker aus Ost und West sowie Journalisten besorgt über die Zukunft der Presse dieser Stadt. Das einführende Zitat aus dem jährlichen Report des Hongkonger Journalistenverbandes HKJA möge stellvertretend für diese Stimmen die Sorgen verdeutlichen.
Dabei wird in den beiden Gesetzeswerken, die die Angliederung der Kolonie juristisch regeln und absichern, deutlich, wie die Zukunft der Presse Hongkongs nach Maßgabe politischer und juristischer Vorstellungen verlaufen soll. Der Artikel 3(5) der Joint Declaration, mit der die Angliederungsverhandlungen eingeleitet wurden, besagt:
„The current social and economic systems in Hong Kong will remain unchanged, and so will the life-style. Rights and freedoms, including those of the person, of speech, of the press, of assembly, of association, of travel, of movement, of correspondence, of strike, of choice of occupation, of academic research and of religious belief will be ensured by law in the Hong Kong Special Administrative Region. Private property, ownership of enterprises, legitimate right of inheritance and foreign investment will be protected by
law.“3
Im Artikel 5 des Basic Law, des Grundgesetzes der SAR Hongkong heißt es:
„The socialist system and politics shall not be practised in the Hong Kong Special Administrative Region, and the previous capitalist system and way of
life shall remain unchanged for 50 years.“4
3Vgl.: Anhang dieser Arbeit. S.4. Dort zitiert nach: http://www.info.gov.hk/trans/jd/index.htm.
4Vgl.: Anhang dieser Arbeit. S.4. Dort zitiert nach: The Basic Law of the Hong Kong Special Administrative Region of the People's Republic of China. Hong Kong: One Country - Two Systems Economic Research Institute Ltd., 1992.
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Selbsterklärtes Ziel der neuen Machthaber in Hongkong ist also die Beibehaltung des sozialen und ökonomischen Systems Hongkongs und damit seiner demokratischen Wurzeln. Zumway of lifeHongkongs gehört zweifellos eine vielfältige Presse, die zu den freiesten in ganz Asien gehört.
"The declaration states that Hong Kong will retain its system and 'way of life' after 1997, but press freedom is one part of that 'way of life' that appears
unikely to survive."5
Die gesellschaftlichen Veränderungen Hongkongs, besonders seit dem Beginn der Angliederungsverhandlungen, treten auch als Veränderungen der Pressestruktur in Erscheinung. Diese Veränderungen darzustellen, ist ein Ziel der Arbeit.
Ein weiteres Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es zu überprüfen, ob die juristisch verankerte Notwendigkeit zur Beibehaltung desway of lifenach 1997 mit Blick auf die Pressestruktur tatsächlich gegeben ist, ob sich also Vielfalt und Freiheit der Presse erhalten können oder ob sie Änderungen unterworfen sind, die sich nicht im Einklang mit dem Basic Law oder der Joint Declaration verhalten. Es sollen die Faktoren der Pressestruktur sowie deren Wandel in Abhängigkeit zum sozialen und gesellschaftlichen Wandel beschrieben und bewertet werden.
Hongkong ist nicht erst seit 1997 von den durch die Angliederung hervorgerufenen Transformationsprozessen betroffen. Diese setzten bereits in der Frühphase der Verhandlungen am Anfang der 80er Jahre ein. Von diesem Zeitpunkt der Transformation soll die Untersuchung ihren Ausgang nehmen.
Werden heute Transformationsgesellschaften untersucht, wird durch die Wissenschaft häufig die Frage aufgeworfen, inwieweit die Presse nicht nur Objekt des Wandels, sondern vielmehr dessen Auslöser und Gestalter ist. Die Untersuchungen beziehen sich häufig auf den Wandel in Osteuropa, bei dessen Untersuchung sich diese Frage in der Tat aufdrängt.
„Das strukturelle Novum, das die Medien in Transformationsgesellschaften erfahren, ist die Tatsache, daß sie nicht mehr Teil des politischen Systems sind ...
