Glück und Lebenszufriedenheit für Menschen mit Autismus - Christine Preißmann - E-Book

Glück und Lebenszufriedenheit für Menschen mit Autismus E-Book

Christine Preißmann

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Beschreibung

Das Streben nach Glück ist so alt wie die Menschheit selbst, da Lebensqualität ein wichtiges Ziel des menschlichen Daseins darstellt. Bisher aber hat man sich kaum mit Glück und Lebenszufriedenheit bei Menschen mit Autismus beschäftigt. Da jeder Mensch sein eigenes Glück anders definiert, enthält dieses Buch neben theoretischen Ausführungen der Bedürfnisse von Menschen mit Autismus auch zahlreiche Berichte selbst betroffener Menschen, die erläutern, was für sie zum Glücklichsein zählt. Die vielfältigen Möglichkeiten, die das Leben bietet, sollen im Zuge der Inklusion ja auch Menschen mit Autismus offenstehen. Es gilt also, individuelle Lebensentwürfe auszuwählen und zu begleiten - gemeinsam mit dem jeweiligen Betroffenen. Dafür ist es notwendig, nach den ganz eigenen Wünschen, Zielen und Bedürfnissen zu fragen und pädagogische, therapeutische und lebenspraktische Maßnahmen in jedem Einzelfall anzupassen. Dann sind Glück und Lebenszufriedenheit auch für Menschen mit Autismus möglich.

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Die Autorin

Dr. Christine Preißmann ist Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie sowie selbst Asperger-Autistin. Sie hält regelmäßig Vorträge zum Thema und richtet sich in ihren Büchern an Betroffene, deren Angehörige sowie an Fachleute.

Christine Preißmann

Glück und Lebenszufriedenheit für Menschen mit Autismus

2., aktualisierte Auflage

Verlag W. Kohlhammer

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Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

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2., aktualisierte Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-039142-0

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-039143-7

epub:     ISBN     978-3-17-039144-4

mobi:     ISBN 978-3-17-039145-1

Inhalt

 

 

 

Vorwort

Eine persönliche Betrachtung: Was bedeutet Glück für mich?

Einführung: Glück und Lebenszufriedenheit

Begriffsdefinitionen

Glücksforschung

Persönliche Beziehungen

Erwartungen

Glücklichsein mit Kleinigkeiten

(Aus-) Bildung und berufliche Situation

Stabilität, aber auch Offenheit für Neues

Eigene Entscheidungen, Erfahrungen und Erlebnisse

Gesundheit und Inklusion

Lebenssinn

Was kann man selbst tun, um glücklich zu werden?

Glücklichsein – für sich selbst und für andere

Berichte von Betroffenen: Was bedeutet Glück für Menschen mit Autismus?

Glück und Lebenszufriedenheit für Menschen mit Autismus

Was ist den betroffenen Menschen selbst wichtig?

Stress und Entspannung

Stress durch Unerwartetes, Veränderungen und fehlende Selbstbestimmung

Stress durch Sinneswahrnehmungen

Stress durch ungünstige gesellschaftliche Entwicklungen

Stress in der Schule

Stress durch eine ungünstige Arbeitssituation

Stress durch fehlende psychosoziale Unterstützung

Stress aufgrund der eigenen Persönlichkeitsfaktoren

Entspannung

Sozialkontakte

Freundschaft

Partnerschaft

Hilfe beim Umgang mit Emotionen

Unterschiede zu anderen Menschen

Sich mit anderen Menschen beschäftigen

Praktische Hilfe im Alltag

Psychoedukation und Kompetenztraining

Bewältigungsstrategien im Alltag

Wohnsituation

Unterstützung bei Begleiterkrankungen

Psychische Komorbidität

Zusätzliche körperliche Erkrankungen

Ambulante ärztliche Versorgung

Klinikbehandlung

Gesundheitspolitische Aspekte

Unterstützung im Hinblick auf die eigene Identität

Möglichkeiten schaffen, sich mitzuteilen

Diagnose als Voraussetzung zum Glücklichsein?

Individuelle Wünsche und Erwartungen

Lebensziele realisieren

Individualität versus Anpassung

Lässt sich das Glück messen? – und der Versuch einer Zusammenfassung

Literatur

Stichwortverzeichnis

Vorwort

 

 

 

»Zufriedenheit mit seiner Lage ist der größte und sicherste Reichtum.«Marcus Tullius Cicero

Dieses Zitat von Marcus Tullius Cicero ist heute genauso aktuell wie damals. Und es verdeutlicht, dass Lebensqualität etwas sehr Individuelles ist. Deshalb war es mir ein wichtiges Anliegen, möglichst viele Menschen mit Autismus zu erreichen und sie um ihre ganz eigene Sichtweise zu bitten. Die Meinungen, Perspektiven und Hoffnungen sind schließlich sehr unterschiedlich, so verschieden wie auch andere Menschen sind. Es gibt heute nicht mehr die »typischen Autisten« mit dem entsprechenden Lebenslauf. Die bessere Diagnostik und die höhere Sensibilität für autistische Störungen führen dazu, dass auch das Leben autistischer Menschen immer individueller wird. Es ist daher sehr wichtig, eine auf jeden einzelnen Menschen ganz persönlich zugeschnittene Lösung zu finden.

Die vielfältigen Möglichkeiten, die das Leben bietet, sollen im Zuge der Inklusion auch Menschen mit Autismus offenstehen. Das ist eine große Herausforderung für die Betroffenen selbst, die sich in aller Regel feste Strukturen, Verbindlichkeit und Stabilität wünschen. Aber auch alle Fachleute sind gefordert, die mit autistischen Menschen arbeiten. Während früher die Möglichkeiten überschaubar waren, muss heute die ganze Fülle an Lebensentwürfen bedacht werden. Das ist anstrengend, aber gleichzeitig auch sehr schön, wenn man miterleben darf, dass die anvertrauten Menschen ihren Weg ganz selbstverständlich in der Gesellschaft gehen dürfen.

