Glücklich durch Frust - Rüdiger Maas - E-Book
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Glücklich durch Frust E-Book

Rüdiger Maas

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Beschreibung

Viele Kinder sind es nicht mehr gewohnt mit Langeweile, Frust und Rückschlägen angemessen umzugehen. Sie hatten in ihrem jungen Leben auch kaum Gelegenheit, den Umgang damit zu üben, da ihre Eltern sie mit Ablenkungen, Annehmlichkeiten und Fürsorge überschütten, ihnen Hindernisse aus dem Weg räumen oder sie bei drohender Langeweile reflexartig bespaßen. Das tun sie im besten Glauben, "bedürfnisgerecht" zu erziehen und verwechseln dabei echte Bedürfnisse mit Wünschen oder umschiffen schlichtweg den Konflikt mit ihrem Kind. Gleichzeitig bekommen diese Kinder von ihren Eltern häufig eines nicht: ihre ungeteilte Zeit und Aufmerksamkeit, denn um diese Dinge konkurrieren sie mit dem Handydisplay und ziehen dabei häufig den Kürzeren. Mangelnde Frustrationstoleranz, eine gestörte Selbstregulationsfähigkeit, nicht altersgerecht ausgebildete soziale Kompetenzen und ein grundlegend geschwächtes Selbstbewusstsein sind die Folge. Der Psychologe und Generationenforscher Rüdiger Maas zeigt in seinem neuen Buch, wie es gelingt, sich in der Erziehung an wirklichen Bedürfnissen statt an Wünschen zu orientieren, damit Kinder sich ihres Werts und ihrer Fähigkeiten wieder bewusst werden und Eigenschaften wie Resilienz, die Fähigkeit zur Selbstregulation und ein stabiles Selbstvertrauen ausbilden. .  Gleichzeitig erfahren Eltern, wie sie ihr Kind zu digitaler Kompetenz erziehen und ihr eigenes Medien-Verhalten positiv verändern können. So sind sie nicht nur gutes Vorbild, sondern auch ein verlässliches, wirklich verfügbares Gegenüber für ihre Kinder.

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Impressum

© eBook: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

GU ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, www.gu.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Projektleitung: Nikola Teusianu

Lektorat: Sylvie Hinderberger

Covergestaltung: ki36 Editorial Design, München, Daniela Hofner

eBook-Herstellung: Pia Schwarzmann

ISBN 978-3-8338-8941-7

1. Auflage 2023

Bildnachweis

Coverabbildung: Getty Images

Fotos: Institut für Generationenforschung (Autorenporträt)

Syndication: www.seasons.agency

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GRÄFE UND UNZER VERLAG Grillparzerstraße 12 81675 München

»Wir machen heute sehr viel mit unseren Kindern – weit mehr als dies früher der Fall war. […]

Das Mehr an Zeit bedeutet allerdings längst nicht, dass unsere Kinder auch tatsachlich mehr von uns haben. Ganz im Gegenteil: Sie müssen zunehmend um unsere Aufmerksamkeit buhlen. Und […] gerade dies ist für ihre soziale Entwicklung besonders folgenreich. Wir gehen mit unseren Kindern ins Museum, in den Freizeitpark oder begleiten sie zum Fußballtraining. Und ja, wir bleiben auch das ganze Training über vor Ort, jubeln ihnen zu und freuen uns, dass wir ihnen in der Zeit, die wir mit ihnen haben, das Maximale ermöglichen. Würden nur unsere Gedanken nicht immer wieder zu anderen Dingen wandern …

Dieses Buch wendet sich insbesondere an Eltern, die sich – aus nachvollziehbaren Gründen – zunehmend unter Druck gesetzt fühlen, dem jeden Tag gerecht zu werden. Die immerfort überlegen, welche tollen Erlebnisse, welche Highlights, welches Maximum sie ihren Kindern bieten können – und vor allem: wie. Und es wendet sich an alle, die sich enorme Gedanken machen und zuweilen ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie bei all dem mal nicht mithalten können. Für sie soll dieses Buch eine Stütze und Inspiration bieten, künftig womöglich etwas Neues in dem so gefürchteten Satz ›Mir ist langweilig …‹ zu entdecken.«

Vorwort

»Was kann frustrierender sein als Langeweile – und wie soll Frust durch Langeweile uns glücklich machen? Das ist doch ein Widerspruch!«, denkt man intuitiv. »Oder vielleicht doch nicht ganz?«, wenn man kurz innehält. Genau da liegt aber des Pudels Kern: Wann haben wir das letzte Mal innegehalten, einfach mal nichts gemacht oder machen lassen? Wir stehen ständig unter Strom und ziehen nicht selten unsere Kinder in Mitleidenschaft. Die wenige Zeit, die wir mit ihnen haben, wollen wir maximal nutzen. Und dabei merken wir oft gar nicht, wie sehr wir sie mit unter Strom setzen oder uns von ihnen unter Strom setzen lassen.

Nach der Veröffentlichung meines Buchs »Generation lebensunfähig: Wie unsere Kinder um ihre Zukunft gebracht werden« wurde ich von vielen Menschen nach Lösungswegen aus dem beschriebenen Schlamassel befragt. Dieses Buch war als eine »Gegenwartsdiagnose« unserer Gesellschaft gedacht. Denn was aus unseren Kindern wird, ist nicht unwesentlich durch ihre wichtigsten Wegbegleiter:innen, also uns, ihren Eltern, beeinflusst. Ich wollte es daher den Leser:innen offenlassen, ob sie die Kinder, die Eltern oder gar die Gesellschaft mit der Bezeichnung »Generation lebensunfähig« in Verbindung bringen wollten. Ich verstand mich bisher immer als Kritiker: Mir ging es darum, zum Nachdenken anzuregen, indem ich neue Sichtweisen auf die Dinge einnahm.

