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Das Leitprinzip für Notstandsgesetze muss sein, dass diese den fortschreitenden Klimawandel aufhalten. Dafür sind wirtschaftliche und gesellschaftliche Umbrüche notwendig, die mit erheblichen Risiken verbunden sind. Doch wir müssen sie eingehen – denn schlimmer wird es sein, nicht zu handeln. Freiheit darf nicht durch das Fehlen von Regulierung definiert werden, sondern indem diejenigen eingeschränkt werden, die unverantwortlich handeln.
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Seitenzahl: 191
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Graeme Maxtonmit Maren Urner und Felix Austen
Globaler Klimanotstand
Warum unser demokratisches System an seine Grenzen stößt
Texte von Graeme Maxton aus dem Englischen übersetzt von Nina Sattler-Hovdar
Originalausgabe
1. Auflage 2020
Verlag Komplett-Media GmbH
2020, München
www.komplett-media.de
ISBN E-Book: 978-3-8312-7041-5
ISBN Print: 978-3-8312-0558-5
Hinweis: Das vorliegende Buch ist sorgfältig erarbeitet worden. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autor noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gegebenen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen.
Übersetzung: Nina Sattler-Hovdar, Elixhausen/Salzburg
Lektorat: Redaktionsbüro Diana Napolitano, Augsburg
Korrektorat: Redaktionsbüro Julia Feldbaum, Augsburg
Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, München
Satz, Layout und E-Book: Daniel Förster, Belgern
Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrecht zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.
Vorwort
Einleitung
Teil 1 –Das Problem
Der Klimawandel: Die 5 Stadien des Verstehens
Wie konnte es nur so weit kommen?
Ist das Artensterben ein Problem?
Wie spät es doch schon ist
Schafft sich die Menschheit selbst ab?
Die technologische Lösung, die keine ist
Teil 2 – Woran liegt es, dass sich nichts ändert?
Der übermächtige Glaube an irrige Anschauungen
Warum glauben die Menschen diese Lügen?
Teil 3 – Reformierung des Systems, wo immer möglich
Sie haben dieses Problem nicht verursacht, Sie können es nicht lösen
Die Verantwortlichen haben Namen und Adressen
Warum wir dringend eine verbesserte Demokratie brauchen
Eine Zombie-Demokratie mit verheerenden Konsequenzen
Ist Demokratie eine Ursache des Klimawandels?
In 5 Jahren ist der Notstand der einzige Weg für Deutschland von Maren Urner und Felix Austen
Wie weit würdest du gehen, um dich zu retten? Von Maren Urner und Felix Austen
Teil 4 – Notstand und Forderungen an die Politik
Es muss mehr Verbote geben
Das durchdenken, was noch nie durchdacht worden ist
Wie sähe es aus, wenn wir nichts täten?
Wie können Unternehmen helfen?
Wie kann jeder Einzelne helfen?
Gemeinsam fallen wir, gemeinsam verändern wir
Die Dinge werden sich ändern – ob durch Design oder durch Desaster von Felix Austen
»Das geht nicht« ist ein schlechter Berater von Maren Urner
Der Beginn eines neuen Zeitalters
Danksagung
Über die Autoren
Seit mehr als einem Jahrzehnt jage ich einem Traum nach, gemeinsam mit unzähligen anderen kratzige Pullover tragenden Grünen. Ich dachte, das fehlende Handeln gegen den Klimawandel sei einem Mangel an Informationen geschuldet. Die Daten müssten bloß klarer, deutlicher und überzeugender kommuniziert werden. Wenn Regierungen und die Mächtigen das Ausmaß des Problems begriffen hätten und vor allem dessen Unvermeidbarkeit, Dringlichkeit sowie das unermessliche Leid, das zukünftige Generationen – die Schwachen und Schutzlosen, die Armen und ja, letztlich auch die Reichen – erwartet, würden sie doch alles menschlich Erdenkliche tun, um das Ruder herumzureißen. All das zu wissen und NICHTS zu ändern – da müssten die Staatenlenker unserer Gesellschaft ja Psychopathen sein, oder?
