Schöne neue Psychiatrie. Band 2 (Neuausgabe) - Peter Lehmann - E-Book

Schöne neue Psychiatrie. Band 2 (Neuausgabe) E-Book

Peter Lehmann

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Beschreibung

In diesem Buch stehen die kurz-, mittel- und langfristigen Risiken und Schäden psychiatrischer Psychopharmaka auf dem deutschsprachigen Markt (bis 1996) im Mittelpunkt, die sich im Muskelapparat, in den Organen und im vegetativen Bereich niederschlagen, z. B. als teilweise lebensgefährliche Muskelkrämpfe, Bewegungsstörungen, genetische Schäden, Belastung der Leber, des Herzens und der Sexualorgane. (Neuere Antidepressiva und Neuroleptika finden Sie in dem Buch »Neue Antidepressiva, atypische Neuroleptika Risiken, Placebo-Effekte, Niedrigdosierung und Alternativen. Mit einem Exkurs zur Wiederkehr des Elektroschocks« von Peter Lehmann, Volkmar Aderhold, Marc Rufer & Josef Zehentbauer.) +++ Ein eigenes Kapitel ist dem Abhängigkeitspotenzial dieser Substanzen gewidmet. Seinen besonderen Stellenwert bezieht es aus der Tatsache, dass deren Verordner die körperlich abhängig machende Wirkung mit Ausnahme der Benzodiazepin-Tranquilizer abstreiten und die beim Absetzen möglichen Entzugserscheinungen, Reboundphänomene und Supersensibilitätsreaktionen der Rezeptoren sowie mögliche irreversible Psychopharmakaschäden verschweigen oder gar zum Symptomwechsel umdefinieren: z. B. chronische Angst nach längerer Antidepressiva- oder Tranquilizer-Verabreichung, Verwirrtheitszustände nach Lithiumentzug und chronische Psychosen nach Neuroleptika-Verabreichung. Umsichtige Ratschläge, wie das Rückfallrisiko gemindert und die Entzugserscheinungen gemildert werden können, schließen diesen Band ab. +++ Originalausgabe 1996. Mit umfangreichem Schlagwortverzeichnis und 1677 Quellenangaben.

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Seitenzahl: 952

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Peter Lehmann

Schöne neue Psychiatrie Band 2: Wie Psychopharmaka den Körper verändern

Aktualisierte Neuausgabe

»Schöne neue Psychiatrie« erschien original 1996 in zwei Bänden.

• Band 1: »Wie Chemie und Strom auf Geist und Psyche wirken« (ISBN 978-3-925931-09-3)

• Band 2: »Wie Psychopharmaka den Körper verändern« (ISBN 978-3-925931-10-9).

Als gedruckte Buchausgaben sind beide Bände vergriffen. Band 1 www.antipsychiatrieverlag.de/snp1 – ist als ePUB E-Book (ISBN 978-3-925931-74-1), MobiPocket E-Book (ISBN 978-3-925931-73-4) und PDF E-Book (ISBN 978-3-925931-72-7) erhältlich.

Die Fußnoten und die innerhalb von Zitaten kursiv gesetzten Erläuterungen in Klammern stammen von Peter Lehmann.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Gebrauchs- und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- oder Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Dies gilt insbesondere für Übersetzungen, Bearbeitungen, Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen und die Verarbeitung und Einspeicherung in elektronischen Systemen.

© 2022 Peter Lehmann. Alle Rechte vorbehalten.

Berlin / Lancaster: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 2022

www.antipsychiatrieverlag.de · www.peter-lehmann-publishing.com

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-98756-386-7

Rechtlicher Hinweis

Unser Wissen ist ständigen Entwicklungen unterworfen. Erfahrungen erweitern unsere Erkenntnisse, auch was die medizinische Behandlung von Menschen mit psychischen Problemen und die Beendigung der Behandlung anbelangt. Soweit unerwünschte Wirkungen von Psychopharmaka und Elektroschocks in diesem Buch erwähnt werden, dürfen die Leserinnen und Leser darauf vertrauen, dass der Autor große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angaben dem Wissensstand 1996 bei Fertigstellung der Publikation entsprach. Da individuelle Faktoren (körperlicher und psychischer Zustand, Alter, soziale Lebensverhältnisse etc.) die Verträglichkeit psychopharmakologischer und elektrotechnischer Anwendungen beeinflussen, dürfen die Aussagen jedoch nicht als problemlos übertragbar auf alle Menschen aufgefasst werden.

Die Leserinnen und Leser sind angehalten, durch sorgfältige Prüfung ihrer Lebenssituation und gegebenenfalls nach Konsultation eines geeigneten Spezialisten bzw. einer Spezialistin festzustellen, ob ihre Entscheidung, nach der Lektüre dieser Publikation Psychopharmaka einzunehmen, ihre Dosis, Einnahmeform oder Kombination beizubehalten, zu verändern oder auf eine spezielle Weise abzusetzen, in kritischer und verantwortlicher Weise erfolgt. Dies betrifft ebenso den Entschluss, sich Elektroschocks verabreichen zu lassen oder lieber nicht.

Eine sorgfältige Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten und Apparaten oder solchen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Aufgrund dieser Umstände übernimmt der Autor und Verleger keine Verantwortung für die Folgen unerwünschter Wirkungen beim Einnehmen, Verweigern, Reduzieren oder Absetzen von Psychopharmaka bzw. einem Ja oder Nein zu Elektroschocks.

Peter Lehmann

Table of Contents
Innentitel & Impressum
Rechtlicher Hinweis
Vorwort zur eBook-Neuausgabe
Einleitung
Wem Psychopharmaka verabreicht werden
Wer Psychopharmaka verschreibt
Marktentwicklung von Psychopharmaka
Wer Neuroleptika bekommt
Wer Antidepressiva bekommt
Lithium und Carbamazepin
Verabreichung von Psychostimulanzien an Kinder
Wer Tranquilizer bekommt
Verabreichung von Depot-Präparaten
Lesehinweise
Überblick
Die psychiatrischen Psychopharmaka
Wirkungsbereiche im Organismus
Hormonsystem
Blutbestandteile
Neuroleptika
Vegetative Störungen und Organschäden
Körperliche Anpassungsschwierigkeiten
Schäden am Hormonsystem und an den Sexualorganen
Sexualstörungen
Störungen von Libido, Orgasmus und Menstruation
Erhöhung des Prolaktin-Spiegels
Bleibende Schäden an Sexualorganen
Häufigkeit von Sexualstörungen
Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse
Fettleibigkeit und weitere Hormonstörungen
Schwangerschaftsschäden
Wachstumsstörungen bei Pflanze und Tier
Embryonale Schäden und Entwicklungsstörungen
Neuroleptika und Muttermilch
Embryonale Schäden bei Menschen
Drei Fälle von Ektromelie
Entbinden und Stillen unter Neuroleptika
Risikodiskussionen, Restrisiken
Körpertemperatur-Regulationsstörungen
Maligne Hyperthermie
Malignes neuroleptisches Syndrom
Vorboten und Verläufe
Febrile Katatonie
Zusätzliche Elektroschocks
Häufigkeitsangaben
Risikofaktor Leponex
Herzschäden
Bleibende und tödliche Herzschäden
Fallbeispiele des Plötzlichen Todes
Häufigkeitsangaben
Lungenschäden
Lungenentzündungen
Kreislaufstörungen
Blutdruckstörungen
Kreislaufkollaps
Häufigkeitsangaben
Schäden an Schleimhäuten, Schweiß- und Tränendrüsen und Zähnen
Störungen der Schweißdrüsen und Schleimhäute
Zahnschäden
Häufigkeitsangaben
Schäden an Verdauungs- und Ausscheidungsorganen
Ausscheidungsstörungen
Schäden an Leber und Galle
Bleibende und tödliche Leberschäden
Häufigkeitsangaben
Schäden an Knochenmark und Blut
Blutschäden
Absterben der weißen Blutkörperchen
Vorboten der Agranulozytose
Agranulozytose und Leponex
Häufigkeitsangaben
Schäden an Blut- und Lymphgefäßen
Schäden an Venen und Arterien
Thrombosen und Embolien
Häufigkeitsangaben
Schäden an Haut und Gewebe
Haaranomalien
Gewebeveränderungen im Einspritzbereich
Bleibende und tödliche Hauterkrankungen
Häufigkeitsangaben
Augenschäden
Sehstörungen
Ablagerungen von Neuroleptika-Abbauprodukten
Maßnahmen gegen Augentrübungen
Bleibende Schäden am Auge
Häufigkeitsangaben
Über die ›Nebenwirkungen‹
Schadensursache Überdosierung?
Dosisunabhängige Störungen
Schäden durch niederpotente Neuroleptika
Schäden bei niedrigen Dosierungen
Nur Nebenwirkungen?
Rechtfertigung der Risiken und Schäden
Muskel- und Bewegungsstörungen
Nervenimpuls-Übertragung unter Neuroleptika
Verwandte Hirnkrankheiten
Parkinsonoid
Muskelsteifheit und Muskelzittern
Zombie-Syndrom
Parkinsonpsyche
Enthirnungsstarre
Chronisches Parkinsonoid
Hyperkinesien
Tardive Hyperkinesien
Bewegungsstereotypen
Bewegungsstereotypen (Rumpf und Gliedmaßen)
Bewegungsstereotypen im Gesicht
Tardive Bewegungsstereotypen
Dystonien
Tardive Dystonien
Tödliche Dystonien
Todesängste bei Dystonien
Tod durch Ersticken
Tardive Dyskinesien
Erscheinungsformen und Begleitsymptome
Neuroleptika-typische Hirnkrankheit
Rezeptorenveränderungen
Hirnschäden und Autopsiebefunde
Lebenserwartung unter tardiver Dyskinesie
Entstehungsdauer, Vorzeichen und Risikofaktoren
Rückbildung der tardiven Dyskinesie
Behandlungsmöglichkeiten
Behandlung mit Botulinum-Toxin
Behandlung mit Neuroleptika
Weitere Psychiatrisierung
Schadenersatzklagen
Häufigkeit von Muskelstörungen
Parkinsonoide Störungen
Hyperkinesien und Stereotypen
Dystonien
Frederick Zugibe und der Schluckreflex
Tardive Dyskinesien
Antiparkinsonmittel
Dystonische und hyperkinetische Notfälle
Risiken und unerwünschte Wirkungen
Kaschieren von Muskelstörungen
Über die ›Nebenwirkungen‹
Schadensursache Überdosis?
Schäden unter ›therapeutischer‹ Dosis
Niedrigdosierte und niederpotente Neuroleptika
Tardive Dyskinesien: Folge von Vorschädigung?
Störungen unter einmaligen Dosierungen
Nur Nebenwirkungen?
Notwendige Parkinson-Erkrankung
Diskrete Hirnentzündung
Neuroleptische Potenz, neuroleptische Schwelle
Messgröße Versteifung
›Atypische‹ Neuroleptika (zum Beispiel Leponex, Risperdal)
Neuroleptische Potenzen
Antidepressiva
Vegetative Störungen und Organschäden
Hormon- und Sexualstörungen
Schwangerschaftsschäden
Weitere vegetative Störungen und Organschäden
Muskel- und Bewegungsstörungen
Über die ›Nebenwirkungen‹
Lithium
Vegetative Störungen und Organschäden
Hormon- und Sexualstörungen
Schwangerschaftsschäden
Nierenschäden
Weitere vegetative Störungen und Organschäden
Muskel- und Bewegungsstörungen
Über die ›Nebenwirkungen‹
Schadensursache Überdosis?
Carbamazepin
Vegetative Störungen und Organschäden
Häufigkeitsangaben
Muskel- und Bewegungsstörungen
Psychostimulanzien
Vegetative Störungen und Organschäden
Häufigkeitsangaben
Muskel- und Bewegungsstörungen
Tranquilizer
Vegetative Störungen und Organschäden
Hormon- und Sexualstörungen
Schwangerschaftsschäden
Weitere vegetative Störungen und Organschäden
Muskel- und Bewegungsstörungen
Abhängigkeit und Entzug
Tranquilizer
Psychische Entzugserscheinungen
Geistig-zentralnervöse Entzugserscheinungen
Vegetative Entzugserscheinungen
Motorische Entzugserscheinungen
Häufigkeitsangaben
Über die Entzugserscheinungen
Risikofaktoren
Psychostimulanzien
Entzugserscheinungen
Carbamazepin
Lithium
Keine Absetzprobleme?
Psychische Absetzprobleme
Antidepressiva
Entzugserscheinungen bei Selbstversuchen
Entzugserscheinungen bei psychiatrischem Einsatz
Psychische Entzugserscheinungen
Geistig-zentralnervöse Entzugserscheinungen
Vegetative Entzugserscheinungen
Motorische Entzugserscheinungen
Häufigkeitsangaben
Über die Entzugserscheinungen
Neuroleptika
Entzugserscheinungen bei nichtpsychiatrischer Praxis
Anhaltende Mittelwirkung
Psychische Entzugserscheinungen
Geistig-zentralnervöse Entzugserscheinungen
Vegetative Entzugserscheinungen
Motorische Entzugserscheinungen
Häufigkeitsangaben
Über die Entzugserscheinungen
Antiparkinsonmittel
Tipps zum Absetzen
Die Absetzempfehlungen von David Richman
Allmählicher und stufenweiser Entzug: die 10 %-Formel
Weitere Ratschläge
Spezielle Aspekte
Tranquilizer
Psychostimulanzien
Carbamazepin
Lithium
Antidepressiva
Neuroleptika
Mittel zur Linderung von Neuroleptikawirkungen
Kombinationen
Leben ohne Psychopharmaka
Schlussbetrachtung
Schlusswort
Dunkelziffer
Schwankungen im Blutspiegel
Kombinationen
Neuroleptika, die gefährlichsten Psychopharmaka
Zusatzrisiken
Resümee
Anhang
Fachbegriffe, Fremdwörter, Abkürzungen
Quellen
Über den Autor

