Girl, Goddess, Queen: Mein Name ist Persephone - Bea Fitzgerald - E-Book

Girl, Goddess, Queen: Mein Name ist Persephone E-Book

Bea Fitzgerald

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Beschreibung

Persephones Rebellion gegen den Olymp – mit dem heißesten Gott der Unterwelt

***Je nach Verfügbarkeit wird das Buch mit oder ohne Farbschnitt geliefert. Der gestaltete Buchschnitt ist auf eine limitierte Stückzahl begrenzt.***

Persephone wurde nicht geraubt, sie ist in die Unterwelt geflohen. Dort hat weder ihr Vater Zeus noch ihre Mutter Demeter Macht über sie. Um keinen Preis will sie an irgendeinen Gott verheiratet werden, der sich selbst mehr liebt als sie. Jetzt muss sie den abweisenden und unerwartet attraktiven Hades davon überzeugen, mit ihr gemeinsames Spiel zu machen. Persephone hat einen Plan, der den Olymp bis ins Mark erschüttern wird …
Bea Fitzgeralds Debüt ist eine extrem unterhaltsame Enemies-to-Lovers-Romantasy mit einer emanzipierten Heldin, die den gesamten Götterhimmel ins Wanken bringt – für alle Göttinnen, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.

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Seitenzahl: 646

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Bea Fitzgerald

Girl,Goddess, Queen

Mein Name ist Persephone

Aus dem Englischenvon Inka Marter

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© Bea Fitzgerald 2023

© 2023 für die deutschsprachige Ausgabe

cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Die Originalausgabe erschien erstmals 2023 unter dem Titel »Girl, Goddess, Queen« bei Puffin, einem Imprint von Penguin Random House Children’s, London.

Penguin Random House Children’s is part of the Penguin Random House group of companies.

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Aus dem Englischen von Inka Marter

Lektorat: Julia Przeplaska

Covergestaltung: Geviert GbR, Grafik & Typografie, nach einer Vorlage von © 2023 Penguin Random House Children’s, London

Cover- und Innenillustrationen © Pablo Hurtado de Mendoza 2023

kk • Herstellung: UK

Satz & E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-30607-6V002

www.cbj-verlag.de

Für die S1,ohne die es kein Licht, kein Buch und auch mich nicht gäbe.

Vorbemerkung der Autorin

Dieses Buch ist zwar ein Fantasyroman, aber es beruht auf vielen Aspekten unserer Welt und behandelt Probleme aus dem wirklichen Leben. Und obwohl es dabei um ein paar ziemlich ernste Themen geht, sollt ihr Spaß beim Lesen haben. Damit das möglich ist, will ich kurz zusammenfassen, was emotional belastend oder schwierig sein könnte – je nachdem, was für Erfahrungen ihr gemacht habt. Manche Themen betreffen mich auch persönlich und sind beim Schreiben an die Oberfläche gekommen. Wenn es euch auch so geht, alles Liebe und Gute von mir! Seid nett zu euch und bitte passt auf euch auf – egal ob das bedeutet, mit einer geliebten Person, einem vertrauenswürdigen Erwachsenen, einer Ärztin oder einem Arzt zu reden, oder ob ihr euch woanders Hilfe sucht – und vergesst nicht, dass ihr nicht allein seid.

- Dieses Buch enthält Gespräche und Verweise auf Rape Culture und sexuelle Übergriffe. Es gibt keine explizit beschriebenen Szenen mit diesem Inhalt.

- Eine Figur leidet unter einem Kriegstrauma und einer nicht diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung.

- Eine Figur hat Eltern, die sich emotional manipulativ, missbräuchlich und autoritär verhalten. Es gibt keine körperlichen Misshandlungen.

- Es gibt Hinweise auf Körperverletzung und körperliche Gewalt. Es gibt keine explizit beschriebenen Szenen mit diesem Inhalt.

Kapitel 1

Als sie mich fragten, was ich wollte, sagte ich: »Die Welt.«

»Und was würdest du mit der Welt anfangen?«, hakte mein Vater nach. Es lag Schärfe in seinen Worten, aber ich verstand die Drohung nicht, bis Mutter meine Schulter drückte. Ihr Griff war zu fest, um beruhigend gemeint zu sein – vielleicht eine Warnung? Oder drohte sie mir auch?

Ich blickte von einem Gott zum nächsten, und niemand gab mir einen Fingerzeig, was ich falsch gemacht haben könnte. Sie hatten mir eine einfache Frage gestellt und ich hatte eine einfache Antwort gegeben. Jetzt saßen sie hier im kühlen Megaron, wo sich ihre Gesichter verzerrt in den Bronzesäulen spiegelten, die den Thronsaal umringten, und starrten mich an. Ich hatte keine Ahnung, was sie von mir wollten, keine Ahnung, warum plötzlich alle so angespannt wirkten. Manche sahen schnell zu meinem Vater, und der blickte so finster drein, man hätte ihn mit einer seiner eigenen Statuen verwechseln können.

Ich dachte über seine Frage nach, und meine Mutter grub ihre Fingernägel mit jeder Sekunde, die ich schwieg, tiefer in meine Schulter.

»Ich würde sie mit Blumen füllen«, beschloss ich.

Die Worte waren heraus, ein Augenblick verging.

Dann lachte mein Vater. Lange. Laut. Es war die Art von Lärm, bei dem ich mich auf meinem Stuhl duckte. Die versammelten Götter fielen einen Sekundenbruchteil zu spät ein.

Ich wollte mich zu meiner Mutter umdrehen und sehen, ob ich richtig geantwortet hatte, aber sie hielt mich immer noch fest, auch wenn sie ihre Fingernägel nicht mehr ganz so heftig in mich bohrte.

Sie hatte mich den ganzen Abend nicht aus den Augen gelassen.

»Man sollte sich immer vor Fremden in Acht nehmen, mein Kind«, hatte sie gesagt. Aber diese Leute waren keine Fremden, jedenfalls nicht für meine Mutter. Sie waren ihre Schwestern und Brüder – wenn sie nicht blutsverwandt waren, hatten sie zusammen gekämpft. Es waren Götter, die sie schon ihr ganzes Leben kannte.

Ich wollte mehr wissen, aber Mutters Lieblingsspruch war: »Frag nicht, mein Kind.«

Wenigstens mit diesem blöden ›mein Kind‹ wäre es bald vorbei. Ich war acht Jahre alt – jedenfalls ungefähr. Es ist nicht leicht, den Überblick zu behalten, wenn man unsterblich ist, und es kam erschwerend hinzu, dass sich alle Götter bis zu diesem Moment im Krieg mit dem Herrscher über die Zeit befunden hatten, der diese nach Lust und Laune verschob.

Aber unabhängig von meinem Alter war meine Amphidromia, der Tag, an dem ein Kind seinen Namen bekommt. Und da ich eine Göttin war, sollte ich auch meine Domäne erhalten – das, wofür ich in der Welt verantwortlich sein würde.

»Sehr gut«, sagte mein Vater und erhob sich von seinem Thron. Die lachenden Fremden verstummten auf der Stelle. »So sei es.« Er schwieg einen Moment, und seine Mundwinkel zuckten, als er die besorgten Mienen der anderen Götter sah, vor allem die der anderen Ratsmitglieder an seiner Seite. Sie waren seine Berater, flüsterten miteinander und stießen sich in gespannter Erwartung seines Urteils an.

Dann lächelte Vater, obwohl die Anspannung nicht weichen wollte. »Du sollst die Göttin der Blumen sein.«

Mir fiel die Kinnlade runter und meine Mutter packte mich erneut wie ein Schraubstock. Sie kannte mich gut genug, um zu spüren, dass ich laut schreien wollte, so wütend und verwirrt war ich, weil ich um etwas so Großes gebeten und etwas so Kleines bekommen hatte. All meine Hoffnungen, all meine ehrgeizigen Ziele fielen in sich zusammen. Aber ich klappte den Mund wieder zu und verbarg die geballten Fäuste in den Falten meines Kleides. Es war es nicht wert, den König der Götter herauszufordern, nur weil ich wütend war.

»Und dein Name sei … Kore.«

Meine Augen weiteten sich, als ich die Bedeutungen dieses Namens im Kopf durchging: reine, schöne Jungfer, kleines Mädchen. Offensichtlich war das alles, was er je in mir sehen würde.

»Göttin der Blumen und der Schönheit …« Aphrodite ließ einen fast unhörbaren Laut des Unmuts hören, bevor Vater fortfuhr: »… in der Natur.«

Als das zeremonielle Feuer angezündet wurde, kämpfte ich gegen die Tränen.

Das war wie eine Strafe.

Und ich hatte keine Ahnung, was ich falsch gemacht hatte.

Ich denke in diesem Moment an meine Amphidromia und versuche still zu halten, während Mutter grob meine Haare bändigt. Meine Gedanken kehren oft zu der Zeremonie zurück. Es hatte viel auf dem Spiel gestanden – und ich hatte Jahre Zeit gehabt, um es ganz zu verstehen. Aber inzwischen verweilen meine Gedanken dort, wohin sie sich früher kaum verirrt haben: bei den vielen Gesichtern im Schatten.

