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Gerburg Tsekouras

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Beschreibung

Historisches, Kulturelles, Legendäres, Märchenhaftes und Mythisches, wechselnde Schauplätze in Deutschland und Griechenland erwarten den Leser in dieser facettenreichen Anthologie. Ob die Texte von einer mittelalterlichen Heiligen, einem jagdbesessenen Landesfürsten der Barockzeit oder zwei sympathischen Hexen handeln, ob uns darin ein griechischer Bauernjunge, eine Meerjungfrau aus Hellas oder gar eine der neun antiken Musen begegnen, es geht um die Vielfalt und den Reichtum des menschlichen Lebens und immer wieder um die Frage nach dessen Sinn. Die in Deutschland und Griechenland beheimatete Autorin Gerburg Tsekouras versteht sich auf das Spiel zwischen zwei verschiedenen Kulturen, zwischen Gestern und Heute, zwischen Realem und Wunderbarem und entführt uns auf fesselnde Weise in ihre ganz eigene Welt der Gedanken, Beobachtungen und Träume.

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gestern, heute, jederzeit

Erzählungen

Gerburg Tsekouras

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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.papierfresserchen.de

© 2023 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten

Cover gestaltet mit Bildern von © Gerburg Tsekouras sowie

© spaxiax (Uhr) + © paizabum (Statue) – Adobe Stock lizensiert

Bearbeitung: CAT creativ - www.cat-creativ.at

ISBN: 978-3-86196-766-8 - Taschenbuch

978-3-96074-703-1- E-Book

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Inhalt

Vorwort

Das Mädchen mit den Simpelfransen

Mord in Kranichstein

Die Rosen der Heiligen Elisabeth

Das Engelorchester

Liebeszauber

Der Ostergesang

Das Lächeln der Gorgone

Der Kuss der Muse

Die zwölf Monate

Die Autorin

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Vorwort

Die aus Frankfurt am Main stammende, aber seit Jahren in Athen lebende Autorin Gerburg Tsekouras überschreitet in ihrer Anthologie gestern – heute – jederzeit Ländergrenzen und Zeitgrenzen mit ihren Geschichten und Märchen aus Deutschland und Griechenland.

Der erste Teil des Buches ist deutschen Themen gewidmet. Die Geschichte Das Mädchen mit den Simpelfransen führt den Leser in das Frankfurt Ende des 19. Jahrhunderts, Mord in Kranichstein spielt im 18. Jahrhundert am Hof des Darmstädter Landesfürsten Ludwig VIII. mit seiner Leidenschaft für die Parforcejagd. Die Rosen der Heiligen Elisabeth entführt auf die Wartburg des 13. Jahrhunderts. Hier mischt sich Geschichtliches mit Legendärem. Auch in der Weihnachtsgeschichte Das Engelorchester, einer Geschichte der heutigen Zeit, die auf dem Frankfurter Weihnachtsmarkt spielt, ist die Grenze zwischen Realem und Wunderbarem fließend. Der Liebestrank schließlich ist ganz im Wunderbaren und in der Zeitlosigkeit des Märchens beheimatet.

Der zweite Teil des Buches ist griechischen Themen vorbehalten. Der Ostergesang beschreibt orthodoxe Osterbräuche. Das Lächeln der Gorgone lässt den Leser die Atmosphäre einer griechischen Insel und des griechischen Meeres erleben und ist zwischen Realität und Mythos angesiedelt. Auch die in Athen spielende Geschichte Der Kuss der Muse tangiert Mythisches und Wunderbares. Die Anthologie schließt mit dem Märchen Die zwölf Monate, einem griechischen Volksmärchen, von der Autorin neu erzählt.

Vergangenes, Gegenwärtiges und Zeitloses, Reales und Wunderbares aus zwei Ländern, ein buntes Kaleidoskop erwartet den Leser in dieser reizvollen Anthologie.

*

Das Mädchen mit den Simpelfransen

Der Fotograf drapierte den Rock des jungen Mädchens, das zusammen mit seinem Onkel vor der Kamera stand, dekorativ über eine Reihe von gestuften Unterröcken mit großen und kleinen Volants, bevor er seinen Kopf hinter dem schwarzen Tuch versteckte. Die etwa 14-jährige Friederike, meine Urgroßmutter, mit ihrer schlanken, in ein Korsett gezwängten Taille und der hochgeschlossenen, langärmligen Bluse mit dem Spitzenbesatz schaute ernst in den Raum. Ihr Haar war nach hinten gekämmt und ließ ein hübsches, unschuldiges Gesicht frei. Nur die Stirn war mit einem kurz geschnittenen Pony, so würde man es heute nennen, halb bedeckt.