Etwas Neues zu erschaffen, ist mindestens genauso schwierig, wie etwas zu kritisieren. In mühevoller Arbeit die Bretter für das neue Gartenhäuschen zusammenzutragen, abzusägen, aufzubauen und schließlich in sommerlichem Grün zu streichen, kostet Sie wahrscheinlich zwei bis drei Wochenenden Ihrer Lebenszeit und ist weitaus schwieriger als die ironische Kritik Ihres Partners oder Ihrer Partnerin zu ertragen, das Häuschen sei so schief wie ebensolcher Turm von Pisa. Er oder sie meint es gar nicht bösartig und trotzdem kommt es bei Ihnen vielleicht ein bisschen barsch an, angesichts des schmerzenden blauen Daumens, den Sie sich beim Hämmern zugefügt haben, und der drei Wochenenden, die Ihre anscheinend verzerrte Optik und Ihre zwei linken Hände mit der Erstellung dieses windschiefen Hexenhäuschens verbracht haben.

Also habe ich die Ärmel hochgekrempelt und etwas getan, das ich noch nie getan habe: einen Ratgeber geschrieben. Tatsächlich habe ich selbst auch noch nie ein Gartenhäuschen gebaut. Ich weiß aber, was harte Arbeit bedeutet. Ich habe schließlich selbst Kinder. Und ich weiß, dass die Türme, die wir uns in unseren Gedanken für unsere Kinder erbauen, in der Realität oft ganz anders aussehen. Manchmal sind sie eben auch ein bisschen schief – einfach anders als gedacht. Und das ist auch gut so.

Für den einen oder anderen von Ihnen wird auch dieser Ratgeber nicht ganz perfekt sein. Vielleicht hätten Sie auch das Gartenhäuschen hellblau angestrichen, hätten eine andere Holzart verwendet oder das Fundament betoniert. Aber ganz so einfach ist das nicht. Jede Eltern-Kind-Beziehung ist einzigartig. Und diese Einzigartigkeit kann nicht durch den einen Ratgeber festgeschrieben werden. So wie es eben nicht das eine Gartenhäuschen gibt. Ich zeige Ihnen, wie ich mein Gartenhäuschen, respektive meinen Ratgeber, erstellt habe. Aber Sie müssen entscheiden, was Ihnen davon gefällt, was Sie vielleicht ähnlich machen würden, oder auch, was Ihnen nicht in den Kram passt.

Wenn Sie diesen Ratgeber kritisch gelesen, etwas für sich selbst mitgenommen und das Gefühl bekommen haben, die Beziehung zu Ihrem Kind aus einer anderen Perspektive betrachten zu können, sehe ich meine Aufgabe als erfüllt an. Was ich auf keinen Fall will: Sie zu verunsichern. Sie zu verwirren, anstatt zu helfen.

Verunsicherung der Eltern sehe ich gerade in der Kindererziehung als ein großes Problem an. Wenn wir selbst unsicher sind, übertragen wir das auf unsere Kinder. Mal reagieren wir so, mal ganz anders. Einfach weil wir gehört haben, dass man es auch anders machen kann. Dann schauen wir mal hier nach, mal dort. Und das nur, weil wir denken, dass wir es selbst nicht besser wissen, und uns daher suchend nach Quellen des Wissens und des Rates umsehen.

90 Prozent der Eltern informieren sich über die Entwicklung und Gesundheit ihres Kindes im Netz – das fand eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften heraus, für die 750 deutschsprachige Elternpaare mit Kindern im Alter zwischen 0 und 24 Monaten befragt wurden. Die Studie konnte aber auch zeigen, dass 90 Prozent der Eltern der Meinung sind, dass die Informationen aus dem Netz »nur manchmal« der Wahrheit entsprechen. Da ist sie: die Verunsicherung durch diejenigen, bei denen wir uns eigentlich versichern wollten.

Dabei liegt das Problem nicht in den gut gemeinten Ratgebern, sondern an uns. Wir denken, wir bräuchten sie, um unsere Kinder richtig zu erziehen, und dass uns das ohne sie nicht wirklich gelingen würde. Wir klammern uns an sie wie an einen Ast in einem reißenden Fluss. Doch Wissen aus Ratgebern ist immer ein entlehntes Wissen. Es sind Ratschläge von fremden Personen, die nicht die Einzigartigkeit Ihrer Beziehung zu Ihrem Kind abbilden können. Eigenständig zu rudern oder selbst zu schwimmen, fangen wir so nur selten an. Dabei sind doch gerade wir Eltern die Experten der Erziehung. Wir waren selbst lange genug der Erziehung unserer eigenen Eltern ausgesetzt und wissen, was uns gefallen hat und was nicht. Wir können rückblickend beurteilen, was uns wirklich weitergeholfen hat und wer uns hinderliche Steine in den Weg gelegt hat.

Warum Sie dann genau den Ratgeber brauchen, den Sie gerade in Händen halten? Verstehen Sie ihn als einen Anstoß, um Ihre eigenen Strategien zum Umgang mit schwierigen Herausforderungen in der Erziehung zu entdecken. Seien Sie daher auch nicht enttäuscht, wenn ich Ihnen nicht haargenau sagen kann, wie Sie mit Ihrem Kind umzugehen haben. Das wissen Sie selbst am besten. Aber wenn wir ehrlich sind, hören wir schon lange nicht mehr auf unser Bauchgefühl und machen uns bei allem viel zu viel Druck. Den Druck, den eigenen Kindern permanent etwas bieten zu müssen.

