Glauben macht den Unterschied - Thomas Ruster - E-Book

Glauben macht den Unterschied E-Book

Thomas Ruster

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Beschreibung

»Wer Gott nicht kennt, lebt an der Wirklichkeit vorbei« – so dieses Buch. Doch wenn Gläubige sonntags im Gottesdienst das Glaubensbekenntnis sprechen: Verstehen und kennen sie, was sie da sagen? Der Autor erschließt lebensnah und konsequent das christliche Credo, indem er alle Glaubenssätze biblisch schärft – mit unabsehbaren Folgen für das tägliche Leben!

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Den Tatsachen gerecht werden
Du bist es nicht!
Te Deum
Copyright
Vorwort
Mit der dafür nötigen Portion Unbeirrbarkeit habe ich es unternommen, den christlichen Glauben insgesamt in einem Zuge darzustellen. Es gibt heute eine Menge Unsicherheit in Glaubensdingen, und sie reicht bis mitten in die christlichen Gemeinden hinein. Was soll man von all dem halten, was im Glaubensbekenntnis gesagt wird: dass Christus der Sohn Gottes ist, dass er von einer Jungfrau geboren worden ist, dass er von den Toten auferstanden ist, dass er wiederkommen wird, um zu richten, dass er die Gläubigen ins ewige Leben führen wird und so weiter? Ist das alles nur symbolisch zu verstehen? Ist es vielleicht ein alter Mythos, der in unserer aufgeklärten Zeit keine Daseinsberechtigung mehr hat?
Ich setze dagegen, dass der Glaube es mit Realität zu tun hat. Gott ist wirklich. Was die Bibel und ihr folgend das Glaubensbekenntnis über Gott sagen, bezieht sich auf Wirklichkeit. Man muss nur verstehen, um welche Art von Wirklichkeit es sich handelt. Wenn man diese Art von Wirklichkeit einmal begriffen hat, dann scheinen einem die Dinge und der Lauf der Welt manchmal reichlich unwirklich zu sein.
Wer Gott nicht kennt, lebt an der Wirklichkeit vorbei.
Sehr habe ich mich darum bemüht, nicht abstrakt zu schreiben. Die Abstraktion ist die große Krankheit der Theologie unserer Zeit. Erst wenn man versucht, den Glauben konkret zu machen, kommt seine Bedeutung heraus. Auch die Bibel ist ja nie abstrakt, an ihr kann man also Maß nehmen. Der Glaube will auf ein konkretes Leben, auf konkretes, unterscheidbares Handeln hinaus; von einer gewissen Höhe der Abstraktion aus wird das leicht übersehen.
Dieses Buch richtet sich an Christinnen und Christen, die ihres Glaubens wieder gewiss und froh werden wollen. Die ihren Glauben verstehen wollen. Die ihn offensiv in der Öffentlichkeit vertreten wollen. Es richtet sich an Christen aller Konfessionen, auch wenn sein Standpunkt ein katholischer ist. Ein überkonfessioneller, allgemeiner Glaube wäre wiederum abstrakt, und das soll ja vermieden werden. Das Buch richtet sich schließlich an alle, die einfach einmal wissen wollen, was der christliche Glaube besagt, auch wenn sie selbst diesem Glauben vielleicht fernstehen.
Dem Charakter des Buches entsprechend habe ich keine Anmerkungen gemacht. Am Schluss des Buches wird ein Dank stehen an alle, von denen ich lernen durfte. Aber schon an dieser Stelle ist ein Dank an meine Studentinnen und Studenten in Dortmund fällig. Ohne ihre interessierte Art, ihre kritischen Nachfragen, ihre Bereitschaft, mit dem Glauben zu denken, wäre dieses Buch nicht möglich gewesen.
Widmen möchte ich dieses Buch Dr. Gotthard Fuchs. Er hat in mir, vor allem bei der gemeinsamen Arbeit auf Burg Rothenfels, so viel angeregt, er war und ist für mich so ein verständnisvoller und ermutigender Begleiter, dass diese Widmung nur ein sehr unzureichender Ausdruck meines Dankes ihm gegenüber sein kann.