Vorwort zur eBook-Neuausgabe 2018

Seit der Originalausgabe des Buches 1996 hat sich einiges geändert. Manche Psychopharmaka sind vom Markt genommen worden, neue kamen hinzu. Der Elektroschock wird zunehmend verabreicht. Nicht geändert hat sich der Anstieg der Verordnungszahlen von Antidepressiva und Neuroleptika, insbesondere der neuen, patentgeschützten, gewinnbringenden und deshalb massiv beworbenen Substanzen. Einige dieser Antidepressiva und Neuroleptika wurden schon 1996 oder zuvor eingeführt, sind also in diesem Buch enthalten. Bei den Neuroleptika sind dies Amisulprid, Clozapin, Risperidon und Sulpirid, bei den Antidepressiva Citalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Mirtazapin, Paroxetin, Sertralin und Venlafaxin.

Nach 1996 auf den Markt gekommene bzw. als neu geltende Substanzen finden Sie in dem Buch »Neue Antidepressiva, atypische Neuroleptika – Risiken, Placebo-Wirkungen, Niedrigdosierung und Alternativen« von Peter Lehmann, Volkmar Aderhold, Marc Rufer und Josef Zehentbauer (siehe Anzeige am Ende dieses eBooks und www.peter-lehmann-publishing.com/neue-ebook). Es enthält zudem einen ausführlichen Exkurs zur Wiederkehr des Elektroschocks mit Informationen zu seinen modernen Varianten, den ausgeweiteten Indikationen, den von den Anwendern intern eingestandenen Schäden, den besonderen Risiken bei seiner Anwendung in der Schwangerschaft und den Appell der Anwender (die als Sprachrohr der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde – DGPPN) fungieren, Patientenverfügungen gegebenenfalls zu übergehen und mit rasch und massiv verabreichten Elektroschocks vollendete Tatsachen zu schaffen.

Geändert hat sich auch die Rechtslage zumindest in Deutschland. Gemäß BGB § 1901a (Patientenverfügungsgesetz) können auch Menschen mit psychiatrischen Diagnosen einigermaßen rechtswirksam verfügen, wie sie zukünftig behandelt oder nicht behandelt werden wollen. Es ist ratsamer denn je, eine Psychosoziale Patientenverfügung zu verfassen (Lehmann, 2015).

Mittlerweile sind die Ausführungen in »Schöne neue Psychiatrie« zur verminderten Lebenserwartung psychiatrischer Patientinnen und Patienten vielfältig bestätigt worden. Fachintern diskutieren Psychiater, die ihre Augen nicht komplett vor der Wirklichkeit verschließen, in Deutschland (siehe Hoffmann, 2007; Aderhold, 2007) und international über die Ursachen der ca. zwei bis drei Jahrzehnte verminderten Lebenserwartung. 2006 wies beispielsweise Joe Parks, Vorsitzender des Beirats der Ärztlichen Leiter der US-amerikanischen National Association of State Mental Health Program Directors, auf die große Zahl früh sterbender Patientinnen und Patienten »mit schwerer psychischer Erkrankung«, das heißt Menschen mit den Diagnosen »Schizophrenie«, »bipolare Störung«, »schwere Depression« oder »Persönlichkeitsstörung«). Der Psychiater warnte:

»Es ist seit Jahren bekannt, dass Menschen mit schwerer psychischer Erkrankung früher sterben als die Durchschnittsbevölkerung. Allerdings zeigen jüngste Ergebnisse, dass sich die Rate für Anfälligkeiten (Krankheit) und Sterblichkeit (Tod) in diesem Personenkreis beschleunigt hat. Tatsächlich sterben Menschen mit schwerer psychischer Erkrankung nunmehr 25 Jahre früher als die Durchschnittsbevölkerung.« (Parks, 2006)

Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen wies Parks auf den Zusammenhang des frühen Todes mit den Neuroleptika der neuen Generation hin:

»Allerdings sind mit zunehmender Zeit und Erfahrung die antipsychotischen Medikamente der zweiten Generation stärker mit Gewichtszunahme, Diabetes, Dyslipidemie (Fettstoffwechselstörung), Insulinresistenz und dem metabolischen Syndrom (Komplex aus Übergewicht, Störungen des Fettstoffwechsels, Bluthochdruck und Insulinresistenz) in Verbindung gebracht worden, die Überlegenheit des klinischen Ansprechverhaltens (außer für Clozapin) wurde bezweifelt. Andere psychotrope Medikationen, die ebenfalls mit Gewichtszunahme verbunden sind, können ebenso Anlass zur Sorge geben.« (Parks et al., 2006, S. 6)

Die seit Jahren steigenden Verordnungszahlen zeugen nicht gerade von großer Sorge unter Psychiatern.

Quellen

Aderhold, Volkmar (2007): »Mortalität durch Neuroleptika«, in: Rundbrief des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener, Nr. 3, S. 11-15

Hoffmann, Michaela (für die Redaktion) (2007): »Liebe Leserinnen und Leser«, in: Soziale Psychiatrie, 31. Jg., Nr. 4, S. 2

Lehmann, Peter (18.12.2015): »PsychPaV – Psychosoziale Patientenverfügung. Eine Vorausverfügung gemäß StGB § 223 und BGB § 1901a«

Parks, Joe (Oktober 2006): Foreword, in: Joe Parks, Dale Svendsen, Patricia Singer & Mary Ellen Foti (Hg.): »Morbidity and mortality in people with serious mental illness«, Online-Publikation, Alexandria: National Association of State Mental Health Program Directors, Medical Directors Council, S. 4

Parks, Joe / Svendsen, Dale / Singer, Patricia / Foti, Mary Ellen (Hg.) (Oktober 2006): »Morbidity and mortality in people with serious mental illness«, Online-Publikation, Alexandria: National Association of State Mental Health Program Directors, Medical Directors Council

August 2018

Peter Lehmann

Einleitung

Wer Klarheit über die Risiken will, die mit der Verabreichung von psychiatrischen Psychopharmaka verbunden sind, muss sich mit deren Wirkungsweise und Auswirkungen auseinandersetzen, erst recht, wenn ärztlicherseits das Interesse an einer umfassenden Aufklärung zu wünschen übrig lässt. Das Buch kann angesichts der Inhalte zugegebenermaßen keine leichte Lektüre sein. Umfassende und eindeutige Informationen, die in dieser Form von Seiten der Ärzte und Psychiater den sogenannten Laien nach wie vor vorenthalten werden, sollen das psychiatrische Dilemma (»Schöne neue Psychiatrie«) beim Namen nennen und dazu beitragen, das kritische Potenzial der Betroffenen und ihnen nahestehender Personen zu schüren. Sie können so – sofern sie überhaupt die Chance haben – selbst wählen und sich eigenständig für oder gegen Psychopharmaka entscheiden. Ist bereits ein Schaden eingetreten, soll der Nachweis erleichtert werden, dass der Schaden auf die Behandlung zurückzuführen ist.

Wem Psychopharmaka verabreicht werden

Schon seit Jahrhunderten verabreicht man alle denkbaren Substanzen, um die menschliche Psyche zu beeinflussen. Heutzutage ist es üblich, unangenehme und störende Gefühle und damit verbundene Einstellungen und Handlungsweisen mit Drogen aller Art zu unterdrücken oder Gefühle mit vermeintlichen Glückspillen künstlich zu produzieren. Viele Männer und Frauen denken, sie bräuchten Psychopharmaka zum Wohlbefinden und Überleben. Diesen Haltungen entspricht das nahezu unerschöpfliche Reservoir an Substanzen, die man als Psychopharmaka einsetzen kann. Im medizinisch-psychiatrischen Bereich sind dies neben Neuroleptika vor allem Antidepressiva.

Bewältigung der Alltagspflichten von Hausfrauen, Erziehungs- und Verhaltensprobleme von Kindern und Unzufriedenheit von Alten sind einige der umsatzträchtigen Indikationen, die in Werbeanzeigen mehr oder weniger direkt immer wieder genannt werden und zur Verschreibung psychiatrischer Psychopharmaka anregen sollen. Dies belegen zum Beispiel die Werbeanzeigen für das Neuroleptikum Compazine (Wirkstoff Chlorperazin; in Deutschland, Österreich und der Schweiz 1996 nicht im Handel) 1416, das Antidepressivum Insidon 485, das Neuroleptikum Dogmatil (»das sanfte Psychopharmakon«) 1351 und das Neuroleptikum Mellaril (Wirkstoff Thioridazin; 1996 im Handel als Melleretten, Melleril, Sonapax und Thioridazin) 1293:XIV. Die Schürholz Arzneimittel GmbH in München lieferte in ihrer Dogmatil-Anzeige gleich die Palette der Indikationen für die Verabreichung durch Kinderärzte:

»Verhaltensstörungen, psychoaffektives Fehlverhalten, aggressives Verhalten, Oppositionsverhalten, übermäßige Gehemmtheit, psychomotorische Instabilität, Agitiertheit, Phobien, Schlafstörungen, Tics, Nägelbeißen, Anpassungsstörungen in der Schule, Enuresis (Bettnässen), psychogene Anorexie (Appetitlosigkeit).« 1351

Illustrationen wie in der Anzeige für das Neuroleptikum Trilafon1311 führen dem Mediziner leichtverständlich vor, dass man per Spritze ›hysterischen‹ und anderen Frauen mit störendem Gefühlsleben wirksam helfen kann, nämlich indem man sie gleichsam wie einen Flaschengeist in die Ampulle verbannt. Problemlos lässt sich mit dem Antidepressivum Faverin (Wirkstoff Fluvoxamin; 1996 im Handel als Fevarin und Floxyfral) der unglücklichen Frau ein heiter lächelnder Mund einsetzen 375. Für Frauen, die unter dem »Syndrom des leeren Nestes« leiden, annoncierte man Triavil. Dieses Kombinationspräparat aus dem Neuroleptikum Perphenazin (1996 im Handel als Decentan, Perphenazin und Trilafon) und dem Antidepressivum Amitriptylin (1996 im Handel als Amineurin, Amitriptylin, Novoprotect, Saroten, Syneudon und Tryptizol; enthalten in Acordin, Betamed und Harmomed)

»... könne oft Frauen in den Wechseljahren helfen, erfolgreich mit einer neuen und anderen Rolle klarzukommen, wenn die Kinder erwachsen und aus dem Haus sind.« 1044:1

70 % aller Psychopharmaka werden Frauen verordnet 64. »Man kann sagen,« schrieb die Journalistin Ingrid Füller 1994 in dem Buch »Schlucken und ducken«,

»… dass Frauen – in der Regel widerspruchslos – das herunterschlucken, was ihnen der Arzt verordnet, bzw. das, was die Anzeigenflut der pharmazeutischen Industrie, die ja gezielt in den Frauenzeitschriften auftaucht, ihnen vermittelt: die Botschaft ›Für jedes Problem gibt es eine Pille‹«. 465:7

Frauen erhalten die doppelte Menge an Psychopharmaka, da sie häufiger zum Arzt gehen, so C. Hock von der Münchner und Franz Müller-Spahn von der Basler Psychiatrischen Universitätsklinik 689. Da sie insbesondere in ihrer Rolle als Mutter immer funktionieren sollen, stehen sie zudem ständig unter Druck, eigene Probleme aller Art zu unterdrücken, und sei es durch Psychopharmaka. Außerdem werden bei Frauen signifikant häufiger als bei Männern Persönlichkeitsstörungen attestiert und Psychodiagnosen gestellt 1312: Schlafstörung, Depression, Neurose, Psychose oder Schizophrenie bis zu dreimal so häufig 507.