2021 habe ich mit dem Institut für Generationenforschung die Generation-Alpha-Studie in Deutschland und 2022 in der Schweiz durchgeführt, für die über 1000 Pädagog:innen interviewt wurden. Als Expert:innen sollten sie die Kinder in ihren Gruppen und die Eltern dieser Kinder beurteilen – insgesamt über 22 000. Am häufigsten sprachen die pädagogischen Fachkräfte von einer Zunahme an unterschiedlichen »extremen« Erziehungsstilen. Häufig beklagten sie eine immer größer werdende Unselbstständigkeit von Kindern und Eltern: Letztere würden immer häufiger bei den pädagogischen Fachkräften um Rat fragen, wie sie ihre Kinder zu erziehen hätten.

Hat diese Unsicherheit und das Hin und Her auch Auswirkungen auf unsere Kinder? Genau kann man das nicht sagen, schließlich sind wir keine Maschinen, bei denen man bestimmte Erfahrungen hineingibt und dann exakt weiß, welche Eigenschaften herauskommen. Aber immerhin sprachen 32 Prozent der befragten Pädagog:innen von einer Zunahme altersuntypischer Auffälligkeiten bei Kindern, von einer Überforderung der Kinder mit Alltagssituationen und davon, dass Eltern ihren Kindern nicht derem Alter entsprechend begegnen, wodurch diese nicht verstünden, was ihre Eltern von ihnen wollen. Es werde zudem immer schwerer, beispielsweise ein Märchen vorzulesen, ohne die Kinder direkt miteinzubeziehen. Ohne Aktionen seien die Kinder sofort gelangweilt. Vergleiche man die Kinder untereinander, zeige sich außerdem ein immer größerer Unterschied im Entwicklungsstand der Fähigkeiten. Und das, obwohl es alle Eltern richtig machen wollten und es gut meinten?

Ich bin davon überzeugt, dass nicht alles immer perfekt sein muss. Und wenn wir ehrlich sind: Wir wissen, dass niemand und nichts wirklich perfekt sein kann – so wie mein Gartenhäuschen, das sicherlich auch windschief wäre. Das Streben nach der Anleitung zur Perfektion hält uns und unsere Kinder davon ab, wir selbst zu sein. Und sie hält uns auch davon ab, Langeweile und Frust zuzulassen, obwohl die für die kindliche Entwicklung so wichtig sind. Ich möchte Ihnen mit diesem Buch daher vor allem eins: Sicherheit geben. Die Sicherheit, mal wieder loslassen zu können und Ihrem Kind und sich selbst die Freiheit zurückzugeben, Dinge selbst zu entdecken, um daraus Kraft zu schöpfen. Um dieses Sicherheitsgefühl zu stärken, lasse ich in diesem Buch Personen zu Wort kommen, die unterschiedliche Perspektiven auf die kindliche Erziehung haben. Sie alle kommen zu dem Schluss, dass Langeweile und Frust gut für unsere Kinder sind – genau die Dinge also, von denen viele von uns denken, dass sie in der Erziehung tunlichst zu verhindern seien.

Ich habe einige Personen eingeladen, die Ihnen mögliche Welten aufzeigen, und lade Sie ein, mit mir gemeinsam einen vielschichtigen Blick auf Frust und Langeweile zu werfen und dabei wertvolle Erkenntnisse für den Umgang mit unseren Kindern zu gewinnen. Mit Namen und besonderem Dank an die geschätzten Mitautorinnen und Mitautoren:

Dr. Eliane Perret – Sonderpädagogin und Psychologin

Dr. Jan-Uwe Rogge – Verhaltens- und Sozialwissenschaftler sowie Autor, Erziehungsberater und Kolumnist

Dr. Silke Schröckert – Kinderbuchautorin, Moderatorin und Journalistin

Ulrich Hoffmann – Philosoph, Bestsellerautor, Meditations- und Yogalehrer

Corinna Ledig – Erzieherin

Hartwin Maas – Wirtschaftswissenschaftler, Ingenieur und Zukunftsforscher

Jonas – Grundschüler, Abenteurer

Zusätzliche Ideen und Anregungen kamen von:

Prof. Dr. Klaus Zierer – Erziehungswissenschaftler und Ordinarius für Schulpädagogik

Prof. Dr. Werner Michl – Erlebnispädagoge

Clarissa Corrêa da Silva – Journalistin, Moderatorin und Autorin im Kindermedienbereich

Jede Perspektive in diesem Buch ist einzigartig. Und von jeder Perspektive können wir lernen. Ich möchte Ihnen nicht vorschreiben, wie Sie Ihre Kinder erziehen. Ich möchte Ihnen verschiedene Perspektiven präsentieren, die Ihre Erziehung bereichern können. Aber nicht müssen! Auch die besten Ratschläge müssen immer erst auf fruchtbaren Boden fallen. Erziehung ist immer bestimmt durch die persönliche Einstellung zu seinen Kindern und zu sich selbst. In diese Beziehung kann ich nicht hineinsehen und auch pauschale Ratschläge können niemals die Individualität Ihrer Eltern-Kind-Beziehung zum Ausdruck bringen. Kinder sind wie Blumen: Jeder Boden, auf dem sie heranwachsen, ist einzigartig, und nicht jedes Samenkorn kann darauf sprießen. Einige Körner bleiben auf der Erde liegen, andere tragen innerhalb kürzester Zeit Früchte. Wer wüsste besser als die Eltern, was gut für die eigenen Kinder ist?

