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Eine Quarantäne mit späten Folgen. Mailin hat ein Kind, Hendrik ist der Vater und hat keine Ahnung. Ein Jahr später finden sie sich wieder und er fällt aus allen Wolken. Zuerst weich, dann hart, dann fröhlich und feucht. Es ist dringender denn je zuvor. Mailin landet in Frankfurt, Hendrik auf dem Boden der Tatsachen, Shenmi landet im Paradies und Jahzen landet wie immer weich. Wo landet Bao? Ist er ein erwartetes Opfer oder ein unerwarteter Retter? Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Zu mir oder zu dir? Mudanjiang oder Mützenich, wer entscheidet? Eine Sekunde ist seit dem Glüxfall vergangen und als die Kommunistische Partei Verrat wittert, gerät die Familie in Bewegung. Die Triaden geraten ins Trudeln, die kleine Schwester hat einen Herzenswunsch, Mailin ist vorerst glücklich und Hendrik macht wie immer das, was er am besten kann. Mailin, autistisches Mathegenie aus China, ist ein Lockdownopfer und hat in der Quarantäne mehr bekommen als erwartet. Das Kind ist da und nun? Sie sucht den Vater in Deutschland. Das Wiedersehen nach einem Jahr ist so überraschend wie tränenreich. Der Blitz schlägt erneut ein und es wird mit allen Sinnen gefeiert. Doch bald steht man vor dem Ernst des Lebens. Entscheidungen müssen gefällt werden, Reisen vorbereitet und das im Jahr 2021. Ohne es zu ahnen, hat Hendrik auf einen Schlag eine Familie. Dass er mit den Triaden verbandelt ist, kommt erst Stück um Stück ans Licht. Das hätte er sich vorher überlegen sollen. Nun hängt er mittendrin. Zwischen seiner Mailin, ihrer kleinen Schwester und dem, der über allem thront, dem Drachenmeister. Wie wird der reagieren? Sein Enkel ein halber Deutscher! Einmal auf der Flucht spitzt sich die Lage zu. Tausende Kilometer Ungewissheit bis zur Grenze. Schlechte Nachrichten und gute Neuigkeiten im Wechsel wirbeln die Familie um die halbe Welt. Als alle endlich sicher sind und sie zur Ruhe kommen, bricht eine Katastrophe über sie herein. Ein Ereignis, welches die Wahrheit ans Licht bringt. Wahrheit, die viele Wochen lang nur rumorte. Wünsche sind nicht immer fromm und was in Erfüllung geht, ist nicht immer gottgewollt. Man weiß nicht, wie es am Ende ausgehen wird. Aber am Ende weiß man es.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
verschlungene Pfade der Liebe
L'édition libertine
Frankfurt am Main
Deutschland
Da sind wir wieder zusammen, schön, dass du es zu mir und der ›Familie‹ geschafft hast. Mailin, Hendrik, Shenmi, Bao und ein paar andere haben hart gearbeitet, viel gefeiert und einiges erlebt, um dir hier wieder zu begegnen. Es geht nahtlos weiter und verspricht von allem mehr: Mehr glänzende Augen, mehr Feuchtigkeit ebenda, mehr Feuchtigkeit auch andernorts (natürlich!), mehr Begehr und Verwirrung. Es wird zärtlich und deftig, unsachlich und saftig. Eine Überraschung jagt die nächste, also alles klar! Und diejenigen, die den ersten Teil nicht kennen. Kein Ding, den kann man später noch nachlesen, denn die Reihenfolge existiert nur, spielt aber keine Rolle.
Alle Personen des Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und sind keinesfalls beabsichtigt. Die meisten der erotischen Begebenheiten sind hingegen tatsächlich passiert. Gott sei Dank.
Mit den Masken ist es so, wie mit den Kondomen. Man weiß, dass sie in bestimmten Situationen schützen. Das heißt aber nicht, dass ich sie ständig erwähnen muss. Wem der Roman zu maskenarm oder kondomlos ist, kann sich ja beim Lesen welche aufsetzen oder drüberrollen.
Am Ende des Buchs existiert ein Glossar, also falls du etwas nicht kennst, ist das Glossar im Zweifelsfall näher als eine Suchmaschine. Amüsanter ist es auf jeden Fall, denn eine Suchmaschine hat nur den Humor, den jemand programmiert hat. Aber nicht aus Versehen das Ende lesen, das wäre das Ende.
Mailin – (6M) Mailins Milch mästet maßloses Michelinmännchen.
Hendrik – hat eine Mission, einen Sohn, einen Fetisch und viel Glück.
Shenmi – tut alles für und wartet auf einen dicken Bauch.
Biyu – liebt den Koch und verliert den Job ihres Lebens.
Apotheke – macht eine äußerst offenbarende Entdeckung.
Yanzhou – kann zwar Französisch, aber mit der Sprache hapert’s.
Xin Liu – ist ein verlorener Posten.
Constanze – hat immer mehr Geld und wird gleichzeitig ärmer.
Bao – ist loyal bis zur Selbstaufgabe und bestraft gerne.
Ju’gen – der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.
Hans Wollschmidt – ist nicht James Bond, bleibt aber cool.
Drachenmeister – seine Zeit läuft wie die Zeit eines jeden irgendwann ab.
Jahzen – für ihn wurde das Wort Wonneproppen erfunden.
Mia – hat sich verrechnet, kommt voll auf ihre Kosten.
Gernsbach, Deutschland, Dienstag, 1. Mai 2022
Mailin ist fast am Ziel. Jetzt muss sie Hendrik nur noch finden. Und dann? Sie steht am Mietwagenschalter im Frankfurter Flughafen in der Schlange. Sie hat weder einen Plan noch einen Plan B. Wenn sie ihn kennen würde, könnte sie Bertold Brechts Gedicht zitieren:
Ja, mach nur einen Plan!
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch ’nen zweiten Plan,
Gehn tun sie beide nicht.
Das hat Ju’gen vergessen ihr zu sagen. Dass ausgerechnet jemand, der dem Kommunismus nahestand, einen flammenden Appell gegen den Plan verfasst hat, also auch gegen die Planwirtschaft, ist ein Treppenwitz der Geschichte. Mailin ist Chinesin und planlos optimistisch. Im Geiste Brechts Schwester. Die erste Bewährungsprobe ist die Frau am Schalter, die sie selbstverständlich auf Englisch anspricht. Dabei sieht sie entschuldigend auf den leeren Platz neben sich. Auf dem Schalter dort steht eine chinesische Flagge. Lernten die Deutschen jetzt schon Mandarin? Mailin sagt der Frau auf Deutsch, dass sie für zwei Wochen einen Mietwagen braucht. Mit Automatikgetriebe. Auch ein Tipp von Ju’gen, der sagte, schon eine Sache weniger, um die sie sich kümmern müsste.
Die Frau am Schalter ist ausgesprochen freundlich und lobt Mailin, wie gut sie Deutsch spricht. Es sei ihr eine Ehre, dass sie bei ihnen Kundin sein möchte. Mailin fragt sich, warum jemand in Frankfurt Chinesisch sprechen will. Allerdings wirkt die Frau am Schalter arglos. Aus China kennt sie derlei Floskeln, sie prägen dort jedes Gespräch. In Deutschland ist es anders. Sagt man. In Deutschland war sie ein Jahr zuvor schon einmal, allerdings ohne ein Wort zu verstehen. Damals hat sie eine andere Sprache gelernt und immer wenn sie an die Lektionen denkt, wird sie wehmütig.
Hendrik war ihr Lehrer. Kaum denkt sie an ihn, spürt sie sehnsuchtsvolles Ziehen im Unterleib. Ob es gerade passend ist oder, wie jetzt, unpassend. Natürlich darf man am Mietwagenschalter erregt werden. Das geht jeden Tag Tausenden von Männern so. Da reicht ein kurzer Reiz und schwupp, wird ein Mann erregt. Und die Frau gegenüber kann nichts dagegen machen, denn man kann sich nicht so weit abschirmen, dass einen niemand mehr anziehend findet. Man mag die graueste Maus auf dem Planeten sein, für irgendjemanden ist man das nicht. Und wenn der gerade vor einem steht, steht vor ihm auch etwas. Wenigstens hat die Chinesin keine Erektion, so muss sie sich nicht umständlich in die Hose fassen, wie sie es manchmal bei Männern sieht. Dafür spürt sie, dass ihre Brüste auslaufen. Kurz vor der Landung hat sie zuletzt abgepumpt. Da sie in den Wochen vor dem Flug für Jahzen, ihren kleinen Sohn, einen Vorrat anlegen musste, läuft ihre Milchproduktion auf Hochtouren. Zwillinge könnte Mailin ohne weiteres satt bekommen. Und jetzt fließt die Produktion ins Leere.
Shenmi, ihre Schwester, hat ihr eingeschärft, unbedingt weiter abzupumpen, damit ihr Sohn auch ja die volle Stillzeit über nur Muttermilch erhält. Ob sie es ihr schicken soll, hatte Mailin zwei Monate vor ihrer Abreise aus Tsingtao gefragt. Aber Shenmi meinte, ein Vorrat wäre besser. Man könnte sie zwar auch mit Behältern verschicken, die mit Trockeneis gekühlt werden, aber das wäre umständlich und teuer. Also schüttet sie ihre Milch weg. Morgen früh wird sie sich Milch in den Tee gießen, falls es mittlerweile Frühstück gibt. Die Seuche ist in Deutschland präsenter als in China. Sie hätte erwartet, dass man hier weiter wäre. Alle geimpft und es ein normales Leben gäbe. Aber stattdessen sieht man Masken und keine Menschen mehr. In ihrem Institut wurde vor einem Jahr Chinas erster Impfstoff entwickelt und angekündigt. In Deutschland hingegen fühlt sie sich in den chinesischen Herbst zurückversetzt. Mailin wurde im Dezember geimpft, gleich nach Jahzens Geburt. Was sie nicht weiß, der Impfstoff stammte von einer Charge, die von einem Laster und den Triaden in die Hände gefallen war. Familienbusiness.
