Gnade und Freiheit - Felix Weltsch - E-Book

Gnade und Freiheit E-Book

Felix Weltsch

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Beschreibung

"Als Erbauungsbuch – und das ist ja viel mehr als ich dachte – bedeutet es mir viel und wird mir viel bedeuten", schreibt Franz Kafka an seinen Freund Felix Weltsch, der ihm das Skript zu Gnade und Freiheit Ende 1919 zur Korrektur übergeben hatte. Dabei belegen Kafkas Korrekturen und Verbesserungsvorschläge – die in der vorliegenden Ausgabe mitabgedruckt sind –, "wie intensiv er sich mit dem Buch seines Freundes auseinandergesetzt hat, aber auch, wie einflussreich der Gedankenaustausch innerhalb des Freundeskreises war. Kafka war nicht nur einer der ersten Leser von Gnade und Freiheit, mit seinen Anmerkungen erweist er sich auch als penibler und kundiger Lektor. So wundert es nicht, dass Felix Weltsch ihm in den meisten Fällen folgte, nicht nur seine Korrekturen übernahm, sondern seine Anregungen aufgriff und ganze Passagen überarbeitete, wie der Vergleich mit der endgültigen Druckfassung zeigt." Hans-Gerd Koch im Nachwort

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Felix Weltsch

Gnade und Freiheit

Untersuchungen zum Problem des schöpferischenWillens in Religion und Ethik

onomato

Impressum

© Mit freundlicher Genehmigung Eli Gornsteins, Enkel von Felix Weltsch und Rechteinhaber

Satz: Silke Kramer, Marko Milinkovic Register und Editorische Notiz: Silke Kramer, Katharina Müller

ISBN 978-3-944891-20-0

Der Glaube als Vertrauensentscheidung

„Welche Antworten auch der Glaube geben mag, wem er sie geben mag und welcher Glaube es sei: Jede Antwort des Glaubens verleiht dem endlichen Dasein des Menschen den Sinn des Unendlichen – einen Sinn, der nicht durch Leiden, nicht durch Entbehrungen, nicht durch den Tod vernichtet wird. Das will sagen – im Glauben allein kann man den Sinn und die Möglichkeit des Lebens finden. Was ist aber dieser Glaube? Und ich begriff: Der Glaube ist nicht nur die Enthüllung der unsichtbaren Dinge usw., ist nicht die Offenbarung (das ist nur die Schilderung eines der Merkmale des Glaubens), ist nicht das Verhältnis des Menschen zu Gott (man muß erst den Glauben definieren und dann Gott, und nicht durch Gott den Glauben definieren), ist nicht nur die Zustimmung zu dem, was dem Menschen gesagt worden, wie der Glaube meist aufgefaßt wird, – der Glaube ist die Erkenntnis des Sinnes des menschlichen Lebens, kraft dessen der Mensch sich nicht vernichtet, sondern lebt. Der Glaube ist die Kraft des Lebens. Wenn der Mensch lebt, so glaubt er auch an irgend etwas. Würde er nicht glauben, daß etwas ihm zu leben gebietet, so würde er nicht leben ... Ohne Glauben kann man nicht leben ...“

Aus diesen Worten Tolstois spricht die Grundanschauung vom Glauben als tiefster Lebensgrundlage und als letzter geistiger Notwendigkeit.

Der Glaube ist der weiteste religiöse Begriff; bei ihm muß man anfangen, um das Wesen der Religion zu begreifen; er ist nicht durch Gott definierbar. Er ist es, der alles definiert. Er gibt erst dem religiösen Erlebnis Bedeutung und Sinn, er schafft Wahrheit und Dasein, ja er schafft auch Gott. Aber in einzigartiger Weise; denn das, was der wahre Glaube schafft, ist so gut geschaffen und so fest gegründet, als ob es nicht durch „bloßen“ Glauben geschaffen worden wäre. Das bedeutet: Der Glaube überwindet sich selbst, indem er schafft. Denn sobald etwas wirklich geglaubt wird, heißt es nicht mehr: Es ist, weil es geglaubt wird, sondern: Es wird geglaubt, weil es ist.

Alle Religion beruht auf dem Glauben. Sie ist wohl mehr als bloßer Glaube, aber der Glaube ist ihr Kern. Was aber ist der Kern des Glaubens?

Mannigfaltigstes fließt im breiten Strom dieses Begriffs: Urteilen und Lieben, Wille und Hingabe; Seligkeit und Demut; Tat und Sicherheit, Spannung und Lösung; Furcht und Freude, Ehrfurcht und Tapferkeit; Vernunft und Unvernunft. All dies könnte nicht in einem Begriffe zusammengehalten werden, wenn es nicht einen Kern gäbe, der die magische Kraft hat, alle diese geistigen und Gefühlsakte um sich zu gruppieren und geschlossen zu halten. Dieser Kern ist die Vertrauensentscheidung.

Das zum Bewußtsein erwachte Ich findet sich mitten in einem reichen, bald förderlichen, bald verderblichen, jedenfalls aber unfaßbaren Geschehen, in einer Umwelt, deren dem Ich zugekehrte Teile wie auf dieses Ich zugepaßt und geordnet erscheinen, während alles übrige sich in unendlichen Rätseln verliert. Jeder Blick, den das Bewußtsein über den das Ich begrenzenden engsten Lebensumkreis wagt, führt in unergründliche Tiefen und verwirrende Finsternisse hinein.