Die Zahl der Frauen in der Gerichtspsychiatrie ist zwar wesentlich geringer als diejenige der Männer; prozentual gesehen werden Frauen, die unter emotionaler Beteiligung Delikte begingen, jedoch siebenmal häufiger als Männer als psychiatrische Fälle diagnostiziert und in Hochsicherheitsanstalten geschickt, so das Ergebnis einer Untersuchung der britischen Tageszeitung Observer aus dem Jahre 1990. Die Wahrscheinlichkeit, dass man bei Frauen eine psychiatrische Behandlung anordnet, wenn sie vor Kriminalgerichten erscheinen, ist doppelt so hoch wie bei Männern 249.

Alte Frauen sind von psychiatrischen Verordnungen besonders betroffen. Karl Kimbel, Geschäftsführer der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, wies 1987 darauf hin, dass 1985 auf 100 Frauen im Alter zwischen 71 und 80 Jahren 228 Verordnungen für Psychopharmaka kamen, bei den Über-80-Jährigen sogar 282 833.

Neben älteren Menschen und Frauen werden auch Kinder zunehmend psychopharmakologisch behandelt. In der Bundesrepublik Deutschland erhielten 1984 16,3 % der Kinder im Alter von null bis zwölf Jahren Psychopharmaka 1575. Wie Krankenkassen in Nordrhein-Westfalen ein Jahr später mitteilten, wurde jede siebte Psychopille von Kindern unter zwölf Jahren geschluckt 1209. Nach Angaben der Frankfurter Rundschau lag die Gesamtzahl der psychopharmakabehandelten Kinder im Alter bis zu 14 Jahren in der BRD 1988 bei rund 900.000 1210.

1989 wurden laut Bayernkurier 5 % der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren als psychisch krank und behandlungsbedürftig betrachtet 836, ein Jahr später berichtete die Welt von 15 % psychisch gestörten Kindern und Jugendlichen 1207. Gemäß einer 1996 publizierten Studie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich weisen 22,5 % der Kinder und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter im Kanton Zürich »eine oder mehrere psychische Störungen oder Verhaltensauffälligkeiten gemäß klinischen Kriterien auf« 1346a:58, wobei bei Kindern der Unterstufe (1. bis 3. Klasse) ein Spitzenwert von 32,7 % Störungen aufgespürt wurde. Angesichts solcher Behauptungen kann man sich an allen zehn Fingern abzählen, dass die Psychopharmaka-Verordnungen weiter zunehmen werden. »Die Zahl der in Gebrauch befindlichen Psychopharmaka ist beachtlich und als solche ein Beleg für enorme Fortschritte...« 1125:83, meinte 1984 Joest Martinius gemeinsam mit Kollegen in einem Lehrbuch für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Mit dieser Haltung wurde er 1988 prompt zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie gewählt. Dies ist kein Symptom spezieller deutscher Kinderfeindlichkeit. K. Makita von der Psychiatrischen Universitätsklinik Tokio meinte beispielsweise beim kinderpsychiatrischen Symposium des Weltkongresses für Psychiatrie 1977 in Hawaii, es sei prinzipiell

»... nichts gegen eine notwendige oder hilfreiche medikamentöse Therapie in der kinderpsychiatrischen Praxis einzuwenden. Zudem wird die medikamentöse Behandlung in der Kinderpsychiatrie immer mehr an Boden gewinnen, denn heute besteht die Tendenz, den psychogenen Faktoren nicht mehr so große Bedeutung beizumessen wie früher und statt dessen, gemäß den modernen Ansichten in Bezug auf psychische Störungen, umzudenken und die biologische Mitbeteiligung stärker in Betracht zu ziehen.« 991a:15

Daraufhin fragte der Kongressteilnehmer J.E. Halasz aus Chicago offenbar voller Ernst:

»Man kann sich zwar fragen, was Kinderschizophrenie eigentlich ist, aber immerhin gibt es einige Autoren, die versuchen, zwischen der ›Kinderschizophrenie‹ und der Schizophrenie im Erwachsenenalter einen Zusammenhang herzustellen. (...) Nach diesen Autoren beginnen sich jetzt bestimmte biologische Merkmale, zum Beispiel eine ungleichmäßige, ruckartig erfolgende Entwicklung, als Zeichen für ein hohes Schizophrenierisiko herauszukristallisieren. Hat schon jemand eine prophylaktische Behandlung mit Neuroleptika versucht?« 598a

Tendenz steigend heißt es aber auch bei den Erwachsenen. Bereits jeder fünfte Bürger der (alten) BRD sei psychisch krank, meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 31. Mai 1991 470.

Wer Psychopharmaka verschreibt

Der Irrtum, nur bei psychiatrischen Diagnosen würden Psychopharmaka verschrieben, kann ebenso verhängnisvoll sein wie die Annahme, nur Psychiater würden sie verordnen. Im Rahmen der sogenannten Kurierfreiheit und angesichts der Beliebigkeit der Indikationen überrascht es wenig, dass es Allgemeinmediziner sind, die am häufigsten den Namen eines Psychopharmakons auf ihren Rezeptblock schreiben. Cornelia Krause-Girth von der Psychiatrischen Universitätsklinik Frankfurt am Main nannte 1989 Zahlen:

»Der weitaus größte Teil aller Psychopharmaka-Verordnungen kommt von drei Facharztgruppen: praktischen Ärzten, Internisten und Nervenärzten, das heißt Neurologen und Psychiatern. Die restlichen Facharztgruppen verordnen zusammen nur etwa vier Prozent aller Psychopharmaka. Von Nervenärzten, Neurologen und Psychiatern werden rund 1/3 aller Antidepressiva und Neuroleptika verordnet, aber nur sieben Prozent aller Tranquilizer. In anderen Ländern, aus denen vergleichbare Daten vorliegen, ist es ähnlich. In den USA verordnen die Psychiater sogar nur fünf Prozent aller psychotropen (die Psyche beeinflussenden) Medikamente.« 888:20

Bei der Verordnungsmenge von Psychopharmaka an Kinder liegen Kinderärzte nach Allgemeinmedizinern an zweiter Stelle 1209.

Der mit dem Ausbau der Gemeindepsychiatrie und einer Zunahme der Zahl niedergelassener Psychiater verbundene Anstieg der Zwangsunterbringungen, den der Bremer Medizinsoziologe und Psychiater Georg Bruns 1993 in seinem Buch »Ordnungsmacht Psychiatrie?« nachwies 174:75ff., dürfte neben einer Reihe anderer Faktoren ebenfalls zum Anstieg der Verabreichungsmengen von Psychopharmaka in den nächsten Jahren beitragen. So genau wie niemand zuvor befasste sich Bruns mit den weiteren Konsequenzen der Ausweitung der Psychiatrie, als er formulierte:

»Die sozialpsychiatrischen Dienste mit dem in verschiedenen Fragen speziell ihnen erteilten Auftrag, die Bestimmungen eines PsychKGs (›Psychisch-Kranken‹-Gesetzes) auszufüllen, suchen selbst und werden von anderen Diensten dazu gebracht, das ihnen zur Verfügung stehende Instrumentarium auch anzuwenden und auf diese Art und Weise eine ›Zwangseinweisungsklientel‹ zu schaffen – ein Prozess der existentiellen Selbstrechtfertigung dieser Dienste, die, sind sie einmal installiert, von den in ihnen Tätigen mit Zähnen und Klauen verteidigt werden, handelt es sich doch großenteils um Angehörige von Berufsgruppen, die schlecht definierte Arbeitsfelder besitzen und einem hohen Risiko der Arbeitslosigkeit ausgesetzt sind (von 10,5 Planstellen eines Stadtteil-SpsD in Bremen sind vier für Sozialarbeiter und eine für Psychologen vorgesehen). Die institutionelle Selbstrechtfertigung der Dienste und die Notwendigkeit der materiellen Reproduktion der in ihnen Tätigen koinzidieren und verbinden sich zu einem vermutlich weitgehend unbewussten dynamischen Motiv, ›schwere Fälle‹ in Form von Zwangseinweisungen zu produzieren.« 174:110

Marktentwicklung von Psychopharmaka

Auf die Diagnostizierten warten unterschiedliche psychiatrische Anwendungen. Der Trend geht seit 1985 kontinuierlich weg von Tranquilizern und hin zu Antidepressiva und Neuroleptika 975:364. Der Spiegel nannte 1995 eine der Ursachen:

»Der Rückgang der Tranquilizer, vor allem der Benzodiazepine, bei gleichzeitigem Anstieg der Verschreibungen von Antidepressiva, Neuroleptika und pflanzlichen Therapeutika liegt im wirtschaftlichen Interesse der Pharmafirmen: Weil die Patente abgelaufen sind, sinkt der Preis der Benzodiazepine; Nachahmerpräparate sind verfügbar. Antidepressiva und Neuroleptika hingegen sind neu und deshalb teuer.« 891:146

Hinzu kommt, dass inzwischen Behandler und Hersteller von Tranquilizern zu Schadenersatzzahlungen wegen unterlassener Warnung vor dem Abhängigkeitspotenzial dieser Substanzen verurteilt wurden. Tranquilizer werden im Durchschnitt zehn Jahre lang verabreicht. Neuroleptika sollen an Menschen mit der Diagnose »Schizophrenie« zwar häufig noch länger, zum Teil lebenslänglich verabreicht werden, doch wird deren abhängig machende Wirkung bisher bestritten, auch wenn man sie in fachinternen Veröffentlichungen längst zugegeben hat (siehe Kapitel »Abhängigkeit und Entzug«). Wenn Neuroleptika lebenslang genommen werden sollen, ist die Abhängigkeit auch deshalb kein Thema, weil sie sehr gelegen kommt.

Das deutsche Verordnungsspektrum der psychiatrischen Psychopharmaka ist im jährlich erscheinenden Arzneiverordnungs-Report beschrieben. Dort sind auch die jährlichen Verordnungszahlen der einzelnen Psychopharmakagruppen graphisch dargestellt.

1993 lagen der Absatz von Neuroleptika und Antidepressiva etwa gleich hoch. Der Report berichtete 1995:

»Eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Psychopharmakagruppen zeigt eine sehr unterschiedliche zeitliche Entwicklung. Die Verordnungen von Tranquillantien sind in den letzten zehn Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Dieser Trend wurde nach der Vereinigung Deutschlands nur kurzfristig durch die Einbeziehung der ostdeutschen Verordnungsdaten unterbrochen. Er hat sich 1994 verstärkt fortgesetzt. Umgekehrt nahmen Neuroleptika und Antidepressiva eine stetige entgegengesetzte Entwicklung, die durch die Verordnungen aus den neuen Bundesländern noch deutlicher wurde. Infolgedessen haben die Tranquillantien ihre früher dominierende Stellung verloren und machen inzwischen deutlich weniger als ein Drittel des Verordnungsvolumens von Psychopharmaka aus.« 975:364

Auch die Entwicklung der Umsatzzahlen der einzelnen Psychopharmaka in der BRD kann hier verfolgt werden. Unter den Neuroleptika war 1994 Haloperidol der umsatzstärkste Wirkstoff, Haldol der Spitzenreiter unter den Handelsprodukten. Es folgten Promethazin (Handelsnamen Atosil und Prothazin), Imap, Eunerpan, Melleril, Neurocil, Fluphenazin (Handelsnamen Dapotum und Lyogen), Taxilan und Dipiperon. Im Gegensatz zum Vorjahr hatte die Zahl der Verschreibungen 1994 insgesamt wieder zugenommen. Die mit Abstand höchste Umsatzsteigerung konnte Ciatyl-Z verbuchen, gefolgt von Haloperidol, Propaphenin (Wirkstoff Chlorpromazin) und Fluphenazin. Das Umsatzniveau von Leponex, dessen Wirkung sich weniger in der gut sichtbaren Motorik als vielmehr in den inneren Organen niederschlägt, blieb bestehen, wogegen der Umsatz von Sulpirid-Präparaten (Handelsnamen Dogmatil und Meresa), die man auch als Antidepressiva verkaufen kann, leicht zurückging 974.

