Gordenia - Jürgen Behrens - E-Book

Gordenia E-Book

Jürgen Behrens

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Beschreibung

Zwei Brüder geraten in die Auseinandersetzungen zwischen Orks, Goblins und Menschen. Und das ausgerechnet zu einer Zeit. in der der Kaiserthron des Landes Gordenia unbesetzt ist. Auf der Flucht erleben die Jungen gefährliche Abenteuer und machen eine Entdeckung mit der niemand gerechnet hat, am wenigsten sie selber. Die Elben, die Magie beherrschen, sind aus Gordenia verschwunden und niemand weiß so recht, wohin und ob sie jemals zurück kommen.

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Seitenzahl: 808

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Kapitel 1

Flucht

Lange konnten sie hier nicht mehr bleiben. Vater hatte ihnen aufgetragen, zu warten. Würde er nicht kommen, so sollten sie die Nacht abwarten und dann ihr Versteck verlassen. In ihr ausgebautes Erdloch in der Küche ihrer Kate drang kein Licht. Das Erdloch diente ihnen sonst als Vorratslager, ihre kleine Kate hatte keinen Keller. War es schon Nacht? So sehr Jukar auch lauschte, er hörte nichts. Er hob den Deckel ihres Versteckes vorsichtig ein wenig an. Es war dunkel und er konnte nichts erkennen, die Nacht war schon angebrochen. Jukar überlegte, sollte er weiter auf die Rückkehr des Vaters warten oder ihr Versteck verlassen?

„Was ist?“ Sein jüngerer Bruder Luras sah ihn fragend an. „Kommt Vater uns holen?“

„Ich weiß nicht, ich kann nichts sehen“ antwortete Jukar.

Er sah zu seinem kleinen Bruder, der schon seit einer ganzen Weile unruhig von einer Pobacke auf die andere rutschte. Der kommende Sommer würde sein zehnter werden und er war seit dem Tod ihrer Mutter vor drei Sommern ordentlich gewachsen. Jukar war nur noch einen Kopf größer als Luras und das, obwohl er sechs Sommer länger auf der Welt war als der Kleine. Einen Moment dachte Jukar an seine Mutter Tyra, die nach einer kurzen aber schweren

Krankheit überraschend schnell verstorben war. Luras war nach dem Tod seiner geliebten Mutter in eine tiefe Traurigkeit verfallen. Jukar hatte versucht ihn zu trösten, aber sein Bruder hatte ihn nicht an sich heran gelassen. Er war damals richtig wütend geworden, hatte ihn geschlagen und getreten und war nicht einmal mit auf den Totenacker gegangen.

So wurde Tyra ohne Luras begraben und es dauerte viele Tage, bis Luras wieder jemanden an sich heran ließ. Einmal nahm ihr Vater Furatur ihn mit auf die Jagd und Luras entwickelte ein erstaunliches Geschick im Umgang mit dem Bogen. Um Luras über seine Trauer hinweg zu helfen baute ihr Vater ihm einen eigenen Bogen, auf seine Maße zugeschnitten. Damit war er ständig im Wald unterwegs und kam oft mit einem erlegten Tier zurück. Wenn er seinen geliebten Bogen in die Hand nahm, schien er ein anderer zu werden. Es war, als würde ihn eine geheime Aura umgeben. So überwand er dieTrauer und seine Fröhlichkeit kehrte zurück.

Die neue Leidenschaft seines Bruders erfreute und erschreckte Jukar. War er doch froh darüber, das Luras seine Traurigkeit überwunden hatte, aber darüber, dass er ständig tote Tiere in ihre Kate schleppte, war er nicht begeistert. Die Tiere taten ihm leid.

Sein Bruder war indes aufgestanden und begann von einem Bein auf das andere zu treten. Das Gehampel seines Bruders riss Jukar aus seinen Gedanken.

„Hör auf, so rumzuhampeln“ ranzte er seine Bruder an. Das Gezappel von Luras machte die Enge ihres Versteckes noch deutlicher. Das Erdloch war so niedrig, das Luras gerade so aufrecht stehen konnte.

„Aber ich muss mal“

Kaum hatte Luras das gesagt spürte auch Jukar den Druck. Das war‘s, sie mussten hier raus, das Erdloch war zu klein für sie und den Inhalt ihrer Blasen. So lautlos wie möglich schob Jukar den Deckel beiseite und kletterte aus dem Versteck. Luras drängelte sich an ihm vorbei und eilte in Richtung Latrine. Jukar packte ihn am Arm und zog ihn zurück.

„Warte, wir wissen nicht ob die Luft rein ist.“

„Aber ich muss dringend, soll ich mir in die Hosen machen?!“

„Dann komm, aber bleib hinter mir.“ Jukar schlich zur Küchentür. Als er sie öffnete, kam gerade der Mond hinter den Wolken hervor. Sein spärliches Licht erhellte kaum den kleinen Kräutergarten hinter ihrer Behausung. Dort war niemand zu sehen.

„Na los.“ Jukar nahm seinen Bruder an die Hand und sie liefen zur Latrine. Während Luras seine Blase entleerte spürte Jukar den Brandgeruch in der Nase. Im Dorf musste es brennen, jetzt hörte er auch das Knistern eines entfernten Feuers.

„Fertig.“ Sein Bruder strahlte ihn erleichtert an.

Ihr Garten wurde von einer mannshohen Mauer umschlossen. Nachdem sich auch Jukar erleichtert hatte, liefen sie zum Tor in der Mauer. Das Tor war nur angelehnt. Jukar lauschte, da er nichts hörte, spähte er vorsichtig hindurch. Was er sah, gefiel ihm gar nicht. Eine Frau lag auf dem sandigen Weg, in ihrem Rücken steckte ein Pfeil.

„Was siehst du?“

„Eine Frau liegt auf dem Weg, ich glaube sie ist tot.“

„Erkennst du sie?“

„Nein.“

Was nun? „Wenn du mal nicht weiter weißt, denke nach“, sagte sein Vater immer.

„Sollen wir auf Vater warten?“ Luras sah ihn fragend an.

Jukar überlegte: Vater war nicht da - Konnte er nicht kommen oder wollte er nicht kommen? Den zweiten Gedanken verwarf er sofort, Vater würde sie nie im Stich lassen. War er verletzt? Brauchte er Hilfe? Jukar sah seinen Bruder an

„Wir müssen Vater suchen.“

Ihre Kate lag am Rande des Dorfes. Als sie vor das Tor ihres Gartens traten, war niemand zu sehen. Sie näherten sich vorsichtig der am Boden liegenden Frau. Aus der Nähe erkannten sie ihre Nachbarin und Jukars Vermutung erwies sich als richtig, eine dünne Blutspur zeugte von ihrem Leidensweg. Schwer verwundet hatte sie sich bis zu dieser Stelle geschleppt, dann war sie tot zusammen gebrochen. Sie konnten nichts mehr für sie tun.

Vorsichtig schlichen sie an den niedrigen Häusern entlang. Der Brandgeruch wurde stärker und als sie den Marktplatz erreichten, hörten sie das Knacken und Krachen brennender Balken. Jukars Blick schweifte über den Platz. Die große Wehrhalle des Dorfes stand in Flammen. Leblose Körper lagen davor. Jukar durchfuhr ein angstvoller Schreck. Lag ihr Vater auch dort? Er wollte auf den ersten Körper zustürzen, als sein kleiner Bruder ihn am Arm zog und verstört in eine Gasse deutete.“Da!“ war alles was er heraus brachte. Jukar erinnerte sich an die Erzählungen ihres Vaters. Im Widerschein der Flammen huschten einige Gestalten umher. Kleiner als Menschen, aber mit kräftigen Gliedmaßen und beeindruckenden Kiefern ausgestattet bewegten sie sich in den tanzenden Schatten. „Goblins.“ flüsterte er seinem Bruder zu. Er hatte noch nie welche gesehen, aber die Erzählungen ihres Vaters waren immer sehr anschaulich gewesen.

„Haben sie unser Dorf angegriffen?“ fragte Luras mit ängstlicher Stimme.

„Glaub schon.“ Soweit er wusst, waren Goblins nicht sehr schlau und auch nicht sehr tapfer. Jukar drückte seinen Bruder zurück in die dunkle Gasse. Sie verbargen sich hinter einer Tonne, mit der die Bewohner der Häuser das Regenwasser auffingen. Er lugte vorsichtig um die Tonne herum, um die Anzahl der Goblins zu erfahren und eine Möglichkeit zu entdecken, an ihnen vorbei zu kommen. Doch die Goblins waren ständig in Bewegung, ihre Anzahl war so schwer zu bestimmen – dann plötzlich versammelten sie sich am gegenüber liegenden Rande des Marktplatzes und schienen auf etwas zu warten. Jukar konnte nun ihre scharfen Reißzähne gut erkennen.“Sechs Goblins“ flüsterte er seinem Bruder zu, ohne seinen Blick vom Geschehen auf dem Marktplatz abzuwenden. Eine weitere Gestalt betrat den Marktplatz. Sie hatte die Größe eines ausgewachsenen Menschen, erschien dennoch fremdartig. Ihr muskulöser Körper war in dem zuckenden Feuerschein gut zu erkennen und ihre ledrige völlig haarlose Haut schimmerte in einem seltsamen Dunkelgrün.