5Zit.: Sciutto, James A.: Chinas Muffling of the Hong Kong Media. In: The Annals of The American Academy of Political and Social Science. Hrsg.: Alan W. Heston. Volume 547. September 1996: The Future of Hongkong. Special Editor: Max J. Skidmore. London: Sage Periodical Press, 1996. S.135.
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sondern daß sie sich als eigenständiges in der Gesellschaft mit eigener Funktionslogik etablieren. Mit ihren politischen Primärfunktionen können sie zur Transformation und zur Konsolidierung von Demokratie beitragen. Allerdings sind zu dieser Funktionserfüllung bestimmte Voraussetzungen vonnöten, die wiederum erst durch Ergebnisse der Transformation hergestellt werden können. Somit stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Transformationsprozeß und Medienentwicklung. Die Rolle der Medien im Transformationsprozeß näher zu bestimmen heißt also, die gegenseitige Beeinflussung beider zu beschreiben: Hat primär der Prozeß der Transformation die Medienentwicklung beeinflußt, oder hat etwa die
Medienentwicklung den Transformationsprozeß bestimmt?“6
Für die vorliegende Untersuchung spielte diese Fragestellung jedoch keine Rolle. Sie erscheint dem Autor in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand ungeeignet, da der Transformationsprozeß Hongkongs, wie deutlich gemacht werden wird, rein politisch gesteuert und durch Verträge abgesichert ist.
Ferner soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß der Begriff der Presse, der Pressestruktur und des Pressesystems in dieser Arbeit synonym und im Sinne von Siebert/Peterson/Schramm und derenFour Theories of the pressverwendet wird. Damit umfaßt der Pressebegriff alle Medien der Massenkommunikation, wobei sich
vorrangig mit der gedruckten Presse auseinandergesetzt werden soll.7Der später in dieser Arbeit eingeführte Strukturbegriff findet für den BegriffPressestrukturkeine Anwendung.
In der vorliegenden Arbeit werden alle hochchinesischen Namen, Begriffe und Ortsbezeichnungen in der amtlichen Transkription der Volksrepublik China, der Pinyin-Umschrift wiedergegeben. Von dieser Regelung sind erstens chinesische
6Zit.: Thomaß, Barbara / Tzankoff, Michaela: Medien und Transformation in den postkummunistischen Staaten Osteuropas. In: Thomaß, Barbara / Tzankoff, Michaela (Hrsg.): Medien und Transformation in Osteuropa. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2001. S.237.
7Vgl.: Siebert, Fred S.; Peterson, Theodore; Schramm, Wilbur: Four Theories of the Press. Urbana: University of Illinois Press. 1956. S.1.
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Termini ausgenommen, die in zitierten Originaltexten vorkommen und dort in anderen Transkriptionssystemen transliteriert worden sind. Eine weitere Ausnahme bilden die Namen zitierter chinesischer Autoren, sofern sie nicht aus der Volksrepublik China stammen. Das Nichtvorhandensein einer einheitlichen amtlichen Transkriptionsmethode des Kantonesischen bringt es mit sich, daß Namen und Begriffe in verschiedenen Publikationen verschieden transliteriert sind. Alle kantonesischen Begriffe und Namen werden deshalb in der Arbeit so verwendet, wie sie nach Dafürhalten des Autors in der Fachliteratur am häufigsten transliteriert sind.
Werden chinesische Zeichen angegeben, dann werden Namen und Begriffe, die mit der Volkrepublik China in Zusammenhang stehen, in der in der VR China üblichen Kurzzeichen-Variante dargestellt. Begriffe, denen kantonesische Transliterationen zugrunde liegen, werden in der in Hongkong und Taiwan üblichen Langzeichenvariante dargestellt.