Mailin weiß so manches nicht. Was ihr am meisten zu schaffen macht, dass sie nicht weiß, wo ihr deutscher Liebhaber ist. Endlich bringt sie jemand zu ihrem Mietwagen, ihre Stilleinlagen haben sich schon vollgesogen. Sie bedankt sich, verstaut ihr Gepäck und setzt sich auf den Beifahrersitz, um Muttermilch abzupumpen. Der Gehilfe, der ihr den Wagen gezeigt hat, beobachtet Mailin aus der Entfernung und reibt sich die Augen. Was macht die Chinesin denn da? Tatsächlich, sie sitzt in ihrem nagelneuen Auto mit einer kleinen Maschine auf dem Schoß, schließt ihre Brüste daran und …
Er wendet sich ab. Das ist ihm peinlich. Es erinnert ihn an sein Zuhause. Allerdings stöpselt man dort Kühe an und keine Frauen. Er läuft knallrot an und rennt zurück, um dem nächsten Kunden seinen neuen Wagen auszuhändigen. Hoffentlich ist die Chinesin dann weg, denkt er. Wie so oft, bekommt Mailin es nicht mit, wenn sie auffällt. Und egal wäre es ihr obendrein. Sie hat Probleme damit, ihre Emotionen adäquat auszudrücken und noch größere Probleme, die Gefühle von anderen zu lesen. Abzulesen von Körper und Gesicht. Das ist ihr nicht gegeben. Wenn jemand keine Brüste sehen will, kann er ja weggucken, wäre ihr Gedanke gewesen, wenn sie den jungen Mann beachtet hätte. Was ihr Sohn jetzt macht? Vielleicht schlafen gehen? Wie spät war es dort? Unwichtig. Sie muss zusehen, dass sie hier in Deutschland ein Zimmer findet, sie hat keine Lust, in dem engen Auto zu schlafen.
Mit einiger Mühe findet sie einen Weg aus den Katakomben des Parkhauses und sieht sich dann in ein unübersichtliches Autobahnkreuz gespült. Ihre Überlebenschance ist, geradeaus zu fahren, bis das Kreuz vorbei ist. Sie hält an einem Parkplatz. Die Laster stehen Stoßstange an Stoßstange und erst im letzten Winkel findet sie einen Platz zum Halten. In ihrem Handy ist ein Navigationssystem eingebaut. Da sie zwar gut Deutsch spricht, aber in der Kürze der Zeit nicht schreiben lernen konnte, muss sie alle Hilfen, die sie benutzt, auf Chinesisch zur Verfügung haben. Die deutsche Beschilderung nützt ihr rein gar nichts. Sie hat sich die Namen der wichtigsten Orte aufgemalt, sodass sie diese ins Navi eingeben kann.
G E R N S B A C H im Schwarzen Wald. Dort will sie hin. Das ist der einzige Anknüpfungspunkt, den sie hat. Ihre einzige Verbindung zu ihrem deutschen Geliebten. Hendrik aus? Sie weiß nicht einmal, wo er wohnt oder gewohnt hat. Sie hat nur das Hotel in Gernsbach, das sie wiederfinden wird. Wiederfinden muss. Dort wird man ihr helfen, wenn sie ihnen klarmacht, wie wichtig es ist. Dort wird man wissen, wo er wohnt. Und dann kann sie endlich zu ihm fahren. Jetzt muss sie weiterfahren zum nächsten Kleeblatt und dort wenden. Dank elektronischer Unterstützung schafft sie es von einer auf die andere Autobahn. Sie merkt ihre mangelnde Fahrpraxis und wischt sich über die Stirn.
Wenigstens hat sie im Stress ihren Busen vergessen und ebenso ihre leichte Geilheit, weil sie an Hendrik dachte. Zwei Stunden würde es dauern. Zu der Zeit braucht sie ohnehin ein Hotel. Doch Mailin, die Mathematikerin, hat sich verrechnet, denn sie muss auf die Toilette. Und sie hat Hunger. Und Durst, weil sie andauernd Milch abpumpt. Zu viele Variablen. Sie hält an einer Raststätte, die Hendrik letztes Jahr erst umgerüstet hat. Kunststück, denn das hat er mit allen Raststätten im Südwesten gemacht. Das weiß sie nicht. Sie weiß nicht, ob er arbeitet, was er arbeitet. Er ist Handwerker, denkt Mailin, weil er ein Handwerkerauto hatte, in dem sie mitgefahren war. Auf der Suche nach ihrer Reisegruppe, die sie absichtlich verloren hatte.
Sie wollte in Deutschland ein Abenteuer erleben und nicht inmitten lauter Chinesen dieselben sinnlosen Gespräche führen wie daheim. Es wurde das Abenteuer ihres Lebens. Mailin war eine tickende Zeitbombe gewesen und Hendrik hat sie entschärft. Fünf Sekunden bevor sie explodiert wäre. Er hat sie spüren lassen, was sie fünfzehn Jahre nicht gefühlt hat. Dafür liebt sie ihn auf ewig, ohne zu wissen, was Liebe ist. Hendrik hat sie so nass werden lassen, dass die Zündschnur der Bombe verlöscht ist. Sang- und klanglos.
Dass sie jetzt bedürftig ist – Künstlerpech. Das eine gibt es nicht ohne das andere. In ihrer früheren Welt hätte sie leicht fünfzig Jahre weiterleben können, ohne dass Sex, Leidenschaft und Orgasmen ihr gefehlt hätten. Warum sie sich überhaupt auf die Suche nach Sex und Liebe gemacht hat, war ihre Wahrnehmung, dass es alles überschattende Themen sind. Es dreht sich gefühlt alles um Liebe und Sex, in Büchern, Filmen und Musik. Mailin dachte, es müsse mehr dran sein, als das, was sie kannte. Was dieses mehr war, wusste sie in der Sekunde, in der sie es zum ersten Mal erfuhr. Vor einem Jahr im Schwarzen Wald. Dorthin ist sie jetzt unterwegs. Getrieben von ihrem Trieb. Im letzten Jahr hat sie oft daran gedacht, ob es ihr lieber wäre, der blonde Deutsche hätte diese Tür nicht aufgestoßen. Das kann sie sich ein paar Minuten lang einreden, bis sie unweigerlich an den Punkt kommt, wo sie an etwas denkt, was sie erregt. An seine Finger auf ihr, in ihr, an seine Zunge oder seinen Penis. Am häufigsten ist es der Gedanke an ihn, der ihr ein warmes Gefühl beschert. Ein dringendes Gefühl und Bedürfnis.
Das könnte gerne öfter sein, wenn es verdammt nochmal öfter befriedigt würde. Während sie im Autobahnrestaurant sitzt, isst und trinkt, wird Mailin müde. Die Anspannung der Reise, all die neuen Eindrücke, die Zeitverschiebung. Sie nimmt die Pumpe aus ihrer Tasche und weil kaum Tische besetzt sind, sieht keiner, wie sie ihre Milch abpumpt. Die Vibration an ihren Nippeln ist beruhigend gewohnt und Mailin schläft ein. Es sind nur eine Handvoll Leute, die eine bronzefarbene Chinesin am Tisch sitzen und schlafen sehen. Der Pullover ist so weit heruntergerutscht, dass Mailin sich nicht entblößt. Doch das wäre ihr egal, es sind nur Brüste. Die Hälfte der Menschheit hat welche. Ob es zehn Leute sind, die ihren Busen sehen oder zehntausend ist ihr egal. Das eine merkt sie so wenig wie das andere.
Die Milchpumpe geht nach zehn Minuten automatisch aus. Beim Hersteller arbeiten offenbar Frauen in der Entwicklung, die so etwas vorhergesehen haben. Eine müde Mutter, die beim Abpumpen der Milch einschläft. Zum Glück, denkt Mailin, denn sonst wäre von ihrem Busen vielleicht nichts mehr übrig gewesen außer einer leeren Hülle. Wie ein Luftballon denkt sie und muss kichern. Nachts an deutschen Autobahnen muss schon einiges zusammenkommen, wenn man auffallen will. Mailin gelingt das mühelos. Eine verwirrt aussehende Chinesin, die kichert, während sie Plastikhütchen von ihren Brustwarzen entfernt, die Nippel sorgfältig trocknet und ebenso sorgfältig verstaut, ist selbst für diesen Platz, an dem Gott und die halbe Welt vorbeikommen, skurril. Vor allem, wenn man mitbekommt, dass sie die Milch anschließend wegschüttet.
Die wenigen Minuten Schlaf reichen nicht, Mailin hat Angst, am Steuer einzuschlafen. Sie fährt von der Autobahn ab und sieht ein Hotel. Sie kennt das Schriftzeichen für Hotel von ihrem Aufenthalt vor einem Jahr. Eine halbe Stunde später schnarcht sie schon und schläft glücklich, weil sie in Hendriks Nähe ist. Frühstück gibt es aus einer Papiertüte. Eingepacktes Zeug, zwei Brötchen, dazu ein Müsliriegel, ein Apfel und ein Fläschchen mit Orangensaft. Bevor sie weiterfährt, geht sie in einen Supermarkt und kauft sich literweise Wasser. So viel sie tragen kann. Sie hat ständig Durst wegen der Milch, die sie gibt. Im Supermarkt ist es ganz schlimm. Obwohl sie gerade eine halbe Stunde zuvor die Pumpe angeworfen hat, schießt ihr die Milch mit Macht ein. Denn an der Kasse schreit ein Säugling, weil er so einen großen Hunger hat. Die Mutter wird hektisch und Mailin fragt sich, wieso sie das Kind nicht stillt. Wenn das Baby noch länger schreit, wird ihr bald die Milch am Bauch herunterlaufen.
