Goldsucher - Heinz Böhm - E-Book

Goldsucher E-Book

Heinz Böhm

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Beschreibung

»Gold!« – Glitzerndes Gold aus dem Sand unberührter Flüsse herauszuwaschen … eine Bonanza, eine Goldader, zu entdecken … diese Gedanken lassen die Herzen vieler höher schlagen. Tausende von Männern brechen auf nach Westen. »Gold!« – Wie ein Lauffeuer verbreiten sich 1849 die abenteuerlichsten Geschichten über Goldfunde in Kalifornien. »Gold!« – Auch John Caldwell und Alan Parker folgen dem Lockruf des Goldes an den Black River. Erwartungsvoll stecken sie in der Nähe von Sacramento ihren Claim ab. Sie bauen sich eine winterfeste Blockhütte. Als Partner beginnen sie. Doch schon bald beginnt die Macht des Goldes ihr Leben nachhaltig zu verändern …

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Goldsucher

Roman

Heinz Böhm

Impressum

© 2016 Folgen Verlag, Bruchsal

Autor: Heinz Böhm

Cover: Eduard Rempel, Düren

ISBN: 978-3-95893-040-7

Verlags-Seite: www.folgenverlag.de

Kontakt: [email protected]

Dieses eBook darf ausschließlich auf einem Endgerät (Computer, eReader, etc.) des jeweiligen Kunden verwendet werden, der das eBook selbst, im von uns autorisierten eBook-Shop, gekauft hat. Jede Weitergabe an andere Personen entspricht nicht mehr der von uns erlaubten Nutzung, ist strafbar und schadet dem Autor und dem Verlagswesen.

Inhalt

Aufbruch nach San Francisco

Land in Sicht

Der »Nussknacker«

Glückspilze und Pechvögel

Die Falle

Ein Forty-Niner packt aus

Schneller Tod

Unterwegs zum Black River

Hartes Brot

Schüsse auf dem Rückweg

Gefährliches Geheimnis

Der große Betrug

Erbstreitigkeiten

Goldrausch

Traum und Wirklichkeit

Entscheidung in der Wüste

Aufbruch nach San Francisco

John Caldwell drehte sich auf seiner harten Pritsche um und lauschte in die Nacht. Über ihm schnarchte sein Freund Alan Parker. John roch die durchgeschwitzte Matratze, spürte das leichte Schwanken des Schiffes, und erst verhalten, dann immer stärker, erfasste ihn eine elementare Lebensfreude. »Das Leben ist lebenswert, einfach herrlich«, flüsterte er.

Zu acht lagen die Männer seit über sechs Monaten jede Nacht in diesem Rattenloch. Johns Gedanken wanderten zurück in die Vergangenheit. Vor einem halben Jahr hatten sie, verfolgt von den neidischen Blicken Hunderter von Männern, die Planken der »Glücklichen Seeschwalbe« betreten, stolz ihre teuren Fahrkarten vorgezeigt und waren im Innern des Schiffsbauches verschwunden.

Der Anblick primitiver, mit Brettern verschalter Kojen, seitlich drei Pritschen übereinander, mit höchstens siebzig Zentimetern Zwischenraum, trieben John Caldwell schleunigst wieder an Deck. Über den grauen Wogen segelnde Möwen ließen ihre klagenden Schreie hören, und John Caldwell schien es, als wollten sie ihn vor der Reise ins Ungewisse warnen. Mit zitternden Händen umklammerte er das stabile Geländer der Reling und kämpfte gewissermaßen den letzten Kampf. Noch hatte er die Möglichkeit, von Bord zu gehen und die »Glückliche Seeschwalbe« zu verlassen.

Plötzlich stand sein Freund Alan Parker neben ihm. Er schien Johns Gedanken genau zu kennen. »Kalifornien! Gold! Gold! Vergiss das nie. Zugegeben, eine Vergnügungsreise wird das nicht. Um das zu wissen, braucht man kein Prophet zu sein. Aber ziehst du es etwa vor, den anderen dauernd den Dreck von den Schuhen zu fegen? Willst du ein Leben lang den Nigger spielen, auch wenn deine Hautfarbe zufällig weiß ist? Ich nicht, mein Freund! Lieber für ein paar Monate Strapazen, Luftmangel und die Launen der Mitreisenden aushalten, anstatt ein Leben lang die Marionette der anderen zu sein!«

Alans eindringliche Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Sie waren tatsächlich nur unbedeutende Nummern in dieser brodelnden Stadt. Seit vor knapp vier Jahren in San Francisco das Goldfieber um sich gegriffen hatte, waren auch die alten Geldmacher in den Ostmetropolen wach, ja gierig geworden. Aber diese Herren dachten gar nicht daran, die Knochenarbeit der Goldgräber auf sich zu nehmen. Sie setzten Geld ein, um zu noch mehr Geld, bzw. zu Gold zu kommen. Auch der Bankier Watson, bei dem John Caldwell und Alan Parker ihr erbärmliches Brot verdienten, lief nur noch mit rotem Kopf und roten Ohren durch die hohen, muffigen Räume, je mehr die Nachrichten von den Goldfunden in Kalifornien die Gemüter erregten. Er brachte seinen Mund vor Erstaunen nicht zu, als die beiden vor ihm standen und ihre Entlassung forderten. Seine in sich zusammengesunkene Gestalt in dem schwarzen, abgeschabten Ledersessel schien zu wachsen. »Und welcher Job ist so verlockend, dass ihr ...?«

Dabei funkelten seine trüben Augen misstrauisch.

»Wir wollen rüber in den Westen«, antwortete Alan Parker dem Bankier. Augenblicklich schien Watson in sich zusammenzuschrumpfen. Doch nur wenige Sekunden später stieß er erregt den Sessel zurück und sprang auf. »In den Westen« konnte in dieser Zeit nur Kalifornien bedeuten. »Gold, Gold, die Herren wollen reich werden! Wisst ihr überhaupt, dass San Francisco ein einziger Ameisenhaufen ist? Die werden euch mit Musik empfangen«, zischte der Alte.

»Das ist ja nicht Ihre Sorge, Mr. Watson«, unterbrach Alan das Gekeife des Alten, »wir sind jung, haben kräftige Arme und damit eine gute Kapitalanlage!«

Der Alte wurde ruhiger und verzog seinen zahnlosen Mund sogar zu einem schlauen Grinsen. »Falls euch die anderen noch was übrig lassen und ihr tatsächlich euer Glück macht, können wir zusammen ins Geschäft kommen.« Mit ironischem Unterton fügte er hinzu: »Überschätzt eure Nerven nicht und euer Kapital, die Jugend. Die Reise wird wahrscheinlich eure bunten Träume wie Seifenblasen platzen lassen.«

John Caldwell versuchte, seine Gedanken abzuschalten. Er drehte sich zur Seite, um noch eine Runde zu schlafen, doch es gelang ihm nicht mehr. Die Aussicht, nach den langen Monaten der Reise endlich wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen, ließen ihn Schlaf und Müdigkeit vergessen. Die anderen aber schnarchten noch so unbekümmert, als hätte ihnen der bullige Koch ein Schlafmittel in den Tee geschüttet. John reckte seine Arme, so weit es in dem begrenzten Raum möglich war.

Die ironische Voraussage des alten Watson hatte sich bewahrheitet. Als Traumreise konnte man diesen Transport nicht bezeichnen! Je länger John über die vergangenen Monate nachdachte, desto unwirklicher erschien ihm alles. Wie konnten Menschen so etwas aushalten?

Die einzige Hilfe für ihn selbst und wohl auch für die anderen war, sich das Ziel vor Augen zu halten, für das sich alle Strapazen lohnten.