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In der Präambel des Basic Law sowie im Artikel 3(5) der Joint Declaration8ist festgehalten, daß Hongkong sein bis 1997 entwickeltes demokratisches Gesellschaftssystem beibehalten darf. Dazu gehört erklärtermaßen nicht nur eine demokratische Form der Regierung, sondern auch eine Pressestruktur, die der anderer demokratischer westlicher Länder gleicht und zu den freiesten und vielfältigsten ganz Asiens, wenn nicht sogar der Welt, gehören möchte. In der Politik- und Kommunikationswissenschaft sind normative Standards formuliert, an denen sich eine demokratische Gesellschaft und das Pressesystem dieser Gesellschaft messen lassen muß. Somit lassen sich Sollwerte formulieren, die für jedes erklärte demokratische Pressesystem, und damit ebenso für das Hongkonger Pressesystem, überprüft werden können. Die Bedeutung der Massenmedien in einer Demokratie liegt darin, daß sie die informationellen, kognitiven Voraussetzungen für die Partizipation der Bürger schaffen sollen, was ein breites Spektrum an politischen
Sichtweisen und das Fehlen politischer Einflußnahme beinhaltet.9Die westliche Gesellschaftsentwicklung ging mit der Erfahrung einher, daß die Freiheit und die Rechte des Einzelnen sich nützlich auf die Gesellschaft im Ganzen auswirken. So wurden diese Faktoren über die Zeit in den philosophischen und allgemeingültigen Wertekomplex aufgenommen. Demnach sind Freiheit und Vielfalt der öffentlichen Kommunikation ein unverzichtbarer Bestandteil des demokratischen Institutionengefüges, da ohne sie die Grundprinzipien der Demokratie nicht oder nur
unzureichend verwirklicht werden können.10Damit basiert ein rein demokratisches Modell der Massenkommunikation also auf zwei Strukturprinzipien - Vielfalt und
Freiheit.11Dabei definieren sich diese beiden Strukturprinzipien wie folgt:
8zur Joint Declaration und zum Basic Law siehe Kapitel 3.1 dieser Arbeit. Im Wortlaut vgl.: Anhang dieser Arbeit.
9Vgl.: Thomaß, Barbara / Tzankoff, Michaela: Medien und Transformation in den postkummunistischen Staaten Osteuropas. In: Thomaß, Barbara / Tzankoff, Michaela (Hrsg.): Medien und Transformation in Osteuropa. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2001. S.237.
10Vgl.: Dahl, R.A.: Democracy and Ist Critics. New Haven: Yale University Press, 1989. S.220ff.
11Vgl.: McQuail, Denis: Media Performance. Mass Communication and the Public Interest. London: Sage Publications, 1992.
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„Vielfalt bezeichnet das Vorhandensein einer ausreichend großen Zahl eigenständiger Medien, die miteinander in Wettbewerb stehen. Diese Angebotsvielfalt gilt als strukturelle Voraussetzung für die Informationsfunktion der Medien, die darin besteht, das gesamte Spektrum unterschiedlicher Meinungen zu repräsentieren. ... Das Merkmal Freiheit richtet sich vor allem auf Strukturen, die die politische Unabhängigkeit der Medien sicherstellen. Ziel ist es, politische Eingriffe in die Berichterstattung zu verhindern, um zu gewährleisten, daß die Medien ihre Kontrollfunktion wahrnehmen können und
Kritik an den politischen Machtträgern artikuliert werden kann.“12
Diese Prinzipien werden durch formales Recht durchgesetzt, welches die Privilegien und Handlungsgrenzen der Medien festlegt.
Das zu untersuchende Pressesystem ist geographisch dem asiatischen Raum zuzuordnen, weshalb an dieser Stelle kurz auf die anhaltende Diskussion über asiatische Werte in Bezug auf die im vorigen Kapitel hergeleitete Freiheitsidee eingegangen werden soll.
Die asiatische Ideengeschichte ist von der westlichen unterschieden. In Asien ging die Entwicklung der Gesellschaft und die Entwicklung des diskursiven Denkensnichtmit der Erfahrung einher, daß die Freiheit und die Rechte des Einzelnen sich nützlich auf die Gesellschaft im Ganzen auswirken. Sie wurden im Gegensatz dazu als schädlich für die Gesellschaft aufgefaßt und fanden damit keinen Eingang in den Wertekontext.