Aber die Mutter ist schnell wie der Wind und verlässt den Supermarkt mit wehenden Fahnen. Im Auto ist es brütend heiß, doch es ziehen dunkle Wolken auf, die es erträglich machen. Mailin ist wieder auf der Autobahn und hat nur noch eine halbe Stunde zu fahren. Auf einmal geht die Welt unter. In der Blechkiste prasselt es so laut, dass ihr die Ohren weh tun. Wenige Minuten später liegen die Hagelkörner knöchelhoch auf der Straße. Alle fahren nur noch fünfzehn. Sie kommt sich vor wie eine Heldin, der haufenweise Steine in den Weg gelegt werden, bis sie ihr Glück endlich findet. Als sie die Autobahn verlässt, scheint die Sonne wieder.
Sie fährt durch das Murgtal und aus den Wäldern auf den Bergen steigt Nebel auf. Der Schwarzwald zeigt sich typisch. Die Welt ist hochglänzend, vor allem die Straße und Mailin muss ihre Sehschlitze fast komplett zukneifen, weil sie gegen die Sonne fährt und so sehr geblendet wird. Sie hat den leisen Verdacht, dass jemand versucht, ihr Wiedersehen mit Hendrik zu sabotieren. Jedoch glaubt sie nicht an Schicksal oder Bestimmung. Es liegt in ihrer Macht. Sie tut, was in ihrer Macht steht und vielleicht etwas mehr, um Hendrik wiederzusehen. Da sie es nicht eilig hat, hält sie auf einem Parkplatz. Sie will warten, bis entweder die Sonne wieder weg, oder die Straße trocken ist.
Es ist nicht mehr weit, Mailin wird zu ungeduldig. Obwohl weder das eine noch das andere eintrifft, setzt sie sich wieder ans Steuer. Fünf Minuten später erkennt sie das Schriftzeichen für Gernsbach. Endlich! Ein Jahr und zwei Monate hat es gedauert, bis sie es geschafft hat, zurückzukehren. Vierzehn Monate, in denen sie nicht nur ein Kind gebar, sondern in denen sie mehr als sonst über die Welt und die Leute nachdachte. Mailin fährt am Hotel Kuckucksnest vorbei, ohne es wiederzuerkennen, dann an der Bäckerei, die sie sofort wiedererkennt. Sie hält an und sieht durch das Schaufenster. Erinnerungen kommen hoch. Was sie empfindet, ist ein Schock. So klar hat sie sich im gesamten Jahr nicht erinnert. So präsent war Hendrik kaum je. Jetzt, da sie einen Ort wiedersieht, den sie mit ihm besucht hat.
Sie findet den Bäckermeister nicht, der damals mit Hendrik sprach. Da sind nur zwei Frauen im Verkaufsraum. Hinter ihr hupt jemand freundlich. Mailin fährt weiter und weiß, dass sie umdrehen muss, sie hat das Hotel übersehen. Weil sie mit dem Auto zu schnell ist und nicht richtig Ausschau halten kann, sucht sie sich einen Parkplatz. Zu Fuß geht sie zurück, an der Bäckerei vorbei, sucht nach dem grünen Schild, auf dem das Schriftzeichen für Hotel steht. Dann entdeckt sie das Gebäude. Das Schriftzeichen ist abmontiert. Der Parkplatz leer, die Jalousien geschlossen.
Neben dem Eingang sind zwei Klingeln, an einer steht ›Hotel‹ an der anderen nichts. Mailin drückt beide Klingeln. Lange. Sie kann nicht hören, ob sie wirklich geklingelt haben. Wie klingeln die Deutschen? Ist es ein Ding-Dong? Ein Schnarren oder eine Telefonklingel? Egal, sie hört nichts und es geht kein Licht an. Das Gebäude ist leer, verlassen. Sie ist sich sicher, dass es das Hotel Kuckucksnest ist, diesen Eingang haben sie mehr als zwei dutzendmal benutzt. Sie würde ihn weder vergessen noch verwechseln. Sie schirmt die Helligkeit ab und sieht hinein. Ja, sie ist sich hundertprozentig sicher. Hier war sie vor über einem Jahr. Selbst wenn das Hotel geschlossen ist, in dem Gebäude wohnt sicher jemand. Sie wird in einer Stunde wiederkommen.
Mailin ist nicht verzagt, sie ist weder pessimistisch noch optimistisch. Sie hat zwei Wochen Zeit. Sie dreht eine kleine Runde durch die Stadt. Es hat sich nichts verändert, außer dass mehr Leute unterwegs sind als letzten März. Damals schien die Stadt ausgestorben. Sie kommt an einer Apotheke vorbei und sie erinnert sich an die Apothekerin. Mit der hat Hendrik länger gesprochen. Worüber, weiß sie natürlich nicht. Sie verstand damals kein Wort Deutsch. Das Hotel ist dunkel und abweisend. Sie geht einmal um das Gebäude herum, ohne jemanden zu sehen. Aber sie hat Glück im Unglück. Das, was Deutschland so unsympathisch macht, hilft ihr jetzt. Ein wachsamer Nachbar. Was im Südwesten so viel heißt wie ein misstrauischer Nachbar. Er hat sie vorher schon beobachtet.
Jetzt kommt er aus seinem Haus und spricht sie in gebrochenem Englisch an. »Kenn ei help juh?«
Mailin erinnert sich an Ju’gen. Der meinte, dass sie manchmal Probleme heben wird, jemanden zu verstehen, weil er Dialekt spricht. Gerade im Süden wäre das weit verbreitet. Das hier ist so jemand, vermutet sie.
Sie fragt einfach, vielleicht merkt er dann, dass er keinen Dialekt sprechen darf, sodass sie ihn verstehen kann.
»Wissen Sie, was mit dem Hotel passiert ist?«
Der Nachbar, sichtlich erleichtert, dass er nicht länger Englisch reden muss, sagt: »Ja, leider. Letztes Jahr war Gernsbach abgeriegelt, weil die Stadt unter Quarantäne stand. Das Hotel lief vorher schon nicht gut. Danach musste es schließen. Der Aufschwung vom Sommer kam zu spät.«
»Wem gehört es jetzt?«
»Es gehört schon immer einem Geschäftsmann hier aus Gernsbach. Er verpachtet es nur. Hat kein Interesse am Hotel. Jetzt wird es umgebaut.«
»Ich war letzten März hier und suche einen Mann, der auch hier war.«
Der misstrauische Nachbar sieht Mailin durchdringend an. Er mag Asiaten nicht besonders, warum, weiß er selbst nicht. Er will keinesfalls einen Mann ans Messer liefern, weil eine Chinesin ihre Pille vergessen hat. Er sucht nach Anzeichen von einem Baby. Da ist nichts. Kein Kinderwagen, keine Trage, sie ist nicht vollgekotzt und hat nicht die Aura einer frisch gebackenen Mutter.
Trotzdem überwiegt bei ihm das Vorurteil. Chinesen sind geldgierig und wollen sowieso nur hier wohnen und arbeiten, damit sie ihr Geld nach Hause schicken können. Das ist ihm zu blöd. Von ihm erfährt sie nichts.
»Ich weiß nichts. Was soll man machen? Keine Ahnung, wo die Pächter sind, die sind nicht von hier.«
Er lügt. Doch er will, dass das Schlitzauge endlich geht. Was kann ein normaler Mann von der hässlichen Schnalle überhaupt wollen? Außer einer schnellen Nummer, weil die Quarantäne so langweilig ist? Von ihm hört die Asiatin kein Sterbenswort mehr.
»Kennen sie die Dame Constanze? Die hat hier gearbeitet.«
Der Schwarzwälder, dem der Schreck in die Knochen fährt, weil er Constanze besser kennt, als irgendjemand wissen darf, kneift den Mund zusammen. Er wird kein weiteres Wort mehr verlieren. Er schüttelt den Kopf und lässt Mailin stehen.
Köln, Deutschland, Dienstag, 1 Mai 2021
Warum muss ich ausgerechnet hier die Nachricht bekommen? Und warum ausgerechnet jetzt? Einen schlechteren Zeitpunkt für ihren Deutschlandbesuch hätte sich die Chinesin nicht aussuchen können. Warum stehe ich überhaupt auf der beknackten Hohenzollernbrücke? Einfach nur so. Ohne beschissenen Grund. Die Nachricht des Trackers, dass Mailin keine zweihundert Kilometer entfernt ist und dann fällt mir das dreimal verfluchte Handy herunter. Weil ich es mit dem Fuß abfangen will, gebe ich ihm einen Tritt und es fliegt in hohem Bogen in den Rhein. Scheiße.
Mailin ist jetzt in Frankfurt, aber wo wird sie heute Abend sein? Wo werde ich dann sein? Wo will sie hin? Wo muss sie hin? Will sie zu mir? Oder nur nach Deutschland? Über ein Jahr lang sehe ich den Punkt in China blinken, am beknackten Scheißarsch der Welt und jetzt das. Das absolut allerschlimmste ist die Tatsache, dass ich völlig hilflos bin. Machtlos. Wäre Mailin vor sechs Wochen gekommen, alles paletti! Da war ich frank und frei. Hatte keinen Job, kein Häuschen, keine Schulden, keine Verpflichtung.