1992 hatten insbesondere Psychopharmaka mit multiplen Indikationen die stärksten Zuwachsraten, vor allem Atosil und Imap 1,5 mg, das man auch als Tranquilizer verkauft und das von den Herstellern zur Verabreichung bei sogenannten nicht-psychotischen Störungen empfohlen wird.

Manche Psychiater sind mit der Entwicklung der Verabreichungszahlen offenbar nicht zufrieden. Reimer beispielsweise nutzte 1991 die Psychiatriezeitung Eppendorfer als Sprachrohr, seiner Forderung nach Befreiung der Psychiatrie von »modischem Firlefanz« und einem Verbot der psychotherapeutischen Verfahren Nachdruck zu verleihen, damit Sachlichkeit, Nüchternheit und verstärkte Anwendung von Elektroschocks die psychiatrische Tätigkeit noch mehr prägen als jetzt 145.

Wer Neuroleptika bekommt

Am häufigsten und intensivsten werden Neuroleptika verabreicht, wenn sich Psychiater für die Diagnose »Schizophrenie« entscheiden 644. Die Verabreichung ist »wie Essen und Trinken in vielen Fällen die Basis der Therapie« 737:6, so Psychiater in einer Werbebroschüre der deutschen ›Bundesarbeitsgemeinschaft der Träger psychiatrischer Krankenhäuser‹ Anfang der 1990er Jahre. Klinikinsassen und -insassinnen mit der Diagnose »Schizophrenie« erhalten in 95 % aller Fälle Neuroleptika 1319. In psychiatrischen Universitätskliniken liegt die Rate noch um ein Prozent höher; bei der Diagnose »Depressionen« wird die Rate der Neuroleptikaverabreichung mit über 50 % angegeben, bei der Diagnose »Neurosen« mit 41 % 546:33. Dabei werden ca. 25 % der Untergebrachten mit hochdosierten Neuroleptika behandelt 867.

Außerhalb von psychiatrischen Kliniken, wo die Überwachungsmöglichkeiten geringer sind, liegt die Verabreichungsrate von Neuroleptika bei knapp 60 % 888:93. George Crane vom National Institute of Mental Health (NIMH) in Chevy Case, Maryland, vermutete bereits 1973, in den USA und Europa lebten nur wenige ›Schizophrene‹, denen nicht bereits mindestens einmal Neuroleptika verabreicht wurden 262. Auch beim sogenannten manisch-depressiven Irresein (›affektive Psychose‹) gelten Neuroleptika als »Methode der ersten Wahl« 433:62. Finzen: »Die Behandlungsrichtlinien sind verhältnismäßig einfach: hochpotente Neuroleptika in hoher Dosierung über einen längeren Zeitraum.« 436:130 Helmchen und Kollegen stellten klar:

»Kernstück der Therapie schizophrener und manisch-depressiver Kranker ist heutzutage die medikamentöse Behandlung mit Psychopharmaka (Neuroleptika und Antidepressiva).« 403:6

Allerdings ist dies kein Grund für Menschen mit anderen Diagnosen, sich nicht angesprochen zu fühlen. Krause-Girth schlüsselte die erwähnte Häufigkeitsverteilung der Diagnosen auf:

»Neuroleptika werden zu einem großen Teil bei Diagnosen außerhalb ihres Indikationsbereiches eingesetzt. Nur 40 Prozent der Verordnungen werden mit Psychosen begründet, 20 Prozent mit Neurosen, 16 Prozent mit mangelhaft behandelten Krankheiten, acht Prozent mit Symptomen, vier Prozent mit Hirngefäßerkrankungen, die restlichen zwölf Prozent verteilen sich auf ganz unterschiedliche Krankheiten.« 888:93

Auch unter den Neuroleptika-Behandelten sind es die wehrlosesten oder vertrauensseligsten, die am stärksten behandelt werden. »Alle Neuroleptika werden Frauen deutlich häufiger verschrieben, bei Imap ist das Verhältnis sogar 78 zu 22 Prozent« 888:96, so Krause-Girth.

Neben der Geschlechtszugehörigkeit ist das zunehmende Alter ein gewichtiger Risikofaktor. Besonders aus den USA kommen verstärkt besorgniserregende Nachrichten. Während dort der Bevölkerungsanteil der über 60 Jahre alten Menschen 1985 bei 11 % lag, betrug ihr Anteil an Neuroleptikaverschreibungen über 33 %. Können ältere Menschen nicht mehr weglaufen, werden besonders häufig Neuroleptika verabreicht. Eine Untersuchung von 1986, die sich 2000 chemischen Substanzen und Millionen von Verschreibungen widmete, ergab, dass 60,5 % der Verordnungen an die über 65 Jahre alten Altenheimbewohnerinnen und -bewohner Neuroleptikaverschreibungen waren 1011. Laut einer 1989 publizierten Studie von Jerry Avorn und Kollegen der Harvard Medical School in Cambridge (Massachusetts), durchgeführt in 55 Altenheimen in Massachusetts, erhielten 55 % von 1201 Untersuchten zumindest ein psychiatrisches Psychopharmakon. 39 % bekamen Neuroleptika verabreicht, die übrigen Antidepressiva, Lithium und Tranquilizer. Bei der Neuroleptikagruppe war der Prozentsatz der Mehrfachverordnungen mit Abstand am höchsten. Die Verschreibungen waren immer wieder automatisch erneuert worden 57. Eine zweite Arbeit brachte 1989 ähnliche Ergebnisse:

»In einer Folgestudie untersuchten wir 837 Bewohner in 44 Altenheimen mit teilweise hohen Dosen antipsychotischer Medikamente. Bei ungefähr der Hälfte von ihnen war im Untersuchungsjahr offensichtlich kein Arzt an Entscheidungen über ihren psychischen Zustand beteiligt. (...) Wir kommen zum Schluss, dass Psychopharmaka in Altenheimen weit verbreitet sind, wobei die Mitarbeiter nur ein geringes medizinisches Verständnis von den möglichen Nebenwirkungen besitzen und der Gebrauch nur wenig medizinisch überwacht wird.« 57:227

Verordnet werden Psychopharmaka in Altenheimen von Allgemein- und praktischen Ärzten. In der Meinung, die Verordnung durch einen Psychiater sei eher vertretbar, beklagte sich Joachim Spahr aus Esslingen beim Spiegel über die ›unfachmännische‹ Verschreibung:

»In meiner sechsjährigen Berufspraxis als Altenpfleger kann ich mich an keinen einzigen Fall erinnern, wo Psychopharmaka – so wie es für eine gesicherte Diagnose erforderlich wäre – von einem Neurologen oder Psychiater verordnet wurden, sondern in der Regel werden sie von den behandelnden Hausärzten verschrieben.« 1433

Viele Behandler meinen, dass ab einem bestimmten Alter Geschlechtsunterschiede im ›Bedarf‹ nach Neuroleptika auftreten. »Frauen über 40 benötigten in aller Regel höhere Dosen als Männer« 1360:126, schrieb Mary Seeman vom Clarke Institute of Psychiatry in Toronto.

Privatversicherten werden hierzulande seltener Neuroleptika verabreicht als Kassenversicherten 888:98. Dies hat wahrscheinlich damit zu tun, dass Behandler gegenüber anderen Besserverdienenden mehr Verständnis aufzubringen bereit sind. In Einzelfällen kann die Frage der Versicherung eine andere Rolle spielen, zum Beispiel wenn Chefärzte im Rahmen der Privatliquidation Geräte, Einrichtungen und Personal von psychiatrischen Kliniken und Krankenhausstationen nutzen, um sich durch eine aufwendige und vor allem teure Behandlung Zusatzeinnahmen zu verschaffen. Die Großzügigkeit von Privatversicherungen schlägt sich dann in besonders intensiven psychiatrischen Anwendungen nieder.

Wie eine privat abgerechnete Intensivbehandlung aussehen kann, wird beispielhaft deutlich an der multiplen Verabreichung psychiatrischer Anwendungen durch den damaligen Chefarzt der Psychiatrischen Universitätsklinik Mainz, Peters. Einer gerade 18 Jahre alt gewordenen jungen Frau hatte er unter der Diagnose »Verdacht auf progrediente (fortschreitende) psychiatrische Auffälligkeiten, die über das Ausmaß einer Pubertätskrise hinausgehen« folgendes verabreicht, wie diese 17 Jahre später ermitteln konnte:

»5 Elektroschocks, wochenlang tägliche Insulinschocks (400 Einheiten i.v.), Antidepressiva-Infusionen, 14 verschiedene Neuroleptika, Tranquilizer, Antidepressiva und Barbiturate plus Kreislaufmittel plus Anti-Parkinsonmittel. Der Speiseplan am 28. März 1976, einem schockfreien Tag, sah zum Beispiel so aus: Lyogen retard 3 mg, Melleril retard 2 x 30 mg, Ordinal retard 1 Dragee, Dihydergot 3 x 20 Tropfen, Tavor 2,5 mg, Pertofran 75 mg, Akineton retard 1 Dragée, Luminal 3 x 1,0 Tabletten, Valium 2 x 10 mg, Valium 20 mg i.m. Zusätzlich zum E-Schock vom 16. März 1976 und den dabei verabreichten Herz-, Beruhigungs- und Betäubungsmitteln (Atropin, Brevimytal, Succinylcholin) gab es neben weiteren Kreislaufmitteln 2 Neuroleptika, 2 Tranquilizer und 1 Antidepressivum. Die laut Peters ›exzessiv hohe‹ Dosis von 400 Einheiten Alt-Insulin i.v. reicherte er noch an mit 3 mg Lyogen, 2 x 200 mg Melleril, 1 Dragée Ordinal, 3 x 20 Tropfen Dihydergot, 2,5 mg Tavor und 1 Luminal. Am 20. Februar 1976 brauchte er zusätzlich 10 Ampullen Traubenzucker i.v., um mich aus dem Koma zu holen.« 421:52

Mitglieder von Bevölkerungsgruppen, die weniger Ansehen und Einflussmöglichkeiten haben, werden mit größerer Wahrscheinlichkeit psychiatrischer Behandlung zugeführt als die Teilhaber gesellschaftlicher Macht. In Staaten wie den USA, wo die ›richtige‹ Hautfarbe häufig eine Voraussetzung für den sozialen Aufstieg ist, werden beispielsweise Schwarze öfter und länger psychiatrisiert sowie höherdosiert mit Neuroleptika behandelt. In den Südstaaten werden Schwarze dreimal so oft in die psychiatrische Klinik gebracht wie Weiße 1485. In England spricht man vom »›big, black and dangerous‹-syndrome« (»›Groß, schwarz und gefährlich‹-Syndrom«)1435, um die Vorurteile der Behandler zu bezeichnen, die zur hochdosierten Neuroleptikabehandlung von groß gewachsenen und scheinbar gefährlichen Menschen mit starker Hautpigmentierung führen. Auch unter Elektrogeschockten sind ethnische Minderheiten überrepräsentiert 966. Handelt es sich um schwarze Frauen, wird die Diagnose »Schizophrenie« überproportional oft gefällt und die Verabreichung von Neuroleptika entsprechend häufig angeordnet 1216.

Zur Neuroleptikaverabreichung an Kinder lieferte Psychologie heute 1984 konkrete Zahlen. Zu diesem Zeitpunkt wurde Promethazin Kindern bis zu zwölf Jahren in der BRD alleine unter dem Handelsnamen Atosil 170.000 mal verordnet, davon 100.000 mal an Ein- bis Fünfjährige und 30.000 mal an Säuglinge 708.

