Fuck the system - Graeme Maxton - E-Book

Fuck the system E-Book

Graeme Maxton

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Beschreibung

Unsere gegenwärtigen Fortschrittsideen stecken auf der ganzen Welt in großen Schwierigkeiten. Von Corona und der drohenden Klimakrise bis hin zur endlosen Flüchtlingsfrage in Europa: Es macht sich das Gefühl breit, dass unsere Lebensweise – politisch, kulturell und sozial – am Ende ist. Was aber ist, wenn die Lösung für unsere gegenwärtigen Krankheiten nicht darin besteht, das System zu "reparieren", sondern es vollständig zu verschrotten? Graeme Maxton und Bernice Maxton-Lee stellen die verbotene Frage und zeigen ein Alternativszenario auf. Fazit: Dieses Buch ist eine Bewegung – persönlich, wütend, emotional!

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Seitenzahl: 154

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Graeme Maxton | Bernice Maxton-Lee

F*CK THE SYSTEM

Ein Leitfaden für eine bessere Welt

Was Covid-19 uns lehrt und warum die liberale Demokratie uns bei der Klimakrise nicht weiterhilft

Aus dem Englischen übertragen von Nina Sattler-Hovdar

Die englische Erstausgabe ist 2020 bei Top Hat Book in den United States erschienen.

A Chicken Can‘t Lay a Duck Egg: How Covid-19 Can Solve the Climate Crisis 

© Graeme Maxton, Bernice Maxton-Lee, 2020, 2021

Copyright der deutschen Erstausgabe

© Verlag Komplett-Media GmbH

1. Auflage 2021

Verlag Komplett-Media GmbH

2021, München

www.komplett-media.de

ISBN E-Book: 978-3-8312-7073-6

ISBN Print: 978-3-8312-0582-0

Hinweis: Das vorliegende Buch ist sorgfältig erarbeitet worden. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autor noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gegebenen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen.

Übersetzung: Nina Sattler-Hovdar, Elixhausen/Salzburg

Lektorat: Redaktionsbüro Diana Napolitano, Augsburg

Korrektorat: Dr. Katharina Theml, Wiesbaden

Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, München

Satz, Layout und E-Book: Daniel Förster, Belgern

Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrecht zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.

Dieses Buch ist den bemerkenswerten Menschen von Taiwan gewidmet. Wir danken ihnen dafür, dass sie uns ein Zuhause gaben und uns mit Umsicht und Respekt begegneten, als wir zutiefst entmutigt in Herz und Seele litten.

Als Covid-19 aufkam, sorgten Dr. Chen Shih-Chung und seine Mitarbeiter im Ministerium für Gesundheit und Soziales dafür, dass wir verschont blieben.

Vielen Dank, »Uncle Chen«.

Wir möchten auch Marina und Clemens Haydn in Wien und Genf für ihre Unterstützung, Einblicke und Freundschaft danken, sowie dafür, dass sie uns an einige der faszinierendsten und zugleich schaurigsten Orte entführten, die wir je gesehen haben.

Inhalt

Vorwort

Stimmen zum Buch

Teil 1 –PROBLEME ÜBER PROBLEME

Auch eine Krise hat ihr Gutes

Erhellend und beängstigend

Was hindert die Menschheit daran, sich zu verändern?

Die Tücken der sogenannten Demokratie

Über die Notwendigkeit, alles zu überdenken

Teil 2 –Verstanden! Und jetzt?

Neuland betreten

Systemwandel statt Klimawandel

Konzepte für eine andere Zukunft

Neudenker und Vorkämpfer statt ewiggestriger Sesselkleber

Widerstände, Hindernisse und Stolpersteine

Wo sollte der Übergang beginnen?

»Was kann ich tun?«

Aufbruch statt Untergang

Faktencheck

Lesetipps

Über die Autoren

Vorwort

Verlage in den USA legen ihren Autoren häufig ans Herz, ihre Bücher mit einer persönlichen »Story« zu beginnen. Leser sollen die persönliche »Reise« der Autoren kennenlernen, was sie getan haben und wie ihr Leben aussah, bevor sie sich hinsetzten und das Buch zu schreiben begannen. Wir sind keine ausgesprochenen Fans dieser Idee, weil all das für die Botschaft keine Relevanz hat. Wir sind der Meinung, dass die Aussagen in diesem Buch zu radikalen Gesellschaftsreformen und Klimawandel auf Fakten und gut durchdachten Erkenntnissen beruhen sollen, nicht auf dem Auf und Ab im Alltag unseres bisherigen Lebens.