Mutter hatte mir damals gewisse Dinge über sie erzählt – um mich zu schützen, aber auch, damit ich dumm blieb. Seit sie mir mehr erzählt hat, ist die Erinnerung mit Angst gefärbt.

So viele Leute, und alle sehen mich an. Zwei der drei Reiche sind versammelt, ich bin von Göttern des Olymp und des Meeres umringt. Des Hades natürlich nicht. Vorher war ich nie so vielen Leuten begegnet, und danach auch nicht mehr. Jetzt werde ich in wenigen Tagen mit einem von ihnen verheiratet werden – und meine Erinnerung reicht nicht einmal aus, um mir vorzustellen, wer am Altar auf mich warten könnte.

Alle, die ich kenne, sagen, es sei normal, vor seiner Hochzeit nervös zu sein, aber niemand hat mir gesagt, ob es auch normal ist, Angst zu haben, so wahnsinnige Angst, dass man nicht mal mehr richtig atmen kann, wenn man daran denkt.

»Bitte halt still, Kore«, sagt Mutter seufzend und entwirrt meine verknoteten Haare.

Da hängt noch mein Kopf an meinen Haaren, Mutter. Wenn du weiter so daran reißt, geht er ab.

»Und schlag dir den sarkastischen Kommentar, den du gerade denkst, aus dem Kopf.«

Ihre müden Worte sind das Echo einer Lektion, die sie mir schon ein Dutzend Mal vorgebetet hat: »Männer können nicht gut mit Sarkasmus umgehen, Kore. Sie verstehen ihn als eine Herausforderung ihrer Autorität.«

Ich frage mich, ob ich ihre Lektionen jemals verinnerlichen werde oder ob sie auf ewig wie Öl auf Wasser in ihrer Stimme durch meinen Kopf hallen und alles verurteilen, was ich tue. Wenn es mir wenigstens dabei helfen würde, mit alldem aufzuhören, worüber sie sich ärgert. Mit alldem, was mich offensichtlich zu einer wenig begehrenswerten Person macht.

Ich habe es versucht. O Moiren, ich habe es so sehr versucht.

»Demeter, willst du ihr die Haare wirklich so fest hochstecken? Die Mode ist jetzt viel lockerer«, sagt Kyane, die in der Tür steht. Mit meiner Mutter und mir in meinem kleinen Zimmer ist sonst nirgendwo Platz. Sie ist die Nymphe, der normalerweise die wichtige und beschwerliche Aufgabe anvertraut wird, meine Haare zu kämmen, und so wie sie an ihren eigenen, fest hochgesteckten Locken zupft, tobt sie innerlich, weil Mutter sich an einem so wichtigen Tag einfach einmischt.

Meine Haare dürfen um der Götter willen nicht unordentlich aussehen – das Universum könnte untergehen. Oder wenigstens könnte ich Schande über unser Haus bringen.

Ich knirsche mit den Zähnen, als Mutters Finger an einer weiteren Klette hängen bleiben.

»Locker?«, spottet Mutter wie erwartet. »Was würde das über sie sagen? Nein, eine traditionelle Frisur ist das Beste. Sie wird schön und dennoch jungfräulich aussehen, genau wie es sich gehört.«

»Woher sollten die feinen Bewerber auch wissen, dass das Mädchen, dessen Namen buchstäblich Keuschheit bedeutet und das immer nur allein auf einer Insel gelebt hat, noch Jungfrau ist, wenn ich nicht wie eine aussehe.«

»Fang jetzt bitte nicht damit an, Kore.« Mutter seufzt wieder. Ich habe mich so an das Geräusch gewöhnt, dass sich mein Name ohne ganz merkwürdig anhört.

Trotzdem schneidet es mir ins Herz, sie an einem solchen Tag seufzen zu hören. Sie ist enttäuscht von mir, obwohl ich in die wichtigste Sache eingewilligt habe, um die sie mich je gebeten hat.

Sie steckt die letzte Nadel fest. »Na also, du bist genauso schön, wie die Gerüchte behaupten.« Sie hält einen Spiegel hoch, und ich betrachte ihr Werk: mein dickes, widerspenstiges Haar ist eng an meiner Kopfhaut festgesteckt, ein paar krisselige schwarze Strähnen versuchen schon, sich zu befreien. Ich achte nicht auf die Haare und versuche, mich so zu sehen, wie es ein Fremder tun würde, mein künftiger Ehemann zum Beispiel – glatte olivfarbene Haut und eine lange, gerade Nase, volle Augenbrauen und ausgeprägte Wangenknochen. Augen, die ein winziges bisschen zu groß und zu dunkel sind und immer fragend und naiv gucken, genau die Augen, die man bei einer Person erwartet, die den Namen »kleines Mädchen« bekommen hat.

Sie hat recht. Ich bin schön. Natürlich bin ich das. Wir sind Göttinnen. Wir sind alle schön.

Aber was mir wirklich auffällt, ist nicht meine Schönheit, sondern wie besiegt ich aussehe. Als hätte ich mich meinem Schicksal ergeben.

Mit anderen Worten, ich sehe perfekt aus.

»Wir finden im Handumdrehen einen Mann für dich«, zwitschert Mutter glücklich und legt den Spiegel hin. Er scheppert ein wenig zu laut, und als Mutter ihn loslässt, sehe ich, dass ihre Hand zittert. Ich sehe nicht gern Anzeichen für ihre Angst, ich könnte keinen guten Mann abkriegen. Vor allem, weil ich viel mehr Angst davor habe, überhaupt einen Mann abzukriegen.

Ich zupfe an dem lächerlichen Kleid, das Mutter mir aufgezwungen hat: eine Monstrosität aus lila Seide, die so fällt und gerafft wird, dass sie den angebotenen Körper vorzeigt und gleichzeitig ausreichend verbirgt, um den Anstand zu wahren. Es ist weniger ein Kleid als eine Geschenkverpackung. Außerdem ist es mit der Schleppe zu lang, um praktisch zu sein. Wenn man überlegt, wie flach ich darin atmen muss, drängt sich der Verdacht auf, dass es vor allem dem Zweck dient, mich am Weglaufen zu hindern.

Auf der Treppe nach unten stolpere ich fast, als ich Mutter in die Küche folge. Kyane bleibt zurück, um aufzuräumen, aber sie muss gekocht haben, bevor sie hochgekommen ist, denn die Küche ist voller Dampf – besorgniserregend in einem Haus, das nur aus Holz und miteinander verwachsenen Bäumen besteht –, und der Duft nach Brot ist erdrückend in dem kleinen Raum. Normalerweise bin ich zu ungeduldig, um zu warten, bis das Brot abkühlt, und verbrenne mir die Finger, wenn ich Stücke davon abreiße, aber das Kleid schnürt mir den Magen so fest zusammen, dass mir schon allein beim Gedanken an Essen schlecht wird. Unwillkürlich versuche ich, die Bänder zu lockern, die es zusammenhalten.

Mutter schlägt mir auf die Finger und zieht stattdessen die Schleife gerade. »Für deinen Mann solltest du immer so gut aussehen wie möglich.«

Woher willst du das wissen? Du bist nicht verheiratet, will ich schreien.

»Wird er auch für mich immer so gut aussehen wie möglich?«, frage ich stattdessen.

Mutter schrickt zusammen und sieht sich um, als könnte hinter der nächsten Ecke ein Olympier lauern, als hätte sie nicht die letzten zehn Jahre damit zugebracht, komplizierte Schutzzauber zu beschwören, um ungeladene Gäste von unserer Insel fernzuhalten. »Sag nicht solche Dinge, Kore!«, schimpft sie. »Niemand wird glauben, dass eine Frau, die von der körperlichen Attraktivität eines Mannes spricht, noch Jungfrau ist. Sollen die Leute dich für eine Hure halten?«

»Mal sehen …« Ich tue so, als würde ich ernsthaft darüber nachdenken, ganz in der Rolle naives kleines Mädchen, in die ich zur Selbsterhaltung schlüpfe. »Wenn sie das täten, würde mich keiner heiraten wollen. Diese Freiheit könnte mir schon gefallen.«

Mutter sieht mich betrübt an und nimmt meine Hände. »Das ist keine Freiheit«, sagt sie sanft. »Männer sehen einen solchen Ruf als Aufforderung.«

»Aber ich verstehe das nicht«, sage ich, blinzle dämlich, obwohl ich es ganz genau verstehe. »Ich dachte, du lässt mich auf dieser Insel wohnen, um mich von Männern fernzuhalten. Und jetzt soll ich einen heiraten? Ist Sex denn okay, wenn es mit dem Ehemann ist?«

»Ja, aber nur dann.«

»Aber du warst nicht verheiratet, als du mich bekommen hast.« Ich lege die Stirn in Falten, damit ihr meine Verwirrung auf keinen Fall entgeht. Wie wurde ich noch gleich empfangen, Mutter?

»Das war, bevor die Göttin der Ehe auf dem Olymp Königin wurde. Flüsse der Hölle, vielleicht mag ich Hera nicht, aber sie hat sich Macht verschafft. Sie hat dafür gesorgt, dass die Ehe Bedeutung bekommt, und konnte sogar ihren eigenen Mann binden.«

Götter, nicht schon wieder Hera als Vorbild. Wie kann meine Stiefmutter die strahlende Hoffnung der Ehe sein? Mein Vater hat sie zur Heirat gezwungen und es geht ihnen beiden schlecht.