„Das muss ein Ork sein“ erklärte Jukar hinter vorgehaltener Hand seinem Bruder. Die Neugier von Luras war geweckt. Über die Orks erzählten sich die Menschen viele gruslige Geschichten.

Schon viele Sommer führten die Menschen Krieg gegen die Orks und Goblins. Vor zehn Jahren hatten die Ritter des Kaiserreiches die Orks endgültig aus den Tälern der Tiefebene und von der Hochebene vertrieben und sie in das Scherbengebirge gedrängt. Kaiser Gardun hatte die Orks für besiegt erklärt und in der Hauptstadt Turatur mit einem großen Fest den Sieg gefeiert. Die Menschen hatten begonnen, das Hochland zu besiedeln, Dörfer und Städte gebaut, ihre Felder bestellt, Viehzucht betrieben und Minen an den Rändern des Scherbengebirges erschlossen. Sieben Jahre herrschte Ruhe, doch es war die Ruhe vor dem Sturm.

Vor drei Sommern im Frühjahr brachen die Orks überraschend aus dem Gebirge in das Hochland ein, überfielen und plünderten viele neue Dörfer. Was sie nicht mitnahmen brannten sie nieder. Das Kaiserreich rief die Ritter des weißen und des roten Ordens zum Heerbann. Kaiser Gardun stellte die Orkhaufen in den Hochlandhügeln nahe der Stadt Oras. Doch er wurde vernichtend geschlagen. Der Kaiser und viele seiner Ritter starben in der Schlacht. In den Hügeln nahe Oras hatte ihr Vater Furatur als Bogenschütze gekämpft. Er wurde verwundet, konnte aber fliehen. Dank seiner Verwundung musste er nicht noch einmal in den Kampf ziehen.

Der erstgeborene Sohn des gefallenen Kaisers Gulras, wurde vom Senat in Turatur zum neuen Kaiser ernannt. Er stellte ein neues Heer auf und zog im letzten Herbst gegen die Orks, aber sein Heer geriet im Tal der Hohen Pforte in einen Hinterhalt und wurde völlig aufgerieben. Gulras starb wie sein Vater auf dem Schlachtfeld und das Reich schien den Orkhorden ausgeliefert zu sein. Im Winter zogen sich die Orks und Goblins überraschend in die Berge zurück und das Hochland erlebte eine kurze Zeit der Ruhe. Doch der Frühling kam und mit ihm die Orks.

Jukar zog seinen kleinen Bruder tiefer in den Schatten der Häuser. „ Wir müssen hier weg“

In die Goblins kam Bewegung, auf Befehl des Orks schwärmten sie aus und einer kam direkt auf sie zu. Vorsichtig zogen sie sich zurück, dann begannen sie zu rennen. Sie schlüpften durch das Tor ihres Gartens und verriegelten es. Von den Goblins war nichts zu hören.

Einen Augenblick verharrten die beiden im Garten. Der noch von ihrer Mutter angelegte Kräutergarten lag brach und die an ihre kleine Kate gelehnte Werkstatt ihres Vaters lag im Dunkeln. Jukar sah sich um, ihre Kate hatte nur zwei Zimmer und eine Küche, hier konnten sie sich schlecht verstecken. Die Werkstatt war auch nur ein Anbau aus Holzbrettern. Hier hatte ihr Vater den Bogen für Luras gebaut. Als Bogenbauer hatte er keine Schwierigkeit, seinem jüngsten Sohn einen Reflexbogen in der passenden Größe zu bauen.

„Ist Vater tot?“Luras begann zu weinen. Sein Bruder nahm in den Arm.

„Nein, nein, er war nicht unter den Toten vor der Halle.“ Jukar hoffte das sehr, doch er war sich nicht sicher. Aber sie mussten hier so schnell wie möglich weg, die Horde würde das Dorf plündern und alle Bewohner töten. Orks machten keine Gefangenen.

„Hol deinen Rucksack, nimm alles Essbare was du finden kannst, eine Decke und deinen Bogen nebst Köcher und Pfeilen. Vergiss deine Jacke nicht. Beeile dich.“

In seinen Rucksack packte er Feuerstein, ein Messer, eine Decke und drei Kerzen und zog seine Jacke an. In seinen Gürtel steckte er die Axt seines Vaters und griff sich noch ein Seil, das er sich um seine Hüfte schlang. Die Decke rollte er zusammen und stopfte sie in seinen Rucksack.

„Hast du alles?“ Luras nickte, den Rucksack hatte er geschultert, darüber den Köcher mit zwölf Pfeilen, den Bogen hielt er in der Hand.

„Und Vater ?“

„Wir suchen ihn“ versprach Jukar.

„Wo denn?“

„Wir versuchen es zuerst in Oras, die Stadt ist befestigt und es führt eine Straße dort hin. Der folgen wir.“

„Ist Vater dort?“

„Ich weiß es nicht“ Vorsichtig öffneten sie das Tor, da niemand zu sehen war liefen sie zum Fluss. Der Weg war nicht weit, aber an der Brücke über den Fluss erlebten sie eine unangenehme Überraschung. Schnell glitten sie lautlos hinter ein dichtes Gestrüpp in Deckung. Keinen Augenblick zu früh, denn die Brücke wurde von vier Goblins bewacht.

„Mist, Luras, wir müssen durch den Fluss,“ flüsterte Jukar seinem Bruder zu. Die Sahle, ein Nebenfluß des Gelben Flusses, führte im späten Frühling Hochwasser und das Wasser war tief und kalt.

„Aber ich kann nicht schwimmen“murrte sein Bruder. Richtig, das hatte Jukar vergessen. Er ließ seine Augen zur Brücke wandern und musterte die Goblins. Sie waren gut im Mondschein auf der Brücke zu erkennen und sie sahen in ihre Richtung, so als erwarteten sie jemanden. Noch hatten die vier sie nicht entdeckt, aber das dünne Geäst des Gestrüppes bot ihnen nur unvollkommende Deckung. Es war daher nur eine Frage der Zeit, wann sie entdeckt wurden. Jukar sah seinen kleinen Bruder eindringlich an.

„Hm ... kannst du die Goblins mit deinem Bogen erledigen?“ Sein Bruder blickte kurz zur Brücke, dann spannte den Bogen und schoss.

Lautlos brach der erste Goblin zusammen, ehe die anderen begriffen was geschah, war auch der zweite tot. Die beiden letzten erspähten die Brüder und stürzten sich auf sie, doch einen Wimperschlag später lag der dritte tot am Boden. Der letze schaffte es seinen Speer zu werfen bevor auch er tot zu Boden sank. Der Speer flog auf Jukar zu, doch der wich ihm geschickt aus.

Der Weg war nun frei und sie rannten über die Brücke, nach cirka hundert Schritten erreichten sie den Wald. Sie hielten kurz inne und schauten zurück. Niemand war ihnen gefolgt und die toten Goblins noch nicht entdeckt worden. Als wollte Kineras ihnen bei ihrer Flucht behilflich sein, schoben sich ein paar dicke Wolken vor die kreisrunde Scheibe des Mondes und hüllten die toten Goblins in tiefe Dunkelheit.

„Vier Schuss , vier Treffer und alle tödlich . Seit wann bist du so geschickt mit dem Bogen?“ Jukar sah seinen Bruder fragend an. Luras zuckte mit den Schultern, „Keine Ahnung, ich habe nicht groß nachgedacht.“

„Kleiner Bruder, Du überraschst mich immer wieder.“ Luras grinste ihn an.

„Wir folgen dem Weg bis wir auf die Straße nach Oras stoßen.“ Jukar ging tiefer in den Wald.

Luras schulterte seinen Bogen und folgte seinem Bruder. Nach einer Weile erklärte Luras, sein Rucksack sei zu schwer, seine Füße täten ihm weh und überhaupt könne er nicht weiter. Schließlich schnallte Jukar sich seinen Rucksack nach vorne und nahm seinen Bruder samt Rucksack auf seinen Rücken.

„Gut, dass du so stark bist“ murmelte Luras noch, dann kündete ein leises Schnarchen vom Schlaf des kleinen Bruders.

Bedächtig schritt Jukar voran, der Vollmond war hinter den Wolken hervor getreten und tauchte den Wald in ein unheimliches Zwielicht. Kein Laut war zu hören und er hing seinen Gedanken nach. Wo war Vater, war er tot, verwundet oder geflohen? Als im Dorf das Signalhorn ertönt war, hatte Vater sie in ihr vorbereitetes Versteck gebracht und war zur Wehrhalle gelaufen. Einem rechteckigen Steinbau mit schmalen Fenstern und einer verstärkten Tür, die nach der Niederlage des kaiserlichen Heeres bei Oras in den Dörfern des Hochlandes zum Schutz der Dorfbewohner gebaut worden war. Doch die Wehrhalle war nun zerstört. Jukar hoffte, das ihr Vater hatte entkommen können und nicht als Leiche in der brennenden Wehrhalle lag.