Thomas Ruster
Den Tatsachen gerecht werden
Gott existiert. Das ist eine Tatsache. Für uns Menschen kommt es darauf an, dieser Tatsache gerecht zu werden. Denn es erweist sich allemal als verhängnisvoll, an den Fakten, den Tatsachen, der Wirklichkeit vorbeizuleben. Man sollte sich schon auf das einstellen, was der Fall ist. Zum Beispiel sollte man nicht vom Zehn-Meter-Brett springen, wenn kein Wasser im Schwimmbecken ist; der harte Aufprall auf dem Betonboden setzt der Illusion ein Ende. Ein Leben ohne Gott ist ebenfalls eine Illusion. Wer hingegen der Tatsache, dass Gott existiert, gerecht wird, lebt im Einklang mit der Wirklichkeit, lebt real.
Einige werden einwenden, dass man von der Tatsache, dass Gott existiert, nichts merke. Diese Tatsache sei nicht überprüfbar, sie werde nicht von Wissenschaft erfasst, man könne sie nicht sehen oder greifen. Das stimmt und hängt damit zusammen, dass Gott keine Tatsache von der Art ist, wie wir sie in der Welt kennen. Gott ist Gott, das heißt: Er ist kein Teil der Welt. Insofern hat Dietrich Bonhoeffer recht, wenn er sagte: »Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht« - nämlich nicht so, wie es sonst etwas in der Welt gibt. Aber dennoch ist Gott wirklich. Seine Art der Wirklichkeit kann nicht wie die anderer Dinge in der Welt wahrgenommen werden. Die Art der Wahrnehmung, die Gott entspricht, nennt man Glaube. Glauben ist eine ganz besondere Weise, Wirklichkeit zu erkennen; sie gilt nur für die Wirklichkeit Gottes. Glauben ist nicht schlechter als Wissen oder Sehen oder Anfassen, es ist nur anders. Im Glauben wird man auf die Tatsache, dass Gott existiert, aufmerksam. Aber dann weiß man auch gewiss, dass es so ist. Der Glaube ist also nicht nur eine subjektive Angelegenheit, er ist auf eine objektive Wirklichkeit bezogen. Die Tatsache, dass Gott existiert, ist nicht nur für Glaubende wichtig, sie ist für alle Menschen wichtig. Wer nicht an Gott glaubt, wird der Wirklichkeit nicht gerecht. Und das hat leider böse Folgen. So wie der, der vom Zehn-Meter-Brett springt, auch dann hart aufkommt, wenn er nicht zu sehen in der Lage ist, dass das Becken leer ist. Unsere heutige Welt täuscht sich über die Tatsache, dass Gott existiert, weitgehend hinweg. Nicht wenige meinen, diese Tatsache vernachlässigen zu können. Damit leben sie nicht realitätsgerecht. Die Folgen lassen sich überall bemerken. Denn wer Gott nicht gerecht wird, kann auch der Welt, Gottes Schöpfung, nicht gerecht werden und lebt dadurch überhaupt wirklichkeitsfremd.
Wer meint, nicht an Gott glauben zu können, sollte sich fragen, wie wichtig er seinen Unglauben nehmen will. Ist die Tatsache, dass Gott existiert, nicht viel wichtiger als unsere Probleme, ihn zu erkennen und an ihn zu glauben? So ist es ja auch in anderen Bereichen, zum Beispiel in der Liebe: Wenn sich jemand verliebt, aber erst dann in Aktion tritt, wenn er bzw. sie untrügliche Beweise von der Liebe der/des anderen hat, dann wird er/sie wohl für immer allein bleiben. Deshalb muss einer von beiden den ersten Schritt tun. So ist es auch bei der Gemeinschaft mit Gott. Wer sie sucht, wird sie finden, und die untrügliche Gewissheit dann gleich mit dazu.
