GInA - Dörte Weltzien - E-Book

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Dörte Weltzien

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Beschreibung

Das Buch bietet vielzählige Anregungen und Methoden, um Gesprächsgelegenheiten im Kita-Alltag mit den Kindern zu entdecken und zu nutzen. Der dargestellte Reflexionsbogen zum Interaktionsverhalten von pädagogischen Fachkräften wurde mit Kitas entwickelt und erprobt. Zu jedem Merkmal gelingender Interaktionen sind ansprechende Themeneinstiege, Fachimpulse, Reflexionen und konkrete Anregungen zur Umsetzung gesammelt. Alleine oder als Projekt im Team: Hier gehen pädagogische Fachkräfte auf Entdeckungsreise in den eigenen pädagogischen Alltag!

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Überarbeitete Neuausgabe 2024

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2018

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlagkonzeption: SchwarzwaldMädel, Simonswald

Covermotive und Motive Innenteil: © KatyaKatya/stock.adobe.com

Gesamtgestaltung: Sabine Ufer, Leipzig

Fotos S. 47, 71, 74, 85, 109: © Pixabay

Fotos S. 67: © Anne Huber-Kebbe

alle anderen Fotos: © Harald Neumann, Freiburg

Zeichnung S. 64: © Lena, Ben & Max Günthner

E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe

ISBN Print 978-3-451-39779-0

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83286-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-83280-2

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur zweiten Auflage

1 Unsere „Gebrauchsanleitung“ für das Buch

2 Der Weg zu GInA

3 Beziehung gestalten

Die GInA-Merkmale 1 bis 11 – Skala 1

Videografie kennenlernen

Exkurs I

4 Denken und Handeln anregen

Die GInA-Merkmale 12 bis 18 – Skala 2

Videografie zu Analyse und Reflexion nutzen

Exkurs II

5 Sprechen und Sprache anregen

Die GInA-Merkmale 19 bis 22 – Skala 3

Mit GInA im Team arbeiten

Exkurs III

6 Rückblick und Ausblick: Was nehmen Sie mit?

Literatur

Die Autorinnen

Vorwort zur zweiten Auflage

Sechs Jahre ist es nun schon her, seit wir das GInA-Praxisbuch geschrieben haben. Sechs Jahre, in denen das Thema der feinfühligen Interaktionsgestaltung in pädagogischen Beziehungen nichts an Bedeutung verloren hat. Auch wenn wir alle wissen, dass positive Interaktionen alle Beteiligten gesünder und glücklicher machen, sind die Fähigkeit und Kraft hierfür nicht immer vorhanden. Es gibt widrige Bedingungen, die GInA – also die Gestaltung von Interaktionsgelegenheiten im Alltag – beeinträchtigen. Bei Ärger, Müdigkeit, Frustration, Stress und Überforderung erkennen wir nicht mehr die Gelegenheiten zur Gestaltung von Interaktionen, die der pädagogische Alltag eigentlich jederzeit und überall bereithält. Dann können wir uns auf die spannenden Themen, Fragen und Wünsche der Kinder nicht mehr einlassen und gehen auf emotionale Distanz. Wir spüren ihre Sorgen, Ängste und Nöte nicht mehr.

Das GInA-Praxisbuch enthält keine Rezeptur gegen schlechte Stimmungen und ungesunde Arbeitsbedingungen. Aber GInA macht Mut, sich (wieder) als aktiv Gestaltende zu erleben, die die Gruppenatmosphäre positiv verändern können. Als Gestaltende, die sich auf die kleinen Momente des Alltags einlassen können, in denen Nähe und Gemeinsamkeit möglich sind. Die die Kinder in ihrer einzigartigen Persönlichkeit anerkennen, sie durch Krisen begleiten, in ihrem Können ermutigen und in ihrem Selbstwert bestärken. GInA ist kein Zauberstab, denn Veränderungen brauchen Geduld. Aber die 22 GInA-Merkmale bieten einen Kompass in die richtige Richtung.