Ah. Wie sich herausstellt, liegt genau da das Problem. Es klingt unfassbar, ich weiß. Verschwörungstheorien sind nicht mein Ding. Aber die Wahrheit, die erschreckender ist als jeder Stephen-King-Roman, ist die Realität, in der wir hier und jetzt leben. Wir leben in einer Zombie-Welt, beherrscht von machtbesessenen Psychopathen, von denen wir nur hoffen können, dass sie bestenfalls unwissend sind. Aber das sind sie nicht. Sie sind auch nicht dumm. Es ist bloß so, dass ihnen Macht und Geld viel wichtiger sind als ihre Kinder, die Wasservorräte Indiens, die bröckelnden Berge Europas, die sterbenden Wälder Deutschlands, die verheerenden Brände und das Tiersterben in Australien und dass Japan oder Barbados durch gewaltige Stürme plattgemacht werden.
Der wahre Grund, der die Politik daran hindert, den katastrophalen Klimawandel aufzuhalten und uns allen das Leid und den sinnlosen Verlust von Schönheit, Würde und Leben zu ersparen, ist die Gier nach Macht und Geld. Keine noch so vielen Demonstrationen, Petitionen oder Blogs werden daran etwas ändern.
Was also muss geschehen?
Dr. Bernice Maxton-Lee
ETH Zürich, Januar 2020
Trotz allem, was als wahr bekannt ist, hat es noch niemand geschafft, die Menschheit von ihrem selbstmörderischen Kurs abzubringen. Das Gewohnte bleibt wie gehabt, die Menschheit stolpert blindlings weiter, von einer Abhängigkeit zur nächsten Ablenkung, ohne zu sehen, was unübersehbar eskaliert, verwirrt von all den Leugnern, eingelullt von Worten, die jegliche Bedeutung verloren haben.
Den Großteil des letzten Jahrzehnts habe ich all meine Energien dem heimtückischsten aller Probleme der Menschheit gewidmet – dem Thema, das darüber entscheiden wird, was die Menschheit ist, war und je sein wird. Wie viele andere auch habe ich hart, dennoch ohnmächtig für eine bessere Zukunft der Menschheit gekämpft, und dabei ist so viel wertvolle Zeit verloren gegangen.
Vor einem Jahr habe ich mich etwas zurückgenommen, in dem Versuch, mit etwas mehr Abstand die Antwort auf eine scheinbar einfache Frage zu finden: Woran liegt es, dass sich nichts ändert? Seit Jahrzehnten wissen wir, dass der Artenverlust, die Verschmutzung und der Klimawandel immer mehr zunehmen. Wir wissen, dass menschliches Handeln diese Probleme verursacht und dass weitere Untätigkeit langfristig verheerende Konsequenzen haben wird. Dennoch wird die Situation immer schlimmer.
Dass die Menschheit bisher noch nichts Sinnvolles als Reaktion auf diese wachsende Problematik unternommen hat, liegt daran, dass sie aufgrund ihrer Weltanschauungen in der Gegenwart verhaftet ist. Was die meisten als menschlichen Daseinszweck, als Demokratie und als Freiheit des Individuums betrachten, ist durch clevere Sinnentstellung zu ihrem Nachteil verzerrt worden, mit gravierenden Folgen für die Natur. Was die heutige Gesellschaft als Fortschritt bezeichnet, ist in Wirklichkeit ein global orchestrierter Raubzug zum Vorteil einer kleinen Minderheit, die nahezu alle Alternativen effektiv ausgeschaltet hat.
Wie und warum es dazu gekommen ist, welche Konsequenzen zu erwarten sind und was wir Menschen als Einzelne und als Gesellschaft tun sollten, ist Gegenstand dieses Buches.
Graeme Maxton
Wien, Februar 2020
Eines Nachmittags vor ein paar Jahren erfuhren meine Frau und ich, dass ein riesiger Taifun auf unser Wohngebiet zusteuerte. In den vorangegangenen 24 Stunden hatte der Sturm an Stärke gewonnen und war nur mehr wenige Hundert Kilometer entfernt.
Beim Blick aus dem Fenster sah alles jedoch normal aus. Der Himmel war ein wenig verhangen, und es regnete, aber nichts deutete darauf hin, dass eine enorme Naturgewalt im Anmarsch war, die nahezu alles rund um uns herum zerstören könnte. Es gab nichts, woran wir hätten erkennen können, dass dieser Taifun in kürzester Zeit einfallen würde und uns nur sehr wenig Zeit blieb, um uns darauf vorzubereiten. Es war zu spät, um uns anderswo in Sicherheit zu bringen oder unsere Vorräte aufzustocken. Der Flughafen hatte bereits geschlossen, und unsere Nachbarn waren damit beschäftigt, ihre Fenster mit dicken braunen Klebebändern zu versehen, damit sie im Sturm nicht zerbersten würden.