Wir wären durch Deutschland gedüst, ich hätte sie zweimal am Tag in Grund und Boden genagelt und abseits davon hätten wir auf beknacktes Touristenpärchen gemacht. Denn es ist klar, warum sie in Deutschland ist. In China hat es ihr keiner so besorgt wie ich. Wahrscheinlich hat man sie in China herumgehen lassen, wie eine Patientin im Wachkoma. Bequem zum Druckablassen und billiger als jede Prostituierte. Ein Gefäß ohne weitere Funktion und ohne Emotion. Selbstreinigend, praktisch. Das kann nicht mal eine Gummipuppe. Und Mailin guckt nicht so dämlich wie diese Puppen. Ich grinse schief, dabei ist mir nicht nach Lachen zumute, denn ich kann nicht weg. Ich bin seit zwei Tagen hier zur Schulung. Noch zwei Tage und dann ist Wochenende. Vorher kann ich unmöglich weg.
Ich habe mir gerade erst ein Häuschen gekauft. Mit dem allerletzten Notgroschen, ich bin völlig blank, ich kann vier Wochen essen mit dem Geld. Wenn ich ihr jetzt hinterherfahre, ist der Job weg, das Häuschen ist weg und ich bin völlig am Arsch. Ich hab schon echt bescheuerte Sachen gemacht für einen Fick. Richtig bescheuerte Sachen. Aber das hier bringe nicht einmal ich. Nennt mich spießig, nennt mich kleingeistig, ist mir egal. Ich will endlich mal wieder einen Fuß auf den Boden bekommen. Wohin will sie überhaupt? Ich kann mir nur vorstellen, dass sie nach Gernsbach fährt. Wohin sonst? Falls sie nicht eine riesige Familie in Frankfurt, München, Hannover oder sonst wo hat, die drei Chinarestaurants besitzt, bleibt nur Gernsbach. Der einzige Anhaltspunkt, um mich zu finden. Aber wie stellt sie das an? Holt sie sich einen Dolmetscher? Sie ist sicher nicht arm, wenn sie zwei Jahre hintereinander nach Deutschland fliegen kann. Aber einen Dolmetscher zu buchen? Kann ich mir nicht vorstellen. Wenn doch, habe ich mehr Eindruck hinterlassen, als gedacht. Ist das nur eine Zwischenlandung? Frankfurt ist schließlich ein Drehkreuz. Ich bin unterdessen an meinem neuen Firmenwagen angelangt. Fahre aus der Stadt raus. Nach Westen. Nicht nach Süden. Am Kreuz Köln-West biege ich im letzten Moment doch nach Süden ab. Ich kann morgen früh wieder hier sein. Wenn ich um vier Uhr morgens in Gernsbach losfahre. Scheißegal, ich hab schon verrücktere Sachen gemacht. Hoffentlich verschlafe ich nicht.
Es dämmert, als ich in Gernsbach ankomme. Das Hotel Kuckucksnest ist dicht. Sehe ich schon von weitem, Constanze, Mailin und ich haben ihm den Rest gegeben. Nicht einmal der Schriftzug Hotel ist noch dran. Was daraus wird? Aber es ist weiß Gott nicht das einzige Gasthaus in Gernsbach.
***
»Hallo und guten Abend. Ich bin auf der Suche nach einer Chinesin, Mailin heißt sie …«
»Und der Nachname?«
Woher soll ich den wissen du Idiot? Ich bin froh, dass ich den Vornamen verstanden habe. Du kennst sie nicht, sonst würdest du so eine beknackte Frage niemals stellen.
»Den weiß ich nicht, aber verstehen Sie, es …«
»Tut mir leid, da kann ich nichts machen, ich darf keine Auskunft geben. Wegen Datenschutz, Sie verstehen sicher.«
Das einzige, was ich verstehe, ist, dass ein Arschloch vor mir steht, der sich hinter seiner Bürokratie verschanzt, um mir meinen Abend zu versauen. Beim zweiten Hotel dasselbe. Datenschutzgrundverordnung. Leck mich am Arsch, das ist alles nicht wahr, oder? Hier herzukommen war eine Schnapsidee. Einen Versuch mache ich noch. Nein, sie haben leider keine Chinesin zu Gast. Wenigstens verschanzt er sich nicht. Aber weiter bringt er mich auch nicht. Wie viele Hotels hat Gernsbach? Ein Dutzend? Zwei Dutzend? Es ist eine Touristengegend. Wieso musste ausgerechnet unser Hotel dichtmachen? Scheiße. Ich gehe durch die Stadt. Es ist mehr los als letzten März, aber nicht viel. In der Tannwaldapotheke brennt Licht. Soll ich? Soll ich ihr wenigstens vorher eine Nachricht schicken? Ich habe seit einem Jahr nichts von Apotheke gehört. Kunststück, meine neue Nummer habe ich ihr nie gegeben.
Ich klingele. Nichts. Ich weiß, was Frau Doktor macht. Sie sitzt in ihrem Hinterzimmer und entweder sie mixt oder sie wichst. Weil sie keinen Notdienst hat, macht sie nicht auf. Mal sehen, wie sehr sie widerstehen kann. Ich klingele wieder. Nichts. Wenn sie wüsste, wer hier steht und klingelt, würde es ihr warm am Bein runterlaufen. Komm, mach auf, Süße. Ich klingele ein drittes und letztes Mal. Es dauert ein paar Sekunden, bis sie mich erkennt, dann geht ein Strahlen über ihr Gesicht. Die Sonne geht auf und wärmt mein kaltes Herz. Sie kommt an das Fenster, das mit einer Sprechanlage ausgestattet ist. »Guten Abend junger Mann. Wir haben schon geschlossen. Die nächste geöffnete ist die Schwanen-Apotheke in Gaggenau.«
»Frau Doktor, es ist wirklich äußerst dringend!«
»Also gut, junger Mann. Sie wissen, wo sie mich finden.«
Ich weiß, wo ich sie finde. Frau Doktor hat eine Ferienwohnung. Zur Zeit nicht vermietet. Es herrscht schon wieder Ausnahmezustand. Nach drei lächerlich kurzen Wochen im März geht es wieder bergab. Alle Lockerungen sind aufgehoben. Wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit. Amen.
Ich kenne den Weg und ich weiß, wo der Notschlüssel deponiert ist. Ich drehe die Heizung auf, trotz Mai ist es innen kühl. Apotheke scheint ihr Ferienappartement selten zu nutzen. Weder für Gäste noch zum Vögeln. Das werden wir gleich ändern. Ich freue mich. Es war eine Schnapsidee, zu glauben, dass Mailin nach Gernsbach fährt. Meinetwegen. Aber wenn ich nun schon mal hier bin. Soll ich mich ausziehen und das Bett vorwärmen? Oder hat sie heute mehr Zeit für mich? Ich stehe nicht auf Quickies. Bei Apotheke habe ich mehr als nur eine Ausnahme gemacht. Kein Wunder bei den Titten.
Sie hat mit Abstand die schönsten Brüste, die ich kenne. Zwar groß, aber eben so, dass es noch natürlich ist. Natürlich schön. Trotzdem Frau Doktor Mitte fünfzig ist, lässt nichts nach. Die Lust nicht, die Spannkraft nicht und von mangelnder Feuchtigkeit kann erst Recht keine Rede sein. Sie ist eine wandelnde Sexbombe und wir werden es gleich krachen lassen. Ich muss keine zehn Minuten warten und wir liegen uns in den Armen. Freuen uns. Grinsen wie blöd, weil ihr uns so über unser Wiedersehen freuen. So unverhofft. Wir drücken uns lang und länger, so sehr freuen wir uns. Sie drückt mich an ihren dicken Busen und ich ergebe mich in mein wunderbares Schicksal. Ich greife um ihren Leib herum und ruckzuck habe ich den BH geöffnet. Statt sich den Pulli auszuziehen, fummelt sie sich den BH so heraus. Die Träger durch die Ärmel, über die Hände und wieder zurück. Dabei könnte ich einer Frau immer wieder zusehen. Sehr anmutig und vielversprechend.
Dermaßen befreit grinst Frau Doktor wieder und zieht eine Flasche Wein aus ihrem Korb. Es ist sie wieder, die Hex vom Grafenstein. Kenne ich schon von ihr. Klingt so, als hätte sie nicht nur eine dabei. Wir trinken Wein. Und grinsen. Das ist die Vorfreude. Für mich ist es ein veritables Faszinosum, was Freude, Sexlust und Orgasmen bei den Leuten auslösen können. Bei Frauen. Dass eine Frau untervögelt ist, darf man zwar nicht mehr denken oder sagen, aber man weiß es. Merkt es. Ich weiß es und ich merke es. Und ich mache etwas dagegen. Ist sie überhaupt noch verheiratet? Und das letzte Mal Sex? Weihnachten? Wenn sie trotzdem bei ihm bleibt, trotzdem, muss er etwas anderes können. Wegen Sex kann es nicht sein.
Als wir uns erneut in den Armen liegen, bin ich unter dem Pullover. Ich habe vergessen, wie schön ihre Brüste sind. Apotheke zieht hörbar die Luft ein, als sie mit ihrer Hand über meinen Schritt fährt. Kein Wunder, ich stehe in Flammen und bin nicht nur heiß, sondern schon längst hart. Wie ein heißer Stein, Frau Doktor. Ab einem gewissen Punkt ist es dann gut. Dann kann es ihr nicht mehr schnell genug gehen. Frauen sind so verschieden und ich vergöttere sie alle. Vor allem, wenn sie mir nichts mehr vorspielen. Weil sie vertrauen. Weil sie wissen, dass ich weiß. Alles weiß, was nötig ist. Sie zieht sich aus. Die Hosen. Nur den Pullover hat sie an, der Rest ist offen. Offensichtlich. Offenbar bereit.