„... the Western concept of human rights, conceived in the Western adversarial
democratic tradition has no exact equivalent in East Asia.“13
Die ostasiatische, konfuzianisch geprägte Wertekultur ist im Gegensatz zur westlichen
„consensual, group oriented“14. Dieser konfuzianistische Wertekontext kennt das Individuum nicht als eigenständigen Begriff, sondern denkt in Beziehungen, die mit
12Zit.: Voltmer, Katrin: Massenmedien und demokratische Transformation in Osteuropa. Strukturen und Dynamik öffentlicher Kommunikation im Prozeß des Regimewechsels. In: Klingemann, Heinz-Dieter / Neidhardt, Friedhelm: Die Zukunft der Demokratie. Berlin: Edition Sigma, 2001. S.126.
13Zit.: Gunaratne, Shelton A. (Hrsg.): Handbook of the Media in Asia. London: Sage Publications, 2000. S.5. Dort zitiert nach: Hsiung, J.C.: Human rights in Asia: A cultural perspective. New York: Paragon House Publishers, 1985. S.7
14Zit. ebd. S.12.
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Rechten und Pflichten behaftet sind und harmonisch zum Nutzen aller verlaufen sollen. Der ganzheitliche, konsens-, gemeinschafts- und beziehungsorientierte Wertehorizont der buddhistisch/konfuzianistisch geprägten Gesellschaften führt zu einer völlig anderen Herangehensweise an das Problem der Erwartungen an ein Pressesystem. An die Stelle des konfrontationsorientierten Konzeptes von Freiheit, Vielfalt, Objektivität, Unabhängigkeit und kritischer Instanz tritt ein
konsensorientiertes Konzept einer Harmonie von Presse und Staat.15
„It is obvious that indigenous philosophies have a greater bearing on press systems in ... Asia than any scale of values based on Western communication theories, and there is a real need to re-examine Western theories and practices in the light of Asian cultures and traditions. However, the search for an Asian perspective does not imply rejection of the Western perspective. It should take whatever is useful and put this in the context of that society‘s social structure,
cultural values and religious beliefs.“16
Da die Joint Declaration und das Basic Law als künftige gesellschaftliche Grundlage ebenkeinasiatisches Referenzsystem vorsieht, sondern ein demokratisches und genaudiesesin seiner Konsistenz zu prüfen ist, soll in der Folge diewestlicheSicht auf das Problem von Freiheit, Vielfalt, Rolle der Presse in der Gesellschaft und Struktur eingenommen werden und nicht die asiatisch geprägte. An dieser Stelle sollte lediglich der Umstand erwähnt werden, daß zu dieser Wertediskussion durchaus auch andere Positionen bezogen werden. In der folgenden Untersuchung soll versucht werden, eine normative und wertende Vorgehensweise weitmöglichst zu vermeiden.
Im weiteren soll ein Modell zur Anwendung kommen, welches die Struktur und den Prozeß von Medienorganisationen beschreibt. Ein solches Modell soll in die Lage versetzen, die Zwänge und Einflüsse, denen die Presse ausgesetzt ist, zu benennen und relevante Merkmale von Medienunternehmen hervorzuheben. Zu diesem Zweck schlägtMcQuail, 1992vor, ein herkömmliches Modell beliebiger
15Vgl.: Gunaratne, Shelton A. (Hrsg.): Handbook of the Media in Asia. London: Sage Publications, 2000. S.5. Zum gleichen Thema vgl. auch: AMIC (Asian Communication and Research Information Center): Communication Theory. The Asian Perspective. Singapore: AMIC, 1988.
16Zit.: Gunaratne, Shelton A., 2000. S.5. Dort zitiert nach: AMIC (Asian Communication Research and Information Center): Press systems in SAARC. Singapore: AMIC, 1994.