Die heftigen Windböen und die sintflutartigen Regenfälle im Gefolge des Taifuns hielten kaum mehr als einen Tag an. Häuser wurden zerstört, und viele Menschen starben. Eine nahe gelegene Stadt wurde besonders hart getroffen, hier waren Hunderte Wohnhäuser zerstört worden, und zahlreiche Bürogebäude standen unter Wasser. Es dauerte Monate, bis die Infrastrukturen wieder instand gesetzt waren, und Millionen von Menschen litten unter großen Entbehrungen. Psychisch werden sie noch Jahre brauchen, um über die Folgen des Taifuns hinwegzukommen.
Statt eines Taifuns, der nur einen Tag andauert, ist der Klimawandel ein Sturm, der Jahrhunderte anhalten wird. So, wie jener Taifun für uns im Vorfeld nicht erkennbar war, ist der Klimawandel eine immer noch kaum sichtbare, dennoch aus nächster Nähe lauernde Gefahr mit enormer Zerstörungskraft. Genauso wie die Menschheit diesen Taifun nicht verhindern konnte, kann sie auch den Klimawandel nicht mehr verhindern, und es bleibt nur mehr sehr wenig Zeit zur Vorbereitung.
Doch die meisten Menschen scheinen diese Botschaft nicht zu verstehen. Jede Woche treffe ich intelligente, engagierte Menschen, die glauben, dass Investitionen in Elektroautos und erneuerbare Energien das Klimaproblem lösen werden. Sie meinen, dass die Menschheit sich bloß auf eine wärmere Welt einstellen müsse und der Übergang zu einer nachhaltigeren Gesellschaft relativ unkompliziert erfolgen könne. Manche scheinen sogar zu glauben, dass die Erwärmung aufgehalten werden könne.
In alledem liegen sie leider falsch.
Wenn man das Verstehen des Klimawandels in 5 Stadien einteilt, bleiben die meisten in Stadium 3 stehen, so auch die meisten Politiker. Sie wissen, dass sich das Klima der Erde verändert und die Ursache dafür menschliches Handeln ist. Sie glauben aber weiterhin, dass nachhaltige Weiterentwicklung möglich ist.
Die Welt befindet sich derzeit in Stadium 4. Die Erderwärmung nimmt immer mehr an Fahrt auf, die Treibhausgasemissionen sind so hoch wie nie. Und sie steigen weiter: Die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre ist mittlerweile so hoch, dass sich die Geografie der Erde verändert. Eis schmilzt und Wälder sterben, und das wiederum heizt die Erderwärmung weiter an.
In Stadium 4 gibt es drei Optionen:
Wir tun nichts und nehmen die Konsequenzen in Kauf.Wir ergreifen radikale Maßnahmen.Wir probieren Geoengineering.Von diesen drei Optionen ist nur die zweite sinnvoll. Doch trotz der Gefahren unternimmt die Menschheit: nichts. Trotz der unzähligen internationalen Abkommen, der milliardenschweren Investitionen in erneuerbare Energien und der Abertausenden von Menschen, die demonstrierend durch die Straßen gezogen sind, ist der Klimawandel bedrohlicher als je zuvor.
Oberflächlich betrachtet sind die Treibhausgase das Hauptproblem. Doch sie sind bloß ein Symptom. Das zentrale Problem ist die menschliche Gesellschaft. Sie zieht es vor, die Klimaproblematik nicht zu lösen. Stattdessen stößt sie noch mehr Gase aus.
Und genau da, bei diesem Verhalten, müssen wir ansetzen. Die Welt muss mit dem Ausstoß dieser Gase aufhören und einen weniger destruktiven Weg wählen. Und hier gibt es eine gute Nachricht: Wenn die Menschheit nämlich bald damit aufhört, bleibt möglicherweise noch genug Zeit, um den fortschreitenden Klimawandel rasch genug zu bremsen und eine unkontrollierbare Kettenreaktion zu verhindern. Anders ausgedrückt: Der Klimawandel kann noch eingedämmt werden. Auch wenn die Auswirkungen dessen, was bereits geschehen ist, noch viele Jahrzehnte lang spürbar sein werden.