»Wohl kaum«, sage ich schnaubend, ohne nachzudenken.

»Ehe ist Schutz, Kore. Durch einen Ring am Finger bist du an einen Mann gebunden, und das ist alles, was die Götter respektieren.«

»Das Eigentum eines anderen Mannes?«, spotte ich. Jetzt, wo ich einmal angefangen habe, kann ich mich nicht mehr bremsen.

»Ja«, schimpft sie und klingt genauso giftig wie ich. »Bei den Moiren, Kore, ich habe das System nicht erfunden, also hör auf, mir die Schuld dafür zu geben. Wenn ich eine Ehe arrangieren muss, um für deine Sicherheit zu sorgen, dann tue ich das.«

»Ich bin hier in Sicherheit. Warum kann ich nicht auf Sizilien bleiben?«

»Ach, jetzt willst du plötzlich hierbleiben? Lustig, Kore, nachdem du mich zehn Jahre lang angefleht hast, in andere Länder reisen zu dürfen.« Sie schüttelt den Kopf, aber als sie fortfährt, ist die Wut verschwunden. »Du bist hier in Sicherheit, weil wir Glück hatten. Die Schutzzauber werden nicht ewig wirken, besonders jetzt, wo du erwachsen bist. Glaubst du wirklich, ich würde dich nicht für immer an meiner Seite haben wollen, wenn ich die Macht hätte, dich zu schützen?«

»Nein, das glaube ich ehrlich gesagt nicht.«

Aber das stimmt nicht. Ich will sie nur verletzen.

Es funktioniert. Ich sehe ihr Stirnrunzeln, als meine Worte ankommen, die ausgestreckte Hand, die jetzt zögert. Ich habe nicht einmal ein schlechtes Gewissen, als ihr Tränen in die Augen treten. Ich will, dass sie weint. Ich will, dass sie einen Bruchteil des Schmerzes empfindet, den der Gedanke an eine Ehe mir bereitet. Ich will, dass sie begreift, wie wenig ich das hier will.

Ihr Schmerz verwandelt sich innerhalb von Sekunden in Wut. Gut. Soll sie mich doch anbrüllen, dann kann ich zurückschreien. »Dein ganzes Leben lang habe ich alles getan, um dich zu schützen. Ich saß auf dieser Insel fest, habe die anderen Göttinnen um Zauber und Schutz angebettelt, war kaum auf dem Olymp und auch sonst nirgends – nur damit du in Sicherheit bist.«

»Ich hab dich nie darum gebeten!«

»Und ich habe es trotzdem getan! Jede andere wäre dankbar, Kore. Alle Götter denken, sie hätten ein Recht darauf, sich zu nehmen, was sie wollen, und du bist genauso. Das Einzige, was sie respektieren, sind andere Götter. Siehst du nicht, dass Heirat die einzige Möglichkeit ist, dich zu schützen? Ich muss dir sicher nichts über das Schicksal anderer Mädchen erzählen, die geglaubt haben, es allein zu schaffen.«

Ist mir egal, will ich schreien, aber ich zögere und reiße mich zusammen. Es ist sinnlos, zu streiten, und schlimmer noch, es könnte alles zunichtemachen. Die ganze Zeit habe ich so getan, als wäre dieses Arrangement okay für mich, damit sie unachtsam wird und ich eine Gelegenheit zur Flucht bekomme, und jetzt breche ich im letzten Moment einen Streit vom Zaun, den ich nicht gewinnen kann, und riskiere, dass sie ihre Wachsamkeit erhöht.

Ich weiß, meine Mutter wird es niemals verstehen, denn es läuft auf Folgendes hinaus: Sicherheit genügt mir nicht. Ich will lieber sterben, lieber eine von diesen tragischen Geschichten sein, die Mütter zur Warnung erzählen, als mein unsterbliches Leben in Trübsal zu verbringen wie ein langer, gedehnter Seufzer in einem Choral.

Für meine Mutter waren meine Sicherheit – und mein Ruf – nämlich immer die oberste Priorität und das wird sich niemals ändern.

»Ich weiß, dass du Angst hast«, sagt sie, und ihre Wut verraucht, als sie die Gelegenheit für eine Predigt sieht. »Ich weiß, wenn es nach dir ginge, würdest du die Welt erkunden, Blumen pflanzen, und das wahrscheinlich barfuß und auch sonst völlig unpassend gekleidet. Aber das geht nicht. Die Welt ist zu gefährlich.«

»Du darfst das«, sage ich ruhig, und meine Stimme klingt niedergeschlagen.

»Kore. Ich sage das jetzt ein einziges Mal und du musst mir zuhören.« Sie tritt auf mich zu und streichelt meine Wange. »Ich liebe dich, mein Schatz, aber du hast keine Macht. Es gibt Götter mit unbeschreiblichen Kräften da draußen, und dir hat Zeus nur Blumen gegeben. Wie gedenkst du, dich mit Blütenblättern zu schützen? Dein Leben ist nicht mit meinem vergleichbar. Ich gehöre zu den ersten Göttern, bin die Göttin des heiligen Gesetzes, der Natur, der Ernte – alles bedeutende Domänen. Und trotzdem reicht es nicht, um dich zu schützen, weil Zeus die Bereiche mit der größten Macht den Männern gegeben hat. Bei den Moiren, als der Krieg vorbei war, hat er ihnen ganze Reiche übergeben, und einer von ihnen war erst zehn Jahre alt.«

»Nur der Fairness halber, die Unterwelt hättest du sowieso nicht gewollt.« Zu kalt, zu dunkel, zu voll mit Schrecken.

»Darum geht es nicht«, sagt sie. »Du kannst nur auf einem Weg mehr Macht bekommen und dir einen Platz in der Welt schaffen: indem du dich mit einem mächtigen Mann in der Ehe verbindest. Damit die anderen etwas – oder eher jemanden – zu fürchten haben. Verstehst du das?«

Ich schlucke, und meine Hände zittern, aber ich schaffe es, dass meine Miene neutral bleibt. Ich will schreien, dass sie sich irrt, aber ich weiß eigentlich gar nicht, ob das stimmt, und ich fürchte, ich könnte losheulen, wenn ich jetzt etwas sage.

»Ja, ich verstehe«, flüstere ich.

»Du kannst nicht für immer ein Mädchen auf einer Insel bleiben.« Wenigstens darin sind wir einer Meinung. »Ich weiß, dass du Angst hast, aber ich bin die Göttin alles Wachsenden. Es gibt keinen Platz auf der Erde, wo ich dich nicht finden würde.« Das weiß ich auch. »Du wirst uns nicht für immer verlassen.«

Ich unterdrücke den Schmerz, packe ihn dorthin, wo all meine Angst und Wut in einem unglaublich schweren Nichts zusammenfließt.

»Du bist jetzt eine Frau.« Was für eine beliebige Bezeichnung. Ich kann mich nicht erinnern, an meinem Geburtstag eine größere Verwandlung durchgemacht zu haben, aber anscheinend sieht die ganze Welt eine. »Du bist zu alt für diese Wutanfälle. Versprich mir, dass du dich zusammenreißt, wenn dein Vater kommt.«

Klar, was sonst. Ihre Enttäuschung saugt die letzte Wut aus mir heraus.

Ich blicke zu Boden. Das genügt schon, um mich zu verletzen. Ich starre die orangefarbenen Fliesen an, die ich vielleicht nie wiedersehe, das Zuhause, das ich – so oder so – verlasse. »Ja, Mutter.«

»Du bist schön, Kore. Und du bist wunderbar, so geschickt in den Handarbeiten, normalerweise so gehorsam und sanft, es ist so leicht, dich zu lieben«, sagt sie bestimmt. »Weiter so, und jeder Mann wäre froh, dich zu bekommen.«

Die sollten verdammt noch mal überglücklich sein.

»Siehst du dich nur unter Olympiern um?«, bringe ich heraus.

»Natürlich. Ich werde einen guten Mann für dich finden. Mit einem Olympier würdest du noch zu diesem Hof gehören. Und ich glaube kaum, dass wir unter Poseidons Herrschaft jemanden finden, den du heiraten willst.«

Ja, klar, weil Zeus’ Herrschaft so viel besser ist.