Dieses Buch versteht sich als Ideen- und Perspektivengeber, um Ihre Eltern-Kind-Beziehung ganz individuell zu bereichern. Sie finden in ihm daher keine Ideen für einen besonders ungewöhnlichen Kindergeburtstag, keine ausgefallenen Freizeitaktivitäten und keine Ausflugstipps für regnerische Sonntage. Denn Ratschläge können persönliche Grenzen verletzen. In ihnen schwingt häufig Tadel mit und nicht selten treffen sie einen wunden Punkt. Gerade dann, wenn man sich bei Kräften schon in der Erziehung bemüht oder dem Kind eben nicht die gleichen Bedingungen bzw. den gleichen Boden bieten kann wie andere Eltern. Ratschläge sind dann wie Schläge. Ohnehin tun wir schon alles, was in unserer Macht steht.

Prolog

Essen vorbereiten, Kinder baden, wickeln, anziehen und medizinisch versorgen, ins Bett bringen, nachts trösten, spielen, lesen, erklären und Hausaufgabenunterstützung: Wir machen heute sehr viel mit unseren Kindern – weit mehr, als dies früher der Fall war. Während im Jahr 1954 Mütter durchschnittlich 54 Minuten pro Tag ausschließlich mit ihrem Kind unter 13 Jahren verbrachten, stieg diese Zahl im Jahr 2012 auf 104 Minuten pro Tag an. Die Zeit, die Väter mit ihren Kindern verbringen, vervierfachte sich von 16 Minuten pro Tag im Jahr 1965 auf 59 Minuten pro Tag im Jahr 2012.

Das Mehr an Zeit bedeutet allerdings längst nicht, dass unsere Kinder auch tatsächlich mehr von uns haben. Ganz im Gegenteil: Häufig müssen sie zunehmend um unsere Aufmerksamkeit buhlen. Und wie ich später zeigen werde, ist gerade dies für ihre soziale Entwicklung besonders folgenreich. Wir gehen zwar mit unseren Kindern ins Museum, in den Freizeitpark oder begleiten sie zum Fußballtraining. Und ja, wir bleiben auch das ganze Training über vor Ort, jubeln ihnen zu und freuen uns, dass wir ihnen in der Zeit, die wir mit ihnen haben, das Maximale ermöglichen. Würden nur unsere Gedanken nicht immer wieder zu anderen Dingen wandern …

Dieses Buch wendet sich insbesondere an Eltern, die sich – aus nachvollziehbaren Gründen – zunehmend unter Druck gesetzt fühlen, dem jeden Tag gerecht zu werden. Die immerfort überlegen, welche tollen Erlebnisse, welche Highlights, welches Maximum sie ihren Kindern bieten können – und vor allem: wie. Und es wendet sich an alle, die sich enorme Gedanken machen und zuweilen ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie bei all dem mal nicht mithalten können. Für sie soll dieses Buch eine Stütze und Inspiration bieten, künftig womöglich etwas Neues in dem so gefürchteten Satz »Mir ist langweilig …« zu entdecken. Denn gerade in der Langeweile kann sich eine enorme Kraft verbergen.

Versuchen wir dagegen, die Langeweile unserer Kinder ständig schon im Keim zu ersticken, werden wir zu Mit-Akteuren und sind womöglich am Ende selbst schuld, wenn sich der Nachwuchs langweilt. Außerdem besteht die Gefahr, dass sich unsere Kinder womöglich immer noch schneller langweilen, vor allem wenn der externe Stimulus fehlt – was heißt: sobald wir aufhören, mit ihnen gegen diese Langeweile zu kämpfen. Denn mal Hand aufs Herz: Es ja nicht unsere Langeweile, gegen die wir »gemeinsam« ankämpfen. Trotzdem sind wir schnell die Hauptverantwortlichen und »Mir ist langweilig« heißt dann nichts anderes als: »Entertaine mich, ich brauche neue Reize!«

So begeben wir uns in eine Spirale von immer weiteren Entertainment-Aufrufen. Und geht es einfach einmal nicht, sind es eben das Handy oder das Tablet, die zur Bespaßung herhalten. Der Druck, die Langeweile zu bekämpfen, wird durch die Erwartungshaltung in den Augen unserer Kinder noch verstärkt. Wir machen sie schlichtweg »stimulationsabhängig«, wie der dänische Familientherapeut Jesper Juul es bezeichnet. Fehlen diese externen Stimulationen durch uns, geht Juul sogar so weit, von Entzugserscheinungen zu sprechen. Am Ende beschreibt er suchtähnliche Verhaltensweisen. Eine sich immer weiterdrehende Spirale aus »Mir ist langweilig« und »Mama oder Papa sorgt dafür, dass dies aufhört«. Und schaffen sie das nicht selbst, dann muss eben YouTube herhalten …

Dem zu entkommen, ist gar nicht so einfach. Wer möchte schon wirklich, dass sich Kinder langweilen? Doch genau da sollten wir ansetzen. Tatsächlich sind sich nämlich nahezu alle Pädagog:innen einig und empfehlen: »Lassen Sie Ihre Kinder sich auch mal langweilen!«

Unsere Kinder werden durch die Langeweile zunächst eine »unangenehme« innere Unruhe verspüren. Sie gründet darin, dass sie in dieser Situation eine Balance finden müssen zwischen dem Konsumieren externer Reize und ihrer eigenen inneren Kreativität. Gibt es nichts Unmittelbares, wie z. B. ein neues Spiel oder einen anderen neuen Reiz, spüren sogar schon die Jüngsten, dass diese Unruhe oder Langeweile nicht einfach zu beseitigen ist.