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Industrieorganisationen an die Bedürfnisse der Medien anzupassen. Ein solches Modell zeigt drei Hauptmerkmale auf: dieMarktstruktur- das sind die Hauptmerkmale von Finanzierung, Kontrolle, Marktbewegungen und Zwängen; dieLeitung- die wichtigsten Typen organisationalen Verhaltens; dieLeistungserbringung- die Hauptfaktoren, die ein Bewerten desoutputeines
Unternehmes ermöglicht (vgl. nachfolgende Abbildung).17
Abbildung 1 - Organisationales Modell der Medien (nach McQuail)
Da sich dem Problem des Strukturprinzips der Freiheit (Kap. 2.1.4) unter der Heranziehung der beiden Hauptfaktoren Marktstruktur und Leitung genähert werden soll, werden hier kurz deren Unterkategorien erläutert.
„Because freedom of the media is first of all a structural condition it has to be approached somewhat differently from other evaluative principles, with relatively more attention to the condition of independence at the levels of
structure and of conduct ... and rather less to performance in terms of output.“18
Unter dem Hauptmerkmal Marktstruktur finden sich die Unterkategorien Konzentration, Integration, Produktdifferenzierung, Eintrittsbarrieren und Kostenstruktur. Konzentration bezieht sich auf den Grad der Monopolisierung, den die Medien bezüglich Kontrolle oder Besitztum angenommen haben. Mit Integration sind horizontale oder vertikale Kontrolle oder Besitzmonopolisierung gemeint, wobei die horizontale Kontrolle den HerstellungsprozeßeinesMedienproduktes und vertikale Konzentration die Kontrolle über mehrere Produkte auf gleicher Herstellungsprozeßstufe bedeutet. Produktdifferenzierung bezieht sich auf den Umfang derverschiedenenProdukte oder Dienstleistungen eines
17Vgl.: McQuail, 1992. S.87.
18Zit.: ebd. S.99.
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Medienunternehmens. Die Verschiedenheit kann zeitliche, funktionale oder geographische Komponenten besitzen. Das Verhältnis von fixen Kosten zu variablen Kosten eines Medienunternehmens wird als Kostenstruktur bezeichnet.
Unter dem Hauptmerkmal Leitung finden sich die Unterkategorien Produktstrategie, Innovationskraft, Werbung und Preispolitik. In der Ausprägung dieser Faktoren unterscheiden sich Medienunternehmen in signifikantem Maße von anderen Industrien. Dies liegt in der speziellen Einkommensstruktur und der speziellen Produktbeschaffenheit der Medien begründet. Der Hauptteil der Einnahmen eines Medienunternehmens kommt in der Regel nicht vom Konsumenten selbst, sondern von Werbetreibenden, die das Produkt als Medium nutzen. Das Produkt ist viel kurzlebiger als Produkte anderer Unternehmen. Es ist sowohl täglich gleich und doch täglich völlig verschieden. Aus diesem Grund müssen die Produktstrategien der Medienunternehmen hochinnovativ sein. Diese Suche nach Innovation in der Produktpolitik nimmt einen großen Teil der Managementaufgaben in Medienunternehmen ein. Aufgrund des hohen Anteils an Einnahmen, die nicht vom Konsumenten des Medienproduktes selbst kommen, werden die kommerziellsten unter den Medien gänzlich frei oder weit unter Herstellungspreis vertrieben. Medienunternehmen sind nicht mehr, aber auch nicht weniger, auf Eigenwerbung angewiesen als Unternehmen anderer Branchen. Was die Werbung für Medienprodukte aber so besonders macht, ist, daß sie oftmals als Produkt derselben erscheint. Ein großer Teil der Medieninhalte sind selbst lediglich Werbung für andere
Medieninhalte.19
Wie bereits erwähnt, soll sich dem Problem des Strukturprinzips der Freiheit unter der Heranziehung der beiden genannten Hauptfaktoren organisationaler MedienstrukturenMarktstrukturundLeitunggenähert werden. Deren‚conditions of independence‘müssen überprüft werden. Auf der Ebene der Marktstruktur ist die Freiheit der Unternehmung oft durch gesellschaftliche Vorkehrungen in Form von Verfassungen oder Pressegesetzen garantiert oder eingeschränkt. Pressegesetze setzen oft lediglich die Rahmen, innerhalb derer die Freiheit der Presse ihren Platz findet. Vom Faktor der Marktstruktur her gesehen, erscheint außerdem die Ausprägung von
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Produktdifferenzierung erwähnenswert. Umso mehr Medientypen existieren, umso höher die Vielfalt an Besitzern und Kontrollinstanzen ist, umso höher die tatsächliche Erreichbarkeit der Medien durch die Öffentlichkeit ist, umso höher wird der Grad an Freiheit in diesem Mediensystem sein. Im Zusammenhang mit dem Faktor Leitung sei der Grad an Freiheit erwähnt, der den Journalisten zugestanden wird.
