Gespenster-Krimi 147 - Philippe Pascal - E-Book

Gespenster-Krimi 147 E-Book

Philippe Pascal

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Beschreibung

Eine Gruppe Touristen, die ihren Urlaub auf den Marquesas in Französisch-Polynesien verbringt, unternimmt eine Bootsfahrt zu einer benachbarten Insel, wo für die Urlauber ein Animationsprogramm vorgesehen ist. Doch schon während der Fahrt übers Meer fallen plötzlich sämtliche Navigationsinstrumente aus, sodass die Yacht wie von alleine eine abgelegene Insel ansteuert, an deren Ufer sie ein Riff rammt.
Die Menschen können sich auf die Insel retten, doch hier sitzen sie nun fest: Auf dem Eiland funktionieren keine Handys, außerdem werden die Urlauber von Flugzeugen der Küstenwache nicht bemerkt, obwohl sie alles unternehmen, um auf sich aufmerksam zu machen.
In ihrer Verzweiflung machen sie sich schließlich auf den Weg ins Inselinnere, um nach Einheimischen zu suchen. Dort werden sie schon erwartet ...

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Seitenzahl: 145

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Dämonen unter Palmen

Vorschau

Impressum

Dämonenunter Palmen

Von Philippe Pascal

Irgendwo in der Südsee, im Herzen von Französisch-Polynesien, liegt ein geheimnisvolles Eiland. Niemand kennt die Insel, die auf keiner Karte verzeichnet ist und hinter deren tropischer Kulisse ein dämonischer Zauber lauert. Für eine Handvoll Menschen, die der Zufall hierher verschlägt, scheint sich auf der Insel ihr Schicksal zu erfüllen. Anfangs wähnen sie sich im Paradies – aber bald müssen sie erkennen, dass sie geradewegs in der Hölle gelandet sind!

Der Kiel der Bon Voyage pflügte mit fünfzehn Knoten Fahrt die Fluten des Pazifischen Ozeans. Schäumend brachen sich die Bugwellen, ehe sie wieder eins mit dem Meer wurden, das gleißend im Schein der Sonne lag und am Horizont in jeder Richtung mit dem Azurblau des Himmels zu verschmelzen schien.

Die fünf Passagiere an Bord der Motoryacht störte die Hitze nicht. Sie hatten es sich auf der Flybridge bequem gemacht, jenem zweiten Deck auf dem Dach der Yacht, das zum Schiffsheck hin in einer Plattform auslief. Hier schützte sie ein aufklappbares Stoffdach nicht nur vor direkter Sonneneinstrahlung, der Fahrtwind sorgte zusätzlich für angenehme Kühle.

Kühl war es natürlich trotzdem nicht. Aber das tropische Klima war ja auch der Hauptgrund, warum sie sich gerade jetzt zu einem Urlaub in der Südsee entschlossen hatten. Der Kalender zeigte Mitte Dezember, in Europa hatte der Winter Einzug gehalten, Weihnachten stand wieder einmal vor der Tür. Und so unterschiedlich die fünf Touristen auch sein mochten, die sich auf der Bon Voyage zusammengefunden hatten, eines einte sie: die Abneigung gegen Schnee, Eis und Kälte im Allgemeinen und gegen den Weihnachtstrubel im Besonderen.

Die dunkle, kalte Jahreszeit empfanden sie grundsätzlich als Widrigkeit, die man am besten im Zustand des Winterschlafs überdauerte. Zur unerträglichen Zumutung wurde sie, wenn sie gleichsam den Rahmen für eine vierwöchige kulturelle Dauerhysterie bildete, der niemand entkommen konnte: Weihnachtsfilme im TV, Weihnachtslieder im Radio und den Kaufhäusern und grelle, die Augen schmerzende Lichterketten, wohin man auch sah. Die Krönung des Ganzen war der merkwürdige Wunsch einer breiten Öffentlichkeit, dass zur Bescherung so viel Schnee fiel, dass man am nächsten Morgen die Haustür nicht aufbekam.