Wenn ein Kind sagt, ihm sei langweilig, und die Eltern daraufhin sofort mit einen Vorschlag kommen, was es machen könnte, wird es diese Idee zunächst zurückweisen. »Würden die Eltern dagegen nur ein paar Minuten warten, könnten sie feststellen, dass sich das Kind bereits wieder in etwas vertieft hat. Aber genau dieses Abwarten fällt Eltern im Alltag oft sehr schwer.

Dabei sollten wir immer im Hinterkopf behalten: Langeweile kann der Schlüssel zur inneren Balance sein, und das unabhängig vom Alter des Kindes. Ist die beschriebene Unruhe nämlich vorbei, kann sich die Kreativität oder die eigene Fantasie entfalten. Hierbei kann das Kind Selbstverwirklichung lernen.

Für Kinder ist es ungeheuer wichtig, ihrer eigenen Kreativität zu folgen. Dadurch benötigen sie keine äußeren Anreize, kein ständiges Loben und Zusprechen. Sie machen es vielmehr, weil sie es selbst gut finden. Die hierbei entfesselte Fantasie ist von enormer Bedeutung, um den eigenen Selbstwert zu fördern. Denn nun hat das Kind etwas aus eigener Kraft, ohne Zutun, quasi aus dem Nichts erschaffen. Wie stolz ist es jetzt, wenn wir es loben! Bis es aber zu diesem Punkt kommt, müssen wir es auch machen lassen. Es ist okay, sich hier zurückzuziehen, um dem Kind die Chance zu geben, selbst in das vertiefte Spiel, in ein vertieftes Malen oder Basteln zu kommen. So kann es zurückblicken und sagen: »Mama, Papa, ich habe das ganz alleine gemacht.« Das macht stolz. Das Kind erlebt sich als wirksam, als fähig, seine Umwelt nach eigenen Vorstellungen zu verändern. Bestenfalls steigert sich so das kindliche Selbstwertgefühl, wie wir später noch sehen werden.

Wir müssen also lernen, wann es Zeit ist, sich etwas zurückzuziehen, und unsere Kinder einfach machen lassen. Und ja, Rückschläge gehören dazu. Natürlich wird Ihr Kind öfter nachfragen, ob Sie helfen können. Aber: Je mehr Sie helfen und unterstützen, desto geringer kann das Gefühl des Stolzes sein, wenn Ihr Kind Ihnen das gemalte Bild, das gebastelte Schiff oder die Höhle aus Decken zeigt. Zumal wir Erwachsenen oft auf einer ganz anderen Ebene ansetzen, einsteigen oder mitmachen würden. Wir würen vermutlich beim Malen andere Farben wählen, beim Schiff-Basteln ein anderes Papier verwenden oder die Höhle ganz anders konzipieren. Dadurch jedoch entspränge das Ergebnis UNSERER Fantasie und, ja, wir würden wieder Teil der Langeweile-Bekämpfung sein.

Das bedeutet, dass wir lernen müssen, die Langeweile unserer Kinder auszuhalten, uns zurückzunehmen, uns selbst Zeit zu geben und auch einem kleinen Jammern standzuhalten. Weil wir unsere Kinder stärken wollen, indem wir IHREN Selbstwert fördern, nicht unseren. Klar: Wie überall im Leben gibt es auch hierbei Grenzen, erzwingen kann man das nicht – auf beiden Seiten. Probieren Sie einfach aus, wie es Ihnen und Ihrem Kind damit geht, aber geben Sie sich beiden die Chance, solche Erlebnisse so oft wie möglich zu erleben. Denn Kinder, die sich gelegentlich langweilen, werden auf lange Sicht eine größere innere Ruhe spüren, die ihre Kompetenzen fördern kann.

Und noch ein Wort zur Frustration

Kennen Sie das? Sie buchen eine Reise und sehen sich im Vorfeld die Reisebilder an: wunderschöner Strand, schickes Hotel, strahlende Menschen, tolles Essen … Urlaub pur! Dann ist es endlich so weit. Sie kommen an. Der Strand sieht irgendwie anders aus – so viele Motorboote waren auf den Fotos nicht zu sehen. Das Hotel hat seine besten Tage bereits hinter sich. Von Ihrem Zimmer aus hören Sie eine laute Schnellstraße … Dabei hatten Sie es sich alles so schön vorgestellt. Aber Sie haben sich ganz offensichtlich getäuscht. Das kann frustrieren – im wahrsten Sinne des Wortes: Frust kommt vom lateinischen frustratio, was übersetzt die Täuschung einer Erwartung beschreibt. All die Zeit, die Sie für die Planung Ihres »perfekten Urlaubs« investiert haben: umsonst! Auch diese Bedeutung ist mit Frust verbunden: Das lateinische Wort frustra etwa heißt so viel wie »vergeblich«. Ärzt:innen nutzen das Wort »frustran« heute noch, um einen Misserfolg in der Therapie oder das Ausbleiben eines positiven Effekts zu beschreiben.

