Gespenster-Krimi 140 - Rebecca LaRoche - E-Book

Gespenster-Krimi 140 E-Book

Rebecca LaRoche

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Beschreibung

Quimby. New-England. Man schrieb das Jahr 1618. Josef McIntosh trat aus seinem Haus an der Hauptstraße und starrte auf die Menge. Feindselig waren etwa fünfzig Augenpaare auf ihn gerichtet.
"Gib sie heraus", forderten die Männer. Sie waren, wie der Schotte wusste, meist irischer Abstammung.
"Sie ist eine Hexe", schrie jemand im Hintergrund. "Und wenn du dich weigerst, sie uns auszuliefern, dann müssen wir in dir einen Teufelsdiener sehen!"
McIntosh erschrak. "Ihr müsst euch irren", sagte er.
"Nein!" Ein blonder Hüne machte sich zum Sprecher seiner Landsleute. "Mit einer Teufelsaustreibung allein ist es bei deiner Tochter nicht getan. Sie muss bei lebendigem Leibe verbrannt werden, damit ihre Seele gen Himmel fährt."
Aus dem Türspalt hinter McIntosh flüsterte eine hohe Stimme: "Gib sie heraus, beim Leben unseres ungeborenen Kindes."

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Inhalt

Cover

Die Rache der Gefolterten

Vorschau

Impressum

Die Racheder Gefolterten

Von Rebecca LaRoche

Quimby. New-England. Man schrieb das Jahr 1618. Josef McIntosh trat aus seinem Haus an der Hauptstraße und starrte auf die Menge. Feindselig waren etwa fünfzig Augenpaare auf ihn gerichtet.

»Gib sie heraus«, forderten die Männer. Sie waren, wie der Schotte wusste, meist irischer Abstammung.

»Sie ist eine Hexe«, schrie jemand im Hintergrund. »Und wenn du dich weigerst, sie uns auszuliefern, dann müssen wir in dir einen Teufelsdiener sehen!«

McIntosh erschrak. »Ihr müsst euch irren«, wehrte er sich.

»Nein!« Ein blonder Hüne machte sich zum Sprecher seiner Landsleute. »Mit einer Teufelsaustreibung allein ist es bei deiner Tochter nicht getan. Sie muss bei lebendigem Leibe verbrannt werden, damit ihre Seele gen Himmel fährt.«

Aus dem Türspalt hinter McIntosh flüsterte eine hohe Stimme: »Gib sie heraus, beim Leben unseres ungeborenen Kindes.«

Alles hat erst angefangen, dachte McIntosh, nachdem meine erste Frau am Wundfieber starb und ich die junge Mary Moore heiratete.

»Ich mache euch einen Vorschlag, Leute«, rief er mit erhobener Stimme. »Wir vergessen den Scheiterhaufen. Ihr wisst, dass ich als Baumeister gerade unser Rathaus baue und ...«

Die erregten Bürger vor ihm waren jetzt eine gewaltige, schweigende Mauer, die drohend auf ihn zu rückte.

McIntosh merkte sehr wohl, wie feindselig sie ihn alle musterten.

»Ich werde sie einmauern! Und ihr alle könnt dabei sein«, schlug er vor.

Das hatte keiner von ihnen erwartet.

»Können wir dir trauen?«, fragte einer der Männer.

»Aber sie muss lebendig eingemauert werden«, kreischte das Weib von vorhin.

»Lebendig«, sagte McIntosh mit schwerer Stimme. Ich muss ihr die Flammen ersparen, dachte er.

»Wir holen sie ...« Einige Leute versuchten ins Haus einzudringen. Doch da war auf einmal hinterm Haus lautes Geschrei zu hören.

Und dann die gellend hohe Stimme von Elizabeth.

Josef McIntosh schwankte.

Sie hatten Elizabeth. Jetzt war sie verloren.

»Seid ihr einverstanden, dass ich sie einmauere?«, brüllte er.

»Ja, ja ...«

Der Schotte sah Sensationshunger in den Augen der aufgebrachten Menge. Er wandte seinen Kopf zur Seite.

Sie brachten Elizabeth. Zu sechst hielten sie sie fest.

Ein Aufschrei ging durch die Menge.

Das neunzehnjährige junge Mädchen trug ein zerfetztes wollenes Kleid, das am Ausschnitt eingerissen war. Die grünen Augen funkelten vor Zorn, und ihr lockiges, rotes Haar war zerzaust und wild.