Diesem rätselhaften Ganzen gegenüber kann nun das Ich verschiedene Positionen einnehmen. Die wichtigste entspringt der Beantwortung der Frage: Soll ich diesem Universum Vertrauen entgegenbringen oder nicht?

Die Tatsachen selbst geben auf diese Frage keine Antwort. Denn mag dieser Kreis noch so beleuchtet sein, er steckt in einer ungeheuren Kugel von schwarzer Nacht. Mag auch ein kleiner Ausschnitt des Lebens geordnet und sinnvoll erscheinen, so kann diese Ordnung immer noch ein glücklicher Zufall, dieser Sinn eine Täuschung sein. Auch die Vernunft läßt uns hier im Stich. Denn selbst, wenn sie uns mit Sicherheit einen Sinn in der Unendlichkeit zeigen könnte, so bliebe sie ja selbst und ihre eigene Sicherheit ein Teil dieser chaotischen Unendlichkeit, selbst nichts als eine solche Kugel, die nur an der uns zugekehrten Wand leuchtet. Die Antwort auf diese Vertrauensfrage ist also unserer freien Entscheidung überlassen.

Es ist somit eine Vertrauensentscheidung, durch die wir in das wesentlichste Verhältnis zum Universum treten. Und diese Vertrauensentscheidung ist nichts anderes als der Glaube.

Die beiden Hauptmerkmale des Glaubens sind bereits in dem Worte selbst enthalten: Vertrauen und Entscheidung. Vertrauen bedeutet das Empfinden der Sicherheit einem objektiv Unsichern gegenüber. Es ist die Leistung des Ich, Unsicheres als sicher zu nehmen. Wenn ich zu einem Lehrer Vertrauen habe, so bedeutet das, daß ich es als sicher annehme, daß sein Unterrichtseffekt wirklich eintritt. Das Vertrauen ist also relativ zu einem bestimmten Geschehen. So ist es, wenn wir jemandem vertrauen, von dem wir eine Leistung verlangen, einem Handwerker, einem Künstler, einem Feldherrn. Es ist ein bestimmter Effekt, zu dem das Vertrauen relativ ist. Allgemeiner wird dieses Relationselement, wenn es sich etwa um das Vertrauen zu einem Freunde handelt. Ich fühle mich hier nicht sicher im Hinblick auf einen bestimmten Erfolg, sondern im Hinblick auf eine ganze Reihe von Ereignissen, die mein jeweiliges Verhältnis zu diesem Freunde betreffen.

Die Erweiterung dieses Relationselements bis ins Absolute hinein führt zum Vertrauen des religiösen Glaubens. Dieses Vertrauen geht auf das Ganze, auf das Universum im denkbar weitesten Sinne. Es soll die Grundlage meines Lebens sein; soll in jeder denkbaren Lebenslage Stütze, für alle möglichen Rätsel Lösung, für alle Unsicherheiten Beruhigung sein, auf jede Frage Antwort geben können. Demnach müssen Vertrauensobjekt sowie Relationselement möglichst umfassend sein. Das bedeutet: Das Vertrauensobjekt ist hier das Universum – eben im Sinne des denkbar umfassendsten Geschehens – und das Relationselement das Höchste, Beste, was herbeigesehnt werden kann: die Verwirklichung des absoluten Wertes. Das Relationselement verliert seine Relativität und wird zum absoluten Moment. Ich habe zum Universum Vertrauen nicht in bezug auf irgendeine bestimmte Erwartung, sondern in bezug auf das Höchste, was ich erhoffen kann, auf das Ganze dessen, was ich wollen kann, auf das umfassendste Ideal, dessen Verwirklichung mir zu höchst erstrebenswert erscheint.

Unter Wert sei hier einfach das verstanden, was sein soll – die Frage, ob dieses Sollen auf einem höheren Gesetz, einem sittlichen Erlebnis oder einer freien Entscheidung beruht, kann dabei offen bleiben. Absoluter Wert ist unter allem, was sein soll, dasjenige, was vor allem sein soll und was gleichzeitig auch alles übrige, was sein soll, in sich enthält; also das Endziel alles dessen, was sein soll, die letzte Grundlage dieses Sollens und das höchste Ideal, dessen Verwirklichung gewollt werden soll.

In welcher Weise kann meine Vertrauensentscheidung die Verwirklichung des absoluten Wertes mit dem Universum in Verbindung bringen? Es gibt zwei Hauptmöglichkeiten: Entweder halte ich diese Verwirklichung des absoluten Wertes für gegeben oder bloß für möglich.

Damit sind wir zum erstenmal an jenes Gegensatzpaar gestoßen, das wir nach seinen wichtigsten Symptomen die Polarität der Gnade und Freiheit nennen. Die Lehre von der Gnade, welche glaubt, daß im Universum der höchste Wert verwirklicht ist, und die von der Freiheit, die darauf vertraut, daß im Universum der absolute Wert verwirklicht werden kann. Dieser Glaube an die Wertfähigkeit, den Wertsinn des Universums, der Glaube also, daß der Versuch, den höchsten Wert im Universum zu verwirklichen, mindestens sinnvoll, daß das Universum dem Wert irgendwie kommensurabel sei, daß Wirklichkeit und Wert in irgendeiner wunderbaren Weise doch aufeinanderpassen, ist wohl nicht das Ganze, aber jedenfalls der Kern eines jeden Glaubens. Er ist gleichsam der Minimalglaube, der in einem jeden Glauben enthalten ist. Ob ich an einen persönlichen Gott glaube oder die Natur verehre, ob ich an Schrift und Überlieferung glaube oder an den Gott in meinem Herzen, immer liegt darin das Vertrauen zur Welt als Wesensmittelpunkt. Dieses Urerlebnis findet sich selbst dort, wo von Gott im eigentlichen Sinne kaum mehr gesprochen werden kann. In seiner natur-pantheistischen Periode hat Goethe diese Religion in seinem Hymnus an die Natur in die Worte gefaßt: „Sie“ – die Natur – „hat mich hereingestellt, sie wird mich auch herausführen. Ich vertraue mich ihr. Sie mag mit mir schalten. Sie wird ihr Werk nicht hassen.“ In jedem Satze eine Variante des Vertrauensbekenntnisses.

Der Glaube ist eine freie Entscheidung, eine Setzung. Das ist eine Tat des menschlichen Geistes, durch die er Grund legt für die nächste Strecke seines Lebens. Setzungen sind Akte, durch welche tragfähiger Boden geschaffen wird für alle Gebäude von Wahrheiten, Willensrichtungen und Gesetzen, in denen der Geist sein Leben vollführt. Eine solche Basis bleibt fest, bis der Geist selbst sie zerschlägt und eine neue tiefere Fundierung unternimmt, auf der er aus den Trümmern des alten Systems oft nur mit einer kleinen Veränderung der früheren Konstruktion sein neues Lebens- und Gedankengebäude aufführt.

Es gibt kein menschliches Denksystem, keine Willens- und Lebenseinheit ohne diese Grundlegung, ohne diese Hypothesis. In jedem System gibt es einen solchen letzten Grund, der frei gelegt ist. Das ist natürlich nicht psychologisch zu verstehen; nicht als ob der Mensch immer erst bewußt daranginge, einen Grund zu legen, bevor er baut. Es ist logisch zu verstehen. Es gibt kein menschliches System, das nicht sinngemäß eine solche Voraussetzung hätte. Sie vollzieht sich psychologisch im Aufbau selbst, nicht losgetrennt von ihm. In den ersten Bewegungen der Konzeption des Systems liegt die Grundlegung oft verkapselt und ungelöst vom übrigen beschlossen.

So geht alle geistige zusammenhängende Tätigkeit vor sich. Es wird Grund gelegt, auf diesem Grund gebaut, dann, wenn sich der Boden nicht mehr als tragfähig erweist, das Ganze wieder zerstört und um eine Strecke tiefer von neuem und gründlicher die Basis gesetzt. Das ist die Vorwärtsbewegung des Geistes. So ist menschliches Denken und Wollen ein ewiger, immer neuer Versuch, immer tiefer grabend, immer tragfähigeren Grund zu schaffen. Das zeigt uns jeder Fortschritt in Wissenschaft und Religion. Die Anschauung, daß die Erde im Mittelpunkt des Weltalls stehe, war Grundlage des vorkopernikanischen Weltbildes, auf der das ganze Gebäude der Astronomie aufgeführt war. Schließlich aber hielt diese Basis, diese Hypothesis die Tatsachenmasse nicht mehr aus, und das Ganze wurde von Kopernikus zerstört und ein neues Gebäude auf neuer Voraussetzung entworfen. Nicht anders ist es in der Religion, wenn etwa eine Familien- oder Ahnen-Gottheit als religiöse Grundlage des Lebens gesetzt war und sich im Verlaufe der Entwicklung des Volkes unfähig erweist, die ganze Last des religiös relevanten Geschehens zu tragen, so daß eine neue Religion, eine neue Gottheit an deren Stelle treten muß.

So erweist sich der Hypothesisgedanke Hermann Cohens und seiner Schule auch außerhalb des engeren neukantischen Rahmens fruchtbar. Es gibt kein System, kein menschliches Denken und kein menschliches Wollen ohne Grundlegung; und diese kann nie durch das System gestützt werden, weil sie selbst das System stützt; so kann auch das Material des Gegebenen, des Vorbegrifflichen, des Vorsystematischen nicht Grundlage eines Systems werden, bevor es nicht vom menschlichen Geiste dazu gemacht worden ist. Eine solche Setzung ist nun auch die Vertrauensentscheidung, in welcher das Ich ohne jede Stütze durch bereits Systematisiertes die Vertrauensfrage dem Universum gegenüber grundlegend beantwortet.