»Was ist mit dem Hof des Hades?«

Mutter lacht schrill. »Sei nicht albern, Kore. Ich weiß, du denkst, ich überlasse dich einem Schicksal, das schlimmer ist als der Tod, aber ins Reich des Todes werde ich dich dann doch nicht schicken.«

»Na dann«, sage ich. Ich will dieses Gespräch nicht weiterführen und verfluche mich schon, überhaupt damit angefangen zu haben. »Kann ich jetzt zu meinen Freundinnen? Bevor Vater kommt?«

»Oh?«, sagt sie ein wenig misstrauisch. »Ich will eigentlich nicht, dass dein Kleid Matschflecken bekommt.«

»O bitte, Vater hat mich persönlich zur Göttin der Blumen gemacht. Er wird sich kaum über ein bisschen Matsch wundern, oder?«

»Ich bin die Göttin der Ernte, und hast du mich jemals mit Stroh im Haar gesehen?«

Ja, habe ich. Einmal. Nach zwei Flaschen Wein an einem »Mütter«-Abend mit Selene und Leto. Mutter liebt es, andere Göttinnen einzuladen, damit sie mir Horrorgeschichten über die Männer erzählen, vor denen sie mich schützt. Sie umringten mich, tischten mir das Schlimmste auf, was ich je gehört habe, und gaben mir dann Tipps, damit mir so etwas niemals passiert. »Zieh bloß kein Kleid an, wenn du auf Reisen gehst«, von Aphrodite. »Verkleide dich als Mann, wenn’s geht, und reise immer nur in einer Gruppe.« Oder Athene, die mir den Kopf tätschelte und mir erklärte, wohin ich schlagen muss, damit ein Mann mich loslässt, falls, die Götter mögen uns schützen, es jemals einer auf die Insel schaffen sollte, um mich zu rauben. Hestia ist nicht viel älter als ich, aber sie ritt ständig darauf herum, dass es am sichersten sei, zu Hause zu bleiben – wobei ich mir zugegebenermaßen schon gedacht hatte, dass sie als Göttin des Herdfeuers so etwas sagen würde. Falls ich jemals hilflos und allein irgendwo stranden sollte, gab sie mir den Rat, direkt zum nächsten Haus oder Palast zu gehen und Xenia zu erbitten, ein Band der Gastfreundschaft, das sie selbst erdacht hatte und das dazu führte, dass mir niemand dort ohne Konsequenzen etwas tun könnte. Besser gesagt, sie konnten mir schon etwas tun, aber es würde Folgen haben. Vor Xenia konnten Männer machen, was sie wollten – zumindest mit denen, die dumm genug waren, nicht auf ihre Avancen vorbereitet zu sein.

»In ein paar Tagen bin ich fort«, bettele ich meine Mutter an. »Wer weiß, wann ich meine Freundinnen wiedersehe.«

»Du weißt, es gefällt mir nicht, dass du Zeit mit diesen Mädchen verbringst«, sagt sie und beißt sich auf die Lippe. »Aber na gut, ich kann wohl kaum Nein sagen bei … bei allem anderen.«

Damit ist höchstwahrscheinlich gemeint, dass sie nicht auch noch die moralische rote Linie überschreiten will, mir zu verbieten, mit meinen Freundinnen zu reden, wo sie mich schon dazu zwingt, einen Mann zu heiraten, den ich nie gesehen habe.

»Kyane!«, ruft Mutter, und die Nymphe erscheint unten an der Treppe. »Geh mit Kore zum Fluss, aber wenn die Mädchen von Dingen anfangen, die einen schlechten Einfluss auf sie haben, sorg bitte dafür, dass sie das sein lassen.«

O Mutter, sie haben mich längst verdorben. Und das ist auch gut so, sonst würde ich heiraten und in meiner Hochzeitsnacht nicht wissen, welches Teil wohin kommt.

»Sei bald zurück«, ruft sie, als ich schon halb aus der Tür bin. »Dein Vater kommt in einer Stunde.«

Eine Stunde. Ich kann buchstäblich hören, wie der Sand durchs Stundenglas rieselt – und die letzten Momente des einzigen Lebens abzählt, das ich je gekannt habe.

Kapitel 2

Kaum dass ich draußen bin, fühle ich mich besser. Das leise Summen in den Blumen um mich herum besänftigt meine Unruhe. Hier wachsen Nelken, Löwenmäulchen, Krokusse, Ringelblumen, Fuchsien und Butterblumen, aber auch Gänseblümchen im Gras. Und das sind nur die auf der Lichtung, auf der unser Häuschen steht. Wenn ich mich auf die Uferwiesen vorwage, nimmt das gute Gefühl zu, bis ich ganz aufgedreht bin.

Kyane steht vor mir, bevor ich noch einen weiteren Schritt in die Natur gehen kann. Ihre goldenen Augen suchen nach einem Hinweis auf mein Unbehagen, die rotbraune Haut um ihre Lider ist ein wenig knittrig, was nicht sein kann, weil Nymphen nicht sichtbar altern, aber offensichtlich habe ich ihr so viele Sorgen bereitet, dass sie Falten bekommt.

Ich will in ihren Armen heulen. Ich will, dass sie mich umarmt und sagt, dass alles gut wird. Wer weiß, wann ich diese Chance das nächste Mal bekomme? Was auch immer heute passiert, was auch immer ich für eine Entscheidung treffe, keine Option hält Trost bereit.

Stattdessen lächle ich. »Es geht mir gut.«

»Ich weiß, dass es schwer ist.« Kyane reibt mir den Arm.

»Lass uns hier weggehen.« Ich habe keine Lust, so zu tun, als könnte sie mich trösten, und so nah am Haus will ich nicht noch einmal Tränen riskieren. Mein ganzes Leben habe ich es zu klein gefunden, etwas von dem man weglaufen muss. Vor allem seit ich gesehen habe, wie unglaublich hoch die Gebäude auf dem Olymp sind, erbaut von Göttern des Handwerks und nicht von verzweifelten Nymphen, die einer schwangeren Göttin mitten in einem Krieg Unterschlupf bieten wollten. Auf dem Olymp sind sogar die Straßen aus Gold und unser Dach ist undicht. Aber jetzt … jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Ich liebe und hasse es in gleichem Maß.

Wir durchqueren den Hain und der Duft der Pinien und Eichen und Zypressen umweht mich. Ich lausche den summenden Insekten und den zwitschernden Vögeln. Ich sehe mich um, als könnte ich alles in mich aufnehmen, wenn ich nur genug hingucke, als könnte ich es mitnehmen, wohin auch immer ich gehe.

»Deine Mutter hat mit ihm gestritten, weißt du«, sagt Kyane. »Sie hat ihn um ein paar Jahre mehr angefleht. Er hat abgelehnt. Anscheinend gibt es ziemliche Konkurrenz um dich.«

»Na toll«, murmele ich.

»Die mythische Kore. Zuletzt gesehen, als sie noch ein Mädchen war, auf einer geheimnisvollen Insel großgezogen, damit sie ihre Keuschheit nicht verliert. Du bist eine Legende unter den Göttern, der größte Preis von allen.«

Ich glaub, mir wird schlecht.

»Das ist gut, Kore«, betont sie und sieht mich besorgt an. »Wenn alle um dich wetteifern, können deine Eltern den Besten der Besten auswählen. Du wirst einen guten Mann bekommen.«

Dafür ist das alles gut, ja? All meine häuslichen Fähigkeiten, mein Aussehen, das Luftanhalten und Mundhalten. Sei perfekt, sichere dir mehr Wahlmöglichkeiten, erhöhe deine Chancen auf einen netten und anständigen Ehemann.

Und dann sei weiter perfekt, damit er auch nett und anständig bleibt, nachdem du dich an ihn gebunden hast.

»Warum sagt Mutter mir nicht, dass sie das auch nicht wollte?«, bringe ich schließlich heraus, und das schlechte Gewissen zwickt mich im Magen. »Ich hätte nicht mit ihr gestritten.«

»Doch, hättest du«, entgegnet Kyane mit einem Blick auf das Haus. »Weil du mit Zeus schließlich nicht streiten kannst, oder?«

Nein, kann ich nicht.

Allein beim Gedanken, einen direkten Befehl vom König der Götter zu missachten, kriege ich noch mehr Magenschmerzen. Als würde sich in mir eine Kluft öffnen, in der ich liebend gern verschwinden würde.

»Vielleicht dachte Demeter, es wäre leichter für dich, wenn du glauben würdest, dass es ihre Idee war.«

»Nichts könnte –« Ich unterbreche mich. Wenn wir weiterreden, sage ich noch etwas, das alles kaputtmacht. Zum Glück treten wir jetzt aus dem Wäldchen heraus und kommen zum Fluss, wo Nymphen aufschreien und auf uns zulaufen.

Kyane ist auch eine Flussnymphe, eine Najade, aber Mutter hat sie gern. Im Allgemeinen mag Mutter die Nymphen nicht besonders. Deren Moralvorstellungen decken sich nicht mit ihren und das macht ihr Angst.

Aber sie haben ihr auch geholfen, als sie hier ankam, haben Holz gesammelt und mit ihr einen Unterschlupf gebaut. Sie haben aus dieser Insel ein Zuhause gemacht. Ich bezweifle, dass Mutter plante, nach dem Ende des Krieges, vor dem sie floh, noch hierzubleiben, aber ich bezweifle auch, dass sie damals eine Vorstellung hatte, was die Götter nach ihrem Sieg alles tun würden, wovor sie mich nur hier beschützen konnte.

Wahrscheinlich sieht sie meine Freundschaft mit den Nymphen als Opfer. Sie nimmt sie in Kauf, damit sie mich ohne andere Gesellschaft auf dieser Insel festhalten kann.

Eudokia und Myrrha sind zuerst bei mir, umarmen mich und schreien vor Freude.

»Kore«, sprudelt es aus Eudokia heraus. »Kannst du glauben, dass es endlich so weit ist?«

»Oh, ich kann es nicht erwarten, deinen Mann kennenzulernen«, sagt Myrrha. »Er wird bestimmt großartig aussehen, mit prächtigen Muskeln und glänzender Haut und lockigem Haar.«

»Ich hoffe einfach, dass er gütig ist«, antworte ich. Was kann ich sonst sagen? Sobald ich ihnen beipflichte, wird meine Mutter es erfahren, und ich muss mir noch eine Predigt über Begehren anhören.