»Ihr Narren«, schrie das Mädchen. »Seht ihr denn nicht, warum der alte Moore euch gegen mich aufgehetzt hat?«

Josef McIntosh sah Josuah Moore zu Elizabeth treten.

Er spuckte ihr ins Gesicht. »Du bist eine Hexe! Gib es zu ... dein böser Blick ist schuld daran, dass mein Sohn in den Bergen abgestürzt ist. Du hast ihn in den Tod getrieben.« Er hob seine Stimme. »Sie will unsere ganze Familie vernichten, weil sie's nicht ertrug, dass meine Tochter ihre Stiefmutter wurde.«

»Foltert sie«, kreischte das Weib. »Sie soll gestehen, dass sie mit Satan im Bunde ist.«

»Das ist zu zeitraubend«, entschied einer der Iren. »Wir nehmen McIntoshs Vorschlag an.«

Elizabeth sah ihren Vater an. Er würde ihr helfen. Sie war doch seine Tochter. Und daran konnte auch Mary, seine zweite Frau, nichts ändern.

»Welchen Vorschlag, Vater? Wirst du mich fortschicken?«, flüsterte sie.

Josef McIntosh wich ihrem Blick aus.

»Schafft sie zur Baustelle«, befahl er rau.

Die Reaktion auf seinen Befehl war ein lautes, zustimmendes Kreischen.

Sie packten Elizabeth und schleiften sie die Straße entlang. Die anderen tanzten und schrien vor Vergnügen.

Ein nackter Arm streckte sich aus der Haustür.

Josef McIntosh wurde ins Haus gezogen. Die weichen Hände Marys fuhren ihm unters Hemd. Mary drängte sich an ihn.

»Du bist wundervoll. Ich liebe dich«, raunte sie.

Er sah ihr in die porzellanblauen Augen. Er war ihr, der um zwanzig Jahre jüngeren Mary, völlig verfallen. Und sie trug sein Kind unterm Herzen.

Er hatte längst zwischen Elizabeth, seiner Tochter aus erster Ehe, und ihr – seiner zweiten Frau – entschieden. Ihre junge Sinnlichkeit machte ihn, den Alternden, trunken und schwach.

Josuah Moore rief von draußen: »McIntosh? Du bist jetzt die Hauptperson! Schnell, sie sind schon an der Baustelle!«

»Mach's richtig«, flüsterte Mary ihm zu. »Lass sie auf immer verschwinden! Erst dann können wir uns ganz unserer Liebe hingeben, Josef. Du weißt doch, dass ich dich sehr glücklich machen kann?«

»Ja«, erwiderte Josef McIntosh mit heiserer Stimme, küsste sie, riss sich von ihr los und drehte sich um. Er verließ sein Haus und eilte die Straße entlang auf die Baustelle zu, wo die Menschenmenge auf sein Eintreffen wartete.

Und in ihrer Mitte stand – von gierigen Händen festgehalten – Elizabeth, seine Tochter.

Man schrieb das Jahr 1975.

An dem kleinen Ort Quimby Maine war der Fortschritt vorbeigegangen. Nur etwa dreihundert Einwohner lebten hier.

Der nahe große Eagle-Lake und die endlosen Wälder im Nordwesten brachten besonders zum Wochenende und im Sommer viele Erholungssuchende nach Quimby, das abseits von jeder Schnellstraße lag.

Jim und Clark Simmons waren aus dem nahen Caribou mit Baufahrzeugen und sechzehn Arbeitern nach Quimby gekommen.

Quimby sollte eine neue Stadthalle bekommen. Aus diesem Grunde musste das alte Rathaus abgerissen werden. Es war wirklich eine Schande für den ganzen Ort. Zwar standen seine Mauern noch, aber die Fenster hingen nur noch lose in den Angeln, die Dielen quietschten, und besonders nachts glaubten die Einwohner des Ortes geheimnisvolles Geraune in den Amtszimmern zu hören. Wenn der Wind aus dem Norden im Winter durch die Straßen tobte, konnte man nachts einen seltsamen Lichtschein an den Fenstern vorbeigeistern sehen.

