Gott sei Dank herzkrank - Peter Lehmann - E-Book

Gott sei Dank herzkrank E-Book

Peter Lehmann

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Beschreibung

Dieses Buch soll dir weiterhelfen, - wenn du dich für das Gefühlschaos eines kranken Menschen interessierst. - wenn du positive Impulse in der persönlichen Krankheitsbewältigung benötigst. - wenn du verstehen möchtest, warum vernünftige Menschen fest an Gott glauben. Es ist äußerst bewegend, zugleich unterhaltsam und total positiv.

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Seitenzahl: 163

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Peter Lehmann

Gott sei Dank herzkrank

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1: Krank oder nicht krank oder wie krank?

Kapitel 2: Ärzte und Action

Kapitel 3: Diagnose „Maximalbefund“

Kapitel 4: Grenzerfahrungen

Kapitel 5: Zwischen Horror und Hoffnung

Kapitel 6: Der Herr kennt die Seinen

Kapitel 7: Das Leben ist ambivalent

Nachwort

Impressum neobooks

Inhalt

für Elisa

Elisa ist zur Zeit der Entstehung dieses Buches 14 Jahre alt und Schülerin des im Buch erwähnten Gymnasiums. Bereits kurz darauf kann sie die Schule nicht weiter besuchen, da die Niere, die sie bereits mit 5 Jahren transplantiert bekommen hat, wiederholt abgestoßen wird. Auch wenn zunächst Medikamente die Abstoßung aufhalten, ist die physische und psychische Belastung doch zu groß, um weiterhin am normalen Schulalltag teilzunehmen. Leider ist die Gesetzeslage so, dass die Niere erst abgestoßen werden muss, ehe Elisa auf die Warteliste für eine Spenderniere kommen kann. Nicht nur ich bete für Elisa, dass sie diesen schweren Kampf positiv besteht.

Zeichnung Buchende: Susi Merkel

verantwortlich für sämtliche Inhalte: Peter Lehmann, 08141 Reinsdorf

neobooks/Neopubli Oktober 2018

Vorwort

„Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“ (2. Korintherbrief 6, Vers 2)

Es ist Samstagabend, der 12. November 2017, und ich sitze in meinem Wohnzimmer auf dem Sofa und will ein Buch über Krankheit und Krankheitsbewältigung schreiben. Ich bete um den Segen Gottes, dieses Buch nicht einfach um meiner selbst willen zu schreiben, sondern als Gabe für viele Menschen, die Ermutigung gerne lesen möchten oder gar dringend benötigen. Ich lese den Wochenspruch, eine schöne Idee des lutherischen Pfarrers Wilhelm Stählin vor ziemlich genau 90 Jahren. Im Wochenspruch finde ich diesen passenden Impuls aus dem zweiten Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth, wo auf die Vision des Propheten Jesaja von Gottes Heilsplan für die Menschen Bezug genommen wird. Jesaja beschreibt einen Tag des Heils, an dem Verfolgte gerettet sind, Hungernde gesättigt und Leidende erlöst: „Jauchzet ihr Himmel; freue dich Erde!“ (Jesaja 49, Vers 13) Auf diesen Gott vertraue ich!

Für wen schreibe ich dieses Buch?

Zu allererst für dich, Elisa! Du bist zu mir gekommen und hast gesagt: „Sie sind doch durch den Glauben so gut mit Ihrer Krankheit klar gekommen. Mir fällt das bei meiner Krankheit ganz schwer. Können Sie mir nicht einen Tipp geben?“ Und du hast von deiner Krankheitsgeschichte erzählt, von deiner ersten Nierentransplantation vor 10 Jahren, von der Notwendigkeit einer erneuten Transplantation und von den Schwierigkeiten, die damit zusammenhängen. Und ich bin ganz schön ins Stottern gekommen. Ich hatte nicht das Gefühl, wirklich hilfreich geantwortet zu haben. Jetzt versuche ich es ein zweites Mal. Du musst dir allerdings bitte einige Zeit nehmen: Die Antwort dauert etwas länger!

