Gespenster-Krimi 50 - Philippe Pascal - E-Book

Gespenster-Krimi 50 E-Book

Philippe Pascal

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Beschreibung

Das Moor warf Blasen, die mit einem blubbernden Geräusch zerplatzten und einen fauligen Gestank freisetzten, der über das brackige Wasser zog. Nebelschwaden wallten durch das Schilf und ließen die kahlen Zweige eines Weidenstrauchs wie verkrümmte Totenfinger wirken. Es war eine unheimliche, lebensfeindliche Gegend, die nicht umsonst das Teufelsmoor genannt wurde. An manchen Stellen konnte ein einziger falscher Schritt den sicheren Tod bedeuten.
Noch gefährlicher als der Sumpf aber war das, was in seinen dunklen Tiefen bereits auf neue Opfer lauerte ...


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Inhalt

Cover

Impressum

Der Schrecken aus dem Teufelsmoor

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati / BLITZ-Verlag

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9931-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der Schrecken aus dem Teufelsmoor

von Philippe Pascal

Das Moor warf Blasen, die mit einem blubbernden Geräusch zerplatzten und einen fauligen Gestank freisetzten, der über das brackige Wasser zog. Nebelschwaden wallten durch das Schilf und ließen die kahlen Zweige eines Weidenstrauchs wie verkrümmte Totenfinger wirken. Es war eine unheimliche, lebensfeindliche Gegend, die nicht umsonst das Teufelsmoor genannt wurde. An manchen Stellen konnte ein einziger falscher Schritt den sicheren Tod bedeuten.

Noch gefährlicher als der Sumpf aber war das, was in seinen dunklen Tiefen bereits auf neue Opfer lauerte …

Das Monster aus dem Teufelsmoor!

Keuchend rannte Antoine Ferrier durch die nebelverhangene herbstliche Abenddämmerung.

Sein Herz trommelte wie verrückt gegen die Rippen, und die Lungen des Mannes brannten, als wären sie gefüllt mit glühender Lava. Das durchgeschwitzte Hemd klebte ihm wie eine zweite Haut am Rücken.

Antoine Ferrier wusste, dass er sich dem Risiko einer schweren Erkältung oder sogar einer Lungenentzündung aussetzte, aber darauf durfte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Er konnte es sich nicht leisten, zimperlich zu sein, dafür stand für ihn einfach zu viel auf dem Spiel.

Vor einigen Stunden war er aus dem Gefängnis ausgebrochen, und seitdem jagte ihn ein Großaufgebot der Gendarmerie mit bewaffneten Männern und Hunden.

Vier Jahre hatte Antoine Ferrier im Knast verbracht. Vier Jahre lang hatte er täglich graue Mauern und vergitterte Fenster gesehen, ständig denselben Einheitsfraß hinuntergeschlungen und war von früh bis spät den Schikanen sadistischer Wärter ausgesetzt gewesen.

In dem Wissen, dass er nach zwei brutalen Morden nicht einmal im Traum mit einer Entlassung aus seiner lebenslang verhängten Haft rechnen konnte, hatte er sich einen kaltblütigen Plan ausgedacht. Im Tumult eines von ihm entfachten Brandes war es ihm gelungen, unter ein im Gefängnishof stehendes Feuerwehrauto zu kriechen. An die Bodenplatte des Wagens geklammert, hatte er als blinder Passagier die Tore des Zuchthauses hinter sich gelassen und war mit den ahnungslosen Feuerwehrleuten in die Freiheit gefahren.

Dabei war das Glück Antoine Ferriers Verbündeter gewesen. Das betreffende Einsatzfahrzeug hatte von allen Feuerwehrautos das Gefängnis als Letztes verlassen. Auf einer Freilandstraße war es dem Verbrecher dann gelungen, sich unbemerkt und ohne Gefahr, von einem nachfolgenden Wagen überrollt zu werden, fallen zu lassen. Die Prellungen und Abschürfungen, die er bei dieser waghalsigen Aktion davongetragen hatte, waren ihm nahezu gleichgültig. Er lebte, und er war frei – nur das zählte!

Zu Fuß hatte er seine Flucht fortgesetzt. In einer abgelegenen Ortschaft war er in ein Haus eingedrungen, aus dem er eine geladene Pistole gestohlen hatte.

Obwohl er weitere menschliche Ansiedlungen umgangen war und sich zumeist im Schutz von Wäldern fortbewegt hatte, war der blutende und verdreckte Mann in der Sträflingskleidung schließlich einer Bäuerin aufgefallen. Diese hatte dann die Behörden informiert, die dem Ausbrecher schon bald auf den Fersen waren.

Antoine Ferrier kannte keine Skrupel. Er war abgebrüht, gemeingefährlich und eiskalt. Der Verbrecher hatte einst einem Unterweltsboss aus Bordeaux als Leibwächter gedient und sich für ihn die Finger schmutzig gemacht. Zwei Morde an Mitgliedern der sogenannten halbseidenen Gesellschaft konnten ihm nachgewiesen werden – begangen hatte er weitaus mehr.

Nicht nur der Charakter des stämmigen Mannes war durch und durch verdorben, auch sein Äußeres wirkte geradezu abstoßend.

Struppiges, ungepflegtes Haar bedeckte seinen Kopf. Die Augen, die von buschigen, beinahe zusammengewachsenen Brauen beschattet wurden, lagen tief in den Höhlen. Wulstige Lippen bedeckten schadhafte Zähne. Die Nase des Verbrechers war von einem Faustschlag plattgedrückt, und um seine Mundwinkel lag ein brutaler Zug.

Während der letzten halben Stunde war Antoine Ferrier querfeldein über Äcker und Wiesen gerannt, ohne zu wissen, wohin er eigentlich lief. Das Bellen der Hunde und die aufgeregten Rufe der Gendarmen hatten ihn vorangetrieben. Noch hatten seine Verfolger ihn nicht entdeckt, konnten sie die von ihm eingeschlagene Richtung nur erahnen. Der immer dichter werdende Nebel beschränkte die Sicht auf fünfzehn, maximal zwanzig Meter.

Der Ausbrecher wusste hingegen ganz genau, wo sich die Beamten gerade befanden. Die starken Lichtstrahlen ihrer Taschenlampen, die wie tastende Geisterfinger durch die milchig-grauen Bodenwolken schnitten, verrieten ihm die jeweiligen Standorte der Gendarmen.

Antoine Ferrier bemerkte, wie der Boden unter seinen Füßen immer feuchter wurde. Blinde Wasserpfützen standen wie riesige schwarze Blutstropfen eines Drachen auf den Wiesenstreifen.

Heftig nach Atem ringend, blieb der Verbrecher stehen. Prüfend blickte er sich um. Antoine Ferrier erkannte, dass er sich einem Moor näherte.

Schilf und Sumpfpflanzen lösten den Grasbewuchs ab, die höhere Vegetation bestand aus vereinzelten Weiden, Erlen, Birken und Kiefern. Die Pfützen gingen in Tümpel und verschlungenen Wasserarmen über, die sich wie ins Verhängnis führende Irrwege durch die unheimliche Landschaft zogen.

Dazwischen gab es immer wieder Festland, das zuweilen kleine Erhebungen bildete. Im Nebel sahen sie aus wie aus dem Wasser ragende Buckel einer Seeschlange.

Das Hundegebell in Antoine Ferriers Rücken wurde lauter. Die Rufe der Gendarmen drangen verzerrt, aber bereits deutlicher als vorher durch die Nebelbänke. Schon glaubte der Verbrecher die schemenhaften Gestalten seiner Verfolger ausmachen zu können.

Im Kopf des Ausbrechers wirbelten die Gedanken durcheinander. Dann verzog ein zynisches Grinsen seine Visage. Etwas Besseres, als dass er bei seiner Flucht auf ein Moor gestoßen war, hätte ihm gar nicht passieren können. Die Hunde würden im Wasser seine Witterung erheblich schwieriger aufnehmen, und auch die Gendarmen konnte er in dem weitläufigen Sumpfgebiet leicht an der Nase herumführen. Zudem würde der schlammige Untergrund ein zügiges Vorankommen ihrerseits verhindern.