Frustration, so viel haben wir gelernt, fühlt sich ausgesprochen unangenehm an. Wieso soll also nun gerade sie unsere Kinder glücklicher machen? Eins vorweg: Gerade die Jüngsten in unserer Gesellschaft scheinen zunehmend an einem Glücksdefizit zu leiden. Die unglücklichsten Menschen in Deutschland sind laut Glücksforscher:innen gegenwärtig Kinder und Jugendliche, wohingegen die Glücklichsten vor allem den über 60-Jährigen zugerechnet werden können. Woran liegt das?

In den vergangenen Jahren meiner Tätigkeit als Psychologe, Generationenforscher und – nicht zuletzt – als Vater haben sich für mich zwei Tendenzen herauskristallisiert, die das Heranwachsen von Kindern der sogenannten Generation Alpha zunehmend prägen. Auf der einen Seite scheint ein Großteil der Eltern innig darum bemüht, ihren Kindern ein glückliches Leben zu ermöglichen. Klar: Es tut weh, die eigenen Kinder traurig zu sehen. Ihr Gesicht zu bemerken, wenn die Höhle aus Decken, die in ihren kleinen kreativen Köpfen dem schönsten Haus glich, in sich zusammenstürzt. Wie herzerwärmend dagegen klingt ein Kinderlachen – gerade dann, wenn stolz zur Teeparty im eigenen Deckenhaus geladen wird. Ja, wir wollen helfen, jeden Tag zu einem schönen Tag zu machen. Einem Tag voller Spaß. Langeweile und Frust haben hier keinen Platz. Doch andere Menschen vorm Unglücklichsein zu schützen, funktioniert nicht – auch nicht bei den eigenen Kindern. Glück muss intrinsisch motiviert sein, aus einem selbst kommen. Glück lässt sich nicht erzwingen.

Auf der anderen Seite müssen sich Kinder zunehmend Sorgen stellen, die nicht ihre eigenen sind – genauer: unseren Ängsten, Befürchtungen und Grübeleien. Ja, wir machen uns Sorgen. Wir wissen: Diese Welt ist zuweilen ein gefährlicher Ort. Sie hält mehr bereit als aufgeschlagene Knie. Verständlich, dass wir die Kleinsten unserer Gesellschaft davor bewahren wollen. Psychologisch betrachtet kann dies jedoch zum Problem werden, denn mit der Zeit übernehmen die Kinder die Sorgen ihrer Eltern und sind gleichzeitig wenig resistent gegenüber all jenen Stressfaktoren, die ihnen nicht aus dem Weg geräumt werden konnten.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Emotionen zu zeigen, ist unglaublich wertvoll und auch Eltern sind keine Superheld:innen. Müssen sie auch gar nicht sein. Doch als Menschen reifen wir an den Hürden, die wir überwinden müssen. Und Gefahren begegnen uns schließlich trotzdem, auch eingeredete Gefahren. In der Folge sind Kinder daher häufig gefrustet, aber eben nicht glücklich.

Ist Frust also das Gegenteil von Glück? Nun, wie bei den meisten Dingen kommt es wohl auch hier auf die gesunde Mischung an … Bleiben Sie daher entspannt, wenn Ihr Kind auf Sie zukommt mit dem Satz »Mama (bzw.: Papa), mir ist sooo langweilig!«. Freuen Sie sich sogar über diese Situation, nehmen Sie Ihr Kind in den Arm und sagen Sie: »Ich bin schon sehr gespannt, was du daraus Interessantes machen wirst.« Natürlich können Sie auch unterstützen, aber eben nicht vordergründig als Ideengeber:in, sondern als helfende Hand. Sie könnten beispielsweise ebenfalls in die Höhle kriechen, die Burg besuchen und so Ihr Kind in seiner Fantasie unterstützen. Wichtig ist, dass all die Ideen von Ihrem Kind kommen, von innen heraus, und keine Abfolge von Vorgaben Ihrerseits sind. Wenn Sie das beherzigen, eröffnet sich Ihnen und Ihren Kindern eine Welt ungeahnter Möglichkeiten.

Die Welt unserer Kinder und die Verunmöglichung der Langeweile

Am Mittwochabend packt Julia bereits die Taschen für den Kindergarten. Schließlich soll morgen alles glatt laufen, an Matteos fünftem Geburtstag – die letzte Geburtstagsfeier im Kindergarten, sie soll in Erinnerung bleiben. Julia hakt die Checkliste ab: Bis auf das Geburtstagsessen und die kleinen Geschenke für die Geburtstagsgäste ist alles bereits vorbereitet. Ihr Mann Stefan steht gerade noch in der Küche und vollendet die Geburtstagstorte. Auf Pinterest hatte er sich bereits letzte Woche zu besonderen Kindergeburtstagstorten inspirieren lassen. »Besonders und vegan zugleich«, so sollte sie sein. Eine Baustellentorte außerdem, mit Bauarbeitern, einem Kran, der eine Grube aushebt, und Baustellenfahrzeugen. Während Stefan nach vier Stunden Back- und Dekorationsarbeit stolz mit der Torte ins Wohnzimmer schreitet, um sie Julia zu präsentieren, bindet die gerade die Geschenktütchen für die anderen Kinder so an kleine Pappfiguren in Form eines Fuchses, dass sie wie die Bäuche aussehen. Die kleinen niedlichen Stehfiguren hatte Julia vergangene Woche auf dem Instagram-Profil einer Freundin gesehen und Matteo wollte dann unbedingt auch solche. Matteo sitzt übrigens gerade im Wohnzimmer und platzt nahezu vor Aufregung, wenn er die geheimnisvoll immer wieder in Küche und Wohnzimmer verschwindenden Eltern im Gang umherhuschen sieht. Stefan hatte ihm erlaubt, drei Folgen Leo, der Lastwagen anzuschauen, um die Zeit zu überbrücken, in der Julia ihre Bastelarbeiten vollendete. Da sich die Befestigung der Tütchen als eine langwierige Arbeit mit Fingerspitzengefühl entpuppt hatte, schaltete Julia Matteo dananach noch eine Folge PAW Patrol ein.