In diesem Sinne ist der Glaube Voraussetzung alles Lebens, Wollens und Erkennens: So sind die eingangs zitierten Worte aus Tolstois „Beichte“ zu verstehen; in naiver Einfachheit drückt dasselbe der neujüdische Dichter Jizchok Leib Perez in einer Novelle aus: „Ich will Ihnen sagen, daß es überhaupt keinen Unglauben auf der Welt gibt: das mit dem Unglauben ist eine erfundene Sache! Denn die ganze Welt ist nichts als Glauben! ... Ohne Glaube kann man überhaupt nicht auskommen. Die Vernunft allein reicht nicht aus ... Ohne Glaube kein Wille; einfach jüdisch gesprochen heißt das, daß ein Mensch, der nichts glaubt, auch nichts will und zu nichts Lust hat.“

Nicht nur die Religion und die Ethik bedürfen eines solchen grundlegenden Vertrauensaktes, sondern auch die Wahrheit. Auch Urteil und Erkenntnis beruhen letzten Endes auf einem Glauben. Es nützt wenig, demgegenüber auf das Erlebnis der Evidenz, jenes lichtvollen Überzeugtseins, hinzuweisen, welches das einsichtige Urteil begleitet. Es nützt wenig, dem Evidenzketzer vorzuhalten: „Ja, ist die Evidenz nicht hinlängliche Sicherheit, nicht jenes Licht, das jeden Zweifel an einer Wahrheit ausschließt, das nicht des Glaubens bedarf, um zu überzeugen, und das kein Vertrauen nötig hat, weil ein Mißtrauen ausgeschlossen ist? Wer bei der Evidenz noch von einem Glauben spricht, der scheint sie nie erlebt zu haben, scheint evidenzblind zu sein!“ Ich antworte: Die Behauptung, daß auch die Wahrheit einen Vertrauensakt voraussetze, meint nicht, daß die Evidenz irgendwie vom Willen abhänge, daß sich jemand, wenn er urteilend erkennen will, der Evidenz entziehen könne, oder daß sich innerhalb des Wahrheitsstrebens an einem evident erlebten Satze zweifeln ließe.

Wohl aber bedeutet diese Behauptung: daß ich den ganzen ungeheuren Komplex der Wahrheit überhaupt als etwas Letztes setze, über das in meinem Verhältnis zur Welt in dieser Richtung nicht mehr hinauszugehen ist – das ist meine freie Entscheidung. Der Akt des Erkennens hat die Eigenheit, daß er, obwohl im Subjekt eingeschlossen, dennoch den Anspruch erhebt, vom Subjekt aus das Objekt zu erfassen und noch dazu mit einer Gewißheit, wie sie eigentlich nur einem Akt zustehen könnte, der über Subjekt und Objekt stünde. Der Erkennende kann ja beim Erkenntnisakt nie aus sich hinausspringen, muß stets bei sich selbst bleiben, kann weder das Objekt, das er erkennen will, selbst werden, noch es irgendwie in sich hereinziehen. Daß ein solcher Erkenntnisvorgang trotzdem Vertrauen genießt, liegt an meiner Vertrauensentscheidung. Daß der Mensch dem nichts als subjektiven Erlebnis der Evidenz objektiven Charakter zuerkennt, das ist seine freie Tat.

Diese Vertrauensentscheidung ist bereits im Streben nach Wahrheit enthalten. Indem ich erkennen will, die Wahrheit suche, habe ich mich bereits unter die geistigen Gesetze der Erkenntnis begeben. Denn Erkennenwollen heißt nichts anderes, als die Vernunftwahrheit suchen und darin liegt bereits die Vertrauensentscheidung für die Vernunftwahrheit, innerhalb welcher uns die Evidenz ewig leuchtendes Licht bleibt.

Wir können wohl nicht zweifeln: Ist das wahr, was wir wahrhaft evident erkennen? Wohl aber können wir fragen: Ist uns das ganze System der Vernunftwahrheit vollkommenste Sicherheit? Diese letzte Beruhigung kann nur von uns ausgehen. Gewiß kann dieser Vertrauensakt – psychologisch genommen – im Evidenzerlebnis eingekapselt sein. Eine phänomenologische Betrachtung vermag ihn aber ohne weiteres als aktives Element vom passiven Teil des Erlebnisses loszulösen.

Es ist interessant, wie diese Aktivität des Vertrauensaktes innerhalb der Evidenz selbst bei überzeugten Anhängern der Evidenzlehre hin und wieder zum Vorschein kommt. So heißt es bei Max Scheler, dem bedeutendsten Ausgestalter dieser Lehre: „Die neue Haltung mag zunächst vage genug emotional als ein Sichhingeben an den Anschauungsinhalt der Dinge, als die Bewegung eines tiefen Vertrauens in die Unumstößlichkeit alles schlicht und evident Gegebenen ... bezeichnet werden.“1 Und in demselben Aufsatze: Die Frage nach dem Kriterium ist „stets die Frage der Nichtbesitzenden, der Außenstehenden, derer, die nicht Mut oder Kraft haben (und sich dieses Mangels, wie leise immer, bewußt sind) sich mit einer Sache selbst zu vermählen“2.

Also nicht „evidenzblind“ ist derjenige, dem die Evidenz nicht zur vollkommenen Sicherheit genügt, wie die Anhänger der erlösenden Evidenzlehre die Zweifler abtun. Es fehlt ihm kein Aufnahmsorgan, sondern ganz im Gegenteil, die aktive Kraft und der Mut zur Vertrauensentscheidung.