Bis auf weiteres musste er nun die Verantwortung für sie übernehmen und das gefiel ihm gar nicht. Er würde Entscheidungen treffen müssen und das hasste er, auch, weil sein Bruder ein kleiner Dickkopf war, der sich nicht gerne etwas sagen ließ. Oras war eine große Stadt im Hochland nahe der HohenPforte und befestigt, dort würde er Hilfe und vielleicht auch ihren Vater finden. Er dachte an ihre Mutter, sie war nun schon vier Sommer tot und er vermisste sie noch immer schmerzlich. Was, wenn sie Vater niemals wieder sahen, daran wollte er gar nicht denken. Im Wald war es stockdunkel und nur das Licht des vollen Mondes schimmerte hin und wieder durch die Äste der hochgewachsenen Nadelbäume. Vorsichtig tappte Jukar durch das spärliche Unterholz des Waldes. In der Ferne hörte er den Ruf eines Totenvogels. Das verhieß nichts Gutes. Der Boden stieg stetig an und machte das Gewicht seines Bruders auf seinem Rücken doppelt so schwer.

Seine Kräfte ließen nach und er wurde langsam müde von der Schlepperei. So trottete er vor sich hin und die Augen fielen ihm beim Laufen fast zu. Da entdeckte er vor sich einen Lichtschein. So leise wie möglich näherte er sich der Lichtung. Hier saßen fünf Goblins um ein kleines Feuer. Jukar wollte sich vorsichtig zurück ziehen, doch just in dem Augenblick erwachte sein Bruder und musste niesen. Alle Köpfe der Goblins drehten sich in ihre Richtung. Einen Augenblick waren alle wie erstarrt, dann sprangen die Goblins auf, ergriffen ihre Speere und schleuderten sie auf die Brüder. Jukar versuchte auszuweichen, doch er konnte nicht allen heranfliegenden Speeren ausweichen. Zwei Speere trafen ihn am Oberkörper, doch er fühlte außer einem kurzen Stoß keinen Schmerz. Verwundert sah er an sich herunter, die Speere steckten in seinem vorgeschnalltem Rucksack. Als sein Bruder die Speere in seinem Rucksack sah, schrie er auf, erst vor Angst, dann vor Wut. Jukar versuchte die Axt aus seinem Gürtel zu zerren und ließ seinen Bruder fallen. Der sprang auf die Beine und hatte schon seinen Bogen in der Hand, aber die Goblins flohen kreischend in den Wald. Sie hörten sie noch eine Weile durch das Unterholz brechen, dann verebbte der Lärm und Ruhe trat ein.

„Warum hauen die ab?“

„Vielleicht haben sie dich für ein zweiköpfiges Waldmonster gehalten, Goblins glauben an Monster“ Luras zog die Speere aus dem Rucksack seines Bruders.

„Nur angespitzte Holzstöcke, die brauchen wir nicht.“Er warf sie in den Wald. Mehr war an dem Lagerplatz der Goblins nicht zu finden. Das Feuer war mittlerweile runtergebrannt, doch es strahlte noch Wärme aus und so beschlossen sie, hier die Nacht zu verbringen. Luras hielt die erste Wache. Sein Bruder hüllte sich in seine Decke und war bald im Land der Träume.

Tageslicht drang durch die Bäume als Jukar erwachte. Sein Bruder schlief neben ihm, er weckte ihn ein wenig unsanft.

„Heh, wolltest Du nicht Wache halten?“

„Habe ich doch, „ gähnte Luras und streckte sich „bis ich müde wurde“

„Warum hast du mich nicht geweckt? Ich hätte die Wache übernommen.“

„War nix los und du hast so schön geschlafen“

„Die Goblins hätten zurück kommen können“

„Sind sie aber nicht, oder?“

„Nächstmal wecke mich, wir müssen vorsichtig sein.“

„Ja, ja - ich habe Hunger wollen wir frühstücken?“ Luras kramte aus seinem Rucksack alles Essbare hervor, Wurst, einen Laib Brot, Käse und mit dem Wasser aus ihrem Schlauch war es ein ausreichendes Mahl. So gesättigt machten sie sich auf den Weg. Sie wanderten in Richtung Hohe Sonne und im Wald gab es nun vermehrt Laubbäume, deren Kronen noch keine Blätter hatten. So fiel mehr Licht auf den Waldboden. Das machte das Wandern durch den Wald einfacher. Jukar hielt nach Pilzen Ausschau, doch er hatte wenig Hoffnug im Frühling essbare Pilze zu finden.

So lange es hell war, hielten sie sich etwas abseits des Weges, ihr unverhofftes Zusammentreffen mit den Goblins hatten sie noch gut in Erinnerung. Der Tag zog dahin, als die Dämmerung einsetzte hielten sie sich wieder auf dem Weg. Schließlich wurden sie müde. Unter einer großen Tanne schlugen sie ihr Lager auf. Auf ein Feuer verzichteten sie und aßen ihr letztes Brot und den Rest der Wurst. Dann hüllte sich Luras in seine Decke und bald kündigte ein leises Schnarchen, dass er im Land der Träume weilte. Jukar hielt Wache, bis auch er müde wurde und bevor er seinen Bruderwecken konnte, war auch er eingeschlafen.

Vogelgezwitscher weckte Jukar, neben ihm saß grinsend sein Bruder.

„Du bist auch eingeschlafen ohne mich zu wecken, tzz, tzz, tzz.“ Jukar mochte es gar nicht, wenn sein Bruder diese Laute von sich gab, das klang immer ein wenig herablassend.

„Niemand ist perfekt, auch ich nicht. Packen wir zusammen und ziehen wir weiter“ Gegen Mittag meldete sich der Hunger aber kein Wild ließ sich blicken und nun setzte auch noch leichter Nieselregen ein.

„Ist es noch weit nach Oras?“ Luras schien am Ende seiner Kräfte. Jukar hatte keine Ahnung wie lange sie noch laufen mussten. Vor fünf Sommern war er mit seinem Vater nach Oras gewandert. Vater hatte zwei seiner Bögen verkaufen und neue Sehnen besorgen wollen. Damals hatten sie auf halben Weg in die Stadt in einem Rasthof mit Namen „Roter Hahn“ übernachtet. Der konnte nicht weit sein, dann hatten sie wenigstens für eine Nacht ein Dach über ihren Köpfen. Dummerweise hatten sie keine Münzen bei sich. Vielleicht konnte er etwas aus seinem Rucksack verkaufen oder eintauschen.

Das Gelände war hüglig und als sie die Kuppe eines Hügels erklommen hatten, sah Jukar die roten Ziegel eines Daches unter sich aufleuchten. Das musste der Rote Hahn sein. Gerade noch rechtzeitig, denn die Dämmerung setzte ein und im Wald breitete sich wieder das unheimliche Zwielicht aus.

Das zweistöckige Haus mit einem Giebeldach war von einem hohen Holzzaun umgeben und als sie ans Tor kamen war es verschlossen. Über dem Tor schaukelte einen Schild mit dem Abbild eines roten Hahnes. Ein kleines Horn hing an einer Kette am Zaun und Jukar blies so stark er konnte hinein. Es dauerte eine Weile bis sich eine kleine Luke im Tor öffnete und jemand nach ihrem Begehr fragte.

„Wir begehren zu essen und eine Übernachtung für zwei Knaben auf der Flucht.“ Das Fenster schloss sich und das Tor wurde einen Spalt geöffnet. Ein älterer Mann mit einer etwas schmuddligen Schürze um seinen ausufernden Bauch musterte sie mürrisch.

„Von wo kommt ihr her?“

„Aus Berange, ein Dorf etwa zwei Tagesmärsche entfernt“

„Haben Orks euer Dorf angegriffen?“

„Orks und Goblins „ ergänzte Jukar. Das Tor wurde nun weiter geöffnet und der Mann winkte sie hinein.

„Was habt ihr anzubieten“ Jukar nahm seinen Rucksack ab und zeigte dem Mann was er enthielt.

Er deutete auf Jukars Axt, nahm die drei Kerzen und das Messer.

„Für zwei Mahlzeiten , Getränke und eine Übernachtung im Stall.“

„Und Frühstück“ meldete sich Luras, der Dicke nickte zustimmend und gemeinsam beraten sie den Schankraum. Der maß etwa dreißig Schritt in der Länge und zwanzig Schritt in der Breite. An beiden Längsseiten waren Tische aufgestellt, der hintere Teil des Schankraumes lag im Halbdunkel, denn nur der vordere Teil der Tische war besetzt. Der Wirt wollte wohl an Kerzen sparen. Er brachte die Knaben an einen freien Tisch und winkte eine der Mägde zu sich. Er sprach kurz mit ihr und sie kam mit zwei Tellern Linsensuppe aus der Küche zurück, die andere Magd brachte zwei Becher Ziegenmilch. Luras war nicht begeistert von der Ziegenmilch, aber sie waren den ganzen Tag unterwegs gewesen ohne zu essen und hatten entsprechend Hunger. Während sie aßen und tranken, sah Jukar sich vorsichtig um. Zur Schildseite saß ein alter Mann und starrte in seinen Humpen, zur Schwertseite saß eine Gruppe Krieger, angeführt von einem jungen Ritter, alle wirkten, als hätten sie schon eine erhebliche Menge Bier getrunken. Gegenüber auf der anderen Seite des Raumes saßen an mehreren Tischen verteilt Bauern und Handwerker. Vermutlich aus dem nahen Dorf, das unterhalb der Burg Kalkfels lag. Jukar war mit seinem Vater auf dem Weg nach Oras damals durch das Dorf gekommen, aber er konnte sich an den Namen des Dorfes nicht mehr erinnern. Etwas abseits von ihnen, schon ein wenig im Halbdunkel ein Waldläufer, der Kleidung nach zu urteilen.