Die schlechte Nachricht ist, dass es für einfache Lösungen, die uns wenig abverlangen, bereits zu spät ist. Die Erdatmosphäre verändert sich rasch, und das hat für alle Lebensformen radikale Folgen, ganz gleich, welche Hebel wir jetzt in Bewegung setzen. Eine so tief greifende, dauerhafte Veränderung erfordert Maßnahmen in derselben Größenordnung. Andernfalls können wir es gleich bleiben lassen.
Die Menschheit hat bisher nichts Sinnvolles getan, da sie – wie ich noch erklären werde – aufgrund ihrer Weltsicht in der Gegenwart verhaftet ist. Das Erforderliche zu tun ist undenkbar für all jene, die nur aus der Gegenwart extrapolieren und sich weigern, eine Zukunft in Betracht zu ziehen, die anders ist als all das, was sie bis jetzt gekannt haben.
Wie die Menschheit von diesem Pfad der Selbstzerstörung abkommen kann, ist Gegenstand dieses Buches. Der erste Teil beschäftigt sich mit der Klimakrise. Er erklärt, was passieren wird, wenn sich nichts ändert. Der zweite Teil befasst sich damit, was die Menschheit daran hindert zu reagieren und Maßnahmen zu ergreifen. Der Hauptgrund liegt in den Glaubensgrundsätzen und Überzeugungen, die jegliches Handeln im langfristigen Interesse der Menschheit blockieren. Teil drei geht darauf ein, wie sich die menschliche Gesellschaft neu ausrichten kann. Der vierte und letzte Teil setzt sich mit den politischen Maßnahmen auseinander, die erforderlich sind, um die Erderwärmung zu verlangsamen.
Nach dem dritten sowie dem letzten Teil fließen jeweils zwei Essays von der Neurowissenschaftlerin und Professorin für Medienpsychologie Maren Urner und dem Physiker Felix Austen ein. Maren Urner ist Mitgründerin von Perspective Daily, dem ersten werbefreien Online-Magazin für Konstruktiven Journalismus. Felix Austen schreibt bei Perspective Daily zu den Themen Klima, Landwirtschaft, Energie und Umwelt.
Die beiden Essays »In 5 Jahren ist der Notstand der einzige Weg in Deutschland« und »Wie weit würdest du gehen, um dich zu retten?« sind bereits 2016 und 2017 in leicht geänderter Form bei Perspective Daily erschienen und wurden für dieses Buchprojekt aktualisiert. Sie zeigen weitere Perspektiven und Denkansätze auf, die es sich lohnt, zu Ende zu denken. Sie beleuchten das Thema Notstand mit allen Chancen und Gefahren.
Die letzten beiden Essays »Die Dinge werden sich ändern, ob durch Design oder Desaster« (Felix Austen) und »›Das geht nicht‹ ist ein schlechter Berater« (Maren Urner) wurden für dieses Buch verfasst und enden mit der Überzeugung, dass wir den Kampf gegen den Klimawandel nicht aufgeben dürfen – da dies einer Kapitulation gegenüber einer Zukunft der Menschheit gleichkäme.
Ich weise aber ausdrücklich darauf hin, dass wir den fortschreitenden Klimawandel nicht verhindern werden, indem wir in der westlichen Welt plötzlich alle vegan leben oder nicht mehr fliegen.
Zunächst also eine Erklärung des Klimaproblems, beginnend mit vier ziemlich schwer verdaulichen Fakten:
Der Klimawandel ist eine Krise, die wir uns selbst zuzuschreiben haben. Wenn es keine Menschen gäbe, gäbe es in der Geschichte der Erde keine globale Erwärmung. Das hat auch seine positive Seite: Wir Menschen sind fähig, unser Verhalten zu ändern und zu versuchen, Geschehenes wiedergutzumachen. Wir können das, was jetzt geschieht, nicht innerhalb eines Zeitraums aufhalten, der für die meisten von uns vorstellbar ist. Wir können lediglich versuchen, das immer schnellere Tempo der Erwärmung zu bremsen und dafür zu sorgen, dass sie nicht vollends außer Kontrolle gerät.Individuelle Veränderungen in der Lebensweise des Einzelnen bringen nicht viel. Müll zu trennen, weniger Flüge zu buchen und den Fleischkonsum zu reduzieren wird den aktuellen Kurs der Menschheit nicht messbar verändern. Auch wenn alle Bewohner Deutschlands, Österreichs und der Schweiz beschließen würden, so nachhaltig wie möglich zu leben, würde sich die Erde unaufhaltsam und immer schneller erwärmen. Auch wenn das rasche Bevölkerungswachstum in den letzten 60 Jahren die Klimaproblematik verschärft hat, werden die größte Sorge der Menschheit in Zukunft die vielen Toten sein.Dafür ist die Zeit viel zu weit fortgeschritten. Wir brauchen einen radikalen Wandel, der unser ganzes System verändert.