»Komm schon, du solltest dir mehr erhoffen!«, sagt Eudokia und wickelt sich melancholisch die dünnen blonden Haare um den Finger. »Bestimmt hat er die wunderschönsten meerblauen Augen und Haare in der Farbe der Sonne.«

»Du denkst also, ich sollte Apollon heiraten?«, frage ich trocken. Eudokia redet von ihm, seit wir Kinder waren.

Die Nymphe zieht die sonnenverbrannte Nase kraus. »Das wäre schön, aber du kannst ja kein anderes Kind von Zeus heiraten.«

Früher hat das die Götter nicht abgehalten. Es gibt sogar Gerüchte, dass meine Eltern Geschwister sind, allerdings unbegründet. Mein Großvater Kronos hat seinen eigenen Vater gestürzt, um König der Titanen zu werden, und er hatte solche Angst, dass jemand anders aufwachsen und ihm die Krone wegnehmen könnte, dass er den anderen Titanen die Kinder geraubt und als Ganzes verschlungen hat. Dann bekam er selbst einen Sohn, Zeus, und beschloss, auch ihn zu fressen. Aber seine Frau Rhea konnte ihn täuschen und Zeus in Sicherheit bringen. Als der Junge älter wurde, brachte er Kronos durch eine List dazu, die anderen Götter zu erbrechen. Kronos hatte seine Macht eingesetzt, um die Kinder in der Zeit erstarren zu lassen, bevor er sie verschlang, und sie kamen perfekt erhalten wieder raus. Zuerst die kleine Hera, die die Königin der Götter werden würde. Monate später rangen meine Mutter und Poseidon, der König des Meeres, in ihren Bettchen um ihren ersten Atemzug. Und ich glaube, Hades und Hestia hatten sie schon aufgegeben, als die beiden Jahre später endlich schreiend erwachten. Damals waren die anderen Götter schon älter und kampfesmüde. Hades und Hestia dagegen waren noch Kinder, als der Krieg endete. Hades wurde zum König der Hölle gemacht und Hestia zur Göttin des Herdfeuers.

Ich mag Hestia, wirklich. Aber irgendwie kann ich sie auch nicht ausstehen.

Ich glaube, mein Vater hätte lieber sie zur Tochter als mich. Göttin des Herdfeuers und auch noch froh darüber – wahrscheinlich ist sie lieber zu Hause als woanders. Hestia hat meinen Vater um Erlaubnis gebeten, nicht heiraten zu müssen, und er war so schnell damit einverstanden, dass ich vor Wut eine Wiese verbrannt habe, als ich es erfuhr. Ich hatte gebettelt, ihn angefleht und nur ein Lachen zur Antwort bekommen sowie die Behauptung, er habe schon zwei Töchter an die ewige Jungfräulichkeit verloren – sein Hof würde toben, käme eine dritte dazu. Es brauchte all mein Talent für Blumen, um die toten, verkohlten Überreste der Wiese wiederzubeleben. Ich könnte eine Hestia sein, wenn ich meine Rolle in dieser Welt akzeptiert und mich nie daran gestört hätte. Wenn ich einfach perfekt wäre.

Und sie ist nicht dumm – sie kennt die Macht des Heims. Eine Macht, die Zeus übersehen hat. Xenia ist eine der mächtigsten Verpflichtungen in der Welt, gleich nach einem Eid beim Fluss Styx.

Hestia wollte Macht und fand sie in dem, was mein Vater ihr gegeben hat – nicht wie ich, die ich viel zu stur bin, um subtil vorzugehen.

»Wenigstens kannst du Apollon dann für mich übrig lassen«, sagt Eudokia, die gar nicht merkt, wie meine Gedanken kreisen.

»Damit du als zweite Daphne endest?«, frage ich. Die arme Daphne, die in einen Baum verwandelt wurde, um der Verfolgung des lüsternen Apollon zu entgehen. Man kann über meine Mutter sagen, was man will, aber die Bedrohungen, vor denen sie mich diese ganzen Jahre beschützt hat, sind real. Daphnes Geschichte wurde mir als Märchen erzählt – besser ein Baum sein als geschändet. So etwas zählt auf dem Olymp als Happy End.

Eudokia verzieht das Gesicht. »O bitte. Als würde irgendjemand Apollon abweisen.«

»Warum war Daphne überhaupt am Ufer, wenn sie nichts von Apollon wollte?«, fragt Myrrha. Mir dreht sich der Magen um.

»Jetzt kommt, es gibt so viel zu bereden! Du musst so aufgeregt sein«, sagt Amalthea. »Setz dich ein bisschen zu uns.«

Es ist ein schöner Tag, die Sonne ist so heiß, dass die Luft wabert, das Wasser und der Himmel sind von einem Blau, das ich nie in einer Blume nachbilden konnte. Die Brise fängt den Duft des Meeres ein, und wohin ich auch blicke, ist Leben. Die Göttin der Ernte und die Göttin der Blumen, gefangen auf einer Insel mit nichts als Naturgeistern als Gesellschaft. Es ist das Paradies.

Ich vermisse es jetzt schon.

Und ich will niemals zurückblicken.

»Weißt du, mit welchen Göttern sich deine Mutter trifft?«, fragt Amalthea.

Ich schüttele den Kopf. »Nein. Es steht mir nicht zu, das zu wissen.« Ein Satz, der Wort für Wort aus dem Mund meiner Mutter stammt, auch wenn er klingt, als hätte mein Vater ihn zu ihr gesagt. »Außerdem bin ich mir sicher, dass Mutter das fundierter beurteilen kann. Sie wird eine sehr viel vernünftigere Entscheidung treffen.« Der ist allein von Mutter.

»Vernünftige Entscheidung!«, johlt Eudokia. »Hör mir damit auf. Ich will wissen, wie heiß die Alternativen sind.«

Götter, ich bin diesen Mädchen immer so nah gewesen. Aber das war vorbei, als ich damit anfing, dass ich nie heiraten wollte, und sie darauf sagten: »Du machst dir nur Sorgen, dass Demeter dich mit einem dieser Uraltgötter verkuppelt. So darfst du nicht denken! Stell dir lieber all die süßen Typen vor, die du stattdessen abkriegen könntest, Eros zum Beispiel.« Als wäre es erträglicher, in einer Ehe gefangen zu sein, wenn der Mann, der mich beherrscht, schöne Wangenknochen hat.

Und: »Aus dir wird eine so gute Ehefrau werden! Und Mutter!« Als wollte ich nur nicht heiraten, weil ich glaubte, es mangelte mir an den Fähigkeiten, erfolgreich zu tun, was von mir erwartet wird. Wenn ich all das vor mir sehe, jeden Schritt meines Lebens durchgeplant – dann fühlt es sich schrecklich an. Eindeutig eine Falle.

Und: »Natürlich willst du heiraten!« Das ist einer ihrer Lieblingssätze, als könnten sie meine Meinung ändern, indem sie sie leugnen.

Keine Alternativen. Kein Verständnis. Gar nichts.

Und wo Mutter mich in Angst und Schrecken versetzt, verwirren sie mich. Sie sind alle so offensiv positiv, was Sex angeht, dass sie denken, man wäre irgendwie seltsam, wenn man keinen will, oder wenigstens verklemmt und prüde. Eine Welt, in der man Nein sagt und es auch so meint, können sie sich nicht vorstellen.

»Sieht sie sich nur auf dem Olymp um?«, fragt Myrrha.

»Nein«, spottet Eudokia sarkastisch. »Demeter steigt in den Hades hinab, um ein Lavamonster aus dem Feuerfluss zu holen. Denk dran, eine Aloe-vera-Nymphe zur Hochzeit mitzunehmen, Kore.«

»Offensichtlich habe ich nicht den Hades gemeint. Aber, um der Gerechtigkeit willen, ein paar der Götter da unten sind –«

»Furcht einflößend? Deprimierend? Würden eher mit einem Schwert in dich eindringen als mit ihrem –«

»Sie sucht nur auf dem Olymp«, unterbreche ich ihr Gezanke.

»Warum?«

Kyane springt ein. »Demeter sagte, es gebe so viele Interessenten, dass es leicht war, die Meeresgötter ganz rauszuhalten. Und … ich glaube, Zeus will sie im Auge behalten. Sie soll an seinem Hof bleiben.«

Ich würde über seine Kleinlichkeit lachen, wenn sie nicht mein Leben ruinieren würde. Ich stehe auf ewig unter Verdacht, weil ich als Kind zu viel wollte und seine Autorität bedroht habe. Ich habe ganz allein dafür gesorgt, dass ich beobachtet werde.

Zu wissen, dass sich nur Olympier um meine Hand bemühen, macht es nicht besser. Das Reich des Meeres war eine ständige Bedrohung für unsere Insel gewesen, Wellen schlagen ans Ufer, als wäre es nur eine Frage der Zeit, bis sie sie ganz verschlucken. Immer wenn ich mir vorstellte, dass eine von Mutters Horrorgeschichten wahr würde, war es ein Gott des Meeres, der mich raubt. Aber die Olympier sind genauso schlimm.