Die anfängliche Höflichkeit der Passagiere untereinander war schon bald einer permanenten Gereiztheit gewichen. Der kleinste Vorteil eines Mitreisenden rief bei den anderen puren Neid hervor. Am geselligen Beisammensein in dem dafür vorgesehenen Laderaum hatte schon nach wenigen Abenden keiner mehr Interesse. Später waren sie Abend für Abend in kleinen Gruppen zusammengesessen, hatten diskutiert und von Goldfunden fantasiert, bis einer nach dem anderen müde und ohne Gute-Nacht-Gruß in seine erbärmliche Koje schlich und sich buchstäblich unter seiner rauen Decke vor den anderen verkroch.

Hinzu kam der elende Fraß. In den ersten Wochen freuten sich die Passagiere noch auf die Mahlzeiten, da sie eine willkommene Unterbrechung der aufkommenden Langeweile bildeten. Doch als die Tage heißer wurden, wirkte sich das nicht nur auf die nach Luft schnappenden Menschen aus, sondern auch auf die sogenannten Vorratskammern. Hitze und Feuchtigkeit trugen dazu bei, dass Ungeziefer verschiedenster Art und Größe in den aufgeweichten Bohnen herumkrabbelte. Der Schiffszwieback und das krustige Trockenbrot wimmelten von Getreidekäfern. Auf das Meutern empörter Passagiere lachte einer der Köche nur laut auf. »Das Essen wird noch lebendiger, meine Herren. Darauf könnt ihr euch verlassen!«

Stundenlang lagen Alan und John im Schatten zerfetzter Zeltplanen auf dem heißen Deck und schwiegen, damit nicht ein unbedachtes Wort die negativen Gedanken heraus explodieren ließ. Von Gold sprachen sie schon lange nicht mehr. Die großartig versprochene Bordbibliothek enthielt einige vergilbte speckige Schwarten, die in den ersten Wochen von Hand zu Hand gewandert waren und immer wieder neu gelesen wurden, weil nichts Neues hinzukam.

An einem glühend heißen Tag warf Alan einmal einen Blick zum strahlend blauen Himmel und seufzte vor sich hin: »Wenn doch wenigstens ein zünftiger Sturm ein bisschen Bewegung auf den müden Kahn brächte!«

Dieser unbedachte Wunsch sollte sich schneller erfüllen, als Alan glaubte. Schon drei Tage später zogen schwarze, bedrohliche Wolken am Horizont auf. Kommandos der Schiffsbesatzung schallten durch die unheimliche Stille. Über die spiegelglatte See zitterten kleine Wellen, Trommelwirbeln gleich, die dem großen Paukenschlag vorausgehen. Und dieser Paukenschlag äußerte sich in einem gewaltigen Toben von Wind und Meer. Schwere Brecher rollten über das Deck, Tag und Nacht, unaufhörlich. Mit grünlichen Gesichtern hingen die Abenteurer in ihren Kojen oder versammelten sich im Laderaum. Würgend kauerten sie in den Ecken, lasen intensiv in der Bibel und murmelten Gebete. Nur der stämmige Koch verlor sein Grinsen nicht. Ihm schienen die aufgewühlten Elemente zu gefallen. Viele der bleichen Gestalten wehrten mit halbgeschlossenen Augen und einer müden Handbewegung die Suppen oder mageren Brotrationen ab. Endlich, nach langen Tagen, riss die schwarze Wolkendecke auf, und ein Stück hellblauer Himmel kam zum Vorschein.

Als ein mitreisender Missionar für den kommenden Sonntagmorgen seinen üblichen Gottesdienst ankündigte, strömten die Männer herbei. Der Laderaum war gedrängt voll. Auf den bleichen Gesichtern lag an diesem Sonntag keine Ironie oder Überlegenheit, als der Missionar aus einer großen Bibel die Geschichte von der Sturmstillung vorlas. Selbst Alan, sonst immer zu Spott aufgelegt, sobald das Thema auf Gott und die Bibel kam, lauschte der Predigt des Missionars mit großer Aufmerksamkeit. Allerdings schüttelte er ärgerlich den Kopf, als John nach der Predigt aus seinem Gepäck die dicke Familienbibel hervorkramte und den Text noch einmal nachlas. »Man kann alles übertreiben, John«, sagte er und verließ mit zusammengekniffenen Lippen die Koje.

Dumpfe Schritte auf dem Deck über ihm unterbrachen John Caldwells Gedankenausflug in die Vergangenheit. Er drehte sich wieder auf den Rücken und horchte eine Weile nach oben. Dann riss er entschlossen die Decke zur Seite und warf sie gegen die wurmstichige Holzwand.

Einige Minuten später stand er an der Reling und streckte sein Gesicht dem frischen Wind entgegen. Er bemerkte einen auffallend hellen Stern am Himmel, den in einem weiten Ring viele andere Sterne umgaben. Am östlichen Horizont lag der erste, kaum wahrnehmbare Schimmer des neuen Tages. »Und was für ein Tag!« überlegte John.

Sie würden das erste Ziel ihrer Wünsche und Träume erreichen: San Francisco. Und irgendwo in den Bergen Kaliforniens würden auch sie ihr Claim abstecken und … John versuchte sich die goldenen Gerstenkörner in seiner Hand vorzustellen. So oft hatte die Bostoner Zeitung davon berichtet, wie plötzlich der Ruf »Gold, Gold!« eine Gruppe oder einzelne Digger zu reichen Männern gemacht hatte. Konnten nicht auch er und Alan solche beneidenswerten Glückspilze werden?

John fand es schön, so vor sich hin zu spinnen. Was sollte die Goldsucher denn anderes in den sogenannten goldenen Westen treiben, als die Hoffnung, dass gerade sie zu den Glücklichen gehören würden? Plötzlich wurde John aus seinen Gedanken aufgeschreckt. Mit den breiten wiegenden Schritten, die man sich auf dem Schiff angewöhnte, schaukelte eine Gestalt durch die Dämmerung heran. »Schon so früh auf den Beinen, Mr. Caldwell?«

John wandte sich dem anderen zu. »Ich hab's einfach nicht mehr ausgehalten, Mr. Wilson. Es kommt mir alles wie ein Traum vor. Besonders, dass wir nach den langen Monaten bald wieder unsere gute Mutter Erde unter den Füßen spüren.«

Ted Wilson, ein großer schwerer Mann, lächelte. Schon wollte er seinen Gesprächspartner korrigieren, dass auch der Ozean zur guten Mutter Erde gehöre, aber andrerseits verstand er, was der junge Mann meinte.

Erst seit fast zwei Wochen suchte Wilson bewusst die Gesellschaft der beiden Männer aus Boston. In den ersten vier Monaten hatte er kaum einen Gruß erwidert. Sein mürrisches Benehmen galt nicht nur John und Alan, sondern allen, einschließlich der Schiffsbesatzung. Seine kalten grauen Augen unter den buschigen Brauen schienen jeden davor zu warnen, ihn anzusprechen. Um so überraschter waren die beiden Freunde, als Ted Wilson sich ihnen plötzlich zuwandte und sie in das eine oder andere Gespräch verwickelte. So erfuhren sie, dass Wilson in San Francisco von einem Forty-Niner erwartet wurde. Diese Eröffnung ließ die beiden Männer, vor Ehrfurcht erstarren. »Forty-Niner« nannte man die Männer die den Goldrausch von Anfang an miterlebt hatten, der im Jahr 1849 wie eine Flutwelle über Kalifornien hereinbrach. Bis 1848 war Kalifornien eine dünn besiedelte mexikanische Grenzkolonie gewesen, und niemand hätte geahnt, dass sie bald zu einem Hexenkessel der Leidenschaften und des Goldfiebers werden würde.

Nach dem Morgengruß hüllte sich Ted Wilson in Schweigen und beachtete John nicht weiter. Sein breiter Rücken schien zu signalisieren, dass er jetzt mit keiner Frage belästigt werden wollte. Er beugte sich weit über die Reling und spuckte in das mattglänzende Wasser. Wie erstarrt blieb er so zum Meer gewandt stehen. John riskierte einen unauffälligen Seitenblick zu ihm hinüber, sah den schmalen, zusammengepressten Mund und hielt es für ratsam, das Schweigen jetzt nicht zu brechen, obwohl ihm manche Frage auf der Zunge lag. Am Horizont zeigte sich ein schmales Lichtband, und Tausende von hellen Flecken tanzten auf den Wellen.

Seit die Stadt der Träume in greifbare Nähe gerückt war, erhielt auch das lange nahezu peinlich unterdrückte Wort Gold wieder seine Aktualität. Spannung und Ratlosigkeit zugleich bestimmten die Gespräche der Reisenden. Die ein oder andere Bemerkung der Schiffsmannschaft brachte manches Traumschloss ins Wanken, aber viele glaubten, dies sei ein bewusster Trick der Besatzung, um erst andere abzuschrecken und sich dann womöglich selbst in das Abenteuer der Goldsucherei zu stürzen. Allerdings waren manche Aussagen der Seeleute so übereinstimmend, dass man sie nicht als »Seemannsgarn« abtun konnte. Wer etwa glaubte, in San Francisco brauche man das Gold nur von der Straße aufzuheben, musste sich belehren lassen, dass dort wie in einem riesigen Sammelbecken die verschiedensten Menschen zusammenströmten und dass bei der Ankunft die eigentlichen Strapazen erst beginnen würden.

»San Francisco ist wie die aufgehende Sonne, aber damit beginnt zugleich die Hitze des Tages«, definierte der Steuermann die Situation.

Die meisten Passagiere beschwerten sich gelegentlich darüber, dass man auf der »Glücklichen Seeschwalbe« so gründlich zur Kasse gebeten wurde, doch da kamen sie beim Kapitän an die falsche Adresse. Beleidigt fauchte er: »Schon in San Francisco werdet ihr zur Ader gelassen, dass euch der mickrigste Cent zu Königen macht!« Das waren ja Aussichten!

Endlich, nach langem Schweigen, richtete Wilson sich auf und grinste seinen Nebenmann freundlich an. »Was wollen Sie denn in diesem Ameisenhaufen zuerst tun?« John antwortete nicht sofort.

Gerade über diese Frage hatte er intensiv nachgedacht, ohne eine befriedigende Lösung zu finden. Ohne die sauer ersparten Dollars auf den Tisch zu blättern, würden sie nirgendwo etwas erreichen. Nur sollte das in erträglichem Rahmen bleiben.

Ted Wilsons Grinsen wurde breiter. »Ich hatte Sie was gefragt, Mr. Caldwell!«

»Ist mir nicht entgangen«, versicherte John, »nur muss ich Ihnen sagen, ich weiß nicht so recht. Zuerst ein Zimmer mieten oder ein Massenquartier, falls ...«

Mr. Wilson wiegte seinen mächtigen Kopf. »Na ja.«

Er nannte einen in San Francisco üblichen Preis für eine Übernachtung, dass John Caldwell ihn mit weit aufgerissenen Augen ansah. »Das ist ja Wucher!«

»Wem sagen Sie das? Aber es wird von den erwartungsvollen Diggern bezahlt.«

Ted Wilson bemerkte Johns Bestürzung und legte spontan seine gewaltige Hand auf die Schulter des Jüngeren. »Kopf hoch, Mr. Caldwell. Ich werde versuchen, Sie und Ihren Partner bei meinem Freund unterzubringen. Falls das Gold ihm nicht Seele und Herz zu Stein gemacht hat, wird er etwas tun.«

»Danke, Mr. Wilson. Danke, dass Sie etwas für uns tun wollen.« »Kaum der Rede wert, Mr. Caldwell.«

Er löste sich von der Reling und stapfte über die schwarzgeölten Bohlen des Decks davon. John schloss die Augen. Da sah er plötzlich das Gesicht des alten Watson vor sich, sein hinterhältiges Grinsen mit dem Geifer in den Mundwinkeln.

Land in Sicht

Um die Mittagszeit glich des Deck der »Glücklichen Seeschwalbe« einer überfüllten Tanzfläche. Wer keinen Platz an der Reling gefunden hatte, stand oder bewegte sich in der Mitte und lauerte nur darauf, einen freiwerdenden Platz an der Reling zu besetzen. Die Sonne schien warm vom wolkenlosen Himmel herab, obwohl die ersten Kalenderblätter des Oktobers bereits abgerissen waren. Weit drüben im Dunst lagen die Hügel um San Francisco.

Von der Stadt selbst sah man noch nichts, aber am frühen Abend, so hatte der Kapitän erklärt, werde das Schiff die Bucht erreichen. Das milde Klima dieses sonnigen Herbsttages wirkte auch auf die Laune der Reisenden. Blicke und Sprache wurden freundlich, und manche Höflichkeit untereinander war wie eine nachgereichte Entschuldigung für die Gereiztheit der vergangenen Monate.

Der Koch und seine Helfer schienen allerdings für diesen letzten Mittag trotzdem kein Festessen vorzubereiten. Aus den zwei geöffneten Bullaugen der Kombüse stieg der übliche penetrant säuerliche Geruch empor. John, der neben Alan an der Reling lehnte, schnupperte und machte eine abfällige Handbewegung. »Elender Fraß, Käferbohnen! Und wenn mein Magen hundertmal wie ein böser Hund knurrt, mit diesem letzten angebrannten Brei füttere ich die Fische!«

Alan ging auf die Bemerkung seines Partners nicht ein. Bald würden sie ohnehin diesen schwimmenden Kerker verlassen. Was kümmerte ihn dann noch ein mehr oder weniger gutes Abschiedsessen? Sorgen gab es zunächst nur in einer Richtung: Wie würden sie sich auf dem teuren Pflaster San Franciscos über Wasser halten können? Vielleicht hatte Mr. Wilson auch übertrieben, aber schockiert über die genannten Preise hatten sie in ihrer Koje Kassensturz gemacht, und das Ergebnis war niederschmetternd. Doch schienen sie nicht die einzigen zu sein, die sich verkalkuliert hatten. Drei andere Mitreisende saßen ebenfalls gedrückt in einer Ecke, und der Älteste von ihnen schrieb mit wahrer Leidensmiene irgendwelche Zahlen auf einen braunen Zettel. Obwohl sie sich nur flüsternd unterhielten, merkten die beiden Freunde an den Wortfetzen, dass sie das gleiche Problem hatten. »Na, Gentlemen, auch verkalkuliert?« hatte Alan Parker schon auf den Lippen, aber dann unterdrückte er diese Bemerkung.

Erstens hatten sie genug an ihren eigenen Sorgen, und zweitens hatte sich dieses Trio von den anderen völlig abgekapselt und nie Interesse an einem Gespräch gezeigt.