Nun, ganz so weit sind wir nicht – noch nicht. Aber das wird die Zukunft sein, und trotz aller Schwierigkeiten werden wir es schaffen. Dazu aber braucht es motivierte und engagierte Menschen, die sich nicht nur mit Autismus auskennen, sondern die (und das wird immer wichtiger werden) vor allem ein gutes Gespür dafür haben, individuelle Lebensentwürfe für Menschen mit bestimmten Auffälligkeiten auszuwählen und zu begleiten – gemeinsam mit dem jeweiligen Betroffenen. Dafür ist es wichtig und notwendig, nach den ganz eigenen Wünschen, Zielen und Bedürfnissen zu fragen: »Wenn wir etwas für Menschen mit Autismus tun wollen, müssen wir uns damit auseinandersetzen, was wir dafür tun können, dass den Betroffenen ein zufriedenes Leben möglich wird« (Rickert-Bolg 2014, 267).

Und so ist dieses Buch entstanden. Es bietet autistischen Menschen die Möglichkeit, darzulegen, was ihnen wichtig ist, was für sie zählt. Und es enthält darüber hinaus auch theoretische Ausführungen über die Dinge, die sich die meisten Menschen zum Glücklichsein wünschen, vor allem aber auch über die speziellen Erfordernisse von Menschen mit Autismus. Ich wünsche mir, dass pädagogische, therapeutische und lebenspraktische Maßnahmen für die Betroffenen diesen neuen Herausforderungen angepasst werden.

Ich bedanke mich bei den Mitarbeitern des Verlags W. Kohlhammer, insbesondere bei der Lektorin, Frau Annika Grupp, für die Begleitung bei der zweiten Auflage dieses Buchprojektes. Mein ganz besonderer Dank aber gilt den Menschen, die mir schon seit vielen Jahren dabei helfen, ein schönes und erfülltes Leben zu führen:

  meinen Eltern

  Frau E. Sauerwein, Dipl.-Psychologin

  Frau M. Miller, Ergotherapeutin.

Ihnen widme ich dieses Buch.

Darmstadt, im Herbst 2020

Christine Preißmann

Eine persönliche Betrachtung: Was bedeutet Glück für mich?

 

 

 

»Eine gute Freundin, das wäre das größte Glück in meinem Leben.« So habe ich es vor einigen Jahren beschrieben, und dieser Satz gilt nach wie vor für mich. Ich habe ein schönes und gutes Leben und finde auch in der Isolation immer wieder Ruhe, Stabilität und Zufriedenheit, vor allem dann, wenn ich miterlebe, wie unvorhersehbar, chaotisch und anstrengend andere Menschen sein können. Manchmal aber ist der Wunsch, Kontakte zu knüpfen und Freundschaften pflegen zu können, nach wie vor drängend. Vor allem stelle ich mir vor, dass es angenehm wäre, schöne Momente und Glücksgefühle mit anderen zu teilen, und gerade in guten Zeiten fühle ich mich deshalb oft besonders allein.

Auch stelle ich es mir schön vor, ein eigenes Kind zu haben. Aber ich weiß, es würde mich überfordern, deshalb ist es gut so. Nach wie vor tut es immer wieder einmal weh, aber ich habe andere Projekte für mein Leben gefunden, um die ich mich kümmern kann. Manchmal denke ich, meine Bücher und meine Veranstaltungen zum Thema Autismus sind vielleicht auch so etwas wie eigene Kinder. Ich selbst bin dafür verantwortlich und muss dafür sorgen, dass sie gelingen. Ganz generell finde ich die eigene Verantwortung für das Leben wichtig, natürlich immer im individuell sinnvollen Rahmen.

Abgesehen von dem Bereich der Freundschaft und persönlichen Beziehungen, habe ich mir im Laufe der Jahre auf vielen Gebieten so manches erarbeitet, was mir Zufriedenheit gibt und mich glücklich sein lässt. Ich habe herausgefunden, dass ich an freien Tagen vor allem dann zur Ruhe komme und Glück empfinde, wenn ich drei Aspekte kombinieren kann: Genuss bzw. Entspannung, Aktivität und die dosierte sinnvolle Tätigkeit. Im Gegensatz zu früher bin ich viel aktiver, gehe häufiger aus und habe deshalb auch öfter die Möglichkeit, schöne Erfahrungen zu machen. Ich bin offener geworden und viel interessierter an meiner Umgebung.

Und wenn ich so mit offenen Augen durch die Gegend laufe, entdecke ich viel Schönes, was mir Freude macht. Ich bin sehr glücklich über diese Entwicklung und vor allem dankbar dafür, denn ich weiß natürlich, dass ich sehr viel Glück gehabt und liebe Menschen gefunden habe, die mich unterstützen. Anfangs war es schwer für mich, diese Unterstützung anzunehmen, ich war es nicht gewohnt, Schwierigkeiten mit anderen zu besprechen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Die Dinge, die mir wichtig waren, versuchte ich alleine, und was mir nicht gelang, ließ ich sein. Inzwischen weiß ich, dass das nicht immer der richtige Weg ist, weil sich vieles gemeinsam besser und leichter lösen lässt. Dennoch muss ich auch heute noch immer wieder ein gutes Mittelmaß finden zwischen Autonomie und Hilfsbedürftigkeit. Das muss ich immer wieder neu austaxieren.

Ein großes Glück war es für mich, eine schwere Erkrankung überwinden zu dürfen, die mich für einige Monate völlig außer Gefecht setzte. Ich hatte Angst, weil ich fürchtete, die Lebensfreude und die Aktivität, die ich mir über Jahre hinweg mühsam erkämpft hatte, wieder zu verlieren. Aber gleichzeitig erkannte ich auch die ungeheure Kraft, die man aus solch schwierigen Situationen ziehen kann. Das Leben wurde mir irgendwie kostbarer als vorher, ich bin nun dankbar, wenn ich morgens aufwache und mich gut fühle, denn ich weiß jetzt, dass das keineswegs selbstverständlich, sondern ein großes Geschenk ist. Viele kleinere Probleme erhielten einen anderen Stellenwert; was waren sie schon dagegen, dass ich weiterleben durfte? Dadurch haben sich meine geistige Flexibilität und meine Toleranz ein kleines bisschen vergrößert, wenn nicht alles exakt so läuft wie vorgesehen. Es gibt etwas, das wichtiger ist als Glück, und das ist der Sinn. Wenn man in einer Sache einen Sinn sieht, kann man auch unglückliche Zeiten überstehen. Sucht man dagegen nur und ausschließlich das Glück, dann ist Unglück gleichbedeutend mit Scheitern.

Ich bin insgesamt vielleicht nicht mehr so unbekümmert wie früher, aber ich habe vieles gewonnen, vor allem die alltägliche Dankbarkeit, wenn die Menschen, die mir wichtig sind, gesund bleiben. Dagegen ist alles andere zweitrangig.

Wichtig sind mir auch Routinen und Rituale, die verlässlich wiederkehren. Auch dadurch erklärt sich wohl meine Liebe zum Weihnachtsfest. Ganz egal, ob es mir gut geht oder eher nicht, ob ich müde, traurig oder glücklich, gesund oder krank bin – es wird in jedem Jahr aufs Neue Weihnachten werden. Für jeden Menschen und auch für mich. Das hat etwas ungeheuer Tröstliches. Die Welt verändert sich rasant, Stabilität und Sicherheit sind rar geworden, aber Rituale sind verlässlich und geben Sicherheit. Das macht sie für mich so wichtig, dass ich sie vor allem in schwierigen und anstrengenden Zeiten ganz gezielt in mein Leben einbaue. Das kann dann so aussehen, dass ich in diesen Momenten meinen Tag sehr eng strukturiere und bewusst so plane, wie es gut für mich ist. Es ist wichtig, zumindest ein Stück weit die Kontrolle über das eigene Leben behalten und eigene Entscheidungen treffen zu können. Und im Rückblick merke ich, dass die wichtigsten Entscheidungen in meinem Leben in Ordnung waren. Nur wenige Wege, die ich im Laufe der Zeit eingeschlagen habe, würde ich im Nachhinein verändern. Diese Erkenntnis gibt mir eine große Zufriedenheit, aber auch die Zuversicht, dass ich mich auch zukünftig auf meine Entscheidungen größtenteils verlassen kann und sich für die weniger glücklichen Momente Lösungen finden lassen. Es ist wichtig, nicht aufzugeben, denn irgendwie geht es weiter. Immer.

Vieles ist und bleibt natürlich schwierig, jeden Tag, auch in meinem Leben. Aber ich habe beruflich mein Glück gefunden, bin Ärztin, Therapeutin und Autorin und habe Beschäftigungen, die mich erfüllen. Ich hatte das Glück, eine Erkrankung geschenkt zu bekommen, die ich überwinden konnte, durch die ich menschlich sehr gereift bin und eine ganze Menge Lebenszufriedenheit neu erfahren habe. Ich habe die Wege eingeschlagen und die Ziele verfolgt, die ich selbst für richtig hielt, und ich hatte das Glück, dass sich an den entscheidenden Stellen Lösungen finden ließen für die auftretenden Schwierigkeiten.

Mein größtes Glück aber sind meine lieben Eltern und Therapeutinnen, die mich schon seit vielen Jahren unterstützen.

Und deshalb, aus all diesen Gründen, darf ich mich in meinem Leben über mangelndes Glück eigentlich nie wieder beschweren.

Einführung: Glück und Lebenszufriedenheit

 

 

 

Das Wort »Glück« kommt vom Mittelniederdeutschen gelucke/lucke (ab 12. Jahrhundert) bzw. vom Mittelhochdeutschen gelücke/lücke. Es bezeichnete den günstigen Ausgang eines Ereignisses unabhängig von einem bestimmten Talent oder von eigenem Zutun. Dagegen behauptet der Volksmund eine mindestens anteilige Verantwortung des Einzelnen für die Erlangung von Lebensglück in dem Ausspruch: »Jeder ist seines Glückes Schmied.«

Vermutlich ist beides richtig. Die Fähigkeit zum Glücklichsein hängt außer von äußeren Umständen auch von individuellen Einstellungen und vom Verhalten in entscheidenden Situationen ab. Und sie erfordert Aktivität, denn man muss sich erst einmal die eigenen Bedürfnisse bewusst machen und dann aktiv dafür sorgen, dass sie befriedigt werden.

Das Streben nach Glück ist dabei so alt wie die Menschheit selbst. Es lässt manche Menschen um die Welt reisen, zur Einkehr ins Kloster ziehen oder Drogen nehmen, es treibt andere in Yoga-Studios und ist Inhalt zahlreicher Ratgeber und Seminare, die stets neue Techniken vorstellen, die geeignet sein sollen, wirklich und tatsächlich glücklich zu werden.

Auch die Politik entdeckt Glück und Zufriedenheit für sich, so hat die Bundesregierung auf einer Klausurtagung eine neue Regierungsstrategie beschlossen, die einen Bürgerdialog zum Thema »Gut leben – Lebensqualität in Deutschland« beinhaltet. Später sollte dann anhand der Ergebnisse ein neues System von Indikatoren zur Beurteilung der Lebensqualität in Deutschland präsentiert werden (z. B. Demmer 2015).

Glück ist also ein wichtiges Ziel menschlichen Daseins, aber es ist nicht immer ganz leicht zu erreichen. Es gibt nicht »das« ultimative Glücksrezept für alle Menschen, weil eben jeder so unterschiedlich ist, eigene Wünsche, Vorstellungen, Ziele und Bedürfnisse für sein Leben hat und »Glück« (auch im Sinne von Zufriedenheit) auf ganz eigene Weise definiert.

Trotzdem ist es aber möglich, durch jahrelange Forschung einige Faktoren zu nennen, die den meisten Menschen ein bisschen dabei helfen können, ihr Glück zu finden und ein gutes Leben zu führen. Dazu gibt es die Glücksforschung als eine eigene Disziplin, und die Ergebnisse ihrer Untersuchungen werden in der »World Database of Happiness«, der Weltdatenbank des Glücks, in Rotterdam gesammelt.

