Gespenster-Krimi 91 - Philippe Pascal - E-Book

Gespenster-Krimi 91 E-Book

Philippe Pascal

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Beschreibung

In der Luft lag ein Hauch von Frische wie nach jedem Gewitter - und ein Geruch nach Moder, Fäulnis und Verwesung, hervorgerufen durch die humusreiche Walderde. Der niederprasselnde Regen bildete schmale Rinnsale, die über die Ränder des Kraters flossen, der hier entstanden war, und sich schließlich am Grund des Lochs zu einer braunen Pfütze vereinten. Insektenlarven, Würmer und Käfer krochen und krabbelten über die Hänge, wurden von den Rinnsalen erfasst und schwammen wenig später in dem schlammigen Pfuhl auf der Sohle des Kraters. Einige von ihnen retteten sich auf Rindenstücke oder Zweige, andere suchten ihr Heil auf den bräunlichen Knochen des menschlichen Skeletts, das am Grund des Kraters lag und für die Dauer eines Blitzschlags grell beleuchtet wurde.
Als wäre es das Signal dazu gewesen, hob das Skelett nun seinen Schädel und ließ den Unterkiefer herabklappen - eine Geste wie ein höhnisches Lachen. Der dunkle Kerker aus Wurzeln und Erdreich, in dem das Gerippe über Jahrtausende hinweg gefangen gewesen war, existierte nicht mehr, der Weg in die Welt der Menschen stand ihm endlich wieder offen ...


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Inhalt

Cover

Der Seelensauger

Vorschau

Impressum

Der Seelensauger

von Philippe Pascal

Die alte Esche wuchs im Herzen des Waldes, wo das Unterholz am dichtesten war und kaum ein Sonnenstrahl das Kronendach der Bäume durchdrang. Sie stand weit abseits aller Forstwege, und wenn sich dennoch einmal Pilzsammler hierher verirrten, so ließ sie die beklemmende Ausstrahlung des Baumes rasch weiterziehen.

Kein Vogel errichtete im Blattwerk der Esche sein Nest, kein Fuchs oder Dachs grub hier seinen Bau. Es schien, als spürten alle Lebewesen instinktiv das Böse, das tief unter den Wurzeln des Baumes nur darauf wartete, sein feuchtes, dunkles Gefängnis wieder zu verlassen.

Es würde nicht mehr lange warten müssen ...

Das Unheil kündigte sich in Form eines Gewitters an, das an diesem heißen Sommertag über den Wäldern der Ortschaft Montmarault in der französischen Auvergne heranzog.

Noch war von dem bevorstehenden Wetterumschwung nicht mehr zu bemerken als ein eigentümliches Blau des Himmels und ein jähe Windbrise, die sanft an den Ästen der Bäume und Sträucher rüttelte. Das leise Rascheln der Blätter klang wie das Wispern körperloser Stimmen – Stimmen, in denen Furcht mitschwang und Wehklagen.

Auch die Zweige der alten Esche bewegten sich im Wind, und ihre Blätter flirrten unter den rasch heftiger werdenden Böen. Dennoch vermittelte der knorrige Riese den Eindruck, als erfüllten ihn die ersten Anzeichen des Unwetters mit Gleichgültigkeit. Der heimliche Herrscher des Waldes wirkte zu robust und mächtig, um irgendeine Wetterkapriole zu fürchten, und hatte bisher unzähligen Stürmen getrotzt, ohne nennenswerten Schaden zu erleiden – ein pflanzliches Denkmal der Ewigkeit, das seinesgleichen suchte.

Mit einer Wuchshöhe von knapp 45 Metern überragte die Esche alle anderen Bäume des Waldes. Ihr gewaltiger Kronendurchmesser filterte das Sonnenlicht, sodass sich rings um die Esche eine Lichtung erstreckte, auf der nur jene Kräuter gediehen, die auch mit starker Beschattung zurechtkamen.