Auf der Ebene von Marktstruktur bedeutet Freiheit die Freiheit der Medienbesitzer, Nachrichten und Ansichten zu publizieren und zu verkaufen, oder dies eben nicht zu tun. Es ist ferner die Freiheit, neue Publikationen zu initiieren, aber es ist auch die Freiheit von Zensur oder unfairer Besteuerung. Spricht man von der Ebene der Leitung, dann ist damit die Freiheit der Herausgeber gemeint, Nachrichten zu sammeln, diese zu veröffentlichen oder eben nicht, Standpunkte einzunehmen und Kritik zu üben. Es ist die Freiheit der Herausgeber vor dem Zugriff des Staates oder anderer außenstehender Institutionen wie Werbern, Sponsoren oder Parteien.
Louise Williams gibt in ihren Ausführungen zu bedenken, daß es zu einfach wäre, die Debatte über die Pressefreiheit bei einer Schwarz-Weiß-Malerei zwischen den
Zensoren und den Befürwortern der freien Meinungsäußerung enden zu lassen.20Man stünde einer großen Menge anderer Fragen gegenüber. Sie stellt Fragen wie: Kämpfen die verbliebenen Zensoren der Region einen zwecklosen Kampf gegen Satellitenfernsehen und Internet, oder wird ein solch intelligenter und wohlhabender Staat wie z.B. Singapur das Netz der Kontrolle auch der nächsten Generation der Informationstechnologie überstülpen? Und wenn die Zensoren verlieren, wird in jedem Fall echte Pressefreiheit die Folge sein? Sie gibt auf diese Fragen eine aussichts- und fragenreiche Antwort:
„Here we learn that when the state relinquishes control of information a power vacuum is left behind. Into the vacuum rush a whole range of vested interests as new power structures are shaped. Can businesses or politicans just as effectively capture the press through the free market, using simple outright ownership or more underhand methods such as bribery? The much vaunted free market itself is a far from perfect model for the media. In a truly free market
19Vgl.: ebd. S.87ff.
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will not sensationalism win the day as the consumers‘ taste for scandals, violence and gore inevitably pulls the media away from serious news reporting? Without the censors who will control the press in their new role as society‘s self
appointed watchdogs?21
Auch die westliche Pressetradition kennt keine vollständige anerkannte Zusammenstellung von Elementen, die ein Pressesystem zu einem freien Pressesystem machen. Denis McQuail bietet 1992, abgeleitet von einer Untersuchung aus dem Jahre 1949, eine Zusammenstellung solcher Faktoren an, die die Bedeutung von Pressefreiheit fassen sollen.
Die Elemente, an denen sich Pressefreiheit (oder Presseunfreiheit) messen läßt, gliedern sich bei McQuail in drei Bereiche: die Rechte, die Umstände und die Pflichten.