Und trotzdem – was hilft es, wenn die Menschen denken: »Ich allein kann ja eh nichts ändern.« Dieser Fatalismus darf nicht als Konsequenz daraus resultieren. Der Sinn dieses Buches ist vielmehr, Ihnen Hoffnung zu geben. Ja, wir können es schaffen, die Welt auch für unsere Kinder und deren Kinder in einer lebenswerten Form zu erhalten. Aber dazu müssen wir groß denken, nicht in Minischritten.
Wie konnte das alles geschehen? Die Antwort lautet: langsam, zumindest bis vor Kurzem. Viele Jahrhunderte lang waren es nur die Handlungen einer winzigen Minderheit von Menschen, die der Erde messbaren und dauerhaften Schaden zufügte. In den letzten 50 Jahren hat sich das Tempo der Zerstörung jedoch beschleunigt. Sie ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass das Überleben der Menschheit in einer auch nur annähernd ähnlichen Form wie heute unmöglich ist. Ohne ein radikales Umdenken läuft die Menschheit Gefahr, sich selbst und die meisten anderen Arten zu vernichten – und das vielleicht schon in den nächsten Jahrzehnten.
Diese menschengemachte Zerstörung nimmt viele Formen an. Zu den sichtbarsten gehört das Artensterben. Dieses liegt zurzeit beim 10.000-Fachen dessen, was der natürlichen Rate entspräche.1 Millionen von Tieren, Pflanzen, Insekten, Fischen und Vögeln sterben jedes Jahr durch den Verlust ihres Lebensraums, durch Verschmutzung und Klimaveränderung – und dieses Artensterben nimmt immer weiter zu.
Laut den Vereinten Nationen sind mittlerweile »rund 1 Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht, viele innerhalb von Jahrzehnten. Das ist mehr als je zuvor in der Geschichte der Menschheit. Die natürliche Vielfalt an einheimischen Arten ist in den meisten Festlandlebensräumen um mindestens 20 Prozent gesunken, großteils seit 1990. Mehr als 40 Prozent der Amphibienarten, knapp 33 Prozent aller riffbildenden Korallen sowie mehr als ein Drittel aller Meeressäugetiere sind vom Aussterben bedroht. Bei den Insektenarten ist das Bild weniger klar, der verfügbaren Datenlage zufolge sind tentativ geschätzt rund 10 Prozent bedroht. Mindestens 680 Wirbeltierarten sind (Stand 2016) seit dem 16. Jahrhundert ausgestorben, ebenso mehr als 9 Prozent aller domestizierten Säugetierrassen, die als Nahrungsmittel und in der Landwirtschaft eingesetzt werden, wobei mindestens 1.000 weitere Arten bedroht sind.«2
Arten sterben immer schneller aus3
Drei Viertel der Festlandsräume und rund 66 Prozent der Meere haben sich aufgrund menschlicher Aktivitäten signifikant verändert. In Gebieten, die sich im Besitz oder unter der Verwaltung indigener Völker und Gemeinschaften befinden, sind diese Entwicklungen im Schnitt weniger gravierend ausgefallen oder gar nicht erst aufgetreten.Mehr als ein Drittel der weltweiten Landfläche und knapp 75 Prozent der Süßwasserressourcen werden heute für Ackerbau oder Viehzucht genutzt.Der Wert der landwirtschaftlichen Produktion ist seit 1970 um rund 300 Prozent gestiegen. Die Rohholzernte hat sich um 45 Prozent erhöht, und rund 60 Milliarden Tonnen nachwachsende und nicht nachwachsende Rohstoffe werden heute jedes Jahr weltweit abgebaut – eine Zahl, die sich seit 1980 fast verdoppelt hat.23 Prozent der globalen Landfläche haben aufgrund von Bodendegradation4 an Produktivität verloren; jährliche Ernten im Wert von bis zu 577 Milliarden US-Dollar sind weltweit dadurch gefährdet, dass Nutzpflanzen ihre Bestäuber verlieren, und 100 bis 300 Millionen Menschen sind durch den Verlust von schützenden Küstenlebensräumen verstärkt Überschwemmungen und Wirbelstürmen ausgesetzt.2015 waren 33 Prozent der Meeresfischbestände überfischt, 60 Prozent galten als an der maximalen Nachhaltigkeitsgrenze befischt, und nur 7 Prozent des Fischfangs erfolgten unter der Belastungsgrenze. Urbane Flächen haben sich seit 1992 mehr als verdoppelt.Ist das wichtig? Wissenschaftlern zufolge sind 99 Prozent aller Arten, die jemals auf der Erde gelebt haben, bereits ausgestorben. Man könnte das Artensterben daher durchaus als Teil eines natürlichen Prozesses betrachten, wenn auch von menschlichem Handeln stark beschleunigt.
