Gothic-Disco - Roland Scheller - E-Book

Gothic-Disco E-Book

Roland Scheller

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Beschreibung

Eine junge Gothic-Clique trifft sich regelmäßig in der Gothic-Disco. Sie hören bevorzugt Dark Wave oder Post-Punk, unternehmen an den Wochenenden viel zusammen: Mittelaltermarkt, London-Trip, Dark Wave-Konzerte, SM-Partys mit viel Sex und nächtliche Friedhofsbesuche. Als sie eine Séance mit Ouija-Board bei "Gothic-Grrl" abhalten, kommt es zur Zerreißprobe. Drogen-erlebnisse machen der Clique einen Strich durch die Rechnung. Das Ganze endet schließlich im Desaster für die kleine Goth-Clique.       QUOD ERAT DEMONSTRANDUM     Da hob Mascha das kleine Plastiktütli mit dem restlichen Ecstasy auf und fragte:     "Was soll ich jetzt damit machen?"     "Am besten gleich ins Pipi-Klo damit!", entgegnete Petra reflexartig.

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Roland Scheller

Gothic-Disco

Ein Dark Wave-Roman

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Gothic-Disco

 

 

 

 

 

 

 

 

Gothic-Disco 

 

 

Ein DarkWave-Roman

 

 

Roland Scheller

 

 

 

 

 

 

(2. überarbeitete Auflage)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Handlungen und alle Personen in diesem Roman sind frei erfunden.

Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2019 Roland Scheller

All rights reserved.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

“Soldier lies bleeding where a church once stood“

Alien Sex Fiend (1983) – Ignore the Machine

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Post-Punk traf genau ihren Nerv, speziell Dark Wave, Gothic und was sie anfangs „Depri-Mucke“ nannten. Die junge Frau besaß eine ganze Sammlung kreuzförmiger Kettenanhänger, ein kleines Christenkreuz aus Gold, das sie damals aus dem Schmuckkästli ihrer Mutter stibitzt hatte, mehrere wertlose Kreuzli und eine silberne Kette mit einem umgedrehten Kreuz, dem Zeichen der Grufties. Dazu hatte sie mehrere Keltenkreuze und verschiedenen Krimskrams in Kreuzform wie Kerzenständer, Ringe und Ohrringe.

Als sie sich zum ersten Mal die Haare schwarz färbte, gab es arge Probleme mit der Mutter. Doch das war der Weg, den sie gehen wollte. Über kurz oder lang würde sie sich über die Mutter hinwegsetzen. Sie wurde von ihrem Freundeskreis schon zu Schulzeiten nur Gothic-Grrl genannt, ein Name, den sie schnell weghatte, als sie die ersten Male ganz in Schwarz herumlief. Gothic-Grrl hatte anfangs Angst, dass ihre Haarsubstanz unter den Wirkstoffen der Färbemittel auf Dauer leiden könnte. Aber andere in der Gothic-Szene färbten sich die Haare schon seit Jahren regelmäßig schwarz. Wäre es möglich gewesen, hätte ihre Mutter ihr die Haare sofort zurückfärben lassen. Doch nach ein paar Tagen hatte auch sie sich daran gewöhnt. Beim ersten Nachfärben fiel es der Mutter schon gar nicht mehr auf. Gothic-Grrl machte dabei alles selbst, nahm dafür das preiswerteste Haarfärbemittel und stellte sich vor den Spiegel. Nur mit der Frisur war sie sich häufig unsicher. Sollte sie sich an den Seiten etwas wegrasieren?

Sie orientierte sich, was Frisuren betraf, an anderen aus der lokalen Gothic-Szene und an alten Plattencovern aus den 80ern. Manchmal blätterte sie in einer Gothic-Zeitschrift, sofern sie eine in die Hände bekam. Sie wurde mit der Zeit immer mutiger, was Frisur und Kleidung anbetraf. Schwarz war bei Kleidung Pflicht. Sie wollte ein richtiger Blickfang sein. Sie liebte ihre schwarzen Stiefel und war generell schwarzem Leder nicht abgeneigt. Je nach Jahreszeit musste sie ihre Kleidung anpassen – natürlich in Schwarz.

Als sie nach der Schulzeit endlich von zu Hause auszog und ihre erste eigene Wohnung anmietete, fühlte sie sich zum ersten Mal frei und unabhängig. Bald hingen in ihrem Zimmer mehrere Spiegel. Kerzenständer standen an verschiedenen Stellen. Und es hingen ein paar Halsketten mit Kreuzanhängern an verschiedenen Haken und Vorsprüngen, eine an einem der Spiegel, eine an einem Kandelaber und eine an einem schwarz bemalten Schrank.