Apropos Liebe: In diesem Buch werde ich das Wort »Liebe« so wenig wie möglich gebrauchen. Nicht dass ich etwas gegen die Liebe hätte, im Gegenteil. Nur ist dieses Wort so schrecklich abgegriffen und verschlissen, gerade in Bezug auf Gott. Wie oft hat man nicht schon gehört: Gott liebt dich, er ist für dich da usw. - von Kindergartentagen an. Aber vielen bedeutet das wenig. Sie fühlen diese Liebe Gottes ja nicht so, wie man die Liebe eines Menschen oder auch eines Tieres fühlt. Die Rede von der Liebe Gottes bleibt für sie abstrakt. Wenn man den verschlissenen Begriff Liebe überhaupt wieder mit Sinn füllen kann, dann in der umgekehrten Richtung: Wir sollen Gott lieben! So lautet ja auch das erste und wichtigste Gebot in der Bibel: »Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist allein Herr, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus ganzem Herzen und aus deiner ganzen Seele und aus deiner ganzen Kraft« - das Grundgebot für Juden und Christen. Damit ist dann auch gleich das andere Gebot gegeben: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (Mk 12,29-31 vgl. Dtn 6,4f.). Das ist nicht ein anderes, weiteres Gebot, das wir neben dem ersten auch noch zu erfüllen hätten, sondern es ist dasselbe Gebot, nur von der anderen Seite her gelesen. Wer Gott über alles liebt, kommt frei von der Selbstbezogenheit und damit überhaupt erst in die Lage, den Nächsten zu lieben. Man soll den Nächsten selbstlos lieben, nicht als Mittel zum Zweck, nicht zur Erfüllung irgendwelcher Bedürfnisse; und diese Selbstlosigkeit erwächst aus der Liebe zu Gott. Nächstenliebe stellt sich gewissermaßen automatisch ein, wenn ich Gott über alles liebe. Der Zusammenhang von »den Nächsten lieben - wie mich selbst« ist unter der Voraussetzung formuliert, dass jemand das Gebot der Liebe zu Gott erfüllt. Es ist nicht gemeint, dass unsere natürliche Selbstliebe das Maß für unsere Liebe zum Nächsten sein soll.
Aber wie gesagt, ich benutze das Wort Liebe nicht mehr gern. Lieber sage ich: Gott gerecht werden! Aber das ist im Grunde dasselbe. Denn was bedeutet Liebe anderes als: jemandem gerecht werden? Wer einen anderen Menschen liebt, versucht, ihm gerecht zu werden, ihn als den anzunehmen, der er ist; versucht, auf ihn zu hören, seine Gefühle, seine Leiden und Freuden wahrzunehmen und anzunehmen. Und so ist es auch mit Gott. Ihn lieben bedeutet, ihm gerecht zu werden. Liebe hat mit Gerechtigkeit zu tun. Darum heißt es auch in der Bibel, dass wir von Gott Gerechtigkeit lernen sollen: »Meine Seele sehnt sich nach dir in der Nacht, und mein Geist sucht dich in meinem Innern. Denn wenn deine Gerichte die Erde treffen, lernen die Bewohner des Erdkreises Gerechtigkeit« (Jes 26,9). Danach sehnt sich der Prophet Jesaja, dass die Völker Gott gerecht werden, denn dann entsteht auch Gerechtigkeit auf Erden. Es ist ungerecht, Gottes Dasein zu missachten. Die Folge dieser Missachtung ist immer Ungerechtigkeit und Lieblosigkeit - nicht nur Gott, sondern auch den Menschen, Tieren und Pflanzen gegenüber.
Es ist aber allen unbenommen, immer da, wo im Folgenden von »Gerechtigkeit« und »gerecht werden« gesprochen wird, dafür die Worte »Liebe« und »lieben« einzusetzen.
Du bist es nicht!