Begriffsdefinitionen

Die Begriffe Glück und Zufriedenheit werden häufig synonym gebraucht. Wenn man es genau nimmt, gibt es aber durchaus Unterschiede. »Glück ist immer etwas Flüchtiges. Ein Zustand, der in Erwartung von etwas entsteht, der uns zu einer Handlung bewegen soll. Im Gehirn wird dazu ein Bereich aktiviert, in dem der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet wird. Es kommt zu einem Feuerwerk, das aber schnell abbrennt. Zufriedenheit ist etwas völlig anderes. Sie entsteht, wenn die Bedürfnisse, die wir haben, auf Dauer weitgehend befriedigt werden«, erklärt der Psychoanalytiker und Kunsthistoriker Hans-Otto Thomashoff, dessen Buchtitel »Ich suchte das Glück und fand die Zufriedenheit« genau das verdeutlicht (Thomashoff 2014). Glück bezeichnet also das augenblicklich erlebte intensive Hochgefühl und findet daher immer nur im Jetzt statt. Zufriedenheit dagegen ist eher so etwas wie eine Bilanz über das Erlebte (u. a. Walter 2014). Sie resultiert aus dem Vergleich der aktuellen Lebenssituation mit der Vergangenheit bzw. dem »subjektiven Abwägen der eigenen Ziele und Ansprüche mit dem davon Erreichten« (Mayring 2000, zit. nach Bundschuh & Dworschak 2003, 34). Wenn also Menschen gefragt werden, wie glücklich sie sind, dann ist eigentlich die Zufriedenheit gemeint, und diese ist im Gegensatz zum Glück auch eine relativ stabile Eigenschaft. Die objektiven Lebensbedingungen haben natürlich durchaus einen Einfluss auf die Lebenszufriedenheit, aber sie können auch im völligen Gegensatz dazu stehen.

In diesem Buch soll nicht so scharf unterschieden werden zwischen den einzelnen Begriffen, zumal auch in vielen Berichten der betroffenen Menschen »Glück« im Sinne von »Zufriedenheit« oder »Lebensqualität« beschrieben wird. Die exakte Definition ist hier letztlich nicht so entscheidend, viel wichtiger ist es, Menschen mit Autismus ein Leben zu ermöglichen, das sie als »glücklich« oder »zufrieden« bezeichnen können.

Es werden in der Literatur unterschiedliche psychologische Betrachtungsweisen im Hinblick auf die Lebensqualität vorgestellt (z. B. Osterrieder 2010, 87):

  Lebensqualität als Abwesenheit von Belastung, Beeinträchtigung, Krankheit

  Lebensqualität als positive Affektbilanz (Fokussierung auf die emotionale Facette)

  Lebensqualität als Grad der Zielerreichung bzw. als individuelles Befriedigungsniveau (Fokussierung auf die motivationale Facette)

  Lebensqualität als Resultat individueller Bewertungs- und Urteilsprozesse (Fokussierung auf die kognitive Facette)

  Lebensqualität als Persönlichkeitsmerkmal im Sinne einer Glücksfähigkeit, gekoppelt mit einer positiven Grundeinstellung

  Lebensqualität als »Glück von innen« im Sinne des »Mit-sich-im-Reinen-Seins«.

Die Beurteilung der Lebenszufriedenheit und Lebensqualität eines jeden Menschen kann nach diesen Betrachtungsweisen nur von ihm selbst vorgenommen werden.

Anders verhält es sich bei dem Modell des »positiven Funktionierens« von Ryff (1989, zitiert in Frank 2007, 6), das einen der inzwischen zahlreichen Versuche darstellt, objektive Faktoren zu ermitteln, die die Lebensqualität eines Menschen messen sollen. Sie wird hier anhand folgender Kriterien beurteilt:

  Selbstakzeptanz

  positive Beziehungen zu anderen

  Autonomie

  Umweltbewältigungen

  Lebenssinn

  persönliches Wachstum.

Deutlich wird dabei jedoch bereits an dieser Stelle, dass hier die ganz eigenen innerpsychischen Aspekte, die subjektive Beurteilung und vor allem auch die unterschiedlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten bezüglich der Ausdrucksfähigkeit fehlen. Ähnlich sieht es aus bei den standardisierten Fragebögen, die zur Erfassung der Lebenszufriedenheit zur Verfügung stehen, etwa dem Fragebogen zu Lebenszielen und zur Lebenszufriedenheit (FLL) von Kraak und Nord-Rüdiger (1989) oder dem Fragebogen zur Lebenszufriedenheit (FLZ) von Fahrenberg et al. (2000), der zehn Lebensbereiche erfasst: Arbeit und Beruf, finanzielle Situation, Freizeit, Ehe und Partnerschaft, eigene Kinder, eigene Person, Sexualität, sonstige Kontakte und Wohnung.

Bislang liegen keine Erfahrungen vor, ob sich solche Verfahren auch bei autistischen Menschen anwenden lassen und welche Aussagekraft sie dabei haben können. Weiter unten (S. 175ff) soll noch eine Diskussion angeregt werden, ob und ggf. wie sich Lebenszufriedenheit und Glück bei Menschen mit Autismus anhand objektiver Kriterien ermitteln lassen.

Glücksforschung

Inzwischen hat sich eine ganze Forschungsindustrie etabliert, um der Frage nachzugehen, was Menschen glücklich macht. Ed Diener und Martin Seligman gelten als die Begründer der Glücksforschung. Sie formulierten erstmals die Notwendigkeit, nicht nur zu untersuchen, was Menschen unglücklich und krank macht, sondern auch die Faktoren herauszufinden, die ein glückliches Leben begünstigen.

Seither suchen Wissenschaftler unterschiedlicher Fachbereiche nach Sozialindikatoren, um die Voraussetzungen für Glück und Lebenszufriedenheit möglichst exakt zu bestimmen. Solche Indikatoren sind u. a.:

  Wohnsituation

  Sozialkontakte

  Ehe, Familie

  Haushalt

  Einkommen

  gesundheitlicher Zustand

  Bildungsniveau und Erwerbsstatus (vgl. Stosberg 1994, 108).