Wenn sie zu den Gothic-Veranstaltungen in die lokale Diskothek ging, war sie inklusive Unterwäsche ganz in Schwarz gekleidet. Das war ein absolutes Muss in der Szene. Alles spielte sich am Wochenende nach dem gleichen Muster ab: In Schale werfen, frisieren, schminken, in die Gothic-Disco, betrinken, tanzen, abhängen, reden, die Nacht durchmachen und bei Morgengrauen wieder nach Hause, alleine oder zu zweit. Das lief jetzt schon seit Jahren so, und sie fühlte sich der Sache immer noch nicht überdrüssig. Von einer positiven Lebenseinstellung war sie meilenweit entfernt, ihre Gedanken waren recht düster. Ihre Stimmung wirkte melancholisch. Aber sie konnte auch makaber sein. Wurde sie von Fremden angesprochen, reagierte sie meist störrisch, aber humorvoll. Sie war voll von Plattitüden wie:

      „Das kommt davon“,

oder

      „Je öfter, desto besser.“

Das gab ihr eine gewisse Spontanität in Gesprächen. Dennoch hatte sie eine gefestigte Meinung zu bestimmten politischen Themen wie Atomkraft, Sterbehilfe oder Auslandseinsätze der Bundeswehr. Gerade beim Thema Sterbehilfe tat sie sich in Diskussionen besonders hervor. Wenn ein alter Mensch zum Weiterleben zu schwach sei, und die Gedanken schon wirr seien, so sei es durchaus zulässig, diesen Menschen beim Sterben aktiv zu unterstützen.

      „Was soll das lange Leiden?“,

monierte sie. Und sie sagte das mit einem guten Schuss Sarkasmus. Außerdem war es sehr typisch für diese Goth-Frau, dass sie liebend gerne Redewendungen und Sprichwörter verwendete, die mit dem Teufel und der Hölle zu tun hatten:

      „Fahr zur Hölle!“,

oder

      „Ich werde den Teufel tun!“

oder

      „Jetzt ist Sense!“

gehörten wie viele andere Sprüche zu ihrem eingefleischten Sprachrepertoire. Machte jemand in ihrer Gegenwart etwas verkehrt, so fragte sie:

      „Bist du des Teufels?“

Ärgerte sie etwas bis aufs Blut, ächzte sie

      „Ich werde fuchsteufelswild.“

Von ihr konnte man ebenso Sprichwörter hören wie

      „den Teufel mit dem Beelzebub austreiben“

oder

      „in der Not frisst der Teufel Fliegen.“

Sie freute sich über jeden, der ihren Sprachschatz in dieser Richtung erweitern konnte. Manchmal notierte sie sich neue Sprichwörter, um sie besser behalten und in einer geeigneten Situation anwenden zu können.

Gothic-Grrl hatte ständig gerötete, fast entzündete Lippen. Diese waren häufig dermaßen spröde, dass sie Labello auftragen musste. Das war eine Folge ihrer Nervosität. Sie kaute auf den Lippen, leckte sie bei innerer Unruhe und besonders den linken Mundwinkel, der wieder und wieder entzündet war. Das sah bei ihrer hellen Haut ziemlich abgefuckt aus. 

Ihre schwarzen Plateaustiefel trug sie nur selten. Es musste schon etwas ganz Besonderes anstehen, dass sie diese anzog, ein Gothic-Festival oder ein Konzert vor Ort. Manchmal toupierte sie ihre halblangen Haare. Der Kajalstift hingegen war obligatorisch, wenn sie am Wochenende loszog. Der Lidstrich sollte aussehen wie bei Kleopatra. Der schwarze Lippenstift wurde meistens für die ganz besonderen Tage aufbewahrt. Sie liebte die Bondage-Mode, auch wenn sie sich diese Aufmachung nicht leisten konnte und stattdessen auf ihre schwarzen Schranktextilien angewiesen war. Die junge Frau lebte ihre Sexualität ganz auf ihre Art und ging bisher keine längeren Beziehungen ein. Dreh- und Angelpunkt ihres Wirkens war die lokale Gothic-Szene, die sie fast jedes Wochenende traf. Ein potenzieller Partner musste dem Dress-Code der Szene entsprechen. Und getratscht wurde in ihrer Clique was das Zeug hielt. Tauchte ein neuer Typ auf Dark Wave gestylt in der Disco auf, wurde er so offensichtlich gemustert, dass es ihm nicht verborgen bleiben konnte.