Seit Erscheinen der ersten Auflage des Praxisbuchs bekommen wir in der Aus- und Weiterbildung, in der Qualitäts- und Teamentwicklung und in praxisorientierten Forschungsprojekten die Rückmeldung, wie wichtig gute Instrumente zur Beobachtung, Reflexion und Evaluation von Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern sind. GInA wird von jungen Menschen, die gerade mit der Ausbildung begonnen haben, genauso geschätzt wie von Menschen, die mit ganz unterschiedlichen Lebenserfahrungen ihren Weg in die Kita gefunden haben. Das Konzept wird in kindheitspädagogischen Hochschulstudiengängen und sozialpädagogischen Fachschulen eingesetzt, ebenso wie in Qualitätsprojekten von Trägern, Leitungsrunden und Teams. GInA wird oftmals verknüpft mit den stärkenorientierten Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren in der Einrichtung, aber auch mit Themen wie Inklusion und Bindung, Kinderrechten und Kinderschutz. GInA ist kultur- und vielfaltssensibel und setzt sich klar gegen Ausgrenzung, Beschämung und Diskriminierung sein. Auch wenn wir das Praxisbuch mit Blick auf die Gestaltung der Fachkraft-Kind-Interaktionen geschrieben haben, bekommen wir viele Rückmeldungen, dass die GInA-Merkmale ebenso gut unter Erwachsenen anwendbar sind. Wir hoffen deshalb, dass Sie Ihren persönlichen Weg mit GInA gehen werden. Schreiben Sie uns, wohin Sie dieser Weg gebracht hat. Wir sind gespannt!

Dörte Weltzien Christina Bücklein Anne Huber-Kebbe

1 Unsere „Gebrauchsanleitung“ für das Buch

Herzlich willkommen! Wir freuen uns auf eine gemeinsame Forschungsreise in Ihren pädagogischen Alltag. Denn darum wird es gehen: die eigene Praxis, die eigenen Interaktionen mit Kindern mithilfe einer besonderen methodischen „Brille“ neu und wieder zu entdecken. Häufig nehmen wir das, was uns selbstverständlich erscheint, nicht mehr als etwas Besonderes wahr. Und obwohl wir wissen, wie wichtig vertrauensvolle und wohltuende Beziehungen für Kinder sind, wird die tägliche Beziehungsarbeit von uns selbst oder auch von anderen oftmals nicht richtig wertgeschätzt.

Tatsächlich sind diese Beziehungen die Grundlage und der Kern der pädagogischen Arbeit: Ohne das Gefühl, in Beziehungen eingebettet zu sein und dazuzugehören, können sich Kinder nicht auf das gemeinsame Spiel mit anderen einlassen, und auch Bildungsangebote gehen buchstäblich an ihnen vorbei. Es lohnt sich also, sich einmal systematisch mit den Aspekten dieser Beziehungsgestaltung auseinanderzusetzen. Bei genauer Betrachtung lassen sich typische Merkmale in den alltäglichen Kontakten und Interaktionen mit Kindern finden, die das Potenzial haben, gute Beziehungen mit ihnen aufzubauen und diese kontinuierlich weiterzuentwickeln.

Dieses Praxishandbuch für die Arbeit mit GInA (Gestaltung von Interaktionsgelegenheiten im Alltag) bietet Ihnen hierfür zahlreiche Möglichkeiten:

• Anregungen, Interaktionserfahrungen unter die Lupe zu nehmen

• Unterstützung, die neuen Erkenntnisse in die eigene Praxis zu übertragen

• Impulse, um die Erkenntnisse mit Kolleg*innen (in der pädagogischen Praxis oder Aus- und Weiterbildung) zu teilen