Auch die Hirnforschung ist am Thema Glück beteiligt, denn all das, was wir als Glück erleben, entsteht im Gehirn durch ein sehr komplexes Zusammenspiel der unterschiedlichen Hirnregionen und durch körpereigene Botenstoffe, insbesondere Serotonin, Dopamin und Noradrenalin, die deswegen manchmal auch als »Glückshormone« bezeichnet werden (u. a. Walter 2014). Von der pharmazeutischen Industrie zu medizinischen Zwecken hergestellt, werden solche Substanzen als Medikamente etwa bei Depressionen verwendet.

Es ist nachgewiesen, dass das Gehirn mit seinen Aufgaben »wächst«, und zwar ganz im wörtlichen Sinne. Durch gezielte Anforderungen vergrößern sich tatsächlich die entsprechenden Hirnbereiche, um darauf angemessen reagieren zu können. So kann sich das Gehirn u. a. darauf einstellen, auch auf schwierige Situationen und Herausforderungen zu reagieren, sie gut zu verarbeiten und damit klarzukommen.

Das Glücksempfinden selbst scheint altersabhängig zu sein. Zwischen 20 und etwa 35 Jahren erfahren die meisten Menschen einen ersten Höhepunkt, das ist das junge Erwachsenenalter, in dem man frei zu sein scheint von Verpflichtungen und Unsicherheiten. Dann folgt ein »Glückseinbruch« mit einem Tiefpunkt im Alter von etwa vierzig Jahren. In dieser ersten Hälfte des Berufslebens muss eine Existenz aufgebaut werden, nicht alle Hoffnungen und Erwartungen lassen sich erfüllen. Außerdem kommt oft Stress in Partnerschaft und Familie hinzu. Aber schließlich, ein paar Jahre nach der berüchtigten »Midlife-Crisis«, kehrt das Glück langsam zurück, die Menschen werden gelassener und sind nach Ansicht der Forscher kurz vor der Rente wieder so glücklich wie einst mit zwanzig (Raffelhüschen & Güllner 2014).

In anderen Fragen der Glücksforschung sind sich die Wissenschaftler aber nicht einig. So glauben manche, vor allem die Gene seien entscheidend für das Erleben von Glück, andere sind überzeugt, es hänge vor allem von den ganz eigenen Erwartungen ab, also davon, was man sich vom Leben erhofft. Und wieder andere Forscher halten die Lebensumstände oder auch den Zufall für besonders wichtig. Gerade in den letzten Jahren aber haben sie entdeckt, dass Glück und Wohlbefinden in weit geringerem Ausmaß als zunächst gedacht von äußeren Einflüssen abhängen. Viel wichtiger für das Wohlergehen sind erfüllte Erwartungen, gute zwischenmenschliche Beziehungen, ein Ziel im Leben und ein positives Selbstwertgefühl. Heidl et al. (2012) definierten als Determinanten von Lebenszufriedenheit den Gesundheits- und Erwerbsstatus sowie die Häufigkeit von Glücksgefühlen. Sie stellten zudem die Vermutung auf, dass die psychische Gesundheit einen höheren Einfluss hat als die körperliche. Fahrenberg et al. (2000) beschreiben insbesondere den positiven Einfluss einer aktiven Gestaltung der Freizeit (Hobbys, Veranstaltungen, Vereine, körperliche Aktivitäten) auf die Lebenszufriedenheit, und nach Mayring (1991) spielt der Familienstand eine große Rolle, so sind verheiratete oder in einer Partnerschaft lebende Menschen signifikant zufriedener als Alleinstehende. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass diese Signifikanz schwindet, hier zeigten sich in einer festen Beziehung lebende Menschen nur noch leicht glücklicher, allerdings gaben die alleinstehenden Befragten hier an, dass sie ersatzweise viele Freunde hätten und deshalb partnerschaftliche Kontakte nicht vermissten (Hartmann-Wolff & Reinhard 2015).

Sehr wichtig sind auch die Erwartungen, die eine Person an ihr Leben hat. Menschen, die die Möglichkeiten, die ihnen selbst nicht offenstehen, bei anderen erfüllt sehen, hadern offenbar besonders stark mit ihrem Schicksal. Diese Überlegungen wurden schon vor Jahrzehnten als Hypothese formuliert. Erkenntnisse hinsichtlich des Einkommens stützen diese; ab einem Einkommen von etwa 30 000 Euro entsteht plötzlich Raum für unerfüllte Wünsche und Neid – man will noch mehr verdienen, ein noch besseres Auto oder ein ebenso großes Haus wie die Nachbarn haben. Und in Skandinavien sind die Menschen vermutlich auch deshalb so glücklich, weil es hier weit flachere Hierarchien gibt als in anderen Ländern. »Rangordnungen« kennt man hier kaum, die Menschen müssen sich nicht mit den anderen vergleichen, sie können sich als gleichwertig betrachten und fühlen sich deshalb glücklicher.

Insgesamt bezeichnen sich die meisten Menschen der westlichen Länder als glücklich, wenn sie (u. a. Bormans 2012, Frank 2007)

  in einer stabilen Beziehung leben

  nur einige wenige, dafür aber enge und vertraute Freunde haben

  eine angemessene (Aus-) Bildung erlangen können und schließlich eine Arbeitsstelle finden, die ihre Fähigkeiten berücksichtigt und die ihnen Wertschätzung vermittelt

  mit ihrer Arbeit etwas Nützliches tun können

  eigene Ziele haben, selbst Einfluss nehmen können auf die Gestaltung ihres Lebens und einen Sinn in ihrem Dasein sehen

  die Anforderungen des Alltags bewältigen können

  sich selbst als Person akzeptieren und auch von anderen akzeptiert werden

  genug Geld haben, um ihre Grundbedürfnisse zu stillen

  in Gesundheit und Freiheit leben können.

Persönliche Beziehungen

Die Fähigkeit, zu lieben und sich lieben zu lassen, gehört zu den wichtigsten Voraussetzungen für ein glückliches Leben (u. a. Romberg 2011). Freundschaft bietet die Möglichkeit, glückliche Momente zu teilen und von der Unterstützung anderer zu profitieren, wenn es uns nicht gut geht. Freunde geben uns die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, und sie helfen uns, glücklicher zu leben. Menschen mit engen sozialen Kontakten haben wohl deshalb auch einen niedrigeren Cortison-Spiegel (ein Maß für Stress) als Personen, denen dies nicht gelingt.