Tatsache ist außerdem, dass viele Arten in den letzten Jahrhunderten ausgestorben sind und sich für die Menschheit dadurch nicht viel verändert hat. Der Verlust des Dodos oder des Dunkelkopf-Blattspähers hatte für die Menschheit offenbar keine gröberen Konsequenzen. Dass die Anzahl der Tiger, Nashörner und Elefanten gesunken ist, scheint auch nicht viel verändert zu haben.
Die Frage, ob das Artensterben ein Problem darstellt, ist daher schwer zu beantworten. Mit Sicherheit finden die meisten Menschen, dass es moralisch nicht in Ordnung ist, wenn man das Ende so vieler anderer Arten verursacht. Andere Kreaturen haben ebenfalls ein Recht auf Leben, obgleich es auch dazu unterschiedliche Meinungen gibt. Manche sind der Ansicht, dass andere Arten weniger wichtig sind als der Mensch, und werden darin von einigen Religionen bestärkt.
Dennoch: Der Verlust so vieler Lebewesen ist tragisch für all jene, die deren Schönheit und Vielfalt und generell das Wunder schätzen, das die Erde nun mal ist.
Zudem ist die Frage der Abhängigkeiten der Arten untereinander zu bedenken. In der Natur gibt es Gesundheits- und Nahrungsketten, und wenn diese unterbrochen werden, kann dies weitreichende und unerwartete Konsequenzen haben. Tiger zu töten mag für uns Menschen nicht weiter von Belang erscheinen, da Tiger nicht zu unserer Gesundheits- und Nahrungskette gehören. Aber die Vernichtung von Bestäubern – was ebenfalls passiert – hat weitaus offensichtlichere Folgen. Ein Großteil der gesunden Nahrung für Menschen ist gänzlich abhängig vom Vorhandensein von Bienen, Schmetterlingen und anderen Bestäubern. Pflanzen anzubauen, ohne sie durch Tiere befruchten zu lassen, wäre sehr schwierig und auch kostspielig.
Ein weiterer Grund zur Vorsicht sind unvorhersehbare Konsequenzen. Wenn wir Tiere oder Insekten ausrotten oder aus ihren Lebensräumen vertreiben, steigt das Risiko der von Insekten oder Bakterien übertragenen Erkrankungen, die Menschen befallen oder die Nahrungsmittel, auf die wir angewiesen sind. Der Verlust mancher Arten, die für unwichtig gehalten werden, kann auch zum Aussterben anderer Arten führen, die wir Menschen mehr schätzen.
Wir sollten daher sehr vorsichtig sein, bevor wir in das Schicksal von Pflanzen und Tieren eingreifen. Dabei geht es gar nicht darum, dass Menschen sie verletzen oder töten oder in ihrer Existenz bedrohen. Gefährlich ist vielmehr, dass die Risiken unerwarteter Konsequenzen steigen, je mehr Arten verschwinden. Die Menschheit zerrüttet hochkomplexe Systeme der Natur, ein Gefüge aus ineinanderverwobenen Leben, und ihr ist nicht bewusst, was sie da anrichtet. Das ist sicher nicht klug.
»Die Erde wird weiter bestehen,
nachdem wir uns selbst vernichtet haben.
Wenn wir uns nicht selbst vernichten wollen,
müssen wir etwas tun.
Trinkhalme sind für gewöhnlich nicht notwendig.
Plastiktragetaschen sind für gewöhnlich nicht notwendig.