Letzterer entspricht im Gebiete der Wahrheit der moderne Begriff des „Selbstvertrauens der Vernunft“, auf welches auch bei Troeltsch die Sicherheit der religiösen Erfahrung zurückgeht. Es gibt hier schließlich, so sagt er mit Recht, „weiter keine erkenntnistheoretische Sicherung als den Glauben an die Normalität und die sinnvolle Organisation unseres Bewußtseins“3.

So steht also der Glaube als freie Vertrauensentscheidung an der Pforte der Vernunftwahrheit, wie schon die berühmten Worte Anselms von Canterbury lehren: „Neque enim quaero intellegere, ut credam, sed credo, ut intelligam. Nam et hoc credo, quia, nisi credidero, non intelligam.“

Jedes psychische Geschehen hat ein logisches Gerippe, einen letzten Bedeutungsgehalt, der tief in das lebendige Geschehen eingesenkt ist und den erst intensive phänomenologische Forschung allmählich an den Tag zu bringen vermag. Will man diesen Sinnkern als psychische Wirklichkeit erkennen, so muß man ihn wieder mit allem Leben bekleiden, von dem man früher abgesehen hat; muß diesem lapidaren Akt wieder menschlicher Phantasie und Denktätigkeit zurückgeben. So entfaltet sich dann der Keim erst zu psychischer Wirklichkeit.

Von dem logischen Kern des Erlebnisses ist vorerst dessen psychischer Ablauf zu unterscheiden. War dieser Kern im religiösen Erlebnis eine Einheit, so ist bei dem Ablauf der religiösen Erfahrung ein Doppeltakt zu konstatieren; auf eine negative Vorbereitung folgt eine positive Auslösung; auf eine Spannung eine Entladung. Der erste Akt des religiösen Erlebnisses ist immer etwas Dunkles: Furcht; Grauen vor dem Ungewissen; Angst vor dem Unheimlichen; in höherer Sphäre Ehrfurcht vor dem Ungeheuren, Verzweiflung ob dem Chaos. Und der zweite Akt: der Gegenschlag des Vertrauens, der liebenden Hingabe, der freudigen Bejahung.4 Neben dem logischen Kern, dem psychischen Ablauf läßt sich als dritte Dimension erst die eigentliche Entfaltung des Erlebnisses in allen seelischen Richtungen beobachten.

Im Reich des Gefühls: auf der Furchtseite: das Grauen vor dem Göttlich-Geheimnisvollen, das Gefühl der Nichtigkeit vor dem Übermächtigen; auf der Vertrauensseite: die Liebe – von der Nuance der Ehrfurcht bis zur intimen bräutlichen Liebe, die Hingabe, die mystische Gottesschau, die himmlische Seligkeit und Ekstase. – Als Mischwirkungen Ehrfurcht vor der göttlichen Majestät, Demut, Verehrung und Bewunderung.

Im Reiche des Willens: Das Vertrauen zu Gott verpflichtet zu vielem und ermöglicht vieles; es entsteht eine persönliche Beziehung zwischen Gott und Mensch, „ein Geben und Nehmen, ein Bitten und Helfen, ein Suchen und Finden“.5

Es bildet sich ein Verkehr mit Gott heraus, der bald zeremoniell festgelegt wird in Gebet und Opfern, in Rituellem und Sakramentalem. Im Gebet wird Gott gelobt und gepriesen, verherrlicht und angefleht – um irdische Hilfe, in reiferem Stadium – um sittliche Erlösung. Es entsteht das Bewußtsein der Verpflichtung und der Verantwortung gegenüber dem Göttlichen, der Abhängigkeit sowie der Freiheit.

Und schließlich im Reiche der Vorstellung: Der Sinn der religiösen Vertrauensentscheidung nimmt hier konkrete Gestalt an im farbenprächtigen Gewand des Mythos und der Legende und breitet sich endlich im Nacheinander des historischen Geschehens aus.

Schon der erste Entfaltungsschritt führt vom Wertsinn des Universums zu einem Subjekte dieses Sinnes, einem Träger dieses Wertes, zu Gott. Und von hier ist die Stufenleiter der Konkretisierung leicht zu übersehen: Gott als Weltschöpfer, -regierer, -erlöser, Gott, der sich geoffenbart hat, der meiner Seele Heil spendet, der mein irdisches Wohlergehen fördert ...

Die höchste Sanktionierung der historischen Entfaltung bedeutet der Glaube an die Offenbarung, deren Inhalt in heiligen Schriften und in der Tradition niedergelegt ist und sehr oft zum Dogma erstarrt.

Von sehr großer Bedeutung ist die Frage der Entfaltung für den alten Kampf zwischen Glauben und Wissen. Es ist von vornherein klar: Je entfalteter die Entscheidung in historischer Hinsicht ist, je weiter sie sich von der Urentscheidung für den Wertsinn entfernt hat, je mehr geschichtliche Tatsachen sie in sich enthält, desto eher kann sie mit der Vernunftwahrheit in Kollision treten. Der Glaube, daß sich im Weltgeschehen ein höchster Wert verwirklichen kann, vermag mit der Vernunft unmöglich in Widerspruch zu geraten. Der biblischen Schilderung der Weltschöpfung, dem Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes steht die wissenschaftliche Wahrheit schon feindlich gegenüber.