Wie konnte man sich diesem Irrsinn besser entziehen als durch eine vorübergehende Flucht in einen entlegenen Winkel der Welt, wo es schlichtweg keinen Winter gab und der schon rein optisch keine Weihnachtsstimmung aufkommen ließ? Palmen statt Tannenbaum, schneeweiße Strände statt Schnee auf den Straßen, Südseetraum statt Weihnachtszauber – dieses Motto konnten die Marquesas getrost für sich verbuchen.

Knapp vier Flugstunden von Tahiti entfernt, gehörten die Marquesas ebenso zu Französisch-Polynesien wie die legendäre Perle der Südsee, erreichten aber nicht annähernd deren Bekanntheitsgrad. Die Abgeschiedenheit des Archipels – nur die Hälfte der spärlich besiedelten Inselgruppe war bewohnt – hatte bis heute das Entstehen eines Massentourismus verhindert, das Leben verlief in vergleichsweise beschaulichen Bahnen.

Auch das Preisniveau lag deutlich unter jenem von Tahiti, weshalb die Marquesas unter Südseereisenden als ausgesprochener Geheimtipp galten. Wer keinen Luxus erwartete, aber Komfort schätzte, wer einen Hauch der urtümlichen Südsee erleben wollte, für den waren die Marquesas genau das Richtige.

Hier hatte sich einst der französische Maler Paul Gauguin vor der Zivilisation zurückgezogen, dem belgischen Chansonnier Jacques Brel waren die Marquesas zur zweiten Heimat geworden, die er auch in seinen Liedern musikalisch verewigt hatte. Die Gräber der beiden konnten noch heute auf Hiva Oa besucht werden, der zweitgrößten Insel des Archipels, wo sich auch das Hotel der fünf Touristen befand.

Eine Besichtigung der Grabstätten war für die nächsten Tage geplant, heute stand eine Bootsfahrt zu einer benachbarten, unbewohnten Insel auf dem Programm. Dort erwartete die Urlauber ein reichhaltiges Strandbüffet sowie die Aufführung einer polynesischen Folkloregruppe, bestehend aus grimmig dreinblickenden Kriegern und hüftschwingenden Bastrock-Trägerinnen. Urtümliche Südsee hin oder her, die Klischees wollten natürlich auch auf den Marquesas bedient werden.

»Laut Wettervorhersage fällt heute in Paris der erste Schnee«, verkündete Henri Gauthier, und in seiner Stimme schwang hörbare Zufriedenheit mit, dass ihm das Schicksal der Stadtbewohner erspart blieb. »Von wegen weiße Pracht! Glatte Straßen und Matsch auf den Bürgersteigen – da gefällt es mir hier schon besser!«

Der stiernackige und kahlköpfige Fabrikant, der mit der Produktion von Fischkonserven ein Vermögen gemacht hatte, thronte am Kopfende der Sitzgarnitur, die die linke Hälfte der Flybridge einnahm. Über seinen beachtlichen Bauch spannte sich ein schreiend buntes Hawaii-Hemd, seine stämmigen Beine steckten in Bermudashorts.

Gauthiers mit dem Rücken zur Reling sitzende Gattin nickte nur bedächtig, wie sie es häufig tat, wenn sie besonders vornehm wirken wollte. Colette Gauthier trug ein Designerkleid und eine überdimensionierte Sonnenbrille, ihr schwarzes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

»Sie haben es gerade nötig, sich zu beschweren«, hielt Madeleine Mercier dem Fabrikanten entgegen, dem sie genau gegenübersaß.

Die Theaterintendantin aus Lyon war für ihre gewagten Inszenierungen klassischer Stücke bekannt. Kupferfarbenes Haar umfloss in sanften Wellen ihre aparten Gesichtszüge und kontrastierte hervorragend mit dem mintgrünen Top sowie dem gleichfarbigen Strandrock, der ihre langen schlanken Beine umspielte. Die winzigen Sommersprossen auf ihren Schultern und Wangen verstärkten noch ihre Attraktivität.