Einige der jungen Gothic- und EBM-Fans waren sehr narzisstisch veranlagt. Von außen betrachtet wirkten sie dazu manchmal wie eine sektenähnliche Verbindung. Ihre Arroganz wirkte auf andere abweisend. Wenn bei den Männern zur schwarzen Ausgehkluft mit schwarzem Hemd und schwarzer Krawatte mit schweren schwarzen Stiefeln zusätzlich Seitenscheitel und ausrasierter Nacken dazu kamen, hättest du einige auf den ersten Blick für Nazis halten können. Doch das waren sie angeblich nicht. Leider waren einige deutlich im HJ-Style gekleidet, was ekelhaft wirkte. In der EBM-Szene herrschten Symbole wie Hämmer, Zahnräder, Pfeile, Maulschlüssel und Sterne vor. Doch einige Zeichen waren provokativ doppeldeutig, so auch das Symbol auf der Maxi-Single einer britischen EBM-Band, das fast identisch mit dem Symbol der ungarischen Faschisten war, dem Symbol der Pfeilkreuzler. Auf der Maxi waren es rote Pfeile auf grauem Hintergrund. Was sollte das? Wer mag zweifelsfrei definieren, ob böse Absichten oder Zufall vorlagen? Aber warum sollte für Pfeilkreuzderivate anderes gelten als für Hakenkreuzderivate?

Weitere Grauzonen lagen vor, wenn selbstkreierte Fantasie-Runen auf T-Shirts auftauchten oder Bandnamen in Frakturschrift zu sehen waren. Sogar das Album Cover Art bei Cybergoth- oder Aggrotech-Bands war von dieser Misere frühzeitig betroffen. Einige Bands besangen Kriegssituationen wie Stuka-Angriffe und richteten ihre Musikvideos entsprechend aus, sodass sogar die ANTIFA alarmiert war – völlig zu Recht. Das sorgte nicht nur auf der Tanzfläche für Verunsicherung. Diese symbolischen Zeichen, im Prinzip Neologismen faschistischer Symbolik, waren verwerflich und nicht wirklich mit diktaturkritischen Fotomontagen wie die von John Heartfields zu vergleichen, die eine slowenischen Industrial-Band auf eines ihrer Cover übernommen hatte. Trug dies Gehabe zu einem schleichenden Etablieren von Nazi-Symbolik in den Discos bei? Eine lokale Szenegröße sagte mal:

      „Besser du trägst Narzissmus, Nazismus und Fetischismus auf der Tanzfläche aus, als dass Uniformierte sich wieder auf der Straße gegenseitig die Köpfe einhauen.“

Über diese Äußerung gab es diametral entgegengesetzte Meinungen. Böse Zungen könnten sogar behaupten, dass Arbeitersymbolik umkodiert werden sollte und dass die Gothic-Szene von der EBM-Szene unterwandert war. Was in anderen Subkulturen – speziell im Spannungsfeld zwischen Punk- und Skinheadszene – konsequent geahndet würde, war in der Gothic-Disco längst salonfähig und blieb intern straffrei.

Andere Gothic-Fans erschienen in der Disco ganz im Piraten-Look, trugen schwarze Hemden mit Well-Kragen und Manschetten und dazu lange Haare. Wieder andere kleideten und verhielten sich im Stile der New Romantics. Kurios waren zudem die Cybergoths, die sich immer wieder unter die Gothic-Szene mischten. Dieses lustige Völkchen sorgte mit futuristischen Gasmasken, Glowsticks, Leuchthandschuhen, Neon-Extensions und schriller schwarzer Kleidung immer wieder für Aufsehen. Hinzu kam ein brutaler Tanzstil mit kampfsportähnlichen Bewegungen.

Doch in der Gothic-Szene gab es nicht nur modebegeisterte Freaks, sondern auch gescheiterte und kaputte Typen. Bei einigen spielten Drogen eine entscheidende Rolle. Handel und Konsum verliefen heimlich und im Verborgenen. Einmal wurde eine Heroinspritze auf der Herrentoilette der Gothic-Disco gefunden. Jemand rief das Personal. Sie wurde ohne größeres Aufsehen entsorgt. Gothic-Grrl hatte eine gespaltene Einstellung zum Thema Rauschmittel, da sie keine besonders stabile Persönlichkeit besaß. Sie hatte bisher Haschisch und Marihuana probiert und kein weiteres Interesse daran gefunden. Sie sagte, sie würde dafür kein Geld ausgeben wollen. Härtere Drogen wurden ihr zum Glück nie angeboten. Wer weiß, wie sie darauf reagiert hätte. Sie deutete einmal an, dass Speed für sie die Grenze sei. Es kam jedenfalls nicht dazu.

Ihr Geld gab sie lieber für Kleidung und Discobesuche aus, für Longdrinks und Rotwein, für Konzerte und natürlich für Gothic-Devotionalien, Dark Wave-CDs, für Schmuck und alte, knisternde Platten aus den 80ern. Sie trug bereits ein kleines tätowiertes keltisches Kreuz mit einem Totenkopf in der Mitte auf dem rechten Oberarm. Gothic-Grrl wollte sich bald mindestens ein weiteres Tattoo stechen lassen, vielleicht eine kleine Fledermaus oder ein Spinnennetz, vielleicht aufs Schulterblatt.