Gott existiert. »Dio esiste, e non sei tu, quindi rilassati.« Diesen Spruch hatte jemand an den Kühlschrank unserer italienischen Ferienwohnung gepinnt: »Gott existiert, und du bist es nicht, also entspann dich.« Ich weiß nicht, von wem er stammt; er ist wahrscheinlich spöttisch gemeint, im Sinne von: Gott existiert, aber was geht dich das an? Aber dann hatte ich drei Wochen unter ligurischem Himmel Zeit, darüber nachzudenken, und ich fand: Das ist einfach richtig! Der Glaube an Gott entspannt - er entspannt davon, selbst Gott zu sein. Beziehungsweise, das sei hier ergänzt, etwas anderes zu seinem Gott zu machen, was gar nicht Gott ist. Aber warum sollte denn jemand selbst Gott sein wollen oder etwas Nichtgöttliches zu seinem Gott machen wollen? Gegenfrage: Warum sollte er es nicht wollen? Ein Fußballspieler will sicher gerne zum Fußballgott avancieren, warum nicht gleich überhaupt zu Gott? Gott ist schließlich das Schönste, Wunderbarste und Herrlichste, was es gibt; sollte das jemand nicht sein wollen? Oder anders gesagt: Der Mensch hat im Unterschied zu den Tieren Vernunft, und damit ist gegeben, dass er über jede Grenze hinausdenken kann ins Grenzenlose hinein. Wo immer eine Grenze erscheint, die Vernunft kann über sie hinwegdenken. Sie weiß, dass es eine Grenze ist und dass es eine andere Seite geben muss. Das Tier lebt in seinen gegebenen Grenzen, das Vernunftwesen Mensch tendiert prinzipiell darüber hinaus. Das Eichhörnchen sammelt Vorräte für den Winter, und wenn es gut geht, dann hat es genug, um über den Winter zu kommen. Auch der Mensch sorgt für die Zukunft vor, aber er weiß, dass sie unermesslich ist. Wie viel soll er sammeln, um nicht nur über den nächsten Winter, sondern über die nächsten Jahre zu kommen? Um immer genug zu haben? Aber was ist genug? Deswegen liegt auf den Bankkonten dieser Welt so unendlich viel Kapital, viel mehr als es braucht, um alles zu kaufen, was es auf der Welt gibt. Denn wenn man vernünftig ist, dann weiß man eben, dass man nicht wissen kann, was die Zukunft so alles bringt. Deswegen gibt es nie ein Genug. Das Gleiche gilt für die anderen elementaren Daseinsgüter: Versorgung, Annehmlichkeit, Sicherheit, Anerkennung, Zuwendung, Macht. Wann hat jemand genug Anerkennung und Erfolg? Wann ist er jemals mächtig genug, um vor allen Feinden und Gefahren sicher zu sein? Normalerweise setzt die Begrenztheit der Lebensumstände diesem grenzenlosen Streben von selbst eine Grenze. Wenn aber technisch oder finanziell so gut wie alles möglich ist, dann schlägt die menschliche Tendenz zur Grenzenlosigkeit voll durch. So wie heute, in unserem auf grenzenloses Wachstum getrimmten Wirtschaftssystem, das im Begriff steht, die letzten Ressourcen zu verbrauchen und die ganze Welt aufzufressen. Oder wie damals, im Paradies, als die Schlange Adam und Eva Grenzenlosigkeit verhieß: Ihr werdet alles wissen, werdet nicht sterben, werdet sein wie Gott (Gen 3). Prompt fielen die ersten Menschen darauf herein, und weil sie damit Gott missachteten, kam nichts Gutes dabei heraus. Eine andere biblische Geschichte erzählt vom Turmbau zu Babel. Die Menschen hatten eben gelernt, Ziegel zu brennen, damit kann man immer weiter bauen, und gleich wollten sie einen Turm bauen, dessen Spitze bis zum Himmel reicht (Gen 11). Ich erlaube mir die Bemerkung: In den immer höher getürmten Burgers, in denen Fleischscheibe auf Fleischscheibe, Käse auf Käse, dazu noch Salat und Gemüse gehäuft wird, und oben drüber kommt noch eine Menge Soße, sehe ich viele kleine Türme von Babel. Die Leute, die so etwas essen, müssen ihren Mund gewaltig weit aufreißen, und nicht von ungefähr sehen sie dann so aus wie manche Götzen der alten Zeit, die mit ihrem gewaltigen Maul die ganze Welt zu fressen sich anschickten. Und wie anstrengend ist es, diese ungeheuren Fresstürme in den Mund zu schieben! Woher kann Entspannung kommen? In diesem Fall vielleicht noch von besseren Esssitten, im Ganzen aber: nur von Gott.