Alan verließ seinen Platz an der Reling und versuchte durch das Gedränge der Leute in den Laderaum hinunterzukommen. Das allgemeine Geschnatter ging ihm auf die Nerven. Er wollte mit seinen Gedanken allein sein. Sein unrasiertes Kinn reibend, stolperte er die schmale Holztreppe hinunter. Dort roch man die letzte Mahlzeit noch besser, und seine Nase verriet ihm, dass die Bohnen auch noch angebrannt waren. »In Boston hätte man die Hunde mit solch einem Fraß verschont, aber was soll's, es ist ja wirklich die letzte Mahlzeit«, sinnierte Alan vor sich hin. Trotzdem packte ihn auf einmal die Lust, dem dauernd so widerlich grinsenden Koch zum Abschied ein paar tüchtige Fausthiebe zu verpassen, doch wollte er nicht das Risiko eingehen, dass der Koch sich dabei als der Stärkere herausstellte. Mit solchen Überlegungen erreichte Alan den Laderaum und öffnete die Tür. Überrascht blieb er stehen. In der Mitte des Raumes waren zwei Bänke zusammengeschoben, und laut schnarchend lag Ted Wilson auf dem harten Lager. Über das Gesicht hatte er seinen breitrandigen Hut gezogen. Unbemerkt wollte Alan den Raum wieder verlassen. Da schob der gewaltige Mann den Hut vom Gesicht und richtete sich auf.

»Bleiben Sie nur, Mr. Parker, ich hätte ohnehin noch ein paar Fragen an Sie.«

Alan drückte mit dem Ellenbogen die Tür ins Schloss und lehnte sich dagegen. »Mein Freund hat mir –«

Bevor Alan den Satz beenden konnte, winkte Ted Wilson beschwichtigend ab. »Kaum der Rede wert; mich bewegt im Blick auf Sie und Ihren Freund die Frage, was Sie sozusagen in der allernächsten Zukunft zu tun gedenken?«

»Eigentlich«, überlegte Alan, »geht das diesen Brocken einen feuchten Dreck an, aber immerhin kann er uns vielleicht zu einer Unterkunft verhelfen.«

»Wenn es Sie interessiert, Mr. Wilson«, sagte er laut, »wir haben keine Zeit zu verlieren! Ich denke, dass wir nach einer kleinen Verschnaufpause sofort zu den Diggings aufbrechen.« Das Gesicht seines Gegenübers verzog sich zunächst, als müsse er niesen, doch dann begriff Alan, dass Wilson lachte. Er lachte, bis ihm die Tränen aus den Augen liefen.

»Dacht' ich mir's doch«, japste Wilson.

Alan unterdrückte mit Mühe den aufsteigenden Zorn. Nur mit Rücksicht auf das in Aussicht stehende Quartier in San Francisco beherrschte er sich. Sein Ärger ließ sich jedoch an seinen Augen ablesen. Mr. Wilson brach sein Gelächter jäh ab und sah den anderen mit zusammengekniffenen Augen an. »Dacht' ich mir's doch«, wiederholte er, doch dieses Mal lag nicht einmal ein Lächeln auf seinem Gesicht.

Alan fühlte sich unter dem prüfenden Blick äußerst unbehaglich. »Ich – ich glaubte«, stotterte er, »Sie machen sich lustig über mich.« »Keineswegs, obwohl ich allen Grund dazu hätte.«

»Allen Grund? Wie soll ich das verstehen?« fragte Alan, denn er konnte sich durchaus nicht denken, was an seiner Antwort so lächerlich sein sollte.

Wilson wuchtete seinen schweren Körper zur Seite und lud Alan mit einem versöhnlichen Lachen ein, sich neben ihn zu setzen. »Nun hören Sie mal gut zu, ich will Ihnen was ins Ohr sagen. Sie wollen also einige Tage ausruhen und dann zu den Diggings aufbrechen. Da habe ich Sie doch recht verstanden?«

Alan Parker nickte schwach. Wie lang gedehnt Wilson das »Diggings« betonte, ließ Alan ahnen, warum er so gelacht hatte. Mit seiner Vermutung lag er richtig; denn Ted Wilson raubte ihm mit seinen folgenden Ausführungen den letzten Glanz der eventuellen Illusion, die Nuggets und der Goldstaub seien unmittelbar vor den Toren der Stadt zu finden. Einige beschwerliche Tagereisen, im schlimmsten Fall aber nicht länger als zwei Wochen, hatten Alan und John in manchem nüchternen Gespräch kalkuliert, aber Ted Wilsons Information ließ ihre vermeintliche Nüchternheit wie blindes Wunschdenken erscheinen.

Leicht nach vorn gebeugt, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, klärte Ted Wilson mit kalter Überlegenheit den jungen Mann neben sich auf. Ob er ahnte, wie sich bei jedem Satz von ihm das Stimmungsbarometer seines Zuhörers dem Nullpunkt näherte? »Zunächst, Mr. Parker, täuscht auch dieser herrliche Herbsttag nicht darüber hinweg, dass der Winter vor der Tür steht.«

Alan verstand augenblicklich.

»Um die Diggings überhaupt zu erahnen«, fuhr Wilson fort, »bedarf es einer wochenlangen Reise in das Landesinnere. Sie quälen sich also im besten Fall bis an die Stelle, wo der Sacramento und der San Joaquin zusammenfließen, etwa fünfundfünfzig Kilometer von San Francisco entfernt. Dann wählen Sie einen dieser Flüsse, um stromaufwärts entweder nach Sacramento oder nach Stockton zu gelangen. Und hier«, der Mann legte dem anderen die Hand wie eine Pranke auf die Schulter, »können Sie sich behutsam nach den Diggings erkundigen.«

»Das ist ja schrecklich«, stöhnte Alan und schlug die Hände vors Gesicht. So entging ihm das kurze Grinsen des anderen.

Ungerührt sprach Ted Wilson weiter. »Und eine Schiffsreise, Mr. Parker, so zwischen fünfzehn bis hundert Dollar, je nach Unterbringung, werden weder Sie noch Ihr Partner sich leisten können. Dabei bin ich nicht ganz sicher, ob jetzt im Herbst noch Dampfer den Sacramento hinaufkriechen.«

»Verdammter Schnüffler! Woher weißt du denn alles so genau?«, durchfuhr es Alan, doch er hütete sich, diesen Gedanken laut werden zu lassen. Dabei spürte er eine steigende Wut gegen Wilson, nicht nur wegen dessen plötzlichen Mitteilungsbedürfnisses, sondern auch weil er alles so brutal und rücksichtslos entfaltete. Hatte der denn überhaupt kein Gefühl, wenn er den anderen die Zukunft vergällte? Und warum riss er erst jetzt, so kurz vor dem Ziel der langen Schiffsreise, die Klappe auf? Vier Monate lang hatte er den schweigenden Pascha gespielt, und nun drehte er ihm und John in einer halben Stunde den Hoffnungshahn so zu, dass einem im wahrsten Sinn des Wortes die Luft wegblieb!

Wilson ahnte nichts von den Aggressionen, gegen die Alan in diesem Moment ankämpfte. War er wirklich so naiv? Oder wollte er etwa bewusst quälen? Nun ging er auf die für Digger notwendigen Anschaffungen ein, nannte bei Waschpfanne, Schwingtrog, Long Tom und anderen Geräten den exakten Dollarpreis, nannte Preise für Maultiere und noch vieles andere mehr.

Alan atmete schwer. Es fehlte nicht viel, und er wäre Ted Wilson an die Gurgel gesprungen.

Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander. Über ihnen polterten Schritte, und durch den stümperhaft mit Brettern verschalten Raum zog der Essensgeruch aus der Kombüse.