Sie sieht mich an, während ich ihr auf die Muschi gucke. Sie grinst, ich grinse, wir wissen, was in einer Minute sein wird. Jetzt ist pure Vorfreude. Gleich explodieren wir, gleich. Jetzt freuen wir uns und zögern den Moment hinaus. Ein Moment für die Ewigkeit. Den wir nur deswegen so rauszögern können, weil sie Zeit hat. Das war nicht immer so. Es gab Zeiten, da war sie schon halb nackt, wenn die Tür ins Schloss fiel. Trotzdem war ich nie beleidigt, eher geschmeichelt, weil sie es so sehr brauchte, so sehr wollte. Rührend zu erleben, dass es jemanden gibt, dem Sex genauso wichtig ist, wie einem selbst, der es genau so nötig hat wie man selbst. Sie lässt mich nicht aus den Augen, denn Frau Doktor wartet auf die Krone der Schöpfung, wartet darauf, dass ich mich ausziehe. Der Oberkörper ist längst frei und ich knöpfe die Hose auf. Sie ist gespannt, obschon sie weiß, was kommt. Sie wartet auf das Wunder der Natur. Wenn ich meine Hose herunterziehe und die Erektion herausschnellt wie ein Pfeil von der Sehne eines Bogens. Das ist ihr ureigenster Moment.
Der ist für dich. Zehn Sekunden später dringe ich ein, weil es so dringend ist. Sie stöhnt innig, als wäre es vorbei, dabei fängt es erst an. Sie kennt mich, sie weiß, was sie erwartet und sie weiß, dass sie alles geben kann und ich dagegenhalte. Dass sie niemals zu kurz kommt. Dass sie sich auf eins verlassen kann, auf meine Lanze, die ihr heiß in den Unterleib fährt, die sie spaltet, ihr den Atem raubt und die Sinne schwinden lässt. Wenn sie durchhält. Doch das kann sie nicht, weil sie es so nötig hat. Ich kenne diese Frau inwendig und inwandig. Ich weiß genau, wann sie was braucht. Sie ist außer Übung und wir sind beide erstaunt, dass sie für ihren ersten Höhepunkt gut und gerne fünf Minuten braucht.
Vielleicht ist sie nicht erstaunt, sondern genießt die Vorfreude. Auch wenn er länger braucht, ihr Orgasmus ist heftiger denn je. Weil sie so lange darauf gewartet hat. Eine halbe Ewigkeit und damit sind nicht die fünf Minuten gemeint. Weil sie es kennt, weil sie mich kennt, lasse ich ihr keine Ruhe, lasse sie nicht verschnaufen, sondern ich ignoriere ihren Höhepunkt. Ich komme in Fahrt und berausche mich an der Kraft meiner Stöße. Himmel, dass sie das aushält, ist beachtlich. Traumhaft, ich liebe ihre Nehmerqualitäten. Von Rechts wegen sollten ihr die Tränen kommen, aber sie ist zu beschäftigt damit, ihren Höhepunkten nachzufühlen, sodass sie das Heulen vergisst. Aber nicht zu stöhnen. Mein Glück, mein Rausch, sie hält mich krampfhaft umklammert und gibt sich mir hin wie ein Weib.
Ihr Telefon klingelt. Unmöglich, ich kann jetzt nicht aufhören, ich dringe bis ans Ende vor, ans Ende der Welt, ans Ende ihrer Scheide. Frau Doktor hört das Telefon nicht einmal, weil sie zu beschäftigt ist. Ich habe längst aufgehört zu stoßen, ich drücke mich nur weiter in sie, in ihr aufgeweichtes Fleisch. Verdränge alles, was sich mir in den Weg stellt. Dringe in ihr Innerstes und werde begeistert empfangen, festgehalten, sie hat mich so vermisst. Apotheke selbst und ihre Vagina erst recht. Wir klingen sanft aus und zwei Glückstränen kullern ihr herunter. Nichts, was sich nicht wegküssen ließe.
»Na, wars schön, Frau Doktor? Hat gar nicht wehgetan, oder?«
Sie schüttelt den Kopf. Den Kopf mit knallroten Wangen und einem Lächeln, welches nicht mehr verschwinden wird. Sehr lange nicht. Tagelang wird sie strahlen und in passenden und unpassenden Momenten an ihren Liebhaber denken. Ihn, der noch nicht alles gegeben hat.
»Wie lange hast du Zeit, Hendrik?«
»Wäre das nicht eigentlich meine Frage? Du bist die mit dem engen Zeitplan.«
»Nicht mehr. Nicht länger. Sieh dich doch um.«
Tatsächlich ist die karge Ferienwohnung nicht mehr die von vor einem Jahr, sondern bedeutend wohnlicher. Habe ich vorhin nicht bemerkt, weil ich nur an sie dachte. Und wie sie sich vor mir auszieht. Ich merke nicht viel, wenn Sex in der Luft liegt. Eine Enttäuschung zu kompensieren, darin bin ich gut. Darin bin ich spitze. Na toll, ich muss um vier Uhr fahren und Frau Doktor hat ausnahmsweise Zeit. Was für ein Timing. Das sind nur sechs Stunden. Sie räkelt sich nackt vor mir, mit obszön dickem Busen und weichgevögelter Muschi. Feuchtglänzend und einladend streckt sie sie mir hin. Weil sie weiß, dass ich noch nicht gekommen bin. Und weil ich sie nötig habe. Warum weiß sie nicht. Das wäre ihr egal? Nutznießer zu sein ist besser. Warum ist die Banane krumm? Warum ist mein Schwanz gerade? Man muss Prioritäten setzen. So auch bei den Wünschen. »Frau Doktor, du hast einen Wunsch frei.«
»Einen? Du warst schon mal freigiebiger.« Sie guckt fast ein wenig entrüstet. Dabei muss sie nichts sagen. Mehrere Male haben wir unsere Nummern auf eine Viertelstunde und weniger eindampfen müssen. Weil sie zum Mann nach Hause musste.
»Was ist eigentlich mit deinem Mann?«
»Er hat vorhin angerufen, ich werde ihm gleich schreiben, dass ich hier übernachte, weil es in der Apotheke so spät geworden ist. Mache ich öfter in letzter Zeit. Durch sein Homeoffice haben wir kaum Zeit, die wir nicht zusammen verbringen. Das ist mein Refugium, er ist nie hier.«
»Hätte dir ja letztes Jahr auch mal einfallen können. Frau Besorgs-mir-zwischen-Tür-und-Angel.«
Sie zuckt mit den Schultern. Recht hat sie, über verpasste Chancen zu grübeln, bringt einen nicht weiter. Sie fängt an zu feilschen: »Komm Hendrik, einen Wunsch und deine Telefonnummer, ja?«
Kannste knicken Doc, denke ich mir. Ich habe deine Telefonnummer. Ich weiß nicht, wozu du meine brauchst. Ich habe gar keine. Meine Nummer mitsamt Telefon liegt im Rhein. Ich melde mich. Oder auch nicht. Aber das sage ich ihr nicht. Jemanden so vorzuführen, ist gemein, ich halte sie nur etwas hin. Ob sie die Nummer jetzt oder in ein paar Tagen bekommt, wenn ich Lust auf einen Chat mit ihr habe, spielt keine Rolle.
Ich spiele den harten Mann und schüttele den Kopf. »Ein Wunsch.«
Sie tut so, als würde sie schmollen, dann setzt sie sich auf. Kommt näher und winkt mir. Hält mir die Hand ans Ohr und flüstert mir ihren Wunsch zu. Ich bin nicht überrascht. Mitten in der zweiten Flasche Wein sind wir gelöst genug. Wir haben uns an den Rand gebracht und Frau Doktor ein paarmal darüber. Ich bin kurz davor, ich kann kaum länger warten. Aber bei dem Endspurt, den sie will, brauche ich kein Durchhaltevermögen mehr, nur eine letzte, vollkommene Erektion. Das ist für mich das kleinste Problem.
***
Die Frau liegt schon bereit, jede Faser ihres Köpers ist gespannt, voller Freude und Ahnung des Kommenden. Vor mir liegt sie. Auf dem Rücken. Und ihre Schenkel gespreizt, wie könnte es anders sein? Doch ihre Muschi ist jetzt nur mehr ein optischer Reiz. Sie hat mir ein Fläschchen in die Hand gedrückt und ich präpariere den Hintern von Frau Doktor. Genauer gesagt, den Eingang. Den Anus. Bei der ersten Berührung ist er hart und die Frau zuckt leicht. Aber mein Daumen und das Gel machen ihn geschmeidig, seidig glänzend und weich. Apotheke entspannt, obwohl sie gespannt ist. Sieht meinen steil aufragenden Schaft und kann es nicht fassen, dass ich es gleich tun werde. Noch massiere ich ihren Arsch, von Abwehr keine Spur, das Gel und der Daumen setzen dem Anus zu, dass er sich nicht mehr wehren will. Frau Doktor windet sich unter und vor mir. Ist kaum zu halten, Sie kann es nicht fassen, dass ich bei ihr bin und dass es jeden Moment geschieht. Der Daumen reicht nicht mehr. Längst bietet ihm nichts mehr Widerstand. Da muss etwas Dickeres her. Meine Eichel pocht vor Erregung, ich kann den Höhepunkt kaum aufhalten. Ich platziere sie am weichmassierten After und drücke dagegen. Ich sehe auf Frau Doktors Vulva, die umsonst zarten Schleim produziert. Noch bietet mir der Hintern Widerstand, doch ich spüre ihn langsam nachgeben. Er ist zu glitschig, um sich zu wehren. Die Eichel dringt in Apothekes Hintern. Ich sehe zu und sehe ihre Muschi vergeblich pumpen. Das dicke Ding in ihrem Arsch gefällt ihr, nun, da es endlich drinnen ist. Ich spüre die Muskeln, wie sie mich massieren und vergeblich versuchen, den großen, ungewohnten Fremdkörper wieder rauszudrücken. Keine Chance, ich halte dagegen und die Muskeln, die mich rausdrücken, bewirken genau das Gegenteil. Ich rutsche unaufhörlich tiefer. Ich sehe genau zu. Und sehe zu, was sie fühlt, während der dicke Stab in ihren Hintern fährt. Sie lässt ihre Muskeln spielen und verdreht die Augen. Ich lote die ganze Tiefe aus und beherrsche nichts mehr.