Antoine Ferrier jedoch brauchte nur ein geeignetes Versteck zu finden, in diesem eine Zeitlang ausharren und das unübersichtliche Gelände zu einem günstigen Zeitpunkt wieder verlassen.

Überzeugt, in seiner bedrängten Situation das einzig Richtige zu tun, hetzte der Verbrecher geradewegs ins Moor. Hätte er gewusst, was ihm dort wirklich bevorstand, er wäre wohl schleunigst umgekehrt und hätte sich den ihn verfolgenden Gendarmen förmlich in die Arme geworfen.

So aber lief er in den Sumpf, wo bereits das Grauen auf ihn wartete …

Antoine Ferrier rannte durch das Moor. Immer tiefer drang er in den Sumpf vor. Wege und Pfade mied er, weil er hier noch am ehesten mit seinen Verfolgern rechnete. Der Verbrecher lief an Wasserlöchern und Moorgruben vorbei, überquerte niedrige Erdhügel und wich kleinen Sträuchern aus, die ihm plötzlich den Weg versperrten.

Der Laufschritt des Mannes erzeugte bei jeder Berührung mit dem aufgeweichten Boden schmatzende Geräusche. Schlamm spritzte unter seinen klobigen Schuhen auf, deren Abdrücke sich schon bald wieder mit Wasser füllten.

Zweige peitschten dem Ausbrecher ins Gesicht, und die scharfen Blätter von Schilfhalmen zerschnitten ihm die Hände. Die von dem Nebel ausgehende Feuchtigkeit legte sich auf seine Kleidung, ließ sie unangenehm klamm werden und drang ihm bis auf die Haut.

Antoine Ferrier ignorierte all das. Weiter, nur weiter, hämmerte es im Kopf des Mannes. Trotz seiner Hast achtete er notgedrungen auf die Beschaffenheit des Bodens. Schließlich war er nicht aus dem Gefängnis ausgebrochen, um im Moor zu versinken.

Der Nebel, der dem Verbrecher vorhin so gelegen gekommen war, stellte nun ein Erschwernis für ihn dar. Bedingt durch die Wassernähe, wallten die milchigen Schwaden im Sumpf noch dichter. Es war Antoine Ferrier daher unmöglich, rechtzeitig das Schlammloch zu bemerken, dass sich hinter der Nebelwand befand, in die er gerade eintauchte.

Plötzlich gab der Boden unter seinem linken Fuß nach, und er versank bis über den Knöchel im Morast.

»Merde!«, fluchte der Verbrecher, Er wollte seinen Fuß aus dem Schlamm Ziehen, sackte dabei aber auch mit dem zweiten Bein bis zur Wade in der dunkelbraunen Brühe ein.

Mit jeder weiteren Bewegung sank er tiefer in den Morast. Schließlich steckte der Ausbrecher bis zu den Knien in der zähen Masse.

Antoine Ferrier hatte das Gefühl, in feuchten Zement getaucht worden zu sein, und musste unvermittelt an einen ermordeten Freund von ihm denken. Der Mann hatte es sich in Marseille mit der dortigen Mafia verscherzt und war – zwei Wochen nach seinem spurlosen Verschwinden – am Grund des Meeres wieder gefunden worden. Sein Leichnam hatte, sich in der Ankerkette eines vor der Küste liegenden Schiffes verfangen. Als der Tote vom Grund der See geborgen wurde, bemerkte man, dass seine Füße in einem Betonblock steckten. Die Mafia hatte wieder mal einen lästigen Konkurrenten beseitigt, indem sie seine Füße einbetoniert und ihn anschließend im Meer versenkt hatte, wo er qualvoll ertrunken war.

Angst zu versinken brauchte Antoine Ferrier nicht haben. Er war nicht in die gleichsam bodenlose Kernzone des Hochmoores geraten, sondern lediglich in ein seichtes Schlammloch am Rand des Sumpfes. Allerdings drohte ihm hier die Gefahr einer Entdeckung durch die Gendarmen. Wenn er sich nicht schleunigst befreite, würden ihn seine Verfolger wohl bald in einem nahezu wehrlosen Zustand vorfinden.

Stimmen, vermischt mit Hundegebell, drangen an die Ohren des Verbrechers. Die Sicherheitsbeamten rückten an!

Panik erfasste den Ausbrecher. Er musste irgendwie aus dem verdammten Morast gelangen.

Eine kürzlich umgestürzte Schwarzerle, deren ausladende Äste zum Teil bis über die Mitte der Schlammgrube reichten, kam dem Mann wie ein Geschenk des Himmels vor. Ein Ast des entwurzelten Baumes war etwa einen Meter von Antoine Ferrier entfernt. Diese Distanz musste eigentlich zu schaffen, sein.

Kurzentschlossen warf er seine Pistole ans Ufer. Dann ließ sich der Verbrecher mit emporgestreckten Armen nach vorne kippen und klammerte sich mit seinen Händen am Ast der Erle fest. Mit einem Klimmzug, der ihn vor Anstrengung die Zähne zusammenbeißen ließ, zog er sich langsam in die Höhe. Die Muskeln seiner Oberarme drohten dabei den Stoff, seines Hemdes fast zu sprengen.

Die Geräusche des Gendarmerieaufgebots wurden unterdessen immer lauter.

Endlich gab der Schlamm den Ausbrecher frei. Er schwang seine Beine um das Holz und kletterte wie ein Koalabär an der Unterseite des Astes entlang, bis er wieder festen Grund unter sich wusste. Vorsichtig ließ er sich, zu Boden sinken.

Antoine Ferrier gönnte sich keine Verschnaufpause. Er streifte sich den an seinen Beinen und Schuhen haftenden Schlamm mit einem Grasbüschel ab, nahm seine Waffe wieder an sich und rannte weiter.

Der Verbrecher bog in eine Art Schilfschneise ein, die mit seichtem Wasser bestanden war, und folgte ihr bis zu einem kleinen Erdhügel, hinter den er sich in Deckung warf.

Mittlerweile war es völlig dunkel geworden. Die weißen Nebelschleier dämpften jegliches Geräusch wie Watte, dennoch hörte Antoine Ferrier wie aus weiter Ferne die Stimmen der Gendarmen.

»Ich glaube, die Hunde haben die Spur des Kerls verloren. Es hat nicht mehr viel Sinn, hier weiter zu suchen. Bei dem Nebel laufen wir ja doch nur im Kreis!«

»Du hast recht. Ziehen, wir uns zum Rand des Sumpfes zurück, und kontrollieren wir das Gebiet von außen. Irgendwann muss der Bursche das Moor schließlich wieder verlassen!«

Nachdem er noch eine Weile an der Flanke des Erdhügels gelegen war, setzte Antoine Ferrier seinen Marsch durch das Moor vorsichtig fort. Die Gegend wurde ihm immer unheimlicher.

Durch das Schilfdickicht klangen die schaurigen Rufe eines Wasservogels. Nebelstreifen zogen über das Moor, vereinigten sich zu bizarr aussehenden Gebilden und zerflossen wieder, um erneut ineinander zu wallen. In der Fantasie des Verbrechers wurden sie zu Geistern, die hier ihren schaurigen Reigen aufführten.

Die Geschichten von Moortoten fielen Antoine Ferrier ein, von Menschen, die man als heidnische Opfergabe ins Moor geworfen hatte, von dem sie dann konserviert worden waren.

Er musste an Irrlichter denken, die angeblich einsame Wanderer in den Sumpf locken sollten, aus dem sie dann nie wieder herausfanden.

Verärgert über sich selbst, wischte der Ausbrecher diese Gedanken beiseite. Er hatte in seinem bisherigen Leben immer auf dem Boden der Realität gestanden – auf dem Boden einer grausamen und brutalen Realität. Wieso kamen ihm dann jetzt auf einmal Schauergestalten und Spukgeschichten in den Sinn?

Grimmig folgte er einem trockenen Landstreifen, von dem er keine Ahnung hatte, wohin er ihn führen würde. Mittlerweile hatte der Verbrecher völlig die Orientierung verloren. Wohin er auch blickte, überall sah er das gleiche, gab es Tümpel, Schilfinseln und vereinzelt wachsende Bäume und Sträucher. Das Moor blubberte und gluckste wie der zum Sieden gebrachte Inhalt eines Kochtopfes.