Gleichfalls schreibe ich für alle anderen Elisas. Es gibt viele, die wie Elisa und ich an einer Krankheit zu „knabbern“ haben – oder auch an einem anderen Leiden! „Krankheiten“ gibt es viele auf dieser Welt. Und Sehnsucht nach Linderung, nach Hilfe, nach Heil ist ohne Zweifel millionenfach zu finden. Wenn dich diese Sehnsucht bewegt, dann schreibe ich auch für dich. Ich will versuchen, dir zu erzählen, wie mich Krankheit, Sehnsucht und Heil tief bewegt haben.

Und für eine weitere Gruppe von Lesern will ich dieses Buch schreiben. Vielleicht denkst du manchmal darüber nach, wie doch scheinbar vernünftige Menschen im 21. Jahrhundert noch an solche „Märchen“ von Gott, Jesus und Auferstehung glauben können. Ich hoffe, dass du meine Entscheidung besser verstehst, wenn du meine Geschichte gelesen hast.

Warum schreibe ich dieses Buch?

Es ist nicht eine von den alltäglichen Entscheidungen, ein Buch zu schreiben. Für mich ist es auch nicht normaler Alltag, dass ich dieses Buch schreibe. Es war zunächst eine bestimmte Postkarte – in der Art wie die letzte Seite des Buches – die zu einer bestimmten Zeit auf meinem Schreibtisch lag. Diese Situation war für mich so außergewöhnlich, dass ich es als unmittelbaren Auftrag empfunden habe, von meiner Krankheit und meinem Glauben zu erzählen. Damals habe ich 100 dieser Postkarten gekauft, in einem Erntedank-Gottesdienst verteilt und von meinen Erlebnissen und Empfindungen erzählt. „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ (Psalm 103, Vers 2) Doch davon später mehr …

Das ist einige Wochen her. Gestern kam mir nun urplötzlich in den Sinn, dass ich mehr darüber erzählen und ein Buch schreiben sollte. Ich habe vorher nie über etwas Ähnliches nachgedacht. So plötzlich mir der Gedanke in den Sinn kam, so schnell war er gefestigt und mir war sofort klar, dass ich dieses Buch auch schreibe. Und in Kürze stand der Titel fest: Gott sei Dank herzkrank!

Verstehst du das? Es gibt Dinge, die wachsen langsam im Hirn. Und sie reifen und entwickeln sich weiter und man überlegt hin und her und verwirft wieder einzelne Teile und findet neue Gedanken dazu. Aber manchmal – ganz selten – ist es anders: Es ist einfach da! Es ist gegeben! Quasi fertig gegeben! Man muss nur noch „Ja!“ sagen oder ablehnen. Und ich habe eben „Ja!“ gesagt, weil ich wusste, woher es kommt! Ich habe gestern schon „Ja!“ gesagt und es dann beiseite gelegt, weil wichtige Aufgaben zu erledigen waren. Ich musste Schülerarbeiten korrigieren. Spätestens nun weißt du auch, dass ich Lehrer bin!

Ich habe mich gefragt, ob gestern etwas Besonderes war, dass mir ein solches Vorhaben in den Sinn gekommen ist? Ich wüsste nichts. Mir ging es nicht besonders gut – ein leichter Anflug von Erkältung? – aber ich habe trotzdem fleißig korrigiert. Der ganz normale Alltag eben. Plötzlich fällt mir ein, dass gestern Martinstag war. Sankt Martin war doch der reiche Soldat mit dem Mantel, den er geteilt hat, um die eine Hälfte dem frierenden Bettler zu geben. Gewiss ist es das: Ich bin zweifellos reich beschenkt worden bei der Bewältigung meiner Krankheit. Und nun möchte ich gerne mit dir teilen. Ich biete dir einen Teil meiner positiven Erfahrungen an. Mögen sie dich ebenso wärmen wie die Mantelhälfte Martins den Bettler!

Tatsächlich war also die Martinsgeschichte der Impuls, der in mir etwas ausgelöst hat. Diese Geschichte haben wir nämlich auch gestern Morgen bei der Jungschar besprochen. Und mit der Jungschar geht meine Geschichte eigentlich los. Schon wieder so ein außergewöhnlicher Zusammenhang. Und das soll Zufall sein?! Du fragst, was die Jungschar mit der Krankheit zu tun hat und was das überhaupt ist? Dazu gleich mehr …

Worüber schreibe ich überhaupt dieses Buch?

Ich schreibe und schreibe, doch du weißt kaum, worum es geht. So will ich dich nun in Kenntnis setzen über die äußeren Fakten, um die es in diesem Buch geht. Aber zunächst sollte ich mich endlich vorstellen: Mein Name ist Peter Lehmann, wohnhaft in einem kleinen Haus in Vielau, einem Dorf in der Nähe von Zwickau. Zwickau ist eine mittelgroße Stadt in Sachsen in Deutschland. Ich bin 54 Jahre alt, seit 25 Jahren verheiratet mit Isabella und wir haben zusammen drei Kinder: die 21-jährige Pia studiert in Leipzig, der 19-jährige Vinzenz hat gerade ein Studium in Bayreuth begonnen und der 14-jährige Tobias geht noch an das Gymnasium im Nachbarort, wo ich als Lehrer für Latein, Evangelische Religion und GRW (heißt in jedem Bundesland anders, grob gesagt: Politik) tätig bin.

In meiner Schule bin ich bekannt dafür, unverwüstlich zu sein, sprich: Ich war seit Anfang 1999 bis zum Sommer 2017 so gesund, dass ich im Dienst nicht einen einzigen Tag wegen Krankheit gefehlt habe. Abgesehen davon, dass ich mich oft als „Sonntagskind“ empfunden habe, das heißt ich war in meinem Leben wirklich relativ wenig krank, habe ich als braver Arbeitnehmer die Auszeit stets konsequent auf Wochenenden und Ferien gelegt. Wenn ich mal angeschlagen war, dann hat der Adrenalin-Stoß auf dem Weg zur Schule gereicht, um über den Tag zu kommen.

Im Sommer 2017 kam es völlig überraschend ganz anders: Diagnose „Koronare 3-Gefäßerkrankung mit Hauptstammbeteiligung“ und so weiter, in einfachem Deutsch: Die linken Herzkranzgefäße waren teilweise extrem schlecht durchblutet – ein Wunder, sagte der Doktor, dass ich noch keinen Herzinfarkt hatte – sodass ich mich auf die Schnelle einer Herzoperation unterziehen musste. Dass eine solche dreifache Bypass-Operation auf der einen Seite routinemäßig abläuft, auf der anderen Seite aber nicht unerhebliche Risiken und viele Nebenerscheinungen hat, auch davon will ich hier erzählen. Ich will aber vor allem von meinen Gefühlen und Begegnungen in dieser sehr intensiven Zeit erzählen, von der Zeit vor der Operation, ganz besonders von der OP- und Krankenhauszeit und schließlich von der Zeit der Rückkehr in das „normale“ Leben.

Wie exakt ist dieses Buch?

Im Folgenden wird nicht eine wissenschaftliche Dokumentation entstehen, sondern gewissermaßen eine „emotionale Dokumentation“, ein persönlicher Erfahrungsbericht. Natürlich gebe ich mir Mühe, zu meinem Standpunkt auch Distanz zu gewinnen und eine Art Objektivität zu finden. Wie weit mir das gelingen wird, kann ich selbst am wenigsten beurteilen. Letztlich geht es ja auch darum, meine persönlichen Wahrnehmungen und Gefühle mitzuteilen. Je mehr es um Daten und sonstige Fakten geht, desto mehr werde ich mich um Korrektheit bemühen. Mehr kann ich an dieser Stelle nicht zusagen.

Ich will die relative „Wichtigkeit“ korrekter Daten mal an einem Beispiel deutlich machen. Im Herzzentrum Leipzig bestand man trotz kurzer Bedenken meinerseits darauf, dass ich 1,75 m groß bin. Laut meinem Ausweis bin ich 1,78 m groß. Und davon ging ich bisher auch immer aus. Zu Hause haben wir 1,77 m gemessen. Welche Messung war korrekt? Für die Feststellung meines Idealgewichts – was für meine Gesundheit nunmehr noch wichtiger als vorher ist – macht das einen Unterschied, jedoch nur einen geringfügigen. Ob ich jetzt ein oder zwei Kilogramm mehr oder weniger wiege, … Lassen wir das! :-)

Ein paar Worte noch zu den Namen: Selbstverständlich sind die wenigen Personennamen der Begegnungen im Krankenhaus und in der Reha-Klinik abgeändert. Dies gilt nicht für meine Familie und die Freunde aus Vielau, von denen ich die Zustimmung bekommen habe, ihre Namen zu nennen. Dies gilt auch nicht für Elisa. Von ihr und ihren Eltern habe ich ebenfalls die Zustimmung, ihren Namens zu benutzen. Wofür ich sehr dankbar bin. Ich möchte über die Wirklichkeit des Lebens schreiben. Dabei ist es viel wichtiger, dass persönliche Dinge der Wirklichkeit möglichst exakt entsprechen als irgendwelche Datendetails!

Und deswegen soll die Geschichte mit etwas beginnen, das ganz viel Persönliches, ganz viel Beziehung, ganz viel wirkliches Leben betrifft: mit der Jungschar.

Kapitel 1: Krank oder nicht krank oder wie krank?

Jeden Freitagnachmittag bin ich seit nunmehr fast acht Jahren mit Jungs von der 1. bis zur 8. Klasse unter dem Motto „Für Jesus und mit Jesus“ mit Fahrrädern unterwegs. Wir machen eine kurze Andacht, fahren kleinere und größere Runden und spielen Fußball, Tischtennis oder sind auf andere Art körperlich aktiv. Die Jungs kommen aus unserer Kirchgemeinde, aus Nachbargemeinden, Freien Gemeinden oder auch gar nicht aus kirchlichen Kreisen. Wer Lust hat und sich mit uns austoben möchte, der macht mit. Himmelfahrt ist jedes Jahr unsere große „Jungschar-Tour“, das heißt wir fahren am Donnerstag mit unseren Fahrrädern in irgendeine ca. 40 km entfernte Herberge, wo Programm mit Fußball, Schwimmen, Stadtrallye und anderer Action stattfindet, und am Samstag wieder zurück. Dieses Jahr hieß unser Thema „Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft.“ (Psalm 66, Vers 20) Unser Ziel war die Jugendherberge Hormersdorf bei Geyer im Erzgebirge. Mit mir als Organisator waren wir fünf Männer als Betreuer und zehn Jungs. Und alle freuten sich seit Wochen auf dieses Highlight des Jahres.

Es ist Himmelfahrt, Donnerstag, der 25. Mai 2017. Die Stimmung ist super. Wir treffen uns um 7 Uhr vor dem Pfarrhaus Vielau. Zehn hochmotivierte Jungs haben sich gut vorbereitet mit frisch geputzten Fahrrädern, zum Teil extra neu gekauftem Helm und leckerem Lunchpaket – selbstverständlich vor allem viel zu trinken! Die stolzen Eltern packen die Reisetaschen in das Auto von Markus, der unser Gepäck nach Hormersdorf fährt. Wir Männer segnen die Jungs und anschließend uns gegenseitig. Nach herzlicher Verabschiedung und besten Wünschen fährt die Gruppe fröhlich winkend los. Wir haben Stationen mit Andachten, es gibt anstrengende und angenehmere Streckenteile, das Wetter ist fast optimal und alles ist so spannend und schön wie jedes Jahr – nur nicht für mich!

Keiner merkte es und ich redete nicht darüber, aber ich fühlte mich von Anfang an nicht ganz fit. Ich hatte zuletzt schon vereinzelt beim Fahrradfahren so ein Unwohlsein, so ein Stechen im unteren Brustbereich. ‚Na ja, man wird halt auch nicht jünger. Und letztlich muss ich mich auch nicht wundern: Ich war ja nie sehr sportlich. Da ist es wohl normal, dass bei mir die typischen Alterswehwehchen etwas früher auftreten als bei anderen. Schließlich geht es noch hinreichend.‘ Wenn ich während der Fahrt mal etwas mehr Stress hatte, ließ ich mich halt ein wenig zurückfallen. Das fiel nicht weiter auf. Ich erholte mich stets relativ schnell und eigentlich kamen wir ganz gut voran. Alles war wieder normal.

Es wurde Mittag, wir hatten den Großteil der Strecke hinter uns. Wir erreichten Niederzwönitz. Von dort ging es den anstrengenden Klötzerweg bergauf in den Geyerischen Wald, an dessen anderen Ende die Jugendherberge Hormersdorf liegt. Unsere Jüngsten stießen langsam an ihre Leistungsgrenze. Da hieß es sensibel zu agieren: langsam machen, motivieren und gegebenenfalls helfen, wo es geht. Während die älteren „wilden Kerle“ den Hügel hochjagten, zerfiel der Rest in langsamere und sehr schnell auch Fahrrad schiebende Grüppchen. Wir Männer fingen teilweise an, den Jüngsten zu helfen und deren Fahrräder mitzuschieben. Ich hatte selbstverständlich auch zwei Fahrräder, meins rechts und ein kleineres von unserem jüngsten Teilnehmer links.

Ich erinnere mich, dass wir dieselbe Aktion hier bereits sieben Jahre vorher hatten: Damals war es viel heißer und wir hatten volles Gepäck dabei. Diesmal brachte ja – ein Glück – Markus unser ganzes Gepäck mit dem Auto zur Jugendherberge und die Temperaturen waren geradezu angenehm. Aber ich merkte, dass ich nicht mehr derselbe war wie sieben Jahre zuvor. Man wird halt alt! Ich musste immer wieder zwischendurch stehen bleiben. Es fiel mir schwer und schwerer, den Berg hochzukommen. Ich ärgerte mich, dass keiner half. ‚Es gibt genug Mitstreiter, die fitter sind als ich.‘ Aber Hilfe rufen wollte ich natürlich auch nicht. Eigentlich wollte ich gar nicht zugeben, dass mir diese Schieberei viel zu anstrengend war. So schob ich weiter – mit Pausen – und quälte mich den Berg hoch, obwohl mir zunehmend schlecht wurde: Der Kreislauf machte Probleme. Irgendwann kamen wir schließlich oben an, wo die anderen schon warteten. Ich war völlig platt, musste mich erst einmal setzen, musste mich dringend erholen.

„Komm, wir haben lange genug gewartet. Wir fahren weiter!“ höre ich einen der „wilden Kerle“ sagen. „Ich muss erst einmal etwas essen!“ Gutes Argument für eine längere Pause, das mir da eingefallen ist! Und dann lasse ich mir erst einmal Zeit, damit ich wieder zu Kräften komme. „Ich merke, dass ich langsam alt werde.“ Man scherzt und die Stimmung ist gut. Das fällt ja nicht so schwer, ein wenig mit dem Alter zu kokettieren …

Danach ging es erstaunlich gut weiter. Wir kamen ohne Zwischenfälle zur Jugendherberge – ich auch. Wir hatten Spaß im Schwimmbad – ich auch. Abends wurde Fußball gespielt – ohne mich! Ein Glück, es waren andere Jugendherbergs-gäste da, die mit unseren Jungs ein Spielchen machten. Still in mir merkte ich, dass ich nicht mehr alles so wie vorher mitmachen konnte. Kennst du das auch? Es war ein schwer beschreibbarer Gefühlsmix in meinem Hirn: ‚Irgendwie geht ja noch (fast) alles, aber manches eben auch nicht; irgendwie ist das mit zunehmendem Alter völlig normal, aber vielleicht ist es gerade mal ein wenig extrem.‘ Irgendwie war ich auch bereit, darüber locker zu reden und zu scherzen, aber weder wollte ich die anderen mit meinen Wehwehchen nerven noch so ganz konsequent an meine Grenzen glauben.

Am Freitag fuhren wir nach Stollberg (Erzgebirge), eine anstrengende Tour, auf der ich jeden Hügel spürte. Doch das fiel nicht weiter auf, da sich zu Beginn des Ausflugs einer der Jungs bei einem Sturz schwer verletzt hatte. Der rechte Zeigefinger war zwar nur gestaucht, tat aber sehr, sehr weh. Weil er den Lenker nur eingeschränkt halten konnte – vor allem bergauf war das mit der verletzten Hand schwierig – und immer wieder Erholungsphasen brauchte, kamen wir nur langsam voran und ich konnte unauffällig mit der Nachhut mithalten und immer mal wieder auch selbst schieben. Die Verletzung des Jungen war für ihn so belastend, dass wir den Vati anriefen und dieser seinen Sohn in Stollberg abholte. Das war wohl etwas traurig, aber die Stimmung war trotzdem insgesamt weiterhin positiv. Alle begriffen, dass die Dinge nicht fortwährend so ablaufen, wie wir uns das wünschen. Eigentlich war der Sturz ja noch glimpflich ausgegangen und der Junge in den Armen seines Vatis glücklich aufgehoben. Nach einer „gedämpft fröhlichen“ Verabschiedung konnte ich auf der Rückfahrt viel besser mithalten als auf der Hinfahrt. ‚Siehst du‘, sagte ich mir, ‚es geht doch! Ich bin halt im Moment nicht ganz fit und habe ein paar Schwächephasen. Aber ich merke ja, dass es schon wieder wird!‘

Der Abend hielt allerdings noch ein besonderes Erlebnis für uns bereit: Die Jungs spielten Fußball. Und da sie müde waren (zwei Tage Dauer-Action schafft auch die wildesten Kerle!), eskaliert ein kleiner Streit so sehr, dass unser Jüngster uns wegläuft. Obwohl die Älteren hinterherlaufen, verschwindet er im Wald. Krise! Wir haben Grund zu größerer Besorgnis und suchen verzweifelt im Wald. Wir suchen und rufen in alle Richtungen – zu Fuß und mit Fahrrädern. Nach einer halben Stunde rufe ich die Polizei an. Und wir haben eine richtig gute Polizei! Ich erkläre ihnen die Situation und sie erfassen Situation und Dringlichkeit sofort und schicken Hilfe. Dreimal rufen sie noch an, um Details zu klären. Unterdessen ist bereits eine Streife zur Hilfe unterwegs. Während des dritten Anrufs entdeckt plötzlich jemand im Wald Bewegung: der Junge! Es dauert eine Weile, ehe wir den Jungen eingekreist und mit Mühe eingefangen haben. Er hat noch lange gezittert und immer wieder geweint, bis die Mutti, die ich sofort angerufen hatte, als er gefunden war, ihren Sohn in den Arm genommen und mit heimgenommen hat. Die anderen Jungs und selbstverständlich auch die Männer haben gebetet und geweint – als der Junge vermisst wurde, aber auch als er schon wieder auf dem Heimweg war. Wir wussten jedenfalls, dass so die Dinge wieder auf einem guten Weg waren.

Das alles gehört gar nicht hierher und will ich nicht weiter ausführen! Warum ich das überhaupt erzähle? Das hat zwei Gründe:

Den ersten kann ich nur wiederholen: Wir haben eine richtig gute Polizei! Als ich am Telefon sagte, dass wir den Jungen vermutlich gefunden haben, und als ich kurz danach mit dem Polizisten telefonierte und ihm mitteilte, dass der Junge wieder bei uns war und dass ich mich entschuldigen wollte, umsonst so viel Aufwand bereitet zu haben, antwortete dieser: „Sie haben alles richtig gemacht!“ Jedes Gespräch mit der Polizei war absolut verständnisvoll und hilfreich. Ich verstehe nicht, wie manche Eltern weghören können oder gar mitmachen, wenn ihre Kinder über „Bullen“ herziehen. Ich verstehe nicht, wie Polizisten bei Fußballspielen und Demonstrationen zum Punchingball von Besoffenen gemacht werden können. Und ich verstehe nicht, wie Verantwortliche an Polizisten ihre vermeintlich notwendigen Sparzwänge auslassen können. Ich habe keinen Polizisten in meiner Familie, aber ich wäre stolz, wenn ich einen hätte. Wenn wir Polizisten auf der Straße sehen, sollten wir daran denken, dass wir ihnen niemals alle Dankbarkeit, die wir ihnen für die unzähligen Dienste als Helfer und Beschützer schulden, zurückgeben können!