Hier bildet der Glaube an die Offenbarung und an den Offenbarungscharakter der Heiligen Schriften einen entscheidenden Einschnitt. Die Kontroverse zwischen den Darlegungen der geoffenbarten Schriften und den Ergebnissen der Wissenschaft sind der klassische Boden für den Kampf zwischen Glauben und Vernunft, der nur durch äußerst komplizierte Interpretationskunststücke jahrhundertelang wachgehalten werden konnte.

Aus unserer Auffassung des Glaubens und der Wahrheit ergibt sich für das Verhältnis von Glauben und Wissen folgendes: Eines ist sicher: Man kann weder auf den religiösen Glauben noch auf die Vernunftwahrheit verzichten. Denn ein Verzicht zieht den andern nach sich. Verdient das Universum kein Vertrauen, hat das Ganze der Welt keinen Wertsinn, so ist damit auch der Wahrheit das Mißtrauen ausgesprochen, denn die Wahrheit ist ein Teil dieses Ganzen. Verdient aber die Vernunft kein Vertrauen, so muß dieses Mißtrauen, das man einem so wesentlichen Teile entgegenbringt, auch das Vertrauen zum Ganzen erschüttern. Überdies fehlt dann auch jede Möglichkeit, das religiöse Vertrauen auszubauen; denn wir haben nur den Weg der Vernunft.

So setzen die beiden Vertrauensentscheidungen einander in ihrer Wurzel gegenseitig voraus. Die Reibungen beginnen erst bei der historischen Entfaltung, beim Ausbau der Offenbarungsreligion. Hier bedeutet die Linie der Vernunftwahrheit eine Eindämmung und Eingrenzung dieser Ausgestaltung, eine Regulierung des Bettes, in dem sich der Grundkeim entfalten soll. Nach manchen Umwegen gelangt schließlich auch die historische Religion auf den Wege der Interpretation zu demselben Resultat: Anerkennung der Rechte der Vernunftwahrheit innerhalb der Entfaltung.

Die Überlegenheit des Glaubens über die Vernunft, das Recht, der Vernunft zu trotzen, das Credo quia absurdum gilt also wohl – aber nur für die Geburt des Glaubens, für die Grundlegung. Je näher dieser Ursetzung, desto mächtiger ist der vernunftfreie Glaube. Je weiter die Entfaltung, desto ausschlaggebender wird aber die vernunftmäßige Beurteilung. Gegenüber dem Glauben, daß die Welt im Grunde gut sei, daß es einen Gott gebe, sind Wahrscheinlichkeitsgründe der Vernunft ohnmächtig und unzureichend. Denn hier geht’s um Grundlegungen. Dem wörtlichen Glauben an den Schöpfungsbericht des ersten Buches Mosis gegenüber behält die Wissenschaft das Recht des Einspruches. Denn es ist ein historisches Entfaltungsdetail.

Ein tieferer Einblick in die Beziehungen von Glauben und Wissen eröffnet sich, wenn man das Problem in das psychologischdeskriptive Gebiet verschiebt und die einfache klassifikatorische Frage stellt: Ist der Glaube ein noetisches oder ein emotionales Phänomen? Gehört er dem Reich des Erkennens oder dem des Liebens im weitesten Sinne an? Wird Gegebenes gefunden oder Neues geschaffen? Liegt Konstatieren eines Bestehenden vor oder veränderndes, eingreifendes Eintreten für Etwas?

Auf den ersten Moment scheint diese Frage pedantisch und überflüssig. In Wahrheit rührt sie aber gerade an das eigentlich Problematische des Glaubens. Urteil und Gefühl scheinen sich im Glauben eigentümlich zu mischen. Dieses charakteristische Moment ist schon irgendwie in der berühmten Definition des Glaubens im Briefe an die Hebräer enthalten: „Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht, des, das man hofft und nicht zweifelt an dem, das man nicht sieht.“ Der erste Teil weist mehr ins Emotionale, der zweite mehr auf das Urteilsmäßige hin.

Im Grunde ist kein Urteil vollkommen frei vom Willenshaften. Denn alle enthalten schließlich eine Entscheidung, einen wenn auch noch so allgemeinen Vertrauensakt. Das liegt eben darin, daß unser letztes Ruhefinden der Wahrheit gegenüber unsere Vertrauenstat ist.

Gewöhnlich ist nun das aktuelle Urteil von der Sicherheit schaffenden Entscheidung durch eine Reihe von Vernunftschritten getrennt. Urteilen wir z. B.: Der Mensch stammt vom Affen ab, so sind wir zu diesem Urteil durch eine Reihe von Schlüssen gekommen, die logisch zusammenhängen und auf verschiedenen Erfahrungen beruhen, welche wieder durch Überlegungen zu dieser Konklusion zusammengefaßt worden sind. Die Richtigkeit aller dieser Schlüsse und Erfahrungen beruht aber auf den Gesetzen der Vernunftwahrheit und Wahrscheinlichkeit und die Sicherheit der Vernunft beruht dann erst auf dem Vertrauensakt.