»Na, Kopf hoch, junger Mann«, ermunterte Wilson den andern und riss ihn aus seinen Grübeleien. Alan sah Wilson offen ins Gesicht, und es schien ihm, als läge ein unruhiges Flackern in dessen Augen. »Eines könnten Sie mir noch verraten, Mr. Wilson. Wer hat Sie denn so sagenhaft gut informiert? Es gibt ja kaum etwas, das Sie nicht wissen!«

Der Fleischkoloss neben ihm lachte ein beinahe verdächtig freies Lachen. »Das kann ich Ihnen sagen, Mr. Parker. Wer in meinen Jahren, ich bin knapp fünfundvierzig, solch eine Reise wagt, der möchte jedes mögliche Risiko vermeiden. So habe ich zunächst alles gründlich gelesen, mich bestens informiert, alles durchdacht, was mit dem Goldrausch zu tun hat. Mein Freund Howard Taylor, ein Forty-Niner, wie ich schon erzählte, war seit 1845 in der Gegend von San Francisco. Er war ein Holzfachmann und leistete, als noch keiner an Gold dachte, Tag für Tag eine selbstmörderische Knochenarbeit. Seit beinahe einem Jahrzehnt haben wir uns nicht mehr gesehen, und wenn mir der angebotene Job nicht gefällt, dann werde ich mich, wohl oder übel, in das Abenteuer der Goldgräberei stürzen. Außerdem soll das Gold auch den Menschen verändern, und zumeist nicht zu seinem Vorteil. Sie verstehen, was –«

Lautes Geschrei über ihnen ließ Ted Wilson mitten im Satz abbrechen. »Was ist nur da oben los?«, fragte Alan.

»Ich vermute, dass sie die ersten Häuser erkennen!«

»Die Stadt, die Stadt!«, rief Alan und stürmte nach einem kurzen Blick auf seinen Gesprächspartner aus dem Laderaum. Er stolperte die Treppe hinauf, ohne den spöttischen Blick Ted Wilsons aufzufangen oder dessen kurzes höhnisches Lachen zu hören. Wilson setzte seinen Hut auf und schob den breiten Rand ein wenig nach oben. Mit überraschender Behändigkeit folgte er Alan auf das Deck der »Glücklichen Seeschwalbe.«

An der Reling Richtung Backbord drängten sich die Passagiere. Sie reckten ihre Arme, und mit viel Geschrei machten sie sich gegenseitig auf den langersehnten Anblick aufmerksam. Am fernen Küstenstreifen tauchten die ersten Häuser von San Francisco auf. Auch Alan Parker versuchte sich in dem Menschengewühl an die Reling zu drängen. Ted Wilson stellte sich auf die Zehenspitzen. »Wie ich gesagt hab.«

Unterhalb der grünen Hänge, die wie ein Kranz die Bucht einrahmten, setzte sich die feine Linie des Strandes endlos fort. Was aber waren das für nadelförmige Striche, die sich schwarz vom Horizont abhoben? Einer der Passagiere setzte ein Fernrohr an sein rechtes Auge. In seinem Gesicht zeichnete sich eine tiefe Enttäuschung ab. »Dieses Gewirr von Nadeln ist überhaupt kein Wald. Das sind Schiffsmasten, hunderte von Schiffsmasten!«

Angesichts dieser Konkurrenz heulte die Masse zukünftiger Goldgräber auf wie ein Rudel Wölfe. Leichtfüßig sprang der zweite Steuermann die schmale Treppe von der Kommandobrücke herab und hob beschwichtigend beide Arme empor. »Aber Gentlemen! Ihre Gefühle in Ehren, aber Sie haben keinen Grund, enttäuscht zu sein. Die meisten dieser Schiffsmasten hätten Sie auch vor drei Jahren schon so sehen können. Zur Zeit der Forty-Niner stürmten die Abenteurer nur so von den Schiffen, von einer Leidenschaft getrieben: Gold, Gold! Und jetzt vermodern dort hunderte von Schiffen, die meisten noch mit faulender Fracht, weil man sich keine Zeit nahm, sie zu löschen.«

Den Umstehenden fielen merklich ganze Felsbrocken vom Herzen. Man Parker sah mit gerunzelter Stirn auf die heranrollenden Wogen, die jetzt einen seltsam bräunlichen Farbton aufwiesen. Einer der Männer, offensichtlich ein Lehrer, klärte die Männer auf: »Diese braune Färbung kommt von den Fluten des mächtigen Sacramento.«

»Goldfluß, Goldstadt!« tönten die Passagiere durcheinander, als das Wort Sacramento fiel.

Von einem günstigen Wind getrieben, durchschnitt die »Glückliche Seeschwalbe« mit geblähten Segeln die bräunlichen Wellen. Die Männer liefen unruhig auf dem Deck hin und her. Die noch hochstehende Sonne warf eine flimmernde Spur über das Meer, und die Stadt am Horizont schwamm wie in einer leuchtenden Wolke. »Wenn das kein gutes Zeichen ist!«, riefen einige begeistert.

Nur Alan ließ sich von der allgemeinen Freude nicht anstecken. Grübelnd und irgendwie niedergeschlagen lehnte er an der Reling. John entdeckte seinen Freund dort und bahnte sich einen Weg durch die Menge. »Mensch, Alan, ich hab dich schon die ganze Zeit gesucht! Wo warst du denn? Außerdem machst du ein Gesicht, als sei dir der Fliegende Holländer begegnet.«

Alan grinste. »Kein fliegender Holländer, aber ein äußerst widerwärtiger dicker Amerikaner aus Boston.«

»Ach, mit dem warst du die ganze Zeit zusammen?«, John wusste schon, wer gemeint war. Alan fasste John am Ärmel und zog ihn aus dem Gewühl. Mit beschwörenden Gebärden redete er auf ihn ein. »Mir sind schon seit Tagen allerlei Gedanken durch den Kopf gegangen. Warum hat sich dieser Mr. Wilson beinahe vier Monate wie ein gefrorener Fisch verhalten, und mit einem Mal spielt er den freundlichen Gentleman?«

»Spielt?« fragte John.

»Jawohl: spielt! Irgendwie scheint er zu ahnen, wie es um unsere Dollars steht. Oder sollte er so blöd sein, mir die Wucherpreise ohne eine bestimmte Absicht zu nennen? Wenn ich nur wüsste, wie ich sein Mitteilungsbedürfnis einordnen soll! Pure Menschenliebe steht auf keinen Fall dahinter!«

John tippte dem aufgeregten Partner freundschaftlich auf die Brust. »Du siehst alles zu schwarz!«

Innerlich hoffte er, dass diese Skepsis nicht wieder der Anfang einer depressiven Phase seines Freundes war. Im Juli hatte Alan zwei Wochen lang nur zwischen zerrissenen Zeltplanen gehockt, vor sich hingestiert und dauernd gemurmelt: »Wie konnten wir uns nur auf solch ein Abenteuer einlassen?«

Man sah die besorgten Blicke des Freundes. Er grinste beruhigend. »Keine Sorge, John. Nicht mal am Rande meiner Existenz lagern dunkle Wolken! Nur wüsste ich gern, warum dieses Nilpferdbaby so besorgt um uns ist oder tut.«

»Warten wir's ab, Alan!«

»Gut, warten wir's ab. Auf jeden Fall hat er mich mit seinen aufschlussreichen Informationen zur Weißglut gereizt.«

Unterdessen näherte sich der Segler dem Hafen, und Einzelheiten des Ufers wurden auch ohne Hilfe eines Fernrohrs erkennbar. Manche der sonnenbestrahlten Dächer der Stadt schienen wie leuchtende Quadrate in der Luft zu hängen, weil die Mauern oder Säulen, von denen sie getragen wurden, kaum aus dem Dunst heraus schimmerten.