Um den knorrigen Stamm zur Gänze zu umfassen, wären locker fünf Menschen notwendig gewesen, die dicken Äste glichen den gespreizten Fingern einer riesigen Krallenhand. Stellenweise bedeckten Moos und Flechten die Borke des Baumes, vereinzelte Lianen rankten sich um die Zweige oder hingen von ihnen herab wie vermoderte Galgenstricke.

Die Esche gab wahrhaft ein beeindruckendes Bild ab, aber es war nicht bloß die Optik, die diesen Eindruck hervorrief. Der Baum strahlte eine unheimliche Aura aus, doch diese Aura wirkte nicht bedrohlich, sondern vielmehr wie eine Warnung, sich von dem knorrigen Riesen fernzuhalten, der ein mystisches Geheimnis barg.

Eine botanische Untersuchung hätte zu dem Ergebnis geführt, dass das Alter der Esche mehr als zweitausend Jahre betrug – eine wissenschaftliche Unmöglichkeit, denn obwohl Eschen zu den langlebigsten Bäumen zählen, überdauern auch sie nicht mehr als einige Jahrhunderte. Dennoch stand die Esche noch voll im Saft, wie ihre zahlreichen Blätter verrieten und die um diese Jahreszeit noch grünen Fruchtstände.

Der Grund dafür war Magie – uralte weiße Magie, die den Baum vor Tausenden von Jahren gleichsam beseelt hatte und ihm seine Langlebigkeit und Widerstandskraft verlieh. Und ebenso wie weiße Magie die Ursache für das hohe Alter der Esche war, stellte dämonische, schwarze Magie die Ursache für das heranziehende Gewitter dar.

Die Wälder von Montmarault sollten zum Schauplatz eines ewigen Kampfes zwischen zwei Mächten werden – zum Schauplatz eines Kampfes zwischen Gut und Böse!

Mittlerweile wies der Himmel eine schwärzliche Verfärbung auf, die sich ausbreitete wie der Inhalt eines umgekippten Ölfasses. Von der Sonne war nichts mehr zu sehen, innerhalb weniger Minuten war es deutlich kühler geworden. In der Ferne grollte der erste Donner. Der Wind nahm rasch an Stärke zu und bog die Wipfel der Bäume wie unter einer unsichtbaren, zentnerschweren Last. Abgerissene Zweige und Blätter wirbelten durch die Luft, als wären sie Hexen, die auf ihren Besen ritten.

Ein Blitz raste über den Himmel, der darauf folgende Donnerschlag ließ das Land erbeben. Erste schwere Wassertropfen fielen vom Himmel und verdichteten sich innerhalb weniger Augenblicke zu einem Platzregen, der die Sicht auf wenige Meter einschränkte. Das Rauschen der Wassermassen vermischte sich mit dem Heulen des Windes zu einem schaurigen akustischen Inferno, und vor dem Hintergrund dieses Infernos brach das Unwetter mit voller Wucht los.

Blitze bildeten bizarr geformte Leuchtmuster, Donner rollten über das Land wie das wütende Brüllen eines urzeitlichen Riesentieres. Der Wind steigerte sich zum Sturm, fegte über Baumkronen hinweg und peitschte die Wassermassen vor sich her. Gleichzeitig senkte sich eine Dunkelheit über den Wald, als wäre bereits die Nacht angebrochen. Nur wenn erneut ein Blitz niederging, wurde die Landschaft für Sekunden in ein unwirkliches Licht getaucht, glich der strömende Regen glänzenden Silberfäden.

Erste Äste brachen knackend und stürzten zu Boden, aber das waren erst die Vorboten des Höhepunkts dieses Unwetters. Noch hatte es sein zerstörerisches Potential nicht zur Gänze entfaltet – das nämlich konzentrierte sich nun auf die alte Esche, die bisher lediglich den Verlust einiger abgerissener Zweige zu beklagen hatte.