Auf einmal vermeinte der Mann ein weiteres Geräusch zu vernehmen – ein träges Schwappen, als würde irgendetwas aus den Tiefen des Sumpfes an seine Oberfläche gedrückt werden.

Augenblicklich verharrte Antoine Ferrier in der Bewegung.

Das Schwappen war nun nicht mehr zu, hören. Wahrscheinlich hatten die überreizten Nerven dem Ausbrecher einen Streich gespielt. Er wollte schon erleichtert weitergehen, als wieder etwas an seine Ohren drang, das ihn beunruhigte: das Platschen von Wasser, durch das sich jemand vorwärts bewegte!

Schlich da vielleicht ein Tier durch den Sumpf? Nein, das konnte es nicht sein. Das laute Platschen hörte sich vielmehr so an wie die gleichmäßigen Schritte eines Mannes – eines großen, schweren Mannes!

Unwillkürlich umklammerte Antoine Ferrier seine Pistole fester. Kehrten die Gendarmen möglicherweise zurück? Hatten sie ihn etwa doch noch entdeckt?

Er verwarf diese Überlegung wieder. Ein einzelner Beamter würde wohl kaum durch das Moor streifen, und außerdem vermisste der Verbrecher das Hecheln der Hunde, die die Gendarmerie mit sich führte.

Das Platschen wurde lauter, jetzt gesellte sich auch das Knacken von brechenden Schilfhalmen hinzu. Dann war Stille ringsum – eine eigentümliche, beklemmende Stille, als würde selbst die Natur aus Angst vor einem unsichtbaren Feind den Atem anhalten.

Verbissen spähte Antoine Ferrier durch den Nebel, konnte aber in der grauen Suppe nichts Genaues erkennen. Selbst die Zweige der Moorsträucher waren nur schemenhaft auszumachen.

Von wo waren die seltsamen Geräusche vorhin überhaupt hergekommen? Nervös um sich blickend, drehte der Verbrecher seinen Oberkörper nach allen Seiten, den Unterarm mit der Waffe spitz angewinkelt.

Plötzlich hörte er wieder die Schritte. Diesmal bewegte sich sein unbekannter Gegner, der sich zweifellos an Antoine Ferrier heranschlich, bereits auf trockenem Untergrund fort.

Der Ausbrecher blickte in die betreffende Richtung, wo sich jetzt langsam die Konturen einer Gestalt im Nebel abzeichneten. Die weißen Schwaden verzerrten alles ins Monströse.

Wenig später erkannte Antoine Ferrier, dass seine eigenartige optische Wahrnehmung nicht nur durch den Nebel hervorgerufen wurde. Die Gestalt, die sich soeben aus den tanzenden Schleiern schälte und nun deutlich zu sehen war, hätte auch bei klaren Witterungsverhältnissen nicht viel anders ausgesehen.

Langsam kam sie auf den Verbrecher zu. Der glaubte auf einmal, Eiswasser durch seine Adern rinnen zu spüren. Er war nahe daran, den Verstand zu verlieren.

Bisher war Furcht für Antoine Ferrier ein Fremdwort gewesen. Er hatte sich mit Gangstern jeglichen Couleurs herumgeschlagen und Gendarmen wilde Schießereien geliefert und war dabei immer Herr der Lage gewesen. Selbst im Zuchthaus hatten ihn die Mithäftlinge als Respektsperson betrachtet, mit der man sich besser nicht anlegte. Sogar beim Verhör durch Kommissare, die aufgrund ihrer Unerbittlichkeit in der ganzen Unterwelt gefürchtet wurden, hatte er Nerven wie Drahtseile bewiesen.

Jetzt aber empfand er zum ersten Mal in seinem Leben Angst – Todesangst, die sich wie ein unsichtbarer Alb auf seine Brust presste und ihm das Atmen schwer werden ließ. Der Verbrecher wusste, dass er dem Sensenmann noch nie so nahe gewesen war wie in diesem Moment.

Mit wilder Entschlossenheit stieß er seine Pistole nach vorne und drückte ab. Immer und immer wieder …

Die beiden Gendarmen standen rauchend am Rand des Moors. Einer von ihnen hielt einen Schäferhund an der Leine, der hechelnd zu Füßen seines Herren saß. Der andere ließ den Strahl seiner Taschenlampe über das nebelverhangene Moor wandern.