Am Tisch des Ritters ging es hoch her und die zwei jungen Mägde, die sie bedienten, mussten sich den einen oder anderen groben Scherz gefallen lassen. Als aber einer der Krieger einer Magd unter den Rock zu fassen suchte, zog diese dem Mann mit einer Bleikeule eins über. Der quiekte wie ein Schwein und plumpste unbeholfen von seinem Hocker. Als Luras das sah, brach er in schallendes Gelächter aus. Die Situation zog nun den ganzen Schankraum in seinen Bann. Eisiges Schweigen füllte den Raum, als der junge Ritter sich erhob und drohend auf Luras zu ging.

„Was gibt es da zu lachen?!“ herrschte er ihn an.

„Sah halt komisch aus, wie der vom Hocker plumpste.“ erwiderte Luras, der ungerührt weiter seine Linsensuppe aß.

Der Ritter richtete sich zu seiner vollen Größe auf und trat mit geschwellter Brust näher an ihren Tisch heran.

„Ich bin Oldavus, Ritter von Kalkfels.“ da fiel sein Blick auf Luras Bogen der samt Köcher über der Lehne seines Stuhles hing. „Was macht so ein kleiner Krips mit einem Reflexbogen.“

„Er schießt damit“ antwortete Jukar, der insgeheim hoffte, sein Bruder hätte den Ritter nicht zu sehr verärgert.

„Sogar sehr gut“ ergänzte Luras. Der schien von der Größe des Ritters wenig beeindruckt.

Der Ritter beugte sich zu Luras hinunter und blickte ihn durchdringend an:„Wo hast du ihn gestohlen?“

Die Anschuldigung des Mannes verärgerten Luras. Er legte seinen Löfel weg und lauter als nötig herschte er den Ritter an: „habe ich nicht, mein Vater hat ihn mir gebaut.“

Wenig beeindruckt, richtete sich der Ritter wieder auf, legte seinen dicken, leicht aufgedunsenen Kopf schief und sah Luras verächtlich an.

„Du kannst den doch kaum spannen, geschweige denn damit schießen oder gar treffen.“

„Kann ich wohl“ Luras stand nun ebenfalls auf und sah den Ritter herausfordernd an.

„Ich glaube dir kein Wort“, dann drehte sich der Ritter zu den Besuchern im Gastraum um und forderte Luras auf, „wenn du so gut bist, beweise es.“

Jukar schob seinen leeren Teller weg und wollte schon zu Gunsten seines Bruders eingreifen , um den gereizten Ritter um Verzeihung bitten, aber Luras legte nur seinen kleinen Kopf ein wenig schief, starrte den Ritter an und überraschte selbigen mit der Frage,

„Was kriege ich dafür?“

Einen Augenblick stutzte der Ritter ob dieser Frage, doch dann lächelte er hinterhältig und zog seinen Münzbeutel hervor.

„Der Beutel samt Inhalt ist dein, doch ich bestimme das Ziel und die Entfernung, einverstanden?“

Der Versuch Jukars seinen Bruder mit Handzeichen zur Mäßigung aufzufordern, schlug fehl. Denn der war nicht zu halten.

Luras nickte nur knapp, nahm seinen Bogen nebst Köcher und stellte sich in den Raum, bereit jede Herausforderung anzunehmen.

Der Ritter wandte sich nun Jukar zu.

„Steh auf und komm mit mir.“ Jukar sah in fragend an, stand aber wie geheißen auf. Der Ritter nahm einen Bierkrug von seinem Tisch, griff Jukar am Arm und zog ihn zum Ende des Schankraumes, dort setze er ihm den Krug auf den Kopf. Dann ging er zu Luras und zeigte auf seinen Bruder am anderen Ende des Raumes.

„Schieß ihm den Krug vom Kopf!“ Die Besucher hatten den Streit der beiden ungleichen Kontrahenten gespannt verfolgt und wandten sich dem beginnenden Spektakel zu. Alle sahen gespannt auf Luras. Das Gefolge des Ritters begann zu feixen und schlug sich auf die Schenkel. Die Besucher begannen untereinander Wetten abzuschließen. Die Spannung im Raum war fast mit den Händen greifbar, die beiden Mägde redeten leise auf den Wirt ein, der aber zuckte nur mit den Achseln.

Die Entfernung betrug etwa fünfundzwanzig Schritte und Jukar stand fast im Dunkeln, doch Luras schien gelassen.

„Nicht wackeln, großer Bruder.“

„Nicht zittern, kleiner Bruder“ antwortete Jukar so ruhig es ihm möglich war. Im Schankraum wurde es still, alle Augen richteten sich auf den kleinen Jungen.

Doch Luras schien seinen Spaß zu haben, er prüfte die Spannung seines Bogens, wählte sorgfältig einen Pfeil aus, spannte den Bogen, setzte wieder ab, schien zu überlegen, sah den Ritter herausfordernd an und schoss . Ein Scheppern am Ende des Raumes kündigte vom Treffer. Jukar war wenig begeistert, der Krug war noch halb voll gewesen und nun ergoss sich der Inhalt über seinen Kopf. Er musste sich die Augen auswischen um wieder sehen zu können, dann ging er auf Luras zu und gratulierte ihm zu seinem gelungenem Schuss. Ein gewaltiges Gejohle und andere Beifallsbekundungen setzten ein, Luras aber ging zum Ritter, zog von dessen Gürtel den Münzbeutel und setzte sich wieder an den Tisch, sein Bruder folgte ihm.

Der Ritter war erst verwirrt, dann wütend, er ging auf die Knaben zu und verlangte seinen Beutel zurück. Als die sich weigerten, drohte er ihnen und auf seinen Wink hin erhoben sich seine vier Krieger von ihren Plätzen und stellten sich hinter ihren Herrn auf.

Aber jetzt erhoben sich alle anderen im Raum und forderten den Ritter auf, zu seinem Wort zu stehen und die beiden Knaben nicht länger zu belästigen. Doch der dachte gar nicht daran, seinen Münzbeutel so einfach aufzugeben. Mit seinen Kriegern im Rücken schritt er drohend auf Jukar und Luras zu, um ihnen den Beutel mit Gewalt zu entreissen. Luras spannte schon seinen Bogen, denn er war nicht gewillt, den neuen Reichtum kampflos wieder herzugeben. Doch er brauchte seinen Bogen gar nicht. Alle übrigen Anwesenden waren so empört über das unritterliche Verhalten des Herrn von Kalkfels, dass sie sich wütend auf ihn und sein Gefolge stürzten. Selbst die beiden Mägde warfen sich mit ihren Bleikeulen in das Getümmel und bedrängten den Ritter und sein Gefolge derart, das sich selbige zur sofortigen Flucht aus der Schänke genötigt sahen. Sie stiegen auf ihre Pferde und ritten in die Nacht. Nachdem sich der Tumult gelegt hatte, kam eine der Mägde und räumte den Tisch ab. Mit Blick auf Jukar stellte sie fest,

„Du bist ja ganz nass.“ Sie verschwand mit dem Geschirr in der Küche und kehrte mit einer Schüssel voll lauwarmem Wasser zurück.

„Mein Name ist Magda“ stellte sie sich vor. Ohne Umschweife begann sie Jukar vorsichtig mit einem Lappen zu säubern. Jukar war überrascht und ein wenig peinlich berührt, besonders als sein Bruder ihn angrinste. Das Grinsen verging Luras schnell als die zweite Magd Wera mit einer weiteren Schüssel auftauchte und auch an ihm mit einem Lappen herum wischte. Jetzt grinste Jukar. Dem Treiben machte der Wirt ein Ende, indem er beide Mägde aufforderte den Unsinn zu unterlassen und sich wieder ihrer Arbeit zu widmen. Die beiden ergriffen ihre Schüsseln und eilten kichernd davon. Magda drehte sich noch einmal um und warf Jukar eine Kusshand zu, bevor sie in der Küche verschwanden.

„Mir scheint ihr habt eine Eroberung gemacht, werter Herr“ der Waldläufer setzte sich nun zu ihnen an den Tisch. Luras hielt sofort den Beutel fest.

„Ich darf mich vorstellen; mein Name ist Arantis aus Kalzar. Wie sind eure Namen und von wo kommt Ihr, wenn ich fragen darf?“

„Wir kommen aus Berange, einem Dorf etwa zwei Tagesreisen von hier, ich bin Jukar und das mein Bruder Luras“ Jukar nickte seinem Bruder zu, der immer noch den Beutel festhielt.

„Wie viele Sommer habt ihr erlebt und wo sind eure Eltern?“

„Ich bin im fünfzehnten Sommer und mein Bruder im zehnten, unsere Mutter ist vor vier Sommern an einem Fieber gestorben und unser Vater wird seit dem Angriff auf unser Dorf vor drei Tagen vermisst. Wir wollen ihn in Oras suchen.“ Die Knaben erzählten Arantis vom Angriff auf ihr Dorf , von ihrer mehrtägigen Flucht und von ihren Begegnungen mit den Goblins.