»Wenn ich richtig informiert bin, stammen Sie nicht aus Paris, sondern besitzen eine Fischfabrik in der Bretagne. Dort herrscht doch ganzjährig ein mildes Klima, Schnee bekommen Sie da nicht zu Gesicht. Ich wünschte, ich könnte das auch behaupten! In Lyon können die Winter durchaus streng sein, dafür sorgt schon die Nähe zu den Alpen.«

»Stimmt«, gab Gauthier zu. »Aber wirklich warm ist es um diese Jahreszeit in der Bretagne auch nicht. Außerdem können Sie die raue Küste dort nicht mit den traumhaften Stränden der Marquesas vergleichen.«

»Die einzige Küste, die mich jetzt interessiert, ist die der unbewohnten Insel, wo wir hoffentlich bald vor Anker gehen«, meinte der Sitznachbar zu Madeleines Linker unternehmungslustig. »Bestimmt erwarten uns dort einige halb nackte Hula-Tänzerinnen, die uns zur Begrüßung Lei-Kränze um den Hals hängen. Mann, ich fühle mich schon jetzt wie James Cook, als er einst Tahiti entdeckte.«

Mit seinem blonden Dreitagebart und der wallenden Haarmähne wirkte Vincent Marais wie der Prototyp eines Aussteigers, ein Eindruck, der durch seine knielangen, ausgefransten Jeans und das vor der Brust offene Kurzarmhemd noch unterstrichen wurde. Tatsächlich arbeitete er als Reisejournalist für ein Boulevardmagazin, für das er reißerische Reportagen verfasste, und war in dieser Eigenschaft schon um den halben Globus gekommen. Den Aufenthalt auf den Marquesas musste er aus eigener Tasche berappen, er war hier ebenso Tourist wie die übrigen Passagiere. Insgeheim hoffte er allerdings auf ein journalistisch verwertbares Ereignis, um so seine Urlaubskasse wieder aufzufüllen.

»Leider muss ich Sie mehrfach korrigieren«, brachte sich nun der Tourist neben Marais in das Gespräch ein, ein Mann um die dreißig mit ebenmäßigen Gesichtszügen, dem das dunkle Haar in Strähnen in die Stirn fiel. Seine drahtige, sonnengebräunte Gestalt steckte in einem weißen T-Shirt, hellblauen Shorts und Leinenschuhen.

Jean Lambert war Dozent für Völkerkunde an der Pariser Universität und deshalb schon von Berufs wegen mit der Geschichte und Kultur der Südseeinseln bestens vertraut. Auf den Marquesas suchte er eigentlich nur Erholung, aber jetzt konnte er sich einfach nicht zurückhalten.

»Der bekannte Hula-Tanz ist nur auf Hawaii gebräuchlich, nicht aber im restlichen Polynesien, wo ähnliche Tänze aufgeführt werden, die aber eine andere Bezeichnung erfahren. Was nun James Cook betrifft, so hat der nicht Tahiti entdeckt, sondern Hawaii, was ihm allerdings nicht gut bekommen ist: Er wurde dort von den Insulanern erschlagen und möglicherweise auch verspeist. Letzteres ist allerdings wissenschaftlich umstritten und bewegt sich im Bereich der Spekulation.«

»Und wenn schon«, erwiderte Marais unbeeindruckt. »Das Geschäftsmodell unseres Hotels besteht bestimmt nicht darin, dass es seine Gäste auf einer einsamen Insel irgendwelchen Eingeborenen als Vorspeise serviert. Und ob die Insulanerinnen einen Hula, einen Twist oder einen Boogie aufführen, ist mir eigentlich egal. Hauptsache, sie tanzen überhaupt und zeigen dabei viel nackte Haut.«

Seine letzte Bemerkung brachte ihm einen vorwurfsvollen Blick Colette Gauthiers ein, was aber unter ihrer riesigen Sonnenbrille nur zu erahnen war.

Jetzt schob sie die Brille ein Stück in Richtung der Nasenspitze und sah über die Ränder der schwarzen Gläser hinweg aufs offene Meer.

»Wo bleibt eigentlich diese Insel? Im Hotel wurde uns gesagt, dass die Überfahrt nur eine knappe Viertelstunde dauert. Wir sind aber bestimmt schon mehr als zwanzig Minuten unterwegs.«

»Tatsächlich«, stellte ihr Gatte mit einem Blick auf die Armbanduhr verärgert fest. Er hob den Kopf wieder und spähte um sich, aber wohin er auch sah, überall bot sich ihm das gleiche Bild: schaumgekrönte Wellen und im Sonnenlicht glitzerndes Meer, das sich nach allen Seiten bis zum Horizont erstreckte. Nirgendwo war auch nur das kleinste Stück Land auszumachen.

»Seltsam«, meinte er anschließend. »Von dieser Insel ist nicht einmal der Wipfel einer Palme zu sehen. Selbst wenn wir sie mit einigen Minuten Verspätung erreichen, müssten wir sie zumindest schon erkennen.«

»Ich weiß, es klingt merkwürdig«, sagte Madeleine Mercier mit gesenkter Stimme, so, als müsste sie sich erst dazu überwinden, ihre Vermutung auch auszusprechen. »Aber irgendwie kommt es mir vor, als hätte unsere Yacht ihren Kurs geändert.«

In der ihren Worten folgenden Stille wirkten das Dröhnen des Motors und das Klatschen der Wellen gegen die Bootswände fast überlaut. Auch die übrigen Touristen blickten sich nun misstrauisch um, angesteckt von der Skepsis der Theaterintendantin und des Fabrikantenehepaars.

Jean Lambert gab als Mann der Wissenschaft nicht viel auf unbestimmte Empfindungen und verließ sich lieber auf Fakten. Im konkreten Fall aber musste er sich eingestehen, dass ihre Gefühle die Theaterintendantin nicht betrogen hatten. Zu dieser Einsicht verhalf ihm ein Blick zum Himmel, konkret zur Sonne.

Es war jetzt später Vormittag, und die geplante Route der Yacht führte von Ost nach West, was auch zum bisherigen Stand der Sonne schräg zu ihrer Linken passte. Nun aber stand die Sonne fast senkrecht über ihnen, und das ließ nur den Schluss zu, dass die Bon Voyage nach Süden abgebogen war und sich somit immer weiter vom ursprünglichen Ziel ihrer Reise entfernte!

Vertieft in die Plauderei auf Deck, hatte bis jetzt niemand die Kursänderung bemerkt, zumal sie wohl auch nicht abrupt, sondern allmählich verlaufen war. Nun aber bestand nicht mehr der geringste Zweifel, dass die Yacht eine falsche Richtung eingeschlagen hatte.

Jean teilte seine Beobachtung den anderen mit, die nun ebenfalls zum Himmel und über das Meer sahen, und einige Sekunden lang nahmen sie ihre Umwelt auf dieselbe beängstigende Weise wahr.

Der endlosen Weite des Meeres haftete plötzlich etwas Bedrohliches an. Fast schien es, als wollte der Ozean den Menschen die Botschaft übermitteln, dass er sie für unerwünschte Eindringlinge hielt, die er trotz ihrer modernen Technik jederzeit in die Irre führen und vernichten konnte.

Die Sonne, eine stumme Zeugin des Vorfalls auf hoher See und eigentlich als Spenderin von Wärme und Licht geschätzt, wurde zu einem lodernden Auge, das voll Feindseligkeit auf die Menschen herabblickte. Das Gespenst der Furcht – plötzlich weilte es als unsichtbarer Passagier an Bord der Bon Voyage.

Henri Gauthier gewann seine Fassung als Erster wieder – und ließ seinem Ärger freie Bahn.

»Ja, verdammt noch mal, ist denn der Kapitän stockbetrunken, oder hat er sein Patent in der Lotterie gewonnen?«, empörte er sich. Dann ruckte sein Schädel in Richtung der zierlichen jungen Frau mit dem gelockten blonden Haar, die beim Treppenabsatz zum Hauptdeck stand. Ihre weiße Kurzarmbluse sowie der gleichfarbige knielange Rock wiesen sie als Angehörige des Bootspersonals aus.