Rechte:
•das Recht von Kooperationen oder Einzelpersonen auf die Veröffentlichung und
den Verkauf von Nachrichten und Ansichten,
•das Recht, eine Zeitung zu gründen,
•das Recht, die Veröffentlichung bestimmter Nachrichten oder Ansichten zu
verwehren,
•das Recht, an öffentlichen Versammlungen teilzunehmen und darüber zu
berichten,
•das Recht, Informationen zu sammeln,
•das Recht der Öffentlichkeit, verschiedene Ansichten zu hören,
•das Recht der Öffentlichkeit, gerechte, vollständige und objektive Informationen
zu erhalten.
Umstände:
•das Fehlen von Lizenzbestimmungen, von Zensur und von diskriminierenden
Steuervorschriften,
20Williams, Loise: Censors at work, censors out of work. In: Rich, Roland; Williams, Loise: Losing Control. Freedom of the Press in Asia. Canberra: Asia Pacific Press at the Australian National University. 2000. S.3.
21Zit.: ebd. S.3f.
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•keine Einmischung in die Arbeit der Journalisten durch die Medieneigentümer,
Werbetreibende, Herausgeber, Drucker u.ä.
Pflichten:
•der Öffentlichkeit, die Möglichkeit zum Ausdruck ihrer Ansichten zu geben,
•dem Wohl der Gemeinschaft zu dienen,
•verschiedene Ansichten zu präsentieren, seien sie auch unpopulär oder nicht
mehrheitsfähig,
•als Überwachungsinstanz über die Regierung für die Öffentlichkeit zu dienen.
Umso häufiger die Ausprägungen der genannten Elemente zutreffen und umso
ausgeprägter diese sind, umso freier ist ein Mediensystem.22
"In Asia, it is a valid proposition that freedom of the press, even in new and restored democracies ..., is measured in terms of degrees in which frankness
and criticism are tolerated by governments and their societies."23
Die Anfänge des Strukturprinzips der Vielfalt sind tief in der westlichen Idee einer modernen Gesellschaft verwurzelt. Diese Idee ist charakterisiert durch die hohe Wertschätzung, die Werten wie Idividualismus, Veränderung, Freiheit der Gedanken und Bewegungsfreiheit entgegengebracht wird. Im Laufe der Zeit wurden die westlichen Gesellschaftssysteme immer segmentierter und vielfältiger. Die Entwicklung der hohen Wertschätzung, die dem Faktor Vielfalt entgegengebracht wird, ist eine Reaktion auf diese Entwicklung. Dies zeigt der Versuch, aus der Notwendigkeit, die die moderne Gesellschaft mit sich brachte, eine Tugend zu machen, die fürderhin als eine Grundvorausetzung für moderne Gesellschaften gelten sollte. Politische Prinzipien moderner Gesellschaften und speziell deren kommunikationspolitische Prinzipien befürworten häufig ausdrücklich den Wert der Vielfalt, sei es nun die Vielfalt der Ausdrucksformen, der Meinungen oder der Kulturen. Durchgesetzt wird dies durch die Schaffung günstiger Voraussetzungen für Pressefreiheit oder durch die Intervention auf den Märkten. Vielfalt wurde zu einem
22Vgl.: McQuail, 1992. S.101f.
23Zit.: Doronila, Amando: Preface. Press freedom in Asia: an uneven terrain. In: Rich, Roland; Williams, Loise: Losing Control. Freedom of the Press in Asia. Canberra: Asia Pacific Press at the Australian National University. 2000. S.xii.