Frau Doktor ist halb weggetreten. Ich muss nichts weiter machen, als ihn dreimal halb rausziehen und wieder bis zum Anschlag in den heißen Arsch zu schieben. Dann spritzt sie mich voll. Aus ihrer offenen Vulva spritzt klare Flüssigkeit und besudelt mich. Ich bin längst dabei, mich in ihr Innerstes zu entleeren, ich zucke und stöhne laut, derweil ich eine warme Dusche abbekomme. Ich spüre jeden Strahl, den ich ihrem Körper übergebe, den ich ihr schenke und den sie dankbar und großmütig empfängt.
Gernsbach, Deutschland, Mittwoch, 2 Mai 2021
In China hätte Mailin jetzt weitere fünf oder zehn lange Minuten gebraucht, um herauszufinden, dass jemand im Grunde nichts weiß. Dort ist es verpönt, nein zu sagen. Dass man etwas nicht weiß, dass etwas nicht geht. Das bekommt man oft genug erst nach quälenden Minuten heraus, wenn überhaupt. Mailin geht nachdenklich zum Auto zurück. Der unsympathische Nachbar sieht sich bestätigt und kehrt befriedigt in sein Haus zurück. Wieder einmal den Angriff der gelben Gefahr abgewendet.
Mailin braucht ein Hotel. Sie hat nahezu freie Auswahl, der Schwarzwaldtourismus hat sein Vorkrisenniveau nicht wieder erreicht und obwohl das Hotel Kuckucksnest pleite ist, sind die anderen deswegen nicht überfüllt. Wenn man für seinen Säugling Vorsorge trifft oder gerade nichts Besseres zu tun hat, ist Milchabpumpen in Ordnung. Wenn man aber etwas zu tun hat, beschäftigt ist, keine Zeit hat und die Milch ohnehin wegschüttet, sitzt man auf glühenden Kohlen, wenn der kleine Motor der Pumpe brummt. Die Minuten verrinnen, Mailin ist unwirsch. Jedoch ist sie nicht diejenige, die Shenmi unter die Augen treten wird, um ihr zu sagen, dass ihre Milch versiegt ist. Was Jahzen und dessen Aufzucht angeht, versteht ihre Schwester weder Spaß, noch macht sie Kompromisse. Er würde voll gestillt, bis der kleine Mann von sich aus etwas anderes möchte. Wie lange das dauern würde, fragt Mailin. Mindestens sechs Monate, möglicherweise ein Jahr. Jetzt hat sie wieder drei Stunden Ruhe.
Sie geht an die Rezeption und fragt. Was bleibt ihr sonst übrig? Ja, sie kenne das Hotel, sagt die Frau. Sie ist im Gegensatz zum ersten Schwarzwälder freundlich. Ja, der Pächter sei stadtbekannt. Sie gibt Mailin seine Telefonnummer. Mailin geht wieder auf ihr Zimmer und ruft den Pächter an. Bei ihm hat sie endlich Glück. Er ist zwar nicht in der Stadt, aber er hat eine Mitarbeiterin, die sich um das Objekt kümmert. Die sei heute dort. Mailin könne am frühen Nachmittag dort hinkommen. Die Chinesin bedankt sich hundertmal und freut sich, weil jemand sie versteht, es endlich weitergeht. Sie hat zwei Stunden und sieht sich die Sehenswürdigkeiten der Altstadt an. Dazu die gepflasterten Straßen und die Steinhäuser mit Holzbalken. Doch fehlt ihr die Muße, alles angemessen zu würdigen. Sie würde lieber in das Hotel gehen. Noch eine halbe Stunde. Sie überlegt, ob sie vorher Milch abpumpen soll, aber das ist ihr zu knapp. Sie will die Frau nicht verfehlen. Zehn Minuten vor der Zeit macht Constanze ihr die Tür vom Hotel auf. Beide sind gebührend überrascht, einander wiederzubegegnen. Constanze weitaus mehr. Doch auch Mailin hätte mit der käuflichen Rezeptionistin von damals kaum gerechnet. Es gibt einen Moment, wo sie sich umarmen könnten, jedoch Mailin bemerkt ihn nicht. »Ich suche Hend’ik.«
»Sieh einer an, und da kommst du extra aus China hierher? Kaum zu glauben. Komm rein.«
Constanze, die sich wundert, dass Mailin Deutsch spricht, hält ihr die Tür auf. »Vor einem Jahr konntest du kein Wort sprechen und jetzt? Was ist passiert?«
»Ich habe es zu Hause gelernt.«, wobei unklar bleibt, ob sie damit China meint oder ihre Wohnung. So genau muss Constanze es gar nicht erfahren.
»Jetzt willst du wissen, wo Hendrik wohnt, nehme ich an?«
Constanze kratzt sich nachdenklich am Kopf und fragt: »War er denn so gut? Er muss mächtig Eindruck hinterlassen haben, wenn du seinetwegen um die halbe Welt reist.«
Dann denkt sie, dass Mailin womöglich einen Balg von ihm hat. Jedenfalls hat sie kein Kind dabei. Constanze kennt die europäische Datenschutzgrundverordnung und wenn sie könnte, würde sie sich damit den Hintern abwischen. Die Pächter haben nach der Quarantäne alles stehen- und liegengelassen. Seitdem hat Constanze einen neuen Job. Sie ist die Assistenz der Geschäftsleitung, die Assistentin des Pächters. Das ist ebenso weit gefasst, wie euphemistisch. Aber sie ist zufrieden, denn arbeiten muss sie kaum. Constanze ist leicht glücklich zu machen. Mit Geld. Leicht verdientem Geld. Im Büro des ehemaligen Hotels sind noch die alten Ordner mit allen Unterlagen zu finden. Und das Feldbett, auf dem sie viele, und Mailin eine Nacht geschlafen hat. Sie grinst bei der Erinnerung an die Quarantäne. Und als Erstes holt sie die Meldezettel.
»Kannst du lesen?«
Mailin schüttelt nur den Kopf. Wäre ein bisschen viel verlangt. Constanze hätte in zehn Jahren nicht so gut Chinesisch gelernt, wie Mailin in einem Jahr Deutsch. Dafür hat sie andere Qualitäten. Aber da die Meldezettel chronologisch abgeheftet sind, findet Constanze schnell, was sie sucht. »Hendrik. Hier isser. Komischer Nachname.« Constanze zieht die Stirn in Falten. »Sandmann? Gibt’s den Namen überhaupt?«
Ihr fällt nur das Sandmännchen ein. »Hendrik wohnt in der Glockengasse in Eierhausen. Wer’s glaubt.«
Trotzdem muss sie lachen und als Mailin fragt weswegen, erklärt Constanze ihr die Bedeutung von Glocken und Eiern. Dass immer die Hoden gemeint sind. Und ganz kurz muss Mailin auch lachen. Bis sie merkt, dass der Meldezettel eine Sackgasse ist. Sie so nicht weiterkommt. Sie guckt einen Augenblick so traurig, wie sie sich fühlt, und Constanze bekommt Mitleid mit dem armen Ding. Nimmt Mailin in den Arm, die nicht so recht weiß, wie ihr geschieht. Doch sie lässt es geschehen. Als jemand an der Tür pocht, lässt Constanze die Chinesin los. Dass es klopft, ist keine Überraschung. »Warte hier, ich bin gleich zurück.«
Mailin hat das Gefühl, dass es hier dauern wird. So lange sie auf Constanze wartet, kann sie Milch abpumpen, es ist wieder Zeit. Sie kramt in ihrer Tasche nach dem Gerät und will es anschließen, als Constanze zurückkommt.
»Also doch. Mailin!«
Die Angesprochene ist etwas verwirrt und sieht zu Constanze, die wiederum auf Mailins Brüste guckt. »Du hast ein Kind! Wie toll, ich beneide dich so sehr. Warte hier, ja? Das mit der Milch dauert sicher. Ich brauche nur eine halbe Stunde, dann komme ich wieder, okay?«
Die Chinesin nickt und kümmert sich wieder um Milch und Pumpe. Meine Güte, ist das alles umständlich auf Reisen. Aber Shenmis Wut will niemand erleben. Niemand. Niemals. Was kann sie jetzt tun? Constanze hat vielleicht noch eine Idee. Sonst wäre ihre Reise hier schon vorbei, oder? Nein. Mailin kann zu der Apothekerin gehen. Weiß die etwas über Hendrik? Irgendwer muss wissen, was und wo der Vater ihres Sohnes arbeitet, da ist sie sich sicher. An Alimente hat Mailin niemals gedacht, wie absurd. So etwas Modernes gibt es in China nicht, wer ein Kind hat, muss dafür sorgen. Alimente und dies gesetzlich geregelt kennt man nicht. Das ist nicht das, was sie von Hendrik will. Würde man sie fragen, käme sie nicht weiter als bis zum ersten Sex. Das will sie, da ist sie sich sicher. Danach sieht man weiter. Aber als nächstliegendes Ziel ist Sex wunderbar, ein leicht erreichbares Ziel.