Gott setzt der menschlichen Tendenz zur Grenzenlosigkeit, er setzt der Unersättlichkeit und Gier eine heilsame Grenze, einfach dadurch, dass er Gott ist und kein anderer. »Non sei tu!« Schon darum sollen wir ihn lieben, wie es im Hauptgebot der Bibel heißt, weil er uns von der Anstrengung befreit, selbst Gott sein zu müssen oder anderes zu unserem Gott zu machen. Eine Welt, die Gott nicht kennt, geht an ihrer Maßlosigkeit zugrunde; sie ist eben dabei. Gott aber in seiner grenzenlosen Güte und Gerechtigkeit - nur er, und er allein, ist grenzenlos - tut alles, um uns von der Maßlosigkeit der menschlichen Natur zu heilen.
Zum Beispiel im Gebot, den Sabbat zu halten: »Sechs Tage sollst du arbeiten und all dein Werk tun. Der siebte Tag aber ist Sabbat für Jahwe, deinen Gott. Da darfst du keinerlei Werk tun, weder du noch dein Sohn, noch deine Tochter, noch dein Knecht, noch deine Magd, noch dein Vieh, noch der Fremde, der sich in deinen Toren aufhält« (Ex 20,9f.). Hier wird uns Ruhe geboten. Wie schön, möchte man sagen, sehnen wir uns nicht alle nach Stunden der Ruhe und der Muße? Und doch: Seitdem dieses Gebot nicht mehr gehalten wird, ist die Welt von gewaltiger Unruhe erfüllt. Alles muss immer schneller gehen. Man bedenke einmal, wie sehr das Gesetz der allgemeinen Beschleunigung seit den Zeiten der Aufklärung und der Industrialisierung von uns Besitz ergriffen hat. Das Reisen, der Transport, die Nachrichtenübermittlung, die Kriegstechnik, die Produktion, die Arbeitsabläufe im Haushalt, die Speicherung von Daten: All das hat sich ungeheuer und unaufhaltsam beschleunigt. Und die Menschen mussten sich mit beschleunigen, mussten immer schneller werden. Wer zu langsam ist, bleibt zurück. Recht und Macht hat der, der schneller ist. Mit der schönen Sonntagsruhe ist es da natürlich vorbei. Oder, wo jemand sich noch Zeiten der Ruhe gönnen kann, da bringt er mindestens andere in Arbeit, die »Knechte und Mägde«: die Leute, die das Fernsehprogramm machen, die Pizzadienste, das Personal in Restaurants und Cafés - hauptsächlich haben wir es heute mit Schnellrestaurants und Fastfood zu tun. Auf der anderen Seite gibt es die Zwangsentschleunigten, die Arbeitslosen, Alten, Kranken u.v.m., die dann wieder zu viel Ruhe haben. Ihnen wird verwehrt, sechs Tage zu arbeiten und ihr Werk zu tun. Es wird deutlich: Auf das rechte Maß kommt es an. Dieses Maß kann der Mensch offensichtlich nicht von sich aus finden. Die letzten 500 Jahre Geschichte sind der Beweis dafür. Das Maß muss von Gott gesetzt und geboten werden. Wo aber Gottes Gebot gehalten wird, da entsteht der rechte Wechsel von Arbeit und Ruhe, kommt es zu den Stunden der Ruhe und Muße, nach denen sich der Mensch in Wahrheit sehnt. Da entsteht Menschlichkeit. Gott sorgt sich um unsere Menschlichkeit besser, als wir es selbst können. Wer Gott gerecht wird, kann auch ein rechter Mensch werden. Wo aber Gott beiseitegeschoben wird, da müssen die Menschen zwangsläufig selbst Gott werden wollen: wie in der letzten Stufe der allgemeinen Beschleunigung, der Internet-Kommunikation, wo man fast wie Gott allgegenwärtig und mit allem gleichzeitig sein kann; und doch ist die Menschheit darüber nicht menschlicher geworden.
Te Deum
Eine Haltung, die Gott gerecht wird, kann eigentlich nur noch eines sagen: Dich, Gott... Darin liegen die Anerkennungen Gottes in seinem Gottsein und unsere Zuwendung, die Anrede an ihn. Gott ist Gott für uns, also sollen wir Menschen für ihn sein. Wer es etwas ausführlicher haben will, kann sich an den alten kirchlichen Hymnus halten, der mit genau diesen Worten beginnt: Te Deum - Dich, Gott (»Ambrosianischer Lobgesang«, dem hl. Ambrosius, Bischof von Mailand, 4. Jh., zugeschrieben). Hören wir einmal in diesen Hymnus hinein, um eine Vorstellung von der Herrlichkeit des rechten Lebens vor Gott zu gewinnen.