Das GInA-Praxishandbuch eignet sich sowohl für Einsteiger*innen als auch für langjährige Expert*innen gut dazu, sich mit dem Thema „Beziehungs- und Interaktionsgestaltung“ vertieft auseinanderzusetzen. Es gibt aber eine Voraussetzung, damit sich diese Auseinandersetzung auch wirklich lohnt: Sie sollten einen stärkenorientierten Blick auf sich selbst einnehmen und sich darauf freuen, Ihre eigene Handlungspraxis (wieder) zu entdecken. Unserer Erfahrung nach neigen wir dazu, sehr kritisch mit uns selbst umzugehen. So sehr wir darin geübt sind, die Ressourcen der Kinder zu erkennen, so schwer fällt es uns manchmal, unsere eigenen Stärken zu erkennen und zu benennen.

Und auch die Stärken der Teamkolleg*innen in der Gestaltung von Beziehung und Interaktion geraten immer wieder aus dem Blick, weil der Alltag manchmal sehr anstrengend und auch herausfordernd sein kann. Dieses Buch wird Ihnen helfen, stärkenorientiert vorzugehen, indem es die alltäglichen Interaktionen in ihre bedeutsamen Merkmale aufschlüsselt, sodass sie bei der Reflexion der eigenen Praxis besser sichtbar werden.

Wenn Sie sich darauf einlassen, werden Sie merken, dass Ihr Alltag voller positiver Interaktionsgelegenheiten und Beziehungspotenziale steckt. Sie werden die Bedeutung dieser kleinen Momente (wieder) wertschätzen können. Sie werden neue Ideen bekommen, wie Sie diese Momente gestalten können, um sie für die Kinder und sich selbst zu wertvollen Momenten werden zu lassen. Und Sie werden merken, dass Sie viele Gestaltungsspielräume haben: Die Art und Weise, wie Sie Interaktionen gestalten, bestimmen Sie selbst. Die Möglichkeiten, bei den Kindern damit etwas Gutes bewirken zu können, sind überall und jederzeit vorhanden. Trauen Sie sich, die kritische Brille abzusetzen und den Alltag aus einem neuen Blickwinkel zu entdecken!

Bei dieser „neuen Brille“ helfen Ihnen die 22 GInA-Merkmale, die wir ausführlich in den Kapiteln 3, 4 und 5 beschreiben. Auch die drei Exkurse zur videogestützten Beobachtung (Exkurs I), videogestützten Analyse (Exkurs II) und Reflexion (Exkurs III) unterstützten die konkrete Auseinandersetzung mit dem GInA-Verfahren und helfen Ihnen dabei, hierfür Räume in Ihrer konkreten pädagogischen Praxis zu schaffen.

Zusätzlich finden Sie die 22 GInA-Merkmale als Karten zum Download (s. Methodischer Hinweis). Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht, mit diesen Karten im Team zu arbeiten. Sie eignen sich sowohl für den ersten Einstieg als auch für die kontinuierliche Team- und Qualitätsentwicklung oder in der Aus- und Weiterbildung, um einen gleichsam „leichten“ wie fachlich gehaltvollen Zugang zu der GInA-Methode zu finden.

Methodischer Hinweis

Laden Sie auf www.herder.de/extras die 22 GInA-Karten im praktischen DIN-A5-Format herunter. Mit den Kurzbeschreibungen auf der Rückseite jeder Karte erhalten Sie einen Überblick über alle GInA-Merkmale und können sie vielfältig in der Teamarbeit einsetzen.

Das GInA-Praxishandbuch nähert sich Stück für Stück einer beziehungsförderlichen, auf Dialog und Partizipation ausgerichteten Handlungspraxis. Es ist wie ein Lesebuch mit Kurzgeschichten aufgebaut: Möchte man beispielsweise die GInA-Methode gut kennenlernen, kann man sich über einen selbst gewählten Zeitraum täglich mit einem GInA-Merkmal oder mit methodischen Aspekten beschäftigen. Einstiegsimpulse und Reflexionsfragen bilden eine Klammer für den Tag. Ebenso gut lässt sich das Buch aber auch querlesen. So können Sie gezielt die fachlichen Impulse zu jeweils einem Merkmal lesen (Symbol: ) oder einen Blick in die Exkurse zur Methodik (I: Beobachtung, II: Reflexion, III: Transfer) werfen, wenn gerade dies bei Ihnen das größte Interesse auslöst.