Obwohl sie Mathematikerin ist, denkt sie im Privaten oft nur einen Schritt weit. Dann kommt der nächste Schritt. Zu ihrem Kind, Jahzen, kam sie fast jungfräulich. Sie hatte vor Hendrik schon mehrfach Sex. Aber anders. Kühl, fast geschäftsmäßig. Da war es eine Abfolge bestimmter Handlungen gewesen. Erst das, dann kommt das, danach das. Dann zieht man den Gummi über. Danach das und so weiter und fertig. Bei Hendrik hingegen hat sie nicht gemerkt, dass es um Sex ging! Es war wunderbar anders. Weil er sie berührt hat. Wohlwollend und zärtlich, so wie sie nie zuvor angefasst wurde. Alles, was er machte, war so neu, dass es Mailin nicht im Traum eingefallen wäre, es zu unterbrechen. Erst recht nicht für etwas dermaßen Profanes wie ein Kondom! Unterbrechen? Diese tiefgreifend neue Erfahrung? Alleine der Gedanke ist ein Frevel.
Als er das erste Mal in sie eindrang, war es womöglich noch dramatischer. Die neue Erfahrung. Auch körperlich, denn Hendriks Speer war der größte, den sie kannte. Und doch glitt er mit einer Leichtigkeit in ihren Körper, die ihr Rätsel aufgab. Der feuchte Schleim in ihr, der aus ihr kam, den hat er verursacht. Mit seinem Streicheln. Ihre Nässe war das, aus ihrer Scheide. Ihre Vulva, der Venushügel geschwollen und ganz weich. Das war sein Werk allein. Fassungslos und staunend fühlte sie nach ihrem Körper, nach den neuen Reaktionen, Gegebenheiten, Wahrnehmungen und Reaktionen. Und mitten in ihrem Staunen dringt Hendrik in sie ein. Mit dem schönsten Penis, den sie je gefühlt hat. Und später gesehen. Sie hatte das Gefühl, er schiebt ihn ihr durch den halben Bauch, so sehr hat er sie ausgefüllt. Und danach kannte sie sich nicht mehr. Hat sich ergeben. Den neuen Gefühlen, sie hat ihren Körper gewähren lassen. Für den war es zwar neu, aber der konnte auf Instinkte zurückgreifen. Instinkt ließ sie klammern, ihn umarmen, Instinkt machte ihr die Beine breit und den Schoß bereit.
Instinkt wollte die Umarmung und Instinkt war es auch, der von den Stößen wusste, die vom Mann kamen. Und das Wichtigste, der Instinkt verlangte den warmen Schwall des Mannes Samen in ihrem wollüstigen Körper. Ihr Körper war da, um neue Menschen zu schaffen. Das wollte er. Und weil er das dringend wollte, hat er Mailin abgeschaltet. Ihren Willen mit Lust übertüncht, ihre Vernunft weggewischt und ihr Höhepunkte beschert, die sie heute noch unerklärlich findet. Denn wo war die Lust vorher, wo ist die Lust all die Jahre gewesen? In ihr! Warum ist sie nie herausgekommen? Und jetzt, da sie die Lust kennt, von ihr weiß, muss sie ständig daran denken. Vorher nicht. Erst jetzt. Ein unlösbares Rätsel hat ihr Hendrik mit auf den Heimweg gegeben.
Ihre Brüste sind leer. Die Milch lässt sie in den Ausguss und spült die Maschine gleich. Sie stellt sie zum Trocknen hin, weil sie kein Handtuch findet. Constanze ist noch nicht zurück. Was sie wohl macht? Seit ihrer Erweckung durch den Deutschen hat Mailin eine andere Sicht auf Sex und alles, was damit zusammenhängt. Sie ist nun eingeweiht. Ihr Gynäkologe und Shenmi haben ihr weitere Dinge gezeigt und erklärt und seitdem stellt sie sich nicht mehr so blöd an und ist nicht mehr so naiv wie früher. Sie hat Constanze schon Geld nehmen sehen. Geld für Sex. Ob sie das jetzt wieder macht? Sie kennt sich aus im Hotel und macht sich leise auf die Suche. Sie muss nicht lange suchen, denn schon an der zweiten Zimmertür hört sie etwas. Vorsichtig legt sie ein Ohr ans Türblatt und lauscht. Sie hört die Frau stöhnen. Vom Mann hört sie nichts. Das Bett ächzt, vielleicht ist der Mann dick. Da es nicht Hendrik ist, weiß sie, dass es jeden Moment vorbei sein muss. Mailin geht schnell zurück ins Büro und wartet auf Constanze. Hendrik war nie leise. Bei ihm hat sie genau gewusst, was gerade mit ihm passierte. Er hat nie ein Geheimnis aus seinen Empfindungen gemacht.
Und laut war er! Wenn er wieder einmal seinen Samen in ihren Körper gepumpt hat. Sie vermisst ihn so, ihn, seinen Körper, seinen Penis und seinen Samen. Seine herzzerreißenden Orgasmen. Hendrik liebt sie bis zum Äußersten. Kein Mann ist jemals so gekommen wie er, so leidenschaftlich, so laut, so vehement. Fast vermeint sie, das Zucken seines Körpers zu spüren, während er in sie ejakuliert. Es tut so weh, ihn zu vermissen. Sie will, sie muss ihn bald finden, ihr Köper kann kaum noch warten. Er muss schon viel zu lange warten.
Jetzt hört sie Stimmen im Foyer, bleibt aber sitzen. Constanze kommt zurück, äußerlich unverändert. Mailin fragt sich, ob man auch Spaß am Sex hat, wenn man es für Geld macht. Das wäre ja sehr praktisch! Dann könnten Frauen, die Sex mögen, Geld verdienen, ohne zu arbeiten. Aber sie führt den Gedanken nicht weiter, denn Constanze kommt nun ganz nah, nimmt sie wieder in den Arm und drückt ganz fest! Zum Glück sind die Brüste jetzt leer, sonst hätte sie wieder die Milch im BH. Die Stilleinlagen hat sie im Hotel vergessen, nicht zum ersten Mal. »Mailin, du hast ein Baby! Wie wunderbar. Zeigst du mir ein Bild?«
Sie versteht den Wunsch zwar nicht, aber sie hat Bilder. Sie kramt nach ihrem Handy und öffnet die Bilder von Jahzen. »O mein Gott, ist der süüüüß! Mailin! Das ist das süßeste Baby, das ich je gesehen habe! Wie heißt es denn?«
Mailin kennt so etwas wie Mutterstolz nur schwach. Es ist ein Junge, den hat sie unter Mühe aus sich herausgepresst und nun wächst er. Wird groß. Lacht. Trinkt ihre Brüste leer. Macht die Windeln voll. Sachen, die Babys so machen. Schreit nicht viel. Ist glücklich.
»Das ist Jahzen, ein Junge. Hend’ik ist der Vater.«
»Ach ja, das hätte ich mir jetzt fast gedacht!« Constanze nimmt die Chinesin wieder in den Arm, sie freut sich sichtlich. Sie lacht und ist glücklicher, als es Mailin je schien.
»Zeig nochmal!« Sie nimmt das Handy wieder. Sieht die Bilder. Und findet das Kind wirklich bildschön. Hendriks Sohn. Etwas dunkel, ein Hauch. Ebenso ein Hauch asiatisch. Dem würde in zwanzig Jahren die Welt zu Füßen liegen, jedenfalls hier. »Darauf müssen wir anstoßen!« Ohne Mailins Antwort abzuwarten, macht Constanze eine Flasche Sekt auf und gießt zwei Gläser voll.
»Prost! Was sagt man in China?«
»Ganbei!«
»Ganbei!«
Fast richtig, darauf kommt es nicht an. Sie trinken. Mailin steigt der erste Schluck gleich zu Kopf. Und sie erinnert sich. Sie hat schon früher mit Constanze und Hendrik hier getrunken. Hendrik! Was nun? Sie drängt nicht, denn man hat ihr beigebracht, wie unhöflich es in China ist. Sie muss heute nicht mehr Autofahren. Sie stößt mit Constanze an.
»Mailin! Du musst beim Anstoßen dem anderen in die Augen gucken.«
Constanze im Brustton der Überzeugung. »Das ist hier Tradition. Sonst hat man sieben Jahre schlechten Sex!«
Die Angesprochene ist verwirrt, denn Aberglauben kennt man in China auch, aber eher auf dem Land. Und von dieser Sitte hat sie noch nie gehört. Sie rechnet nach. Könnte hinkommen, wenn sie mit sechzehn und dreiundzwanzig vergessen hat, beim Anstoßen in die Augen zu gucken. Hendrik kannte die Sitte bestimmt nicht. Der hat sicher niemals schlechten Sex.