Der Sturm brauste von Osten her auf den knorrigen Riesen zu und entfachte dabei die Wirkung eines Orkans. Bäume wurden geknickt wie Streichhölzer, das Splittern des Holzes ging unter im Brüllen des Windes. Abgebrochene Äste wirbelten davon, als bestünden sie aus Pappe. Innerhalb von Sekunden zog sich eine Schneise der Verwüstung durch den Wald – und endete jäh vor der Esche, um sich erst außerhalb ihres Kronendachs wieder fortzusetzen, ähnlich dem Wasser eines Flusses, dessen Strömung sich an einem Felsen bricht und rings um ihn dahinschießt.

Um den hölzernen Riesen herum wurden Bäume entwurzelt, verkeilten sich noch im Fallen mit weiteren Gehölzen und rissen sie mit zu Boden. Die alte Esche aber hielt den entfesselten Naturgewalten stand wie ein Fels in der Brandung. Zwar bogen sich auch ihre Äste, doch der Stamm und die Krone trotzten weiterhin der enormen Belastung. Dem Tosen des Sturms haftete plötzlich etwas Wütendes an, als wäre er erzürnt, dass es ihm immer noch nicht gelang, den Baum zu zerstören.

Wieder zerriss ein Blitz das verfinsterte Firmament. Der gezackte Flammenspeer raste über die Lichtung, die der Windbruch eben geschaffen hatte, genau auf die frei stehende Esche zu, die der ungebändigten Energie ein ideales Ziel bot. Im nächsten Moment fuhr der Blitz mit ohrenbetäubendem Krachen in einen hoch aufragenden Ast und bahnte sich mit atemberaubender Geschwindigkeit seinen Weg durch den Baum, von der Krone über den Stamm bis in die Wurzeln. Für Sekunden erstrahlten die Konturen der Esche in einem blendenden Licht.

Noch während der Donner wie triumphierend über das Land hallte, schlugen Flammen aus der Esche und erhellten die Finsternis. Der Baum glich plötzlich einer riesigen Fackel, stechender Brandgeruch erfüllte die Luft. Das Prasseln des Feuers vermischte sich mit dem Strömen des Regens, der die Flammen sofort wieder löschte.

Der Ast, in den eben der Blitz gefahren war, brach ab und fiel zu Boden, an der Vorderseite des Stamms klaffte ein breiter, verkohlter Spalt. Der einstige Herrscher des Waldes war nur noch ein Schatten seiner selbst – und die von dem Blitz geschlagenen Wunden schwächten ihn nachhaltig.

Das zeigte sich deutlich, als der Sturm abermals mit wütendem Orgeln heranbrauste und gegen die zerstörte Krone prallte. Äste knickten splitternd, der Baumstamm begann sich zu neigen – langsam, als wollte er sich gegen den erneuten Angriff wehren, aber dennoch ohne Erfolg.

Dumpfes Rumoren und berstendes Knacken drangen aus der Erde, während verkrümmte Wurzeln die Oberfläche durchbrachen und sich erste Risse im Waldboden formten. Gleichzeitig erklang ein schmerzerfülltes Ächzen, fast wie bei einem Menschen, der im Sterben liegt. Die unheimlichen Laute waren selbst durch das Tosen des Sturms zu hören.

Der Baumstamm beugte sich weiter, ein Teil des Wurzelballens wurde aus dem Erdreich gehebelt und hinterließ ein Loch in der Größe eines Kleinwagens. Den Rest übernahm die Schwerkraft.

Die Esche fiel im Wechselspiel aus gleißenden Blitzen und krachenden Donnern, vom strömenden Regen verhüllt wie von einem Vorhang, und hob nochmals ein erdgefülltes Wurzelgeflecht empor. Dann vibrierte der Waldboden unter dem Aufprall des Baums, wurde das Bersten des Holzes vom Jaulen des Sturms verschluckt, der nun ein begeistertes Siegesgeheul anzustimmen schien. Wo noch vor Kurzem die Esche gestanden hatte, klaffte jetzt ein Krater wie nach einem Bombeneinschlag, knapp fünf Meter breit und zweieinhalb Meter tief.