Arantis hörte aufmerksam zu, „Euer Vater ist Bogenbauer? Nennt mir seinen Namen und beschreibt ihn mir, vielleicht bin ich ihm begegnet.“

Jukar sah den Fremden an, konnte er ihm trauen? Er war etwas größer als sein Vater, hatte schwarze, gelockte Haare und ein angenehmes Gesicht, mit dunklen Augen. Er trug ein dunkelgrünes Wams, dunkelbraune Hosen und schwarze Reitstiefel. An seinem Gürtel hing ein schwerer Dolch. Jukar entschloss sich ihm zu trauen.

„Der Name unseres Vaters ist Furatur, er ist ewas kleiner als ihr, hat braunes Haar und eine Verletzung am Bein. Wir glauben er ist nach Oras geflohen.“

Der Waldläufer schüttelte den Kopf „Tut mir leid, von eurem Vater habe ich nichts gehört, aber es kommen nur wenige Flüchtlinge nach Oras durch, ein großes Orkheer hat die Stadt eingeschlossen, euer Vater wird nicht dort sein , es sei denn er kann fliegen.“

Jukar und Luras sahen einander entsetzt an, wo sollten sie nun nach ihrem Vater suchen. Arantis machte ihnen den Vorschlag, noch heute Nacht wollte er sich nach ihrem Vater zu erkundigen, sie sollten solange bleiben, bis er mit Nachricht von ihrem Vater zurück kehren würde. Die Knaben nahmen seinen Vorschlag dankbar an und kurz darauf schwang Arantis sich auf sein Pferd und ritt davon. Voll Bangen und Hoffen blieben die beiden Knaben im Rasthof zurück.

Nun näherte sich der Wirt ihrem Tisch. „Werte Herren „begann er respektvoll „leider ist Oldavus, der Ritter von Kalkfels samt seinem Gefolge aus der Schenke entflohen ohne seine Zeche zu bezahlen. Ihr haltet seinen Münzsack in den Händen und ich wäre euch sehr verbunden, wenn ihr an seiner statt die Zeche bezahlen würdet.“

„Wie viel wäre das denn?“ fragte Jukar. Indes linste Luras vorsichtig in den Beutel.

„Zwei Silberstücke würden wohl ausreichen verehrte Herren.“

Jukar sah Luras an, der nickte. Da mischte sich überraschend der ältere Mann zur Schildseite in das Gespräch ein.

„Zwei Silberstücke?! Wollt ihr die Jungen berauben, die Zeche des Ritters ist mit drei Kupferstücken mehr als gut bezahlt.“ Der Wirt war über diesen Verlauf des Gespräches nicht erfreut, doch bevor er etwas auf den Einwand des alten Mannes erwidern konnte, sprach Jukar ihn an:

„Wir geben dir ein Silberstück, dafür wollen wir aber ein Zimmer mit Betten für uns beide.“

„Und du gibst meinem Bruder seine Axt nebst seinem Messer zurück“, ergänzte Luras.

Der alte Mann hatte sich mittlerweile an den Tisch der Jungen gesetzt und sah den Wirt halb vorwurfsvoll halb erwartungsvoll an. Der Wirt grummelte noch was vor sich hin, ging in die Küche und kehrte mit Axt und Messer zurück. Er legte sie wortlos auf den Tisch und hielt seine Hand auf, Luras ließ ein Silberstück in dieselbe fallen.

Beide Mägde kamen mit Handtüchern und Seife an ihren Tisch.

„Wir haben ein Bad für euch vorbereitet.“

Jukar und Luras schauten so erstaunt wie der Wirt, der aber verschwand wortlos in der Küche.

„Nehmt dieses Angebot ruhig an meine Herren, ich fürchte ihr habt es nötig.“ Der Alte hielt sich demonstrativ die Nase zu „ Ihr müffelt wie die Waldschweine.“

Jukar und Luras rochen an ihrer Kleidung, sie fanden ihren Geruch nicht anstößig.

„Wir sehen uns zum Frühstück, schlaft wohl“. Damit verabschiedete sich der Alte und überließ die Knaben ihrem Schicksal. Magda und Wera führten die Jungen ins Bad. Das bestand im wesentlichem aus einer großen Holzwanne, die schon mit warmem Wasser gefüllt war. Die Jungen entkleideten sich wobei die Mägde sich kichernd abwandten, bis beide in der Holzwanne saßen. Dann begannen die Mägde die Knaben mit einem Schwamm vorsichtig einzuseifen. Die ließen sich das wohl oder übel gefallen, erst als ihre Haare gewaschen werden sollten, begannen beide zu murren. Doch Magda blieb unbeeindruckt und kippte Jukar einfach einen Krug Wasser über den Kopf, so war sein Widerspruch erledigt. Während Luras immer noch ein wenig rummaulte, waren Jukars Gefühle zwiespältig. Einerseits genoss er die Waschung durch Magda sehr, andererseits war die ihm auch ein wenig peinlich. Erst als Magda sich mit dem Schwamm seinem Geschlechtsteil näherte nahm er ihr den Schwamm ab und reinigte sich nun allein weiter. Wera hatte indes die Kleidung der Knaben an sich genommen und ihnen dafür eine Art großes Unterhemd überlassen. Mit dem Hinweis, ihre Kleidung zu reinigen, verschwand Wera samt selbiger aus der Badestube. Nachdem die Knaben ihre Unterhemden angelegt hatten zeigte Magda ihnen Ihr Zimmer, wünschte ihnen noch einen tiefen Schlaf und verschwand. Im Zimmer lagen ihre Rucksäcke und ihre Waffen. Luras suchte sofort nach dem Münzbeutel. Als er in fand und mit der Überprüffung des Inhalts zufrieden war, löste sich sein Misstrauen. Beim Anblick der Betten gähnte Luras nun und auch Jukar spürte die Müdigkeit. So legten sich ins Bett, löschten die Kerzen und waren kurz darauf eingeschlafen.

Jukar träumte von ihrer Mutter, sie kam an ihr Bett, sah ihn an, rief ihn und küsste ihn auf die Stirn.

Als er ihre Berührung spürte erwachte er. Magda hatte sich über ihn gebeugt und zog ihn hoch.

„Eilt euch, ihr müsst so schnell wie möglich hier weg.“ Aus den Augenwinkeln sah Jukar, dass Luras sich bereits anzog.

„Warum die Eile“ fragte er Magda.

„Oldavus, der Ritter von Kalkfels, mit dem ihr gestern Abend Ärger hattet ist mit seinen Kriegsknechten auf dem Weg hierher, er will seinen Beutel zurück und sicher auch sein Mütchen an euch kühlen. Ich weiß es von meiner Schwester, welche in seiner Burg zum Gesinde gehört. Ihr Bastard brachte uns die Nachricht.“

„Wir wissen nicht wohin wir gehen sollen?!“ Jukar sah Luras, dann Magda fragend an.

„Der alte Mann, der gestern Abend an eurem Tisch saß, wird euch mitnehmen, er kennt sich im Wald aus und will euch für ein paar Tage verstecken. Ich kenne ihn, ihr könnt ihm vertrauen.“

Jukar und Luras zogen sich nun so schnell wie möglich an, schnappten sich ihre Sachen und zusammen mit Magda liefen sie durch die Küche zum hinteren Hof. Dort wartete schon der Alte, der die Jungen zur Eile antrieb. Magda öffnete eine kleine Tür im Holzzaun und sie liefen auf den Waldrand zu, Magda winkte ihnen noch kurz zu Abschied, dann verschloss sie die Tür. Kaum hatten sie den Waldrand erreicht hörten sie das Horn vom Eingang, kurz darauf das Krachen und splittern von Holz. Wieder einmal tauchten sie im Wald unter.

Kapitel 2

Vertrauen

Die Flanken seines Pferdes zitterten und Schaum tropfte ihm aus dem Maul. Arantis war scharf geritten und schon glaubte er, der verdammte Gaul würde unter ihm zusammenbrechen, da lag es plötzlich vor ihm, das Heerlager der Orks, in einer Senke noch halb verborgen im dichten Nebel des heraufdämmernden Tages. Kurz hielt er inne, er hoffte, dass seine Entscheidung richtig war. Seinen Auftrag, die Verteidigungsanlagen der Hauptstadt des Kaiserreiches zu erkunden, hatte er eigenständig abgebrochen. Er hielt seine Vermutungen über die Knaben für wichtig und wollte diese dem Erhabenen so schnell wie möglich mitteilen. Er konnte nur hoffen, dass der Erhabene das genauso sah. Vorsichtig lenkte er sein Pferd in die Senke hinab, als wie aus dem Nichts drei Orks vor ihm standen. Helm, Brustpanzer, großen rechteckigen Schild sowie Speer und Schwert und nicht zuletzt ihr rotes Halstuch wies sie als Soldaten der ersten Wacht aus, der Eliteeinheit der Orks

„Kennung“ herrschte ihn einer der Soldaten an.

„Schattenmann“ antwortete Arantis, in der stillen Hoffnung richtig geraten zu haben.

„Falsche Antwort, runter vom Pferd“ die Orks zogen ihn grob von seinem Pferd, entwaffneten ihn und schubsten ihn vor sich her. Nach etwa fünfzig Schritten erreichten sie das Zelt ihres Befehlshabers. Sie stießen ihn ins Zelt, übergaben ihrem Befehlshaber Arantis' Waffen und machten Meldung. Ihr Befehlshaber sah sich ihren Gefangenen an und winkte seine Soldaten hinaus.