»Jetzt aber ab ins Bett«, ruft Julia, als sie endlich mit den Basteleien fertig ist und die Füchslein auf der Kommode bei der Haustüre drapiert hat. Sie begleitet Matteo auf dem Weg ins Badezimmer. Während sie ihm die Zähne schrubbt – das macht Matteo alleine noch gar nicht gut –, darf er sich auf Stefans Tablet noch einen zweiminütigen Zahnputzsong ansehen. Und dann geht es ab ins Bett.

Nach dem gemeinsamen Frühstück am nächsten Morgen, bei dem es ausnahmsweise Schokoladenkuchen gab, macht sich Stefan, »bewaffnet« mit den Geschenken für die anderen Kinder und der Baustellentorte, auf den Weg in den Kindergarten. Mist! Tasche vergessen! Die hatte Julia gestern doch extra für das Kinderturnen gepackt. Also dreht Stefan noch einmal um. Kurz vor der letzten Kurve zum Haus kommt ihm bereits Julia mit dem Auto entgegen. Beide lassen das Fenster herunter und Julia drückt ihm den Turnbeutel in die Hand. Blöd! Jetzt quengelt auch noch Matteo auf dem Rücksitz. Stefan reicht ihm sein Tablet nach hinten. Da klingelt es auch schon in der Freisprechanlage durch: »Guten Morgen, Herr Müller, Sie haben ja sicherlich die Unterlagen für das Meeting um zehn Uhr dabei?«, ertönt die Chefin und hinterlässt bei Stefan das ungute Gefühl, noch irgendwas zu Hause vergessen zu haben. Er kann jedoch gerade keinen klaren Gedanken fassen, weil der Trailer von Leo, der Lastwagen durch das Auto schallt. »Mach das Ding leiser, Matteo«, zischt Stefan, während er seiner Chefin stammelnd versichert, die Unterlagen bis zehn Uhr zu beschaffen.

Vom Kindergartenparkplatz aus darf Matteo selbst zur Türe laufen, während Stefan Torte, Geschenke und Turnbeutel hinterherbalanciert. Da sieht er, wie Matteo vor lauter Vorfreude stolpert und hinfällt. Als Matteo den Kratzer an seinem Knie sieht und dann auch noch, dass seine neuen Schuhe, die er von Tante Petra bekommen hat, an der Spitze angeschlagen sind, brechen alle Dämme. Er ist untröstlich. Zum Glück eilt die Mutter von Sarah herbei und nimmt Stefan die Torte, die Geschenke und den Turnbeutel ab. Sarah rennt die Treppenstufen zur Kindergartengruppe nach oben und besorgt ein Pflaster für Matteo. Auf das Kinderturnen nach dem Kindergarten hat der nun aber keine Lust mehr, der Kratzer tue ihm schon weh, wenn er Treppen steigt, offenbart er Stefan. Also bemüht dieser sich nach der Verabschiedung gleich um Tante Petra, damit sie am Nachmittag als Kinderbetreuung einspringt.

Das Multitasking-Märchen

Stefan hatte die Unterlagen für das Meeting um 10 Uhr schließlich doch nicht dabei. Und dabei kann er nicht einmal etwas dafür: Denn die Aufmerksamkeit von Menschen ist begrenzt. Auf das Smartphone schauend eine WhatsApp zu beantworten und parallel mit unserem Kind zu sprechen, sollten wir aus vielfältigen Gründen vermeiden. Ein Grund dafür ist, dass unsere Mimik nicht adäquat ist. Gedanklich bei der WhatsApp-Nachricht und im gleichen Maße beim Kind und dessen Anliegen zu sein, ist schlicht nicht möglich. Und zudem sind wir schlechte Vorbilder. Wie wollen wir unseren Kindern sagen, sie sollen das Tablet oder Smartphone weglegen, wenn wir selbst ständig eines benutzen?

Wir alle (Eltern und Kinder) haben nur ein bestimmtes Maß an Aufmerksamkeit und wenn dieses erschöpft ist, rauschen die Eindrücke mehr oder weniger an uns vorbei. Als die Chefin anrief, war Stefan damit beschäftigt, das Auto sicher durch den Verkehr zu lenken, während er gleichzeitig versuchte, den überlauten Trailer von Leo, der Lastwagen auszublenden und Matteo für die Lautstärke zu maßregeln. Seine Chefin bekam also längst nicht seine volle Aufmerksamkeit. Das Gleiche gilt auch für Stefan, der nicht die volle Aufmerksamkeit von Matteo bekam, als er ihn maßregelte. Der war ja damit beschäftigt, Leo, den Lastwagen bei seinen Abenteuern zu beobachten. Die Aufmerksamkeit des Menschen ist eben nicht teilbar. Wir sind nicht multitaskingfähig, auch wenn viele hartnäckig die Existenz dieses Märchens verteidigen. Was bedeutet das für die Erziehung und das Leben mit unseren Kindern?