Sie hatte bisher nicht besonders viele Liebhaber. Es waren mehrere One-Night-Stands dabei. Sie verstand anfangs nicht sehr viel von Erotik. Ihr war wichtig, dass ihre Liaison ganz in Schwarz gekleidet war. Dazu zählte auch Unterwäsche. Für sie gehörte sogar ein schwarzes Kondom dazu. Safer Sex spielte eine wichtige Rolle, denn sie hatte Angst vor Aids. Schon das Gespräch über Safer Sex erregte sie stark. Gothic-Grrl entwickelte immer größeres Interesse an SM-Bondage, denn sie hatte schon eine Menge darüber gelesen. Doch auch hier waren ihr Kleidung und Ausrüstung zu teuer. Deshalb entschloss sie sich, ihre Sexualität nicht allzu extrem zu leben. Sex bei Kerzenschein mit düsterer Musik und schwarzer Reizwäsche taten es auch. Es musste nicht immer die ganz harte Welle sein. Sie empfand sich mit ihrer blassweißen Haut als besonders sexy. Ihre Haut war deshalb sehr hell, da sie weitestgehend das Sonnenlicht scheute. Während andere im Sommer am Strand, im Freibad, im Park oder am See lagen, zog sie es vor, zu Hause zu bleiben und Dark Wave zu hören, zu lesen oder im Internet zu surfen. Es entsprach ihrem Schönheitsideal, blasse oder fast weiße Haut zu haben. Am Wochenende hellte sie ihr Gesicht sogar mit Puder weiter auf.

Sie war nicht zuletzt deshalb so lichtscheu, da sie zu viel Zeit vor dem Notebook verbachte. Sie beschäftigte sich mit Gothic-Newsgroups, chattete für ihr Leben gern und tauschte mit Freunden und Bekannten Fotos aus. Ihre neuesten Fotos von Gothic-Partys, Konzerten und Festivals stellte sie ins Netz. Und außerdem nahm sie als Online-Spielerin an einem Gothic Fantasy-Spiel teil. Das beschäftigt sie manchmal bis tief in die Nacht hinein. Beim Chatten verhielt sie sich weitestgehend korrekt, hatte stets einen makaberen Spruch parat und reagierte empfindlich, wenn jemand sie näher kennenlernen wollte. Das hatte bisher niemand bei ihr geschafft. Sogar im Internet galt ihr Gothic-Ideal, und Fotos spielten dabei eine besondere Rolle. Der Chat-Partner, sofern er auf einem Foto sichtbar war, musste schwarz gekleidet sein und am besten schwarze Haare haben. Auch wenn es bisher nicht zu realen Kontakten kam, so wurden dennoch in einigen Fällen Fotos ausgetauscht. Sie besaß mehrere Digitalaufnahmen, die sie in leicht erotischen Posen zeigten, entblößt und von hinten aufgenommen, sodass ihre Brüste nicht zu sehen waren, bei denen bei entblößter Schulter der Blick auf ihr Tattoo gerichtet wurde. Es waren wirklich einfache, aber typische Erotikaufnahmen. Mal versteckte sie sich hinter einem großen schwarzen Fächer, mal fasernackt unter einem langen Ledermantel.

Ihre Pseudonyme und Emailadresse ließen sofort darauf schließen, dass sie aus der Gothic-Szene stammt. Beim Chatten hieß sie Vampirella und im schwarzen Forum Black-Devil-Girl. Sogar in ihrer Emailadresse kam das Wort Gothic vor.

Sie galt als eine sehr vorsichtige Frau, hatte nachts auf dem Nachhauseweg Angst, vergewaltigt oder sogar ermordet zu werden.

Sie achtete fast wahnhaft darauf, dass ihr in der Disco niemand K.o.-Tropfen, Prohypnol, in den Drink träufelte. Sie legte stets einen Bierdeckel aufs Glas, wenn sie ihr Getränk abstellte.

Auf dem Rückweg nahm sie zumeist mit ihrer Freundin Mascha ein Taxi. Leider war das nächtliche Frauentaxi in dieser Stadt schon vor vielen Jahren abgeschafft worden. Doch von den Taxifahrern mussten sie sich regelmäßig dumme Fragen gefallen lassen wie:

      „Lauft ihr sogar unter der Woche die ganze Zeit in Schwarz herum?“

      „Die Woche über verlassen wir die Wohnung nicht“,

antwortete Gothic-Grrl keck.

Und fragte ein Taxifahrer:

      „Kommt ihr gerade von einer Beerdigung?“,

konterte sie:

      „Nein, von einer Trauerfeier.“

Was den Alltag anbetraf, war sie ein ganz normaler Mensch, nur dass sie eben einen ziemlich extremen Modegeschmack besaß. Selbst sie musste mal einkaufen gehen oder zur Arbeit, zum Arzt oder wohin auch immer. Sie arbeitete in einem Callcenter. Den Leuten, die sie damals eingestellt hatten, war ihr Äußeres egal. Entscheidend war, dass sie den Einstellungstest bestanden hatte und Quote brachte. Doch viel Geld verdiente sie nicht. Sie musste meistens ganz präzise einen Text vom Bildschirm ablesen und dem Gesprächspartner am anderen Ende Fragen stellen. Es war leicht verdientes Geld. Sie machte sich nicht tot, abgesehen von den kollektiven Augenschäden. Von ihren Arbeitskollegen wurde sie akzeptiert. Ein Arbeitskollege war ebenfalls in der Gothic-Szene. Doch der wirkte eher zurückhaltend, und sie bekam mit ihm nichts weiter zu tun.

Sie sah recht gut aus und wurde wieder und wieder von Männern angebaggert. Doch sie ließ sie alle abblitzen, sofern sie nichts mit Gothic zu tun hatten. Es passierte mehrmals, dass sie von besoffenen Normalos, Faschos oder von Acern beleidigt und sogar verfolgt wurde. Deshalb war sie schon ganz paranoid. Meistens reagierte sie gar nicht darauf, wenn sie auf offener Straße angesprochen wurde. Stattdessen ging sie zügig weiter, ohne sich umzudrehen. Sie hatte schon mehrmals etwas in der Zeitung gelesen, von Vergewaltigungen in der Tiefgarage oder im Park. In den letzten Jahren wurden hier sogar zwei Frauen ermordet, was von der Presse kleingeredet wurde, wahrscheinlich um den Tourismusstandort nicht zu gefährden oder den Ruf der Waffenlobby zu schützen. Sie wollte stets auf Nummer sicher gehen, indem sie sich ein Taxi bestellte. Die Morde an den Frauen wurden niemals aufgeklärt. Die Presse baute einfach keinen Druck auf um Zeugen zu mobilisieren oder die Täter zu Fehlern zu zwingen. Es sorgte jedes Mal für eine Schrecksekunde, wenn sie Fotos im Zusammenhang mit Gewaltverbrechen in der Zeitung sah oder einen Artikel über eine Vergewaltigung las. Über Stalking hingegen berichteten die Zeitungen nie. Dabei stand dieses Delikt fast auf der Tagesordnung.

      „Gesteuerte Presse, gesteuerte Polizei.“

      „Wem sagst du das? It’s corruption city. It’s rocker city.“

      “Yeah!”

 

 

 

 

 

 

Heute wollte sie wieder in die Disco. Die Veranstaltung stand unter dem Motto “Lost Lives“. Da wussten alle, was für Musik zu erwarten sei. Sie war schon den ganzen Nachmittag über unruhig. Das lag an der Vorfreude und der Vorarbeit, die sie zu leisten hatte, um am späten Abend in voller Montur in der Disco aufzukreuzen. Sie hatte schon am späten Nachmittag ein gewisses Kribbeln in der Magengrube. Sie legte privat wieder und wieder ihre Lieblings-CDs auf, ihre ganz persönlichen Kultsongs liefen rauf und runter, und sie fieberte dem Augenblick entgegen, an dem sie ihre Lieblingslieder in der Disco hören konnte. Sie legte nur die Sachen auf, die ihr besonders viel bedeuteten, als sei sie ihr eigener DJ. Sie kannte meistens nur wenige Textzeilen und den Refrain. Und sie sang laut mit:

 

“We’ve come to play in the happy house and waste a day in the happy house, it never rains, never rains.”

 

Manchmal tanzte sie allein vor dem Spiegel und bewegte ihre Lippen mit, wenn sie den Text nicht kannte, als sei ihr der Song in Fleisch und Blut übergegangen.

Sie war schon gespannt, wen sie heute alles treffen würde. Einige der Typen kannte sie zwar beim Namen, hatte jedoch noch nie mit ihnen gesprochen. Das ist halt so in der Szene, wenn viel getratscht wird. Sie rief wieder bei ihrer besten Freundin Mascha an:

      „Hi, hier bin ich!“

      „Na, was treibst du so?“,

fragte Mascha.

      „Meine beste CD hat einen Sprung.“

      „Welche ist das denn?“

      „Das ist die Cure-CD Seventeen Seconds.“

      „An welcher Stelle hakt sie denn?“

      „Bei A Forest.”

      „Was? Das ist doch das beste Lied auf der CD. Du Ärmste!“

      „Notfalls werde ich mir die noch mal kaufen. Na ja, was soll’s? Wann wollen wir uns denn heute Abend treffen?“,

fragte Gothic-Grrl.

      „Von mir aus wieder um halb elf“,

entgegnete Mascha.

      „Lass uns bloß nicht wieder vor elf hin, sonst stehen wir wieder rum wie Falschgeld.“

      „Ich habe keine Lust auf Totentanz. Wir können ja vorher eine Flasche Wein trinken. Ich habe einen ungarischen Rotwein im Kühlschrank.“

      „Ich weiß schon, was dabei rauskommt. Wir trinken wieder alles durcheinander und eine von uns muss nachher speien.“

      „Ich will heute sowieso nicht so viel trinken“,

erwiderte Mascha.