Nachdem die grauen Schwaden immer dichter geworden waren und die Beamten die Spur des Ausbrechers verloren hatten, war vom Einsatzleiter des Suchkommandos der Befehl zum Rückzug gekommen. Das Risiko, dass sich einer seiner Männer im Moor verlief und vielleicht sogar versank, wollte er lieber nicht eingehen.

Inzwischen war längst die Nacht hereingebrochen, und die Gendarmen hatten sich jeweils zu zweit in einem Abstand von etwa hundert Metern entlang des Sumpfes postiert. Große Hoffnungen, Antoine Ferrier noch in den kommenden Stunden zu schnappen, hegte keiner von ihnen. Das Moorgebiet war dermaßen weitläufig und unübersichtlich, dass es sogar das Großaufgebot nicht zur Gänze kontrollieren konnte. Der undurchdringliche Nebel, der alles wie ein riesiges Leichentuch bedeckte, erschwerte die Situation zusätzlich.

Die einzige Chance, den Verbrecher einzufangen, bestand vorerst in den Hunden. Sie würden jeden Fluchtversuch Antoine Ferriers mit lautem Gebell sofort melden – vorausgesetzt, der Gesuchte verließ den Sumpf in den nächsten Tagen überhaupt. Es war ihm durchaus zuzutrauen, dass er sich dort eine Zeitlang verstecken Wollte.

Plötzlich drang das Krachen von Schüssen aus dem Moor. Mehrmals hintereinander rollten die Detonationen, vom Nebel seltsam gedämpft, über das sumpfige Land.

Die beiden Gendarmen warfen augenblicklich ihre Zigaretten zu Boden, wo sie mit einem leisen Zischen verloschen.

»Was sollen wir jetzt machen?«, fragte der eine verunsichert. »Ins Moor laufen oder hier abwarten? Wir haben strikte Anweisung, auf unseren Posten zu bleiben und den Sumpf nicht zu betreten. Andererseits – der Schuss kann nur von dem Ausbrecher abgefeuert worden sein!«

Der andere, dessen Hund knurrend an der Leine zu ziehen begann, überlegte. »Befehl ist Befehl. Wenn wir in das Moor vordringen und einem von uns stößt etwas zu, tragen wir dafür die alleinige Verantwortung und setzen uns außerdem einer Disziplinarstrafe aus. Aber wir können den Schäfer von der Leine lassen. Die Schüsse wurden bestimmt auch von unseren Kollegen gehört. Hier wird sicher bald Verstärkung eintreffen, vielleicht erhalten wir ja dann eine neue Dienstanweisung!«

Der Beamte nahm seinem Hund die Leine ab, und das Tier fegte mit großen Sätzen in den Sumpf. Bald schon hatte es der Nebel verschluckt.

Das bange Warten zerrte unsäglich an den Nerven der Gendarmen, Was ging da im Moor vor sich? Hatte der Schäfer den Ausbrecher entdeckt? Würden schon bald die Schreie des Mannes an die Ohren der Beamten dringen?

Das Trappeln von Pfoten und das Klatschen von seichtem Wasser verrieten die Rückkehr des Hundes. Gleich darauf schoss der Schäfer aus der Finsternis auf die beiden Männer zu. Winselnd und mit eingezogenem Schwanz drückte er sich an die Beine seines Herren.

»Was ist denn mit dem Hund los?« Der Gendarm mit der Taschenlampe sah ratlos zu dem Tier hinab. »Der zittert ja förmlich!«

»Wirklich eigenartig«, stimmte der zweite Beamte seinem Kollegen zu. »Im Sumpf muss etwas Schreckliches passiert sein. Ich arbeite mit dem Schäfer, seit er im Dienst der Gendarmerie steht. Der Hund hat sich bisher noch vor keinem Menschen gefürchtet. Er stammt von einem Züchter, der in den Pyrenäen beheimatet ist, und dort gibt es bekanntlich noch Wölfe und Bären. Nicht mal sie vermochten ihm Angst einzujagen!«