„Gut gemacht, geht wieder auf euren Posten.“ Die Soldaten verließen das Zelt und der Befehlshaber grinste Arantis an.

„Na, Milchgesicht“ mit diesen Worten gab er Arantis seine Waffen wieder.

„Na, Klotzkopf“ die beiden fielen sich in die Arme.

„Glück gehabt, das dich meine Leute erwischt haben, andere wären vielleicht ein wenig unfreundlicher gewesen.“

„Das Glück ist mit den Tüchtigen, das weißt du doch“ Arantis nahm sich einen Humpen vom Tisch, ging zu einem auf einem Sockel liegendem Bierfass und ließ sich Bier ein. Der Ork ergriff einen zweiten Humpen mit Bier und beide stießen an.

„Schon zurück von deinem Geheimauftrag Meisterspion?“ der Ork sah ihn fragend an.

„Was weißt du über meinen Geheimauftrag.“

„Nur Geraune, deshalb frage ich ja.“

„ Mir ist was dazwischen gekommen, ich muss so schnell wie möglich den Erhabenen treffen.“

„Warte damit lieber bis nach dem Frühstück, der Erhabene ist derzeit ein wenig ungehalten“

„Was ist passiert, ich war keine drei Tage weg.“

„Unsere Katapulte sind derzeit nicht einsatzbereit. Warum? Weil die Hohlköpfe beim verladen die Achsen vergessen haben.“ Der Ork lachte lauthals los.

„Katapulte werden verladen?“

„Ja glaubst du wir ziehen die verdammten Dinger durch die Gegend?! Die werden auseinander gebaut, auf Ochsengespanne verladen und an Ort und Stelle zusammengesetzt.“

„Und beim Aufladen haben sie die Achsen vergessen?“

„Ja, gemerkt haben sie das erst, als sie die Katapulte zusammenbauen wollten. Sucares hat getobt wie ein Wintersturm.“

„Und stecken jetzt ein paar Orkköpfe auf Spießen?“

„Noch nicht, unser allseits geschätzter Heerführer Sucares kann nix machen, die von der Dritten sind die einzigen Orks, die die Dinger zusammen bauen können. Er hat die gesamte Dritte auf halbe Ration gesetzt, kein Bier, kein Fleisch nur Grießpampe.“

„Was macht ihr jetzt?“

„Sucares hat sie in den Wald geschickt, die sollen aus Holz Achsen zimmern, die werden nicht so gut halten, wie die aus Eisen, aber zur Not wird es gehen.“

„Deshalb ist der Erhabene ungehalten?“

„Der Angriff auf Oras verzögert sich um drei bis vier Tage, der Heerführer musste dem Erhabenen Bericht erstatten und kam mit gesenktem Kopf aus dem Zelt.“

Arantis wusste wie stolz der Heerführer der Orks auf sein gutes Verhältnis zum Erhabenen war. Dass die dritte Wacht durch ihre Nachlässigkeit den Feldzug verzögert hat, wird den Erhabenen nicht erfreut haben.

„Gut, frühstücken wir erst. Unter diesen Umständen möchte ich dem Erhabenen nicht mit leerem Magen unter die Augen treten.“ Sie begannen zu essen und Arantis Gedanken flogen in die Vergangenheit.

Ischya: Arantis sieht sich wieder als junger Sohn eines einflussreichen Senators des Kaiserreiches auf dem Sklavenmarkt in Ischya stehen. Damals gehörte es zum guten Ton der Oberschicht des Kaiserreiches einen möglichst jungen Ork als Haussklave zu halten. So erwarb er einen jungen Ork und nannte ihn Zulu. Nach der damaligen Vorstellung waren Orks barbarische Wilde. Doch Zulu erwies sich als klug und hatte Humor. Ewas , was die meisten Söhne der Senatoren vermissen ließen . Die beide wurden Freunde und nach zwei Sommern schenkte Arantis Zulu die Freiheit und löste damit einen gesellschaftlichen Skandal aus. Einen Ork in die Freiheit zu entlassen galt als staatsgefährdend. Das Kaiserreich befand sich noch mitten in den Orkkriegen und tausende von Orks schufteten als Sklaven in den Erzminen des Reiches. Die Freiheit Zulus wurde öffentlich nicht anerkannt. Zulu wurde für vogelfrei erklärt und Arantis verhalf ihm zur Flucht aus dem Kaiserreich, so trennten sich die Wege der beiden.

„Das wollte ich dich schon immer mal fragen, warum hast du den Namen Zulu behalten, es ist der Name eines Sklaven?“

„Ein Freund hat ihn mir gegeben und ich behielt in Erinnerung an ihn. Du hast mich viel gelehrt Milchgesicht. Und kein anderer Ork heißt so wie ich, das macht mich einmalig. Wie kommst du gerade jetzt darauf?“

„Ich musste gerade an Ischya denken, wie lange ist das her?“

„Fünfzehn oder Sechzehn Sommer? Ich für mein Teil denke da lieber an die Schlacht in den Hochlandhügeln. Erinnerst du dich daran?“

„Wie könnte ich die vergessen, es war eine fürchterliche Niederlage.“

„Für die Milchgesichter schon, für uns war es ein ruhmreicher Sieg und der erste seit langem.“

Es war schon gegen Ende der Schlacht, das Gros des kaiserlichen Heeres wandte sich bereits zur Flucht, da begegneten sich beide auf dem Schlachtfeld. Arantis war von seinem Pferd gestürzt und hatte seinen Helm verloren. Das war sein Glück, denn so erkannte ihn Zulu. Als Befehlshaber eines Haufen, forderte er Arantis auf sich zu ergeben und erklärte ihn zu seinem Gefangenen. Zwei Krieger aus Zulus Haufen brachten ihn ins Lager der Orks und bewachten ihn dort. Normalerweise machten Orks keine Gefangenen, doch Zulu machte Arantis zum Geschenk für den Erhabenen. So war er für alle Orks unantastbar. Am Ende des siegreichen Tages übergab Zulu Arantis in die Hände des Erhabenen.

„Mich zum Geschenk für den Erhabenen zu erklären war eine kluge Idee.“

„Ich war schon immer klüger als meisten anderen Klotzköpfe.“

„Der Nebel hat sich verzogen und ich bin satt, Zeit sich dem Erhabenen zu stellen.“

„Was gibt es denn so wichtiges zu berichten?“

„Kann ich dir nicht sagen.“

„Kannst du nicht oder willst du nicht?“

„Ich weiß nicht genau, ob meine Beobachtung so wichtig ist.“

„Das hoffe ich für dich alter Freund, du weißt wie er sein kann.“

Nach einer Umarmung trennten sich die beiden und Arantis machte sich auf den Weg. Das große Zelt des Erhabenen stand im Zentrum des Lagers, die Wachen meldeten seine Ankunft und er konnte eintreten. Der Erhabene stand in der Mitte des großen Zeltes über eine Karte gebeugt. Arantis legte die Faust auf die Brust und neigte leicht den Kopf. Diese einfachste Form der Begrüßung zeigte seine hohe Rangordnung innerhalb des Orkheeres. Der Erhabene blickte kurz auf.

„Bist du auf Drachenschwingen nach Turatur geflogen, erkanntest mit Adleraugen ihre Verteidigung und bist zurück geflogen?“

„Leider besitze ich weder Drachen noch Adleraugen, Erhabener.“

„Dann hoffe ich du hast eine gute Erklärung dafür, dass du meine Anweisung missachtet hast.“

„Das hoffe ich auch.“

„Ich höre?!“

Arantis berichtete nun ausführlich die Ereignisse in dem Gasthaus und warum er unverzüglich ins Lager der Orks zurück gekehrt war. Der Erhabene hörte aufmerksam zu, nach Ende des Berichtes schwieg er eine Weile, dann wandte er sich wieder an Arantis.

„Beschreibe die Jungen, wie alt, welche Haarfarbe, aus welchem Dorf kommen sie.“

„Der ältere ist im fünzehnten Sommer ziemlich groß für sein Alter , der kleinere im zehnten Sommer, eher zierlich, beide haben blondes Haar und blaue Augen , der große eher ein Zauderer, der kleine etwas vorlaut. Sie sind aus Berenga vor etwa drei Tagen geflohen.“

„Und ihre Ohren?“

„Menschlich , nicht wie eure“

„Höre ich da einen spöttischen Unterton in deiner Stimme? Ich hoffe unsere Vertrautheit verleitet dich nicht zur Respektlosigkeit mir gegenüber.“

Arantis neigte seinen Kopf und beugte leicht das Knie. Der Erhabene schien mit dieser kleinen Geste des Respektes zufrieden.

„Wie hieß ihr Vater noch mal?“

„Furatur“

„Gut, du hast recht darin gehandelt mich sofort auf zu suchen. Bleibe vorerst im Lager und halte dich zu meiner Verfügung. Gehe jetzt und schicke Sucares zu mir.“

Eilig verließ Arantis das Zelt und suchte nach dem Heerführer der Orks. Er fand ihn in seinem Zelt inmitten seiner Befehlshaber. Als Arantis ihm den Wusch des Erhabenen mitteilte, eilte der sofort los. Als Sucares das Zelt des Erhabenen betrat, sprach dieser ihn auch gleich an.

„Welcher deiner Befehlshaber hat das Dorf Berenga erobert?“ Sucares war einen Augenblick überrascht ob dieser Frage, dachte dann aber kurz nach und nannte den Namen.

„Hat er Gefangene gemacht?“

„Soweit ich weiß ja, sie sollen als Sklaven in unseren Minen arbeiten.“

„Sind die Gefangenen noch im Sammellager?“

„Ja, der Abtransport soll erst in drei Tagen stattfinden.“

„Gut, lass unter den Gefangenen nach einem Mann namens Furatur suchen und bringe ihn zu mir.

Behandele ihn respektvoll, er ist wichtig.“

Der Heerführer war zwar verwundert über die Anordnung seines Herrn, doch war er gewohnt zu gehorchen. Er legte die Faust auf die Brust und entfernte sich mit einem kurzen Nicken seines Kopfes.

Die Gedanken des Erhabenen gingen zurück in seine Vergangenheit. Wie lange mochte es her sein, vielleicht dreihundert Sommer? An seine Zeit als Sucher hatte er schon lange nicht mehr gedacht. Es schien weit weg und war eigentlich abgeschlossen, aber wenn sich sein Verdacht bestätigte, war es wohl noch nicht zu Ende. Er hatte sie damals aus den Augen verloren, hatte sie überlebt? Er brauchte diese Kinder oder wenigstens diesen Luras. An ihm konnte er seinen Verdacht überprüfen.

„Erhabener?!“

Er wandte sich überrascht um, ein Ork kniete vor ihm und ein menschlicher Gefangener in Ketten kniete hinter ihm. Das musste der Befehlshaber sein, der Berenga erobert hat.

„Ist das der Gefangene nach dem ich verlangt habe?“

Der Ork wagte kaum auf zu blicken, nickte aber gehorsam.

„Ist während der Eroberung etwas Außergewöhnliches passiert?“

Jetzt sah ihn der Ork verwirrt an. Der Erhabene seufzte laut.

„Schildere mir, wie die Eroberung ablief und lass nichts aus.“

„Wir griffen in den Abendstunden an, steckten das Dach ihrer Wehrhalle in Brand, bevor die Menschen sie erreichten, damit war ihre Verteidigung unmöglich gemacht und sie versuchten zu fliehen, aber der Fluss führte Hochwasser und wir fingen alle Bewohner des Dorfes am Flussufer ein.“

„Wirklich alle?“ Der Erhabene sah den Befehlshaber streng an. Der zuckte sichtlich zusammen.

„Ich hatte an der Brücke über den Fluss vier Goblins aufgestellt, aber sie sind alle vier durch Bogenschützen getötet worden, daher kann es sein, das einige Dorfbewohner entkommen sind.“

„Du sprichst von mehreren Bogenschützen, warum?“

„Alle vier sind durch einen Pfeil getötet worden, nur zwei der Goblins schleuderten ihre Speere auf die Gegner. Das müssen mindestens drei oder vier Schützen gewesen sein.“

„Hast du sie verfolgen lassen?“

„Ja Erhabener, ich schickte ihnen fünf Goblins nach, die aber berichteten mir, sie seien auf ein unverwundbares doppelköpfiges Monster gestoßen, vor dem sie geflohen sind.“

„Ein doppelköpfiges Monster?“

„Erhabener, ihr wisst wie abergläubisch die Goblins sind.“

„Löse die Ketten des Gefangenen, dann kannst du gehen.“ Der Ork befreite den Gefangenen von seinen Ketten und verschwand, sichtlich erleichtert.

Der Gefangene erhob sich. Furatur war überrascht als er dem Erhabenen gegenüber stand. Die Gestalt vor ihm war ohne Zweifel menschlich, groß, schlank, mit fast weißem Haar, welches leicht silbrig glänzte und er wirkte tatsächlich auf eine unerklärliche Art erhaben. Er hatte einen großen Ork als Anführer erwartet, keinen gutaussehenden Mann. Ob das nun gut oder schlecht war, würde sich gleich heraus stellen. Furatur entschloss sich, nicht abzuwarten bis er angesprochen werden würde, er begann das Gespräch.

„Wenn ich mich vorstellen dürfte, mein Name ist Furatur meines Zeichens Bogenbauer und stamme aus Berenga.“

Der Mann wandte sich ihm zu.

„Hast du Kinder?“

„Ja, zwei Söhne.“

„Die heißen Jukar und Luras?“

„Ja, kennt ihr sie, sind sie hier im Lager?“

„Nein, aber ich weiß wo sie sind, wollt ihr sie wiedersehen?“ Der Mann lächelte ihn an.

„Natürlich! Geht es ihnen gut? Bei den Gefangenen habe ich sie nicht gesehen.“

„Viele Fragen die eine Antwort verdienen, werter Furatur. Doch eins nach dem anderen.“

„Was wollt ihr von mir?“

„Dass du mir ein wenig von dir erzählst, vertraust du auf die zwölf heiligen Elben?“

Furatur dachte einen Augenblick nach, Wahrheit oder Lüge das war hier die Frage?!

„Nein, die Elben sind angeblich vor langer Zeit verschwunden. Ich bin mir nicht sicher, ob es die Elben wirklich gegeben hat, ich bin jedenfalls noch keinem begegnet.“

„Du stehst vor einem.“

„Ihr seid ein Elb? Das glaube ich nicht“, Furaturs Blick offenbarte seine Skepsis.

Der Mann blickte ihn an und seufzte, dann strich er sein langes Haar zur Seite und entblößte sein Ohr. Es hatte eine ungewöhnliche Form, es lief nach oben spitz zu.

„Hast du schon mal so etwas gesehen?“

Furatur schüttelte den Kopf. Er kramte in seinem Gedächtnis nach seinen wenigen Kenntnissen über die Elben, dann fiel ihm etwas ein.

„Die Elben sollen nach der Überlieferung der Magie mächtig sein. Wenn ihr ein Elb seid, so beweist es mir.“

Der Elb lachte, dann ließ er auf seiner Hand eine kleine Flamme erscheinen. Als er die Skepsis in den Augen Furaturs erkannte, wuchs die Flamme gewaltig an und kam Furatur so nahe, das er ihre Hitze spürte.

„Glaubt ihr mir nun?“

Furatur nickte, Elb oder nicht, es war besser ihn nicht zu verärgern. Der ließ die Flamme verschwinden und setzte sich an einen Tisch auf dem Gläser und ein Krug mit Wein standen.

„Was ist die wichtigste Beziehung zwischen selbstständig, denkenden Wesen?“ der Elb zeigte auf den freien Stuhl. Furatur setzte sich, dachte einen Augenblick nach, dann antwortete er

„Die Liebe?“ Der Erhabene lächelte,

„Sicher, nicht unbedeutend, aber ich meine etwas anderes.“

„Keine Ahnung was ihr meint.“

„Vertrauen, werter Furatur, ohne Vertrauen ist keine langfristige Beziehung zwischen selbstständigen Wesen möglich.“

Nach kurzem Nachdenken stimmte Furatur ihm zu.

„Gut, ich möchte dass wir vertrauensvoll miteinander umgehen.“

„Ich kenne euch kaum, wie kann ich euch dann vertrauen?“ Furatur hoffte die Frage war nicht zu verwegen.

„Ein guter Einwand, deshalb möchte ich, dass wir uns unsere Lebensgeschichte erzählen. Je mehr wir voneinander wissen, umso grösser unser Vertrauen zu einander.“

„Das kann aber lange dauern.“

„Wir haben viel Zeit.“

„Was ist mit meinen Kindern?“ Die Frage brannte ihm schon lange unter den Nägeln.

„Sei versichert es geht ihnen gut und vielleicht kannst du sie schon morgen in deine Arme schließen.“

„Sie leben und sind unverletzt?“

„Ja“ antwortete der Elb etwas ungeduldig „doch erst werde ich dir die Geschichte meines Lebens erzählen. Dann wirst du vieles besser verstehen.“

Kapitel 3

Erkenntnis

„Elben beherschen Magie und können mit ihr Dinge tun, zu denen Menschen niemals fähig sein werden. Zu meiner Zeit war die Magie im Überfluss vorhanden, sie lag auf den Gräsern der Wiesen, hing in den Bäumen, lag in der Luft. Sie war überall verfügbar und so glaubten alle Elben sie seien eins mit der Magie. Du musst wissen, unsere Kinder können mit Magie umgehen sobald sie das Licht der Welt erblicken, was zu einigen Schwierigkeiten in ihrer Aufzucht führt. Du hast selber zwei Kinder, ich denke du weißt wovon ich rede.