Wer Antidepressiva bekommt

Da Frauen sehr viel öfter die entsprechenden Diagnosen erhalten, ist es selbstverständlich, dass ihnen häufiger Antidepressiva verordnet werden. Mit zunehmendem Alter steigt bei Männern wie bei Frauen die Wahrscheinlichkeit, Antidepressiva zu erhalten, und ab Beginn des Rentenalters bleibt die Verordnungsrate auf konstant hohem Niveau 888:175. Auch Kinder erhalten Antidepressiva. Wie Shader und Kollegen ausführten, gelten als Indikationen zur Hälfte Bettnässen, da Antidepressiva als ›Nebenwirkung‹ tendenziell Harnverhalten bewirken, und zur Hälfte Verhaltensauffälligkeiten 367, die man chemisch neutralisieren will.

Im Arzneiverordnungs-Report beschrieb man die Marktentwicklung:

»Insgesamt haben die Verordnungen von Antidepressiva eindrücklich zugenommen. Dies betrifft vor allem die klassischen trizyklischen Substanzen mit eher dämpfenden und anxiolytischen (angstlösenden) Eigenschaften wie Amitriptylin, Doxepin und Trimipramin...« 975:369

Marktführer 1994 in der BRD waren Amitriptylin (Handelsnamen Amineurin, Amitriptylin, Novoprotect, Saroten, Syneudon und Tryptizol), Doxepin (Handelsnamen Aponal und Sinquan), Trimipramin (Handelsnamen Stangyl und Herphonal) und Insidon 975.

Lithium und Carbamazepin

Im deutschsprachigen Raum werden Lithium-Präparate unter den Handelsnamen Hypnorex, leukominerase, Li 450, Litarex, Lithiofor, Lithium, Neurolepsin, Neurolithium, Priadel, Quilonorm und Quilonum vertrieben. Ihr Absatz nahm 1994 in Deutschland stark zu 975.

Carbamazepin ist ein Antiepileptikum, das aufgrund seiner dämpfenden Wirkung auch als psychiatrisches Mittel verabreicht wird. In den deutschsprachigen Ländern wird Carbamazepin unter den Handelsnamen carba 200, Carbagamma, Carbamazepin, Carbium, Finlepsin, Fokalepsin, Neurotop, Sirtal, Tegretal, Tegretol und Timonil verkauft. In Österreich gibt es zusätzlich das Carbamazepin-verwandte Trileptal. Die Carbamazepin-Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen stiegen in der BRD im letzten Jahrzehnt kontinuierlich. Lag beispielsweise die Zahl 1991 noch bei 56 Millionen Tagesdosen, betrug sie 1994 bereits 103 Millionen 1352. Allerdings ist den Verkaufszahlen nicht zu entnehmen, ob sich die zugrundeliegenden Indikationen auf eher neurologische Erkrankungen wie Epilepsien bezogen oder auf psychiatrische Diagnosen.

Verabreichung von Psychostimulanzien an Kinder

Hierzulande sind derzeit (1996) drei Aufputschmittel auf dem Markt: die Amphetamine Captagon, Ritalin und Pemolin (Stimul, Tradon). Das bekannteste an Kinder verabreichte Psychostimulans ist Ritalin. In Österreich wurde es früher unter dem Handelsnamen Rilatin verkauft. Andere, wenn auch bei sogenannten Aufmerksamkeitsstörungen weniger gebräuchliche Amphetamine, die man Kinder schlucken lässt, sind Pemolin und das in manchen nicht-deutschsprachigen Ländern gebräuchliche Dextro-Amphetamin (Dexedrine).

Psychiater gehen davon aus, dass 4 % aller Kinder im schulpflichtigen Alter unter schwerer und chronischer Hyperaktivität leiden und deshalb mit Ritalin behandelt werden sollten 1470. In den USA mussten 1990 nach Schätzungen des NIMH bereits 1.000.000 Kinder Ritalin einnehmen 160:340; 1989 sollen 10 % aller US-Jugendlichen hyperkinetisch gewesen sein, insbesondere Jungen 1528.

Im Arzneiverordnungs-Report wiederholen Martin Lohse vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Würzburg und Bruno Müller-Oerlinghausen seit Jahren formelhaft, es bestehe bei der Indikation »hyperkinetische Verhaltensstörung« der Verdacht, dass Psychostimulanzien bei Kindern bisher unterverordnet würden 971. Während die beiden für die BRD 1990 noch einen Verkaufsrückgang von Ritalin melden mussten, zog in den folgenden Jahren sein Verkauf deutlich an 972;973;974;975.

Bei den ritalinbehandelten Kindern sind es zu 90 % Jungen 1277:195. Meist handelt es sich um Kinder leistungsorientierter Eltern 1528. Die Kinder erhalten täglich zwischen 5 mg und 200 mg. Mit der psychiatrischen Begründung, bei Verhaltens-, Schul-, Erziehungs- und Familienproblemen handele es sich um individuelle und organisch bedingte Funktionsstörungen, soll den Eltern die Zustimmung zur Chemobehandlung ihrer Kinder schmackhaft gemacht werden. U. Knölker von der Kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilung der Universitätsklinik Lübeck zum Beispiel argumentierte in dieser Weise. Nach seiner Meinung

»... stellt die Eröffnung des Arztes, dass eine Störung vorliegt, für die Kind und Eltern primär nichts können, eine wesentliche Entlastung dar, die bereits ein Teil der Therapie ist. Der Familie sollte klargemacht werden, dass ihnen geholfen werden kann, wenn alle bereit sind, daran mitzuarbeiten. (...) Insgesamt stellt die Pharmakotherapie eine wesentliche Stütze in der therapeutischen Palette des hyperkinetischen Syndroms dar.« 852:62f.

Die Kommunikation mit dem betroffenen Kind, sofern sie überhaupt (noch) stattfindet, und die Auseinandersetzung mit dem eigenen Anteil am Zustandekommen der Probleme und mit ungünstigen Schulverhältnissen werden dann zweitrangig. Kinder mit Aufmerksamkeitsproblemen bräuchten Ritalin wie Diabetiker ihr Insulin, so der Kinderarzt Martin Baren aus Orange, Kalifornien, beim Versuch, der Leserschaft des San Francisco Chronicle die ständig steigenden Verabreichungsziffern in den USA plausibel zu machen 733.

Wer Tranquilizer bekommt

Es ist sicher kein Zufall, dass man 1960 Chlordiazepoxid, den ersten Tranquilizer, zuerst bei psychiatrisierten älteren Menschen ausprobierte 244. Die bei der Verabreichung neben Sprachstörungen und Koordinationsstörungen von Bewegungen auftretende Ruhigstellung führte dazu, dass in der Folgezeit viele unzufriedene Bewohnerinnen und Bewohner von Alten- und Pflegeheimen, unbequeme und fordernde Menschen, verstärkt in den ›Genuss‹ von Tranquilizern gekommen sind. Peters und sein Kollege M. Seidel teilten 1970 mit:

»Es gelingt dem Arzt, mit Hilfe von Diazepam (1996 im Handel als diazep, Diazepam, duradiazepam, Faustan, Gewacalm, Lamra, Paceum, Psychopax, Stesolid, Tranquase, Umbrium, Valiquid, Valium und Valocordin; enthalten in Acordin, Betamed und Harmomed – P.L.) gerade von den klagsamen Patienten einen gewissen Abstand zu gewinnen.« 1165:877

Zunehmendes Alter und weibliches Geschlecht stehen mit dem steigenden Einsatz von Tranquilizern in Wechselbeziehung 530;1039. Ab dem 40. Lebensjahr, wenn sich viele vermehrt über ein sinnentleertes Leben Gedanken zu machen beginnen, gehen die Tranquilizerverordnungen sprunghaft in die Höhe 888:67. Die Hälfte aller Verschreibungen betreffen Personen zwischen 60 und 80 Jahren 689. Menschen im höheren Lebensalter erhalten besonders häufig und dauerhaft Tranquilizer, meist Benzodiazepine 506;888:70. Krause-Girth kritisierte die Anwendung in Form von Großpackungen und schrieb:

»Die massenhafte Verordnung von Benzodiazepinen an alte Menschen, bei denen sie gehäuft zu unerwünschten oder paradoxen Wirkungen führen, ist besorgniserregend.« 888:73

Neben älteren Menschen sind Frauen besonders von Tranquilizer-Verschreibungen betroffen, zwei- bis dreimal so häufig wie Männer 888:66. Frauen der mittleren Altersgruppe sind deutlich überrepräsentiert 926:146.

In der BRD erhalten schätzungsweise zwischen 10 % und 20 % der Bevölkerung Tranquilizer 505. Noch 1983 konsumierten laut »Transparenz-Telegramm« 18 % der männlichen und 27 % der weiblichen BRD-Bevölkerung Tranquilizer 1530:476. 1985 schrieb die Psychologin Sybille Ellinger vom Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf, es sei

»... davon auszugehen, dass ca. sechs Prozent der erwachsenen Bevölkerung im Bundesgebiet täglich Schmerzmittel, zwei Prozent täglich Schlaftabletten und fünf Prozent täglich Beruhigungsmittel nehmen. Auch unter der Annahme, dass diese Medikamente gleichzeitig gebraucht werden, kann man die Zahl derjenigen, die täglich mindestens einer der genannten Präparategruppen verwenden, auf ca. sieben Prozent der erwachsenen Bevölkerung schätzen; das sind etwa 3,5 Millionen Menschen.« 395:21

Allerdings sind die Zahlen seit zehn Jahren rückläufig, weshalb sich Lohse und Müller-Oerlinghausen Sorgen machen, »ob es in bestimmten Indikationen zur Untermedikation« 975:366 gekommen sei.

Die Verschreibungszahlen sind international uneinheitlich. Nahmen 1987 in den USA beispielsweise 11,1 % der Bevölkerung zwischen 18 und 79 Jahren innerhalb eines Jahres Tranquilizer, lag die Rate in den Niederlanden nur bei 7,4 %, in Belgien dagegen bei 17,6 % 810.

Marktführer 1994 unter den Tranquilizern in der BRD war Bromazepam (Handelsnamen Normoc, Lexotanil, durazanil, Gityl usw.) vor Oxazepam (Handelsnamen Praxiten, Sigacalm, Noctazepam usw.), Diazepam (Handelsnamen Faustan, Valium usw.) und Lorazepam (Handelsnamen Tavor, Tolid). Möglicherweise waren allerdings wesentlich mehr Diazepam-Präparate verkauft. Da die auf Normpackungen bezogene Rezeptgebühr höher als der jeweilige Packungspreis ist, bezahlen die Kundinnen und Kunden nur den Packungspreis, Apotheken leiten dann das Rezept nicht an die Krankenkassen weiter. Der Umsatz von Meprobamat ist relativ gering 975.

Ein Drittel aller Neuroleptika und Antidepressiva, aber nur 7 % der Tranquilizer werden von Neurologen und Psychiatern verordnet. Mit Abstand neigen praktische Ärzte und Internisten am ehesten zur Verabreichung von Tranquilizern 888:20/68. Ein Anzeigentext für Miltown (Wirkstoff Meprobamat) aus dem Jahre 1963 macht deutlich, dass Tranquilizer allen Medizinern schmackhaft gemacht werden können: Miltown sei » der Tranquilizer, der in jede Praxis gehört«, und zwar für

»… den an Schlaflosigkeit Leidenden, den gespannt-nervösen Patienten, den Patienten mit Herzstörungen, den chirurgischen Patienten, das Mädchen mit Dermatosis (krankhafter Hautveränderung), den spannungsbedingten Kopfschmerz, die Frau im Klimakterium, die mit Angst einhergehende Depression, die prämenstruelle Spannung, den erregten senilen Patienten, den Alkoholiker, das Problemkind, den gastrointestinalen (von Magen-Darm-Problemen geplagten) Patienten.« 1586:3319

Noch 1981 standen 20 % aller in Krankenhäuser eingelieferten Personen unter Tranquilizern. Bei den ambulanten Patientinnen und Patienten lag die Rate um 50 %, bei den stationären um 30 %, so Ulrich Klotz vom Stuttgarter Margarete-Fischer-Bosch-Institut für Klinische Pharmakologie. Weltweit wurden zu diesem Zeitpunkt täglich 40 Billionen Einzeldosen verschrieben 849. Dabei führen ›echte‹ medizinische Ursachen, das heißt einfach messbare Krankheiten, nur in geringem Maß zu ihrem Einsatz 534. Der häufigste Verordnungsgrund sind psychosomatische Störungen 888:58. Diesen Diagnosen lastet unter naturwissenschaftlich orientierten Medizinern der Vorwurf der Beliebigkeit an. Diese habe zur rasanten Absatzentwicklung beigetragen 1325:9, deshalb gelten »mindestens drei Viertel aller Verordnungen als nicht rational begründet« 888:59. Besteht auf Krankenstationen ein Pflegenotstand, wird dieser häufig mit Tranquilizern behoben. Die Pflegebedürftigsten, zum Beispiel hospitalisierte ältere Menschen, erhalten deshalb besonders häufig Tranquilizer 1382. Im Spiegel-Artikel »Dieser Bärenkram muss aus dem Verkehr« konstatierte Werner Platz von der Karl-Bonhoeffer-Klinik in Berlin, allenfalls jede zehnte Tranquilizerpille werde wirklich zum Wohle der Betroffenen eingesetzt, zum Beispiel bei epileptischen Anfällen, in den Tagen und Wochen nach dem Herzinfarkt, vor Operationen, bei beginnenden Psychosen oder bei künstlicher Beatmung in der Intensivstation. Der Rest sei »Verdummung, Geschäftemacherei« zit.47:164.