In der letzten Gemeinderatssitzung war deshalb der einstimmige Beschluss gefasst worden, das schon über dreihundertfünfzig Jahre alte Rathaus abzureißen und stattdessen ein neues mit viel Glas und Fußbodenheizung zu bauen. Die Bürger des Ortes hatten sogar freiwillige Spenden dafür erbracht.

Die Baufirma »Smith Corporation« aus Caribou entsandte nach Auftragserteilung die Zwillingsbrüder Simmons mit den Bauarbeitern nach Quimby. Jim war Architekt, Clark Bauleiter. Sieben Baufahrzeuge – darunter eine Dampframme und ein Kran – fuhren dem Mannschaftswagen hinterher. Jim und Clark führten in einem brandneuen Chrysler Faux Cabriolet die Wagenkolonne an.

»Dieses gottverdammte Nest hat sicher nur eine Kneipe«, sagte Jim zu seinem Zwillingsbruder und gähnte. »Der Teufel soll mich holen, wenn wir nicht nach vier Tagen hier fertig sind und wieder nach Caribou zurückkönnen.«

»Es dauert mindestens dreimal so lang«, murmelte Clark. »Auch wenn wir mit Fertigbauteilen arbeiten, so schnell geht es ja nun doch nicht. Allein das Ausheben des Kellers wird zwei Tage dauern. Und da er ausbetoniert wird ...«

»Halt mir bitte keine technischen Vorträge«, knurrte Jim. »Das ist doch ein alter Hut. Wenn wir zum Wochenende noch hier sein müssen, lasse ich Janet nachkommen.«

»Und ich dachte, du wolltest einer Dorfschönheit den Kopf verdrehen«, flachste Clark.

Obwohl sie Zwillinge waren, unterschieden sie sich im Wesen sehr. Für Jim, den Herzensbrecher, zählten zuerst die Frauen. Dann erst kam die Arbeit an die Reihe. Clark war ernster, nicht so kontaktfreudig wie Jim. Er hatte auch noch keine ernsthafte Bekanntschaft gehabt, nur ein paar Freundinnen, die er, nach Jims Meinung, völlig falsch behandelte, sodass so ein Flirt immer sehr schnell beendet war.

»Haha, Dorfschönheit ...« Missmutig starrte Jim Simmons aus dem Wagenfenster.

Sie fuhren jetzt in Quimby ein. Was für ein winziges, ödes Nest! Es gab im Grunde nur eine ziemlich krumme Hauptstraße, an der die meisten Grundstücke lagen. Nur wenige Neubauten standen hier.

»Die meisten Häuser scheinen aus derselben Zeit wie das alte Rathaus zu stammen«, murmelte Jim missmutig. »Wie kann man nur in unserer Zeit so primitiv leben!«

»Die Leute werden arm sein. Quimby scheint nur im Sommer für drei Monate an den Touristen zu verdienen«, vermutete Clark achselzuckend. »Halt, dort ist das alte Rathaus. Stopp, Jim.«

»Ich steh' ja schon auf der Bremse!« Jim bremste scharf und steckte seinen Kopf aus dem Fenster. »Wenn ich hier geboren worden wäre, hätt' ich längst Reißaus genommen. Aber schräg gegenüber ist ein Hotel. Wenigstens etwas.«

Auch Clark fand den Ort trostlos, aber er sagte nichts und stieg aus.

Die Arbeiter würden jeden Abend zurück nach Caribou fahren. Die Zwillingsbrüder allerdings waren von der Smith Corporation vertraglich verpflichtet, bei den teuren Baumaschinen zu bleiben und sich nicht aus dem Ort wegzurühren, ehe der Neubau nicht stand.

Auch diese trostlose Zeit wird vorübergehen, dachte Clark.

Aber schon einige Stunden später war er einer Sache auf der Spur, die ihn an seinem Geisteszustand zweifeln ließ.

Die Arbeiter hatten am ersten Tag das Dach und die schwere Steintreppe abgetragen und einige Fenster- und Türrahmen aus den Wänden gerissen. Jetzt war es Abend.

Jim saß in der Hotelbar am Tresen und ließ sich volllaufen. Er würfelte mit dem Wirt und ließ sich von ihm etwas über Quimby erzählen. Der Mannschaftswagen mit den Arbeitern war nach Caribou zurückgefahren.

Clark schlenderte nach dem Essen hinüber zum Rathaus. Der Bürgermeister Hayman amtierte provisorisch in seinem Privathaus am Ende der Mainstreet. Bis auf den letzten Nagel war das alte Rathaus leergeräumt worden.