Experten gehen dabei davon aus, dass der Mensch insbesondere für ein Leben in kleinen, überschaubaren Gruppen geschaffen ist. Nötig sind also nur einige wenige stabile Beziehungen, um glücklich zu sein, um sich sicher und geborgen fühlen zu können. Tatsächlich aber leben immer mehr Menschen in großen Städten, mit vielen eher lockeren Bekanntschaften, aber oft weit entfernt von Familie und Freunden.

Überhaupt ist die Familie von unschätzbarem Wert. Jeder Mensch braucht jemanden, der ihm ein Gefühl von Sicherheit und liebevoller Fürsorge vermittelt, ein Bewusstsein dafür, dass er so akzeptiert wird, wie er ist, mit allen guten und auch ungünstigen Eigenschaften.

Der einzelne Mensch gilt umso weniger, je größer die Gruppe ist, in der er sich bewegt. Viele Angestellte arbeiten in Unternehmen mit Hunderten oder Tausenden Kollegen, sie spüren täglich, dass sie problemlos und jederzeit zu ersetzen sind. Nach Ansicht von Forschern ist das ein sehr entscheidender Punkt. Zu erfahren, dass die eigene Arbeit wertgeschätzt wird, ist ihrer Meinung nach für die Psyche des Menschen überlebenswichtig.

Wenn man nun diese Aspekte analysiert und davon ausgeht, dass das Wohlbefinden entscheidend davon abhängt, tiefe, enge Bindungen zu haben und ein wertgeschätztes Mitglied einer Gruppe zu sein, dann muss man eben auch erkennen, dass die Bedingungen des modernen Lebens menschliches Glück offenbar geradezu verhindern. Forscher fanden jüngst heraus, dass die sozialen Medien ihre Nutzer tendenziell unglücklich machen, da sie dafür sorgen, dass wir uns permanent mit anderen Menschen messen und mit ihnen wetteifern.

Erwartungen

Wer also immer einer Vorstellung vom vollkommenen Glück hinterherjagt, der macht sich leicht unglücklich und kann den eigentlichen Moment immer weniger genießen.

Insgesamt sind gute Beziehungen zur Familie, zum Partner und zu Freunden sehr wichtig für das Empfinden von Glück. Aber die aktuellen Scheidungsraten belegen natürlich auch, dass für sehr viele Menschen dieses Glück nicht ewig anhält. Und auch Kinder sind offenbar kein Garant für ein erfülltes Leben, was oft mit falschen Erwartungen zu tun hat. So kommen etwa viele Menschen, die erst relativ spät Kinder bekommen haben, nicht mit dem Verlust ihrer persönlichen Freiheit zurecht.

Wer aber mit den ganz persönlichen Lebensumständen umgehen kann, der kann auch glücklich werden, auch dann, wenn die Bedingungen ganz objektiv betrachtet nicht die besten sind. Dabei können gerade in schwierigen Zeiten Religion und Glaube hilfreich sein. Aktiv religiöse Menschen fühlen sich signifikant glücklicher als andere und können Krisen besser bewältigen.

Glücklichsein mit Kleinigkeiten

In einer Zeit, in der alles scheinbar immer perfekter, besser und angenehmer werden muss, entdecken viele Menschen ihr Glück neu in den einfachen Dingen. Es gelingt ihnen, sich ganz gezielt Kleinigkeiten zuzuwenden, die sie zutiefst beglücken (vgl. Lechner 2012).

Wichtig dafür ist die Achtsamkeit, die deshalb auch gelehrt wird, um Menschen zu befähigen, wieder mehr im Hier und Jetzt zu leben und ihr Glück im Erleben des Augenblicks zu finden. Ein leckeres Essen, ein angenehmer Duft, schöne Musik, der Anblick von Dingen, die einem ganz persönlich Freude bereiten, eine angenehme Berührung: Mit allen Sinnen können wir Glück erleben, wenn wir aufmerksam dafür sind. Dafür ist eine ruhige Umgebung nötig, die es ermöglicht, sich dem Genuss ganz gezielt hinzugeben. Manche Forscher gehen davon aus, dass das Leben in der Natur die Menschen tatsächlich glücklicher macht als in einem städtischen Umfeld.

Es ist hilfreich, sich immer wieder bewusst an freudige und glückliche Momente zu erinnern. Man fokussiert sich dann auf diese Freude und erlebt sie aufs Neue. Je öfter wir auf diese Weise unsere Aufmerksamkeit für ein paar Minuten auf die guten Momente bündeln, desto mehr stimmen wir unser Gehirn darauf ein, in jeder Lage bevorzugt das Erfreuliche herauszufiltern und wahrzunehmen.

(Aus-) Bildung und berufliche Situation

Insgesamt hat das Ausbildungsniveau der Menschen nur eine begrenzte Wirkung auf ihr generelles Wohlergehen, das Ausmaß der Selbstachtung, die Menschen aus ihrer Arbeit beziehen, scheint aber ihr Glücksniveau doch deutlich zu beeinflussen (Bormans 2012, 183). Wichtig ist, dass das Bildungsniveau den persönlichen Möglichkeiten entspricht, also als stimmig erlebt wird. Menschen erreichen außerdem vor allem dann ein stabiles Hochgefühl, wenn die eigenen Fähigkeiten im Vordergrund stehen und sich die persönlichen Interessen mit den Arbeitsinhalten decken.

Nun gibt es aber auch innerhalb eines Landes sehr ungleiche Ausbildungsbedingungen, was man als ungerecht empfinden und deshalb vermuten könnte, dass diese unterschiedlichen Chancen in vielen Fällen auch die Möglichkeiten begrenzen. In einer Untersuchung mit einer riesigen Stichprobe zeigt sich jedoch: Auch vermeintlich schlechtere Ausbildungsbedingungen können durch das optimale Umfeld kompensiert werden. Man hat herausgefunden, dass für eine erfolgreiche Schulbildung eine motivierende, stimulierende Lernumgebung besonders wichtig ist, vor allem dem Lehrer kommt größte Bedeutung zu (Hattie & Zierer 2014).