Verabreichung von Depot-Präparaten

In der Vergangenheit nannten Psychiater einige Gründe für die Verabreichung von Psychopharmaka in Depotform, insbesondere von Depotneuroleptika. Das Prinzip von Depotpräparaten besteht darin, dass ein Ester der Substanz, das heißt eine durch Kondensationsreaktion (vergleichbar der anorganischen Salzbildung) entstandene Verbindung, mit einer Fettsäure in einem Ölvehikel aufgelöst und intramuskulär gespritzt wird. Dadurch wird eine langsame Abgabe der Substanz aus dem Depot und eine Wirkungsdauer von einigen Wochen gesichert 923. Depotpräparate seien eine »wichtige taktische Erweiterung der Behandlungsmöglichkeiten« 635:194, meinte Kurt Heinrich, der ehemalige Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde e.V., und sein Kollege Finzen argumentierte in dieselbe Richtung:

»Wegen der Hartnäckigkeit der manischen Symptomatik und der Notwendigkeit, hochdosierte Neuroleptika über längere Zeit zu verabreichen, kann eine Depot-Medikation sinnvoll sein. Sie sichert die Medikamenteneinnahme und macht den Umgang mit dem Patienten einfacher, indem sie ihm und seinen Therapeuten den täglichen Kampf über die Frage ›Medikamente ja oder nein?‹ erspart.« 436:131

Die in ständig steigender Zahl verabreichten Depotpräparate seien nebenbei auch teurer und damit umsatzsteigernd 1073, meinte der US-amerikanische Psychiater Loren Mosher mit kritischem Unterton. Unter dem Titel »Ohne Depot-Neuroleptika geht es kaum« war 1988 in Selecta der herrschende psychiatrische Standpunkt nachzulesen, der auf dem Symposium »Depotneuroleptika – ein Konsensus« in Antwerpen 1987 formuliert worden war: »Es ist leider eine Tatsache, dass die Schizophrenie eine lebenslang andauernde Erhaltungstherapie mit Neuroleptika braucht.« 731:1480 Dieser Auffassung sind auch die Vertreter der Gemeindepsychiatrie, wie in demselben Artikel nachzulesen ist: »Sozialpsychiatrie außerhalb der Kliniken ist ohne Depot-Neuroleptika nicht durchführbar.« 731:1483 Sponsor des Kongresses war die Firma Janssen; in Deutschland vertreibt sie 1996 außer den Neuroleptika Dehydrobenzperidol, Dipiperon, Haldol, Impromen, Orap, Risperdal und Triperidol auch die Depotneuroleptika Haldol-Decanoat und Imap. »Ein wesentliches Fundament dieses ganzen Systems ist nun die psychiatrische Pharmakotherapie« 647:329, stellten Helmchen und Hippius für die gemeindenahe Psychiatrie klar. Diese Instanz zur Gewährleistung unter anderem der Depotmittelverabreichung hatten Psychiater schon lange herbeigesehnt, so auch Harald Neumann von der Freiburger Psychiatrischen Universitätsklinik, der 1961 prophezeite,

»... dass in Zukunft wahrscheinlich die Hauptaufgabe jeder nachgehenden Fürsorge der Psychiatrischen Landeskrankenhäuser sein wird, die Dauermedikation entlassener schizophrener Kranken zu überwachen...« 1111:328f.

Die gemeindenahe Psychiatrie habe sich dort, wo sie bereits praktiziert werde, als zeitgemäße und effektive Organisationsform zur Ausschöpfung der ›Chancen der modernen Psychopharmakotherapie‹ bewährt, verriet Albert Huhn von der Bonner Psychiatrischen Universitätsklinik und Schatzmeister der psychiatrischen ›Aktion Psychisch Kranke‹ 724a;vgl.1240:3. Nach den Worten Lindes ist die depotneuroleptische Behandlung die unerlässliche Voraussetzung gemeindenaher Psychiatrie. Linde, der den deutschen Angehörigenverband als ›Experte‹ berät, über sein Spezialmittel Dapotum:

»Da aber die Schizophrenie in der Regel chronisch exazerbierend (verschlimmernd) oder progressiv verläuft, und die Exazerbationsquote direkt mit abhängig ist von einer anhaltenden neuroleptischen Medikation, ist eine verlässliche depotneuroleptische Behandlung die Conditio sine qua non (unerlässliche Voraussetzung) für eine extramurale (außerhalb der Klinikmauern vollzogene) Therapie. Schizophrene neigen verständlicherweise dazu – insbesondere bei Beschwerdefreiheit –, die Medikation abzusetzen oder nur unregelmäßig einzusetzen. Das für eine durchschnittliche Wirkungsdauer von 21 Tagen berechnete Depot bietet einen relativ sicheren Schutz vor Rezidiven, insbesondere auch deshalb, weil er eine ärztliche Administration in regelmäßigen Abständen erfordert und der Patient somit eine therapeutische Führung hat.« 961:21

Pöldinger führte aus, dass sich seine Kollegenschaft die Entwicklung der Antidepressiva-Verabreichung ähnlich der von Neuroleptika vorstellt:

»Wir wünschen einen Fortschritt in der Entwicklung von Antidepressiva mit retardierter (verlangsamter) und vor allem mit Depot-Wirkung, da insbesondere bei chronisch-depressiven Patienten und bei der Dauermedikation von Antidepressiva zur Prophylaxe die Compliance (Fügung in das diagnostische und ›therapeutische‹ Regime) der Patienten gelegentlich zu wünschen übrig lässt. Die therapeutischen Erfolge mit Depot-Neuroleptika seit mehr als 20 Jahren lassen diesen Wunsch besonders dringlich erscheinen.« 1182:388

Um die Absicherung der gemeindenahen Langzeitverabreichung von Psychopharmaka sicherzustellen, arbeiten Psychiater an der Entwicklung neuer Techniken. Als mögliche Verabreichungsformen, die die mess- und steuerbare Reproduzierbarkeit und Veränderung der pharmakologischen Stoffe im Organismus verbessern sollen, nannte Linde einpflanzbare Kristalle sowie über die Haut aufnehmbare oder einspritzbare Mikrokapseln als Langzeitdepots 961. Auch implantierbare, über Radiowellen computergesteuerte Arzneimittelpumpen 1870 könnten die Langzeitbehandlung perfektionieren. Frank Ayd, einer der weltweit einflussreichsten Psychiater, gab im Vorwort zu seinem Buch »The Future of Pharmacotherapy« (»Die Zukunft der Pharmakotherapie«) einen Ausblick auf die Entwicklung neuer Verabreichungsformen. Als Lagerraum für implantierte Depots sollen Männer ihren Mastdarm und Frauen ihre Vagina oder Gebärmutter zur Verfügung stellen:

»Bei uns implantiert man in anderen Bereichen der Medizin bereits Medikamente – außer in der Psychiatrie. In manchen Gebieten der Welt benutzt man eine implantierbare Form von Antabus zur Behandlung von Alkoholismus. Diese setzt die Medikamente allmählich über eine Dauer von sechs bis acht Monaten frei, bevor ein neues Implantat notwendig wird. Ich glaube, dass es in naher Zukunft andere, neue Wege der Medikamentenverabreichung geben wird. Vielleicht ist es dann möglich, Silikon mit einigen Neuroleptika zu imprägnieren. Wenn man eine intrauterine (in die Gebärmutter einführbare) Vorrichtung oder ein Pessar mit einem Neuroleptikum imprägnieren könnte, wäre vielleicht eine Minidosis wirksam. Von der Erfahrung mit Prostaglandinen wissen wir, dass die Absorption (Aufnahme) von der Vagina und dem Uterus sehr gut ist. Wir beginnen auch, mehr zu würdigen, dass die Medikamentenverabreichung durch das Auge, die Wangen- und Nasenschleimhaut und das Rektum (Mastdarm) sicher eintretende metabolische Wege (Bahnen im Stoffwechsel, auf denen die verabreichten Substanzen chemisch verändert und abgebaut werden) vermeidet. (...) Somit könnten wir in den nächsten Jahren einspritzbare oder einpflanzbare Psychopharmazeutika mit möglicherweise einer Wirkungsdauer von sechs Monaten bis zu einem Jahr haben und über diese Wege die Verabreichung hoher Dosen...« 69:8f.

Lesehinweise

Untereinander sind sich Ärzte und Psychiater einig, dass innerhalb der einzelnen Psychopharmaka-Klassen keine selektiven Wirkungsunterschiede bestehen, aus denen eine differenzielle Indikation abgeleitet werden könnte 888:92. Es sei ohne Bedeutung, ob die gleiche Wirkung beispielsweise von dem Neuroleptikum Trifluperazin oder von dem Neuroleptikum Thioridazin erreicht wird 99:93. Alle Psychopharmaka einer Klasse wirken mehr oder weniger gleich und haben im Prinzip dieselben Risiken und ›Nebenwirkungen‹. Leserinnen und Leser, die sich ausschließlich für die ›Nebenwirkungen‹ bestimmter Psychopharmaka interessieren, finden ein paar – allerdings nicht ausreichend kritische und vor allem unvollständige – Stichworte in der jährlich neu erscheinenden »Roten Liste«, im »Austria-codex« und im »Arzneimittelkompendium der Schweiz«. Diese Produktverzeichnisse der Pharmaindustrie können in Apotheken, Bibliotheken oder Arztpraxen eingesehen werden.

Bei Publikationen über die Wirkungen von Psychopharmaka wird meist der Wirkstoff genannt. Damit besser verstehbar wird, wovon die Artikel und Zitate handeln, gebe ich bei der jeweils ersten Erwähnung in Fußnoten oder Klammern die derzeit (1996) im deutschen Sprachraum handelsüblichen Produktnamen an. Das muss aber nicht heißen, dass die im Text erwähnten Substanzen unter einem dieser Handelsnamen eingesetzt wurden.

Als Kompromiss zwischen ästhetischen und praktischen Kriterien wählte ich das bereits angewandte Zitierverfahren. Dabei bezieht sich die erste Ziffer des Literaturhinweises – Beispiel: 1598:44 – auf die im Quellenverzeichnis aufgelistete soundsovielte (hier 1598.) Quellenangabe; sofern vorhanden, weist die zweite Ziffer – im angeführten Beispiel 44 – auf die betreffende Seitenzahl.

Die Übersetzung von Zitaten aus fremdsprachiger Literatur stammt von mir. Wo ich medizinisches Fachchinesisch zitiere, füge ich hinter den jeweiligen Fachbegriff in Klammern und Schrägschrift die Übersetzung in die Umgangssprache an.

Überblick

Drei Fragen sollen einführend beantwortet werden: Was sind eigentlich psychiatrische Psychopharmaka? Wie sieht der Aufbau des Zentralnervensystems (ZNS) aus, der Hauptangriffsort der modernen psychiatrischen Anwendungen? Weshalb soll man sich noch mit dem Elektroschock beschäftigen, ist er nicht überholt?