Kinder bekommen es mit, wenn Eltern nicht ganz bei der Sache sind. Wenn Matteo unbedingt spielen will, Julia aber gerade ein Meeting im Homeoffice hat, merkt er es, wenn sie schnell mit ihm ein Bilderbuch durchblättert, während sie im Augenwinkel die Ansprache ihrer Teamleiterin beobachtet. Das nennen Psycholog:innen den »Cocktailparty-Effekt« (Mangold 2007, S. 81 f.). So wie man es bei einer Cocktailparty schafft, mit dem Gegenüber ein Gespräch zu führen und gleichzeitig den Gesprächen am Nachbartisch zu lauschen, so schafft es Julia, Matteo eine Geschichte vorzulesen, während sie der Teamleiterin zuhört – jedoch immer nur mit halbem Ohr. Sie ist also bei beidem nicht richtig dabei.

Kinder brauchen unsere ungeteilte Aufmerksamkeit

Für Kinder ist Aufmerksamkeit das Hilfsmittel, mit dem sie die Welt erkunden oder sich mitteilen. Sind sie aufmerksam, können sie die äußeren Reize, die auf sie einströmen, und die inneren Reize, die ihr eigener Körper sendet, wahrnehmen und verarbeiten. All das brauchen sie für ihre Entwicklung, um sich selbst kennenzulernen und um zu lernen, sich in ihrer Umwelt zurechtzufinden. Aufmerksam zu sein bedeutet für sie auch, konzentriert zu sein, ihren Fokus auf etwas in ihrer Umgebung zu richten. Das zeigt sich sogar am Herzschlag: Wissenschaftler:innen konnten herausfinden, dass sich in Momenten der Aufmerksamkeit der Herzschlag verringert.

Matteos Aufmerksamkeit wird immer wieder wie magisch von den digitalen Geräten seiner Eltern angezogen. Das Smartphone und das Tablet seiner Eltern findet er einfach spannend. Kriegt er endlich selbst eines in die Finger, blickt er wie gebannt auf den Bildschirm und verfolgt das Geschehen. Seine volle Aufmerksamkeit schenkt er dann, so wie im Auto, den Filmen und Serien, die er sieht, nicht aber seiner Umgebung oder seinem Vater, der ihn wie eben anweist, den Ton etwas leiser zu drehen.

Auf Dauer ist das kein guter Zustand für ein Kind. Stellen Sie sich nur einmal vor, Sie reisen in ein fremdes Land, z. B. nach Nordafrika oder Vorderasien, steigen aus dem Flieger, durchqueren den Flughafen, fahren in die Innenstadt und stehen dort auf dem Marktplatz. Da Sie gegebenenfalls die Sprache nicht kennen, beobachten Sie zunächst das geschäftige Treiben an den Marktständen: wie die Markthändler die Kunden begrüßen, wie sie miteinander sprechen, wie sie die Ware präsentieren und wie sie sich voneinander verabschieden. Und bei Ihrem nächsten Einkauf versuchen Sie es dann ähnlich zu machen. In der Psychologie nennt man das soziale Wahrnehmung: Wir beobachten die Interaktion von Menschen und lernen daraus für uns. Genauso macht es auch Matteo: Vom Esszimmer aus hat er gestern Abend seine Eltern beobachtet, die immer wieder durch den Gang huschten, und er sah auch, dass seine Mama die Bastelaktion einmal unterbrechen musste, weil sie einen Anruf bekam. Beim Telefonieren lief sie im Flur auf und ab. Er hörte, wie sein Vater einmal aus der Küche ging, nachdem sein Laptop »Bing« gemacht hatte, und anschließend das Klappern der Laptoptastatur. Dieses Ding muss also wichtig sein. Wie toll, dass ihm Papa, als er heute Morgen im Auto quengelte, weil der ihm nicht seine Fragen zu dem schwarz-weißen Hund beantworten wollte, den er gerade gesehen hatte, sein Tablet in die Hand drückte.

Kinder brauchen die ungeteilte Aufmerksamkeit der Erwachsenen. Biologisch ist es sogar sehr sinnvoll, dass Kinder um die Beachtung ihrer Eltern buhlen. Denn Eltern sind diejenigen, die den Kindern Nahrung, Bindung und Sicherheit geben können. Was es bedeutet, wenn Eltern ihren Kindern nur die geteilte oder gar keine Aufmerksamkeit geben, zeigt das sogenannte Still-Face-Experiment. Werden Kleinkindern die Blickkontakte und Beachtung ihrer Eltern verweigert, beginnen sie, energisch um deren Aufmerksamkeit zu kämpfen. Sie versuchen, Blickkontakt aufzunehmen, geben Laute oder Worte von sich und bewegen sich. Sie empfinden Stress und werden unruhig. Beruhigung verschafft ihnen erst der Moment, in dem sich die Eltern ihnen wieder zuwenden.

Das kindliche Gehirn befindet sich noch in der Entwicklungsphase und verarbeitet daher emotionale Erlebnisse intensiver als das erwachsene Gehirn. Und je nachdem, wie die Erlebnisse verarbeitet werden, gestalten sich auch die Spuren aus, die sie im Gehirn hinterlassen. Wenn der Blickkontakt zur Bezugsperson fehlt, so die Forscher, hat dies in den ersten drei Lebensjahren einen negativen Einfluss auf die Entwicklung seines Gehirns. Kinder, die hier vernachlässigt werden, haben ein höheres Risiko, später einmal psychisch zu erkranken. Auch ist es wahrscheinlicher, dass ihnen die Interaktion mit anderen Menschen schwerfallen wird. Es bereitet ihnen dann Schwierigkeiten herauszufinden, was andere Menschen denken oder fühlen.