John reckte sich. »San Francisco, endlich!«

»Ja, San Francisco«, brummte Wilsons kräftiger Bass hinter den beiden. Sie fuhren erschrocken herum. »Ach, Sie sind's, Mr. Wilson.«

Er überhörte die etwas lahme Begrüßung und zog eine Zigarre aus der Tasche seines bunten Hemdes. »Noch eine halbe Stunde, dann können wir von Bord. Und wie gesagt, ich werde versuchen, Sie bei meinem Freund unterzubringen. Dabei kann ich natürlich nicht garantieren, ob es klappt.«

Er schob den breitrandigen Hut ins Genick. »Noch eins, Gentlemen. Wenn am Hafen zwielichtige Gestalten Geschäfte vorschlagen oder allerlei Kram anbieten, bleiben Sie kalt. Mein Freund Howard hat mir so einige Tips gegeben.«

»Werden's uns merken«, versicherte John und fügte schnell hinzu, »und wir werden warten, ob's mit dem Quartier klappt.«

Wilson ließ die Asche seiner Zigarre auf die Planken fallen, dann stapfte er mit wuchtigen Schritten davon. Wie in einem gut inszenierten Drama blieb er noch einmal stehen und wandte sich um. Seine und Johns Blicke trafen sich. »Ich werde mich auf jeden Fall melden, so oder so.«

Alan Parker sah der breiten Gestalt kopfschüttelnd nach. »Spinner! Vielleicht bin ich verrückt, aber irgendwas warnt mich, irgendwas!« »Nun, wir werden die Augen offenhalten«, pflichtete John seinem Freund bei. Gleichzeitig fiel ihm ein altes Sprichwort ein: »Steter Tropfen höhlt den Stein.« Nahezu unbemerkt war das Misstrauen seines Partners gegen Ted Wilson auch auf ihn übergesprungen.

Der »Nussknacker«

In den Kreisen der Geldmacher nannten sie ihn nur den Nussknacker. Ursprünglich hatte ihm jemand diesen Namen verpasst, weil unter seinem schmalen Oberlippenbärtchen schneeweiße, wie eine Perlenkette aneinandergereihte Zähne hervorblitzten. Später bekam der Name Nussknacker weitere mögliche Bedeutungen. Erstens gab er seinen Geschäftspartnern manche harte Nuss zu knacken, und zweitens konnte er nach der Art der Nussknacker gefährlich zubeißen. Hätte er nicht manchmal aus seiner Vergangenheit erzählt – niemand wäre auf den Gedanken gekommen, dieser über Leichen gehende Geschäftsmann Howard Taylor und der ehemalige Holzarbeiter seien ein und derselbe. Als Forty-Niner hatte er sich an einem Nebenfluss des American River ein Claim abgesteckt, hatte in harter Arbeit das Gold mit der Pfanne aus dem Fluss gewaschen, doch zunächst nur sein tägliches Brot verdient. Dann war jener Tag gekommen, den Howard Taylor ironisch als achten Schöpfungstag bezeichnete. Er war auf ein Becken gestoßen, aus dem er die Nuggets, groß wie Taubeneier, herausfischen konnte. Bis zu 6000 Dollar pro Woche hatte er in pausenloser schwerer Arbeit aus dem goldhaltigen Kies und Sand herausgewaschen.

Keinem seiner Freunde und Bekannten hatte er je über die sagenhafte Schürfstelle nur die geringste Andeutung gemacht; selbst wenn er vollkommen betrunken war, blieben seine Lippen in dieser Hinsicht verschlossen. Umjubelt und beneidet war er im Herbst 1850 zurück nach San Francisco gekommen. Mit unerbittlicher Härte und einem Gespür für Geschäfte hatte er hier Sprosse um Sprosse seiner Erfolgsleiter erklommen. Zwei Hotels, eine Bar, Maultierhandel, alle Geräte für die Goldgräber, Beteiligung an einer gewinnbringenden Dampferlinie und noch manch andere Geschäfte waren Meilensteine seiner Karriere. Allerdings – so flüsterte man sich mit vorgehaltener Hand zu – war er mehr gefürchtet als geliebt.

Auf seinem Weg nach oben hatte er kräftig nach unten getreten. Damit hatte er sich keine Freunde gemacht, war aber weit über seine ehemaligen Goldgräberkollegen hinausgekommen und zum Gegenstand allgemeiner Bewunderung geworden. Wenn auch sein Herz im Laufe der Zeit zu Eis wurde, für Ansehen, Reichtum und Ehre war er bereit, diesen Preis zu zahlen. Dass von diesem Eis auf den ersten Blick nichts zu sehen war, verdankte er seinem charmanten Nussknackerlachen.

Im eleganten Empfangssalon seines Hotels »ZUM NUGGET« saß er Ted Wilson gegenüber und klopfte sich vor Vergnügen auf die Oberschenkel. »Alter Freund, hat mich doch mein guter Riecher nicht betrogen«, er ließ seine Zahnreihe blitzen, »du hast den kleinen Einspieltest gut bestanden. Das muss begossen werden!«

Er pfiff schrill auf zwei Fingern. Sofort öffnete sich die Tür, und ein riesiger Schwarzer mit beeindruckenden Muskeln stand im Türrahmen.

»Zwei Doppelte und –«, er sah Wilson fragend an. »Was willst du essen?«

Der Gefragte schaute sich unruhig um. »Die zwei werden warten.« Howard Taylor lachte dröhnend. »Musst doch noch manches lernen, alter Freund. Was man lange ins Wasser legt, wird weich. Lass die beiden doch warten. Um so höher steigt dein Kredit, wenn du Wort gehalten hast.«

Der Schwarze stand indessen wie eine Statue im Türrahmen, seine Augen unterwürfig auf seinen Boss gerichtet.

»Bring Brot und kalten Braten!«

Der Schwarze nickte und verschwand. Wilson sah den Nussknacker bewundernd an. »Alle Achtung! Was für ein Herkules, dieser Schokoladenboy!«

»Kein Zufall. Dumm und stark, das ist meine Devise. Diese Art Kleiderschränke sorgen dafür, dass die andern Möbel nicht zu Schaden kommen, wenn du weißt, was ich meine.«

»Und ob, Howard.«

Der Schwarze trat herein, bediente die beiden Männer und zog sich dann, leise wie er gekommen war, aus dem eleganten Salon zurück. Taylor hob sein Glas, schwenkte den Whiskey und prostete Wilson augenzwinkernd zu. »Auf gute Zusammenarbeit, Ted.«

Er schob seinem Gast das Tablett mit Brot und kaltem Braten zu. »Lass dir's schmecken und berichte zwischendurch von den beiden Glücksrittern.«

Ted Wilson lehnte sich, nachdem er ein Stück kalten Braten und einen ordentlichen Kanten Brot genommen hatte, kauend in seinem Sessel zurück. Beiläufig bemerkte er die ringgeschmückte rechte Hand Taylors.

»Was für ein Genuss, besonders wenn man wochenlang nur von elendem Fraß gelebt hat! Aber dich interessiert ja, wie ich mich meiner Mission entledigt habe.«

»Kann man so sagen«, grinste der Nussknacker, und der kräftige Ted Wilson fühlte sich unter dem Blick seines Gegenübers wie ein Schuljunge. Hastig schluckte er Fleisch und Brot hinunter, dann hustete er geräuschvoll, als seien ihm einige Brotkrümel in die Luftröhre gekommen. Was machte ihn nur so furchtbar unsicher? »Also, komm zur Sache, Ted«, forderte Howard Taylor ihn auf, »ich hab gleich noch ein Gespräch mit einem einflussreichen Geschäftspartner.«

»Natürlich. Entschuldige, Howard. Man muss sich erst wieder daran gewöhnen, dass hier auf dem Festland Zeit Geld bedeutet. Nun, ich gab mich entsprechend deinem Vorschlag zunächst abweisend, wortkarg, bärbeißig und machte mich durch mein Schweigen mehr interessant als durch viel Reden.«

Howard Taylor nickte zustimmend.

»Dabei hielt ich beide Augen offen, und nach und nach schälten sich aus den vielen Glücksrittern sozusagen meine Opfer heraus. Es sind zwei junge Männer um die dreißig herum. Ich beobachtete, wie sie ihre Dollars zusammenhielten, keine Extrawurst, nichts. Sie waren aber weder sparsam noch geizig, vielmehr –« – »pfeifen sie gewissermaßen auf dem letzten Loch, wie man so schön sagt«, führte der Nussknacker den Satz zu Ende. Er kippte den Rest Whiskey in sich hinein und schob den Sessel zurück.