Damals aber, das heißt, in den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts nannte man die neue Haarmode Simpelfransen. Diese Stirnfransen, von denen das Wörterbuch der deutschen Umgangssprache zu vermelden hat, dass es sich dabei um Stirnlocken mit waagerechter Schnittführung handelt, die dem Gesicht einen einfältigen Ausdruck verleihen, waren Anlass zu einem Familienskandal, von dem noch heute in unserer Familie berichtet wird.

Urheber dieses Skandals war Friederikes Onkel Robert, der unverheiratete Bruder ihres Vaters, der wie viele junge Männer damals aus wirtschaftlichen Gründen nach Amerika ausgewandert war und sich jetzt zu einem Besuch bei seiner Familie in Frankfurt aufhielt. Er war in das unverdorbene, frische Mädchen geradezu vernarrt und hätte Friederike am liebsten mit nach Amerika genommen. Damals waren die Simpelfransen in dem fortschrittlicheren Amerika der letzte Schrei, und so führte er seine Nichte kurzerhand, und ohne die Eltern zu fragen, zu dem besten Frankfurter Friseur und ließ ihr diese Haartracht kreieren. Wie man sich denken kann, war der Vater des Mädchens, ein biederer Handwerker und kirchentreuer Katholik, ein konservativer Mann, der eine Schreinerei für Kirchengestühl besaß, außer sich. Und natürlich wurde nichts aus Friederikes Reise nach Amerika. Doch das Foto mit ihr und dem eleganten Herrn mit imposantem Vollbart, das der Onkel nach vollendeter Tat von sich und seiner Nichte knipsen ließ, zeugt noch heute von dem Stein des Anstoßes.

Wie damals die Mädchen aus gutbürgerlichem Haus wuchs Friederike wohlbehütet auf. Sie besuchte die Schule der Englischen Fräulein, wo sie Französisch und auch Handarbeiten lernte. Was die Liebe zum anderen Geschlecht anbelangte, so war in diesem engen Rahmen kaum Spielraum für eigene Initiativen. Doch dies war auch nicht nötig, denn das hübsche, anmutige Mädchen zog bald die Blicke der Männerwelt auf sich.

Besonders hatte ein Bekannter der Familie ein Auge auf Friederike geworfen und wusste, es mit Geschick so einzurichten, dass er ihr häufig auf der Straße begegnete. Heinrich Hering, der mein Urgroßvater werden sollte, stammte aus einer angesehenen Marburger Tuchfärberfamilie. Im Zuge der Industrialisierung des Tuchfärbergewerbes hatte die einst wohlhabende Familie einen wirtschaftlichen Niedergang erfahren und Heinrich hatte sein Glück in der Stadt Frankfurt als Handelsvertreter gesucht. Es war seinerseits Liebe auf den ersten Blick, als er Friederike begegnete. Doch traf er sie zu seinem Leidwesen nie alleine. Immer war sie in Begleitung ihrer Großmutter, die ihre Enkelin als älteste von drei Schwestern, denen nur noch ein Junge folgte, unter ihre Fittiche genommen hatte.

Die Großmutter Andresia war eine resolute Person, die in der Familie das Sagen hatte und gegen die sich Friederikes aus feinem, gebildetem Haus stammende Mutter nie durchsetzen konnte. Andresias Mann, von Beruf Bierbrauermeister, der im Stadtteil Sachsenhausen eine Gastwirtschaft unterhalten hatte, war früh gestorben und hatte seine Frau mit fünf unmündigen Kindern alleine zurückgelassen. Andresia musste, um zu überleben, die Gastwirtschaft weiterführen und sich nicht selten gegen grobe und randalierende Kunden durchsetzen, was sicher ihren Charakter mit geprägt hatte, dem Zartgefühl fremd war. Von Friederike, die im Zimmer der Großmutter schlief, wurde erzählt, dass sie als junges Mädchen mondsüchtig gewesen sei und nachts im Schlaf ihr Bett verlassen habe. Dagegen sei die Großmutter mit rigoroser Methode vorgegangen. Sie soll der Enkelin einen nassen Scheuerlappen vors Bett gelegt haben, bei dessen Betreten Friederike erwacht sei. Durch diese Radikalkur sei sie ein für alle Mal von dem Übel geheilt worden.

Ging die Großmutter zum Einkaufen auf den Markt, so musste Friederike sie begleiten und ihr den Einkaufskorb tragen. Bisher hatte das Mädchen nie dagegen protestiert, doch als die Begegnungen mit dem jungen, gut aussehenden Heinrich immer häufiger wurden, soll sich folgende Szene abgespielt haben, die zeigt, dass der Marburger der hübschen Frankfurterin nicht ganz gleichgültig war.

Wie immer, wenn sie vom Markt kamen, ging Friederike mit dem Einkaufskorb neben der Großmutter her. Da tauchte in der Ferne die Gestalt des jungen Verehrers auf. Man kann sich gut vorstellen, wie Friederikes Herz lauter zu klopfen begann.

„Großmutter, nimm mir doch bitte einmal den Korb ab, dort hinten kommt der Herr Hering“, soll sie die Alte gebeten haben.

„Wenn der dich mit dem Korb net will, dann brauch der dich aach net ohne den Korb“, war die Antwort der Großmutter in ihrem unverfälschten Frankfurter Dialekt. Inzwischen war aber der Herr Hering schon sehr nahe herangekommen. „Stelle Se sich doch emal vor, Herr Hering, da sacht mir doch mei Enkelin, ich soll emal den Korb nemme, weil da der Herr Hering kommt. Un wisse Se, was ich gesacht hab? Wenn der dich mit dem Korb net will, dann brauch der dich aach net ohne den Korb. Hab ich net recht?“

„Da haben Sie sehr recht“, pflichtete der Herr Hering bei, der es sich auf keinen Fall mit der Großmutter verderben wollte.

Friederike aber war über und über rot geworden und wäre am liebsten in den Boden versunken.

Diese Episode tat der Liebe Heinrichs zu seiner Angebeteten keinen Abbruch, und bald gelang es den beiden, mithilfe von Freundinnen und Freunden einen heimlichen Briefverkehr aufzunehmen. Ein Brief dieser Korrespondenz ist noch erhalten, in dem sich Friederike beklagt, dass ihr Liebster ihr nicht wie sonst auf rosa Briefpapier geschrieben habe, was sie an der Beständigkeit seiner Liebe zweifeln ließ. Auch der Antwortbrief existiert noch in den Familienpapieren, in dem er ihr versichert, dass er sie mehr als alles in der Welt liebe und dass es sein einziges Ziel im Leben sei, sie als seine Frau glücklich zu machen.

Wenig später hielt er offiziell um ihre Hand an. Im Jahr 1890 schlossen sie den Bund fürs Leben. Die beiden führten eine lange und erfüllte Ehe und konnten im Kreis von Kindern und Enkelkindern fünfzig Jahre später ihre goldene Hochzeit feiern. Das Mädchen mit den Simpelfransen, meine Urgroßmutter, überlebte ihren Mann um 18 Jahre. Ich habe sie noch erlebt und in meiner Kinder- und Jugendzeit oft besucht. Immer wieder gerne hörte ich auch von ihr selbst die Geschichte ihrer Liebe wie ein Märchen aus alter Zeit.

*

Mord in Kranichstein

Ludwig VIII., Landgraf von Hessen-Darmstadt, war gerade dabei, eigenhändig seine Windbüchse für die morgige Parforcejagd zu putzen, zu der er seinen gesamten Hofstaat auf das Jagdschloss Kranichstein eingeladen hatte. Diese Jagden waren die Höhepunkte des Hoflebens und wurden immer mit viel Aufwand und großem Prunk als Fest begangen. Während der Herrscher, ein leidenschaftlicher Jäger, seine Waffe polierte, fiel ein Sonnenstrahl durch die hohen Fenster des Schlosses auf den Lauf und ließen ihn aufblinken, was Ludwig als ein gutes Omen für den glücklichen Ausgang der Jagd wertete.

Der Fürst war noch mit seiner Arbeit beschäftigt, als Anton Eger, der Hofmaler, gemeldet wurde. Er stand zu seinem Landesherrn in einem freundschaftlichen Verhältnis und hatte jederzeit Zutritt zu dem Grafen.