»He, Bootshostess!«, rief er im Tonfall eines Sklaventreibers auf einer Baumwollplantage. »Schwingen Sie Ihren hübschen Hintern in das Steuerhaus und fragen Sie den Kapitän, ob er den Verstand verloren hat! Er soll uns zu dieser verdammten Insel schippern und keine mehrtägige Kreuzfahrt auf hoher See mit uns unternehmen! Für diesen missglückten Ausflug bezahle ich dem Hotel keinen müden Cent, das kann ich Ihnen jetzt schon versprechen!«

Jacqueline Ardant trug normalerweise beim Umgang mit Touristen stets ein freundliches Lächeln auf den Lippen, wie es von einer Hostess erwartet wurde, die bei Reiseveranstaltungen für die Betreuung der Gäste zuständig war. Jetzt aber spiegelte sich Unbehagen auf ihrer Miene – allerdings nicht wegen des Benehmens des Fabrikanten. Derartigen Situationen waren ihr vertraut, und sie wusste auch mit den schwierigsten Gästen umzugehen. Was ihr Kopfzerbrechen bereitete, war ebenfalls die Kursänderung der Yacht, die sie schon lange vor den Touristen bemerkt, aus Rücksicht auf diese aber nicht erwähnt hatte.

Was für einen Grund mochte es wohl geben, dass die Bon Voyage vom ursprünglichen Ziel ihrer Reise abgewichen war? Lag es bloß an einem technischen Defekt, oder war gar der Kapitän ohnmächtig über seinem Steuerrad zusammengebrochen und benötigte dringend Hilfe? Diese Fragen schossen durch ihren Kopf, während sie sich krampfhaft bemühte, sich ihre innere Anspannung nicht anmerken zu lassen.

Jetzt aber hatte sie ausgerechnet Henri Gauthier aus ihrer misslichen Lage befreit. Fast war sie ihm dankbar dafür, dass sie im Steuerhaus endlich nach dem Rechten sehen konnte, ohne das Misstrauen der Gäste zu wecken, weil sie sich von ihnen entfernte.

Jacqueline nickte Gauthier noch knapp zu, dann eilte sie Treppe zum Hauptdeck hinab, vorangetrieben von quälender Ungewissheit.

Pierre Chabrol war weder stockbetrunken, noch hatte er sein Patent in der Lotterie gewonnen, wie von Gauthier im Zorn geäußert. Er war, im Gegenteil, ein äußerst fähiger Kapitän, erfahren in der Führung seines Schiffes und bestens vertraut mit den Gewässern der Marquesas, die er seit Jahren befuhr.

Auch mit den Passagieren kam er gut zurecht, dennoch nahm er nur ungern den Platz auf dem Ruderstuhl der Flybridge ein, wo er ständig die gleichen Fragen neugieriger Gäste beantworten musste. Er bevorzugte es, die Bon Voyage vom Steuerhaus des Hauptdecks aus zu navigieren, konnte er sich hier doch voll und ganz auf seine Tätigkeit konzentrieren, während sich seine Gäste am Anblick des weiten Meeres erfreuten und von der Bootshostess bei Laune gehalten wurden.

Hochgewachsen und breitschultrig, mit kantigen Gesichtszügen und sonnengebleichtem Haar, strotzte Chabrol nur so vor Vitalität. In seinem weißen Outfit wirkte er wie geradewegs dem Katalog eines Reisebüros entstiegen, das für Kreuzfahrten durch die Südsee warb.

Als Kreuzfahrt konnte die heutige Schiffstour wahrlich nicht bezeichnet werden. Chabrol sollte einige Touristen von Hiva Oa aus zu einer kleinen, unbewohnten Insel bringen, dort vor Anker gehen und abwarten, bis die Urlauber ihr dreistündiges Animationsprogramm absolviert hatten. Anschließend würde er mit ihnen wieder nach Hiva Oa zurückkehren, das knapp vier Seemeilen von der Insel entfernt lag. Eine Routinefahrt, zumal sich das Wetter von seiner besten Seite zeigte und auch nur mäßiger Wellengang herrschte.