Mascha und Gothic-Grrl kannten sich aus der Schule. Sie konnten sich über Gott und die Welt unterhalten. Mascha war damals mit zum Tätowierer gekommen, als Gothic-Grrl sich das keltische Kreuz auf den Oberarm hatte stechen lassen. Besonders intensiv unterhielten sie sich über ihre jeweiligen Eroberungen. Da wurde bis ins sexuelle Detail getratscht. Selbst die Penisgröße fand Erwähnung. Aber im Hauptfokus stand, wer zärtlich sein konnte und wer rabiat war. Sie diskutierten über die psychischen Zustände der Liebschaften. Es wurde festgehalten, wer sich auf einem Egotrip befand, wer lieb und wer ein Wrack war. Mascha hatte ein Liebesmal auf der rechten Wange, schräg oberhalb des Mundwinkels. Wenn sie sich in Schale geworfen und das Gesicht gepudert hatte, sah sie aus wie eine Rokoko-Herzogin.

Bevor sie heute losging, rieb sich Mascha etwas Rote Beete-Saft auf die Wangen. Im Chat hatte zuvor eine Russin erzählt, dass das wie veganes Rouge wirken solle. Sie wollte das unbedingt mal ausprobieren und heute war es so weit. Sie war auf die Reaktionen ihrer Mitmenschen gespannt.

Die Clique traf sich entweder im Gang vor der Disco oder später in der Disco. Manchmal standen sie einfach nur draußen vor dem Haupteingang, wo viele fleißig zechten. Gerne hielten sie sich im Raucherseparee auf, das von der übrigen Disco durch Wände und Scheiben abgetrennt war. Hier war es etwas ruhiger als direkt an der Tanzfläche, wo die Boxen laut schallten. Sie waren meistens vier Goth-Frauen in ihrem Grüppchen. Außerdem gehörten zwei junge Männer der Clique an. Das Tratschen ging in der Disco weiter, und sie hatten meistens schwarze Themen zu besprechen, allem voran die Männer und Frauen aus der Gothic-Szene. Sie sprachen aber auch über Dark Wave-Musik, Konzerte, schwarze Mode, Tätowierungen, Probleme, Organisatorisches und ihre Gothic-Devotionalien. Wenn sie aber in der Nähe der Tanzfläche standen oder saßen, herrschte fast immer betretenes Schweigen. Es wurde auf die Tanzfläche gestarrt und anderen bei ihrem mehr oder weniger ausdrucksstarken Tanz zugesehen.

Gothic-Grrl tanzte für ihr Leben gern. Dabei wirkte sie stets todernst. Beim Tanzen, je nach Musik, ging sie häufig ein paar Schritte vor und wieder zurück, blickte währenddessen wie gebannt auf den Boden. Nur manchmal blickte sie kurz auf, um sich zu orientieren. Manchmal, hatte sie nur einen einfachen Discoschritt parat. Je nachdem, was der DJ gerade spielte, war die Tanzfläche mal überfüllt, mal leer und meistens aber nur halb voll. Der DJ probierte vieles aus, spielte mal Dark Wave aus den 80ern, ganz selten NDW, mal EBM, mal modernen Goth-Rock, Industrial, Mittelalter und sogar Dark-Techno, Aggrotech und Cybergoth. Er konnte es nicht jedem recht machen, und so erklärte sich der unterschiedliche Andrang auf der Tanzfläche. Beim nächsten Song herrschte wieder Einigkeit:

 

„Meine Muskeln sind Maschinen,

Sehnen stählern, Schweiß wie Öl.

Schmutz und Dreck ist wahre Arbeit, ...“

 

In der Diskothek waren sogar die Wände schwarz gestrichen. An einigen Stellen hingen aus Silberpapier ausgeschnittene Totenköpfe. Überall waren Flyer ausgelegt, zumeist von anderen Gothic-Veranstaltungen in anderen Städten. Am hellsten war es hier am Tresen. Auf der Tanzfläche funkelte abwechselnd das Licht der Lichtmaschine, des Stroboskoplichts und der Discokugel. Am düstersten war es jedoch in den Ecken, in denen Sessel und Sofas standen. An einigen Stellen war es so dunkel, dass du die Leute nur schemenhaft erkennen konntest. So war von einer Frau, die auf der Rückseite der Tanzfläche in der Nähe des Notausgangs saß, nur das weiß gepuderte Gesicht zu sehen, da sie mit ihrem fluoreszierend-blau strahlenden Handy herumspielte. Der Rest war schwarz. Durch das an einigen Stellen verwendete Schwarzlicht wurden ausschließlich die weißen Farben hervorgehoben, allerdings auch Fusseln an der Kleidung, nicht lackierte Fingernägel und die scheinbar blutleeren Fingerspitzen. Ganz diabolisch ging es auf der Tanzfläche zu, wenn das Stroboskoplicht angeschaltet war. Die Maschine sendete kleine, schockartige Blitze in alle Richtungen, was den Eindruck erweckte, als bewegten sich die Menschen auf der Tanzfläche im Zeitraffer, da einige Zwischenbilder fehlten. Die silberne Discokugel transformierte diesen Effekt.

Sex auf dem Klo kam in der Gothic-Disco defakto nicht vor. Einmal kam es beim Gothic zum Petting auf einer Couch in der dunkelsten Ecke, doch du musstest schon genauer hinsehen, um zu erkennen, was lief. Allerdings kam es bei anderen "Party-Formaten" in dieser Location regelmäßig zu Sex auf der Toilette, zumeist auf dem Damenklo, auch bei der wöchentlichen "Electro-Party". Die überwiegend männliche Security hatte eher eine repräsentative Funktion und flirtete gerne. Wenn das Fass zu bestimmten Uhrzeiten überlief, wurden Frauen oben im Flur einfach an die Wand gedrückt, auf die Toilette gezerrt oder in den kleinen Kopierraum. Neben der DJ-Loge gab es „Mehl“.

Bei den beliebtesten “Party-Formaten“ in dieser Disco, so auch auf der „Electro-Party“, nahm jeder einzelne Tresenmitarbeiter rund 50 € an Trinkgeld ein. Dem Personal selbst war Suchtmittelkonsum während der Arbeitszeit zwar untersagt, doch nicht alle hielten sich an die Anweisungen. Eine der Tresenfrauen vögelte sogar einmal während ihrer Pause mit einem Adonis der Security im Büro.

Es kam selten vor, dass Mitarbeiter Geld aus der Kasse am Tresen mitgehen ließen. Jedoch fehlte bei Großveranstaltungen an der Garderobe mehrmals ein 50er. Niemand verdächtigte den Junkie in seinem Jakuzi Long Sleeve. In der Kasse am Eintritt fehlte nur an jenen Abenden Geld, wenn keine Armbändchen an die Gäste vergeben wurden, denn da wusste jeder, wie viel Geld am Ende in der Kasse zu liegen hatte. Einige Schichtleiter waren unglaublich begierig eigenhändig die Kassenabrechnung am Ende der Schicht vorzunehmen und drängten andere Mitarbeiter regelrecht zur Seite, obwohl es deren Aufgabe war. Bei einigen ausverkauften Konzerten sollten Getränke möglichst schnell rausgegeben werden, sodass nicht alles sofort in der Kasse erfasst werden musste, da das Eintippen einfach zu lange dauerte. Das sollte später in den Leerlaufphasen überschlagsmäßig nachgeholt werden. Bei einer Band, die bereits im Vorjahr aufgetreten war, lagen in diesem Jahr 3000 Euro weniger in der Kasse, obwohl das Konzert wie im Vorjahr ausverkauft war. Es verbreitete sich das Gerücht, dass die Besucher mittlerweile deutlich weniger Alkohol tränken aufgrund veränderter sozialer Begebenheiten. Das war ein schlechter Witz, denn es kristallisierte sich heraus, dass sich ein paar Auserwählte die Taschen vollmachten.

Hier tauchten nur sehr selten Blüten auf. Allerdings gab es bei Techno und Goa regelmäßig Hausverbote: wegen Drogen, Prügeleien, Pöbeleien, Vandalismus, Diebstahl oder Respektlosigkeit gegenüber Personal und Security.

Bei vielen Gästen der Gothic-Disco war der Rauchgenerator sehr beliebt. Einige imitierten die langsamen Bewegungen der Rauchschwaden, flatterten dazu mit den Armen wie Fledermäuse in Zeitlupe. Doch einige der Besucher saßen fast den gesamten Abend nur in den Ecken herum und bewegten sich anscheinend stundenlang überhaupt nicht. Und niemand wusste, ob sie betrunken waren oder sogar „fertig“ vom Drogenkonsum. Einige der Frauen trugen schwarze, lederne Plateaustiefel – andere lange schwarze Kleider, unter denen das Schuhwerk nicht zu erkennen war. Und sobald der DJ wieder einen Stilwechsel vornahm, kam Bewegung in die Atmosphäre: Einige verließen fluchtartig die Tanzfläche, andere beeilten sich, von dem anlaufenden Song nichts auf der Tanzfläche zu verpassen. Bei sehr gewagtem Stilwechsel wirkte das Treiben wie der rasche Fahrgasttransfer zur Rush Hour am U-Bahnhof Wittenbergplatz im Zentrum Berlins. Einige wirkten beleidigt oder enttäuscht, ja nahezu gekränkt, da sie aus ihrer Traumwelt gerissen wurden. Andere betraten den Dancefloor entschlossen, als gelte es eine Religion zu verteidigen. So ging es die ganze Nacht über weiter, bis sich ab drei Uhr die Diskothek allmählich leerte. Nur die Hartgesottenen blieben bis zum Ende und wollten immer noch nicht so recht weichen, als das Licht angeschaltet wurde. Das Personal räumte schon etwas auf, sammelte die Gläser und Flaschen ein und die Aschenbecher aus dem Raucherbereich. Die Barhocker wurden wieder in Position gebracht, der Tresen und die Tische gereinigt. Gefeudelt wurde noch nicht. Die Musik war schon eine ganze Weile aus, als einer vom Tresenpersonal laut rief:

      „So Leute, wir haben Feierabend!“

Nach und nach machten sich die letzten Szenegänger auf den Weg zum Ausgang der Diskothek, die sich weit unten in den Kellergewölben des Gebäudes befand. Oben vor der Tür standen mehrere Nachtschwärmer und warteten, ob sich noch etwas ergeben würde, eine morgendliche Spontanparty oder ein gemeinsames Frühstück im Bahnhofrestaurant. Und nach ein paar Minuten war vor dem Ausgang der letzte Nachtschwärmer verschwunden, während es schon fast taghell war. Es war ein berauschendes Gefühl, so früh morgens unterwegs zu sein. Sie sahen schon die ersten Frühaufsteher, die etwas am Sonntagmorgen zu unternehmen planten. An diesem Morgen entschied sich Gothic-Grrl dazu, mit ihren Freunden frühstücken zu gehen. Meistens wurde dabei Kaffee getrunken, es sei denn, jemand spendierte eine Flasche Sekt. So früh morgens waren keine hochgeistigen Gespräche mehr möglich. Es lief alles auf Situationskomik hinaus. Gothic-Grrl wollte sich wieder einmal von ihrer dunklen Seite zeigen und übertrieb es damit:

      „Wir hätten mal besser gleich auf den Friedhof gehen sollen.“

      „Morgens sind da zu viele Rentner“,

entgegnete Mascha.

      „Sind das Rentner oder Zombies?“,

fragte Gothic-Grrl, und sie gab wieder ihr debiles Lachen von sich:

      „Ha, ha, ha!“

– als würde sie eine schrumpelige Hexe imitieren.

Der viele Alkohol der vergangenen Nacht und der Kaffee am Morgen sorgten dafür, dass sie innerlich glühten. Der Kreislauf machte sich unweigerlich bemerkbar. Jetzt half nur noch das Bett. So ging auch diese lange Nacht zu Ende, und sie wurden das Gefühl nicht los, der ganze restliche Sonntag sei im Eimer. Gothic-Grrl schlief bis zum frühen Nachmittag – gute drei Stunden–, kam danach nicht mehr so recht in die Gänge und nahm sich einen Vampirroman zur Hand. In diesem wimmelte es nur so von blutrünstigen Vampiren. Eine Vampirdynastie trieb ihr Unwesen in Staten Island, New York: Tagsüber schliefen sie in einer Gruft in einer Kirche, nachts zogen sie durch die Clubs, wo sie Frauen abschleppten, um sie an einem dunklen Ort zu verführen und schließlich mit einem Biss in den Hals zu töten. Der Roman wirkte leicht kitschig, doch das war genau die Art von Literatur, die sie nach einer solchen Nacht gebrauchen konnte.

In ihrem Regal befanden sich neben den diversen Vampirromanen unzählige Esoterikbücher, darunter Klassiker der Schwarzen Magie. Sie besaß nicht ein einziges herkömmliches Belletristik-Buch. Gegen Abend surfte sie für gut zwei Stunden im Internet. Sie suchte ihren gewohnten Chatroom auf und loggte sich unter ihrem Nutzernamen Vampirella ein. Beim Chatten ging es heute in erster Linie um düstere Themen, aber auch um Sex. Aufhänger für das Getextete war häufig ihr Nutzername. Ob sie eine wirkliche Vampirin sei, wurde sie häufig gefragt, und ob sie Blut trinke oder schon mal jemanden gebissen habe. Für gewöhnlich beantwortete sie diese Fragen mit ja. Als Avatar verwendete sie ein Foto, auf dem sie ganz in Schwarz vor dem Notebook sitzend aufgenommen war. Ihr Gesicht wurde dabei erschreckend hell vom Bildschirm angestrahlt. Alle möglichen Typen erkundigten sich kurz und direkt, ob sie Single oder gar Jungfrau sei. Vieles war hart an der Grenze zur Geschmacklosigkeit, doch sie wusste meistens damit umzugehen. Und sie log vorsätzlich, ohne mit der Wimper zu zucken, um ihre Widersacher aus der Reserve zu locken. Ein wirkliches Treffen würde sie mit solchen Leuten via Chatroom ohnehin nicht vereinbaren. Sie wollte immer nur spielen und ihre vermeintlichen Verehrer zum Äußersten treiben.

Von vielen wurde sie bald mit

      „Hi Vampirella, bist Du auch mal wieder hier?“

begrüßt.