»Und was machst du, wenn du Hendrik gefunden hast? Willst du hierbleiben? Oder soll er mit nach China fliegen?«
»Erst mal Sex. Und dann mal sehen.«
»Was für ein toller Plan!«
Hat Mailin noch alle Latten am Zaun? Sie ist ihr vor einem Jahr schon komisch erschienen. Sie schob es damals auf die Sprachbarriere. Aber das ist es nicht. Wenn sie spricht, ist es schlimmer. Schon alleine der ›Unfall‹ beim Sex kommt ihr merkwürdig vor. Mailin ist keine sechzehn mehr. Aber dass man ganz naiv nach Deutschland fliegt, um den Vater zu treffen, und als Plan nichts hat als Sex und mal sehen? Constanze stellt ihr leeres Glas auf den Tisch und sagt: »Dann wollen wir mal wieder.«
Mailin fällt ein Stein vom Herzen, endlich geht es weiter. Die Ordner mit den Rechnungen stehen noch dort, wo sie standen, als die Pächter verschwanden. Es dauert zwei Minuten, bis Constanze die gewünschte Information hat.
»Hendrik arbeitet bei einer IT-Firma aus Koblenz. Ich ruf da mal an.«
Eigentlich hat Mailin das selbst regeln wollen, aber Constanze wählt schon. »Niemand da. Vielleicht schon zu spät, es ist fünf. Ich schreibe dir die Nummer auf, dann kannst du morgen früh anrufen. Und meine Nummer schreibe ich auch auf, falls wir uns noch mehr einfallen lassen müssen.«
»Gut, ich rufe gleich morgen früh an.«
»Vielleicht solltest du besser hinfahren, Mädchen.«
»Aber du hast eben auch angerufen!?«
»Das ist trotzdem keine tolle Idee. Wenn jemand anruft, kann man den leicht loswerden. Abwimmeln. Man legt den Hörer auf. Geht ganz leicht. Wenn derjenige vor einem steht, geht das nicht mehr so leicht.«
Mailin leuchtet das ein. Sie wundert sich, dass sie ausgerechnet mit Constanze einer Meinung ist.
»Wo soll ich hinfahren?« Mailin gibt ihr das Handy, sodass Constanze nur die Adresse eintippen muss. Und auf einen Zettel schreibt sie groß den Namen der Firma. Mit dem Logo. Sollte sie finden. Es klingelt. Obwohl das Hotel Kuckucksnest nicht mehr existiert, ist viel los. Mailin weiß, warum es klingelt und Constanze ist es egal, was die Chinesin von ihr denkt. Sie hat selbst in Gernsbach keinen guten Ruf mehr zu verlieren. Eine Hälfte ihrer Bekannten weiß es, die andere ahnt es.
Ihr Freund, den sie vor der Quarantäne hatte, ist inzwischen Papa geworden. Ein Coronabalg mehr auf der Welt. Notgeiler Arsch, der steckt sein Ding überall rein. Wird die Mama schon früh genug herausbekommen. Falls sie im Krankenhaus entbunden hat und ein paar Tage dortblieb, hat er es schon längst getan. Mailin packt ihre Sachen zusammen und als Constanze von der Tür zurückkommt, verabschieden sie sich voneinander. »Ich drücke dir die Daumen, dass du Hendrik findest. Und dass es so schön wird, wie du es dir vorstellst! Ich wünsche es dir.«
Langsam gewöhnt sich die Chinesin daran, gedrückt zu werden.
»Danke, dass du mir geholfen hast. Lass deinen Gast nicht warten.«
Constanze lacht und macht eine wegwerfende Handbewegung. Dann geht sie nach oben und Mailin kehrt in ihr Hotel zurück.
Köln, Deutschland, Mittwoch, 3. bis Freitag, 5. Mai 2021
Es fällt mir schwer, wach zu bleiben. Ständig fallen mir die Augen zu. Zum Glück kann ich die Dinge schon, die man uns beibringen will. Jedenfalls die Sachen, die heute anstehen. Abends will ich todmüde ins Bett fallen. Das Problem, viel mehr als ein Bett habe ich nicht. Ich muss in meinem Häuschen am besten jeden Tag werkeln. Der Winter ist fern, aber gemütlich ist es noch lange nicht. Alles steht voller Holz, es ist staubig, Säcke voller Gips und anderer Baumaterialien, zwischendrin überall unsortiertes Werkzeug.
Eigentlich muss ich froh sein, dass Mailin nicht meinetwegen in Deutschland ist. Selbst wenn sie es wäre, meinetwegen. Es ist nach fünf. Wenn ich jetzt erneut nach Gernsbach fahre, um sie zu suchen, wäre ich frühestens um neun dort. Und wüsste nicht, wo ich suchen soll, müsste wieder um vier Uhr morgens zurück. Ich würde nicht einmal dort ankommen, weil ich auf der Autobahn einschliefe. Entweder ist sie am Wochenende noch da, oder Schicksal. Mia, meine Nachbarin winkt mir zu, ich winke ab. Ich will heute nix mehr hören, nix mehr sehen, nix mehr machen. Nur schlafen. Mia ist pervers. Gegen sie bin ich ein Waisenknabe. Ich dachte zu Beginn, ich könnte es ihr nicht zumuten, neben mir zu wohnen. Weil ich ab und an eine Frau zu Besuch habe. Selten so gelacht. Es ist taghell, als ich einschlafe. Elf Stunden. Kaum wache ich auf, muss ich schon wieder los, der vorletzte Tag der Schulung. Vor unserem Doppelhaus stehen zwei Motorräder. Deswegen hat sie mir gewinkt. Sie wird so oder so ihren Spaß gehabt haben. Ich darf heute nicht vergessen, mir ein neues Telefon zu kaufen. Keine Ahnung, wer welche Befugnisse hat, mein Firmentelefon auszulesen. Ein falsches Wort und man steht auf der Straße. Wo doch alle heute so furchtbar empfindlich sind.
Abends darf ich nicht fehlen und nicht nach Hause. Zum Abschluss des Tages sind wir zum Essen eingeladen. Und danach auf einen Einstand. So hätte man es früher bezeichnet. Get-Together oder so auf Neudeutsch. Mir hat man eine Frau an die Seite gestellt, zum Warmwerden. Ich mutmaße, der Personaler, der das entschied, hat einen krassen Humor. Mir eine Frau als Aufpasser zu geben, ist sinnbefreit. Im Krüger-Nationalpark werden demnächst Antilopen Führer im Löwenareal. Allerdings bin ich nicht in Stimmung. Meine Güte, was für ein Brummer! Sie klärt als Erstes ein paar Fronten, wenn auch nicht alle. »Du fährst nich mehr!«, sagt sie. Mit Ausrufezeichen.
Gut, das ist aus der Welt. Ich schlafe in Köln, ist mir recht. Das Bier fließt in Strömen. Ich bin neu, halte mich also zurück. Auf zwei Beinen aus der Kneipe, keiner Frau an den Arsch oder die Titten gefasst, geradezu mustergültig. Im Gegensatz zu der, die mich unter ihre Fittiche nehmen soll. Zu viele Jägermeister. Bei mir ist jeder zweite nicht im Magen gelandet. Bei dem Brummer schon. Sie schafft es, ihre Wohnung aufzuschließen. Ab dann muss ich übernehmen. Achtzig Kilo bestimmt. Sie ist nicht so schwer wie Solveig, aber schwerer als mir guttut. Ich bin heilfroh, dass ich sie auf ihr Bett verfrachten kann. Da das Sofa voller Wäsche ist, lege ich mich neben sie ins Bett. Nach dem Wecken sieht sie grauenhaft aus. Ich beneide sie nicht, aber ihr scheint es nichts auszumachen. Kein Wort, wie schlecht es ihr geht, ich bin beeindruckt.
»Hab ich gestern irgendwas versucht?« Sie lächelt dabei. Ich schüttle meinen Kopf und lächle zurück.
»Hast du?« Sie lächelt immer noch. Alter, was ein Filmriss.
»Nein, habe ich nicht. Enttäuscht?«
»Ach nee, ich bin eigentlich ne Lesbe, aber wenn ich zu viel getrunken habe, dann vergess ich das manchmal.«
»Wir können ja nach meiner Probezeit einen neuen Versuch starten.«
Dabei zwinkere ich, was alles mögliche bedeuten kann. Sie ist nicht mein Typ. Aber das hat mich nie abgehalten. Außerdem ist es unhöflich, solch einen Satz nicht zu sagen. Auch wenn man sich das vielleicht nicht vorstellen will. Kaum eine Frau hört es gerne, wenn man nicht wenigstens so tut, als fände man sie scharf. Auch dieser Tag geht irgendwann vorbei. Freitagnachmittag, ich stehe wieder vor der Entscheidung. Gernsbach oder Baustelle? Da ich im Hinterkopf Frau Doktor habe, fahre ich in den Schwarzwald. Falls ich Mailin nicht finde, kann ich trotzdem einen schönen Abend verbringen. Oder ein schönes Wochenende.
Ich finde es beunruhigend, dass ich anfange, mich in Gernsbach auszukennen. Ich übe schon mal für das Alter, so wie es scheint. Wie von selbst lande ich vor dem Hotel Kuckucksnest. Trotzdem alles dunkel ist, klingle ich Sturm. Nichts. Ich drehe eine Runde durch die Stadt. Die Tannwaldapotheke ist nicht nur geschlossen, sondern stockdunkel. Nix mit Wichs im Hinterzimmer. Frau Doktor ist bei ihrem Mann. Sie muss vielleicht was wiedergutmachen von vorletzter Nacht. Frage mich, ob es reicht, ihm etwas zu kochen, oder ob er ihr beiwohnen darf. Wobei ich gar nicht weiß, wer für die tote Hose bei den beiden verantwortlich ist. Als ich zum Hotel zurückkehre, erwartet mich eine Überraschung. Constanze steht am Eingang und ist gerade dabei, das Kuckucksnest auf- oder abzuschließen. »Hallo Constanze! Die Letzte macht das Licht aus, oder was?«