»Iß fertig, Ted, dann kannst du deine Schützlinge holen. Inzwischen werden sie wie auf heißen Kohlen sitzen. Dass du erst jetzt auftauchst, unterstreicht nur die Tatsache, dass ich nicht so einfach rumzukriegen war. Ein Plus für dich. Du rückst also mit dem Bescheid raus, dass sich der eiserne Howard Taylor breitschlagen ließ und sie in eine Dachkammer ziehen können. Den zweiten Akt spielen wir dann zusammen!«

Wilson bewegte seine massige Gestalt aus dem Sessel und sah den andern halb bewundernd, halb nachdenklich an.

»Mensch, da dachte ich schon –«

»– du wärst der größere Gauner von uns beiden, oder?«

»Dachte ich«, gab Ted Wilson zu, »jetzt aber nicht mehr.«

Er verließ eilig den Salon und hätte darauf schwören können, dass der ehemalige Forty-Niner ihm hämisch nach grinste.

Inzwischen saßen die beiden Freunde Alan und John wirklich wie auf heißen Kohlen. Nachdem sie ihr Gepäck von Bord geschleppt hatten, fanden sie Wilsons Warnung bestätigt. Abenteuerliche Gestalten strichen wie herrenlose Hunde um sie herum, aber noch hatte niemand sie angesprochen.

»Uns scheint man anzusehen, dass der Goldsegen noch nicht über uns niedergegangen ist«, stellte Alan sarkastisch fest.

Seit über einer geschlagenen Stunde hockten sie auf den Gepäckstücken und warteten mit steigender Spannung. Würde Ted Wilson zu seinem Wort stehen?

Direkt vom Hafen weg führte eine verhältnismäßig breite Straße in die Stadt. Eilig aufgerichtete Häuser säumten beide Seiten, und ihre tristen Wände mit den gleichförmigen Fensterlöchern machten jeder Goldgräberromantik ein Ende. Alan kehrte seinem Freund den Rücken zu und blickte mit leeren Augen auf die weißen Schaumkronen der am Strand auslaufenden Wellen. Die Sonne zog eine leuchtende Kupferspur über das Wasser, konnte aber trotz des prächtigen Farbenspiels keinen Funken Freude in Alans Gemüt wecken. Im Hafen schaukelte die »Glückliche Seeschwalbe«, das schwimmende Gefängnis, wie Alan das Schiff oft bezeichnet hatte. Und jetzt? Vom Licht überströmt lag das weite Land vor ihnen, eingetaucht in den Glanz der sinkenden Sonne. John fürchtete dieses heimlich lastende Schweigen, wenn aus Alan nicht der kleinste Seufzer hervorzulocken war. Man war ihm eigentlich, was schnelles Handeln und rasche Entscheidungen anbetraf, um vieles voraus, aber gelegentlich litt er an Depressionen, die ihn vollkommen lähmten. Die ersten Anzeichen waren ein starrer Blick nach vorn, tiefes Schweigen und eine große Mutlosigkeit.

»Na, kommen wollte er ja auf jeden Fall«, unterbrach John das bedrückende Schweigen und versuchte, seinen Partner durch einen vertraulichen Rippenstoß aufzumuntern. In diesem Moment kam die Hilfe, wenn auch von anderer Seite. Wie von einer Wespe gestochen, sprang Alan Parker von seinem prall gefüllten Seesack. »Er kommt! Tatsächlich, er hat Wort gehalten!«

Durch die umherschleichenden zwielichtigen Gestalten bahnte sich Ted Wilson seinen Weg. Er zog einen flachen Wagen hinter sich her. John lief ihm mit hoch erhobenen Armen entgegen. »Was lange währt, wird endlich gut, Mr. Wilson.«

»Das kann man wohl sagen«, dröhnte der wohlvertraute Bass des Reisegefährten.

Alan war wie umgewandelt. Er freute sich, dass sein Misstrauen gegen Wilson scheinbar nicht gerechtfertigt war. Wilson wuchtete die Gepäckstücke, die meisten in groben Säcken verpackt, mit kräftigem Schwung auf den Wagen. »Ja, Gentlemen, es war ein hartes Stück Arbeit, meinen Freund zu überreden, aber schließlich ist er doch zugänglich geworden.«

»Sie haben also eine Bleibe für uns, Mr. Wilson?«

»Bleibe ist gut. Es ist eine ganz passable Dachkammer.«

Alans Stimmung stieg in höchste Gefilde.

Auf dem Laufsteg von San Francisco, wie Ted Wilson die Hauptstraße bezeichnete, war nichts mehr von der traurigen Gleichförmigkeit des Hafengeländes zu merken. Die Fassaden der Häuser wetteiferten darum, möglichst originell zu sein. Da war z. B. ein abgetakeltes Schiff zu einer verlockenden Bar umgebaut, rote Lampen über der halbrunden Öffnung, die Tür wurde während der heißen Jahreszeit durch einen schillernden grünen Vorhang ersetzt. Sie sahen vornehme Saloons und Hotels, lang vorgezogene Dächer auf schlanken Säulen, große Fenster, durch deren gelbe und weiße Milchglasscheiben warmes Licht nach außen drang, dazwischen imposante Bankgebäude und etwas niedriger mit nicht zu übersehenden Schriftzügen gekennzeichnete Kaufshops, in denen alles zu haben war, was man in den Diggings benötigte.

»Moment, Mr. Wilson!« rief Alan und steuerte auf ein Schaufenster zu, das durch einige dekorativ aufgebaute Geräte die Kunden anlockte.

Ted Wilson lächelte rätselhaft, als auch John sich die ausgestellten Geräte ansehen wollte. »Tun Sie sich keinen Zwang an, wir haben Zeit genug.«

Er zündete eine Zigarre an und fing an zu paffen. Indessen standen die beiden jungen Männer fasziniert vor dem Schaufenster. Da lagen die Waschpfannen, schön geordnet auf einem stabilen Regal, auch zwei Schwingtröge waren dabei und ein sogenannter Long Tom, unentbehrlich gewordene Voraussetzung, um überhaupt zum Kreis der auf Reichtum hoffenden Digger gerechnet zu werden. Die Zeiten, wo Klappmesser und Löffel genügten, um das begehrte Metall zu schürfen, waren längst vorbei. Waschpfanne, Schwingtrog und der Long Tom gehörten zur Mindestausrüstung der Digger. Immer häufiger bildeten sich Gruppen, organisierte Goldgräbergesellschaften, die den einzelnen Digger verdrängten und im wahrsten Sinn des Wortes Berge versetzten. Flussbette wurden trockengelegt und Flussläufe umgeleitet, Wasserstrahlen, stark genug, um mit ihrem Druck einen Mann zu töten, gegen die Felswände gerichtet. All das diente nur einem Ziel: Profit, Profit!

Doch davon wussten die beiden Freunde noch nichts. Wie begossene Pudel standen sie vor dem Schaufenster und starrten auf die Preisschilder. »Das ist höllischer Wucher«, brach es schließlich aus Alan heraus. »Das sind 25 Prozent mehr als Mr. Wilson auf dem Schiff nannte!«

Wilson erkannte die Bestürzung der beiden schon an ihren Gebärden, noch bevor sie ihm ihre Gesichter zuwandten. Sie lösten sich von dem Fenster, und ihre Enttäuschung war unverkennbar. Mit einem Mal kam Alan dieses San Francisco wie ein gieriges Monster vor, zwar faszinierend, aber mit einer alles verzehrenden Glut im Hintergrund.