Der vor Nässe glänzende Baumstamm lag kaum still, da flaute auch der Sturm wieder ab. Die Donnerschläge wurden leiser, nur noch vereinzelt zuckten Blitze über den Himmel. Auch die abnorme Dunkelheit wich üblichen Lichtverhältnissen. Lediglich der Regen strömte mit unverminderter Intensität vom Himmel. Was sich nun über den Wäldern von Montmarault abspielte, war ein normales Sommergewitter. Mehr war nicht mehr notwendig, jetzt, da das Böse sein Ziel erreicht hatte und die Esche entwurzelt war.

In der Luft lag ein Hauch von Frische wie nach jedem Gewitter – und ein Geruch nach Moder, Fäulnis und Verwesung, hervorgerufen durch die humusreiche Walderde des Wurzelballens und der Kraterhänge. Der niederprasselnde Regen bildete schmale Rinnsale, die über die Ränder des Kraters flossen, Erdbrocken und Blätter mit sich rissen und sich schließlich am Grund des Lochs zu einer braunen Pfütze vereinten. Insektenlarven, Würmer und Käfer krochen und krabbelten über die Hänge, wurden von den Rinnsalen erfasst und schwammen wenig später in dem schlammigen Pfuhl auf der Sohle des Kraters.

Einige von ihnen retteten sich auf Rindenstücke oder Zweige, andere suchten ihr Heil auf den bräunlichen Knochen des menschlichen Skeletts, das am Grund des Kraters lag, Reste von altertümlicher vermoderter Kleidung trug und für die Dauer eines Blitzschlages grell beleuchtet wurde.

Als wäre es das Signal dazu gewesen, hob das Skelett nun seinen Schädel und ließ den Unterkiefer herabklappen – eine Geste, die ein höhnisches Lachen ausdrücken sollte. Der dunkle Kerker aus Wurzeln und Erdreich, in dem das Gerippe über Jahrtausende hinweg gefangen gewesen war, existierte nicht mehr, der Weg in die Welt der Menschen stand ihm endlich wieder offen ...

Der Oberkörper des Skeletts ruckte empor, braunes Wasser tropfte von seinen Rippen und rann über die Wirbel des Rückgrats. Dann rappelte es sich auf und stapfte durch den Schlammpfuhl am Grund des Kraters zu dessen rechten Hang – ungelenk und mit seltsam steif wirkenden Schritten, als müsste es den aufrechten Gang nach der langen Zeitspanne der erzwungenen Untätigkeit erst wieder erlernen.

Dass es schnell lernte, bewies das Gerippe beim Erklimmen der schräg ansteigenden Wand. Es grub die knöchernen Finger und Zehen immer wieder in die weiche Erde und verschaffte sich so Halt, während es unbeirrbar dem Rand des Kraters entgegenstrebte.

Vereinzelt lösten sich Erdbrocken und kollerten in die Pfütze, einmal gab der Boden unter den Füßen des Skeletts nach und ließ es ein Stück in die Tiefe rutschten. Ein rascher Griff nach einer herausragenden Wurzel bewahrte es vor dem Sturz. Die Larven und Käfer, die bisher auf dem Knochenmann herumgekrochen waren, wurden vom Regen wieder fortgespült.

Endlich war die Kante des Kraters erreicht. Die Arme des Skeletts schoben sich auf ebenen Boden, im nächsten Moment erschien der Totenschädel über dem Rand des Abgrunds – ein makabrer Anblick, der durch die Geräuschkulisse des Gewitters noch verstärkt wurde.

Das Skelett kletterte aus dem Krater, richtete sich auf und starrte aus leeren Augenhöhlen auf die vom Sturm geschlagene Schneise. Erneut klappte sein Unterkiefer herab, als würde es beim Anblick des zerstörten Waldstücks hämisch grinsen, dann marschierte es zielstrebig los.