Die Haustür stand halb offen. Clark drückte sie vollends auf und sah sich um. Es war schon zu dunkel, um noch etwas zu erkennen.

In den Bauplänen hatte er gelesen, dass dieses Haus im Jahre 1618 von einem gewissen Josef McIntosh gebaut worden war. Die Wände waren aus Natursteinen, auch die Innenwände. Clark knipste sein Feuerzeug an und sah sich um.

Well, dachte er, mit diesem alten Kasten können die Bürger von Quimby wirklich keinen Staat mehr machen!

Er schob mit den Schuhen eine leere Coladose vor sich her und steuerte auf die Hintertür zu.

Aber die Tür war abgesperrt.

Gerade, als er sich abwenden wollte, hörte er die Stimme.

Er blieb stehen. Da war sie schon wieder ...

»Du wirst mich herausholen ... du wirst mich rächen«, raunte sie.

Clark verbrannte sich an der Feuerzeugflamme. Sie verlöschte. Nun war es stockdunkel.

»Wer sind Sie?«, fragte er.

»Wie heißt du?«, fragte die geheimnisvolle Stimme.

»Clark Simmons. Aber wo sind Sie?«

»In der Mauer, Clark.«

Clark lachte bitter auf. Einen komischen Humor hatten die Einwohner von Quimby. Wer trieb hier eigentlich seinen Spaß mit ihm?

»So, in der Mauer bist du also«, sagte er, auf den Scherz eingehend. »Ei, ei, was es in Quimby nicht alles gibt! Wie heißt du denn?«

»Ich bin Elizabeth, Clark.«

»Elizabeth also. Und du hast dich in der Mauer versteckt. Kannst du mir nicht sagen, wo genau?«

»Ja. Direkt neben der Tür. Von dir aus rechts.«

Clark Simmons lachte ärgerlich auf.

»Der Teufel soll dich holen«, sagte er. »Glaubst du vielleicht, dass du mich zum Narren halten kannst, nur weil ich ein Fremder bin?«

»Nicht zum Narren, Clark«, flehte die Stimme. »Ich bin schon sehr, sehr lange in der Mauer. Man schrieb das Jahr 1618 ...«

Jetzt hatte Clark endgültig genug.

»Du siehst wohl zu viel fern, wie?«, entfuhr es ihm. »Bleib in der Mauer, ich wünsch' dir eine gute Nacht.«

Er entfernte sich schnell, stieß von Neuem an die verdammte Colabüchse und fluchte.

Und er hörte die Stimme rufen: »Hilf mir ... hilf mir ...«

Dieses Wispern ging ihm unter die Haut.

Die Stimme schien auch tatsächlich aus der Wand zu kommen. Beinahe fluchtartig stolperte er aus dem Gebäude und eilte außen herum zur Hintertür des Hauses. Nirgendwo war ein Mädchen zu sehen. Er machte kehrt und ging zurück ins Hotel.

»Nanu? Du bist ja ganz grün im Gesicht!«, zog ihn Jim auf, als er sich neben ihn auf den Barhocker schwang.

Clark verlangte einen dreistöckigen Drink und stützte sich auf die Tresenplatte.

»Sagen Sie, Mr. Moore, habt ihr hier im Ort eine Elizabeth?«

»Elizabeth?«, wiederholte Ed Moore, der Barkeeper und Hotelwirt in einer Person war.

»Du bist also einer Elizabeth begegnet?«, grinste Jim. »Erzähl mal, wie sieht sie aus? Ist sie sexy?«

»Hier gibt es keine Elizabeth«, sagte Moore bedächtig. »Merkwürdig, ich habe nie den Grund dafür erfahren. Ich komme aus dem Süden von Maine, aus Lewistone. Meine Frau hat das Hotel von ihrem Onkel geerbt. No, Sir, in ganz Quimby gibt es keine Elizabeth. Ich wollte unsere Tochter so nennen, die jetzt in New York arbeitet, aber Natalie hat protestiert. Niemand in diesem Ort nennt seine Tochter Elizabeth.«

Die Tür öffnete sich. Ein junges Mädchen kam herein. Es hatte das lange, rote Haar im Nacken zu einem Knoten verschlungen und besaß eine durchsichtig weiße, feine Haut.