Jurago, den Ihr in eurem Glauben den Barmherzigen nennt, das Oberhaupt des Elbenrates, war damals schon sehr alt, selbst für einen Elben und so war es an der Zeit ein neues Oberhaupt zu bestimmen. Nach alter Sitte wurde ein magischer Wettstreit ausgerufen und so begannen drei Elben um den Sieg zu streiten. Als höchste Kunst der Magie galt bei uns die Erschaffung eigenständiger Lebewesen. Anteru erschuf die Goblins, aber sie waren nicht besonders schlau und viele Elben sahen in ihnen eher Tiere. So erschuf Yedura, den ihr in eurem Glauben den Erschaffer nennt, die Orks. Sie waren den Menschen in ihrem Verhalten sehr ähnlich. Yedura war sich seines Sieges schon sicher, aber Aurur setzte noch eins drauf. Er erschuf die Drachen. Kluge, fliegende, feuerspeiende Wesen von großer magischer Kraft. Diese gewaltigen Geschöpfe begeisterten alle Elben und so wurde Auru zum Oberhaupt der Elben gewählt.“

„Aber Aurur ist nach der Überlieferung der gefallene Heilige der Verderbtheit, des Untergangs und der Vernichtung, wie konnte so einer bei euch Oberhaupt werden?“

„Für einen Ungläubigen kennst du dich aber gut im Glauben aus, lass mich meine Geschichte zu Ende erzählen. Denn bald merkten wir, dass wir einen fürchterlichen Irrtum erlegen waren. Wir mussten erkennen, dass die Magie immer weniger wurde und sich nicht erneuerte. Elben brauchen die Magie um zu überleben. Zwar können wir eine gewisse Zeit auch ohne Magie leben aber je mehr Sommer ein Elb erlebt hat, umso kürzer wird diese Zeit. Die Elben suchten einen Schuldigen für diese Misere und so beschuldigten sie Aurur mit der Erschaffung seiner Drachen für den Schwund an Magie verantwortlich zu sein. Sie warfen ihn aus dem hohen Rat und verlangten den Tod seiner Drachen. Die Elben glaubten, Drachen würden Magie fressen und so den Abnahme der Magie bewirken. Doch Aurur weigerte sich und floh mit seinen Drachen ins heutige Scherbengebirge. Damals waren die Berge noch so hoch, dass ihre Gipfel in den Wolken verschwanden und ewiges Eis sie bedeckte. Den Vorsitz des Hohen Rates übernahm nun Yedura und unter seiner Führung versammelte sich ein gewaltiges Heer aus Elben, Menschen, Orks und Goblins um Aurur und seine Drachen zu vernichten. In euren Legenden ist sie als die Schlacht der Drachen bekannt.“

„In unseren Legenden kämpfen aber nur Elben und Menschen gegen Aurur.“

Der Erhabene lachte kurz auf.

„Und in den Legenden der Orks kämpfen nur Elben und Orks gegen die Drachen. So hat jeder seine eigene Legende und keine entspricht der vollen Wahrheit. Ich weiß es, ich war dabei.“

„Wie alt seid ihr denn?“

„Ich habe aufgehört die Sommer, die ich erlebt habe zu zählen, aber es dürften weit über vierhundert sein. Doch lass mich weiter berichten. Die Schlacht endete bekanntermaßen mit dem Tod von Aurur und der Vernichtung aller Drachen. Doch der Blutzoll war hoch, viele Elben, Menschen und Orks starben in der Schlacht und die Berge des Gebirges wurden zerschmettert und unter den Trümmern wurden unzählige Goblins begraben. So entstand das Scherbengebirge in seiner heutigen Form.“

„Manche Menschen glauben, Aurur ist nicht tot. Er hält sich versteckt und beschützt seine Dracheneier.“

„Ich kenne diese Gerüchte, Aururs Leiche wurde nie gefunden, denn sie ist im Inferno des Feuers verbrannt. Was die Dracheneier betrifft, möglich, dass er welche vor der Schlacht versteckt hat, doch die Elben haben nach ihnen gesucht und kein einziges gefunden.“

„Aber einige könnte es noch geben?“

Doch der Erhabene ging auf diesen Einwand nicht ein. Stattdessen trat er an einen kleinen Tisch auf dem eine Kraraffe mit Wein stand, ergriff zwei Gläser und schenkte ein. Dann erzählte er weiter.

„Auch nach dem Ende aller Drachen, schwand die Magie und Furcht machte sich unter uns breit. Viele Elben sahen das Ende nahe. Da entschlossen sich einige, vorzugweise junge, Elben, dem althergebrachten Leben zu entsagen und wie die Menschen ohne Magie zu leben, soweit dies für Elben möglich war. Sie selbst nannten sich Elbmen und lebten fortan verborgen unter den Menschen im Tiefland und an der Küste. Sie forderten die anderen Elben auf es ihnen gleich zu tun und der schwindenden Magie zu entsagen. Der Rat war davon wenig begeistert und schickte Elben aus, die diese Rebellen suchen und fangen sollten. Ich war fünfzig Sommer lang einer dieser Sucher. Wenn man Magie anwendet, hinterlässt sie Spuren und man kann ihren Verursacher so auffinden. Wir fanden viele von ihnen und übergaben sie dem Rat.“

„Was geschah mit ihnen?“

Der Erhabene gab Furatur einen Becher mit Wein und nippte versunken an seinem Becher.

„Sie wurden verurteilt und verbrannt. Dann begegnete ich Scherida - Wir Elben sind von Geburt aus mit einem schönen Aussehen bedacht und manche helfen mit Magie ein wenig nach. Doch Sie war selbst für eine Elbin eine außergewöhnliche Schönheit, nicht nur ihr Aussehen, auch ihr Gang ihre gesamte Erscheinung schlug mich sofort in ihren Bann. Es kam wie es kommen musste, wir verliebten uns und ich bat den Rat um Gnade, doch der lehnte ab. So half ich ihr zur Flucht und sie tauchte in der Masse der Menschen unter.“

„Wie das ?“

„Sie hatte entdeckt, dass man Magie in Bergkristalle binden kann. Wenn man so einen Kristall an seinem Körper trägt kann die Magie nur schwer erkannt werden. Sie konnte so unerkannt entkommen und verschwand aus meinem Leben. Ich wurde von den Häschern des Rates ergriffen und für meinen Verrat abgeurteilt und aus der Gemeinschaft der Elben verbannt. Sie brachten mich ins Scherbengebirge, denn dort glaubten sie gab es keine Magie und so hofften sie wohl auf meinen Tod.“

„Aber ihr habt überlebt.“

„Ist ja wohl nicht zu übersehen - doch es war schwierig. Ich war noch jung, doch meine magischen Möglichkeiten waren begrenzt, wenig zu essen und keinerlei Gesellschaft. So irrte ich viele Sommer ziellos durch das Gebirge, lebte mehr schlecht als recht, bis ich in einigen Höhlen des Scherbengebirges magische Quellen entdeckte. Auch diese Quellen waren endlich, doch verwendete ich nur wenig Magie und ich musste sie nicht mit anderen Elben teilen.

Dann traf ich auf die Orks, ein Teil ihres Volkes hatte sich in einigen Tälern und Schluchten des Scherbengebirges angesiedelt und ihre Stämme führten ständig Krieg untereinander. Dank meiner magischen Fähigkeiten stieg ich bald bei einem Stamm zu einem Gottkönig auf und nach einigen Sommern hatte ich alle Orkstämme zu einem Volk vereinigt. Mit den Orks wollte ich den hohen Rat der Elben niederwerfen, Scherida wiederfinden und zum Herrscher aller Elben werden. Ich ließ eine große Burg erbauen, sie sollte der Ausgangspunkt meines Feldzuges werden.“

Der Erhabene machte eine Pause, trank einen Schluck Wein und schien seinen Gedanken nachzuhängen. Furatur kostete vorsichtig ebenfals vom Wein, er schmeckte vorzüglich.

„Ich schickte Kundschafter ins Hochland, das Land der Elben, doch ihr Bericht verwirrte mich. Es gab in dieser Welt keine Elben mehr und auf dem ganzen Hochland siedelten nun die Menschen. Die Menschen hatten gegen Orks und Goblins gekämpft und diese vom Hochland in die Täler des Scherbengebirges getrieben. Die Orks waren nun mein Volk und ich entschloss mich, ihnen zu helfen. Auf meiner Burg Zukarnas schuf ich ein großes Orkheer und mit diesem schlugen wir die Menschen in zwei Schlachten und warfen sie zurück in die Tiefebene. Das, werter Furatur, ist in wenigen Worten mein Leben, nun kommen wir zu deinem.“

„Erhabener, darf ich zuvor eine Frage stellen?“

„Nur zu, sprich.“

„Warum interessiert ihr euch für mein Leben, es ist nicht einmal halb so ereignisreich wie das eure.“

„Ihr wisst nichts, oder?“

„Was sollte ich wissen?“ Furatur ahnte zwar etwas, aber diese Idee schien ihm zu verrückt um wahr zu sein.

„Ich glaube, dass dein jüngerer Sohn magische Fähigkeiten hat.“

„Luras? Das kann ich mir nicht vorstellen, ich hätte das bemerkt“

Der Elb lächelte ihn an, „Was weißt du über Magie?“

„Nichts.“

„Eben, du weißt nichts. Wie willst du dann Magie erkennen? Wenn dein Sohn Magie anwendet ist er für mich sehr wichtig. Er wäre der erste Mensch der magische Begabung besitzt und ich würde gerne wissen, wie es dazu kam. Irgendwo in der Geschichte deines Lebens finde ich vieleicht die Antwort auf diese Frage.“

„Nun ja, wo soll ich anfangen?“

„Am besten am Anfang, kann ja nicht so schwer sein oder bist du schon so alt, dass du alles vergessen hast?“

Die Anspielung des Erhabenen ägerte Furatur, aber er wollte zu seinen Kindern. Und wie heisst es so schön, schlage nicht die Hand, die dir geben kann, was du begehrst. Also begann er zu erzählen.