Der Kapitän saß entspannt in seinem Steuerstuhl, den Blick durch die Frontscheibe der Yacht aufs offene Meer gerichtet. Seine Unterarme ruhten auf den Stuhllehnen, denn die Bon Voyage war auf Autopilot geschaltet und folgte von allein dem programmierten Kurs von Ost nach West. Erst kurz vor der Insel würde Chabrol wieder selbst Hand ans Steuer legen.

Seine Passagiere schwelgten noch in bester Urlaubsstimmung, als Chabrols Gelassenheit schlagartig endete. Er warf einen Kontrollblick auf den elektronischen Kompass in der Annahme, dort die erwarteten Richtungsangaben vorzufinden – und sah sich im selben Moment in seiner Erwartung getäuscht. Dem Kompass zufolge fuhr die Yacht nämlich nicht mehr nach Westen, sondern hatte Kurs Süd-West eingeschlagen.

Chabrol runzelte irritiert die Stirn. Hatte er den Autopiloten etwa falsch programmiert? Er überprüfte die von ihm zu Beginn der Fahrt eingegebenen Koordinaten und kam zum Schluss, dass alle Daten korrekt waren. Dennoch steuerte das Schiff in eine falsche Richtung.

Ein derartiger Vorfall war Chabrol noch nie untergekommen, trotzdem behielt er auch in dieser Situation die Nerven und handelte besonnen und konsequent. Wenn der Autopilot (aus welchen Gründen auch immer) versagte, blieb immer noch die Handsteuerung, auf die er nun umstellte.

Seine Hände griffen nach dem Steuerrad, um die Yacht wieder auf richtigen Kurs zu bringen, aber dieses widersetzte sich seinen Bemühungen und bewegte sich keinen Millimeter, wie Chabrol auch ein Blick auf den Kompass verriet. Das Schiff behielt seinen falschen Kurs weiterhin bei und bog nun sogar nach Süden ab!

»Das gibt's doch nicht!«, stieß Chabrol fassungslos hervor. In seine Augen trat ein gehetzter Ausdruck, Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Chabrols Rechte löste sich vom Steuerrad und schloss sich um den Griff des Gashebels, um ihn zurückzudrücken und so die Geschwindigkeit des Schiffes zu reduzieren und es anzuhalten.

Die Adern an seinem gebräunten Oberarm traten deutlich hervor, die Anstrengung verzerrte seine Gesichtszüge, aber der Hebel blieb so starr, als wäre er in Beton gegossen.

Der Kapitän ließ von seinem sinnlosen Unterfangen ab und schaltete stattdessen das festinstallierte Funkgerät ein. Das Einzige, was er jetzt noch tun konnte, war das Absetzen eines Notsignals an die Küstenwache in Hiva Oa.

Noch während er das mit einem Kabel verbundene Mikrofon an seine Lippen führen wollte, bemerkte er, dass das Display des Funkgeräts erloschen blieb. Chabrols das Mikrofon umschließende Hand hing kurz wie erstarrt in der Luft, ehe er es mit einer mechanisch wirkenden Bewegung wieder in seiner Halterung befestigte. Eigentlich hatte er mit nichts anderem gerechnet. Dass nahezu zeitgleich auch der elektronische Kompass ausfiel, vermochte ihn schon nicht mehr zu erstaunen. Fast wähnte es ihm, als wollte ihm die Bon Voyage so mitteilen, dass sie selbst nicht mehr wusste, wohin die Reise ging.

Der Kapitän stand vor einem Rätsel. Die Yacht war erst kürzlich gewartet worden und musste sich demnach in einem technisch einwandfreien Zustand befinden. Natürlich konnte es immer geschehen, dass ein Navigationsinstrument vorübergehend nicht funktionierte, aber dass alle kurz hintereinander ausfielen, war schlichtweg unmöglich. Eine derartige Häufung von Zufällen konnte es einfach nicht geben.

Chabrol kam zum Schluss, dass die Blockade der Steuerung und der Ausfall der Bordinstrumente nur auf eine gezielte Manipulation zurückzuführen waren – aber keine Manipulation von menschlicher Hand. Irgendeine unsichtbare Kraft nahm Einfluss auf die Yacht und hatte die Kontrolle über sie errungen.