»Mr. Moore?«, sagte sie. »Ich gehe dann nach Hause.«

»Ja, in Ordnung, Bess.«

Das Mädchen legte einen Schlüssel vor ihn hin, drehte sich um und ging mit seltsam wiegendem Schritt hinaus.

»Bess ist eine Abkürzung von Elizabeth«, sagte Clark langsam. »Wer ist das Mädchen?«

»Tochter vom alten Melroy«, knurrte der Wirt. »Der wollte mal sehr reich werden und hat sein ganzes Geld in der Lotterie verspielt. Bei einer Ziehung neunhundertsiebzig Dollar. Hui, und weg war das Geld! So schnell geht das. Seitdem ist Bess bei mir angestellt. Aber auf den Namen Elizabeth wurde sie nicht getauft. Der Pfarrer hat sie Bess genannt. Na ja ... sie ist 'n bisschen merkwürdig.«

»Warum?«, wollte Jim neugierig wissen. »Hätte nicht gedacht, dass es in dieser Gegend solche rothaarigen Girls mit so weißer Haut gibt.«

»Ihre Eltern stammen aus Quimby, alle beide. Ich werde mich hier nie einleben. Das heißt, ein Vorfahre von mir hat auch mal hier gelebt. Etwa zur selben Zeit, als das alte Rathaus gebaut wurde. In der Kirche ist die Geschichte von Quimby niedergeschrieben. Jeder Pfarrer, der hier predigt, arbeitete an dem Buch.«

»Quimby hat sogar eine Geschichte, hört, hört«, spottete Jim. »Hat diese Bess einen Freund, Mr. Moore?«

»Bess? Ich glaube nicht. Die Boys im Dorf machen 'nen Riesenbogen um sie. Sie hat einmal einem das Gesicht zerkratzt, als er frech werden wollte. Aber mein Neffe Jeff war hinter ihr her. Seitdem ist er verschwunden ...«

Jim Simmons' Augen begannen zu leuchten. »Sicher hat sie ein tolles Temperament!«, entfuhr es ihm. »Mann, o Mann, Clark, vielleicht wird es hier in Quimby doch nicht so langweilig.«

Die Dampframme – ein Spezialgerät zum Einreißen dicker Mauern war in voller Aktion.

Das Dach und die Frontmauer des alten Rathauses waren schon abgetragen. Jetzt nahm die Baumaschine scheinbar spielend die seitlichen Mauern. Sie wurde unterhalb der Fenster angesetzt und brachte die jeweilige Wand wie ein Kartenhaus zum Einsturz.

Einige Bürger von Quimby hatten sich versammelt und sahen atemlos zu.

Im Führerhaus der Dampframme saß Tony Williams. Manchmal bediente er auch den Kran.

Die Bauarbeiter standen mit Schaufeln im Hintergrund und warteten, bis die Maschine auch die Hinterwand eingerissen hatte. Erst dann konnten sie die Mauersteine auf den Truck laden.

Clark beaufsichtigte das Ansetzen der breiten Ramme.

»Tiefer, Tony ... noch tiefer«, schrie er zum Führerhaus hinauf.

Tony nickte ihm durch das Glas zu.

Da ...

Die Stimme von gestern Abend.

»Clark, pass auf«, raunte sie. »Tut mir nicht weh.«

Clark Simmons drohten die Augen aus den Höhlen zu fallen.

»Keine Fremden an der Baustelle ... alles zurücktreten«, brüllte er.

Der Bürgermeister Hayman, ein wieselflinker, kleiner Mann mit Stirnglatze, kam näher.

»Aber es stehen überall große Schilder. Niemand ist in der Nähe.«

»Doch«, erklärte Clark. »Hinter dem Haus. Sehen Sie nach, Mr. Hayman.«

Der Bürgermeister riss die Hintertür auf, die sich heute spielend leicht öffnen ließ, und sah hinaus.

»Niemand da.«

»Aber ...« Clark verstummte. Er konnte schließlich dem Bürgermeister gegenüber nichts beweisen.

»Alles zurücktreten«, wiederholte er, hob die Hand und gab Tony Williams im Führerhaus der Dampframme das Zeichen.

Der schwere Motor grunzte auf. Das Gefährt setzte sich ächzend in Bewegung, das breite Schild vor sich herschiebend, und rückte gegen die Hintermauer vor.