Auch wenn das GInA-Instrument erst mit den 22 Merkmalen wirklich vollständig ist, können Sie sich zunächst einzelnen Schwerpunkten widmen oder mit Merkmalen beginnen, die Sie besonders neugierig machen. Fühlen Sie sich frei, den Weg und das Tempo Ihrer Entdeckungsreise zu bestimmen; machen Sie von Zeit zu Zeit eine Verschnaufpause und schauen Sie sich in Ihrem Umfeld um:

• Erkennen Sie etwas wieder von dem, was Sie gerade gelesen haben?

• Welche Gedanken beschäftigen Sie gerade?

• Welche Gefühle und Ideen entwickeln sich?

Entdecken Sie etwas Neues, Überraschendes oder Unerwartetes, dann sind Sie auf dem richtigen Weg!

2 Der Weg zu GInA

Die Reise beginnt

Das Beobachtungs- und Reflexionsinstrument GInA hat seinen Ursprung in einem mehrjährigen Praxisforschungsprojekt zusammen mit Pforzheimer Kindertageseinrichtungen.1 Ziel dieses Projekts war es, Fachkraft-Kind-Interaktionen systematisch daraufhin zu analysieren, wie sich die Gesprächs- bzw. Interaktionsbereitschaft der Fachkraft, ihr methodisches Repertoire und ihre pädagogischen Wissensbestände in konkreten Interaktionen mit Kindern ausdrücken.

Ausgangspunkt für die GInA-Methode:

„Erst durch die Interaktion mit ihrer Umwelt können Kinder die zentrale Erfahrung von Bindung und Zugehörigkeit machen, die zu einem positiven Selbstwertgefühl beiträgt. Auch werden die Grundlagen für eine gesunde seelische Entwicklung des Kindes, ein positives Selbstkonzept, die Fähigkeit zur Selbststeuerung und die Erfahrung von Selbstwirksamkeit über die interaktiven Erfahrungen mit Bezugspersonen und anderen befördert.“ (Weltzien, 2016, S. 6)

Das Qualitätsentwicklungsprojekt beinhaltete die Entwicklung und Implementierung von Beobachtungs- und Reflexionsmethoden, evaluierte aber auch den Entwicklungsprozess. Neben der videogestützten Beobachtung kamen deshalb sowohl leitfadengestützte Einzel- und Gruppeninterviews mit den teilnehmenden Fachkräften als auch die schriftliche Befragung zu Fachkraft-Kind-Interaktionen, zur allgemeinen Gruppenatmosphäre und zu Kontextfaktoren zum Einsatz (Weltzien, 2013).

Indem mit den am Projekt beteiligten Fachkräften ein fachlicher Austausch über die videografierten Interaktionsverläufe und deren Merkmale stattgefunden hatte, konnten in einem mehrstufigen Prozess typische Merkmale der Interaktionen zwischen Fachkraft und Kind(ern) formuliert und systematisiert werden. Diese Merkmale wurden hinsichtlich ihrer beziehungsförderlichen, entwicklungs- und lernpsychologischen Relevanz überprüft und in einer weiteren Erprobungsphase weiter ausdifferenziert. Mithilfe von statistischen Verfahren wurden schließlich drei Skalen gebildet, die auch in Forschungsprojekten einsetzbar waren (Weltzien, 2014).