Je geringer nun die Zahl dieser Zwischenglieder ist, je näher ein bestimmtes Urteil der Grundentscheidung liegt, desto mehr hat es Glaubenscharakter. In der Urentscheidung selbst aber fallen Wille und Urteil ganz zusammen. Das ist die Wurzel, in der sie noch ungeschieden beisammen sind.

Wie ist diese coincidentia oppositorum denkbar? Seiner Form und Intention nach ist der religiöse Glaube offenbar ein Urteil. Denn er will konstatieren. Er will nicht Neues schaffen, sondern Vorhandenes feststellen. Er sagt: A ist B; und nicht: Ich mache A zu B.

Diese Form wird aber durch den Inhalt zersprengt. Denn dieser ist so umfassend, daß die konstatierende Form ihm nie angepaßt werden kann. Der Gaubensinhalt lautet ja nicht: Irgendein bestimmter Gegenstand ist; sondern: Das Ganze, welches alles denkbare Seiende in sich enthält, hat Wertwirklichkeit oder Wertsinn. Und das ist ja wieder nur der in die Urteilsform transponierte Ausdruck für das umfassendste Vertrauen. Der vom formalen Standpunkt als Urteil anzusehende Akt: „Das Ganze hat Wertsinn“, ist gleichbedeutend mit dem formal als Willenstat anzusprechenden Akt: „Ich fühle mich diesem Ganzen gegenüber ruhig; ich gebe mich ihm hin; ich vertraue ihm.“ Der gemeinsame Punkt ist: Beruhigung dem Absoluten gegenüber. Hier fließen Urteil und Gefühl zusammen, oder besser: Von hier gehen erst Urteil und Gefühl aus. Indem ich – durch meine Entscheidung – festen Fuß fasse, konstatiere ich gleichzeitig – durch mein Urteil – festen Boden unter den Füßen.

Auf diese so errungene Sicherheit gründe ich mein weiteres Urteilen und mein weiteres Wollen. Diese Vertrauensentscheidung ist die Voraussetzung aller Wahrheit und aller Sittlichkeit, des erkenntnistheoretischen und des sittlichen Optimismus. Diese Grundlegung ist – urteilsmäßig – die weiteste und umfassendste Konstatierung, – gefühlsmäßig – die tiefste Beruhigung. „Die Frucht des Glaubens ist der Friede.“

Die tiefsten Geister haben das Willensmäßige des Glaubens, den Vertrauenskern, gefühlt. Augustinus betont das Zustimmungshafte, das Jasagen des Glaubens. Luther warnt davor, das Glauben für ein bloßes Fürwahrhalten zu nehmen. „Sie heißen das Glauben, daß sie von Christo gehört haben und halten, es sei dem wohl – wie denn die Teufel auch glauben und werden doch nicht fromm dadurch.“ Immer betont Luther die Verwandtschaft von Glaube und Liebe. Schon darin zeigt sich das gefühlsmäßige Element. Auch darin, daß die Hoffnung des Glaubens Zwillingsschwester sei. Und wenn Luther auch diese beiden unterscheidet, so scheint es immer nur wie eine abstrakte Analyse einer praktischen Einheit. Auch Tolstoi sieht im Glauben nicht Dogmen, sondern das Bewußtsein, daß der ethische Sinn des Lebens ein unendlich tiefer sei. In seiner Philosophie der Freiheit spricht Schelling vom Glauben „nicht im Sinne eines Für-Wahr-haltens ... sondern in seiner ursprünglichen Bedeutung als Zutrauen, Zuversicht auf das Göttliche ...“

Übrigens ist auch schon in manchen Sprachen das Wort Glaube erfüllt vom Tatcharakter des Vertrauens, das lateinische „fides“, das griechische „pistis“; insbesondere hat auch der biblische Ausdruck für Glauben, das hebräische „emunah“, die Grundbedeutung: fest, sicher, verläßlich.

So wie die Universalität des Inhalts sich dem formalen Rahmen des Urteils nicht fügt, so weist auch ein wesentliches Element des Glaubenserlebnisses über das Urteil hinaus: die Intensität; die Verschiedenheit des Grades und der Stärke des Glaubens. Ein reines Urteil hat keine Intensität, keine Variabilität der Kraft – so lehren die meisten Psychologen. Das Wissen kann keine Berge versetzen, wohl aber ein starker Glaube. Wissen mag fest sein, es bleibt doch kalt. Der Glaube aber hat Wärme und Feuersgluten. Sein Eifer steigert sich zum Sturm, der „Königreiche bezwingt, Gerechtigkeit birgt, Verheißungen erlangt, der Löwen Rachen verstopft, des Feuers Kraft auslöscht“ und alle die Wunder verrichtet, die das 11. Kapitel des Hebräerbriefes, jener Hymnus, auf die Intensität und Kraft des Glaubens, aufzählt.