Über den Dächern wurden vereinzelte Sterne sichtbar. Die violette Färbung des Horizonts vertiefte sich.

»Das Licht geht aus«, bemerkte Alan, und John begriff die Doppelbedeutung dieses Satzes. Ted Wilson grinste in sich hinein. Bei diesen zwei war es kaum nötig, die Falle aufzustellen. Die würden ohnehin blindlings hineinlaufen und sich noch dafür bedanken.

»Na, dann wollen wir mal«, forderte er die beiden auf und ergriff die Wagendeichsel. John gesellte sich sofort zu ihm und fragte leise, weil Alan es nicht hören sollte: »Was verdient man denn hier in der Stadt, falls … falls?«

Ted Wilson beglückwünschte sich zu seiner Menschenkenntnis. Es schien alles nach Wunsch zu laufen. Er bemerkte den fragenden Blick des anderen und zögerte mit seiner Antwort. Zögern hielt er immer für gut, weil es den Eindruck vermittelte, man rücke mit seiner Information nicht leichtfertig heraus.

»Bist schon ein Gauner«, durchfuhr es Wilson, als er die Augen des jungen Mannes vertrauensvoll auf sich gerichtet sah. Doch er verdrängte diese Regung und hielt sich an das geläufige Sprichwort: »Wes Brot ich eß, des Lied ich sing.« Für seinen neuen Brotgeber galt nur eines: ob jemand zweckmäßig und nützlich, vor allen Dingen für ihn und seine Ziele nützlich war. Alles andere zählte nicht. Die Berufung auf eine Kinder- und Jugendfreundschaft, in der man durch dick und dünn miteinander gegangen war, bedeutete für Taylor gar nichts. Wilson hatte das bereits bei der ersten kurzen Begegnung mit dem Nussknacker klar erkannt. Insofern ging es ihm wie den Schwarzen, wenn auch auf einer anderen Ebene; er musste sich dem Willen seines ehemaligen Freundes unterordnen. Nahezu instinktiv spürte er, dass der Wille des anderen, wenn er vielleicht auch nicht viel stärker war als der seine, doch ungemein skrupelloser durchgesetzt wurde. Warum also wegen des vertrauensseligen Blicks eines Fremden die eigene, noch äußerst wacklige Position gefährden?

»Also, Mr. Caldwell«, flüsterte er schließlich, »zunächst scheint es bei dieser Einwandererschwemme überhaupt fraglich, ob man ohne Fürsprache einen Job bekommt.«

»Ich dachte nur, mir kamen so allerlei Gedanken.«

Wilson stieß eine Wolke aus seiner Zigarre. »So, Gentlemen, da, drüben ist das Hotel ›ZUM NUGGET‹, eure vorläufige Bleibe.« Zwischen einer Bank und einem Spielsaloon eingekeilt, machte das Hotel einen imponierenden Eindruck. Vor dem Saloon drängten sich einige Männer, darunter offenbar die ersten waschechten Digger in ihrer malerischen Goldgräberkleidung. Verstaubte Schaftstiefel, farbige Flanellhemden und auf ihren Köpfen die unentbehrlichen Schlapphüte. Die beiden Freunde sahen sich kurz an. Alan schüttelte unmerklich den Kopf und rollte die Augen. Das Hotel war hell erleuchtet. Sechs weiße Säulen stützten das tief heruntergezogene Dach. Eine breite, mit Schnitzereien reich verzierte Tür führte in die Empfangshalle des Hotels. Wilson winkte einen schwarzen Boy heran. »Sorg dafür, dass dieses Gepäck auf Zimmer 46 kommt.« »Sofort, Mr. Wilson«, versicherte der Schwarze. Da hielt ihn ein fester Griff an seinem Unterarm auf.

»Moment!«, rief Alan Parker und sah dabei nicht den Schwarzen, sondern Ted Wilson beschwörend an. »In diesen geleckten Laden können wir unmöglich ziehen. Ich bin noch ganz fertig von dem Preisschock am Schaufenster!«

John pflichtete ihm durch eifriges Kopfnicken bei. Wilson ließ seinen Bass dröhnen: »Ich sagte Ihnen doch, dass alles klar geht. Zunächst dürfen Sie sich als Gäste meines Freundes betrachten.«

Im gleichen Moment öffnete sich die Tür, und ein breites Lichtband fiel auf den Boden der mit Marmor belegten Veranda. Der Nussknacker selbst betrat die Szene. Mit einem einzigen Blick erfasste Taylor die Situation. Leichtfüßig ging er auf die beiden Freunde zu und ließ seine wirkungsvolle Zahnreihe blitzen. »Willkommen in San Francisco, Gentlemen. Ich bin Howard Taylor, na, ich denke, dass mein Freund, Mr. Wilson, Sie informiert hat.«

»Hab ich, Howard«, versicherte Wilson eifrig.

Taylor schüttelte den beiden jungen Männern kräftig die Hände. John und Alan wechselten einen raschen Blick.

Alan Parker hatte in den langen Stunden an Bord der »Glücklichen Seeschwalbe« über die Menschen in der Goldgräbersituation nachgedacht, und er war zu dem Schluss gekommen, durch das Gold müsse zwangsläufig ein anderes Bewusstsein in die Menschen eindringen. Schon der Aufbruch Tausender von Glücksrittern trotz der zu erwartenden Strapazen signalisierte die Macht des gelben Metalls. Gold veränderte das Denken, noch bevor man ein Körnchen davon gefunden hatte. Je mehr echtes Gold, um so mehr Falschheit der Herzen. In jedem Rausch werden Werte vertauscht oder sogar aufgehoben; im Goldrausch gewann das harte Metall den Sieg über die Menschen. Am Ende hatte der Mensch nicht mehr das Gold, sondern das Gold hatte ihn. Wie weit er selbst durch das Gold verändert werden konnte, würde sich frühestens nach den ersten Goldfunden erweisen. Doch als Schutz gegen andere Menschen hielt Alan ein gesundes Misstrauen für angebracht. Sein Freund John hatte ihm bisher noch keinen Anlass zum Misstrauen gegeben, und Alan hoffte, dass es auch so bleiben würde. Doch bei allen anderen wollte er auf der Hut sein. Darum machte ihn das offene Lachen des Nussknackers unsicher. Sollte – entgegen seiner Vorsichtsphilosophie – dieser Mann etwa nicht unter das allgemeine Gesetz des Goldrausches fallen? Sollte er trotz seines Reichtums den Menschen über das Gold stellen? Es war sehr unwahrscheinlich, aber Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel.

Dem Nussknacker war der kurze Blickwechsel der beiden nicht entgangen. Mit schlanken Fingern massierte er sein schwarzes Bärtchen.

»Ja, Howard«, schaltete sich Wilson geschickt in die Verlegenheitspause ein, »meine zwei Mitreisenden wollen erst Gold suchen, wenn du weißt, was ich meine.«

Die beiden atmeten befreit auf. Besser hätten sie ihre momentane Sorge nicht ausdrücken können. Taylor lachte sein herzliches Lachen. »Ich werde den beiden Gentlemen keine schlaflose Nacht zumuten, wo es doch immerhin die erste Nacht auf festem Boden ist. Über den Preis reden wir dann morgen. Auf jeden Fall wird er keinen Alptraum hervorrufen.«

»Vielen Dank, Mr. Taylor!«, rief John spontan, und sein Gesicht leuchtete vor Freude. Auch Alan gestand sich im Geheimen ein, dass bei diesem Mr. Taylor seine Goldgräberphilosophie nicht aufging. Wie er und sein Freund noch ihr blaues Wunder mit Howard Taylor erleben würden, davon hatten die beiden in diesem Augenblick keine Ahnung.

Glückspilze und Pechvögel

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