Plastikverpackung, geschützt von Plastikverpackung,
ist definitiv nicht notwendig. Plastik hat seinen Platz und seinen Nutzen im modernen Leben,
aber darüber sind wir schon weit hinaus.«5
Andrea See, Bloggerin und Webdesignerin
Ein weiteres offensichtliches Zeichen für den Vandalismus des Menschen ist das Problem des Plastik- und Industriemülls. Laut demselben UN-Bericht hat sich »die Plastikverschmutzung seit 1980 verzehnfacht. [Heute] werden jährlich 300–400 Millionen Tonnen an Schwermetallen, Lösungsmitteln, Giftschlamm und sonstigen Abfallstoffen aus der Industrie in die Wassersysteme weltweit gekippt, und Düngemittel, die in küstennahe Ökosysteme gelangen, haben zu mehr als 400 ›toten Zonen‹ in den Weltmeeren geführt; das entspricht einer Fläche von insgesamt über 245.000 km² – größer als das gesamte Vereinigte Königreich.«6
Plastik ist nicht das einzige Problem. Es geht außerdem um das Nitrat, das aus der Landwirtschaft in Bäche, Flüsse, Seen und ins Grundwasser gelangt, um unbehandelten menschlichen Unrat, der in Flüssen landet, um das radioaktive Wasser aus dem Atomkraftwerk in Fukushima in Japan, um chemische Abfälle, die in Flussmündungen gepumpt werden, sowie um hormonhaltige, medikamentenhaltige und sonstige pharmazeutische Rückstände, die Tag für Tag ins Wasser gespült werden. So, wie das Artensterben zunimmt, steigt auch die Menge an menschengemachtem Müll, der in die Gewässer weltweit gekippt wird, immer weiter an. Gleichzeitig sinken die Grundwasserspiegel in einem noch nie dagewesenen Ausmaß, was zu Dürren und Migration von immer mehr Menschen führt.
Und das ist bloß der menschliche Vandalismus an den Wassersystemen der Erde – die Verschmutzung und die Abfälle, die nur einen der essenziellen Spender von Leben betreffen. Dazu kommen noch menschengemachte Probleme durch Bergbau, Energieproduktion und Urbanisierung, die häufig die Geografie unseres Planeten verändern. Berge werden abgetragen, um an die darunterliegenden Metalle und Mineralstoffe zu gelangen. Zur Stromerzeugung gebaute Dämme schaffen riesige Seen, manche schwer genug, um Erdbeben zu verursachen. Erdöl und Kohle werden aus so großen Tiefen geborgen, dass die Landschaften instabil oder verschmutzt werden. Flüsse werden umgeleitet, Auen überbaut und riesige Steinplatten zu Dekorationszwecken bewegt und poliert. Mit dem zunehmenden Bevölkerungswachstum und einer Verdopplung der Urbanisierung seit 19927 hat sich auch das Ausmaß dieser Aktivitäten immer weiter beschleunigt.
Die Regenwälder – die Lungen unseres Planeten – werden ebenfalls vernichtet, und trotz jahrelanger Bemühungen, diese Zerstörung aufzuhalten, ist das Ausmaß der Vernichtung von Naturflächen durch Brand- und sonstige Rodungen weiter gestiegen. Gleichzeitig haben Maßnahmen zur Senkung der Luftverschmutzung weitgehend versagt, auch wenn dieses Problem weniger sichtbar ist als früher. Die Partikel vieler Schadstoffe, die heutzutage ausgestoßen werden, sind mittlerweile so klein, dass das menschliche Auge sie nicht mehr wahrnehmen kann. Sie verursachen jedoch schwere Lungenschäden bei Menschen und anderen Säugetieren sowie viele andere Probleme. Laut Weltgesundheitsorganisation »atmen heute neun von zehn Personen verschmutzte Luft ein, was jährlich sieben Millionen Tote fordert«.8 Die Luftverschmutzung gehört zu den bedeutendsten Todesursachen.
Ein zusätzliches Problem ist die Bodenerosion, die Zerstörung einer weiteren lebensnotwendigen Ressource sowie die nicht nachhaltige Gewinnung vieler knapper Güter. Teile des Planeten werden auch durch Kriege und bewaffnete Konflikte schwer in Mitleidenschaft gezogen und durch die Verwendung von Waffen, die gefährliche chemische Rückstände hinterlassen.