Die psychiatrischen Psychopharmaka

»Alle Substanzen, die den Aktivitätszustand des ZNS und damit psychische Prozesse beeinflussen, sind als Psychopharmaka im weiteren Sinne zu bezeuroleptikaeichnen.« 871:220

Diese Definition stammt aus dem Buch »Pharmakotherapie – Klinische Pharmakologie«. Mit Psychopharmaka im engeren Sinn meint man diejenigen psychotropen, das heißt die Psyche beeinflussenden Substanzen, die – mehr oder weniger – gezielt eingesetzt werden, um psychische Veränderungen herbeizuführen. Werden sie mit medizinisch-psychiatrischen Überlegungen eingesetzt, nennt man sie psychiatrische Psychopharmaka. Dabei kommt es nicht darauf an, welche medizinische Grundausbildung der Verordner erfahren hat, ob er als Arzt oder Psychiater tätig ist. Die Psychiatrisierung des Alltags hat längst die Praxen von Allgemeinmedizinern und normale Krankenhausstationen und Altenheime erreicht. Überall werden psychiatrische Psychopharmaka als ›Medikamente‹ eingesetzt, auch ohne dass die Indikationen als ausgesprochen ›psychiatrische Krankheiten‹ kenntlich werden.

In der Medizin insgesamt, zu der sich auch die Psychiatrie rechnet, kommen aus der Vielzahl der psychotropen Substanzen – mit Ausnahme der Halluzinogene – Vertreter aller Gruppen zum Einsatz:

• Neuroleptika, zum Beispiel Chlorpromazin, Dapotum, Esucos, Haloperidol, Imap, Leponex, Nozinan, Risperdal, Truxal

• Antidepressiva, zum Beispiel Anafranil, Aurorix, Fluctin, Insidon, Tofranil, Floxyfral

• Lithium und Antidepressiva, zum Beispiel Anafranil, Aurorix, Fluctin, Insidon, Tofranil, Floxyfral

• Phasenprophylaktika (Stimmungsstabilisatoren): Lithium und Antiepileptika, zum Beispiel Finlepsin, Tegretal, Timonil

• Tranquilizer, zum Beispiel Halcion, Lexotanil, Librium, Ludiomil, Noveril, Rohypnol, Tavor, Valium

• Hypnotika (Beruhigungs- und Schlafmittel), zum Beispiel Amytal, Antabus, Baldrian, Distraneurin, Heroin, Luminal, Opium

• Psychostimulanzien, zum Beispiel Captagon, Kokain, Ritalin, Stimul, Tradon

• Halluzinogene, zum Beispiel Haschisch, LSD, Marihuana, Mescalin.

Antiparkinsonmittel (zum Beispiel Akineton, Amantadin, Artane, Sormodren) sind keine Psychopharmaka, werden aber in Verbindung mit Neuroleptika gerne zur Kaschierung von Muskelstörungen oder zur Linderung akuter Muskelkrämpfe gegeben und können unerwünschte psychische Wirkungen haben (zum Beispiel Angst- und Unruhezustände, Halluzinationen und toxische Delire).

Das Schwergewicht des psychiatrischen Psychopharmaka-Gebrauchs liegt bei Neuroleptika, Antidepressiva und Lithium; gelegentlich werden noch Tranquilizer gegeben. Antiepileptika werden wegen ihrer dämpfenden Wirkung ebenso eingesetzt wie Psychostimulanzien, die man aufgrund ihrer ›paradoxen‹ Wirkung zur Ruhigstellung von ›Zappelphilippen‹ nutzen will. Antiparkinsonmittel, die auch psychische Auswirkungen aufweisen, benutzt man zur Unterdrückung Neuroleptika-bedingter Muskelstörungen.

Nichttranquilizer-artige Hypnotika werden in der Psychiatrie kaum verabreicht. Distraneurin (Wirkstoff Clomethiazol) und Antabus (Wirkstoff Disulfiram) spielen im Wesentlichen bei der Behandlung alkoholabhängiger Menschen eine Rolle. Diese Substanzen sind deshalb in »Schöne neue Psychiatrie«, wo es im Wesentlichen um die Behandlung von sogenannten psychischen Krankheiten geht, nicht angesprochen. Manche Autoren zählen hirndurchblutungsfördernde Mittel (Noo-, Neurotropika) wie zum Beispiel Piracetam (1996 im Handel als Avigilen, Cerebroforte, Cerepar, Cuxabrain, durapitrop, Encetrop, Memo-Puren, Nootrop, Nootropil, Normabraïn, Novocetam, Piracebral, Piracetam und Sinapsan) zur Gruppe der Psychopharmaka. Die therapeutische Wirkung der Nootropika ist umstritten, außerdem sind sie nicht frei von unerwünschten Wirkungen (siehe »Schöne neue Psychiatrie«, Band 1: »Wie Chemie und Strom auf Geist und Psyche wirken«).

Das deutsche Verordnungsspektrum der psychiatrischen Psychopharmaka ist regelmäßig im Arzneiverordnungs-Report beschrieben. Dort sind auch die jährlichen Verordnungszahlen der einzelnen Psychopharmaka-Gruppen graphisch dargestellt. 1993 lagen der Absatz von Neuroleptika und Antidepressiva etwa gleich hoch. Der Arzneiverordnungs-Report berichtete 1994:

»Eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Psychopharmakagruppen zeigt eine sehr unterschiedliche Entwicklung im Laufe der letzten zehn Jahre. Die Verordnungen von Tranquillantien sind in den letzten zehn Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Dieser Trend wurde nach der Vereinigung Deutschlands nur kurzfristig durch die Einbeziehung der ostdeutschen Verordnungsdaten unterbrochen. Er hat sich 1993 verstärkt fortgesetzt. Umgekehrt nahmen Neuroleptika und Antidepressiva eine stetige entgegengesetzte Entwicklung, die durch die Verordnungen aus den neuen Bundesländern noch deutlicher wurde. Infolgedessen haben die Tranquillantien ihre früher dominierende Stellung verloren und machen inzwischen deutlich weniger als die Hälfte des Verordnungsvolumens von Psychopharmaka aus.« 974:358/360

Wirkungsbereiche im Organismus

Das vegetative Nervensystem regelt die gewöhnlich unbewusst verlaufenden Organfunktionen, passt sie den jeweiligen Bedürfnissen an und kontrolliert das innere Körpermilieu. Oberste Integrations- und Steuerinstanz des vegetativen Nervensystems ist der Hypothalamus, ein spezielles Gehirnzentrum. Die meisten Organe werden von den beiden Teilsystemen des vegetativen Nervensystems, Sympathikus und Parasympathikus, über Nervenimpulse gesteuert. Manchmal wirken die beiden Systeme gegensätzlich wie zum Beispiel am Herzen, manchmal gleichgerichtet wie zum Beispiel an den Speicheldrüsen.

Sympathikus und Parasympathikus haben ihr Zentrum, von dem die Nervenstränge ausgehen, im Rückenmark. Mit den Nervenimpuls-Überträgerstoffen Azetylcholin und Noradrenalin beschleunigt der Sympathikus Herzschlag und Atmung. Er sorgt für den Blutdruckanstieg, gleichzeitig hemmt er die Darmbewegung und die Tätigkeit der Drüsen (mit Ausnahme der Schweißdrüsen). Außerdem steuert er den Samenausstoß. Am Auge kommt es unter seinem Einfluss zur Pupillenerweiterung. Die Wirkung des Sympathikus nennen Mediziner ergotrop (im Sinne einer Leistungssteigerung des Organismus zur Selbsterhaltung gegenüber der Umwelt).

Der Parasympathikus verlangsamt den Rhythmus des Herzschlags und der Atmung. Drüsentätigkeit und Darmbewegung werden in Gang gebracht. Unter dem Einfluss des Parasympathikus kommt es zur Erektion des Penis, zur Verengung der Pupille usw. Mediziner nennen die Parasympathikuswirkung trophotrop (im Sinne einer auf eine körperliche Anstrengung folgenden Erholungsphase). Der Parasympathikus arbeitet ebenfalls mit dem Nervenimpuls-Überträgerstoff Azetylcholin.

Nervenreizungen sind mechanisch, chemisch, elektrisch und durch Wärme möglich. Die Nervenimpulse werden als Signale in Nervenfasern übertragen: mittels physikalisch-chemischer Veränderungen, die von elektrischen Ladungen begleitet werden. Der einzelne Nervenimpuls wird von der einen Nervenzelle über die Synapse, das heißt die Kontaktstelle, zur benachbarten Zelle weitergeleitet. Die Nervenimpuls-Übertragung erfolgt hier durch chemische Stoffe, die in den synaptischen Bläschen enthalten sind. Elektrische Signale setzen die Transmitter (Überträgerstoffe) aus den synaptischen Bläschen frei. Sie dringen dann durch die vorsynaptische Zellwand und den synaptischen Spalt zur nachsynaptischen Zellwand und bewirken dort elektrische Veränderungen: Die Nervenimpuls-Übertragung kann sich fortsetzen.

Von den Nervenimpuls-Überträgerstoffen, die das Nervensystem steuern, wirken manche erregend, manche beruhigend und hemmend. Die hormonähnlichen Wirkstoffe entfalten ihre Tätigkeit auf dem Nerven- und Blutweg. Nervenimpuls-Überträgerstoffe, die in Zusammenhang mit der Wirkungsweise und den Auswirkungen der Psychopharmaka eine wichtige Rolle spielen, sind

•Azetylcholin. Die Übertragung von beruhigenden Nervenreizen auf das Herz erfolgt unter anderem durch Freisetzung von Azetylcholin. Im Zentralnervensystem sind die Kernbereiche des Thalamus, eines speziellen Hirnzentrums, an diesem Wirkstoff besonders reich. Die Gesamtheit aller im Sinne von Azetylcholin wirkenden oder mit seiner Hilfe ansprechbaren Nervenfasern wird unter dem Begriff »cholinerges System« zusammengefasst. Als Beispiel für eine Störung der Nervenimpuls-Übertragung durch Azetylcholin nennen Mediziner die Einnahme von Atropin, dem giftigen Wirkstoff der Tollkirsche. Atropin besetzt in diesem Fall die cholinergischen Rezeptoren (Empfangsstellen für die Nervenimpuls-Übertragung), so dass das Azetylcholin, wenn es einen Nervenimpuls übertragen soll, an der Empfangsstelle verdrängt wird und nicht zur Wirkung kommen kann 420:294.

•Noradrenalin. In größeren Mengen kommt das Noradrenalin in den Kernbereichen des Hypothalamus vor. Es beeinflusst die Psyche im Sinne einer Hebung der Stimmungslage. Noradrenalin erhöht allgemein die Spannung der Gefäßmuskulatur. Durch deren Zusammenziehen steigt der Blutdruck.

•Adrenalin. Adrenalin ist für den Blutdruck wichtig, außerdem für die Regelung des Sauerstoffverbrauchs und eine gegebenenfalls notwendige Erhöhung des Blutzuckerspiegels. Die Blutdrucksteigerung erfolgt im Falle von Adrenalin durch Steigerung der Herzleistung. Nervenfasern, die im Sinne des Adrenalin oder mit Hilfe von Noradrenalin wirksam sind oder auf Adrenalin oder Noradrenalin ansprechen, werden zusammengefasst unter dem Begriff »adrenergisches System« (Gegensatz: »cholinergisch«).

•Dopamin. Ein wichtiger Nervenimpuls-Überträgerstoff ist Dopamin, das im Bereich der Motorik eine maßgebliche Rolle spielt. Es wird vor allem im Schwarzen Kern gebildet und gelangt in besonderen Nervenfasern zur Schale und zum Schwanzkern. Im motorischen System erfüllt es eine wichtige Funktion, indem es die Muskelspannung steuert. Bei einer Störung der dopamingestützten Nervenimpuls-Übertragung, speziell im Schwarzen Kern, kommt es zur Parkinsonkrankheit, auch Schüttellähmung genannt.

Hormonsystem

Im Gegensatz zu den Nervenimpuls-Überträgerstoffen, die Nervenreize meist nur über eine kurze Strecke an die nächste Zelle weiterleiten, wird die Steuerung des Stoffwechsels, des Wachstums und der Sexualität von Hormonen ausgeübt. Dies sind körpereigene Wirkstoffe, die von Drüsen mit innerer Sekretion gebildet werden und bestimmte Lebensvorgänge anregen sollen. Zentralstelle im hormonalen Regelkreis ist die Hirnanhangdrüse. Mit eigenen Hormonen wirkt sie auf das Wachstum, die Geschlechtsdrüsen (Hoden, Eierstöcke) sowie auf andere Drüsen wie zum Beispiel Schilddrüse oder Nebennieren. Gleichzeitig empfängt sie zu Integrationszwecken Rückmeldungen aus den kontrollierten Organen. Eine Unterfunktion der Hirnanhangdrüse führt beispielsweise zu Fettsucht, Wasserharnruhr, unterentwickelter Sexualität oder erniedrigtem Blutdruck.