Clark Simmons kniff die Augen zusammen.

Die Mauer erzitterte in ihren Grundfesten. Die Seitenpfeiler stürzten zuerst ein. Die Fenster folgten mit lautem Getöse nach, dann die Haustür.

In dem Staub und Qualm musste Clark husten.

Als die Sicht wieder klar war, hörte er hinter sich ein Gewisper, ein Raunen ... Er fuhr herum. Aber er sah nur, wie sich die Bauarbeiter nähergeschoben hatten und mit allen Zeichen des Entsetzens auf den Berg von hochgetürmten Mauersteinen starrten.

Er folgte ihren Blicken und erschrak jäh.

Malerisch, wie hingegossen auf die dicken Quadersteine, lag dort eine Tote.

Sie trug ein verschlissenes Wollkleid, hatte langes, rotes Haar und grüne, weitgeöffnete Augen. Ihre linke Brust war entblößt.

Schweigen lag über den Menschen.

»Wer ist das?« Bürgermeister Haymans Stimme klang schrill. »Ich habe die Frau noch nie gesehen.«

Jim bahnte sich einen Weg durch die Leute. Er ging fassungslos näher heran.

»Zum Teufel, sie hat in der Mauer gesteckt«, entfuhr es ihm. »Clark?«

»Ja, Jim?«

»Wo ist der Fotoapparat?«

»Im Wagen, Jim.« Clark kam endlich wieder zu sich. »Bürgermeister, holen Sie schnell den Arzt. Und die Polizei muss verständigt werden.«

»Ja, natürlich. Ich beeile mich.« Verstört entfernte sich Mr. Hayman.

Jim hetzte heran. Blitzlichter flammten auf. Er knipste die ganze Kassette leer.

»Da sollte ein Verbrechen vertuscht werden«, sagte Clark erschüttert. »Man glaubte, die Leiche für immer in der Mauer verschwinden lassen zu können.«

»Sie war sehr schön«, sagte Jim. »Findest du nicht auch, dass sie dem Hausmädchen von Mr. Moore ähnlich sieht?«

»Die Tote? Wo denkst du hin?«

Tony Williams schließlich war es, der einen Schrei ausstieß und auf die Tote deutete.

»Da ... was ist das?«

Alle Köpfe fuhren herum zu dem Leichnam.

Die vor wenigen Sekunden noch roten Haare waren jetzt schneeweiß, das jugendfrische Gesicht war eingefallen und die grünen Augen in den schwarzen Höhlen versunken.

»Der Verfall setzt ein«, ächzte Jim.

»Die Verwesung«, verbesserte Clark. Die Leute wichen zurück.

Was sonst in Jahren mit einer Leiche geschah, spielte sich vor ihren Augen innerhalb weniger Minuten ab.

Entsetzen packte die Menschen und schnürte ihnen die Luft zum Atmen ab.

Die Haut der Toten zersetzte sich zusehends, zerfiel. Die Menge wich zurück, weil sie den Anblick nicht ertragen konnte.

Ein Wagenmotor kam näher. Sekunden später hastete Doktor Fleming näher.

»Platz für den Arzt«, rief Mr. Hayman, der Bürgermeister.

Doc Harold Fleming war noch ein junger Mann mit rabenschwarzem Lockenhaar. Seine Hornbrille war leicht getönt. Er war der einzige Arzt in Quimby.

Er kam mit seiner großen, schwarzen Ledertasche und bahnte sich einen Weg durch die Menge, die bereitwillig Platz machte.

Als sein Blick aber auf die Leiche am Boden fiel, blieb er wie vom Blitz getroffen stehen.

»Was soll das, he?«, fragte er laut. »Und deshalb holt man mich von meiner Sprechstunde weg?«

»Aber ...«

Mr. Hayman drängte ihn weiter. »Sie war in der Mauer ... nun sehen Sie doch ...« Auch er warf jetzt einen Blick auf die Leiche. »Das gibt es doch nicht ... das ist doch nicht möglich!«, stotterte er.

Die Leiche der rothaarigen Frau war jetzt nur noch ein Skelett. Dass hier vor wenigen Minuten noch der vollständige Körper einer schönen, toten Frau gelegen hatte, erschien allen unfasslich.

»Hier versagt jede ärztliche Kunst«, erklärte Harold Fleming. »Und jetzt muss ich zurück zu meinen Patienten.«