Auch die berufliche Stellung scheint keinen besonders großen Einfluss auf das Glücksempfinden zu haben. Wichtige Glücksfaktoren im Hinblick auf Arbeit und Beruf sind jedoch die Wertschätzung am Arbeitsort und die Möglichkeit, selbstbestimmt arbeiten zu können. Das ließe sich in allen Branchen und in jeder beruflichen Position ermöglichen. Außerdem fühlen sich Menschen dann zufrieden, wenn sie bei ihrer Tätigkeit gefordert, aber nicht überfordert sind.

Insgesamt hat die Möglichkeit, einer bezahlten Arbeit nachzugehen, einen ganz entscheidenden Einfluss auf die Lebenszufriedenheit der Menschen. Als einer der größten »Glückskiller« wird dagegen die Arbeitslosigkeit beschrieben, die auch bei bestehender finanzieller Unterstützung einen Verlust von Identität, sozialen Beziehungen und Struktur bedeutet (Fedders 2014). Ein frühzeitiger Ausstieg aus dem Berufsleben führt in der Mehrzahl der Fälle zu keinem Anstieg der Lebenszufriedenheit, demgegenüber sind Personen, die über das 65. Lebensjahr hinaus berufstätig sind, überdurchschnittlich glücklich (Raffelhüschen & Güllner 2014).

Beim Faktor Geld ist man sich unsicher. Früher nahm man an, dass Geld keine Rolle für das Glücksempfinden spielt, inzwischen aber hat man herausgefunden, dass die Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen doch ein wichtiger Faktor ist und vermögende Personen doch etwas glücklicher zu sein scheinen als solche mit geringeren Vermögenswerten. Allerdings scheint ab einem gewissen Einkommen das Glück nicht mehr weiter zuzunehmen. Wichtig ist also insbesondere eine gewisse finanzielle Sicherheit. Existenzängste dagegen stehen dem Glück zweifellos entgegen, so weisen Menschen mit Schulden und ohne jedes Vermögen deutlich niedrigere Zufriedenheitswerte auf (Raffelhüschen & Güllner 2014, Bormans 2012).

Stabilität, aber auch Offenheit für Neues

Um gut leben zu können, ist es wichtig, eine ausreichende Stabilität zu haben. Ein ungefährdeter Arbeitsplatz, eine stabile Partnerschaft, ein sicheres Wohnumfeld und eine gute Gesundheit sind ganz wesentliche Voraussetzungen für ein glückliches Leben. Häufig kommt es vor allem dann zu Krisen, wenn diese Bereiche instabil werden.

Auf der anderen Seite aber gehört aber auch die Offenheit für Neues, für Unterschiede und für andere Menschen und ihre Lebensweisen ganz wesentlich zu den Quellen des Glücks. Hierzu zählen das Interesse und Engagement für andere sowie die Fähigkeit, über den eigenen Tellerrand zu blicken und (kulturelle wie persönliche) Unterschiede als Bereicherung wertzuschätzen. Alles Neue bietet eben auch neue Herausforderungen und Chancen zum Denken, Fühlen und Handeln.

Insgesamt bietet das Leben so viele Möglichkeiten, und jeder einzelne Mensch muss für sich herausfinden, wie weit er gehen kann, wo der für ihn beste Kompromiss liegt zwischen Sicherheit und Stabilität auf der einen Seite sowie Lern- und Veränderungsbereitschaft andererseits.

Eigene Entscheidungen, Erfahrungen und Erlebnisse

Die Möglichkeit, zu wählen und eigene Entscheidungen zu treffen, also gewissermaßen Spezialist für das eigene Leben zu werden, macht glücklich. Dazu gehört auch, diese Entscheidungen dann auch zu akzeptieren und nicht ständig in die Vergangenheit zu blicken. Ein rückblickendes »Hätte ich damals doch nur dieses oder jenes getan« hilft uns nicht weiter. Später ist man immer schlauer, aber die Entscheidungen, die wir im Laufe unseres Lebens getroffen haben, schienen mit der damaligen Erfahrung richtig zu sein. Es ist sinnvoller, nach vorne zu blicken und zu schauen, welche weiteren wichtigen Weichen für das Leben gestellt werden müssen, um gut leben zu können. »Es trägt zum Glücklichsein bei, sich Ziele für sein Leben zu setzen, weil sie eine Richtung und Beschäftigung vorgeben«, betont Meik Wiking, Direktor des Instituts für Glücksforschung in Dänemark. Und dazu gehört es eben auch, sich für den einen oder anderen Weg zu entscheiden.

Das Bedürfnis nach einem Gefühl der Kontrolle über das eigene Verhalten, nach Autonomie und Eigenverantwortung gehört für alle Menschen zu den wichtigsten Anliegen, um glücklich leben zu können. Und auch Emmy Werner ermittelte in ihren Studien, dass Kinder immer dann besonders widerstandsfähig werden, wenn sie schon von klein auf Verantwortung übernehmen müssen (Werner 1992). Dies begünstigt offenbar die Entstehung von Selbstwirksamkeit und Ausdauervermögen, die Kinder erleben schon früh, dass sie mit ihrer Leistung etwas bewirken können, und wagen sich in der Folge auch an schwierigere Anforderungen heran. Die Erwartung, ein Problem lösen zu können, hilft ihnen dabei, die Situation tatsächlich zu meistern. Es ist also falsch, alles Unangenehme von den Kindern fernzuhalten, weil dann das Bedürfnis, selbst etwas zu bewirken, zu kurz kommt. Den Kindern fehlt das Lernen am Erfolg, das sich einstellt, wenn man selber etwas schafft.

Es ist wichtig zu unterscheiden, wann es sinnvoll ist, Hilfe anzubieten, wann andererseits aber ein eigenständiges Ausprobieren besser ist, denn eine psychische Stärke wächst erst durch die Auseinandersetzung mit anderen Menschen und mit Problemen, die es zu meistern gilt. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich die Schwierigkeiten auch wieder legen und nicht zur Katastrophe ausarten.

Forscher raten Glücksuchenden außerdem, lieber Erlebnisse und Ereignisse als Gegenstände zu konsumieren, weil sich gezeigt hat, dass dies glücklicher macht. Die Art der Erlebnisse lässt sich dagegen nicht so exakt definieren, aber neben aller Individualität (einem Menschen gefällt das Bergsteigen ganz besonders, ein anderer liebt das Segelfliegen oder Abenteuertrips durch Wüste und Dschungel) scheint es ganz wesentlich auch auf das Alter anzukommen: Während jüngere Menschen außergewöhnliche Erlebnisse genießen (etwa Hochzeiten, Abenteuer und neue Erfahrungen), finden ältere Menschen ihr Glück eher in den schönen Momenten des Alltags (Zeit mit der Familie, soziale Bindungen, Gewohnheiten). Die Forscher folgern also: Wenn wir jung sind, sollten wir das Außergewöhnliche suchen, denn die Summe dieser Erfahrungen prägt die eigene Persönlichkeit und lässt uns unseren Platz im Leben finden. Wenn wir älter werden, uns selbst und unseren Platz im Leben bereits gefunden haben, sollten wir das Glück erkennen und suchen, das in den kleinen Dingen des Alltags versteckt ist (Bhattacharjee & Mogilner 2014).

Gesundheit und Inklusion

Der Einfluss des Gesundheitszustands auf die allgemeine Lebenszufriedenheit ist enorm, und dabei ist es nicht in erster Linie so, dass Gesundheit glücklich macht; vielmehr macht das Fehlen von Gesundheit unglücklich (Fedders 2014). Deutlich weniger zufrieden als die Gesamtbevölkerung sind in Deutschland lebende Menschen mit schwerer Erkrankung oder Behinderung. Ihre subjektive Lebenszufriedenheit stieg zwar in den letzten Jahren an, doch ist der Abstand zu Menschen ohne Behinderung heute nur unwesentlich geringer als zu Zeiten der Jahrtausendwende. Es zeigt sich also, dass sich politische und gesellschaftliche Bemühungen um eine bessere Teilhabe von Menschen mit Behinderung hinsichtlich der Lebenszufriedenheit noch nicht nachhaltig niedergeschlagen haben (Raffelhüschen & Güllner 2014). Für die geringere Zufriedenheit sind vor allem die begleitenden gesundheitlichen Probleme verantwortlich, aber auch Faktoren wie Einkommen, Arbeit und Familienleben spielen hier eine Rolle sowie das Wissen um die Möglichkeit eines vermeintlich besseren Lebens, das man vielleicht sogar selbst in der Vergangenheit leben konnte und das jetzt so nicht mehr möglich ist.

Es zeigt sich, dass eine verbesserte gesellschaftliche Teilhabe die Lebenszufriedenheit von Menschen mit Behinderung deutlich steigern kann. Grundsätzlich ist Inklusion in hohem Maße erwünscht, es klafft aber eine Lücke zwischen dem Wunsch und der wahrgenommenen Umsetzbarkeit einer inklusiven Gesellschaft. Das Desinteresse und der Egoismus der Umgebung sind hier die größten Hemmnisse. Wesentliche Voraussetzungen auf dem Weg zur inklusiven Gesellschaft sind deshalb der verstärkte Kontakt und Austausch zwischen Menschen mit und ohne Behinderung und ganz objektive Informationen.

Die Lebenswirklichkeit von Menschen mit Behinderung wird von der Gesellschaft nämlich noch immer sehr häufig falsch eingeschätzt. Menschen ohne Behinderung gehen mehrheitlich davon aus, dass sich die Situation von Menschen mit Behinderung in Deutschland in den letzten zehn Jahren stark verbessert hat; die Mehrheit der Betroffenen selbst sieht dagegen keine wesentlichen Verbesserungen oder gar Verschlechterungen.

Lebenssinn

Ganz entscheidend ist die Erfahrung, im Alltag einen tieferen Lebenssinn zu finden und die eigenen Stärken in den Dienst einer höheren Sache stellen zu können, also das »Richtige« zu tun und nicht nur ausschließlich das Angenehme. Das können ein Ehrenamt oder auch lediglich Kleinigkeiten sein, die man mit voller Konzentration deshalb tut, weil sie einem wichtig erscheinen. Glück erfährt, wer versucht, ein Leben aufzubauen, in dem er das tut, was er gut kann, um damit die Lebensqualität anderer Menschen zu verbessern. Eckart von Hirschhausen etwa erklärt, dass Glück für ihn nicht die Hauptsache, sondern das Nebenprodukt eines sinnvollen Lebens ist. Zu tun, was einem entspricht, sich auch auf andere Menschen zu beziehen, nicht nur auf sich selbst, und ständig dazuzulernen – das sind für ihn die Grundbedingungen für ein glückliches Leben.

Was kann man selbst tun, um glücklich zu werden?

Man kann selbst eine ganze Menge dazu beitragen, um sich gut zu fühlen, und oft hilft es dafür schon, nur kleine Dinge zu verändern, etwa im Alltag, in der Umgebung oder am eigenen Verhalten.

Sportliche Betätigung an der frischen Luft schüttet im Gehirn Serotonin, eines der »Glückshormone«, aus, dafür reichen schon ein paar Minuten am Tag. Körperliche Bewegung kann also Glücksgefühle auslösen, sogar leichte Depressionen bessern und Gesundheit und Energie fördern. Die positiven Aspekte von Ausdauersport sind wissenschaftlich am besten belegt, andere Sportarten sind aber ähnlich geeignet. Deshalb werden sie als Begleittherapie für Menschen mit psychischen Erkrankungen immer bedeutender: »Spiel, Sport, aber auch ganz normales Spazierengehen in der freien Natur und gleichzeitig Sehen, Hören, Riechen sind eine Quelle für Freude und Glück. Oft sind unsere Sinne verkümmert und wir müssen diese Dinge erst wieder lernen« (Gödtel 2002, 17).