Die Schilddrüse reguliert die Stoffwechselvorgänge, indem sie die Sauerstoffaufnahme der Zellen steigert. Eine Unterfunktion der Schilddrüse ergibt zum Beispiel eine teigige Anschwellung der Haut oder eine Einschränkung der geistigen Fähigkeiten. Die Nebennieren bestehen aus der Nebennierenrinde, die den Mineral- und Zuckerstoffwechsel steuert, und dem Nebennierenmark, das Noradrenalin und Adrenalin bildet. Eine Unterfunktion der Nebennierenrinde führt zur Senkung der Körpertemperatur, zu Muskelschwäche, Appetitverlust, Erbrechen, Durchfall und Sinken des Blutzuckerspiegels sowie zum Cushing-Syndrom, das durch Fettsucht und geschwächte Sexualfunktion gekennzeichnet ist. Diese Störungen wie auch die weiteren Störungsbilder der Hormondrüsen und der anderen genannten Organe werden in den folgenden Kapiteln ausführlich Thema sein. Die Unterfunktion des Nebennierenmarks senkt Blutzuckerspiegel und Blutdruck, während unter seiner Überfunktion der Blutdruck steigt. Die Hormone des Eierstocks wirken unter anderem auf die sexuelle Aktivität, auf Gebärmutter, Menstruation, Förderung der Eireifung, Regelung des Scheiden- und Gebärmutterhalsschleims, was beispielsweise für die Überlebenszeit der männlichen Samen wichtig ist. Die Hormone der Hoden steuern ebenso die sexuelle Lust, außerdem unter anderem die Potenz und die Talgdrüsenaktivität. Sie fördern die Blutbildung, wirken wiederum auf die Vorsteherdrüse usw. Die Bauchspeicheldrüse regelt die Speicherung und Mobilisierung der beim Essen aufgenommenen Nahrungsenergie. Durch Insulinausschüttung sorgt sie für einen gleichmäßigen Blutzuckerspiegel.

Blutbestandteile

Blut setzt sich zusammen aus der Blutflüssigkeit und verschiedenen festen Bestandteilen. Die Blutflüssigkeit wird gebildet unter anderem aus Wasser, Eiweiß, Mineralstoffen, Hormonen, dem für die Blutgerinnung wichtigen Blutfaserstoff und den Gerinnungsenzymen wie zum Beispiel Prothrombin. Zu den festen Blutbestandteilen zählen die roten und weißen Blutkörperchen sowie die Blutplättchen. Die Erythrozyten (roten Blutkörperchen) werden im Knochenmark gebildet. Sie und speziell der rote Blutfarbstoff Hämoglobin dienen dem Sauerstofftransport. Die Blutplättchen werden zur Blutgerinnung benötigt. Als Gesundheitspolizei des Körpers gelten die Leukozyten (weißen Blutkörperchen). Sie sammeln sich dort im Gewebe, wo Bakterien eingedrungen sind, umschließen sie mit ihrem Zelleib und fressen sie auf.

Je nach Ort der Bildung lassen sich die weißen Blutkörperchen unterscheiden in Granulozyten und Monozyten (im Knochenmark) sowie Lymphozyten (in Lymphknoten, Milz und Leber). Granulozyten wiederum können nach Form und Färbung unterteilt werden in Neutrophilen, Eosinophilen und Basophilen.

Neuroleptika

Der Begriff »Neuroleptikum« ist zu übersetzen mit »Nervendämpfungsmittel«. Es gibt eine Reihe synonymer Begriffe: »Neuroplegikum« (»Nervenlähmungsmittel«), »major tranquilizer«, »Antischizophrenikum« oder »Antipsychotikum«. Die verschiedenen Neuroleptika werden ihren chemischen Strukturgemeinsamkeiten entsprechend in Gruppen und Untergruppen aufgeteilt:

• Trizyklische Neuroleptika:

Phenothiazine wie Atosil / Phenergan, Chlorpromazin / Largactil, Decentan / Trilafon, Dapotum / Lyogen / Lyorodin / Omca, Melleril / Melleretten, Neurocil / Nozinan, Psyquil, Taxilan Thioxanthene wie Ciatyl / Sordinol, Ciatyl-Z / Cisordinol / Clopixol, Fluanxol, Truxal

Andere trizyklische Neuroleptika wie Dominal, Leponex

• Butyrophenone wie Buronil / Eunerpan, Glianimon, Haloperidol, Imap, Orap, Dipiperon

• Rauwolfia-Alkaloide wie Reserpin

• Sonstige Neuroleptika wie Arminol / Dogmatil / Meresa / neogama / Sulp / Sulpirid, Belivon / Risperdal, Delpral / Tiapridex, Deniban, Roxiam.

Die Unterteilung ist allerdings zweitrangig, die einzelnen Neuroleptika wirken mehr oder weniger gleich, die Risiken unterscheiden sich prinzipiell nicht voneinander.

WIRKSTOFFE und HANDELSNAMEN (auf dem Stand von 1996; neuere Handelsnamen, unter denen die Produkte 2018 vertrieben werden, sind kursiv gesetzt):

Amisulprid: Amisulprid, Amisulpride, Deniban, Solian

Azaperon: Stresnil

Benperidol: Benperidol, Glianimon

Bromperidol: Impromen, Tesoprel

Chlorpromazin: Chlorazin, Chlorpromazin, Largactil, Propaphenin

Chlorprothixen: Truxal, Truxaletten

Clopenthixen: Ciatyl

Clotiapin: Entumin

Clozapin: Clopin, Clozapin, Lanolept, Leponex

Dapiprazol: Benglau, Remydrial

Dixyrazin: Esucos

Droperidol: Dehydrobenzperidol, Halkan, Ponveridol, Xomolix; enthalten in Thalamonal

Fluanison: Sedalande

Flupentixol: Fluanxol; enthalten in Deanxit

Fluphenazin: Dapotum, Fluphenazin, Lyogen, Lyorodin, Omca

Fluspirilen: Imap

Haloperidol: Buteridol, duraperidol, Haldol, haloper, Haloperidol, Sigaperidol; enthalten in Vesalium

Levomepromazin: Levomepromazin, Minozinan, Neurocil, Nozinan, Tisercin

Melperon: Buronil, Eunerpan, Neuril

Methofenazat: Frenolon

Moperon: Luvatren

Penfluridol: Semap

Perazin: Perazin, Taxilan

Periciazin: Neuleptil

Perphenazin: Decentan, Perphenazin, Trilafon

Pimozid: Antalon, Orap

Pipamperon: Dipiperon, Pipamperon

Pipotiazin: Piportil

Promazin: Prazine, Protactyl, Sinophenin

Promethazin: Atosil, Eusedon, Phenergan, Promethazin, Prothazin, Soporil; enthalten in Lysedil, Rectoquintyl-Promethazin, Rhinathiol Promethazin

Propionylpromazin: Combelen

Prothipendyl: Dominal

Remoxiprid: Roxiam

Reserpin: enthalten in Adelphan, Barotonal, Bendigon, Brinerdin, Briserin, Darebon, Disalpin, Durotan, Elfanex, Hygroton-Reserpin, Modenol, Pressimed, Pressimedin, Resaltex, Supergan, Suprenoat, Terbolan, Tri.-Thiazin Reserpin, Triniton

Risperidon: Aleptan, Belivon, Risperdal, Risperidon, Risperinorm

Sulpirid: Arminol, Dogmatil, Meresa, Meresasul, neogama, Sulp, Sulpirid, Sulpivert, Vertigo-Meresa, vertigo-neogama

Thiethylperazin: Torecan

Thioridazin: Melleretten, Melleril, Sonapax, Thioridazin

Tiaprid: Delpral, Tiapridex

Trifluperazin / Trifluoperazin: Jatroneural; enthalten in Jatrosom, Stelabid

Trifluperidol: Triperidol

Triflupromazin: Psyquil

Zotepin: Nipolept

Zuclopenthixol: Ciatyl-Z, Cisordinol, Clopixol

Vegetative Störungen und Organschäden

»Neuroleptika sind Medikamente, die mit absoluter Gesetzmäßigkeit vegetative Erscheinungen hervorbringen. Sie beeinflussen in von Medikament zu Medikament verschiedener Weise und Intensität sowohl die vegetative Peripherie (Bereich außerhalb des Herzens und des herznahen Kreislaufes) als auch – und besonders – die ›zentral-vegetativen Regelfelder‹. Die Wirkung auf die Psyche und noch offensichtlicher die auf die Motorik sind zumindest zeitlich den vegetativen Phänomenen eindeutig nachgeordnet.« 401:54

Laut Erläuterung Max-P. Engelmeiers von der Psychiatrischen Universitätsklinik Münster sind die körperlichen Wirkungen der Neuroleptika die eigentlichen Hauptwirkungen. Wie komplex diese ›Nebenwirkungen‹ sein können, geht immer wieder sowohl aus Veröffentlichungen der Pharmaindustrie als auch aus Aussagen von Betroffenen hervor. Die Aussagen beider Seiten widersprechen sich wenig, wie am Beispiel von Risperdal deutlich wird. Der Bericht der Psychiatrie-Betroffenen Johanna Highlandler aus Hannover über ihre Erfahrungen mit Risperdal widerspricht der »Roten Liste« in keiner Weise, sondern ist eher als Vervollständigung zu verstehen. In der »Roten Liste« wird eine breite Palette von Risiken dieses Neuroleptikums genannt, unter anderem:

»Häufig: Schlaflosigkeit, Agitation, Angstzustände, Kopfschmerzen. Seltener: Somnolenz (stärkerer Grad von Benommenheit), Schwäche, Benommenheit, Konzentrationsstörungen, Obstipation (Verstopfung), Dyspepsie (durch Gärungs- und Fäulnisprozesse infolge veränderter Enzymbildung charakterisierte Verdauungsstörungen), Übelkeit/Erbrechen, Bauchschmerzen, Sehstörungen, Priapismus (krankhaft anhaltende Gliedversteifung), erektile Dysfunktion (gestörte Erektionsfähigkeit), Ejakulationsstörungen, Störungen des Orgasmus, Harninkontinenz (unfreiwilliger Harnabgang), Rhinitis (Nasenschleimhautentzündung), Hautausschlag und andere allergische Reaktionen. Gelegentlich: Orthostatischer (bei aufrechter Körperhaltung auftretender) Schwindel und Hypotension (Blutdruckschwäche), Reflextachykardie (-herzjagen) (...). Gelegentliche extrapyramidale (durch Störungen der Muskelspannung und des Bewegungsablaufs charakterisierte) Symptome sind in der Regel gering ausgeprägt und bei Dosisverminderung und/oder falls nötig, bei Behandlung mit einem Antiparkinsonmedikament reversibel. Medikamente mit Dopaminrezeptor-antagonistischen (die Wirkung von Dopamin an der Rezeptoren blockierenden) Eigenschaften werden generell mit der Induktion von tardiven Dyskinesien (veitstanzförmigen, häufig chronischen und nicht behandelbaren Muskel- und Bewegungsstörungen, die ›spät‹, das heißt im Lauf der Behandlung, beim Absetzen oder danach zum Vorschein kommen) in Verbindung gebracht. Das Auftreten extrapyramidaler Symptome wurde als ein Risikofaktor für die Entwicklung von in Einzelfällen beobachteten tardiven Dyskinesien beschrieben. Falls Zeichen und Symptome der tardiven Dyskinesie auftreten, sollte das Absetzen aller antipsychotischen Medikamente in Erwägung gezogen werden.« 178

Risperdal kann laut diesem Herstellerhinweis zudem Panikreaktionen auslösen, Gewichtszunahme, Milchfluss aus den Brustdrüsen, weibliche Brustbildung bei Männern, Ausbleiben der Monatsblutung, maligne neuroleptische Syndrome (lebensbedrohliche Symptomenkomplexe mit Fieber, Muskelsteifheit und Bewusstseinstrübung), Krampfanfälle, Muskelschwäche, Leberwerterhöhungen, Blutbildschäden u.v.m. 178. Highlandler berichtete, wie sie die Anwendung von Risperdal erlebte: