Goethe und der liebe Gott. - Thomas O. H. Kaiser - E-Book

Goethe und der liebe Gott. E-Book

Thomas O. H. Kaiser

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Beschreibung

In dem Buch "Goethe und der liebe Gott" geht es um das "Verhältnis des Johann Wolfgang von Goethe zum Christentum, zur Kirche und zur Religion" (Untertitel). Oft wurde in der Goethe-Forschung behauptet, dass Goethe ein "Heide" gewesen sei. Der Autor ist anderer Meinung: Goethe war ein überzeugter Protestant, der als Kind evangelisch-lutherisch getauft wurde, sich konfirmieren ließ, kirchlich heiratete und schließlich evangelisch beerdigt wurde. Zeit seines Lebens hat sich Goethe mit Religion beschäftigt, ohne jedoch ein systematisches Lehrgebäude hinterlassen zu haben. Allerdings ist sein gesamtes Werk von theologischen und religionsphilosophischen Gedanken durchzogen. In ihm wird erkennbar, dass der bibelfeste Dichterfürst aus Weimar unorthodox, kritisch und auch zweifelnd im Umgang mit Religion war - Eigenschaften, die zum evangelischen Glauben dazugehören.

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Für Balthasar

„Übers Grab geht unser Amt nicht…“1

Goethes immerwährende

trostreiche Botschaft

an die Pfarrerinnen und Pfarrer

in Deutschland

1 Johann Wolfgang von Goethe, Brief des Pastors zu *** An den neuen Pastor zu ***, zitiert nach Fulbert Steffensky (Hg.), Nicolaigasse. Der Pfarrer und das Pfarrhaus in der Literatur, Stuttgart 2004, 25. Der ursprüngliche Text ist zu finden in: Johann Wolfgang von Goethe Werke, HA 12, Schriften zur Kunst und Literatur. Maximen und Reflexionen, München 1998, 228-239 (im Folgenden: HA).

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Goethe und die Bibel

Goethe und das Heidentum

Goethe und die Antike

Goethe und der Katholizismus

Goethe und der Islam

Goethe und das Judentum

Goethe und die Religion im Allgemeinen

Goethe und die letzten Dinge

Ausblick

Zeittafel

Literaturverzeichnis

Zum Autor

Zur Künstlerin und zum Bild des Covers

Vorwort

Zu Johann Wolfgang Goethe komme ich, ehrlich gesagt, wie die Jungfrau zum Kinde. Wenn ich näher darüber nachdenke, dann hatte mich der deutsche Dichterfürst in meiner Schulzeit und auch Jahre danach eher nur marginal interessiert. Natürlich hatte ich Goethes `Faust´2, jenes große Drama über die Verführbarkeit des Menschen, das Goethe sein ganzes Leben lang beschäftigte und zu dem meistzitierten Werk der deutschen Literatur wurde, in der Schule gelesen, und ich hatte auch die legendäre Verfilmung der Gründgens-Aufführung3 angesehen, die mich völlig fasziniert hatte. Ich hatte sogar später, in meinen 30er-Jahren, einen Zugang zu `Faust II´4 gefunden! Aber für die ganze Zeit, für die Jugend wie fürs fortgeschrittene Alter, galt: Der arme Poet Heinrich Heine5 stand mir einfach geistig näher als der gesetzte, in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen lebende Geheime Rat aus Hessen bzw. Thüringen. Der scharfzüngige Analytiker der Zustände seiner Zeit, aus dem quirligen Düsseldorf stammend und später im Exil in Frankreich lebend, sagte mir nicht nur wegen seiner espritvollen Werke, sondern auch im Blick auf seine gedankliche Verbindung von Geistesfreiheit und Protestantismus6 mehr zu als der behäbig-behagliche „kluge Kunstgreis“7 aus dem beschaulichen Weimar, der zum Synonym für deutsche Dichtkunst wurde. Trotz aller Genialität, die Goethe besaß und die auch schließlich mich beeindruckte, war er für mich in jungen Jahren weniger attraktiv als der Pariser Dichter der `Loreley8, der „hier auf Erden schon/Das Himmelreich errichten“9 und den Himmel lieber „den Engeln und den Spatzen“10 überlassen wollte. Zuviel Widersprüchliches hatte ich über Goethe erfahren: Wie konnte er einerseits das Gedicht `Edel sei der Mensch, hilfreich und gut´11, das Bekenntnis für den Humanismus, schreiben und andererseits gleichzeitig gegen die Demokratie sein und für die Todesstrafe plädieren?12 Befremdlich an Goethe war außerdem, dass dessen alter Freund Johann Gottfried Herder13 den Umsturz im Frankreich des Louis XVI.14 begrüßt hatte, Goethe selbst aber die Französische Revolution als Aufstand des Plebejischen und des Gemeinen, u. a. wegen der vielen Gräuel15, abgelehnt und Sympathien für den von ihm als kongenial erachteten Napoleon Bonaparte16, den Kaiser der Franzosen, als Bändiger der von ihm verachteten Revolutionäre gehegt hatte.17 Während Goethe, der Dichter, Humanität und Toleranz predigte, schien gleichzeitig Goethe, der Politiker, so hatte ich den Eindruck, ein Mann von Law and Order, gewissermaßen der John Wayne18 von Weimar, zu sein19, der in der längst nicht so wie immer behauptet aufgeklärt-liberalen Stadt gnadenlos seine Maxime durchsetzte.20

Meine Einstellung zu Goethe änderte sich ein wenig, nachdem ich aufgefordert worden war, in Waldshut-Tiengen die `Goethe-Gesellschaft Hochrhein e. V.´21 mit zu gründen. Im Rahmen einer von mir initiierten Goethe-Woche in der Evangelischen Kirchengemeinde Kadelburg anlässlich des 250. Geburtstags des Dichters22, die unter dem Titel „Goethe macht Spaß“23 stand und ein Versuch war, evangelischen Christinnen und Christen Goethes Werk nahezubringen und die Kirche für die Kultur zu öffnen, war „spaßeshalber“24 die Gründung einer Goethe-Gesellschaft ins Gespräch gebracht worden, zu der es dann ein Jahr später schließlich kam. Im Zuge dieser ehrenamtlichen Vereinstätigkeit wurde ich nun gewissermaßen gezwungen, mich intensiver als bisher mit Goethes Leben und Werk zu beschäftigen.25 Ich erkannte, wie viele historische Voraussetzungen aus Goethes Zeit für die Gegenwart bestimmend waren und wie viel geistige Verwandtschaft zwischen den Zeitgenossinnen und Zeitgenossen um 1800 und uns noch heute besteht – trotz der widrigen Alltagsumstände, unter denen damals gelebt wurde (eine militarisierte und hierarchische Gesellschaft, Druck durch gesellschaftliche Zwänge, keine Elektrizität und statt dessen Beleuchtung durch Kerzen, keine Kanalisation, eine mangelhafte Infrastruktur, beschwerliche Fortbewegung mittels Pferden und Kutschen, Schreiben mit Feder und Tinte, unterschiedliche Währungen, Wechselkurse und Zölle innerhalb Deutschlands, mangelnde sanitäre Verhältnisse, die selbstverständliche Akzeptanz von Kinder- und Sklavenarbeit, eine fehlende moderne Technologie usw.), und trotz einer im Vergleich zu heute anderen und unübersichtlichen politischen, rechtlichen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Gesamtsituation im damals zerstückelten Deutschland.26 Ich lernte, dass Goethes Texte aus Zeiten von Sturm und Drang und aus Zeiten der Weimarer Klassik und die seiner romantischen und aufgeklärten Mitstreiterinnen und Mitstreiter auch nach über zweihundert Jahren unmittelbar ansprechend waren. Einige Jahre übte ich das Amt des zweiten Vorstands der Goethe-Gesellschaft Hochrhein mit Sitz in Waldshut-Tiengen aus.27

Im Frühling 2016 hatte ich die Gelegenheit, zum ersten Mal Weimar zu besuchen, und war begeistert! Hatten doch alle wichtigen historischen Stätten in der kleinen Stadt an der Ilm – u. a. das Goethe- und Schillerhaus, Goethes Gartenhaus, das Stadtschloss, die Stadtkirche mit Herderhaus und Altem Gymnasium und die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek28, ein Prunkstück des Rokoko – den real existierenden Sozialismus und das korrupte DDR-Regime offensichtlich unbeschadet überstanden und waren nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten auf den Stand einer modernen Museumspädagogik gebracht worden.29 Wie viele andere war ich an diesen traditionsreichen Wallfahrtsort des Geistes, heute ein Zentrum der Goethe-Pflege und -Forschung, gepilgert, um den genius loci jenes Ortes, der zu Goethes Zeiten, als das Land in viele Kleinstaaten zersplittert war und noch keine Hauptstadt hatte, sondern es nur den großherzoglichen Hof gab, zu der literarischen Hauptstadt Deutschlands und zur Hauptstadt der deutschen Klassik wurde, zu spüren.30 Bis heute vermitteln die Stätten einen authentischen Eindruck der klassizistischen Zeit, in der u. a. die Geistesriesen Johann Wolfgang von Goethe31, Friedrich von Schiller32 und Christoph Martin Wieland33 lebten. Die Massen an Touristinnen und Touristen gesetzteren Alters und – da Semesterferien – der Mangel an jungen Leuten, die auch immer für Aufbruch und Modernität stehen, schmälerten meinen ersten Besuch in der vielleicht berühmtesten deutschen Kleinstadt keineswegs!

Nicht zuletzt brachte es mich zum Nachdenken, an jenem Ort zu sein, der einst der ersten Demokratie auf deutschem Boden ihren Namen gab: Die Deutsche Nationalversammlung hatte 1919 in Weimar getagt und im Deutschen Nationaltheater am 31. Juli 1919 die erste demokratische Verfassung Deutschlands, die Weimarer Verfassung, ohne Könige und Kaiser von Gottes Gnaden, verabschiedet. Das Ende dieser ersten Demokratie in Deutschland ist bekannt: Eine Besichtigung der KZ Gedenkstätte Buchenwald, nur acht Kilometer entfernt, die an die von den Nazis verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit erinnert und die dunklen Seiten der Aufklärung widerspiegelt, habe ich mir allerdings für einen späteren Besuch aufgespart.

Ich danke allen, die mich an Goethes großes und großartiges Werk näher herangeführt haben, allen voran Dr. Horst Lickert aus Waldshut-Tiengen. Der für die Ökumene aufgeschlossene langjährige Leiter des Bildungswerkes der Erzdiözese Freiburg mit Sitz in Waldshut, mit dem ich viele Jahre in der Erwachsenenbildung zusammengearbeitet habe, ist ein ausgewiesener Goethe-Kenner und meines Wissens der Erste, der als Angehöriger der römisch-katholischen Konfession an der reformierten theologischen Fakultät der Universität Zürich zum Thema Goethe promoviert hat. Inzwischen im Ruhestand lebend, hat mich Horst Lickert vor vielen Jahren an seinen Forschungen und Aktivitäten zu Goethe gedanklich teilhaben lassen. Einige Erkenntnisse seiner wissenschaftlichen Untersuchung sind in dieses Buch mit eingeflossen.34

Herzlichen Dank an Barbara Dammenhayn-Scott, die das Manuskript in bewährter Weise Korrektur gelesen hat.

Ruth Rüttinger aus Dogern danke ich vielmals für das Bild „Goethe“, das die Titelseite dieses Buches ziert.

Christoph Jacobi aus Küssaberg-Dangstetten danke ich für so manchen Gedankenaustausch in den vergangenen Jahren, sei es zu Hermann Hesse, zu Thomas Mann oder zu Johann Wolfgang von Goethe, zur Musik und zur Literatur im Allgemeinen sowie, last but not least, zu seinem Urahnen Friedrich Heinrich Jacobi im Besonderen.

Gewidmet ist dieses Buch meinem Sohn Balthasar Kaiser. Er gehört dem Jahrgang an, der sich in Baden-Württemberg nach vielen Jahren der schulischen Goethe-Abstinenz im Abitur wieder mit Goethe zu beschäftigen hat. Es würde mich freuen, wenn er durch dieses Buch einen Zugang zu dem großen Dichterfürsten aus Weimar und seiner Welt fände.

Kadelburg, 28. August 2018 Thomas O. H. Kaiser

2 Vgl. Goethe, Faust. Eine Tragödie, in: ders., HA 3, Dramatische Dichtungen I, 8-145. Die Tragödie wurde 1808 veröffentlicht. In ihr spiegelte sich u. a. das Lebensgefühl des frühen 19. Jahrhunderts. Es bewegte sich zwischen der Spannung der Erfüllung aller menschlichen Träume im Diesseits und einer Ahnung eines transzendenten Sinns allen Seins, zwischen Wissen und Begierde. Es wimmelt im `Faust´ von biblischen Zitaten und Anspielungen. So nimmt beispielsweise die Wette um Fausts Seele, mit der das Buch beginnt, bekanntlich Anleihen aus dem Buch Hiob. Auch schwingen Assoziationen an Mose mit, der bekanntlich ebenfalls das gelobte Land nicht betreten durfte. Fast sechzig Jahre lang hat Goethe immer wieder an dem Buch gearbeitet. Dabei griff er auf eine historische Figur zurück, mit der sich auch nach ihm einige Autoren auseinandergesetzt haben: Literaturnobelpreisträger Thomas Mann (1875-1955) nannte seinen in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts entstandenen Roman `Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde´, und sein Sohn Klaus Mann (1906-1949) verarbeitete das Thema in seinem 1936 erschienenen und bis heute umstrittenen Roman `Mephisto´ (manchmal werden in der Sekundärliteratur Vater und Sohn Mann verwechselt oder ihr Verhältnis bleibt unberücksichtigt – wie bei Disneys `Hier bin ich Ente, hier darf ich´s sein. Goethes Entenhausener Klassik´, Köln 2016, 6). Zur `Faust´-Rezeption vgl. anlässlich dessen 200sten Erscheinungsdatums DIE ZEIT Nr. 13 v. 19.3.2008, 49-52, und vor allem Jochen Schmidt, Goethes Faust. Erster und Zweiter Teil: Grundlagen – Werk – Wirkung, München 42018.

3 Gemeint ist die Inszenierung von `Faust. Der Tragödie erster Teil´ aus dem Jahre 1960 unter der Regie von Peter Gorski (1921-2007), mit Will Quadflieg (1914-2003) in der Rolle des Faust und Gustaf Gründgens (1899-1963) in der Rolle des Mephisto.

4 Vgl. Goethe, Faust. Der Tragödie Zweiter Teil, in: ders., HA 3, Dramatische Dichtungen I, 146-364. Faust II wurde erst einige Monate nach Goethes Tod 1832 veröffentlicht.

5 Heinrich Heine (1797-1856), deutscher Protestant jüdischer Herkunft aus Düsseldorf, vom deutschen Miserere nach Paris ins Exil getrieben, wurde als ein “Romantique défroqué“ (Heinrich Heine, Geständnisse, in: ders., Sämtliche Werke in drei Bänden, Bd. 3, Essen o. D., 358-412, Zitat auf 360) bezeichnet und verstand sich nach eigenen Aussagen als „letzter Dichter“ der Romantik (ebda.). Zur unüberschaubaren Menge an Sekundärliteratur vgl. weiterführend Klaus Briegleb, Heinrich Heine, jüdischer Schriftsteller in der Moderne. Bei den Wassern Babels, München 1997, oder das Heinrich-Heine Portal: http://germazope.uni-trier.de/Projekte/HHP/werke (aufgerufen am 29. März 2018). Mit Angaben zu weiteren bedeutenden Personen im Werk Goethes werde ich mich in den Fußnoten relativ knapp halten. Ich verweise stattdessen auf Michael Lösch, Who´s Who bei Goethe, München 1998, Wiesbaden 2007.

6 Vgl. Heinrich Heine, Die romantische Schule, in: ders., Sämtliche Werke in drei Bänden, Bd. 3, Essen o. D., 5-116, bes. 25.

7 So Heine über Goethe: Heinrich Heine, An einen ehemaligen Goetheaner, 1832, in: ders., Sämtliche Werke in drei Bänden, Bd. 1, a. a. O., 295.

8 Vgl. Heinrich Heine, Buch der Lieder, in: ders., Sämtliche Werke in drei Bänden, Bd. 1, a. a. O., 82f.

9 Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen (1814), in: ders., Sämtliche Werke in drei Bänden, Bd. 1, a. a. O., 325.

10 Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen (1814), in: ders., Sämtliche Werke in drei Bänden, Bd. 1, a. a. O., ebda.

11 Das Gedicht `Das Göttliche´, 1783 entstanden, 1785 ohne und 1789 erstmals mit Wissen Goethes abgedruckt, ist leicht zugänglich über: https://de.wikisource.org/wiki/Das_G%C3%B6ttliche (aufgerufen am 3. Januar 2018).

12 Erhalten geblieben ist das Votum Goethes zur Beibehaltung der Todesstrafe bei Kindsmord im Kontext der Verurteilung und Hinrichtung der Kindesmörderin Johanna Catharina Höhn (1759-1783). Die ledige Magd hatte ihr Neugeborenes erstochen und war auf dem Markt in Weimar öffentlich mit dem Schwert enthauptet worden. Vorausgegangen war eine Diskussion des Herzogs von Sachsen-Weimar und Eisenach über eine Liberalisierung des Gesetzes mit seinem Kabinett und einem Geheimen Consilium, dem als jüngster Geheimer Rat auch Goethe angehörte. Die Reformversuche des Herzogs wurden abgelehnt und das Urteil wurde vollstreckt. Vgl. dazu Goethes Notiz vom 4.11.1783, „daß auch nach meiner Meinung räthlicher seyn mögte die Todtesstrafe beyzubehalten“ (Sigrid Damm, Christiane und Goethe. Eine Recherche, Leipzig 1998, 15. Auflage 1999, 82). Im Unterschied zu Goethe sprachen damals andere Zeitgenossen wie der Schriftsteller Johann J. Chr. Bode (1731-1793) von der Todesstrafe als `Staatsmord´ und entsprachen damit heutiger europäischer Rechtsauffassung.

13 Der deutsche Dichter, Übersetzer, Philosoph und Theologe Johann Gottfried von Herder (1744-1803, geadelt 1802), Sohn eines ostpreußischen pietistischen Kantors und Lehrers, zählt mit Goethe, Schiller und Wieland zum klassischen Viergestirn von Weimar. Der Freimaurer, der sich gegen ein traditionelles, dogmatisches Christentum wandte, war zwar 1776 einer durch Goethe arrangierten Berufung nach Weimar gefolgt, war ihm aber dann den Rest seines Lebens feindlich gesonnen. Herder wurde zum Generalsuperintendenten, Mitglied des Oberkonsistorial- und Kirchenrats, Oberpfarrer und ersten Prediger nach Weimar an die Stadtkirche St. Peter und Paul, später `Herderkirche´ genannt, berufen. Herder, der Meister der „Aposiopesen, Bachylogien, Chiasmen, Hendiadyoine, Oxymora und Hystera-Protera“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Gottfried_Herder, aufgerufen am 2. Januar 2018), wurde schon zu Lebzeiten verehrt, vgl. weiterführend Friedrich Wilhelm Kantzenbach, Johann Gottfried Herder mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1999, und Michael Maurer, Johann Gottfried Herder. Leben und Werk, Köln 2014. Vgl. weiterführend https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/entity/118549553 (aufgerufen am 4. Januar 2018). Herder trug entschieden zur rationalistisch-biblischen Bildung Goethes bei.

14 Ludwig XVI. (1754-1793), König von Frankreich und Navarra, war der letzte König des Ancien Régime. Er wurde im Zuge der Französischen Revolution entmachtet, 1793 zum Tode verurteilt und mit der Guillotine öffentlich enthauptet.

15 Goethe stand der Französischen Revolution ablehnend gegenüber und begründete das u. a. mit ihren Gräueln (Brief an Eckermann v. 4.1.1824), vgl. Gero von Wilpert, Goethe: Die 101 wichtigsten Fragen (beck´sche reihe; 1754), München 2007, 123.

16 Napoleon Bonaparte (1769-1821) ist bis heute als französischer General, Diktator und schließlich Kaiser der Franzosen (1815) in Erinnerung geblieben. Der Überwinder der von Goethe verhassten französischen Revolution, der die rechtmäßige staatliche Ordnung wiederherstellte, löste das Heilige Römische Reich Deutscher Nation auf, was zur politischen Neugestaltung Mitteleuropas führte. Goethe an Eckermann über Napoleon: „Sein Leben war das Schreiten eines Halbgottes von Schlacht zu Schlacht und von Sieg zu Sieg“ (Brief vom 11.3.1828). Goethe begegnete dem von ihm verehrten Kaiser der Franzosen insgesamt dreimal.

17 Vgl. Karl Otto Conrady, Goethe. Leben und Werk, Düsseldorf und Zürich 1995, 1999 und 2006, 523f.,812f.+536ff. Das verband ihn mit seinem Freund Friedrich Schiller, den Dichter der `Räuber´: Schiller, der für zivile Freiheiten, für Gedankenfreiheit und gegen den Despotismus der Könige gekämpft hatte, wurde 1792 zum französischen Ehrenbürger (`citoyen français´) ernannt. Der Brief der Revolutionäre traf allerdings um einiges verspätet ein – zu der Zeit war Danton (1759-1794) schon auf dem Schafott hingerichtet worden. Schiller hingegen war realiter kein Freund der Revolutionäre, vgl. Gero von Wilpert, Schiller: Die 101 wichtigsten Fragen (beck´sche reihe; 7017), München 2009, 55. Napoleon gewährte Goethe 1808 während des Fürstenkongresses in Erfurt eine Audienz und zeichnete ihn mit dem Orden der Ehrenlegion aus. Vgl. dagegen die Position von Ludwig van Beethoven (1770-1824), dem Goethe einst in Karlsbad und Marienbad persönlich begegnet war, der die Widmung für Napoleon, für den er sich einst begeistert hatte, in seiner `Eroica´ zurückzog, nachdem sich dieser zum Kaiser krönen lassen und damit die Ideale `Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit´ verraten hatte.

18 John Wayne (1907-1979), zu dessen bevorzugten Genres der Western gehörte, war einer der erfolgreichsten Filmschauspieler, -produzenten und - regisseure Hollywoods. Der Republikaner, der für traditionelle Werte eintrat, war Mitglied der Freimaurer und konvertierte kurz vor seinem Tod zum Katholizismus.

19 Das war schon von Lion Feuchtwanger (1884-1958) in seinem Exilroman `Exil´ (1940) aufgegriffen worden, vgl. dazu weiterführend Wolfgang Rothe, Der politische Goethe, Göttingen 1998, 9, der Goethe für den politischen Schriftsteller seiner Zeit hält.

20 Vgl. weiterführend W. Daniel Wilson, Das Goethe-Tabu. Protest und Menschenrechte im klassischen Weimar, München 1999. Wilson, geb. 1950, emeritierter Germanistikprofessor aus Berkeley/USA, hat Goethes Rolle im spätabsolutistischen Weimar untersucht. Auf dem Hintergrund von bis dato unbekannten Dokumenten konnte er ein Bild des klassischen Weimar zeichnen, das geprägt war von Bespitzelung, Soldatenhandel, Zensur und Frondienst. Goethe spielte mit seinen Funktionen eine nicht unerhebliche Rolle darin.

21 Gegründet wurde „Goethes Filiale am Hochrhein“ (SÜDKURIER v. 17./18.6.2000) im Sommer 2000 in Waldshut auf Initiative von Dr. Horst Lickert, der viele Jahre auch ehrenamtlich das Amt des 1. Vorstands versah. Innerhalb kurzer Zeit wuchs der Verein auf über 100 Mitglieder an. Seit seiner Gründung organisieren Goethes Freundinnen und Freunde am Rande des Schwarzwalds Vorträge zur Literatur, Theaterfahrten und Studienreisen (vgl. SÜDKURIER v. 5.3.2002). Heute (2018) hat die Goethe-Gesellschaft Hochrhein, Ortsvereinigung Waldshut-Tiengen e.V. 93 Mitglieder. Ihr Vorstand: Barbara Falge (1. Vorsitzende), Daniel Leers (2. Vorsitzender), Christoph Jacobi (Schriftführer) und Rose Jüdt (Schatzmeisterin). Die literarische Vereinigung, die Goethes Vermächtnis pflegen will, bietet konstant ein vielfältiges kulturelles Angebot in der Wälderstadt an, vgl. SÜDKURIER v. 15.5.2018. Christoph Jacobi ist übrigens in direkter Linie einer der Nachkommen des Philosophen, Juristen, Kaufmanns und Schriftstellers Friedrich `Fritz´ Heinrich Jacobi (1743-1819), Goethes Gesprächspartner.

22 Diese Goethe-Woche fand vom 17.-23. Mai 1999 in Kadelburg statt (vgl. SÜDKURIER v. 11.5.1999). Eine extra zu diesem Anlass entstandene Skulptur mit dem Titel `Goethe als Philosoph´ wurde in der evangelischen Bergkirche ausgestellt und begleitete die Themenwoche, in der anhand von Vorträgen Goethes Werk näher beleuchtet und Musik aus der Goethe-Zeit zu Gehör gebracht wurde und ein Theaterabend stattfand, an dem u. a. aus `Faust´ gelesen wurde. An einem Kindernachmittag wurden Gedichte wie der `Zauberlehrling´ rezitiert. Schon damals äußerte ich öffentlich: „Dass Goethe Christ war, dafür sprächen aber schon dessen Taufe, Konfirmation, Heirat und Bestattung“ (SÜDKURIER v. 28.5.1999).

23 Vgl. SÜDKURIER v. 20.5.1999.

24 Vgl. SÜDKURIER v. 28.5.1999: „Spaßeshalber war sogar die Gründung einer Goethe-Gesellschaft im Gespräch – die Goethe-Woche der evangelischen Kirchengemeinde versammelte so viele Goethe-Kenner wie kaum erwartet.“

25 Goethes Werk ist Legion. Von den nennenswerten Bibliographien seien an dieser Stelle exemplarisch genannt: Johann Wolfgang von Goethe Werke, HA 14, Naturwissenschaftliche Schriften II, München 1998, 549-628. Die CD-Rom `Johann Wolfgang von Goethe. Zeit, Leben, Werk´, Berlin 1999, versammelt auf 35000 Buchseiten Goethes Werke, Eckermanns `Gespräche´, Briefe, Artikel u. v. m. Der Reziteater Verlag bietet auf zwei CDs `Goethe 1. und 2. Teil´ Gedichte, Prosa und Briefe von Goethe mit Musik. Anlässlich von Goethes 250. Geburtstag sind verschiedene Hörbücher erschienen, u. a. `Mein Goethe´ (mit dem bekannten Schauspieler Will Quadflieg, 1 CD, Deutsche Grammophon); Gert Westphal, Die italienische Reise (20 CDs, Litraton/Grete Schulga, Hamburg) und `In Goethes Hand – Szenen aus dem 19. Jahrhundert´ (Noa Noa Hörbuch-Edition München), `Wilhelm Meisters Lehrjahre´ (bearbeitet von Angela Gerrits); Christoph Biermann, Goethe für Einsteiger (1 CD, Deutsche Grammophon Hamburg), vgl. weiter Die ZEIT v. 14.1.1999 und v. 26.8.1999. Über Goethe sind auch immer wieder Romane erschienen, u. a. zuletzt von Dieter Kühn, Goethe zieht in den Krieg. Eine biographische Skizze, FfM 1999, von Otto A. Böhmer, Der junge Herr Goethe. Roman, München 1999, und von Rafik Schami, Der geheime Bericht über den Dichter Goethe, München 1999. Auch Comics hatten Goethes Leben und Werk zum Gegenstand, z. B. Goethe – Die Comic-Biografie (1749-1832), von Friedemann Bedürftig, Benjamin von Eckartsberg, Christoph Kürsch, Thomas von Kummant, 2 Bde.: Zum Sehen geboren (Bd. 1), Zum Schauen bestellt (Bd. 2), in Kooperation zwischen dem Goethe-Institut und dem Egmont Ehapa Verlag. Mit Geleitworten von Hilmar Hoffmann und Jutta Limbach, Präsident und Präsidentin des Goethe-Instituts, Stuttgart 2007. Goethe wurde für Kinder und für Jugendliche aufbereitet, vgl. beispielsweise Dagmar Matten-Gohdes (Hgin.), Goethe ist gut. Ein Goethe-Lesebuch, mit Zeichnungen von Marie Marcks, Weinheim-Basel 2006, und Rolfgang vong Goethe, Hallo i bims der Faust. Exremst wichtige Bücher vong Bildung her erklärt für 1 Jugend vong heute, München 2017.

26 Als Einstieg in die Zeit ist das GEO Epoche-Heft Nr. 79 empfehlenswert: Deutschland um 1800, Hamburg 2016, hier besonders 6-23 sowie der Beitrag über Goethe, Die Leiden des jungen G. auf 38-51.

27 Bis heute ist die Goethe-Gesellschaft Hochrhein Mitglied der 1885 gegründeten Goethe-Gesellschaft in Weimar e. V.: http://www.goethe-gesellschaft.de/index.html (aufgerufen am 18. Februar 2018). Ihre Publikationsorgane sind das `Goethe-Jahrbuch´ und eine eigene Schriftenreihe. Gegenwärtig gibt es 57 deutsche Ortsvereinigungen und vierzig internationale Goethe-Gesellschaften. 142 Goethe-Institute fördern in 81 Ländern die deutsche Sprache und Kultur: www.goethe.de (aufgerufen am 9. März 2018).

28 Der Name der öffentlich zugänglichen Forschungsbibliothek für Literatur- und Kulturgeschichte geht auf die Regentin, Mäzenin, Komponistin und Begründerin des Weimarer Musenhofes, Anna Amalia, Herzogin von Sachsen-Weimar und Eisenach, geb. Prinzessin von Braunschweig-Wolfenbüttel (17391807), eine Nichte Friedrichs des Großen (1712-1786) und Mutter des späteren Großherzogs Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach (1757-1828), zurück. Die 1691 gegründete Bibliothek mit ihrem Schwerpunkt auf der deutschen Literatur von der Aufklärung bis zur Spätromantik, die 1991 den Namen der Herzogin erhielt und seit 1998 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, ist u. a. für ihren Rokokosaal bekannt. Goethe, der sie als Bibliotheksdirektor von 1797 bis zu seinem Tod 35 Jahre lang leitete, verdoppelte in dieser Zeit ihren Bücherbestand auf ca. 80000 Bände. Am 2. September 2004 fügte ein Brand der Bibliothek erheblichen Schaden zu.

29 Walter Benjamin hatte einst geschrieben: „Wie Kranke in Hospitälern liegen die Handschriften hingebettet, ...wie Leidende auf ihren Repositorien“ (Walter Benjamin, Weimar, in: ders., Gesammelte Werke I, FfM 2011, 1070-1072, Zitat auf 1071). So ist es heute nicht mehr.

30 Einen guten Eindruck der ostdeutschen Stadt, die sowohl mit Klassik, Aufklärung und Humanität als auch mit Jugendstil und Bauhaus und Deutschlands Aufbruch in die Moderne verbunden wird, vermittelt der Film `Der Geist von Weimar´ (1998) von Peter Merseburger (geb. 1928). Davon, wie man in Goethes Kreisen und am Hofe wohnte, berichtet der illustrierte Band von Christoph Hölz, Interieurs der Goethezeit, Augsburg 1999.

31 Ich habe darauf verzichtet, eine ausführliche Vita von Goethe meinen Ausführungen voranzustellen, da ein Blick auf Wikipedia oder in gängige Internet-Lexika genügt, um sich umfassend über Goethe informieren zu können, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Wolfgang_von_Goethe (aufgerufen am 5. Januar 2018). Wer dennoch gerne eine Biografie zur Hand nehmen möchte, der sei verwiesen auf die Darstellungen von Christoph Michel (Hg.), Goethe. Sein Leben in Bildern und Texten. Mit einem Vorwort von Adolf Muschg, FfM 21987 (Chronik auf 398-406); Anja Höfer, Johann Wolfgang von Goethe (dtv portrait), München 21999 (Lit. auf 154-157); Dieter Borchmeyer, DuMont Schnellkurs Goethe, Köln 2005; Monika Pelz, Den Blick auf das Herz der Welt. Die Lebensgeschichte des Johann Wolfgang von Goethe, Weinheim 2009, und Sabine Appel, Johann Wolfgang von Goethe. Ein Porträt, Köln-Weimar 2009. Eine Biografie sei besonders hervorgehoben: Die bereits erwähnte von Karl Otto Conrady (Lit.: 1041-1049), eine – ehemals zweibändige und seit 1994 einbändige Ausgabe – „Gesamtbetrachtung von Goethes Leben und Werk“ (Karl Otto Conrady, Goethe, a. a. O., Vorwort zur Ausgabe 2006, IXX). Auf den entsprechenden Homepages findet man immer wieder Hinweise auf Goethe-Sekundärliteratur, die inzwischen Legion ist (siehe meine Verweise auf Audios, Videos und Internetadressen im Literaturverzeichnis). Nicht zuletzt sei verwiesen auf gängige Standardlexika und Literaturgeschichten wie Gero von Wilpert (Hg.), Lexikon der Weltliteratur, Bd. I, Stuttgart 21975, 588590, oder Volker Meid, Das Reclam Buch der deutschen Literatur, Stuttgart 2004, 22007, 264f.

32 Friedrich von Schiller (geadelt 1802, 1759-1805), schwäbischer Arzt, Historiker, Dichter, Dramatiker, wurde nach einigen Anfangsschwierigkeiten zum kongenialen Freund Goethes, der wie er die Möglichkeiten der Literatur sah: Die Literatur konnte die großen Fragen des Lebens thematisieren mit dem Ziel der Bildung einer freien Persönlichkeit und wahrer Humanität, vgl. dazu Gero von Wilpert, Schiller: Die 101 wichtigsten Fragen, a. a. O., 71ff. Das Denkmal auf dem Vorplatz vor dem Deutschen Nationaltheater in Weimar, Wahrzeichen der Stadt der deutschen Klassik und Kulturhauptstadt Europas 1999, zeigt die beiden von ihrer Statur her unterschiedlich großen Dichter, die `ohne den Andern nicht leben konnten´, in gleicher Größe – auf geistiger Augenhöhe gewissermaßen. Zur Beziehung zwischen dem Dichter der europäischen Hymne `Freude, schöner Götterfunken´ und dem Dichter des `Faust´ vgl. Rüdiger Safranski, Goethe und Schiller. Geschichte einer Freundschaft, München 2009, und DIE ZEIT Nr. 34 v. 13.8.2009, 35-38.

33 Der Dichter, Herausgeber und Übersetzer (u. a. der Werke William Shakespeares) Christoph Martin Wieland (1733-1813), Sohn eines schwäbischen Pfarrers, war einer der bedeutendsten Schriftsteller der Aufklärung. Der Vater von 14 Kindern, zeitweise Philosophieprofessor in Erfurt, wurde 1772 nach Weimar berufen. Wieland trug mit dazu bei, dass sich Weimar zum bedeutenden zeitgenössischen Kulturzentrum entwickelte. Nach Jahrzehnten in der Vergessenheit wurde der einst viel gelesene Autor von Arno Schmidt (19141979) wiederentdeckt und im Unterschied zu Goethe und Schiller von diesem gefeiert, vgl. z. B. Arno Schmidt, „Na, Sie hätten mal in Weimar leben sollen!“ Über Wieland – Goethe – Herder, hg. von Jan Philipp Reemtsma, Stuttgart 2013, bes. 7-29.

34 Vgl. Horst Lickert, „… ob ihr mich gleich für einen Heiden haltet“ oder Goethe und sein Christentum *Authentische Ambivalenz als autarkes Profil* (diss. theol.), Zürich 1999. Der Titel geht zurück auf ein Goethe-Zitat, das von Goethes Freund, Friedrich von Müller (1779-1849), überliefert wurde: „Sie wissen, wie ich das Christentum achte, oder Sie wissen es vielleicht auch nicht; wer ist denn noch heutzutage ein Christ, wie Christus ihn haben wollte? Ich allein vielleicht, ob Ihr mich gleich für einen Heiden haltet“ (Goethe an Kanzler F. von Müller, Brief v. 7. April 1830, in: ders., GA 23, 686; vgl. auch Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang, aufgrund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann, hg. von Wolfgang Herwig, 3 Bde., Zürich-Stuttgart 1965-87, 3. 2, 604). Der Jurist und Freimaurer von Müller war Staatskanzler des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach: „Sein Buch über seine Gespräche mit Goethe gilt als wichtiges literarisches Zeugnis“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_von_M%C3%BCller_%28Politiker%29,aufgerufen am 3. Februar 2018).

Einleitung

Die Annahme, dass Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), „nach allgemein geteilter Auffassung (zu den) bedeutendsten deutschen Dichter(n) bzw. Künstler(n)“35 zählend, ein `Heide´ gewesen sei, ist seit vielen Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten gar, weit verbreitet. Bereits Heinrich Heine, Kritiker und zugleich Verehrer Goethes, schrieb über Aversionen einiger Zeitgenossen gegenüber dem Weimarer Geheimrat: „Die Orthodoxen waren ungehalten gegen den großen Heiden, wie man Goethe allgemein in Deutschland nennt; sie fürchteten seinen Einfluß auf das Volk, dem er durch lächelnde Dichtungen, ja durch die unscheinbarsten Liederchen seine Weltansicht einflößte; sie sahen in ihm den gefährlichsten Feind des Kreuzes...“36 Diese Hypothese wurde noch jüngst von Schriftstellerinnen37 und Literaturexperten38 vertreten. Doch diese Annahme, so meine Gegenthese, ist falsch: Johann Wolfgang von Goethe wurde lutherischer Tradition gemäß als Baby evangelisch-lutherisch getauft (1749)39 und als Jugendlicher in der Frankfurter Katharinenkirche konfirmiert (1763), heiratete kirchlich (1806), ließ seinen Sohn evangelisch taufen40 und wurde selbst schließlich evangelisch beerdigt (1832).41 Mehr noch: Der Politiker, Naturforscher und Dichterfürst aus Weimar, bei Zeitgenossinnen und Zeitgenossen nicht unumstritten42, hatte zwar nicht Theologie, sondern Jura studiert, war aber bekanntlich ein bibelfester Mensch mit einem weiten religiösen Bewusstseinshorizont, frei im Umgang mit seinem Glauben, unorthodox, neugierig, fragend, kritisch hinterfragend, zweifelnd43, auch zeitweise distanziert – kurzum: Goethe, zwar ambivalent in Glaubensdingen und in Sachen Religion44, war aber lebenslang mit einer klaren evangelischen Identität ausgestattet.45 Seine berühmte Gretchenfrage: „Nun sag´, wie hast du´s mit der Religion?´46 soll im Folgenden an Goethe selbst gerichtet werden. Dazu werde ich – im Bewusstsein dessen, dass Goethe keineswegs eine religiöse Natur wie beispielsweise Martin Luther war – Spuren der religiösen Vorstellungswelt47 in seinem Werk48 nachgehen und es punktuell von einigen Seiten beleuchten.49 Ich bin mir dabei bewusst, dass es sich hier um ein schwieriges Problem handelt, zum einen, weil sich Goethe zwar Zeit seines Lebens mit Religion beschäftigt hat