Von der anfänglichen Mühsal seiner Bewegungen war nun nichts mehr zu merken. Das Gerippe stieg über abgebrochene Äste hinweg und wich entwurzelten Bäumen aus wie ein vollständiger Mensch – allerdings hätte sich ein solcher zumindest beeilt, dem strömenden Regen zu entkommen. Das Skelett hingegen, dem die durchnässten Stofffetzen auf den blanken Knochen klebten, stapfte mit gleichbleibender Geschwindigkeit durch den Wald, begleitet von Blitz und Donner, die allmählich schwächer wurden.

Das unheimliche Wesen hatte kein Gehirn, keine Nerven, keine Muskeln und keine Sinnesorgane. Dennoch verfügte es über alle Funktionen, die normalerweise von einer derartigen Anatomie abhingen, und hatte die Kraft eines erwachsenen Mannes. Es war beseelt von einer schwarzen Macht, ausgestattet mit einer uralten dämonischen Energie, die ihm half, sich in seiner Umwelt zurechtzufinden.

Diese dämonische Energie veranlasste es nun, sich nach rechts zu wenden und die Sturmschneise zu verlassen. Das Skelett drang in den unversehrt gebliebenen Abschnitt des Waldes ein, die grüne Wand aus Bäumen und Sträuchern verschluckte seine Gestalt.

Das Gewitter war mittlerweile abgeflaut, nur noch leichter Nieselregen fiel vom Himmel. Von der feuchten Last gebogene Zweige streiften den Totenschädel, nasse Erde und Blätter blieben an den knöchernen Füßen und Beinen kleben, während das Skelett sich immer weiter von der entwurzelten Esche entfernte.

So marschierte das unheimliche Wesen noch einige Minuten durch die Wälder, bis sich der Baumbestand vor ihm etwas lichtete und der blaugraue Hintergrund des Himmels deutlich zu erkennen war. Dort vorne begannen Wiesen und Felder – Flächen also, die von Menschen bewirtschaftet wurden, die in der näheren Umgebung ihre Behausungen errichtet hatten.

Menschen, die dem Skelett das geben würden, was es brauchte, um wieder zu alter Macht und Stärke zu gelangen ...

Fabien Bouquet und Catherine Melville kauerten auf dem Boden ihres Zelts, das sie erst vor wenigen Stunden errichtet hatten – genauso wie die Feuerstelle, über der sie eigentlich Würstchen und Kartoffel grillen wollten.

Da hatte allerdings noch die Sonne vom strahlend blauen Himmel geschienen, und von einem Unwetter war weit und breit nichts zu sehen gewesen. Dann aber hatte sich ein Gewitter angekündigt, die beiden jungen Leute in ihr Zelt getrieben, und das geplante Essen war buchstäblich ins Wasser gefallen.

Das junge Pärchen – Fabien und Catherine waren beide Mitte zwanzig – hatte für dieses Wochenende eine Wandertour durch die Wälder von Montmarault geplant, die für ihre Urtümlichkeit und Weitläufigkeit bekannt waren. Da sie nicht wussten, ob sich in dem undurchdringlichen Forst eine Möglichkeit zum Aufschlagen des Zelts bieten würde, waren sie übereingekommen, ihr Camp in der Nähe des Waldrands zu errichten, wo sich eine weitläufige, von sanften Hügeln durchzogene Wiese erstreckte. Dass beide nach dem langen Marsch bereits der Hunger quälte, hatte diese Entscheidung noch erleichtert.

Hunger verspürten Catherine und Fabien nun nicht mehr, aber auch nur, weil sie ihn mit Hartwürsten und Brot gestillt hatten, die sie mehr oder minder lustlos verzehrt und mit dem Inhalt ihrer Getränkedosen hinuntergespült hatten.

Wo ursprünglich die Grillwürste und Kartoffeln hätten brutzeln sollen, befand sich jetzt vom Starkregen niedergedrücktes Gras, an manchen Stellen des Bodens standen sogar schon kleine Pfützen. Heftiger Wind trieb Regenschauer über die Wiese und gegen das kleine Zelt, dessen Wände sich bauschten wie Segel. Blitze zuckten über den nahen Wald, Donner rollte über das Land.