„Es wird eine famose Jagd werden, Eger“, freute sich Ludwig und klopfte dem Maler huldvoll auf die Schulter. „Ein Hirsch mit 32 Enden, ein Prachtexemplar, ist schon ins Revier getrieben worden. Ihr werdet alles bis ins kleinste Detail im Bild festhalten. So können wir unseren Jagderfolg der Nachwelt überliefern.“

Während Ludwig und der Maler besprachen, wie Letzterer die Jagd in einem Tagebuch mit genauen Zeichnungen festhalten sollte, wanderten Ludwigs ältester Sohn und Nachfolger Ludwig IX. und sein Bruder Georg Wilhelm im Schlosshof auf und ab.

„Ich kann diese Parforcejagden nicht länger mit ansehen“, entrüstete sich der Erbprinz. „Wenn ich einmal an die Regierung komme, werde ich sie abschaffen. Sie sind nichts als ein nutzloser Zeitvertreib. Jeder kleine deutsche Fürst sucht aus Prestigegründen, es dem großen Ludwig XIV. von Frankreich nachzutun, und die Kosten ruinieren den Staat. Denke nur, wie viel Geld die Haltung der Pferde und Hunde verschlingt, ganz zu schweigen von den Personalkosten der Jäger, der Piköre und der Hornbläser. Ein schlagkräftiges Militär, das ist es, was der Staat zu seiner Sicherheit braucht. Und eine rentable Forstwirtschaft, die Gelder in unsere Staatskasse bringt.“

Auch die Frauen des Hofstaats hatten ihre eigene Meinung über die Jagd. Georg Wilhelms Ehefrau Maria Luise, die warmherzige, lebensfrohe Prinzessin aus der Pfalz, ließ sich gerade von ihrer Zofe Amalie die Haare pudern und ihren eher fülligen Körper in ein Mieder schnüren.

„Mir tun die armen Tiere leid“, meinte sie. „Sie haben gegen die Hundemeute, die sie von allen Seiten umringt, nicht die geringste Chance. Wenn sie sich schließlich erschöpft vom ungleichen Kampf stellen, werden sie erbarmungslos abgeknallt. Und all dies wird als männliche Heldentat gefeiert und ist doch nichts als Machtgebaren. So sind nun einmal die Männer! Aber, Amalie, was hast du denn? Du weinst ja ...“, stellte die Prinzessin betroffen fest. Der kleinen Kammerzofe liefen dicke Tränen die Wangen hinunter. „Du weinst doch nicht wegen der Tiere? Sicher hat es einen anderen Grund.“

„Ach ja, die Männer“, schluchzte die junge, hübsche Amalie. „Sie verfolgen uns Frauen wie die Jäger das Wild und geben nicht eher auf, als bis sie uns zur Strecke gebracht haben. Und dieses alles nur, um ihre Eitelkeit zu befriedigen.“

„Amalie, du hast ein Geheimnis vor mir! Vertraue dich mir an, das wird dein Herz erleichtern“, ermutigte die Prinzessin ihre Zofe in mütterlichem Ton.

„Das kann ich nicht, gnädige Herrin“, stammelte Amalie und wurde über und über rot.

„So will ich auch nicht in dich dringen“, beruhigte sie Luise. „Doch trockne deine Tränen. Die Männer sind es nicht wert, dass wir um ihretwillen weinen!“

Am nächsten Morgen war alles zur Jagd bereit. Die Pferde scharrten ungeduldig auf dem Pflaster des Schlosshofs und die Hunde zerrten an ihren Leinen und ließen sich kaum von den Pikören bändigen. Endlich verkündete der helle Ton der Hörner den Beginn der Jagd und die berittenen Jäger, Hornisten und Piköre mit ihren Hunden stürmten in Richtung Wald. Die Damen des Hofes in ihren Kutschen folgten langsam, um aus sicherer Entfernung das Jagdgeschehen zu verfolgen. Kaum waren die Männer im Wald angelangt, wurden die Hunde freigelassen und schwärmten unter lautem Gebell aus, um die Fährte ihres Opfers aufzunehmen.

Es dauerte nicht lange, bis sie den Hirsch gewittert hatten und eine wilde Verfolgungsjagd begann.

---ENDE DER LESEPROBE---