Sogar die Königin des Olymps, Hera, musste den Mann heiraten, der ihr Gewalt angetan hat – meinen Vater. Es ist nicht unbedingt eine glückliche Verbindung, aber sie ist die Göttin der Ehe, also kann er sich nicht von ihr scheiden lassen – allerdings kann er sie sehr wohl betrügen und schlagen, er hat sie an Ketten in den Himmel hängen lassen, als sie gegen ihn rebellierte, und sie bei Styx schwören lassen, dass sie sich nie wieder gegen ihn auflehnen würde.

Wenn ich Mutter darauf hinweise – dass die Sicherheit einer Ehe vielleicht doch nicht so viel wert sein könnte und es ebenso riskant ist, sich an einen Mann zu binden, um sich vor vielen zu schützen –, behauptet sie einfach, nur einer sei vorteilhafter, und sie würde mich außerdem mit jemandem verheiraten, der besser sei als mein Vater. Sie sagt, deshalb würde sie die Entscheidung treffen und nicht ich – weil sie in ihrer Jugend Fehler gemacht hat, womit sie unter anderem meinen Vater meint, und ich daraus lernen soll.

Aber trotz allem ist sie auch eifersüchtig auf Hera, weil Hera mit ihrer Hochzeit eine Krone bekommen hat. Nachdem die Götter die Titanen besiegt hatten, verfügten die Moiren, dass nur ein von Kronos erwählter regieren könne. Vater nahm nur die Drohungen der Jungen ernst und versuchte, Poseidon und Hades zu besänftigen, indem er die Welt dreiteilte und sie zu Königen ihrer eigenen Reiche machte, damit sie nie nach seiner eigenen Krone streben würden. Auch wenn Kronos sechs Kinder ausgesucht hat, von denen drei Mädchen waren.

Mutter war eins dieser Mädchen und hat diese Herabsetzung nie verziehen. Eigentlich ist sie auch eine Olympierin. Sie gehört sogar zum Rat der Zwölf, der den Hof überwacht. Aber die meiste Zeit bleibt sie hier bei mir. Sie sagt, es sei zu meiner Sicherheit, aber es liegt auch daran, dass sie als alleinerziehende, ledige Mutter zur gesellschaftlichen Außenseiterin wurde, als Hera und Zeus heirateten und die Göttin der Ehe zur Königin wurde. Von da an musste Mutter ihre Freundschaften verbergen – in leisem Geflüster und stillen Versöhnungen weit weg vom Olymp.

Sizilien ist wunderschön, aber es ist ein Gefängnis. Für uns beide.

Die Nymphen spekulieren immer noch über mögliche Heiratskandidaten, und ich blende sie aus, betrachte die Sonne, die auf dem Fluss tanzt, die Blumen, die jeden Zentimeter des Bodens bedecken. Dann will Vater also, dass ich auf dem Olymp bleibe, wenn er mich mit einem Olympier verheiraten will? Der Hof ist wunderschön – riesige Torbögen öffnen sich zu einer Stadt aus Palästen, goldene Straßen schlängeln sich zwischen ihnen hindurch, Ambrosia liegt so dicht in der Luft, dass man es schmecken kann. Musen singen auf der Straße, der Marmor glänzt weißer als die Wolken, und die Gebäude stehen auf Sockeln aus Bronze. Alles glänzt und strahlt und ist perfekt.

Und dann die Akropolis! Der ganze Hof befindet sich auf einem steilen Berg, aber wenn man höher kommt, fällt einem irgendwann auf, dass man nicht mehr auf Stein geht. Man hat die Sterne selbst unter den Füßen, und dort, am höchsten Punkt des Himmelsbogens, ist der Palast des Zeus. Ich bin praktisch hochgehüpft für meine Amphidromia, voller Ehrfurcht über all die Schönheit, die der Hof zu bieten hat.

Seitdem habe ich nicht viel an den Olymp gedacht; meine Erinnerungen verweilen immer bei der Namensgebungszeremonie.

Als ich jetzt versuche, mir vorzustellen, bei Hofe zu leben, mit Göttern an jeder Ecke, tut mir das Herz aus einem anderen Grund weh. Als Gefangene auf dieser Insel wollte ich immer die Welt sehen. Und ich dachte, vielleicht könnte das die Ehe erträglich machen: jemanden zu heiraten, der nah an schneebedeckten Bergen lebt, an so dichten Wäldern, dass man unmöglich hindurchsehen kann, oder in der Nähe einer Wüste oder einem Dschungel – an etwas anderem, etwas Neuem, das dieses Reich, das ich so liebe, ausmacht.

Der Olymp ist weit von dieser Welt entfernt.

Und ich kann mich nicht erinnern, dort auch nur eine einzige Blume gesehen zu haben.

»Sieh doch!«, stößt Myrrha hervor. Sie zeigt zum Himmel, und ich weiß, es ist zu spät. Ich weiß, sie kann nur eines meinen, bevor ich überhaupt aufblicke und seinen Streitwagen über uns hinwegrasen sehe, gezogen von vier Pferden, die durch die Luft galoppieren.

Mein Vater ist hier.

Kapitel 3

Ich breche fast zusammen, als ich zu Hause ankomme. Mein Verdacht, dass man in diesem Kleid nicht rennen kann, war korrekt.

»Kore«, schimpft meine Mutter, als ich zur Tür hereinplatze. Sie eilt zu mir und glättet ein paar Haarsträhnen. »Warum rennst du herum wie ein wütender Stier?«

»Vater –«, bringe ich heraus.

»O Moiren.« Mutter hält sich besorgt eine Hand an den Mund. »Er ist früh dran. Tritt zurück. Lass mich dich ansehen.«

Ich tue, worum sie mich bittet, und sehe die Speisen, die sie für die Ankunft meines Vaters vorbereitet hat: mit Feta gefüllte Artischocken, die vor Olivenöl glänzen, Kichererbsen, bestreut mit so großen Salzflocken, dass sich das Licht darin fängt, Pasteten mit cremigem Käse, eingelegtes Gemüse, lockere Gebäckstücke mit einem Klecks Himbeermarmelade und ein Dutzend Brote mit eingebackenen Blumen – dekorative essbare, die ich erschaffen habe, weil ich glaubte, sie würden meine Mutter glücklich machen; Blumen und Häuslichkeit in einem.

Aber es ist alles nur Theater – Vater wird nicht bleiben, um etwas davon zu probieren. Er wird ein paar vernichtende Kommentare von sich geben, mich in die Schranken weisen und dann weiterhetzen, um seinen Lieblingskindern Aufmerksamkeit zu schenken, oder deren künftigen Müttern.

»In Ordnung, du siehst gut aus«, sagt Mutter, um sich zu beruhigen. »Aber, Kore, du musst dich benehmen, wenn er da ist. Reg ihn nicht auf. Ich muss … Hör zu, er wird dich mit dem Gott verheiraten wollen, der das meiste Vieh bietet oder sich am tiefsten verneigt oder, Götter, ich weiß nicht was. Ich werde ihn sowieso schon bedrängen müssen, jemanden auszuwählen, der dich gut behandelt. Mach ihn bitte nicht wütend, sonst entscheidet er sich für jemand anderen, nur um dich zu ärgern.«

»Ja, Mutter, ich werde mich benehmen.«

Ich bin ja nicht blöd.

»Braves Mädchen«, sagte sie und drückt mir einen Kuss auf die Schläfe, als sich krachend die Tür öffnet.

Ich zucke zusammen bei dem Geräusch. Vater ist gern laut – alles an ihm ist Donner. Am liebsten redet er so laut, dass sich die Leute ducken. Als er unser Heim betritt, sirrt selbst die Luft vor nervöser Spannung, die von etwas anderem kommt als von seinem Blitz. Ich falle auf die Knie, als er eintritt, senke den Kopf.

»Mein König«, murmele ich, was meine Mutter, die neben mir kniet, wiederholt.

»Erhebt euch«, befiehlt er.

Ich hefte den Blick auf den Boden, und während ich das tue, würde ich am liebsten in den Fliesen versinken. Mutter streift mich mit der Schulter, als sie sich fast unmerklich vor mich schiebt.

Er schnaubt. »Gut gemacht, Demeter. Sie sieht praktisch zahm aus.«

Meine Wangen werden heiß vor Wut, aber ich hoffe, er verwechselt es mit Schamesröte.

»In der Tat. Wollen wir dann?«, fragt Mutter.

Er ignoriert sie und schlendert in einem großen Kreis um mich herum.

»Ja«, sagt er schließlich. »Ich denke, wir werden ein paar ordentliche Angebote für sie kriegen. Ein paar wollten auf Nummer sicher gehen und haben schon eins abgegeben. Kore.« Er schreit meinen Namen, als hätte ich ihn vorher nicht hören können, und ich blicke abrupt auf.

»Vater«, antworte ich mit einem sanften Nicken.

»Freust du dich auf deine Hochzeit?«

Was soll ich darauf antworten? Wenn ich Ja sage, verkauft er mich als eine, die es will und es kaum erwarten kann. Wenn ich Nein sage, tja, dann bin ich stur und verweigere mich.