Es war ein typisches Sommergewitter, wie es an heißen Tagen immer wieder entstehen kann – nicht ungefährlich, auf jeden Fall unangenehm, aber von seiner Intensität her keineswegs zu vergleichen mit dem Sturm, der im Inneren des nahen Waldes tobte, in der Nähe der alten Esche.

Was sich dort abspielte, konnten Fabien Bouquet und Catherine Melville natürlich nicht im Entferntesten ahnen. Für sie stellte der Wetterumschwung lediglich ein Ärgernis dar, das bei einer Wandertour allerdings stets einkalkuliert werden musste.

»Das Unwetter hat uns gerade noch gefehlt!« Fabien Bouquet gab sich keine Mühe, seinen Ärger zu unterdrücken.

Der drahtige junge Mann mit dem dunklen Haar, der ebenso wie seine Freundin Outdoorbekleidung und Wanderschuhe trug, starrte finster vor sich hin. »Hätte der Wolkenbruch nicht erst einsetzen können, nachdem wir uns eine warme Mahlzeit zubereitet haben?«

»Die warme Mahlzeit und der Regen sind mir egal«, meinte Catherine Melville mit ängstlichem Unterton in der Stimme. Ihr gelocktes blondes Haar und die großen blauen Augen verliehen ihr normalerweise ein fröhliches Aussehen, aber jetzt stand unverhohlene Furcht in diesen Augen. »Hier drinnen ist es trocken, und verhungern werden wir auch nicht. Was mir Sorge bereitet, ist vielmehr das Gewitter. Wenn bloß kein Blitz in das Zelt einschlägt! Denk nur an vorhin, als wir dieses schrille Pfeifen und das ohrenbetäubende Krachen gehört haben, da ist auch irgendwo in der Nähe ein Blitz niedergegangen.«

Catherine hatte kaum zu Ende gesprochen, als abermals Donnergrollen zu vernehmen war und sie erschrocken den Kopf einziehen ließ.

»Der Blitz vorhin hat lediglich einen Baum getroffen«, stellte Fabien fest, der beim Geräusch des Donners ebenfalls leicht zusammengezuckt war. »Und sollten irgendwo weitere Blitze niedergehen, werden sie sich auch einen Baum aussuchen. Du weißt doch, dass ein Blitz immer in das am höchsten aufragende Ziel fährt, und das sind hier nun mal die Bäume des Waldes, der mindestens fünfzig Meter entfernt ist.«

»Das sagt sich so leicht«, erwiderte Catherine. »Natürlich weiß ich, dass du recht hast, dennoch macht mir das Gewitter Angst. Ich habe mich schon als Kind vor Unwettern gefürchtet.«

»Der Höhepunkt dieses Unwetters dürfte jedenfalls vorüber sein. Merkst du nicht, dass der Regen schon deutlich nachgelassen hat?«

Catherine hob leicht den Kopf und lauschte.

Tatsächlich! Das Geräusch des auf die Zeltplanen niederprasselnden Regens war leiser geworden, nur noch vereinzelt krachten ferne Donnerschläge. Auch der Sturmwind, der wie mit unsichtbaren Geisterhänden an dem Zelt gerüttelt hatte, flaute merklich ab.

Die junge Frau stieß einen Stoßseufzer der Erleichterung aus. »Bin ich froh, dass das Gewitter vorüber ist.« Sie lächelte. »Im Nachhinein kommt einem die eigene Angst nur noch dumm vor.«

»Ja, und später kannst du voller Stolz im Bekanntenkreis erzählen, wie du das schlimmste Gewitter deines Lebens in einem Zelt überstanden hast«, munterte Fabien seine Freundin auf. »Weltuntergangsstimmung hautnah, erlebt in einem Campingzelt. Das kann nicht jeder von sich behaupten.«