Auf dem Weg: aus der Praxis in die Praxis

Wie der Entwicklungsprozess des GInA-Verfahrens zeigt, legte das Forschungsteam viel Wert auf eine enge Verknüpfung von ethnografischen bzw. rekonstruktiven Zugängen einerseits und statistischen Analysen andererseits. Der gesamte Entwicklungsprozess erfolgte deshalb in enger Zusammenarbeit mit der Fachpraxis. Dies spiegelt sich auch in dem Erfolg von GInA wider: Das Instrument wurde bereits in zahlreichen Qualitätsentwicklungsprojekten sowie in der Prozessbegleitung von Teams2 verwendet. Zunehmend kommt es inzwischen auch in der Aus- und Weiterbildung zum Einsatz; so werden seit 2015 Multiplikator*innenschulungen angeboten und die Methode der videogestützten Beobachtung und Reflexion wird in Fach- und Hochschulen eingesetzt (weitere Informationen unter: www.zfkj.de/gina).

2016 wurde das ursprüngliche GInA-Instrument für Forschungs- und Evaluationszwecke durch eine Forschergruppe am Zentrum für Kinder- und Jugendforschung (ZfKJ) an der Evangelischen Hochschule Freiburg weiterentwickelt und die Merkmals-Skala angepasst. Auch hier erfolgte wieder ein umfangreicher Praxistest, durchgeführt mittels Analysen von Videosequenzen3 aus verschiedenen laufenden Projekten. Die Ergebnisse dieser Weiterentwicklung sind in das Evaluationsinstrument „GInA-E“ eingeflossen, das in einem Manual ausführlich beschrieben wird (Weltzien et al., 2017).

Die aktuelle GInA-Skala und ihre Anwendungsmöglichkeiten

Das Ihnen nun vorliegende Praxisbuch bezieht sich auf die neue GInA-Version mit drei Skalen und 22 Merkmalen. GInA-Kenner*innen können bei der Betrachtung der Merkmale feststellen, dass das Instrument im Vergleich zur früheren Version im Wesentlichen unverändert geblieben ist. So führt die neue Skala lediglich einige Merkmale der alten zusammen, wodurch die Bezeichnungen leicht abweichen. Die aktuellen Merkmale werden zu den drei Dimensionen „Beziehung gestalten“, „Denken und Handeln anregen“ sowie „Sprechen und Sprache anregen“ zusammengefasst (s. Abbildung 1).4

Mit GInA und der Entwicklung der Skalen ist so schließlich ein videogestütztes Verfahren entstanden, das sich sowohl für die Qualitätsentwicklung in der Praxis als auch für die Aus- und Weiterbildung eignet.

Hinweis: Mit dem validierten Instrument GInA-E liegt auch eine Variante für Forschungs- und Evaluationszwecke vor. Beide Varianten (GInA und GInA-E) beziehen sich auf dieselben fachlichen Grundlagen einer qualitativ hochwertigen Gestaltung von Fachkraft-Kind-Interaktionen in pädagogischen Kontexten. Nur die Anwendung unterscheidet sich je nach Zielsetzung: Während das Verfahren in Praxiszusammenhängen zur Analyse und Reflexion anregen und den fachlichen Austausch im Team unterstützen soll, geht es in Forschungsprojekten um vergleichende Einschätzungen zur Interaktionsgestaltung, beispielsweise als Vorher-Nachher-Vergleich in Qualitätsentwicklungsprogrammen.

In diesem Praxisbuch liegt der Fokus ausdrücklich auf der Anwendung in der Praxis bzw. in der Aus- und Weiterbildung. Es geht nicht um die Einschätzung bzw. Bewertung von Interaktionshandeln, sondern darum, ein vertieftes Verständnis für die Bedeutung und die Möglichkeiten der Interaktionsgestaltung zu bekommen. Ziel dieser Auseinandersetzung ist deshalb das Sichtbarmachen von alltagstypischen Interaktionen, die oftmals im Verborgenen bleiben. Indem diese systematisch analysiert und mit dem theoretischen und erfahrungsbasierten Wissen verknüpft werden, kann der Wert dieser Interaktionen erkannt und begründet werden.

Die folgenden Kapitel führen Sie deshalb schrittweise durch die verschiedenen Merkmale und geben Ihnen anhand der Dimensionen „Beziehung gestalten“ (Skala 1: Merkmal 1 bis 11), „Denken und Handeln anregen“ (Skala 2: Merkmal 12 bis 18) und „Sprechen und Sprache anregen“ (Skala 3: Merkmal 19 bis 22) umfassende Praxisanregungen für die Interaktion mit direkt Beteiligten und Zaungästen (s. Abbildung 1).

Abbildung 1: Überblick über die 22 Merkmale der GInA-Skalen

Die aus dem Prozess gezogenen Erkenntnisse unterstützen Sie, die Praxis der Interaktions- und Beziehungsgestaltung im eigenen pädagogischen Alltag bewusster wahrzunehmen und Ihr Repertoire an kindorientierten und situationsangemessenen Gestaltungsmöglichkeiten zu erweitern.

1 An dieser Stelle möchten wir uns noch einmal bei dem Trägervertreter, den Leitungen und Teams der städtischen Kindertagesstätten in Pforzheim für die spannende und wertvolle Zusammenarbeit herzlich bedanken!

2 Vgl. „1, 2, 3 – Die Jüngsten im Blick“ (Weltzien & Bücklein, 2015), „Innopäd U3“ (Fröhlich-Gildhoff, Hoffer & Bensel, 2017), „HeVeKi“ (Fröhlich-Gildhoff et al., 2014, 2017a,b).

3 Hierfür wurden 145 Filmsequenzen nach GInA ausgewertet.

4 In der ursprünglichen Version wurden die insgesamt 28 Merkmale unter den 3 Skalen „Gesprächsbereitschaft“, „Gestaltung der Interaktion“ und „Aktivierung von Fachwissen“ zusammengefasst (Weltzien et al., 2017).

3 Beziehung gestalten

Die GInA-Merkmale 1 bis 11 – Skala 1

Zuwendung zeigen

Den Faden aufnehmen

Mit einem Lächeln bist du immer gut angezogen.

Unbekannt

Wann haben Sie das letzte Mal einer fremden Person zugelächelt und sich über ihre Reaktion gefreut?

Fachlicher Impuls

Eine warmherzige, feinfühlige, empathische Grundhaltung sowie eine liebevolle und von emotionaler Wärme geprägte Kommunikation sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass sich Kinder in einer Situation wohlfühlen. Das Merkmal ‚Zuwendung zeigen‘ nimmt daher alle Signale in den Blick, die auf die Bereitschaft der Fachkraft hinweisen, mit Kindern in Kontakt zu treten. Diese Signale können sich beispielsweise als Anschauen, Hinwenden, Staunen oder Lächeln zeigen. Wichtig ist, in der Zuwendung kongruent (also stimmig) zu sein und auch feinfühlig auf die Heterogenität der Kinder, ihre individuellen Verhaltensweisen und Kompetenzen einzugehen.

Meine Resonanz zu diesem Impuls

Wenn Sie an Ihre beruflichen und persönlichen Kontakte denken: An welchen Erkennungszeichen nehmen Sie „warmherziges“ Verhalten wahr? Was löst es in Ihnen aus, einem warmherzigen Menschen zu begegnen? Wurden Sie schon einmal unerwartet mit Warmherzigkeit beschenkt?

Der kleine Laborversuch

Gibt es jemanden in Ihrem pädagogischen Alltag, bei dem Sie das Merkmal ‚Zuwendung zeigen‘ häufig beobachten können? Beobachten Sie doch auch einmal die Reaktionen derjenigen, denen diese Zuwendung zuteil wird.

Den Faden aufnehmen

SCHMETTERLINGSEFFEKT

Der „Schmetterlingseffekt“ beschreibt dynamische Systeme und äußert sich dadurch, dass nicht vorhersehbar ist, in welchem Maß sich beliebig kleine Änderungen der Anfangsbedingungen langfristig auf das gesamte System auswirken. Eindrucksvoll veranschaulicht diesen Effekt das Wetter. Der Begriff geht auf den US-amerikanischen Meteorologen Edward N. Lorenz zurück, der sich mit Wetterphänomenen beschäftigte und der Frage nachging, welche winzigen Bewegungen – z. B. der Flügelschlag eines Schmetterlings – sehr große Veränderungen bewirken können.

Fachlicher Impuls

Die Grundhaltung der Fachkraft hat nicht nur auf die unmittelbare Gesprächssituation mit Kindern positive Auswirkungen. Zahlreiche Studien belegen, dass die Warmherzigkeit, Feinfühligkeit und Empathie, die von der Fachkraft ausgestrahlt wird, sich auf die gesamte Gruppenatmosphäre günstig auswirkt. So sind die Kinder entspannter und weniger gestresst, wenn die Grundatmosphäre in der Gruppe durch Warmherzigkeit, Feinfühligkeit und Empathie geprägt ist (Ahnert, 2007; Ahnert et al., 2006). Positive Wirkungen ergeben sich auch für die Interaktion der Kinder untereinander. Die Peerbeziehungen – also beispielsweise die Spiele und Kooperationen der Kinder untereinander – halten länger, sind intensiver und friedlicher. Als Grund dafür wird angenommen, dass sich die Kinder als Teil der Gruppe wohlfühlen, also das Wir-Gefühl in der Gruppe unterstützt wird. Auch orientieren sie sich an dem Kommunikationsverhalten der Erwachsenen („soziales Lernen“, Bandura, 1986). Gehen von ihnen freundliche, empathische Signale aus, bestimmt dieses „warme“ Kommunikationsklima die ganze Gruppe – auch wenn es natürlich immer auch einmal Streit und Krach gibt. Die positive Grundhaltung der Fachkraft – niemand muss Angst davor haben, Zuwendung zu verlieren – trägt gerade in Konfliktsituationen dazu bei, dass negative Emotionen besser reguliert und konstruktive Lösungen eher gefunden werden können.

Meine Resonanz zu diesem Impuls

Wenn Sie an die Atmosphäre in Ihrem Gruppen-/Funktionsraum denken: Welches Klima haben Sie in der letzten Woche erlebt? Können Sie spontan drei zutreffende Begriffe benennen? Wie geht es Ihnen selbst in diesem Klima? Was ist Ihre persönliche „Wohlfühl-Klimazone“?

Der kleine Laborversuch

Erproben Sie doch einmal den „Schmetterlingseffekt“ in Ihrer Einrichtung: Wenden Sie sich einer neuen Person oder Gruppe ganz bewusst zu – beispielsweise einem Elternteil, einem Kind oder eine*r Kolleg*in, die Sie noch nicht gut kennen, und beobachten Sie die Reaktionen. Was stellen Sie fest?

Den Faden aufnehmen

Es kann nur dann ein Lächeln aus dem Spiegel schauen, wenn ein Lächelnder hineinschaut.

Aus China

Fachlicher Impuls

Woran machen sich Signale der Zuwendung in einer konkreten Situation mit Kindern bemerkbar? Es gibt eindeutige, allgemeine Zeichen für Freundlichkeit, Feinfühligkeit und Warmherzigkeit, die auch universell über alle Lebensalter erkannt werden. Zuwendung erkennen die Kinder daran, dass man sie freundlich anschaut, sich in der Körperhaltung zu ihnen hinwendet, mit ihnen gemeinsam staunt oder lacht. Zuwendung kann auch – wenn es sich aus der Situation heraus gerade ergibt – über eine längere Entfernung gegeben werden (winken, zunicken, Zeichensprache). Das bedeutet, hier geht es nicht um die allgemeine Grundhaltung der Zuwendung (sicherlich eine der zentralen Leitorientierungen in der Pädagogik überhaupt), sondern um die ganz konkrete, emotional positiv gefärbte Zuwendung in einer bestimmten Situation, die das Kind gerade erlebt. Denn damit erlebt es sich selbst auch als positiv und wichtig.

Meine Resonanz zu diesem Impuls

Was wird dem Kind vermittelt, wenn Sie sich ihm morgens beim Ankommen in der Kita zuwenden?

Der kleine Laborversuch

Wir alle senden also immer Signale an andere aus – ob wir wollen oder nicht. Schauen Sie sich einmal „über die Schulter“ – oder fragen Sie Ihre*n Kolleg*in, der/die Sie am besten kennt: Welches ist ein ganz typisches Signal in Ihrer Mimik oder Gestik?

Den Faden aufnehmen

EINDRÜCKLICH

Als meine Tochter 3½ Jahre alt war, fuhren wir mit ihr nach Italien. An einer Raststätte machten wir Pause. Meine Tochter stand an einem Schmuckständer mit vielen bunten Ketten und Armbändern, als neben ihr der Tankwart und ein Motorradfahrer wild gestikulierend und laut miteinander zu sprechen begannen. Meine Tochter rannte mit entsetztem Gesichtsausdruck zu mir: „Mama, die Männer streiten!“ Tatsächlich dachten die beiden Männer jedoch nur darüber nach, welches Motoröl das richtige sei.

Fachlicher Impuls

(Unbewusste) Signale der Uneindeutigkeit (z. B. Stirnrunzeln, strenger Blick) wirken, auch wenn sie nicht „böse“ gemeint sind, auf die Kinder verunsichernd. Dies lässt sich z. B. daran beobachten, dass sie sich abwenden oder sich aggressiv und ablehnend verhalten. Das Verstehen von Signalen der Interaktion ist erfahrungsabhängig – jedes Kind bringt einen „Rucksack“ voller Interaktionsgeschichten mit in die Kita. Diese sind familiär und kulturell sehr unterschiedlich geprägt. Da ihnen selbst gar nicht bewusst ist, dass sich ihr kommunikatives Verstehen von dem anderer Kinder unterscheidet, können sich Missverständnisse und Fehlverhalten verfestigen. Verstehen sie unsere Blicke beispielsweise nicht als aufmerksame Zuwendung, sondern als Kontrolle, werden sie folgerichtig weggehen. Vielleicht verstehen sie unsere freundlichen Kommunikationsangebote aber auch als Einladung, einen intensiven Kontakt zu suchen – weil sie z. B. wenig beziehungsgesättigt sind und großen Nachholbedarf an Zuwendung haben; die Balance zwischen Nähe und Distanz muss sich daher erst einspielen. Auch hier ist es also erforderlich, das Versprechen einzulösen, jedem Kind seinen Bedürfnissen entsprechend mit einer warmherzigen, empathischen Grundhaltung zu begegnen. Können sich die Kinder immer wieder dieser Zuwendung versichern, werden sie über kurz oder lang keine wiederkehrende Bestätigung mehr benötigen und es schaffen, sich stärker ihrer Umwelt zuzuwenden. Die Beziehung zu Ihnen als Bezugsperson ist dann auf einer sicheren Grundlage hergestellt.

Meine Resonanz zu diesem Impuls

Waren Sie schon einmal in einem Land, in dem Sie die Sprache nicht verstanden haben? Oder in dem vielleicht sogar der körperliche Ausdruck anders gelebt wurde als in Ihrer Herkunftskultur? Wie hat die Kommunikation funktioniert? Gab es Missverständnisse?

Der kleine Laborversuch

Achten Sie einmal bewusst auf ein Kind, das sich im Sprachaufbau befindet. Worauf achtet das Kind besonders? Woran orientiert es sich? Wann und wie kommt es zum „Verstehen“? Wann sind Sie sicher, dass Sie sich verstanden haben?