»Ich freue mich sehr darauf, mein König.«

»Als ich das letzte Mal hier war, hast du mich angefleht, nicht heiraten zu müssen.«

Ich habe das so oft getan, dass ich mich nicht erinnern kann, welches Mal er genau meint. »Mein größter Wunsch ist immer, deinen Befehlen zu gehorchen. Wenn du willst, dass ich heirate, dann freue ich mich sehr darauf.«

Er brummt amüsiert. »Und was willst du noch?«

Darauf läuft es immer hinaus. Ich bin mir nicht sicher, ob er noch wütend ist, oder nur erfreut, weil ein dickköpfiges Mädchen zu einer unterwürfigen Frau wird. Als könnte er, wenn er mich zerschmettert, auch jeden anderen auf dem Planeten zerschmettern, der ihn jemals herausfordern wird.

»Was soll ich denn wollen?«

Seine Augen beginnen zu knistern, Blitze zucken darin, und er macht einen Schritt vorwärts, bei dem ich zurückspringe. Er lacht so laut, dass sie es auf dem Olymp hören müssen. »Das, Kore. Das will ich – dass du nie vergisst, wer hier die Macht hat. Wenn du auf dem Olymp bist und das Haus deines Mannes in ein Heim verwandelst, wie es sich für eine gute Frau gehört, dann sollst du dich immer daran erinnern, dass ich allein dich dort hingebracht habe.«

Ich knirsche mit den Zähnen. »Ja, mein König. Alles, was du willst.«

»Und du wirst nicht traurig sein, diesen Ort zu verlassen? Vielleicht sogar diese Welt?«

»Ich bin nur die Göttin der Blumen, Vater«, sage ich, erleichtert, mich nun auf vertrautem Terrain zu bewegen. Es gefällt ihm, wie ich ganz klar sage, dass ich mich damit abgefunden habe, die einmal begehrte Macht nicht zu besitzen. »Was sollte ich dieser Welt sonst geben?«

»Hervorragend«, sagt er fröhlich, tritt zurück und wendet sich meiner Mutter zu. »Komm, bringen wir es hinter uns. Es gibt ein Turnier in Ithaca, das ich wirklich ungern verpassen würde.«

Meine Mutter dreht sich zu mir um. »Ich bin bald zurück, Kore«, sagt sie. Ihre Arme hängen leblos an den Seiten herunter, als würde sie mich berühren wollen, aber nicht wissen, ob sie darf. »Beende deinen Hochzeitsquilt, während ich weg bin, und wenn wir zurückkommen –«

»Mach schon, Demeter«, schimpft Vater.

Meine Mutter sieht mich an. »Alles wird gut, Kore. Sei einfach brav, während ich fort bin.«

Dann geht sie. Ich bekomme keine letzte Umarmung, kein letztes gütiges Wort – oder wenigstens keins, das nicht für die Ohren meines Vaters bestimmt war. Ein richtiger Abschied ist das nicht.

Und ich weiß nicht, wann – oder ob – ich sie wiedersehen werde.

Ich warte, bis das Hufgetrappel auf dem Boden verklingt, als sie zum Olymp hinaufrasen, und zur Sicherheit noch ein bisschen länger. Dann atme ich stockend ein und gehe hinaus.

Kyane wartet direkt vor der Tür. Sie stürzt auf mich zu, streicht mir das Haar aus dem Gesicht und sucht nach einem Anzeichen, dass etwas nicht stimmt.

»Liebes?«, fragt sie.

Ich lächle, eher ein Reflex als eine Reaktion. »Ich dachte, ich könnte ein paar Blumen für meinen Zukünftigen pflücken.«

Am liebsten wäre ich zum Strand hinunter und dann zum Wäldchen gegangen, um mich von allen Nymphen der Insel zu verabschieden: den Nereiden, Alseiden, Dryaden, Aurai, Leimoniaden und jenen, die so spezialisiert sind, dass wir nicht einmal Namen für sie haben. Der Gedanke, Syrinx kein letztes Mal zu umarmen, Egeria nicht wiederzusehen …

Aber ich kenne mich. Und wenn ich nicht jetzt gleich handle, wo mich diese Flut von Emotionen überschwemmt, werde ich alles unterdrücken und ignorieren, und bevor ich mich’s versehe, bin ich verheiratet. Wenn ich es wirklich tue, mich wirklich allen widersetzen will, dann muss es jetzt sein.

»Was für Blumen denkst du zu pflücken?«, fragt sie.

»Anemonen und Strandflieder«, sage ich, ohne zu zögern. In einem sinnlosen Versuch, sie interessanter zu machen, habe ich den Blumen Bedeutungen gegeben, in diesem Fall Hoffnungslosigkeit und Bedauern.

Kyane runzelt die Stirn, und ich will mich nicht so an sie erinnern. »Ich glaube, deine Mutter wäre nicht sehr erfreut darüber.«

»Es war nur ein Witz. Ich dachte an Gänseblümchen, Freesien und Gardenien.« Reinheit, Reinheit und noch mehr Reinheit. Was sonst wäre angemessen? »Es wachsen welche auf der Wiese an der Felsenbucht.«

»Das ist zu weit von meinem Strom entfernt«, sagt Kyane. »Kannst du allein gehen?«

Ich nicke und umarme sie, bevor ich mich eines Besseren besinne. »Ich bin bald zurück. Ich hab dich lieb.«

Falls sie meine Gefühlsbezeugung merkwürdig findet, sagt sie es nicht. Vielleicht denkt sie, es ist, weil ich bald weggehe.

Wobei das in Wirklichkeit sehr viel früher geschehen wird.

»Ich hab dich auch lieb, Kore«, sagt sie und lässt mich los.

Damit drehe ich mich um und lasse das einzige Leben, das ich kenne, hinter mir. Sobald Kyane mich nicht mehr sehen kann, renne ich los.

Ich kann die Blumen spüren, aber es sind nicht die, die ich Kyane genannt habe.

Ich denke wieder an den Tag meiner Namensgebung und dass ich mehr wollte.

Ich will immer noch mehr.

Und ja, ich liebe Blumen. Ich liebe sie so sehr, dass ich mir bei dem Gedanken, sie zurückzulassen, fast alles noch einmal überlege. Ich liebe es, wie sie riechen, wie sie aussehen, wie sie sich verändern. Vor allem liebe ich das Gefühl, das sie mir geben – als wäre ich mit etwas verbunden, das so viel größer ist als ich selbst.

Aus dem wenigen, das ich hatte, habe ich das Beste gemacht. Ich habe Blumen erschaffen, um das Auge zu erfreuen und der Natur zu helfen. Blumen in komplizierten Formen gemacht, Gebilde, die komplexer sind als alles, was den Architekten des Olymps je gelingen wird. Ich habe den Blumen Bedeutung gegeben, habe sie zu Sprache geformt, und sie sind mehr, als jemals jemand ahnte.

Ich habe den Rosen Dornen geschenkt und Blumen gemacht, die stechen, die brennen, die einen Mann in Sekunden töten können.

Und ich habe auch Werkzeuge erfunden, Spaten und Forken und Scheren, von denen ich jetzt eine nehme. Ich schneide die Bänder durch, die mein Kleid um die Taille schnüren, kappe unten etwas vom matschigen Saum, über den ich die ganze Zeit zu stolpern drohe. Der eingerissene Stoff kitzelt mich an den Knöcheln – eine viel bessere Länge. Wenn ich scheitere, wird Mutter wenigstens fuchsteufelswild sein. Das ist auch nicht schlecht. Wenigstens wird mein Zukünftiger wissen, dass er jemanden mit einem ungezähmten Geist heiratet und kein pflichtbewusstes kleines Mädchen.

Oh, und ich habe Sicheln gemacht, kleine, gebogene Klingen, um Blumen zu schneiden, aber ich denke, man kann sie auch für etwas anderes benutzen. Ich binde eine mit einem Stück Stoff an meinen Oberschenkel. Es kann nicht schaden, vorbereitet zu sein.

Ich kann nicht glauben, dass ich das wirklich tue.

Seit Jahren denke ich schon darüber nach. Seit ich das erste Mal von einem Jungen hörte, der einen ganzen Titanenaufstand beendet hat, ohne eine Klinge in die Hand zu nehmen. Seit Mutter mir Horrorgeschichten von Jammer- und Klageflüssen erzählte, von einer Grube, die so tief war, dass man die besiegten Titanen nur dort festhalten konnte. Ich wollte das schon immer mit eigenen Augen sehen.

Ich habe nie aufgehört, mir diese Welt vorzustellen, die zu betreten selbst Götter Angst haben. Irgendwie war sie immer in meinem Kopf, als würde sie mich rufen, mich herausfordern, das Risiko einzugehen. Mutter sagte, meine Sicherheit würde von der Furcht der Götter abhängen. Wenn ich ihnen also etwas zum Fürchten geben muss, sehr gern.

Ich gebe ihnen die Hölle selbst.

»Es gibt keinen Platz auf der Erde, wo ich dich nicht finden würde.«

Mutter gehört das Land; Vater der Himmel. Und meinen Aussichten im Meer, mit einem Hof voll grapschender Götter unter Poseidon, dem Schlimmsten von allen, traue ich nicht.