Für die Leserinnen und Leser der deutschen Ausgabe bieten wir daher eine adaptierte Fassung der im englischen Buch erschienenen Einleitungsgeschichte. Wer an dieser persönlichen Schilderung kein Interesse hat, möge den folgenden Teil zwischen den Sternen einfach überspringen.

* * *

Wenn man mit dem Tod bedroht wird, steckt man das nicht so einfach weg. Wenn einem gesagt wird, man werde leblos liegend im Schlamm, den Körper voller Schlangengift enden, nur weil man einen Regenwald retten will, ist das starker Tobak. Mit dem Papst zu frühstücken war da wesentlich erbaulicher.

Erfahrungen wie diese ziehen sich durch unser Leben.

Vor der Finanzkrise 2008 arbeiteten wir beide für Unternehmen in China und Südostasien, und dort war es auch, dass wir uns zum ersten Mal fragten: Was tun wir hier eigentlich? Wir erkannten tiefe Diskrepanzen zwischen dem, was wir mit eigenen Augen sahen, und dem Narrativ vom Fortschritt, das uns in Büchern, in den Nachrichten, und in unseren Unternehmen vorgesetzt wurde.

Diese Länder verzeichneten zwar jede Menge Wirtschaftswachstum, das tägliche Leben aber blieb für die meisten Menschen sehr hart. Der öffentlichen Statistik zufolge waren Millionen von Menschen offiziell der Armut enthoben, doch die Mehrheit davon hatte eine bis dahin nachhaltige Lebensgrundlage verloren. Diese Menschen waren nun in die Geldwirtschaft gedrängt worden und mussten täglich bis zu 15 Stunden arbeiten, bloß um zu überleben. Die Auswirkungen all dieses Wirtschaftswachstums auf die Umwelt waren ebenfalls verheerend und unübersehbar. Berge von Plastikmüll, von Ölteppichen überzogene stehende Gewässer, stinkende, brennende Giftmüllhalden und boomende Megastädte hatten die üppigen, grünen Reisfelder ersetzt, die wir 20 Jahre zuvor gesehen hatten. Wir begannen uns daher zu fragen: Ist es das, was wir mit Wirtschaftswachstum erreichen? Unsere Freunde und Arbeitskollegen, unter anderem beim Wirtschaftsmagazin The Economist, für das wir damals arbeiteten, wussten da­rauf keine Antwort.

Wir befürchteten, Teil einer Maschinerie zu sein, die, statt Fortschritt zu bescheren, vielmehr die Ursache der Misere war. Damals erkannten wir, dass wir auf der Suche nach objektiven Antworten erst einmal ein wenig Distanz gewinnen mussten. Unsere Fragen führten uns daher von Hongkong nach Wien, von der Welt der Wirtschaft und der Finanzen in die Welt der Universitäten und der Umweltbewegung. Mitten in unserem Berufsleben sattelten wir um und befassten uns mit Fortbildungen in Klimachemie, internationalen Beziehungen und Umweltrecht.

In der Hoffnung, mit diesem Wissen etwas Nützliches bewirken zu können, landeten wir einige Jahre später wieder in Asien, diesmal in Singapur. Dort sahen wir die qualmenden Schwaden von Rauch, die von den brennenden Regenwäldern in Indonesien herüberzogen. Und wieder fragten wir uns: »Warum?« Dieses Mal schlug uns Desinteresse und sogar Feindseligkeit entgegen, insbesondere von jenen in Machtpositionen. Sogar unsere Arbeitskollegen am Jane Goodall Institute zogen es vor, nicht darüber zu reden, warum der Lebensraum seltener, uralter Primaten in Rauch aufging.

Also schürften wir noch tiefer, engagierten uns noch stärker, machten uns mit noch mehr Energie daran, mehr zu erfahren und mit noch mehr Nachdruck für Veränderungen zu kämpfen. Wir schrieben Bücher, eine von uns promovierte sogar mit einer Doktorarbeit darüber, warum die Bemühungen zur Beendigung der Abholzungen nicht greifen, der andere stieg als Generalsekretär des Club of Rome an die Spitze einer der weltweit führenden Umweltdenkfabriken auf. Wir wandten uns an die Vereinten Nationen, trafen uns mit dem Papst, taten uns mit Influencern zusammen und setzten uns mit Präsidenten, Premierministern und Zentralbankgouverneuren aus aller Welt an einen Tisch. Jetzt würden wir das Problem doch bestimmt, endlich, wirklich verstehen.

Und so war es auch. Wir erkannten, dass Entscheider, Regierungsoberhäupter und Konzernbosse allesamt viel zu sehr darauf versessen sind, Profite zu machen, statt sich Erklärungen anzuhören, wie die Natur und die menschliche Gesellschaft zugrunde gerichtet werden, oder was passieren wird, wenn man so weitermacht wie bisher.

2019 fühlten wir uns ausgelaugt, erschöpft und entmutigt. Wir hatten alles gegeben und zu wenig erreicht. Die Zeit war bereits zu knapp, um den Kollaps zu verhindern, und nicht genug Menschen hörten uns zu. Wir brachen unsere Zelte in der Schweiz ab, in der Absicht, ein Jahr in Taiwan zu verbringen, fernab von allem, was wir kannten. Kurz danach setzte das Coronavirus zu seinem tödlichen Vorstoß rund um den Globus an.

Als die Krise immer weiter um sich griff, sahen wir eine allerletzte Chance für Veränderungen.

* * *

Die sozialen, politischen und ökologischen Herausforderungen der Welt lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Jahrzehntelang haben die meisten wirtschaftlich dominanten Staaten der Welt, allen voran die USA, ihre Pflichten gegenüber der Mehrheit ihrer Bürger nicht erfüllt. Die hilflose, herzlose und inkompetente Reaktion vieler dieser Länder auf das Coronavirus war relativ leicht vorhersehbar. Sie fügte sich nahtlos in ein etabliertes Muster ein, das die Bedürfnisse der Wirtschaft vor die Bedürfnisse der Menschen setzt.

Es ist nicht möglich, die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Systeme dieser Länder so zu reformieren, dass sie zum Wohl der Mehrheit funktionieren. Oder, in den Worten des Menschenrechtsaktivisten Malcolm X: »Ein Huhn kann eben kein Entenei legen.«1

Im kommenden Jahrzehnt wird die Menschheit zunehmend und aus gänzlich eigenem Verschulden von einer Serie ineinander verketteter Umweltkrisen überrollt werden. Deren Auswirkungen werden jene der Covid-19-Krise vollkommen in den Schatten stellen. Für diese Probleme gibt es keine marktwirtschaftliche Lösung. Solarpanele, Teslas und diverse bis dato noch nicht bekannte Technologien werden uns nicht retten. Retten kann uns nur noch eine Gesellschaft, die aufbegehrt und radikale Reformen der sozialen und wirtschaftlichen Strukturen durchsetzt. Covid-19 macht es möglich.

Die radikalen Umstellungen, auf die wir uns einstellen müssen, sind deshalb notwendig geworden, weil korrupte Regierungen der reichen Welt sich gegen notwendige Veränderungen gestemmt haben – in Form von Realitätsverweigerung, Inkompetenz und der Unfähigkeit, Fakten und Fake News auseinanderzuhalten. Jene, die an die Macht gewählt wurden, jene, die sie finanzieren, und jene, die den Großkonzernen der Welt vorstehen, schützen stattdessen lieber ihren (ungleich verteilten) materiellen Wohlstand und ihre Macht. Sie kontrollieren und kolonisieren weiter Rohstoffe und Menschen weltweit und beuten sie für kurzfristige Gewinne aus.

Angesichts der zunehmenden Umweltzerstörung erfüllen diese Regierungen und die Mächtigen nicht einmal ihre grundlegendsten Verpflichtungen. Hunderten von Millionen Menschen wird ein menschenwürdiger Lebensstandard verwehrt. Wenn sich nichts ändert, hinterlassen wir zukünftigen Generationen eine zerrüttete, kaputte Welt.

Handlungen sollten aber nicht erst dann gesetzt werden, wenn sich die Konsequenzen aus Fahrlässigkeit, Inkompetenz und Selbstbedienungsmentalität der Regierungen und Mächtigen so weit ausgewachsen haben, dass sie nicht mehr behoben werden können. Handlungen müssen jetzt gesetzt werden, und ab sofort jeden Tag während des nächsten Jahrzehnts. Das ist nämlich das einzige Zeitfenster, das uns noch bleibt, um radikale Veränderungen im Leben, Denken und Träumen der Menschen zu bewirken.

Danach ist es bereits zu spät. Danach wird man vielleicht noch energischer auf Veränderungen drängen, vor Wut gar eine zornige Revolution anzetteln, aber in diesem Stadium wäre das bereits vergebens.

Die erforderlichen Reformen sollten vor allem von den Jungen angeführt werden, denn sie haben am meisten zu verlieren. Wer heute in seinen 20ern oder 30ern ist, wird den Großteil seines Lebens in einer Welt verbringen, die sich rasch erwärmt – mit all den damit verbundenen Konsequenzen, dem Chaos und der Gewalt. Junge Veränderer sind in der Regel auch weniger von jener Wirtschaftspropaganda vereinnahmt, die den Planeten zugrunde richtet. Wer noch nicht mit diesem gefährlichen, zerstörerischen, die Gesellschaft spaltenden Virus namens Marktwirtschaft infiziert ist, wird in der Lage sein, eine andere, weniger egozentrierte Zukunft für die Menschheit aufzubauen. Wir Menschen haben die Pflicht, eine lodernde Fackel vor uns herzutragen, die den vor uns liegenden Weg so hell erleuchtet, dass ihn alle deutlich sehen können und niemand die Orientierung verliert. Ab dem heutigen Tag, und an jedem Tag im kommenden Jahrzehnt, ist unser Ziel noch erreichbar. Aber auch nur gerade noch.

Jetzt ist die Zeit zum Handeln. Warten Sie nicht so lange zu, bis es zwecklos ist. Sorgen wir alle dafür, gemeinsam und mit vereinten Kräften, dass jeder Tag zählt.

Graeme Maxton und Bernice Maxton-Lee

im Januar 2021

1 »A chicken can’t lay a duck egg« (»Ein Huhn kann kein Entenei legen«) wurde vom US-Bürgerrechtler Malcolm X in den 1960ern geprägt. Er wollte mit diesem Vergleich veranschaulichen, dass ein System immer nur das leisten kann, wofür es konzipiert wurde. Gleichermaßen kann das aktuelle System der Wirtschaftsentwicklung eben nur das leisten, wofür es konzipiert wurde. Es kann nicht einfach »reformiert« oder »nachjustiert« werden. Um das Problem zu lösen, braucht es ein anderes, neues System.

Stimmen zum Buch

»Dieser leidenschaftliche Appell von zwei Top-Insidern ist ein absolutes Must-read!«

Hazel Henderson, Zukunftsforscherin und Expertin für alternative Ökonomie

»Kaufen Sie zehn dringend benötigte Exemplare, eines für sich und die übrigen für vorausdenkende, engagierte, hartnäckige und effektive Freunde, die die Welt wirklich retten wollen.«

Yun Rou, taoistischer Mönch

»Die Autoren argumentieren, dass die einzige Alternative zum kollektiven Öko-Selbstmord eine radikale Demokratisierung der Gesellschaft ist. Dem schließe ich mich vorbehaltlos an. Junge Menschen im Besonderen sollten dieses Buch lesen!«

Richard Smith, Wirtschaftshistoriker und Autor

»Ein Buch, das jeder denkende Mensch gelesen haben sollte.«

Prof. Paul Shrivastava, Penn State University

»Lesen Sie dieses kluge Buch, und handeln Sie danach, und zwar jetzt. In einem Jahrzehnt ist es bereits zu spät.«

Dr. Susan George, Präsidentin und Aufsichtsratsvorsitzende, Transnational Institute

»Mutig, dramatisch und visionär. Ich hoffe, dass die Menschheit der Herausforderung gewachsen ist.«

Jørgen Randers, Co-Autor von »Die Grenzen des Wachstums« (1972)

»Ein faszinierendes und verstörendes kleines Buch, das auf überzeugende Weise für dringenden und grundlegenden gesellschaftlichen Wandel plädiert.«

Prof. Mark B. Brown, California State University, Sacramento, USA

»Leidenschaftlich, wo es um Realitäten geht; klar und deutlich in der Erläuterung der erforderlichen Veränderungen; witzig pointiert, wo dies angebracht ist. Dieses Buch führt uns aus dem Chaos zur Chance.«

Martin Palmer, Generalsekretär der Alliance of Religions and Conservation

»Dieses Buch zeichnet einen Kommunikationsweg vor: Fakten lernen, Mythen bekämpfen, die Stimme erheben. Ein Weckruf.«

Dr. Kerryn Higgs, University of Tasmania, Australien

»Beim Lesen dieses Buches fühlt man sich wie beim Abendessen mit klugen, lustigen und leidenschaftlichen Menschen, die Dinge auf geistreiche und mitreißende Art auf den Punkt zu bringen verstehen.«

Dr. Nazanin Zadeh-Cummings, Deakin University, Melbourne, Australien

Teil 1 –PROBLEME ÜBER PROBLEME

Auch eine Krise hat ihr Gutes

Ausschlaggebend für die vor uns liegenden Reformbemühungen ist die Überlegung, wie wir Menschen leben möchten. Sollen unsere Entscheidungen, wie dies schon so lange geschieht, auf der Grundlage ichzentrierter, kurzfristiger, animalischer Instinkte erfolgen? Oder schaffen wir es endlich, der reflektierenden und spirituellen Seite des menschlichen Charakters den Vorzug zu geben? Uns bleibt nur mehr wenig Zeit, um uns zu entscheiden.

Während wir diese Zeilen schreiben, bröckeln in vielen Ländern die sozialen Fundamente, verlieren Hunderte Millionen von Menschen ihren Job, und sind täglich Tausende Tote zu beklagen. All das wegen eines Virus, das vor einem Jahr noch völlig unbekannt war.

Doch trotz aller Nöte hat das Coronavirus der Menschheit etwas unglaublich Wertvolles gebracht. Verwoben in all der wirtschaftlichen Misere und menschlichen Tode eröffnet sich der Welt eine enorme Chance auf radikale soziale und wirtschaftliche Veränderungen – tatsächlich die größte Chance seit Jahrzehnten. Was die Zukunft bringt und wo die Möglichkeiten liegen, das ist das Thema dieses Buches.

Der Großteil befasst sich mit der langfristigen Perspektive über die nächsten Jahre hinaus. Wie sieht es jedoch bis dahin aus? Von unserem taiwanesischen Zufluchtsort vor dem Virus im Spätsommer 2020 sehen wir für die nahe Zukunft drei mögliche Wege:

Nach monatelangen hilflos wirkenden Maßnahmen der Regierungen, insbesondere in den USA, Brasilien, Frankreich, Spanien und Großbritannien, mit steigenden Infektionsraten und ums Überleben kämpfenden Unternehmen, stellt sich die erste für uns vorhersehbare Zukunft als eine Welt dar, in der alles beim Alten bleibt. Das Chaos wird einfach weitergehen. Es wird Monate des Optimismus geben, in denen die Infektionszahlen rückläufig wären und die Wirtschaft sich erholen wird. Doch dann werden wieder neue Viruscluster aufkommen und weitere Lockdowns folgen. Der Optimismus wird verflogen sein. Die Zukunft sieht für uns aus wie ein Gemälde von Salvador Dalí, ein wiederkehrender Albtraum mit punktuell surrealen Momenten der Freude.In einem zweiten, etwas positiveren Szenario (wenn auch nicht aus unserer Sicht) sehen wir eine mögliche Erholung. So wie im Film wird die Menschheit »zurück in die Zukunft« gehen, die Volkswirtschaften werden langsam wieder zu dem zurückkehren, wie sie vor ­Covid-19 waren. Dies ist ein mögliches Szenario, so unsere Meinung, falls es gelänge, einen kostengünstigen, leicht verabreichbaren Impfstoff auf globaler Ebene innerhalb kürzester Zeit zu verbreiten und die Menschen davon zu überzeugen, diese Impfung ohne Impfpflicht wahrzunehmen. Oder falls das Virus von selbst verschwindet, zu einer weniger ansteckenden Form mutiert, so, wie dies am Ende der großen Pestseuche in London 1665 geschah.Dass diese zweite Visualisierung der Zukunft eintreten wird, ist so gut wie garantiert, zumindest in der einen oder anderen Form. Angesichts der enormen Summen, die Regierungen auf der ganzen Welt in die Entwicklung eines Impfstoffs investieren, der Tatsache, dass viele miteinander konkurrieren, der riesigen Gewinne, die den Erfolgreichen in Aussicht gestellt worden sind, und der weitreichenden wirtschaftlichen Vorteile für diejenigen, die die Ausbreitung des Virus zuerst unter Kontrolle bringen, scheint es praktisch gesichert zu sein, dass mehrere Covid-19-Impfstoffe schnell auf den Markt kommen werden, vielleicht sogar noch vor Veröffentlichung unseres Buches, das im englischen Original im November 2020 erschien. Wir sehen aber auch ein Problem. Jeder rasch eingeführte Impfstoff wird viel schneller entwickelt werden als sonst üblich. Angesichts der verlockend hohen Profite und der Tatsache, dass multinationale Pharmakonzerne von ihrer gesetzlichen Haftung befreit werden, sodass es im Endeffekt keine Rolle spielt, ob ihre Impfstoffe tatsächlich wirken oder üble Nebenwirkungen haben, besteht die Gefahr, dass bei diesem Best-Case-Szenario die Rechnung ohne den Wirt gemacht werden wird. Außerdem würde sich die Durchimpfung von knapp 8 Milliarden Menschen über Jahre hinziehen, in denen das Virus weiterhin ungehindert wüten kann. Es werden immer wieder neue Infektionscluster auftreten, die weitere unvorhersehbare Einschränkungen nach sich ziehen. Selbst wenn diese positive Zukunft also zustande käme, wäre das Leben für die meisten Menschen wahrscheinlich immer noch schwierig und nicht wesentlich anders als die Zukunft, die wir im ersten Szenario vorhergesehen haben. Die dritte mögliche Zukunft, die wir sehen können, ist die einer Wiedergeburt. Diese kann dann eintreten, wenn die Menschheit zusehends begreift, dass eine Rückkehr zur früheren Normalität nicht mehr möglich ist. Sie kann eintreten, wenn es den Forschern nicht gelingt, einen sicheren, zuverlässigen, lang wirkenden und wirksamen Impfstoff zu entwickeln. Oder sie kann eintreten, wenn eine noch tödlichere Mutation des Virus auftaucht und es zu weitverbreiteten semi-permanenten Lockdowns kommt. Diese dritte mögliche Zukunft ist für uns die interessanteste. Eine langdauernde Krise könnte zwar zu Konflikten führen, weil Völker weltweit versuchen würden, anderen die Schuld an ihrer Not zu geben, gleichzeitig würde diese dunkle Stunde der Menschheit aber auch die einzigartige Möglichkeit eröffnen, die Lebens-, Denk- und Arbeitsweisen der Menschen radikal zu revidieren. Wenn das gelänge, käme dies einer Renaissance des menschlichen Verhaltens gleich.Oft ist ein radikaler Wandel gerade während einer Krise möglich. Covid-19 wäre daher das Tor in eine andere Zukunft, einer Zukunft, in der die Menschheit ihre größeren, langfristigen Herausforderungen in Angriff nehmen könnte. Warum sind wir der Meinung, dass ein derart umfassendes und radikales Umdenken in einem derart enormen Ausmaß notwendig ist? Das ist das Thema, mit dem wir uns im ersten Teil dieses Buches befassen.

Die Menschheit hat es kolossal vermasselt

Ein radikaler Richtungswechsel ist deshalb nötig, weil der Menschheit im kommenden Jahrzehnt verheerende Umweltkrisen bevorstehen, die, falls wir nichts ändern, das Coronavirus und dessen Auswirkungen wie einen Sonntagsspaziergang aussehen lassen werden. Die erste dieser Krisen hängt direkt mit der Entstehung des Virus zusammen.

Da die Menschheit immer weiter in den Lebensraum anderer Lebewesen eindringt, nimmt das Artensterben immer mehr zu, und die Anzahl der Krankheiten, die von anderen Arten auf den Menschen übertragen werden, steigt immer weiter. In Gebieten, in denen die natürlichen Systeme durch menschliche Eingriffe bereits stark beeinträchtigt wurden, ist die Anzahl der Wirtstiere für derartige Zoonosen, etwa Fledermäuse und Ratten, um 250 Prozent höher und der Anteil an Trägern der Erreger um 70 Prozent höher als sonst üblich.2