Noch größer erscheint der Abstand zwischen Glauben und Erkenntnis, wenn man das Verhältnis zwischen dem Glauben und dem zu Glaubenden betrachtet und es mit dem Verhältnis zwischen Urteil und dem zu Beurteilenden, der sogenannten Urteilsmaterie, vergleicht. Letztere hat nämlich einen bestimmenden Einfluß auf den Urteilsakt. Oft erzwingt sie geradezu bei einem aufmerksamen, normal denkenden Menschen ein bestimmtes Urteil; etwa die Vorstellung von A und non A das Urteil: ist unmöglich.

Ganz anders ist das beim Glaubensurteil. Die Glaubensmaterie vermag den Glaubensakt nicht zu beeinflussen. Einsam und einzig, beide unendlich groß, stehen hier Glaubensakt und Glaubensmaterie gleichsam Mann gegen Mann einander gegenüber; es gibt neben ihnen nichts, was sie vereinigen, was ihnen in ihrer Vereinsamung helfen könnte; nur eine spontane Entscheidung kann sie verbinden. Denn alles was aus der Glaubensmaterie heraus vielleicht zu einem bestimmten Glaubensurteil einladen könnte, wird bedeutungslos, wenn es als ein Teil einer Unendlichkeit erkannt wird, deren Grenzen sich nicht fassen lassen. Eine unendliche Materie läßt sich aus einem endlichen Teil heraus nicht vollständig, nicht mit letzter Sicherheit beurteilen.

So wird aber auch ein weiteres charakteristisches Moment des Urteils beim Glauben sinnlos: die Frage der Richtigkeit.

Was bedeutet die Richtigkeit eines Urteils? Ich will es vermeiden, mich zirkelhaft auf die Evidenz zu berufen, denn diese gibt vielleicht ein Kriterium, aber nie den Sinn der Richtigkeit. „Ein Urteil ist richtig“ heißt: Es hat der ihm innewohnenden Tendenz entsprochen; es hat seine Aufgabe erfüllt. Diese Tendenz geht auf Bestimmung; ein Fremdes wird bekannt; ein Vages wird an seinen Ort im Universum gestellt, wird in die Einheit des Ganzen eingefügt.

Das alles hat nun einen Sinn, wenn bereits eine Einheit besteht, ein Grund vorhanden, eine Sicherheit erlangt ist. Wenn es sich aber gerade in diesem Akt erst darum handelt, die Einheit zu begründen, die Sicherheit zu schaffen, das Vertrauen zu fassen, was heißt dann Richtigkeit? Die Frage nach der Richtigkeit ist in diesem Falle ein Hysteron proteron. Da es ums Ganze geht, ist die Frage nach dem Hineinpassen ins Ganze sinnlos. Da die Urteilsmaterie umfassend ist, gibt es keine Möglichkeit, sie zu vergleichen, sie an anderen zu messen. Frei, ohne Hilfe und Stütze, steht hier der Akt der Materie gegenüber, und frei muß er sich entscheiden. In dieser Entscheidung liegen Wille und Urteil enthalten. In diesem ersten Glaubens-Willens-Urteil wird der Wertsinn der Welt mit einem Schlage geschaffen und gleichzeitig konstatiert.

Darum ist auch der Glaube unzerstörbar durch die Überlegenheit des Begreifens, durch den Einblick in seine Entstehungsgeschichte. Überall läßt sich beobachten, wie die festesten Gegebenheiten des menschlichen Lebens aufgelöst werden, wenn man sie verstehen lernt, wenn man sie als Teilerscheinung auffaßt und vergleicht, ihre Genesis durchschaut, sie historisch einreiht, kurz wenn man das Objektive als irgendwie subjektiv nachweist. Man erforscht die Entstehungsgeschichte der Bibel und die Tatsache der Offenbarung wankt. Man erweist Sitte und Moral als biologische Erscheinungen und sie sind entheiligt. Ja, man versucht sogar die Wahrheit pragmatisch aufzufassen, will hinter das ganze Spiel der Wahrheit kommen und sucht sie als bloßen Apparat zur Lebensförderung zu entlarven. Ewiges erkennt man als Gewordenes, Urgeschaffenes als Gemachtes, Einziges als Einzelfall. So kann alles entzaubert, alle Heiligkeit zersetzt werden.

Vor diesem Schicksal ist der Glaube gefeit. Denn er gibt sich von vornherein als subjektive Leistung par excellence. Sein Wesen ist Setzung. Darum kann ihm die Erkenntnis, daß er „nur“ subjektiv ist, nichts anhaben.

Gerade das, was bei anderen Erscheinungen auflösend wirkt, festigt ihn. Er ist von vornherein und seinem ganzen Wesen nach höchst individuelle geistige Tat. Man kann keine Überlegenheit über ihn erringen, wenn man dies durchschaut. Nur den Glauben, den man nicht glaubt, kann man entwerten, indem man ihn als individuelle Setzung versteht. Glaubt man aber wahrhaft, dann hat man sich eben dadurch gegen das Darüberstehen durch Begreifen entschieden, hat sich mit beiden Füßen in den Glauben hineingestellt; hat diese Art von Überlegenheit durch Darüberstehen, diese Geringschätzung wegen Subjektivität, diese Möglichkeit der Entzauberung aus eigener Macht vernichtet.