Aber es gibt jemanden, zu dem ich gehen kann, einen Ort, wo keiner von ihnen mich findet.

Tausend Geschichten über Tod und Dunkelheit und keine einzige über eine geraubte Frau.

Ich riskiere alles auf der Grundlage von Märchen. Aber zu bleiben scheint mir gefährlicher zu sein.

Ich danke den Moiren, als ich die Wiese überquere und die Nymphen woanders sind. In der Mitte gibt es ein Stück nackte Erde. Ich bücke mich, greife in den trockenen Boden und konzentriere mich. Ich lasse all meine Angst und Verzweiflung aus mir heraus und in die Blumen fließen, die ich erschaffe. Weiße, gebogene Stängel sprießen aus der Erde, Wurzeln reichen tief in den Grund, tiefer als alles, was ich vorher gemacht habe, etwas, das unsere Domänen verbindet.

»Ich nenne dich Asphodelos«, sage ich zu den Blüten. »Du wirst auf Gräber gelegt werden, sollst die Toten ehren und ihre Erinnerungen. Ich erschaffe dich zu Ehren des Gottes Hades, dem König der Unterwelt, und allem, was unter dieser Erde liegt.«

Ich suche die größte und schönste Blüte. Sie ist atemberaubend. Die elfenbeinweißen Blütenblätter sind auf perfekte Weise unperfekt, nicht symmetrisch, aber ausgeglichen. Diese Blume ist wie das Chaos in der Natur. Sie ist eine meiner besten Kreationen.

Ich reiße sie ab und zerreibe sie zwischen den Fingern. »Hades«, rufe ich, »wir müssen reden!«

Dann warte ich, hoffe, fühle nichts als die sanfte Brise, die über meine Haut streicht.

Ich lasse die zerstörte Blume fallen, und als sie auf den Boden trifft, bricht die Erde auf.

Mit einem Lächeln springe ich in die Dunkelheit.

Kapitel 4

Es gibt etwas, das ihr wissen solltet.

Ich bin brav. Das bin ich wirklich. Es ist sozusagen die Eigenschaft, die mich ausmacht.

Was für ein braves Mädchen. Was für ein hübsches Mädchen. Ist sie nicht schön? So ein engelsgleiches Kind.

Natürlich habe ich auch andere Eigenschaften. Ich bin sehr geschickt. Ich kann fast so gut weben wie Athene (ich würde sagen, besser, aber ich halte mich mit solchen Aussagen zurück, nicht umsonst webt Arachne jetzt Spinnennetze). Meine Stimme könnte Armeen aufhalten – natürlich nur wenn ich singe, nicht, wenn ich rede. Brave Mädchen sollte man schließlich nur sehen, nicht hören. Meine Nadelarbeit ist so fein, wie sie nur sein kann, und ihr solltet mich mal eine Schüssel töpfern sehen.

Ahnt ihr es schon? Was ich euch sagen will?

Wenn Mutter ihre Freundinnen empfing, habe ich mich hübsch und still dazugesetzt und kaum etwas gegessen. Ich habe regelmäßig einen Nachschlag abgelehnt, obwohl mein Magen knurrte. Die Erwachsenen haben gestrahlt und meiner Mutter Komplimente gemacht, wie perfekt ich sei und dass sie niemals weniger von Kore erwartet hätten.

Ich rieb mir Honig ins Haar, damit es glänzte, obwohl das Zeug Insekten anzog; ich mischte Sand mit Olivenöl, um die raue Haut von meinem Körper zu entfernen, obwohl es blutete. Ich blutete oft: am Webstuhl, beim Nähen, im Garten, zwischen den Beinen, woraufhin meine Mutter lächelte und sagte, dass ich jetzt eine Frau sei, und dann weinte und einen weiteren Schutzzauber um die Insel legte, bevor sie die Nymphen zum Stillschweigen verpflichtete. Nur für den Fall, sagte sie. Nur für den Fall.

Ich war hübsch, immer hübsch. Immer wieder sagten sie es mir, bis mir das bloße Wort Schmerz bereitete. Und trotzdem machte ich weiter, zog und riss an mir und tat mir weh, um noch hübscher zu werden.

Wenn Mutter mir sagte, ich solle mein Haar zu Locken drehen, wickelte ich es so fest um aufgedrehte Stoffstreifen, dass die Strähnen rissen. Wenn ihre Freundinnen mir zuraunten, ich solle gerade sitzen, fuhr ich hoch. Wenn sie in diesem gewissen Ton sagten, ich würde »mich entwickeln«, schob ich den Teller weg. Wenn sie fanden, ich wäre hübscher, wenn ich lächelte, strahlte ich.

Ich war brav. Ich war gehorsam. Ich war so verdammt perfekt.

Als ich also schließlich durchdrehte, drehte ich richtig durch.

Als ich schließlich Nein sagte, schrie ich es von allen Berggipfeln.

Beziehungsweise aus der Unterwelt.

Kapitel 5

Ich falle jahrtausendelang und doch nur wenige Sekunden.

Als ich krachend lande, weiß ich – ein Wissen, das über Logik hinausgeht –, dass ich woanders bin. Ich spüre es auf meiner Haut. Ich kann nicht atmen. Ich ersticke an dem Schock, die Natur verloren zu haben, die mich immer umgeben hat. Alle Blumen sind fort. Und dann legt sich etwas anderes über mich und belebt mich genug, damit ich einen Atemzug tue. Etwas Schwereres. Ich spüre Erde, die nicht meine ist, eine neue Verbindung, die sich einfädelt.

Zum ersten Mal im Leben bin ich weit weg von zu Hause. Und ich kann nicht zurück, jedenfalls nicht aus eigener Kraft.

Noch einmal atme ich zitternd ein und stehe so anmutig auf, wie es mir nach dem tiefen Fall gelingt.

»An deiner Stelle würde ich das lieber schnell erklären«, verlangt eine Stimme, die so tief ist, dass sie von den Wänden widerhallt, »bevor ich meine eigenen Schlüsse aus deiner … Beleidigung ziehe.«

Ein Schauer läuft mir den Rücken hinunter, und ich zwinge mich, es einfach durchzuziehen. Angst, erinnere ich mich, ist etwas, womit ich arbeiten kann.

Ich werfe mir das Haar aus dem Gesicht, streiche das Kleid glatt und blicke auf.

Ich bin geblendet: Fackeln brennen an einem Dutzend Säulen, das Licht wird von den strahlend weißen Wänden und dem leuchtenden goldenen Boden reflektiert. Die hohen Bronzesäulen sind gedreht, die Reliefs so detailliert, als wären sie mit einer Nadel gemeißelt. Der Raum ist von Säulen umgeben und in seiner Mitte knistert eine Feuerstelle. Es ist atemberaubend und unvergleichlich – obwohl es zugegebenermaßen sehr wohl vergleichbar ist. Es ist wie das Megaron. Wie die Akropolis. Es ist wie der Olymp.

Was bedeutet, dass es im Zentrum der Unterwelt eine Kopie von Zeus’ Palast gibt. Und das bedeutet, Hades sitzt auf einer Kopie vom Thron meines Vaters.

Das habe ich nicht erwartet, vor dem gleichen Machtsitz betteln zu müssen, der mich vor so vielen Jahren verdammt hat.

Wobei er auch nicht wirklich gleich ist, weil alles so derartig anders wirkt, dass ich es niemals mit dem Hof meines Vaters verwechseln könnte.

Ich zwinge mich, mich umzudrehen – und mir schnürt sich die Kehle zusammen.

Ich bin mir nicht sicher, was ich erwartet habe. Macht wahrscheinlich, aber eine Macht, die auf Schwertern und Kronen und Zeptern beruht. Und Hades hat das alles auch – eine breite Klinge an seiner Seite, die eindeutig nicht nur Dekoration ist; ein langes Zepter, gekrönt von einem Vogel mit einem Schnabel so scharf, dass man Kehlen damit aufschlitzen könnte; eine Krone mit zerklüfteten, unregelmäßigen Zacken. Aber seine Macht ist ursprünglicher. Seine Macht ist so furchteinflößend, dass ich wie angewurzelt stehen bleibe. Die Sorte Macht, bei der man auf die Knie fällt und um Gnade winselt.

Pechschwarze sich kräuselnde Rauchwolken gehen in Wellen von ihm aus, als könnte das, was er ist, nicht eingedämmt werden. Ich weiche davor zurück und hasse mich dafür. Er bemerkt es und grinst, aber wer weiß, was mir diese Dunkelheit antun könnte.

Und ich sehe, dass sein Thron ganz anders ist als der meines Vaters – kein mit Stoff gepolsterter Marmor auf einem Sockel. Hades’ Thron ist ein großer glatter schwarzer Stein, so schwarz, dass ich kaum seine Form ausmachen kann.

Ich beachte ihn nicht weiter, sondern konzentriere mich auf Hades. Die Nymphen würden alles an ihm bewundern: das markante Gesicht, dunkelbraune Haut, die im Licht der Fackeln einen goldenen Schimmer bekommt, breite Schultern, die strenge Haltung auf dem Thron. Umwerfend – kein anderes Wort fällt mir ein.

Als ich schweige, kneift er argwöhnisch die Augen zusammen.

»Also?«, drängt er.