DICH, GOTT, LOBEN WIR, DICH, HERR, PREISEN WIR. DIR, DEM EWIGEN VATER, HULDIGT DAS ERDENRUND. DIR RUFEN DIE ENGEL ALLE, DIE HIMMEL UND MÄCHTE INSGESAMT, DIE KERUBIM UND DIE SERAFIM, MIT NIEMALS ENDENDER STIMME ZU: HEILIG, HEILIG, HEILIG DER HERR, DER GOTT DER SCHAREN! VOLL SIND HIMMEL UND ERDE VON DEINER HERRLICHKEIT.
DICH PREIST DER GLORREICHE CHOR DER APOSTEL; DICH DER PROPHETEN LOBWÜRDIGE ZAHL; DICH DER MÄRTYRER LEUCHTENDES HEER; DICH PREIST ÜBER DAS ERDENRUND DIE HEILIGE KIRCHE; DICH, DEN VATER UNERMESSBARER MAJESTÄT; DEINEN WAHREN UND EINZIGEN SOHN; UND DEN HEILIGEN FÜRSPRECHER GEIST.
Der Hymnus geht noch weiter, doch soll dies vorerst genügen. An der fremden, altertümlichen Sprache dürfen wir uns nicht stören. Es ist die Sprache des feierlichen Gebets, mit der Menschen versucht haben, der Herrlichkeit Gottes gerecht zu werden. Überdies ist es eine Übersetzung (von Romano Guardini); in der ursprünglichen lateinischen Fassung klingt der Text viel frischer. Das »Te Deum« wird normalerweise gesungen, wir müssen es uns als Musik vorstellen, als eine großartige, erhabene und erhebende Musik, die einen Kirchenraum erfüllt. Ich denke jetzt an die »Te Deum«-Vertonung von Anton Bruckner, aber jeder kann sich hier seine eigene passende Musik vorstellen.
Der Gesang ertönt zum Lob Gottes. Wer Gott gerecht werden will, lobt ihn und preist ihn und huldigt ihm. Wir kennen manche Lobgesänge, zum Beispiel für eine geliebte, begehrte Person oder die heimatliche Region, aber keinem gebührt das Lob mehr als Gott. Er wird gelobt, weil er Gott ist und alles Lob der Welt verdient. Und dann wird gesagt, dass das ganze Erdenrund ihm huldigt. So ist es eigentlich, alle Geschöpfe sind zu seinem Lob erschaffen, die Berge und die Flüsse, die Pflanzen und die Tiere; und wenn man sich etwas bemüht (und nicht gerade zum Beispiel durch Autobahnlärm gestört wird), kann man dieses stille Gotteslob der Natur wahrnehmen. Auch die Menschen des Erdenrunds loben Gott - normalerweise. Der Hymnus geht souverän darüber hinweg, dass es einige gibt, heute sogar recht viele, die sich des Gotteslobs enthalten. Wenn sie etwas nachdenken würden, wenn sie sich den Tatsachen stellen würden, dann würden auch sie in das Gotteslob einstimmen; und am Ende der Tage wird es gewiss wieder so sein, dass das ganze Erdenrund dem ewigen Vater huldigt. Das kann gar nicht anders sein, so wahr Gott Gott ist; die Menschheit wird sich auf die Dauer den Realitäten stellen müssen. Aber wichtiger noch als das Lob der Erde ist dem Hymnus das Gotteslob des Himmels. Hier wird der Text viel ausführlicher: die Engel alle, Himmel und Mächte, Kerubim und Serafim singen beständig das Lob Gottes. Das ist eine unermessliche Schar, viel größer als die Zahl der Bewohner der Erde - mindestens um so viel größer, wie der Himmel größer ist als der kleine Planet Erde. Wer einmal in den nächtlichen Sternenhimmel schaut, bekommt einen gehörigen Eindruck von der Größe des Himmels und der Winzigkeit der Erde im Vergleich dazu. Und das ist ja erst der sichtbare Himmel! Hier ist aber von dem uns unsichtbaren Himmel der Engel und Mächte die Rede, der noch viel größer ist als der Raum der Galaxien. Und dort ertönt in Ewigkeit das Lob Gottes. Was sie singen, ist »Heilig, heilig, heilig«. Heilig, das bedeutet, es ist Gott zu eigen, es ist das, was ihn von der Welt unterscheidet. Sie preisen Gott in seiner Einzigkeit und erklären zugleich, dass er der Gott der Scharen ist, oder, wie man auch übersetzen kann, der Gott der Mächte und Gewalten, das heißt also: ihr Gott. Von der Herrlichkeit dieses Gottes, welcher der Gott der unermesslichen himmlischen Scharen ist, sind der Himmel und die Erde erfüllt.
Nun wird klar, warum der Hymnus, wenn man ihn als Musik hört, so hinreißend und so von unbändiger Freude erfüllt ist. Ein wenig davon ist noch in dem Lied »Großer Gott wir loben dich« zu spüren, eine Übertragung des »Te Deum« in die Form eines Kirchenlieds. Es handelt sich um eine Vision überwältigender Fülle, hineingesungen in eine Welt, die unter dem Gesetz der Knappheit und des Mangels zu stehen scheint. Der Hymnus ist aber von der Überzeugung getragen: Die Welt ist in Ordnung, sie ist ja in bester Ordnung! Gott wird als Gott anerkannt, es wird sein Lob gesungen im Himmel und auf Erden; das genügt. Im Himmel - das ist das wichtigste und weitaus überwiegende. Auf Erden mag es noch einige Störungen geben. Noch verweigern sich einige dem Lob, das Gott zusteht. Aber wird nicht der Hymnus so hinreißend gesungen, um diese wenigen mitzureißen? Jedenfalls ist es gut, die kosmische Ordnung des Gotteslobes immer wieder zu besingen, sie präsent zu machen, um denen, die sie nicht kennen, einen Eindruck von dem zu verschaffen, was ihnen fehlt.
Die zweite Strophe fasst nun die Verhältnisse auf Erden genauer ins Auge. Da ist von Aposteln, Propheten und Märtyrern die Rede. Es sind die Gruppen derer, die Gottes Herrlichkeit auf Erden bezeugen. Die Apostel waren einfache Männer, die die Berufung zur Verkündigung und zur Aufrichtung des Gottesreiches angenommen haben, und was haben sie nicht alles bewirkt? Seit Christus sie berufen hat, ist die Wahrheit Gottes zu allen Völkern getragen worden, auf dass sie alle in das Gotteslob einstimmen können. Die Propheten haben Gottes Urteil über die Welt Mal um Mal ausgerichtet, sie haben die Verhältnisse zurechtgerückt, wenn sich die Menschen wieder einmal zu sehr in ihrem Wahn verfangen hatten. Und die Märtyrer haben Gottes Größe und Macht gegen die Anmaßungen der Mächtigen dieser Welt gehalten, zuletzt auch gegen die Macht des Todes, indem sie bezeugten, dass das Leben bei Gott stärker ist als alle irdische Todesdrohung. Fast in jedem Altar einer Kirche ist die Reliquie eines Märtyrers enthalten, denn auf ihrem todüberwindenden Leben baut sich das Leben der Kirche auf. Keine Macht der Welt kann denen schaden, die sich an Gott halten. Apostel, Propheten und Märtyrer bilden die Basis der »heiligen Kirche«, das heißt die Gemeinschaft derer, die Gott in seiner Heiligkeit gerecht werden. Der Hymnus ruft in Erinnerung, dass sich Glaubende in bester Gesellschaft befinden. Sollten sie auch einmal verzagen, wenn der Widerstand der Welt und ihrer Mächte sie allzu hart trifft, so brauchen sie nur das »Te Deum« zu singen und sich auf die gute Gesellschaft der Kirche zu besinnen. Die Apostel, die Propheten und die Märtyrer, sie sind ja nicht tot, sie leben bei Gott und stehen jederzeit mit den Glaubenden in Verbindung.
Copyright © 2010 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
eISBN : 978-3-641-04897-6
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