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breitgefächerten Prinzip, mit welchem man für die stärkere Beachtung von Minderheiten, nach mehr Auswahl für Konsumenten, gegen
Monopolisierungserscheinungen oder verschiedene andere Einschränkungen politisch
argumentieren konnte.24
Pluralistische Massenmedien können auf verschiedene Weise ihren Beitrag zum Wert der gesellschaftlichen Vielfalt beitragen. Drei Hauptwege sind zu unterscheiden: a) indem die Medien die Möglichkeit zum Zugriff auf verschiedene Sichtweisen und Meinungen liefern und b) ein großes Auswahlangebot schaffen, können sie c) die Unterschiede in der Gesellschaft wiederspiegeln. Daraus ergeben sich folgende Faktoren, die für ein Maß an Vielfalt in der Pressestruktur herangezogen werden
können:25
Vielfalt als große Zahl an Übermittlungskanälen und Auswahlmöglichkeiten
Auswahl erhöht die Qualität von Kommunikationsdienstleistungen als Konsumprodukt betrachtet. Für die Konsumenten und Rezipienten bedeutet dies mehr Freiheit durch eine hohe Zahl an Dienstleistungen und Medienprodukten, die angeboten werden. Das betrifftFormateebenso wieInhalteder Medien. Eine hohe Anzahl verschiedenartiger Empfänger kann ebenfalls als Garant dafür angesehen werden, daß viele Meinungen und Informationen den Weg zu Konsumenten aus verschiedenen sozialen Schichten finden.
Vielfalt als Zugriffsmöglichkeit auf verschiedene Sichtweisen
Die Medien machen Informationskanäle zugänglich, durch die die verschiedenen Interessen und Meinungen Kontakt zur Gesellschaft aufnehmen und damit ihre eigene Kultur erhalten können. Durch diese Möglichkeit finden neue Ideen und Wandel Eingang in die Gesellschaft. Die Kanäle helfen außerdem dabei, die Mitglieder der Gesellschaft untereinander kommunizieren zu lassen. Das ist den identitätsstiftenden Kräften und dem Zusammengehörigkeitsgefühl zuträglich. Die wichtigsten Faktoren für den Zugriff sind dieFreiheit und Möglichkeit des Ausdrucks.
24Vgl.: McQuail, 1992. S.141ff.
25Vgl.: ebd. S.144ff.
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Vielfalt als Wiederspiegelung gesellschaftlicher Unterschiede
Die inhaltliche Betonung liegt in diesem Zusammenhang auf einerStrukturidentitätzwischen den Medien bezüglich ihres Inhaltes, ihrer Form und ihrer Bedeutung und der Gesellschaft. Die Vielfalt der sozialen Realität sollte sich in den Medien strukturell wiederspiegeln.
Ein Ziel der vorliegenden Arbeit soll es sein, das Einhalten der JD und des BL bezüglich des Erhaltes der demokratischen Struktur in Hinsicht auf die Pressestruktur zu überprüfen, was anhand der vorgestellten Strukturprinzipien Freiheit und Vielfalt unternommen werden kann. Anhand der genannten FaktorenRechte, UmständeundPflichtenwird im Lauf der Untersuchung das Strukturprinzip der Freiheit und anhand der FaktorenVielfalt der Inhalte und Formen, Freiheit und Möglichkeit des AusdrucksundStrukturidentitätdas Strukturprinzip der Vielfalt auf ihre Konsistenz innerhalb des Wandels des Hongkonger Gesellschafts- und Pressesystems untersucht.
Wie eingangs erläutert, ist eines der Ziele der vorliegenden Arbeit einzuschätzen, inwiefern es der Presse gelungen ist, im Prozeß des gesellschaftlichen Wandels die von ihr zu erwartende Rolle zu spielen, oder ob ihr das aus verschiedenen Gründen nicht möglich war.
Es ist festzulegen, welche Faktoren dieser Rolle zuzuordnen sind, was diese Rolle also ausmacht. McQuail (1992) systematisiert die Rolle der Presse in der Gesellschaft funktionell. Er unterscheidet folgende Funktionen, die der Presse in der Gesellschaft zuzgewiesen sind: die Rolle des Gegners, die Rolle des Befürworters, die Rolle des Kritikers und Sachverständigen, die Rolle als Forum, die Rolle als Gatekeeper und die Rolle als informierende Instanz.
Diese Rollen können nach McQuail dann als erfüllt gelten, wenn folgende Voraussetzungen zutreffend sind, d.h. zumindest verschiedentlich beobachtet werden
können:26
26nach: McQuail, 1992.